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Der erste Gipfel der Anti-China-Koalition

Das G7-Treffen in Cornwall spiegelt zugleich die Schwäche der BRICS-Kooperation

SWP-Aktuell 2021/A 43, 10.06.2021, 6 Seiten

doi:10.18449/2021A43

Forschungsgebiete

Der britische Premierminister Boris Johnson ist vom 11. bis 13. Juni Gastgeber der Staats- und Regierungschefs sechs anderer führender Industrieländer (Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Kanada, die USA). Brisanz hat dieser G7-Gipfel im eng­lischen Cornwall insofern, als Johnson die Frage der künftigen Zusammenarbeit mit China zu einem der Kernthemen gemacht hat. Die Schwerpunktsetzung zeigt sich schon an der Liste der zusätzlich eingeladenen Länder: Australien, Indien, Südkorea und Südafrika. Die Bildung einer breiten Allianz gegen das zunehmend aggressiv auf­tretende China gewinnt mit dem G7-Gipfel an Dynamik. Die deutsche Außenpolitik hat in dessen Vorfeld mehrfach auf die wirtschaftliche Bedeutung Chinas hingewiesen und gerät zusehends in die Rolle eines Außenseiters, der aus ökonomischen Inter­essen an der Zusammenarbeit mit einem totalitären Staat festhält.

Das Motto des G7-Gipfels »Build Back Bet­ter« klingt unverfänglich und konstruktiv. Angesichts der inzwischen möglich erschei­nenden Überwindung der Covid-19-Pandemie steht die Frage im Raum, wie die führenden Industrienationen den zu erwartenden Auf­schwung gestalten wollen. Ebenso wichtig ist die Frage, wie künftig auf Pandemien reagiert werden soll. Zweifellos sind dies wichtige Themen, doch die für den G7-Gip­fel wichtigste Frage ist: Wie sollen sich die sechs führenden Industrieländer im neuen Kalten Krieg zwischen der Volksrepublik China und dem G7-Staat USA positionieren?

Diese Frage müssen diese sechs Industrieländer beantworten, weil China seine Außen- und Außenwirtschaftspolitik massiv ver­än­dert hat. Die verstärkt auf Abkopplung Chi­nas von der Weltwirtschaft setzende Politik von Generalsekretär Xi Jinping wird für die OECD-Länder gravierende Folgen haben. Chinas Streben nach wirtschaftlicher Auto­nomie markiert zum einen das Ende der bis­herigen Form internationaler Arbeitsteilung, zum anderen macht es die Erwartung illusorisch, China werde sich über kurz oder lang zu einer Marktwirtschaft wandeln.

China setzt aber keineswegs nur auf Selbstisolation, es vertritt seine Interessen heute auch sehr viel offensiver als noch in den ersten drei Jahrzehnten nach Öffnung des Landes Ende der 1970er Jahre. Dabei belässt es die chinesische Regierung nicht bei polternder Rhetorik, sondern verletzt mit ihrem praktischen Handeln Verträge und das Völkerrecht. Insbesondere der Bruch der Vereinbarungen des sino-briti­schen Vertrages aus dem Jahr 1984, der den Sonderstatus der früheren britischen Kolonie Hongkong festschrieb, hat die meisten G7-Länder veranlasst, die Verlässlichkeit der chi­nesischen Regierung anders einzuschätzen.

Johnson setzt Trumps Politik fort

Dies gilt ganz besonders für die britische Regierung und Premierminister Johnson. Noch 2015 ist Generalsekretär Xi Jinping in London fürstlich empfangen worden. Ihm wurde die seltene Ehre zuteil, vor beiden Kammern des Parlaments sprechen zu dür­fen. Königin Elizabeth und Generalsekretär Xi fuhren in einer vergoldeten Kutsche zum Buckingham-Palast. Beide Regierungen sprachen von einer »goldenen Ära« in ihren bilateralen Beziehungen.

