Die diesjährigen Zwischenverhandlungen der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) in Bonn geben wenig Grund zum Optimismus. Verhärtete Fronten vor allem zwischen einigen großen Schwellenländern und den Industriestaaten prägten das Treffen. Uneinigkeit darüber, wie die »gemeinsame, aber differenzierte Verantwortung« und das Gerechtigkeitsprinzip auszulegen seien, verhinderten substantielle Fortschritte. Die Vorbereitungen für die erste Globale Bestandsaufnahme zur Ambitionssteigerung im Rahmen des Klimaabkommens von Paris, die bei der 28. Vertragsstaatenkonferenz (COP28) im Dezember in Dubai abgeschlossen werden soll, verliefen enttäuschend. Gleichzeitig versuchten einige Schwellenländer und insbesondere China, die Bedeutung des sechsten Sachstandsberichts (AR6) des Weltklimarates IPCC als gemeinsame wissenschaftliche Basis zu relativieren. Sollte China bei dieser Haltung bleiben, drohen negative Konsequenzen für den multilateralen Klimaprozess weit über die COP28 hinaus.
Die zweiwöchigen technischen Verhandlungen im Rahmen der 58. Sitzung der UNFCCC-Nebenorgane (SB58) im Juni in Bonn waren ein wichtiges Forum zur Vorbereitung der COP28 in Dubai. Bei dem Treffen in den Vereinigten Arabischen Emiraten im Dezember wird unter anderem die erste Globale Bestandsaufnahme (Global Stocktake, GST) unter dem Klimaabkommen von Paris abgeschlossen. Der GST soll als Ambitionsmechanismus dafür sorgen, dass die Länder ihre nationalen Klimabeiträge (NDCs) im Einklang mit den kollektiven Zielen des Pariser Abkommens (2015) nachschärfen. Er wird als Chance gesehen, die Lücke zwischen den aktuell noch steigenden Emissionen, dem Ambitionsniveau der bestehenden NDCs und den wissenschaftlich erforderlichen Minderungspfaden zumindest deutlich zu verkleinern. Laut dem aktuellen Synthesebericht des IPCC wären global bis 2030 Treibhausgasreduktionen von 43 Prozent gegenüber dem Niveau von 2019 nötig für ein Szenario, in dem die temporäre Überschreitung der 1,5 °C-Grenze möglichst gering bleibt. Bis 2035, dem Zieljahr der nächsten NDC-Runde, sind es 60 Prozent. Zur Ambitionssteigerung wäre eine Art »Sofortprogramm« denkbar, das im Rahmen des politischen Ergebnisses des GST oder der COP-Rahmenbeschlüsse in Dubai auf den Weg gebracht werden könnte.
Schon beim Petersberger Klimadialog im Mai hat die Bundesregierung gemeinsam mit verbündeten Staaten unter anderem die Idee eines globalen Ausbauziels für erneuerbare Energien lanciert. Sultan Al-Jaber, Geschäftsführer des staatlichen emiratischen Ölproduzenten Adnoc und designierter Vorsitzender der COP28, hat sich dem bei einem Treffen mit der EU-Kommission Anfang Juni angeschlossen. Die Haltung der Emirate zum Ausstieg aus fossilen Energieträgern hingegen bleibt geprägt von Wortakrobatik und Appellen für einen pragmatischen Umgang mit allen Lösungen. Was genau mit einem Energiesystem »frei von vollemittierenden fossilen Energieträgern« (free of unabated fossil fuels) gemeint ist und welche Bedingungen an einen Übergang geknüpft werden, wird eine der wichtigsten klimapolitischen Fragen nicht nur dieses Jahres sein.
Destruktive Ambiguität
In Bonn dominierte ohnehin ein anderes Thema die Diskussionen: das Ringen um die Interpretation des Pariser Abkommens im Hinblick darauf, wie zentrale Prinzipien ausgelegt werden sollen, insbesondere das der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung (und jeweiligen Fähigkeiten, CBDR-RC). Vor allem in Bezug auf die Bereitstellung von Ressourcen für Entwicklungsländer und zukünftige Minderungsbeiträge trafen unversöhnliche Positionen der Industrieländer und der Gruppe der »gleichgesinnten Entwicklungsländer« (like-minded developing countries, LMDCs) aufeinander. In der LMDC-Gruppe sind überwiegend große Schwellenländer sowie ressourcen- und einkommensstarke Entwicklungsländer wie Saudi-Arabien, China und Indien organisiert.
