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3. Institutionenreform
3. Zentrale Leerstelle der bisherigen Konventsarbeit: die Reform der Institutionen
Die Diskussion über die notwendige Reform der Institutionen, die einer erweiterten EU die notwendige Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit garantieren würden, ist bislang innerhalb des Konvents kaum geführt worden. Dabei liegt in der Lösung derjenigen institutionellen und Verfahrensfragen, die im Rahmen der zwei Regierungskonferenzen seit Maastricht (Amsterdam und Nizza) nicht befriedigend geregelt werden konnten, die schwierigste und wohl wichtigste Aufgabe des Konvents, ja seine eigentliche Daseinsberechtigung.
Die äußerst kontroverse Auseinandersetzung zur zukünftigen Gestalt der europäischen Institutionen, zur Machtverteilung zwischen den europäischen Organen und zur Rolle der Mitgliedstaaten im europäischen Entscheidungsprozeß wurde vom Konventspräsidium bislang bewußt nicht ins Zentrum der Konventsverhandlungen gerückt. Dabei wird diese Kerndebatte außerhalb des Konvents längst intensiv geführt. Der Europäische Rat von Sevilla hat im Juni auf der Grundlage des Solana-Berichts erste Schritte zur Reform seiner eigenen Arbeitsweise sowie der Struktur und Arbeit des Rates beschlossen. Zudem wird das Initiativmonopol der Kommission de facto relativiert durch den Beschluß des Sevilla-Gipfels , daß der Europäische Rat künftig ein Drei-Jahres-Strategieprogramm formulieren soll, das vom Rat in Form von operativen Jahresprogrammen für seine Tätigkeit zu präzisieren ist. So werden im Kreise der Staats- und Regierungschefs wichtige Aspekte der Reform der europäischen Institutionen schon intensiv behandelt, wie auch die gemeinsamen Vorschläge von Gerhard Schröder und Tony Blair zur Ratsreform sowie die Vorschläge Chiracs, Blairs und Aznars zur Schaffung eines Präsidenten des Europäischen Rates belegen.
Aus den Reihen der europäischen Parteienbünde sind umfassende Vertragsentwürfe mit detaillierten Vorstellungen zur Gestalt der Organe entweder schon vorgelegt worden (so ein Diskussionsentwurf der Europäische Volkspartei, der noch nicht verabschiedet ist, und ein knapper Verfassungsentwurf des britischen Liberalen und Konventsmitglieds Andrew Duff ) oder sind in Kürze zu erwarten (Sozialisten und Grüne).
Es wäre an der Zeit, daß diese Kernfragen der EU-Reform nunmehr auch im Konvent selbst breit thematisiert werden. In praktisch allen bisher geführten Konventsdebatten sind institutionelle Reformfragen im Hintergrund stets präsent gewesen. Dies gilt vor allem für die Definition des zukünftigen Verhältnisses zwischen Kommission und Rat bzw. Europäischem Rat. Soll die Stellung des Kommissionspräsidenten durch seine Bestimmung aus den Reihen der Mehrheit des Europaparlaments gestärkt, soll die Kommission politisiert werden? Oder soll der Europäische Rat für eine längere Dauer einen EU-Präsidenten bestimmen - und wenn ja, mit welchen Befugnissen, welcher Machtstellung und welchen Folgen für die bisher praktizierte halbjährliche Präsidentschafts-Rotation? Soll das Initiativmonopol der Kommission im ersten Pfeiler abgeschafft werden, um auch dem Rat und dem Europäischen Parlament ein formelles Vorschlagsrecht für Rechtsetzungsakte einzuräumen?
Zur Klärung der - zumindest aus deutscher Sicht - eher nebensächlichen Frage der Stellung nationaler Parlamente auf europäischer Ebene wurde bereits vor der Sommerpause eine Arbeitsgruppe eingesetzt, obwohl dieser Punkt kaum isoliert von der institutionellen Gesamtarchitektur zu behandeln ist. Zum Kernbereich der Reform der europäischen Organe und ihrer wechselseitigen Beziehungen ist derzeit, zu Beginn der zweiten und kritischen Arbeitsphase des Konvents, jedoch noch keine Arbeitsgruppe gebildet oder beschlossen worden. Soll diese Kernfrage der Konventsarbeit erst dann thematisiert werden, wenn - voraussichtlich Anfang 2003 - ein Gesamttextentwurf seitens des Präsidiums vorliegt? In diesem Falle droht ein entscheidender Themenkomplex im Konvent unter hohem Zeitdruck beraten zu werden mit der Folge:
- entweder einer überragenden Rolle des Konventspräsidiums und seines Präsidenten, Valéry Giscard d'Estaing;
- oder aber einer zentralen Rolle der nachfolgenden Regierungskonferenz, für den Fall, daß der Konvent nicht zu konsensfähigen Vorschlägen gelangen und lediglich eine Reihe von Optionen formulieren könnte.
Die deutschen Konventsmitglieder haben in einem Brief an Giscard d'Estaing im Juni völlig zu Recht - jedoch bislang erfolglos - auf die rasche Einsetzung von Arbeitsgruppen zur Institutionenreform gedrungen, die im Verlaufe des Oktober 2002 Ergebnisse vorlegen sollten. Aus heutiger Sicht wäre schon viel gewonnen, wenn eine Arbeitsgruppe zur Institutionenreform - eventuell mit Unterarbeitsgruppen zu den einzelnen europäischen Organen (vor allem Parlament, Rat, Kommission, Gerichtshof) - im Verlaufe des Herbst noch eingesetzt werden und bis Ende des Jahres Vorschläge unterbreiten könnte.
Drei Motive dürften der vom Konventspräsidium und vor allem von seiten seines Präsidenten Giscard d'Estaing praktizierten Verzögerungstaktik zugrunde liegen:
- zum einen das Ziel, eine frühzeitige Herausbildung starrer Fronten im Konvent zu vermeiden, die den weiteren Gang der Verhandlungen erschweren könnten;
- zum zweiten diente die lange Phase des »Zuhörens« im Konvent von März bis Ende Juli 2002 dem Konventspräsidenten Giscard d'Estaing dazu, die Kräfteverhältnisse im Konvent sowie auch im Kreise der Staats- und Regierungschefs zu sondieren, um dann ab Ende des Jahres Vorschläge unterbreiten zu können, die sowohl im Konvent als auch in der nachfolgenden Regierungskonferenz Aussicht auf Zustimmung besitzen;
- schließlich dürfte die Überlegung eine Rolle gespielt haben, das am 19.Oktober stattfindende zweite irische Referendum zum Vertrag von Nizza nicht durch weitreichende Reformvorschläge und hitzige Debatten im Konvent zu belasten.
Allerdings müssen sich die Konventsmitglieder fragen, ob der durch das Hinauszögern der schwierigsten Auseinandersetzungen eingetretene und weiter absehbare Zeitverlust nicht mit einem Einflußverlust des Konvents im gegenwärtigen Reformprozeß bezahlt wird. Welchen Vorteil hätte der Konvent als Methode zur Vertragsreform gegenüber der Methode von Regierungskonferenzen, wenn die Schlußphase der Konventsarbeit im kommenden Jahr unter extremen Zeitdruck zu geraten droht? Darauf zu bauen, daß die nachfolgende Regierungskonferenz in der Lage wäre, schwierige und vom Konvent eventuell nicht gelöste institutionelle Machtfragen der Europäischen Union einer Lösung zuzuführen, hieße, die Lehren aus dem Nizza-Gipfel schlicht zu vergessen.
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