Das Blatt wendete sich im Jahr 2019 mit den Protesten in Hongkong und der Ver­abschiedung des drakonischen Sicherheits­gesetzes am 30. Juni 2020. Die britische Re­gie­rung hat dagegen nicht nur protestiert, sondern allen Hongkongern, die die Berech­tigung für einen sogenannten »British National (Overseas)«-Pass besitzen, die Über­siedlung nach Großbritannien angeboten. Es handelt sich dabei um drei Millionen Menschen – etwa 40 Prozent der heutigen Einwohner Hongkongs. Schon diese Maß­nahme spiegelt das Ausmaß der Zerrüttung der beiderseitigen Beziehungen wider.

Das großzügige Aufnahmeangebot für diese große Zahl an Hongkongern ist noch bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass die Kontrolle der Zuwanderung nach Groß­britannien eines der zentralen Themen beim Austritt der Briten aus der EU war. Die Kam­pagne zur Umsiedlung dieser Hongkonger könnte die größte humanitäre Maßnahme werden seit der Evakuierung von etwa 30 000 Ostafrikanern asiatischer Herkunft aus Uganda und Kenia in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren. Anders als da­mals gibt es in Großbritannien kaum Pro­test gegen den Plan zur Aufnahme der Hong­konger: Umfragen zufolge stimmen zwei Drittel der befragten Briten diesem Schritt zu.

Boris Johnson nimmt die Verstimmung der Pekings in Kauf, das die Gewährung von Visa an Hongkonger als Einmischung in Chinas innere Angelegenheiten betrachtet. Verantwortlich für Johnsons Haltung ist vermutlich nicht nur die Verärgerung der Briten über den Bruch des Vertrags von 1984, sondern auch die Einschätzung, dass die geopolitischen Zuspitzungen eine Posi­tionierung Londons verlangen.

Johnson knüpft mit der Einladung der vier Gastländer des G7-Gipfels an einen Vor­schlag des damaligen US-Präsidenten an. Vor genau einem Jahr hatte Donald Trump die Schaffung einer G11 gefordert: die G7 plus Australien, Indien, Südkorea und Russland. Johnson hat lediglich Russland durch Süd­afrika ersetzt, aber an der Idee der Formie­rung einer Gruppe demokratischer Länder als Gegenpol zu China festgehalten.

Die Entscheidung des britischen Pre­miers, die von chinesischer Aggression besonders betroffenen Länder nach Corn­wall einzuladen, ist ein Signal an Peking, dass die westlichen Industrieländer nicht bereit sind, dessen aggressives Auftreten achselzuckend zur Kenntnis zu nehmen.

Der Gipfel von Cornwall findet zu einer Zeit statt, in der China in vielen Ländern der Welt Unterstützung verliert. Dies gilt zunächst für die USA. Dort hat sich über Washington hinaus in der gesamten Gesell­schaft ein breiter Konsens über die Notwen­digkeit entwickelt, China entschlossen ent­gegenzutreten. Die Volksrepublik ist nach dieser verbreiteten Lesart die zentrale Her­ausforderung nicht nur für die USA, son­dern auch für die gesamte westliche Welt.

China wird unpopulärer

Weltweit ist beobachten, wie Peking wegen seiner Außenpolitik zunehmend kritisch beurteilt wird. Laut einer Umfrage vom Herbst 2020 hat in den G7-Ländern eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung eine negative Meinung zur Volksrepublik. Die Spannbreite reicht von 62 Prozent der Be­fragten in Italien bis 86 Prozent in Japan. Das wachsende Misstrauen gegenüber China ist gegenwärtig das zentrale Thema der internationalen Politik.

Verantwortlich für diese Zuspitzung ist in erster Linie Generalsekretär Xi Jinping, der die Zurückhaltung seiner Vorgänger abgelegt hat. Xi betreibt einen Personenkult, wie er nur von einem einzigen seiner Vorgänger bekannt war: Mao Zedong. Innen- wie außenpolitisch setzt Xi auf eine harte Linie. Die von Peking ausgelösten Spannungen betreffen nicht nur die Bezie­hungen zu den USA, sondern auch jene zu zwei der von Johnson nach Cornwall ein­geladenen Länder: Australien und Indien.

