Nach offiziellen Verlautbarungen besteht der Hauptzweck des Quadrilateralen Sicherheitsdialogs (Quad) darin, die Zusammenarbeit der vier Partnerländer Australien, Indien, Japan und die USA bei der Bewältigung dringlicher Herausforderungen zu intensivieren; dazu zählen unter anderem Klimaschutz, Gesundheitspolitik oder maritime Sicherheit. In erster Linie ist es aber der Aufstieg Chinas und die mit ihm verbundene Infragestellung der US-Hegemonie in der Region, welche die vier Partner zusammenbringen. Minilaterale Kooperationsformate wie der Quad gewinnen zwar global an Bedeutung. Aber auch mehr als 15 Jahre nach dem Beginn formeller Diskussionsrunden und trotz verstärkter Zusammenarbeit erscheint der Sicherheitsdialog zwischen den vier ungleichen Partnern mehr als Symptom regionaler Instabilität denn als Abhilfe gegen sie.
Wegen der drohenden Zahlungsunfähigkeit der USA hatte Präsident Joe Biden seine Reise zum Quad-Gipfel nach Sydney Ende Mai kurzfristig absagen müssen. Stattdessen trafen sich die Regierungschefs Australiens, Indiens, Japans und der USA am Rande des unmittelbar davor stattfindenden G7-Gipfels am 20. Mai in Japan. Es war das fünfte Treffen der Teilnehmer des Quadrilateralen Sicherheitsdialogs (»Quad«) auf dieser Ebene. Auf der Agenda standen regionale Herausforderungen wie Klimaschutz, kritische und neue Technologien, Cybersicherheit, Infrastruktur, regionale Gesundheitssicherheit, Sicherheit im maritimen und im Weltraum, Terrorismusbekämpfung sowie humanitäre und Katastrophenhilfe. China jedoch wird bisher in keiner offiziellen Verlautbarung explizit erwähnt.
Diese Tatsache ist insofern bemerkenswert, als der Großmächtekonflikt zwischen den USA und China und die damit verbundene Eskalationsspirale derzeit die zentrale sicherheitspolitische Herausforderung der Region darstellt. Abgesehen davon wurde der Quad im Jahre 2007 auf Initiative von Japans damaligem Premier Shinzo Abe ins Leben gerufen, um dem wachsenden Einfluss Chinas in der Region entgegenzuwirken, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Territorialdisputs um die Diaoyu-/Senkaku-Inseln und Pekings historisch bedingt wenig freundlicher Haltung gegenüber Japan. Mehrere aufeinanderfolgende japanische und US-amerikanische Regierungen teilten deshalb die Ansicht, dass Indien in die regionale Ordnung eingebunden werden müsse, die von den USA angeführt wird und bislang auf bilateralen Militärbündnissen und Partnerschaften beruht. Ziel war dabei, Chinas Einfluss zu beschränken und so die Region zu stabilisieren. Leitend ist die Annahme, dass regionale Stabilität nur über die Bewahrung einer hegemonialen Stellung der USA (US primacy) zu sichern sei.
Ein erstes Vierer-Treffen im Mai 2007 und ein gemeinsames Marinemanöver konnten die heterogene Gruppe von Staaten noch nicht von einer dauerhaften minilateralen Zusammenarbeit überzeugen. Zum einen erschien das Forcieren einer verstärkten Sicherheitskooperation zu konfrontativ gegenüber China. Peking hatte den Quad von Anfang an als eine gegen China gerichtete Initiative kritisiert. In Tokio setzten die damals neue, von der Demokratischen Partei Japans (DPJ) geführte Regierung ebenso wie in Washington die Administration von Präsident Barack Obama und in Australien die Regierung von Premier Kevin Rudd wieder verstärkt auf diplomatische Annäherung. Zum anderen trübte vor allem die Weigerung Australiens, Uran nach Indien zu exportieren, die Zusammenarbeit. Indien, das klandestin Nuklearwaffen entwickelt hatte, ist bis heute keinem der völkerrechtlichen Non-Proliferations-Verträge beigetreten. In den anschließenden zehn Jahren fanden deshalb keine Treffen auf politischer Ebene statt. Ihre bilateralen Kontakte verstärkten die vier Staaten jedoch stetig.
