Angesichts der aufgeheizten Situation in Burundi ist es übertrieben und gefährlich, das Schreckgespenst eines Völkermordes heraufzubeschwören, meint Claudia Simons. Grund zur Beunruhigung gibt es dennoch.
Kurz gesagt, 16.05.2014 ForschungsgebieteAngesichts der aufgeheizten Situation in Burundi ist es übertrieben und gefährlich, das Schreckgespenst eines Völkermordes heraufzubeschwören, meint Claudia Simons. Grund zur Beunruhigung gibt es dennoch.
Die aktuelle Lage in Burundi wird von vielen internationalen und burundischen Beobachtern mit der Situation in Ruanda kurz vor dem Genozid 1994 verglichen. Vor allem werden die sich zunehmend bewaffnenden Imbonerakure, die Parteijugend der ehemaligen Hutu-Rebellenbewegung und heutigen Regierungspartei Conseil national pour la défense de la démocratie–Forces de défense de la démocratie (CNDD-FDD), oftmals mit den ruandischen Interahamwe gleichgesetzt – der Miliz, die für das Morden von rund 800.000 Tutsi und moderaten Hutu in Ruanda verantwortlich war. Die Imbonerakure setzen sich zum größten Teil aus CNDD-FDD-Anhängern zusammen, die bereits während des Bürgerkrieges integraler Bestandteil der Bewegung waren, nach dem Friedensabkommen von 2004 aber vielfach keinen Platz in Armee und Polizei gefunden haben. Um die arbeits- und perspektivlosen jungen Kämpfer in Schach zu halten und gleichzeitig die Kontrolle der Partei über die verschiedenen Landesteile auszubauen, wurde ihnen inoffiziell der Status einer Parteimiliz verliehen, die nun in einigen Teilen Burundis Angst und Schrecken verbreitet. Zwar muss man die Bedrohung des fragilen Friedens durch die Imbonerakure ernst nehmen. Doch die politische Situation in Ruanda 1994 war weitaus dramatischer und wies grundlegend andere Dynamiken auf. Wer diese nun als Vergleich heranzieht, gießt unnötig Öl ins Feuer.
Die Regierung in Burundi baut ihre Macht stetig aus
Bereits die politische Ausgangslage in Ruanda unterscheidet sich grundlegend von der in Burundi heute. Die damalige ruandische Hutu-Regierung sah sich nach einem dreijährigen Krieg gegen die Tutsi-Rebellen der Rwandan Patriotic Front (RPF) in die Enge getrieben. Das wenige Monate vor dem Genozid geschlossene Friedensabkommen, das Machtteilung zwischen der Regierung und den Rebellen vorsah, bedeutete einen weitreichenden Machtverlust für die alten Kader. Besonders relevant war hierbei die Spaltung der politischen und militärischen Elite in Moderate und Hardliner. Letztere blieben beim Friedensprozess außen vor und schürten die Angst großer Teile der Hutu-Bevölkerung, die Moderaten in der Regierung würden sich von den Tutsi-Rebellen korrumpieren lassen. Der Bürgerkrieg diente ihnen als Beispiel, um der Bevölkerung sowie der Hutu-Miliz Interahamwe klarzumachen: Das – und noch viel Schlimmeres – wird passieren, wenn ihr die Moderaten gewähren und die Tutsi regieren lasst. Diese Hardliner, die befürchten mussten, alles zu verlieren, waren es schließlich, die den Völkermord planten. Ausgeführt wurde er von Menschen, die das Horrorszenario einer diktatorischen Herrschaft vor Augen hatten, von der sie Schlimmstes zu befürchten hätten.
Im Gegensatz hierzu ist die Regierung in Burundi nicht von einem Machtverlust bedroht, vielmehr kann sie ihre Macht stetig ausbauen. Zwar gab es in den letzten Jahren vereinzelte Angriffe bewaffneter Gruppen. Diesen wurde aber zumeist mit einer solchen Härte begegnet, dass bewaffneter Widerstand heute für viele Anhänger der vormals radikalen politischen Opposition aus schlichten Überlebensgründen überhaupt nicht mehr in Frage kommt. Die Regierungspartei CNDD-FDD bereitet ferner seit Jahren die Wahlen von 2015 vor – durch massive Mitgliederwerbung, Parteipropaganda, materielle Versprechungen und nicht zuletzt Einschüchterung der Landbevölkerung – und wird aller Voraussicht nach auch im nächsten Jahr wieder als stärkste Partei aus den Wahlen hervorgehen. Auch die Tatsache, dass die Fronten in Burundi heute nicht mehr vorrangig entlang ethnischer Linien verlaufen, spricht gegen einen bevorstehenden Genozid. Heute spielen Machtkämpfe innerhalb der Hutu-Mehrheit zwischen Regierungspartei und Opposition eine immer größere Rolle. Zwar ist Ethnizität nicht aus Alltag und Politik verschwunden. Nicht zuletzt führen die ethnischen Quoten in allen politischen Institutionen zu einer konstanten Erinnerung an die ethnische Zugehörigkeit. Doch der gemeinsame äußere Feind »Tutsi«, wie er zu Zeiten des Burundischen Bürgerkrieges der 1990er Jahre und in Ruanda 1994 wahrgenommen wurde, ist nicht mehr vorhanden. Dadurch fällt auch die Möglichkeit weg, dass radikale Hutu-Parteien wie etwa die Front National de Libération (FNL) Kapital aus einer etwaigen starken Kompromissbereitschaft des CNDD-FDD gegenüber der Tutsi-Elite schlagen. Letztere haben in den letzten zehn Jahren bereits weitgehend an Macht verloren, und der CNDD-FDD genießt nach wie vor besonders bei der ländlichen Bevölkerung den Ruf als die Partei, die einer jahrzehntelangen Diskriminierung von Hutu ein Ende bereitet hat. Ein Großteil der Hutu-Bevölkerung hat seitdem seine Angst vor einem Rückfall in eine Tutsi-Diktatur weitgehend abgelegt.
Dem politischen Kontext Beachtung schenken
Zwar ist die politische Situation in Burundi ein Jahr vor den Wahlen durchaus angespannt, ein Völkermord aber steht nicht bevor. Ihn dennoch heraufzubeschwören, mag zum Ziel haben, Signale, die auf massive Gewalt hinweisen könnten, ernst zu nehmen – gerade weil das 1994 versäumt worden ist. Im burundischen Kontext aber ist diese Reaktion vorschnell und gefährlich: In einer vom Krieg traumatisierten Gesellschaft können Gerüchte über drohende Gewaltexzesse schnell Panik verbreiten.
Ein Völkermord ist im Übrigen nicht das einzige Szenario, das erhöhte Aufmerksamkeit rechtfertigen würde. In Burundi sind derzeit ein zunehmend autoritärer Regierungsstil kleptokratischer Eliten und der schrittweise Aufbau eines Polizei- und Überwachungsstaats zu beobachten. Bürgerrechte werden massiv eingeschränkt. Die Imbonerakure radikalisieren und bewaffnen sich, haben in einigen Kommunen de facto die Regierung übernommen und terrorisieren die Bevölkerung. Gleichzeitig verbreiten sich zunehmend Kleinwaffen. Zusammengenommen ergibt dies eine Gemengelage, die zu explodieren droht, gerade im Umfeld der anstehenden Wahlen im nächsten Jahr. Die internationale Gemeinschaft sollte diese Signale ernst nehmen. Dazu gehört, dass sie sich stärker mit den konkreten politischen Dynamiken in Burundi auseinandersetzt und daraus Schlüsse für die Entwicklungszusammenarbeit zieht.