Unterschiedliche wirtschaftliche Interessen unter den G7

In vielen Ländern gelten Exporte einerseits als Ausweis der Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft, andererseits sind Exporte in bestimmte Länder für sie besonders wich­tig, was einzelne Ökonomien ökonomisch hochgradig verwundbar machen könnte. Die in Cornwall vertretenen Länder sind in unterschiedlichem Maße von Exporten nach China abhängig. Allerdings ist es kei­neswegs so, dass der Anteil jeweils signi­fikant höher ist als bei einem anderen G7-Land oder den eingeladenen Gastländern.

Tabelle 1

Warenexporte nach China 2020, G7‑Länder plus Gastländer, Anteil an den gesamten Exporten (in Prozent)

Land

Exporte

Australien

39,7

Südkorea

25,9

Japan

22,0

Südafrika

11,5

USA

8,7

Deutschland

8,0

Indien

6,9

Kanada

4,8

Vereinigtes Königreich

4,7

Frankreich

4,1

Italien

3,0

Quelle: Internationaler Währungsfonds (IWF), Di­rection of Trade Statistics, eigene Berechnungen.

Tabelle 2

Warenexporte nach China 2020 (in Mrd. US-Dollar)

Land

Exporte

Japan

140,5

Südkorea

132,6

USA

124,6

Deutschland

110,4

Australien

100,0

Frankreich

20,1

Indien

18,9

Kanada

18,8

Vereinigtes Königreich

18,6

Italien

14,8

Südafrika

9,9

Quelle: Internationaler Währungsfonds (IWF), Di­rection of Trade Statistics, eigene Berechnungen.

Australien, Südkorea und Japan exportieren einen wesentlichen Anteil ihrer Gesamtausfuhren nach China. Der Anteil der Exporte nach China an den Gesamt­ausfuhren ist in den USA wiederum höher als in Deutschland. Weder dort noch in Japan, Frankreich oder Großbritannien besteht eine ausgeprägte Scheu vor einem Konflikt mit China. Ein Indiz dafür ist die Bereitschaft dieser Länder, im Südpazifik auch militärisch Präsenz zu zeigen.

Betrachtet man die absoluten Beträge, ergibt sich ein etwas anderes Bild. Deutschland ist der größte europäische Exporteur nach China, doch sind die deutschen Exporte nur unwesentlich größer als jene Australiens, wo weniger als ein Drittel so viele Einwohner leben wie in Deutschland.

Das immer wieder als Begründung des deutschen Sonderwegs in der China-Politik angeführte große Volumen der Exporte nach China ist bei genauer Betrachtung nicht von herausragender Bedeutung. Allein der Warenhandel mit Polen und Un­garn hatte 2019 einen größeren Umfang als der Handel mit der Volksrepublik China.

Tabelle 3

Warenimporte und ‑exporte Deutschlands nach Osteuropa und China 2019 (in Mrd. Euro)

Land

Importe

Exporte

Handel

China

77,0

96,3

173,3

Polen

63,6

65,8

129,4

Tschechien

52,7

44,5

97,2

Ungarn

29,1

26,9

56,0

Summe: Polen,
Tschechien, Ungarn

145,4

137,2

282,6

Quelle: Eurostat, eigene Berechnungen.

Deutschland ist also keineswegs überdurchschnittlich abhängig von China. Den­noch hat Peking keinen verlässlicheren Fürsprecher in Europa. Sehr deutlich zeigte sich dies Ende des Jahres 2020, als die Bun­desregierung im Rahmen der EU-Ratspräsi­dentschaft trotz massiver Bedenken Wa­shing­tons ein Investitionsschutzabkommen der EU mit Peking durchsetzte.