Als die Regierung Shinzo Abes, der seit 2012 in Tokio wieder an der Macht war, 2017 eine Revitalisierung des Quad ins Gespräch brachte, hatten die zwischen Quad-Mitgliedern und der Volksrepublik (VR) China schwelenden Konflikte im Südchinesischen Meer, im Ostchinesischen Meer und an der indisch-chinesischen Grenze massiv an Schärfe gewonnen. Zudem hatten sich die chinesisch-amerikanischen Beziehungen unter Präsident Donald Trump auch als Folge von dessen Wirtschaftskrieg generell abgekühlt. Eine Konvergenz der Wahrnehmung Chinas als sicherheitspolitischer und wirtschaftlicher Bedrohung wie auch der Wahl der Mittel, mit denen wachsenden chinesischen Machtansprüchen entgegengetreten werden sollte, führte Ende 2017 zur Wiederaufnahme des Quad. Zunächst lediglich auf Arbeitsebene der Außenministerien angesiedelt, trafen sich ab 2019 die Außenminister der vier Mitgliedstaaten persönlich. Nachdem die Biden-Administration den Quad zu einem Hauptinstrument für die Umsetzung ihrer Indo-Pazifik-Politik aufgewertet hatte, wurde die Zusammenarbeit ab März 2021 durch regelmäßige Quad Leaders Summits quasi zur Chefsache. Mittels fester Arbeitsgruppen, die von der Bereitstellung von Covid-19-Impfstoffen bis hin zur Governance des Weltraums ein breites Spektrum von Politikfeldern abdecken, wurde die Quad zudem stärker institutionalisiert. Welche Rolle spielt der Quad faktisch bei der Stabilisierung der regionalen Ordnung?
Quad und regionale Sicherheit
Die bisherige regionale Sicherheitsordnung, die auf einem System US-geführter Militärallianzen unter anderem mit Japan und Australien basiert, bezeichnete Chinas Staatspräsident Xi Jinping als Relikt des Kalten Krieges. Als Alternative forderte er die Bildung einer neuen Sicherheitsarchitektur »von Asiaten für Asiaten«. Seit 2014 hat die VR China unter Xi Jinping deshalb eigene Ideen zur Zukunft der regionalen Ordnung entwickelt und damit begonnen, diese zumindest partiell umzusetzen. Dazu gehört die umfassende Aufrüstung der Volksbefreiungsarmee, die forcierte Militarisierung des Südchinesischen Meeres ebenso wie der Ausbau bilateraler Partnerschaften, unterfüttert durch verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit im Rahmen der Belt and Road Initiative (BRI).
Dass China die historisch gewachsene US-amerikanische Hegemonialstellung in der Region infrage stellt, ist also die Herausforderung, die gerade diese vier Staaten überhaupt erst zusammenbringt. Der Quadrilaterale Sicherheitsdialog ist demnach in erster Linie ein Format zur Koordinierung einer Koalition von »Gleichgesinnten« (like-minded) mit dem Ziel, die US-geführte regionale Ordnung zu bewahren. Manche Beobachter sehen in der Quad sogar einen Beitrag zur Eindämmung (containment) Chinas.
Der Quad steht zudem sinnbildlich für das Eingeständnis Washingtons, das erklärte strategische Ziel, die regionale Vormachtstellung der USA im Indo-Pazifik zu bewahren, allein nicht mehr erreichen zu können. Da die USA gegenüber China zusehends an Macht verlieren, reicht selbst das etablierte System bilateraler Militärallianzen nicht mehr aus. Das Geflecht an Kooperationen muss vielmehr um gleichgesinnte Partner wie Indien erweitert werden.
Im Unterschied zu den existierenden, vorwiegend militärischen bilateralen Formaten sollen im Rahmen der Quad vor allem gemeinsame regionale Interessen gefördert werden. Diese mehr auf Gestaltung als nur auf Bewahrung ausgerichtete Strategie umfasst die Sicherung der Seewege, den freien Handel, die Förderung der Demokratie und den Schutz der Menschenrechte. Eine erfolgreiche Umsetzung dieser Agenda ist auf Unterstützung und Akzeptanz angewiesen, und dies über die vier gleichgesinnten Quad-Partner hinaus.
