Die digitale Transformation und das Aufkommen neuer Technologien stellen außenpolitische Entscheidungsträger vor große Herausforderungen – in diplomatischen, wirtschaftlichen und militärischen Kontexten. Internationale Politik verzahnt sich zunehmend mit Digitalisierung bzw. Technologie; traditionelle Bereiche des Politikfeldes erweitern und verändern sich, neue kommen hinzu. Außenpolitische Akteure der Bundesrepublik stehen unter wachsendem Druck, in dieser Hinsicht handlungsfähig zu sein und zur Stärkung der digitalen Souveränität Deutschlands und Europas beizutragen. Außenministerien anderer Staaten haben bereits Tech- bzw. Digitalstrategien veröffentlicht und zugleich damit begonnen, ihre organisatorischen und personellen Strukturen entsprechend anzupassen. Daraus lassen sich auch mögliche Ideen für die deutsche Außenpolitik ableiten.
Dass Außenpolitik immer mehr von Technologie und Digitalisierung geprägt wird, bringt Chancen wie auch Risiken mit sich und macht es dringlicher, die »diplomatische Handlungsfähigkeit« auf diesem Gebiet zu stärken. Dabei sind entsprechende Herausforderungen zugleich auf den Ebenen von Handlungsfeldern, Instrumenten und Strukturen angesiedelt. Bezüglich der Handlungsfelder ist zunächst festzuhalten, dass Technologiepolitik immer auch Außenpolitik ist, weil Internet, Datenverkehr und technologische Wertschöpfungsketten eine globale Struktur aufweisen. Generell wird technologische Innovation zunehmend ausschlaggebend für die Wettbewerbsfähigkeit von Staaten, in politischer, wirtschaftlicher wie militärischer Hinsicht. Aus dieser Dynamik speist sich wesentlich der geopolitische Großmächtekonflikt zwischen den USA und China, der mehr und mehr durch das Streben nach technologischer Vorherrschaft bestimmt wird.
Allgemeine Trends und neue Akteure
Aufgrund der transformativen Wirkung digitaler Technologien und ihres zunehmenden »dual-use«- oder gar »general-purpose«-Charakters, sprich der Durchdringung sämtlicher Gesellschaftsbereiche durch Digitalisierung und Innovation, verschwimmen die Grenzen zwischen Wirtschaft, Sicherheit und Fragen der demokratischen Governance und Menschenrechte. Daher wird es erforderlich, dass sich verschiedene Ministerien innerhalb einer Regierung enger koordinieren. Dies führt nicht nur zu möglichen Zielkonflikten bei Entscheidungen (wie etwa bei der 5G-Debatte um die Frage, ob technische Komponenten chinesischer Anbieter in die eigene Mobilfunk-Infrastruktur eingebaut werden sollen). Auch besteht das Risiko, dass staatliche Akteure bewusst Themen miteinander vermischen und etwa politische Ziele durch »economic coercion« zu erreichen suchen. Gerade in dieser Gemengelage müssen Außenministerien ihre Rolle finden, sie immer wieder neu definieren und den eigenen Mehrwert effektiv einbringen.
Auch das Machtpotential neuer Akteure jenseits der Staatengemeinschaft zwingt Außenressorts, sich neu aufzustellen. So wird der globale technologische Fortschritt hauptsächlich von der Privatwirtschaft vorangetrieben, insbesondere durch die markt- und datenmächtige GAFAM-Gruppe aus den USA (Google, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft) und die chinesische BAT-Gruppe (Baidu, Alibaba, Tencent). Diese Unternehmen sind auch außenpolitisch zu entscheidenden Akteuren geworden; sie besitzen großen Einfluss in Fragen von Wirtschaft, Sicherheit und Menschenrechten, während sie zugleich geopolitische Machtressourcen von Staaten bilden.
Insgesamt stellt sich daher die Frage, wie der digitale Raum und die Auswirkungen technologischer Innovationen im deutschen und europäischen Interesse strukturiert und verrechtlicht werden können. Gerade weil es auf internationaler Ebene noch immer an effektiver Governance mangelt, stehen Außenministerien und internationale Organisationen vor der Aufgabe, neue Formate und Foren zu finden sowie Normen, Standards und Regulierungen zu entwickeln. Sie müssen dabei über das bereits etablierte Handlungsfeld der Cyberdiplomatie hinausgehen, das sich mit der Verrechtlichung der digitalen Sphäre und dem Umgang mit der steigenden Bedrohung durch Cyberattacken staatlicher oder nichtstaatlicher Herkunft beschäftigt.