Konstruktive Ambiguität, also die Kunst, Formulierungen gerade so unbestimmt zu lassen, dass jede Vertragspartei ihre eigenen Prioritäten darin lesen und die Vereinbarung im nationalen Kontext entsprechend auslegen kann, ermöglichte 2015 das Zustandekommen des Pariser Klimaabkommens. Nun allerdings droht die anhaltende Auseinandersetzung um wesentliche Konzepte, Prinzipien und Verantwortlichkeiten dessen Umsetzung zu torpedieren. Die einst zugunsten gemeinsamer Anstrengungen überwunden gehoffte Dichotomie zwischen sogenannten Entwicklungsländern und Industrieländern prägt die Auseinandersetzungen weiterhin. LMDCs und Industrieländer halten sich dabei gegenseitig vor, das Pariser Abkommen nicht zu akzeptieren bzw. neu zu interpretieren.
Viele Entwicklungsländer beklagen zu Recht ein bis heute andauerndes mangelndes Engagement der Industrieländer bei Klimaschutz und finanzieller Unterstützung. Namentlich die LMDCs befürchten, zunehmend eine Last tragen zu müssen, für die die historische Verantwortung maßgeblich bei den Industrieländern liegt. Besonders deutlich wird diese Haltung der LMDCs in ihrer Ablehnung gegenüber dem Sharm el-Sheikh mitigation ambition and implementation work programme (MPW). Auch wenn das zu Grunde liegende Mandat auf ihr Betreiben hin neue verbindliche Ziele als Ergebnis ausschließt, könnten dort zusätzliche kurz- und mittelfristige Klimaschutzoptionen diskutiert werden – wie etwa Sektorziele oder ein Ausstieg aus fossilen Energien. Ohne einen komplementären Agenda-Punkt zu weiteren Finanzmitteln aus Industrieländern wollten die LMDCs dem MPW in Bonn jedoch keine Diskussionszeit zugestehen. Die zukünftige Präsidentschaft ließ die Chance ungenutzt, in dem fast zwei Wochen währenden Konflikt zu vermitteln und damit die eigene Glaubwürdigkeit zu stärken.
Die Debatten in Bonn waren – wie bei vorangegangenen Treffen – beeinflusst von den Folgen der multiplen geopolitischen Krisen (s. SWP-Aktuell 8/2023) und den wachsenden Spannungen zwischen den USA und China. Selbst wenn auf der Ebene der technischen Verhandler keine zentralen politischen Entscheidungen fallen, offenbarte die SB58 einmal mehr tiefes Misstrauen und anscheinend unüberbrückbare Positionen, die den notwendigen »step change« im Rahmen der COP28 zunehmend unwahrscheinlich erscheinen lassen.
Globale Bestandsaufnahme
Das Paris-Abkommen ist als dynamischer Prozess kollektiver Anstrengung angelegt. Im Fünf-Jahres-Takt wird das gemeinsame Ambitionsniveau im Rahmen des GST überprüft, als Maßstab für die nächste Runde nationaler Beiträge. Angesichts des extrem geringen verbleibenden CO2-Budgets müsste der erste GST dazu anreizen, sowohl bestehende NDCs nachzuschärfen als auch entsprechend ambitionierte Verpflichtungen für die Folgeperiode bis 2035 vorzulegen. Außerdem kommt ihm als Präzedenzfall für die Ausgestaltung des Ambitionsmechanismus und als Prüfstein für die Funktionsfähigkeit des Pariser Abkommens erhebliche Bedeutung zu.