Unter dem Eindruck der Covid-19-Pandemie kam es im März 2020 zu einem ersten virtuellen »Quad-Plus-Treffen«. Unter den Teilnehmern waren Vertreter Vietnams, das den ASEAN-Vorsitz innehatte, Neuseelands, das Mitglied im Five-Eyes-Verbund der angelsächsischen Nachrichtendienste ist, und Südkoreas, eines weiteren wichtigen US-Verbündeten in der Region. Im Mai 2021 waren Israel und Brasilien zu Beratungen über Impfstrategien eingeladen worden.
Dies zeigt, dass die Quad-Partner unter Führung von Präsident Biden seit Anfang 2021 vermehrt darum bemüht sind, der Kritik vor allem aus Südostasien und seitens der pazifischen Inselstaaten entgegenzuwirken, der Sicherheitsdialog sei lediglich ein Instrument der Großmächtepolitik. In Washington und auch in Tokio hatte man erkannt, dass zahlreiche asiatische Staaten zwar eine aktive Rolle der USA in der Region begrüßen. Dies aber nur, wenn deren Engagement langfristig ist, glaubwürdig erscheint und in einer Weise erfolgt, die nicht dazu führt, dass die Fronten mit China sich weiter verhärten, was die Zweiteilung der Region fördern würde. Um diese kritischen Stimmen zu beschwichtigen und den eigenen Anspruch zu bekräftigen, öffentliche Güter zum Wohl aller bereitzustellen, haben die Quad-Staaten im März 2021 sechs Arbeitsgruppen eingerichtet. Sie befassen sich mit den Themenbereichen Gesundheitssicherheit, Klima, kritische und neue Technologien, Weltraum, Infrastruktur und Cybersicherheit.
Die Debatte über den eigentlichen Zweck und die Weiterentwicklung des Quad bleibt lebhaft, weil der kleinste gemeinsame Nenner der vier Partner noch relativ schmal ist. Er besteht darin, Chinas Einfluss zu begrenzen – und so gleichzeitig den eigenen Status und Einfluss in der Region zu stärken.
Doch dieser Gemeinsamkeit wohnen potenzielle Interessenkonflikte inne. Und trotz der ostentativ einvernehmlichen Auftritte herrschen unterschiedliche Ansichten selbst darüber, welche Art Bedrohungen von China ausgehen und mit welchen Prioritäten und Mitteln ihnen entgegengetreten werden soll. Ein Beispiel dafür ist Indiens Herangehensweise an die Herausforderungen im Indo-Pazifik.
Indiens Schlüsselposition und die unterschiedlichen Interessen der Quad-Mitglieder
Im Rahmen des Quad besetzt Indien die Schlüsselposition. Ohne Indien hätte das Format keinen Mehrwert, da bereits andere bi- und trilaterale Formate existieren, die dazu dienen, die Kooperation der USA mit ihren japanischen und australischen Verbündeten zu verstärken. Nun vertritt Indien dezidiert eigene Standpunkte, und dies trotz seiner großen Besorgnis über die chinesische Marinepräsenz im Indischen Ozean und wiederholter Auseinandersetzungen mit militärischen Einheiten Chinas an umstrittenen Grenzabschnitten im Himalaya. Aus Sorge vor einem allzu konfrontativen Auftreten gegenüber China verwendete Delhi die Bezeichnung »Quad« lange Zeit nicht einmal in Regierungsdokumenten. Indien gilt auch nach wie vor als Bremser einer Entwicklung der Quad, die sich militärisch stärker gegen China richtet. Dies zum einen, weil Delhi für den Indo-Pazifik ein sehr viel inklusiver angelegtes Konzept verfolgt. Zum anderen, weil Indien als wirtschaftlich schwächster Partner der Quad, der zudem als einziger der vier Staaten direkt an China grenzt (der Grenzverlauf ist umstritten), eine weitere Verschlechterung der Beziehungen mit China vermeiden will.
Im Unterschied zu Japan und Australien ist Indien auch kein Verbündeter der USA, steht bilateralen militärischen Bündnissen kritisch gegenüber und betont regelmäßig seine eigenständige Rolle in einer internationalen Ordnung, die aus seiner Sicht zusehends multipolar wird. Dies zeigt sich unter anderem in der offiziellen indischen Haltung zur russischen Invasion in die Ukraine: Indien trägt weder westliche Sanktionen gegen Russland mit, noch hat es bisher Russland als Aggressor klar verurteilt.