Mit den Daten in den Tabellen 1 und 2 lässt sich zwar erklären, warum Frankreich oder Großbritannien eine entschlossenere China-Politik verfolgen als Deutschland. Aber sowohl die USA wie auch Australien haben viel zu verlieren und scheuen sich gleich­wohl nicht, eine Außenpolitik zu praktizie­ren, die wertebasiert ist und auf Verletzun­gen des Völkerrechts entschieden reagiert.

Testfall Australien

Kaum ein Land ist von den Exporten nach China derart abhängig wie Australien. Zugleich ist das Land seit einigen Jahren Zielscheibe von massiven politischen Ein­schüchterungsversuchen Pekings. Dies macht die Einladung Canberras nach Corn­wall so brisant. Dabei haben die Einschüchterungs- und Erpressungsversuche der chi­nesischen Regierung haben in den letzten Jahren viele Länder betroffen: neben Austra­lien etwa auch Südkorea und Schweden.

Die chinesische Botschaft in Canberra veröffentlichte im November 2020 einen 14-Punkte-Katalog und forderte die austra­lische Regierung ultimativ dazu auf, die monierten Fehler zu korrigieren. Unter anderem kritisierte die chinesische Regie­rung die Förderung von angeblicher »Anti-China«-Forschung am Australian Strategic Policy Institute, Australiens Positionen zu Taiwan, Hongkong und Xinjiang, die For­derung nach einer unabhängigen Unter­suchung der Ursprünge von Covid‑19, das Verbot, Technologie des Anbieters Huawei für das australische 5G-Netzwerk einzusetzen, und die Blockierung von zehn chine­sischen Auslandsinvestitionen in Infra­struktur, Landwirtschaft und Tierzucht.

Der Tatsache zum Trotz, dass Australien starkem Druck von Seiten Chinas ausgesetzt und zugleich abhängiger ist als jedes an­dere Land, das zum Gipfel nach Cornwall eingeladen wurde, genießt Premierminister Scott Morrison für seine China-Politik ein bemerkenswert hohes Maß an Unterstützung im eigenen Land. So sprachen sich 82 Prozent der australischen Bevölkerung laut einer Umfrage aus dem Jahr 2020 für Sank­tionen gegen chinesische Funktionäre aus, die in Verstöße gegen Menschenrechte ver­wickelt sind. Warum haben die Australier keine Scheu vor einem Konflikt mit China?

Zwei Gründe sind von Bedeutung. Zum einen ist die australische Gesellschaft schon seit einigen Jahren Repressionen aus China ausgesetzt und hat vor diesem Hintergrund intensiv über die Thematik diskutiert. Eine Erfüllung der Pekinger Forderungen und damit eine Unterwerfung unter Chinas Diktat kommt für viele Australier nicht in Frage. Zum anderen wissen viele Australier sehr genau, dass China auf australische Roh­stoffexporte angewiesen ist. Peking kann auf den Import von australischem Wein und Hummer verzichten, nicht aber auf australisches Eisenerz, für das gegenwärtig Preise von etwa 180 US-Dollar pro Tonne gezahlt werden – bei Produktionskosten von etwa 10 US-Dollar pro Tonne. Würde China auf den Import von australi­schem Eisenerz verzichten, könnte es weder seine Industrieproduktion noch seine Bau­tätigkeit im bisherigen Umfang fortsetzen. Kein anderer Lieferant ist in der Lage, australische Erzlieferungen zu ersetzen.

Ein Treffen der Quad

In Cornwall findet aber nicht nur ein G7-Treffen statt, dort kommen auch die Staats- und Regierungschefs des indo-pazifischen Verteidigungsbündnisses Quad zusammen. Australien, Indien, Japan und die USA hatten am 12. März 2021 ein erstes vir­tuelles Gipfeltreffen veranstaltet. Während Australien, Japan und die USA schon seit langem militärisch kooperieren, stellt die Teilnahme Indiens in der als »pazifische Nato« bezeichneten Quad ein Novum dar, das die wachsenden Spannungen zwischen Neu-Delhi und Peking widerspiegelt. Zwar wird Premierminister Modi wegen der zu­gespitzten Infektionslage in Delhi bleiben, doch werden die anderen drei Regierungschefs in Cornwall erstmals die Gelegenheit zum persönlichen Gespräch haben.