Auch stehen Außenministerien unter institutionellem Druck, sich thematisch mit digitalen und technologischen Entwicklungen zu befassen, deren Einfluss auf die internationale Politik abzuschätzen und dafür Strukturen zu schaffen. Entsprechende Impulse ergeben sich zum einen innerhalb der Regierung, zum anderen extern durch internationale Organisationen und die Außenministerien anderer Staaten. Internationale Organisationen und die EU haben bereits Leitlinien erstellt und neue Formate zum Themenschwerpunkt eingerichtet. Seitens der Vereinten Nationen wurde die Globale Roadmap für digitale Zusammenarbeit verabschiedet, im transatlantischen Verhältnis der EU-US Trade and Technology Council (TTC) gegründet, von der EU zudem das Digital Diplomacy Network ins Leben gerufen. Einzelne Außenministerien haben eigene Digital- bzw. Tech-Strategien veröffentlicht, wie nachfolgend näher zu beleuchten sein wird. Sowohl der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) als auch einige Außenministerien erweitern zudem ihre strukturellen und personellen Kapazitäten. Im Falle des EAD geschieht dies durch Aufbau einer Abteilung für Konnektivität und digitale Transition; im amerikanischen State Department wurde das Bureau of Cyberspace and Digital Policy geschaffen, im indischen Außenressort die New Emerging and Strategic Technologies (NEST) Division und im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten, dem Schweizer Außenministerium, eine Abteilung Digitalisierung.
Auf der Instrumentenebene ermöglicht die Digitalisierung immer innovativere Formen der internen und externen Kommunikation und Vernetzung. Im Zuge des Arabischen Frühlings wurde der Begriff »Digital Diplomacy« geprägt, um zu beschreiben, wie neue Informations- und Kommunikationstechnologien zur Erreichung diplomatischer Ziele genutzt werden. Eine engere Bestimmung des Begriffs legt das Augenmerk darauf, wie Social-Media-Kanäle für Zwecke der Public Diplomacy verwendet werden – also dazu, proaktiv das öffentliche Bild und die Reputation des eigenen Landes zu steuern. In diesem Kontext wird auch von »Nation Branding« oder »Selfie Diplomacy« gesprochen.
Mit der Zeit hat sich das Verständnis von Digital Diplomacy jedoch erweitert. Heute kann eine Vielzahl von Elementen dazu gezählt werden – so der Einsatz von Technologien zum Wissens- und Informationsmanagement oder bei der Digitalisierung konsularischer Dienste; die Nutzung virtueller Kollaborationstools zur Kommunikation innerhalb von und zwischen Außenministerien; ebenso der Rückgriff auf Künstliche Intelligenz (KI) und Big Data zur Krisenfrüherkennung oder als Entscheidungshilfe bei internationalen Verhandlungen. Außenministerien stehen zunehmend unter Druck, sich angemessen aufzustellen, um entsprechende Chancen nutzen und zugleich Risikomanagement betreiben zu können.
Die Strategien der Schweiz, Dänemarks und Australiens
In jüngster Zeit haben einzelne Außenministerien explizit Strategien formuliert, um der zunehmenden Bedeutung gerecht zu werden, die der digitale Raum und technologische Innovationen für die internationale Politik haben. Dazu gehören die Schweiz mit ihrer »Strategie Digitalaussenpolitik 2021–2024« von November 2020, Dänemark mit der »Strategy for Denmark’s Tech Diplomacy 2021–2023« von Februar 2021, ebenso Australien mit der »International Cyber and Critical Technology Engagement Strategy« vom Frühjahr 2021. Die drei Strategien beziehen sich jedoch hauptsächlich auf Handlungsfelder; daher werden dort Themen wie die strukturelle Ausrichtung der jeweiligen Außenministerien und digitale Instrumente eher am Rande aufgegriffen. Auch andere Länder wie Frankreich, die Niederlande oder Großbritannien haben bereits außenpolitische Strategien im digitalen bzw. technologischen Kontext veröffentlicht. Diese haben jedoch entweder einen sehr engen thematischen Fokus oder sind bereits einige Jahre alt.
Die Strategien der Schweiz, Dänemarks und Australiens haben gemein, dass ihre Leitlinien bzw. Ziele größtenteils nach drei Bereichen geordnet sind: Wirtschaft, Demokratie, Sicherheit. Unter Wirtschaft fallen dabei Themen wie der Aufbau grenzüberschreitender und vertrauenswürdiger Datenräume (vor allem in der Schweizer Strategie), digitaler Handel und faire Marktbedingungen sowie die Nutzung von Technologien zugunsten nachhaltiger und entwicklungspolitischer Ziele (»Tech4Good«). Was demokratiepolitische und wertebasierte Aspekte betrifft, liegt der Fokus bei allen Strategien auf dem Schutz von Menschenrechten im digitalen Raum, auf ethischen Standards bei Anwendung technologischer Systeme wie der KI sowie der (demokratischen) Selbstbehauptung im globalen Kontext. Sicherheit betrifft dagegen vor allem die bereits etablierten Felder der Cybersicherheit und Cyberdiplomatie sowie etwa auch die Bekämpfung von Desinformation.