In einer ganz anderen Situation befinden sich Japan und Australien. Beide unterhalten seit den 1950er Jahren dank ihrer Bündnisse sehr enge Beziehungen mit den USA. Obwohl diese stark vom Ost-West-Konflikt in der Zeit des Kalten Krieges geprägt waren, verloren sie nach dem Niedergang der Sowjetunion kaum an Bedeutung. Im Gegenteil: Schon vor Beginn des globalen Krieges gegen den Terrorismus, an dem Australien aktiv teilnahm und der in Japan die Abkehr von einer Sicherheitspolitik einläutete, die strikt auf Territorialverteidigung ausgerichtet war, wurde die militärische Zusammenarbeit mit Blick auf das erstarkende China vertieft.
Dabei zeigte sich über die letzten drei Dekaden, dass die Sicherheitspolitik Australiens und Japans – je nach weltpolitischer Lage und parteipolitischen Konstellationen geringfügig variierend– auf beiden Seiten des Pazifiks regelmäßig von Sorgen um die Beständigkeit und Stärke der jeweiligen Bündnisse dominiert waren. Die Angst, als schwächerer Bündnispartner allein gelassen zu werden, verstärkte sich mit jeder Verschlechterung der Beziehungen zwischen China und den USA – wegen des auch historisch schwierigen chinesisch-japanischen Verhältnisses zuweilen aber auch in Phasen der Entspannung.
Australien war grundsätzlich immer bereit, US-amerikanische Strategien zur Wahrung der globalen Sicherheit auch militärisch zu unterstützen. Darum blieb der Widerspruch zwischen der immer stärker werdenden Abhängigkeit Australiens von Agrar- und Rohmaterialexporten nach China einerseits und dem – besonders im Zuge des Kriegs gegen den Terrorismus – enger werdenden Bündnis mit den USA andererseits lange ohne große Konsequenzen.
Japanische Entscheidungsträger befanden sich seit Ende des Ost-West-Gegensatzes in einer ungleich schwierigeren Lage. Ausschlaggebend dafür waren Japans geographische Nähe zu Russland, ungelöste Probleme im Zusammenhang mit der Erinnerung an den Expansionskrieg vor 1945, anhaltende Streitigkeiten mit Russland, Südkorea, China und Taiwan um maritime und territoriale Gebietsansprüche sowie das in der Verfassung verankerte Verbot, sich an militärischen Auslandseinsätzen zu beteiligen.
Das wirtschaftliche Erstarken und die militärische Aufrüstung Chinas haben Japans sicherheitspolitische Abhängigkeit von den USA in dramatischer Weise weiter verstärkt. Gleichzeitig trat der Gegensatz zur wirtschaftlichen Abhängigkeit von China in den 2010er Jahren offen zutage. Für die japanische Außen- und Sicherheitspolitik wurde es immer schwieriger, die USA sowohl in Asien wie auch auf Japans Seite zu halten und Chinas politischen Einfluss wann immer möglich zu begrenzen. Mehr noch als Australien schien die Einbindung Indiens für Japan eine Option zu eröffnen, mit diesem Dilemma künftig besser umgehen zu können. Dies wurde möglich durch die Ausdehnung militärischer Aktivitäten über den Asien-Pazifik hinaus in den wiederentdeckten geopolitischen Raum des Indo-Pazifiks.
Die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA im Jahre 2016, dessen Japan-Bild durch Erinnerungen an den amerikanisch-japanischen Wirtschaftskrieg in den 1980er Jahren geprägt war, hätte daher nicht ungelegener kommen können. Premier Abe sah sich gezwungen, alle Register zu ziehen, Trump bei guter Laune zu halten, um wirtschafspolitischen Druck ebenso abzuwenden wie Forderungen, deutlich höhere Beiträge für die Aufrechterhaltung der US-Militärpräsenz zu leisten. Gleichzeitig ließ sich Präsident Trump auch von der durch Abe propagierten Idee des Indo-Pazifiks überzeugen.