Schon im März hatte sich gezeigt, dass die amerikanische Regierung entschlossen ist, der chinesischen Aggression im Indo-Pazifik entgegenzutreten, und dabei breit ausgreifende Bündnisse schmieden will. In wenigen Monaten hat es die Regierung Biden verstanden, die alten, von Präsident Trump aufgerissenen Gräben zuzuschütten und ein neues Fundament der Zusammen­arbeit zu schaffen.

Schon seit geraumer Zeit unterstützen Frankreich und Großbritannien das mili­tärische Bündnis der vier Länder, indem sie Kriegsschiffe entsenden. Frankreich legt zwar Wert auf eigenständige Operationen, etwa durch die Entsendung des Atom-U-Boots »Emeraude«, das seit September 2020 im Indo-Pazifik unterwegs ist. Dennoch vermitteln die gleichgerichteten Maßnahmen einer großen Gruppe von Ländern eine einmütige Botschaft: Der Bruch des Völker­rechts durch China wird nicht widerstandslos hingenommen.

London hat in diesem Frühjahr eine Kampfeinheit in den Pazifik entsandt, die vom einzigen Flugzeugträger des Landes geführt wird, der HMS »Queen Elizabeth«. Zu dieser Einheit gehören außerdem eine niederländische Fregatte und ein US-ame­rikanischer Zerstörer. An Bord der »Queen Elizabeth« befinden sich zehn US-amerika­nische F-35 B-Kampf­flugzeuge, deren An­zahl die der britischen F-35 B übersteigt. London, Washington und Den Haag demon­strieren mit diesem Einsatz nicht nur Soli­darität und Interoperabilität, sondern auch ihre militärische Macht in Ostasien.

Deutschland hat 2021 angekündigt, die Fregatte »Bayern« in den indo-pazifischen Raum zu entsenden, um die Freiheit der Seewege zu sichern. Das ist insofern eher symbolische Politik, als eine einzelne Fre­gatte ohne Verbindung zu einer Kampf­einheit vermutlich wenig ausrichten kann.

Markiert Cornwall den Niedergang der BRICS?

In Cornwall kommen aber nicht nur die G7-Länder und die Mitgliedsländer der Quad zusammen. Dort werden auch zwei der fünf BRICS-Länder (Indien und Südafrika) vertreten sein. Auch wenn Premierminister Modi nicht persönlich anwesend sein wird, ist Indiens Teilnahme am G7-Gipfel von kaum zu überschätzender Bedeutung. Jahr­zehntelang verfolgte Neu-Delhi eine Politik des Lavierens und sah sich dem Prinzip der Blockfreiheit verpflichtet. Das hat sich ge­ändert: Nach mehreren Scharmützeln mit China hat Indiens Regierung ihre bisherige Zurückhaltung aufgegeben und wendet sich seit 2020 den westlichen Industrie­ländern zu.

Während die Zusammenarbeit Indiens mit Industrieländern rege ist, stagniert die Kooperation unter den Schwellenländern. Die BRICS-Gruppe (Brasilien, Russland, In­dien, China, Südafrika) hatte erstmals 2009 getagt. Einige Beobachter hatten dieser Gruppe die Rolle eines Gegenpols zur G7 zugeschrieben. Davon kann heute keine Rede mehr sein.

Das indisch-chinesische Verhältnis ist zerrüttet. Brasilien hat unter Führung des rechtskonservativen Präsidenten Jair Bol­sonaro kein Interesse gezeigt, die Zusammenarbeit zu intensivieren. Als Pfeiler der BRICS bleiben allein China und Russland. Insofern kann nicht verwundern, dass das 13. Gipfeltreffen der BRICS-Staaten, das Indien im Jahr 2021 ausrichten soll, vertagt worden ist. An­gesichts des schweren Kon­flikts zwischen den beiden größten BRICS-Ländern ist ein Ausbau der Zusammen­arbeit innerhalb der Gruppe unwahrscheinlich geworden.