In Bonn wurde die eineinhalb Jahre währende technische Phase des GST mit einer dritten Runde deliberativer Formate zu den Schwerpunktthemen Minderung (einschließlich Gegenmaßnahmen), Anpassung (einschließlich Verluste und Schäden) sowie Finanzflüsse und Mittel zur Umsetzung und Unterstützung abgeschlossen. Darüber hinaus wurden Vorbereitungen für die Auswertungsphase und das politische Ergebnis getroffen. Auch diese Diskussionen waren geprägt von den Spannungen zwischen Industrieländern und LMDCs. Infolgedessen herrschte wenig Einigkeit hinsichtlich der vorgeschlagenen Kernbotschaften, die die Basis für den weiteren Prozess bilden sollen. Der Vorschlag des zuständigen hochrangigen Gremiums für die Ausgestaltung der politischen Phase bei der COP28 blieb ebenfalls hinter den Erwartungen vieler Delegationen zurück.
In den formalen Verhandlungen ist es nicht gelungen, sich auf eine Struktur für den Entscheidungstext zum GST zu einigen. Gerungen wurde vor allem um die Hierarchie von Zielen, zumal im Hinblick auf die in Artikel 2 des Pariser Abkommens festgeschriebenen Langfristziele zu Temperatur, Anpassung und Finanzierung gegenüber anderen Inhalten. Die Behandlung von Artikel 2.1c, der eine Ausrichtung globaler Finanzflüsse an den Klimazielen fordert, war dabei besonders umstritten.
Finanzierung im Zentrum
Der jährliche Finanzbedarf allein der Entwicklungsländer, um Resilienz und eine klimafreundliche Infrastruktur aufzubauen sowie mit Verlusten und Schäden umzugehen, wird bis 2030 auf eine Größenordnung von Billionen US-Dollar geschätzt. Trotz aller Rhetorik ist klar, dass die notwendigen Investitionen nicht allein durch Transferzahlungen aus Industrieländern erfolgen können. In diesem Sinne unterstützen viele Industrieländer, aber auch kleine Insel- und andere klimapolitisch ambitionierte Staaten den Artikel 2.1c als einen weiterführenden, transformativen Ansatz. Würde er konsequent umgesetzt, bedeutete das eine Umschichtung privater und öffentlicher Investitionen aus klimaschädlichen Anlagen und Aktivitäten hin zu emissionsarmen und resilienzfördernden Alternativen und, damit einhergehend, einen Umbau staatlicher Subventionen.
Viele Entwicklungs- und Schwellenländer stehen dem kritisch gegenüber und betonen die Pflicht der Industrieländer, sie finanziell zu unterstützen. Sie befürchten einerseits, dass Artikel 2.1c genutzt wird, um Verantwortung in Richtung anderer Akteure, inklusive finanzkräftiger Entwicklungsländer, zu verschieben. Andererseits können stark ressourcenbasierten Ökonomien aus einer klimagerechten Ausrichtung der globalen Finanzflüsse Nachteile entstehen. Und entsprechende Vorgaben zum Beispiel bei der Vergabe von Krediten durch multilaterale Entwicklungsbanken (MEBs) berühren die nationale Souveränität bei Infrastrukturentscheidungen.
Themen wie die Erhöhung öffentlicher Klimafinanzierung, Reformen zur Eindämmung der Verschuldungskrise, bessere Koordinierung unter den MEBs und anderen Gebern sowie die Mobilisierung privater Investitionen standen auf der Agenda des »Gipfels für einen neuen globalen Finanzierungspakt« am 22. und 23. Juni in Paris. Bei dem informellen Treffen, an dem Staatschefs und die Vorsitzenden internationaler Finanzinstitutionen teilnahmen, wurden unter anderem Maßnahmen der von Barbados’ Premierministerin Mia Mottley vorgeschlagenen Bridgetown-Agenda vorangebracht: so etwa die Umwidmung von Sonderziehungsrechten des Internationalen Währungsfonds (IWF) für die Klimafinanzierung, eine Rückzahlungspause für verschuldete Länder, die von Naturkatastrophen betroffen sind, oder auch die Einrichtung einer Art Treuhandstelle, die das Währungsrisiko für Investitionen in grüne Infrastruktur in Entwicklungsländern absichert und damit die Kapitalkosten für erneuerbare Energien senkt. Gesprochen wurde ferner über neue Quellen für Klimafinanzierung, wie globale Abgaben zum Beispiel auf Schiffstreibstoffe oder eine Finanztransaktionssteuer.