Den USA würde die Ausdehnung des strategischen Raums von Asien-Pazifik in den Indischen Ozean nicht nur die Unterstützung Indiens sichern, um ein Gegengewicht gegen China zu bilden. Auch Australien und Japan könnten als regional viel aktivere Partner stärker in das Vorhaben einbezogen werden, die US-amerikanische Hegemonialstellung in der Region zu bewahren.
Andere Staaten der Region haben eine eigene Sicht auf die Ursachen für die Instabilität in ihrem Umfeld und für mögliche Gegenmaßnahmen. Bei ihnen dominiert vor allem die Sorge vor einer zunehmend instabilen regionalen Ordnung, die aus einer eskalierenden Großmächterivalität und einer daraus resultierenden erneuten Blockbildung hervorgehen könnte. Diese Bedrohungswahrnehmung eint eine ganze Reihe ansonsten heterogener regionaler Akteure wie Südkorea, seinerseits US-Alliierter, oder auch die ASEAN-Staaten und die Inselstaaten des Südpazifiks.
Die Quad als Symptom regionaler Unsicherheit
Das Quad-Format, ebenso wie andere minilaterale Initiativen, erscheint zusehends komplementär sowohl zu den auf militärischen Beistand ausgerichteten, traditionell bilateralen Bündnissen als auch zu den bislang wenig effektiven, ASEAN-zentrierten multilateralen Foren wie dem East Asia Summit (EAS) oder dem ASEAN Regional Forum (ARF). Aus einer funktionalen Perspektive ist der Quad insofern durchaus robust: Er basiert auf engen bilateralen Beziehungen der Partner und ist im Unterschied zu den etablierten multilateralen Foren der Region viel stärker output- als prozessorientiert. So versucht beispielsweise die Indo-Pacific Partnership for Maritime Domain Awareness der Quad, die Staaten der Region bei der Bekämpfung illegaler maritimer Aktivitäten zu unterstützen. Dies vor allem durch Bereitstellung von Satellitendaten über Schiffsbewegungen, die mit den Daten der automatic identification systems abgeglichen werden können. Da viele illegale Fischerboote ihre automatic identification systems gezielt abschalten, bieten die bereitgestellten Satellitendaten neue Möglichkeiten, sie dennoch zu orten und aufzubringen.
Infolgedessen verfügt der Quad mittlerweile über ein gewisses Maß an Legitimität über den engen Mitgliederkreis hinaus. Der Präsident Indonesiens, das derzeit den ASEAN-Vorsitz innehat, bezeichnete den Quad denn auch unlängst als »Partner, nicht Wettbewerber« bei den Bemühungen der ASEAN, regionale Stabilität und Frieden zu bewahren. Minilaterale Formate wie der Quad werden auch für Staaten wie Vietnam oder Indonesien immer interessanter. Grund dafür sind die Flexibilität, die Output-Orientierung und der Umstand, dass diese Formate unterhalb der Schwelle militärischer Allianzen angesiedelt sind. Dadurch wiederum verlieren die etablierten multilateralen ASEAN-zentrierten Organisationen weiter an Bedeutung.
Ungeachtet dessen ist der Quad mehr als 15 Jahre nach dem ersten Treffen und trotz verstärkter Zusammenarbeit – vor allem zur Wahrung maritimer Sicherheit – eher ein Symptom für regionale Instabilität als eine Lösung für dieses Problem.
Dies liegt vor allem daran, dass der Quad keine Antwort auf das strukturelle Problem der rivalisierenden Machtansprüche der USA und Chinas bietet. Das Format ist in erster Linie eine institutionelle Reaktion auf diese Rivalität. Chinesische Hegemonialansprüche, die sich auf die gesamte Region richten, stoßen auf Bestrebungen, die Vorherrschaft der USA (US primacy) in eben dieser Region aufrechtzuerhalten; die damit verbundene Konfrontation folgt zwingend einer Nullsummenlogik.
