Chinas führender Elektroautohersteller BYD plant eine Milliardeninvestition in der Türkei. Das Joint Venture könnte die Türkei zum Korridor zwischen China und Europa machen - und die Kräfteverhältnisse in der europäischen Automobilindustrie nachhaltig verändern, meint Jens Bastian.
Die Nachricht ließ aufhorchen: Der chinesische Elektroautohersteller BYD (Build Your Dreams) kündigte Anfang Juli eine Milliardeninvestition in der Türkei an. Im Westen des Landes, in der Industriestadt Manisa, soll ein Werk entstehen, das jährlich 150.000 Elektro- und Hybridfahrzeuge produziert. In der Nähe von Izmir plant BYD zudem ein Forschungs- und Entwicklungszentrum.
Die Standortwahl zugunsten der Türkei ist ein industriepolitischer Erfolg für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und unterstreicht die wachsenden wirtschaftspolitischen Verflechtungen zwischen Ankara und Peking.
Die Investition von BYD markiert nicht nur den Eintritt Chinas in den türkischen Markt, sondern hat auch erhebliche Implikationen für Europa. Die Zollunion der Türkei mit der EU spielt eine entscheidende Rolle für die europäische Exportorientierung. BYD kann durch die Vereinbarung seine Lieferketten nach Europa ausbauen, ohne die von der EU-Kommission im Juli 2024 eingeführten zusätzlichen Zölle auf chinesische Elektroautos zahlen zu müssen. Durch strategisches »Tariff Jumping« verschafft sich BYD Preisvorteile in den EU-Absatzmärkten.
Die Entscheidung für die Türkei als Produktionsstandort ist auch ein Vertrauensbeweis in die türkische Automobilindustrie, deren wachsende Exportfähigkeit Investoren wie BYD nutzen. Das Land hat seine Innovationskraft im Bereich der Elektromobilität in den vergangenen Jahren deutlich ausgebaut, nicht zuletzt durch den Erfolg des heimischen Elektroautoherstellers Togg. Schließlich wird die Investition von BYD dadurch begünstigt, dass die Regierung Erdoğan bestehende Importzölle in Höhe von 40 Prozent des Verkaufspreises für chinesische Autohersteller, die in der Türkei produzieren, suspendiert hat.
Besonders bemerkenswert ist die parteiübergreifende Zustimmung zu dem Joint Venture in der politisch gespaltenen Türkei. Dies unterstreicht die Bedeutung der Vereinbarung, die als größte chinesische Direktinvestition in der Türkei seit zehn Jahren gilt. Die Milliardeninvestition von BYD wird die türkische Zulieferindustrie weiter stärken und technologische Mitnahmeeffekte in der gesamten Branche auslösen.
Mit der Türkei als Produktionsbasis betritt BYD industriepolitisches Neuland. Mittelfristig entsteht eine Wertschöpfungskette für Elektromobilität, vom Import der Rohstoffe über die Batteriefertigung bis hin zur Endmontage verschiedener Elektroautomodelle aus dem wachsenden BYD-Portfolio. Das Joint Venture eröffnet BYD zudem nicht nur den europäischen Markt, sondern auch neue Absatzmärkte im Nahen Osten, den angrenzenden Turkstaaten und Afrika und ist damit mehr als ein regionales Projekt - es markiert den globalen Expansionskurs des Unternehmens.
Die Frage, wie die EU auf diese Entwicklungen reagiert, ist von entscheidender Bedeutung. Neben der Türkei konzentriert sich die europäische Standortpolitik von BYD auf Ungarn, wo ebenfalls ein neues Elektrowerk entsteht. Die Expansion der chinesischen Elektroauto-Industrie in Länder wie die Türkei und dem EU-Mitglied Ungarn folgt dem strategischen Kalkül, dass deren bilaterale Beziehungen zu China nicht von Handelskonflikten und Sanktionspolitik geprägt sind.
Die Milliardeninvestition von BYD ist mehr als nur eine Erfolgsgeschichte in einer Kernindustrie für Ankara. Sie unterstreicht auch, wie chinesische Elektroautohersteller Strategien entwickeln, um protektionistische Maßnahmen durch die Hintertür zu umgehen. Der Türkei kommt dabei eine zentrale Brückenfunktion zu. Die Zukunft der Elektromobilität wird zunehmend an der Schnittstelle zwischen Ost und West entschieden - und die Türkei könnte dabei eine Schlüsselrolle spielen.
Der Wegfall der EU-Sonderzölle auf chinesische Elektroautos eröffnet BYD lukrative Absatzpotenziale im Binnenmarkt. Angesichts dieser Herausforderung muss die EU ihre Handelspolitik gegenüber Drittstaaten überdenken. Die Diskussion über eine Modernisierung und inhaltliche Erweiterung der Zollunion mit der Türkei gewinnt dadurch an Relevanz. Diese Erweiterungsdiskussion sollte Aspekte wie die Transparenz von Lieferketten und Subventionsregeln bei der Produktion von Elektroautos berücksichtigen.