Cornwall: Ein Wendepunkt in den internationalen Beziehungen?

Schon bei den Vorbereitungen des G7-Gip­fels wurde deutlich, dass Deutschland eine Sonderrolle einnimmt. Während die USA, Frankreich, Großbritannien und Japan in den letzten Monaten auf die zunehmende Aggression Chinas reagierten, vertritt Deutsch­land weiterhin eine Politik der engen Zusammenarbeit mit China. Weder die völkerrechtwidrige Einführung des Sicherheitsgesetzes in Hongkong noch die zusehends offenkundiger werdenden Ver­letzungen der Menschenrechte in Xinjiang haben die Bundeskanzlerin veranlasst, ihre Position grundlegend zu verändern. Dies zeigte sich sehr deutlich Ende 2020, als Deutschland am Abschluss des Investitionsschutzabkommens der EU mit China fest­hielt, obwohl es gravierende Bedenken in anderen europäischen Ländern gab und obwohl die USA darum baten, den Ab­schluss hinauszuzögern.

Die deutsche Politik betont einerseits immer wieder, wie wichtig es sei, mit Peking im Dialog zu bleiben, um etwa bei der Bekämpfung des Klimawandels den Gesprächsfaden zum größten CO2-Emitten­ten nicht abreißen zu lassen. Andererseits müssen aber vor allem die Exportinteressen der deutschen Wirtschaft regelmäßig als Begrün­dung für die beschwichtigende deut­sche China-Politik herhalten.

Weder die erste noch die zweite Argumentationslinie können überzeugen. In der Vergangenheit war es wiederholt so, dass China Ankündigungen keine Taten folgen ließ. Dies lässt sich etwa in der Handels­politik nachweisen, wo Peking seit Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) 2001 mehrmals die Umsetzung angekün­dig­ter Reformen verschoben hat.

Auch beim Kampf gegen den Klima­wandel ist Pekings Politik eher zögerlich. So lässt sich mit den Vereinbarungen von Paris aus dem Jahr 2015 kaum vereinbaren, dass China jedes Jahr im Rahmen der »Belt and Road«-Initiative Kohlekraftwerke in Partner­ländern baut. Der Klimaschutzvertrag von Paris sieht vor, bei Auslandsinvestitionen de­ren Effekte auf den CO2-Ausstoß zu berück­sichtigen. Dafür finden sich keine Anhaltspunkte in Chinas »Belt and Road«-Initiative.

Die zusehends feindselige Stimmung gegenüber der Regierung der Volksrepublik China wird in Peking selbstverständlich zur Kenntnis genommen. Es ist gewiss kein Zu­fall, dass Generalsekretär Xi zehn Tage vor Beginn des Gipfels in Cornwall eine neue Losung ausgegeben hat. Xi Jinping sagte hochrangigen Funktionären der Kommunis­tischen Partei, es sei wichtig, das Bild eines »glaubwürdigen, liebenswerten und ehr­baren Chinas« zu vermitteln. Gleichwohl gibt es keinen Hinweis darauf, dass die chi­nesische Regierung von der bisherigen Poli­tik der Selbstisolierung abweichen und etwa die neue Wirtschaftspolitik der »zweifachen Zirkulation« wieder aufgeben möchte.

Der G7-Gipfel markiert einen deutlich sichtbaren Wendepunkt in den internationalen Beziehungen des 21. Jahrhunderts. Die G7-Länder, allen voran die Vereinigten Staaten und Gastgeber Großbritannien, haben die Herausforderung durch China erkannt und entwickeln nun neue Formen der Zusammenarbeit. Die deutsche Außen­politik läuft dabei Gefahr, den Anschluss zu verpassen, indem sie weiterhin am Leitbild der gedeihlichen Zusammenarbeit mit Peking festhält.

Prof. Dr. Heribert Dieter ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Globale Fragen und apl. Professor an der Universität Potsdam.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2021

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