Wenngleich seine Mitglieder den Quad als Beitrag zu regionaler Stabilität und Kooperation preisen, ist das Format insofern fester Bestandteil der strategischen Rivalität zwischen den USA und China. Er kann deshalb nur unter der Prämisse als Beitrag zur Lösung des Problems regionaler Instabilität gelten, dass regionale Stabilität durch ein Zurückdrängen Chinas erreicht werden soll. Diese Prämisse wird allerdings weder von der Mehrzahl der Staaten in der Region noch überall in Europa geteilt. Selbst im Falle kurzfristiger Erfolge bei der Zurückdrängung des chinesischen Einflusses bleibt zudem fraglich, ob eine solche Eindämmungsstrategie – sollte sie in Zukunft genügend Unterstützung finden – dauerhaft durchgesetzt werden könnte. Implizit liegt dieser Strategie die Annahme zugrunde, dass China als Reaktion seine als nationale »Kerninteressen« deklarierten machtpolitischen Ziele aufgibt oder zumindest deren Verfolgung temporär einstellt. Keine dieser Reaktionen ist aber derzeit erkennbar. Im Gegenteil: Nahezu ausnahmslos sind größere Spannungen das Resultat.
Mehr noch: Durch die militärische Aufrüstung der letzten Jahrzehnte und unter dem politischen Imperativ, seine »Kerninteressen« zu verteidigen, vermag China seine Nachbarschaft jederzeit zu destabilisieren. Dabei verlagert es die Rivalität jedoch verstärkt auch auf die geoökonomische Ebene. Mittels Initiativen wie der BRI und anderer außenwirtschaftspolitischer Instrumente versucht die chinesische Führung, die Interessen ärmerer Staaten an schnellem Wirtschaftswachstum und Infrastrukturausbau für sich zu nutzen. Die Quad-Mitglieder konnten hierauf bislang weder qualitativ noch quantitativ zufriedenstellende Antworten geben. Neben erheblich größeren Investitionen in Entwicklungshilfe und höheren Beiträgen an deren Projekte müssten etwa auch die Funktionsweise der Kapitalmärkte und die Regeln des Welthandels im Sinne der Interessen ärmerer Staaten reformiert werden; außerdem müssten die Quad-Mitglieder eigene protektionistische Maßnahmen reduzieren und die bilateralen Beziehungen zu den ärmeren Staaten über viele Politikfelder hinweg umfassend intensivieren.
Aus der Sicht deutscher Außenpolitik muss unabhängig hiervon jedoch beachtet werden, dass minilaterale Kooperationsformate wie der Quad in einer regionalen Ordnung, die sich in einer Übergangsphase befindet, zusehends an Bedeutung gewinnen.
Quad: Implikationen für Deutschland und die Europäische Union
Die wachsende Bedeutung der Quad wurde bereits 2021 auf europäischer Ebene ersichtlich. In ihrer Indo-Pazifik-Strategie bekundete die Europäische Kommission Interesse an einer Kooperation im Rahmen des Formats. Der Umgang mit dem Quad stellt Deutschland und die EU zumindest vordergründig vor ein Dilemma. Einerseits propagieren europäische Akteure – Deutschland zum Beispiel in den Indo-Pazifik-Leitlinien – unter dem zentralen Begriff der regelbasierten Ordnung einen VN-zentrierten effektiven Multilateralismus und Inklusivität. Andererseits tendieren viele der sogenannten gleichgesinnten Quad-Partner in der Region zu exklusiven bi- und minilateralen Kooperationsansätzen. Dies obwohl eigentlich alle Arbeitsgruppen der Quad Problembereiche bearbeiten, die auch – eventuell sogar nachhaltiger – auf regionaler oder gar globaler multilateraler Ebene behandelt werden könnten. Der Stellenwert multilateraler regionaler Institutionen wie der ASEAN oder dem Pacific Islands Forum sinkt gleichzeitig weiter.
Auch die angeblich gemeinsamen demokratischen Werte der Quad-Mitglieder, eines der zentralen Merkmale des Formats, stehen oft nicht im Einklang mit dem Demokratieverständnis der meisten politischen Akteure in Europa.
Denn die Betonung dieses Merkmals dient im Kontext der Sicherheitspolitik im Indo-Pazifik hauptsächlich dazu, sich gegen das autokratische China abzugrenzen. Tatsächlich waren bis zu den letzten Regierungswechseln zu den amtierenden Administrationen in Washington, Tokio und Canberra keine der vier Quad-Führungen durch demokratiefreundliche Politik aufgefallen. Im Gegenteil: Indem sie den Fokus auf das autoritäre China und dessen illegitime und illegale Praktiken richteten, wurden nicht selten Angriffe der regierenden Parteien auf eigene demokratische Institutionen relativiert und unterschätzt; das gilt vor allem für die USA und Indien. Im letzten Vision Statement der Quad werden die vormals sehr stark betonten gemeinsamen demokratischen Werte denn auch nicht mehr erwähnt.