In einer Roadmap hat Frankreichs Präsident Macron als Schirmherr viele konkrete Schritte für die nächsten zwei Jahre festgehalten. Was eine grundlegendere Reform der internationalen Finanzarchitektur angeht, bleibt sie zwar vage. Trotzdem könnte ihre konsequente Umsetzung einen substantiellen materiellen Beitrag leisten, das erodierende Vertrauen zwischen klassischen Geber- und Empfängerländern stärken und damit Fortschritte in Dubai ermöglichen.
Follow the science
Die Klimarahmenkonvention und das Pariser Abkommen basieren auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Beide verweisen insbesondere bei Zielsetzung und Überprüfungsprozessen wie dem GST auf die »best available science«; hierfür sind der IPCC und seine Berichte im UNFCCC-Prozess der autoritative Standard. Ihnen kam oft eine wichtige Rolle zu bei der Konsensfindung und Ambitionssteigerung, was sich in den Auseinandersetzungen bei der Verabschiedung der politischen Zusammenfassungen der Berichte spiegelt (s. SWP-Aktuell 28/2023). Auch gab es in der zuständigen Wissenschafts-Arbeitsgruppe wiederholt zähe Verhandlungen um den Grad der formalen Anerkennung der Arbeit des IPCC. Bei der COP24 (2018) kam es zum Streit um die entsprechende Formulierung in Bezug auf den Sonderbericht über 1,5 °C globale Erwärmung (s. SWP-Aktuell 15/2019). Seitdem haben die LMDCs nachdrücklich darauf hingewiesen, dass die historische Verantwortung sowie Gerechtigkeitsfragen in den vom IPCC bewerteten Szenarien und Minderungspfaden unzureichend berücksichtigt würden. Speziell Indien hatte mehrmals eine entsprechende Einordnung der Ergebnisse des AR6 für den politischen Prozess gefordert.
In Bonn haben die Auseinandersetzungen eine neue Qualität erreicht – trotz einer Rekordzahl an Verhandlungsstunden konnten sich die Delegierten bis zuletzt nicht auf den Entwurf einer politischen Erklärung zum AR6 einigen. Die LMDCs bestanden darauf, in jedem Absatz Wissenslücken und Unausgewogenheit insbesondere bezüglich der Belange von Entwicklungsländern zu erwähnen. Ein später Vorstoß Chinas, das angebliche Uneinigkeiten und fehlende Inklusivität im IPCC sowie mangelnde Robustheit der Berichte in den Entscheidungstext aufnehmen wollte, erzwang eine weitere Abschwächung des Kompromisstextes. In diesem fehlt nun jeglicher Verweis auf Dringlichkeit oder die Bedeutung der besten verfügbaren Wissenschaft für die Politik. Dies könnte die Relevanz zentraler Aussagen des AR6 – etwa globale Emissionsreduktionen bis 2035 oder die Stärkung von 1,5 °C als maximal zulässige Erwärmung – für den weiteren politischen Prozess einschließlich des GST schwächen. Chinas Vorgehen erstaunt vor allem, weil das Land auf wissenschaftlicher und Governance-Ebene stark im IPCC vertreten ist und dessen Position im UNFCCC-Prozess bisher stets respektierte.
Sollte dies tatsächlich eine Repositionierung des weltgrößten Treibhausgasemittenten bedeuten, verlöre der Klimaprozess mit dem Konsens zur Akzeptanz der »besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse« eine zentrale Säule. Deutschland und die Europäische Union sollten die potentiellen Folgen frühzeitig antizipieren und mit China Kompromisse suchen, die die Integrität des wissenschaftsbasierten Prozesses erhalten. Bi- und plurilaterale Kooperationsformate wie der Klima- und Transformationsdialog könnten dabei relevante Plattformen bieten.
Dr. Gerrit Hansen ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen und im Forschungscluster Klimapolitik.
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DOI: 10.18449/2023A46