Die chinesische Staatsreederei Cosco will im Hamburger Hafen investieren. In der Debatte über chinesische Einflussnahme in Deutschlands kritische Infrastruktur wird häufig auf den griechischen Hafen von Piräus verwiesen. Doch der Vergleich hinkt, meint Jens Bastian.
Seit mehr als einer Dekade investieren chinesische Staatsunternehmen in europäische Häfen. In Deutschland hat die China Ocean Shipping Company (Cosco) bereits 2020 in den Jade-Weser-Port in der Nähe von Wilhelmshaven investiert und war bis zum Juni 2022 am Bau eines weiteren Container-Terminals im Duisport beteiligt, dem größten europäischen Binnenhafen in Duisburg.
Chinas Investitionen unterstreichen seine langfristige Hafenstrategie in Europa: die maritime Vernetzung der Transportinfrastruktur. Cosco steht dabei stellvertretend für Staatsunternehmen, welche die Anbindung an und Integration in die Neue Seidenstraße, dem Globalprojekt der chinesischen Staatsführung unter Präsident Xi Jinping, vorantreiben.
Das Ansinnen von Cosco, im Hamburger Hafenterminal Tollerort eine Minderheitsbeteiligung anzustreben, hat innerhalb der Bundesregierung und in der Öffentlichkeit zu einer kontroversen Debatte mit Blick auf die kritische Infrastruktur geführt. Im Rahmen dieser Diskussion wird das Vorgehen von Cosco im griechischen Hafen von Piräus häufig als Vergleich herangezogen.
Cosco ist mit 67 Prozent Mehrheitseigentümer der Betreibergesellschaft im Hafen von Piräus, der sogenannten Piräus Port Authority (OLP). Diese Zweidrittelmehrheit eines chinesischen Investors an einer Hafengesellschaft ist bisher einmalig in Europa. Es waren allerdings einzelne Reedereien aus Griechenland, die vor mehr als einer Dekade Cosco die Tore nach Piräus öffneten. Diese Familienunternehmen ließen ihre Tankerflotte in Südkorea und China bauen, während sich Peking in Europa auf den Erwerb von Häfen und maritimen Transportkapazitäten konzentrierte.
2008 schloss Cosco einen langfristigen Leasing-Vertrag zum Betreiben von Container-Terminals mit der griechischen Regierung ab. Als Deutschland und andere EU-Mitgliedsländer im Rahmen der finanziellen Rettungspakete über einen eventuellen »Grexit« stritten, war es Cosco, die Investitionspotentiale in Griechenland erkannte. 2016 erfolgte der Verkauf von 51 Prozent der OLP-Anteile durch die griechische Regierung an Cosco. Die zusätzlichen 16 Prozent erwarb das chinesische Unternehmen im vergangenen Jahr.
Diese Entwicklung wird in der öffentlichen Debatte häufig vergessen. Es waren Privatisierungsauflagen der internationalen Kreditgeber und das Ausbleiben von anderen Wettbewerbern für den Hafen von Piräus – einzig die dänische Unternehmensgruppe Maersk gab ein vorläufiges Angebot ab – welche Cosco das »Einfallstor nach Europa« weit öffneten, so der damalige chinesische Premierminister Li Keqiang bei einem Besuch in Athen.
Durch das strategische Investment von Cosco ist Piräus seit 2019 der größte Containerhafen im Mittelmeer, berechnet nach dem Volumen der abgefertigten Container, und seit 2020 der viertgrößte in Europa, nach Rotterdam, Antwerpen und Hamburg. Ende Oktober veröffentlichte die Betreibergesellschaft OLP die Neun-Monatsbilanz für 2022. Die Einnahmen stiegen um mehr als 28 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Profitabilität erhöhte sich im gleichen Zeitraum um 49 Prozent. OLP verwies insbesondere auf das gestiegene Anlegen von Kreuzfahrtschiffen im Hafen von Piräus; ein Hinweis auf die erfolgreiche Touristensaison in Griechenland, obwohl zwei der zahlungskräftigsten Reisegruppen fehlten – und zwar aus China und Russland.
Die strategische Investition in den Hafen von Piräus ist Teil eines wachsenden maritimen Portfolios. Der chinesische Fokus lag zunächst auf Südosteuropa und dem östlichen Mittelmeer. Seit 2007 ist Cosco im Suezkanal präsent. Es folgten 2015 Hafenbeteiligungen in der Türkei (Kumport) und Israel (Haifa durch die Shanghai International Port Group). In Bulgarien ist die China Harbor Engineering Company seit 2018 in den Schwarzmeerhäfen von Varna und Burgas präsent. Der Versuch, im kroatischen Hafen von Rijeka Fuß zu fassen, ist vorerst gestoppt. Aber chinesische Unternehmen schielen bereits auf den Wiederaufbau des Beiruter Hafens im Libanon.
2018 wurde Griechenland Mitglied in der chinesischen Seidenstraßeninitiative (Belt and Road). Ein Jahr später folgte der Beitritt Athens zum 16+1 Netzwerk, einer Kooperationsplattform ost- und zentraleuropäischer Länder mit China. Beide Entscheidungen unterstreichen die Bereitschaft von Wirtschaft und Politik in Athen, erweiterte Handlungsspielräume Richtung Asien zu identifizieren.
Dabei fällt auf, dass es im griechischen Parlament und in der Öffentlichkeit kaum eine kritische Auseinandersetzung zum wachsenden Engagement mit Peking gibt. Einflussnahme in kritische Infrastruktur? Fehlanzeige in Athen. Es ist weitgehend Konsens in Griechenland, die wirtschaftliche, politische und kulturelle Kooperation mit China auszubauen, einschließlich weiterer Millionen-Investitionen Coscos im Großraum des Hafens von Piräus. Der sogenannte Master-Plan des chinesischen Staatsunternehmens sieht neue Hotels und ein Kongresszentrum vor, ein weiteres Container-Terminal soll gebaut sowie erweiterte Gewerbeflächen und Lagerkapazitäten geschaffen werden. Ende Oktober 2022 wurde dieser Modernisierungsplan vom griechischen Staatsrat akzeptiert. Cosco bekam die Auflage, einen umfassenden Verkehrswegeplan zu erarbeiten, der die Hafenerweiterung in die lokale Transportinfrastruktur integriert.
Die chinesische Staatsrederei ist innerhalb einer Dekade zu einem institutionellen Referenzpunkt in der europäischen Hafeninfrastrukturpolitik geworden. Das geplante Engagement in Hamburg ist ein weiterer Baustein in dieser Strategie. Das Beispiel im Hafen von Piräus zeigt, welche Entwicklung und Vernetzung möglich ist. Dies an Bedingungen zu knüpfen oder gegenüber chinesischen Investoren auch einmal „Nein“ zu sagen, ist in Athen eher selten. In Berlin ist die Debatte darüber nun voll im Gange.
Ein chinesischer Staatskonzern will bei einem Teil des Hamburger Hafens einsteigen. FDP und Grüne warnen davor, einem autoritären Land ein wichtiges Stück Infrastruktur zu überlassen. In Griechenland ist das schon geschehen. Wie ging es dort weiter?
doi:10.1515/soeu-2021-0079
Pekings Autarkiestreben und seine aggressive Außenpolitik machen eine Kurskorrektur in Berlin erforderlich
doi:10.18449/2021S23v02