Das erwähnte Dilemma für die EU ist allerdings eher theoretischer als praktischer Natur. Da insbesondere Europas sicherheitspolitische Gestaltungsmacht im Indo-Pazifik äußerst gering ist, ist die EU in der Praxis längst zu mehrheitlich exklusiven, vor allem bilateralen Kooperationen mit »gleichgesinnten« Quad-Partnern übergegangen. Beispiele dafür sind neu ins Leben gerufene sogenannte 2+2-Dialogformate, etwa der deutschen Außen- und Verteidigungsministerinnen oder ‑minister mit ihren Amtskolleginnen und ‑kollegen sowie Teilnahmen der Marine, Luftwaffe und des Heeres der Bundeswehr an Übungen unter anderem mit den Streitkräften Australiens und Japans.
Die wesentliche Frage scheint daher eine viel pragmatischere zu sein: Welchen Mehrwert bietet die Quad, und gegebenenfalls die Kooperation mit ihr, wenn es darum geht, die regionale Stabilität im Indo-Pazifik zu bewahren? Eine Antwort hierauf ist janusgesichtig. Denn die Quad versucht einerseits immer öfter, mit funktionalen Ansätzen auf konkrete regionale Herausforderungen in verschiedenen nichtmilitärischen Politikfeldern zu reagieren. Diese funktionalen, output-orientierten Ansätze werden in der Region zusehends positiv gewertet und haben die Legitimität der Quad erhöht. Die Quad könnte daher künftig entsprechende minilaterale Initiativen für andere Staaten öffnen. Dies böte die Möglichkeit, die Rolle der Quad in der Region inklusiver zu gestalten und gegebenenfalls sogar zur Multilateralisierung einzelner Quad-Initiativen durch aktive Mitwirkung anderer Staaten beizutragen, die dem Format nicht angehören.
Auf der anderen Seite ist der Quad aber mehr Symptom als Lösung des Problems regionaler Instabilität. Unabhängig davon, ob hauptsächlich die Führung in Peking oder die chinesisch-amerikanische Großmächterivalität für die Instabilität der Region verantwortlich gemacht wird: Klar ist, dass weder Regierungen in Peking noch in Washington in der Lage sein werden, die Eskalationsspirale zu durchbrechen.
Zweifellos sind chinesische Gebietsansprüche im Ost- und Südchinesischen Meer und auf Taiwan unmittelbare Ursachen für Spannungen. In anderer Hinsicht vergrößern wiederum die Spannungen zwischen China und den USA mittelbar auch die Sorgen vor allem Japans und Australiens, die ihnen ihre stetig wachsenden sicherheitspolitischen Abhängigkeiten vom zunehmend unverzichtbaren, aber auch unberechenbaren Verbündeten USA bereiten.
Als Konsequenz dieser destabilisierenden Wechselwirkung zwischen China und den USA (sowie Japans und Australiens als Verbündeten der USA) ist es ratsam, dass europäische Entscheidungsträger darauf achten, die Kooperation mit regionalen Akteuren nicht auf die Quad-Mitglieder zu begrenzen. Das bedeutet nicht, die Augen vor der wachsenden Bedeutung der Quad und anderer minilateraler Initiativen zu verschließen. Eine Entschärfung der wechselseitigen Eskalation erscheint derzeit aber nur möglich, indem mit einer Vielzahl von Partnern in der Region kooperiert wird, vorzugsweise jenen, die keine großmachtpolitischen Ambitionen hegen. Im Rahmen eines solchen Kreises von Akteuren müssten gemeinsam Ideen für ein Management der Großmächterivalität entwickelt werden; das Hauptaugenmerk sollte darauf liegen, den Ausbruch militärischer Konflikte zu verhindern. Deutschland und andere europäische Staaten sollten schon jetzt signalisieren, dass sie derartige künftige Initiativen unterstützen.
Dr. Felix Heiduk ist Leiter der Forschungsgruppe Asien, Dr. Christian Wirth Wissenschaftler in dieser Forschungsgruppe.
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