Zum Teil überschneiden sich die genannten Bereiche; beispielsweise soll der Aufbau einer eigenen »Swiss Cloud«, wie ihn die Schweizer Strategie vorsieht, sowohl wirtschaftspolitischen als auch datenschutzrechtlichen Belangen dienen. Zugleich nimmt jede der drei Strategien bestimmte Akzentuierungen vor. Das dänische Papier etwa legt einen durchgehenden Fokus auf die Tech-Industrie. Die Schweizer möchten Genf als Standort für internationale Organisationen im Digitalbereich stärken. Und die australische Strategie ist besonders auf den Zusammenhang zwischen Technologie und Geopolitik ausgerichtet.
Die drei Staaten zeigen exemplarisch, wie Strukturen aufgebaut bzw. erweitert werden, um diesen Themenbereich sachgerecht bearbeiten zu können. So hat 2017 das dänische Außenministerium den weltweit ersten Posten eines Tech Ambassador geschaffen. Damit soll es vor allem gelingen, besser mit den großen amerikanischen Digitalunternehmen ins Gespräch zu kommen. Flankierend entstand das Office of Denmark’s Tech Ambassador, das rund ein Dutzend Mitarbeiter hat und über Kopenhagen hinaus Vertretungen im Silicon Valley und in Peking unterhält. Das Schweizer Außenressort hat nach Veröffentlichung seiner Strategie damit begonnen, eine neue Abteilung Digitalisierung einzurichten. Und im australischen Außenministerium besteht die Position des Ambassador for Cyber Affairs and Critical Technology, angesiedelt in der International Security, Humanitarian and Consular Group. Der Inhaber des Postens hat den Vorsitz einer vierteljährlich tagenden Whole-of-Government International Cyber and Critical Technology Engagement Group, der neun Regierungsinstitutionen angehören.
Anzumerken ist jedoch, dass vor allem die Dokumente der Schweiz und Australiens strenggenommen keine strategischen Ziele setzen, sondern eher Leitlinien-Charakter haben und nur Anhaltspunkte für die jeweilige Außenpolitik in dem Themenbereich liefern. Im Fall der Schweiz ist eine mögliche Erklärung dafür, dass die Strategie veröffentlicht wurde, bevor ein struktureller Unterbau im Außenministerium erfolgte. Das australische Papier beinhaltet zumindest eine Liste, die aufzeigt, welche Ministerien bzw. Agenturen neben dem Außenressort bei den einzelnen (teils eben abstrakten) Zielen die Federführung besitzen. Die dänische Strategie umfasst 21 »Key Performance Indicators«, die jedoch unterschiedlich konkret ausfallen.
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass alle drei Strategien versuchen, den Themenkomplex Technologie/Digitalisierung und Außenpolitik möglichst umfassend abzubilden. Internationale Cybersicherheit bzw. Cyberdiplomatie gilt dabei als Teil einer »digitalen Außenpolitik« oder einer »Technologie-Außenpolitik«. Gerade dieses Zusammendenken ist wichtig. Denn zum einen sorgt Cybersicherheit für Vertrauen in digitale Technologien und den digitalen Transformationsprozess; zum anderen stehen sich in internationalen Debatten über Cybernormen (etwa im UN-Kontext) westliche Demokratien und autokratische Staaten wie Russland oder China mit ihren jeweiligen Positionen gegenüber, wie dies auch bei anderen Themen jenseits der Cyberdiplomatie wie beispielsweise der KI‑Ethik oder Überwachungstechnologien der Fall ist. Die thematische Breite bewirkt jedoch auch, dass in allen Strategien auf die Notwendigkeit eines interministeriellen Ansatzes (»whole-of-government approach«) hingewiesen wird – eine Sichtweise, die vor allem von der australischen Regierung durch strukturelle Maßnahmen untermauert wird.
Mögliche Ideen für die deutsche Außenpolitik
Im Auswärtigen Amt (AA) wurde der Prozess zur Formulierung einer umfassenden Digitalstrategie schon während der letzten Legislaturperiode angestoßen, ohne dass er bislang in ein veröffentlichtes Dokument gemündet wäre. Andere Bundesministerien haben in eigener Regie bereits Strategien zum Digital- bzw. Cyberbereich veröffentlicht. Darunter sind die Digitalstrategie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) von 2019 oder auch die um einiges umfangreichere Cybersicherheitsstrategie des Bundesministeriums des Innern (BMI) von 2021. Gerade letzteres Dokument zeigt deutlich, dass eine interministerielle Koordination und Umsetzung von Maßnahmen, Positionen und Zielen unabdingbar ist. Aufgrund der Breite des Themenkomplexes Technologie/Digitalisierung und Außenpolitik wäre es auch im Fall des AA naheliegend, sich mit anderen Ressorts abzustimmen, sollte das Ministerium den Strategieprozess wieder aufnehmen. Entlang der drei oben skizzierten Bereiche in den Strategien der drei Staaten lässt sich beispielsweise klar ausmachen, dass neben dem Außenministerium als federführendem Ressort auch Forschungs-, Innen-, Justiz-, Verteidigungs- und Wirtschaftsministerium in der einen oder anderen Form beteiligt oder zumindest konsultiert werden müssten.
Die drei erwähnten Strategien konzentrieren sich zwar eher auf Handlungsfelder, doch können diese im Grunde nicht losgelöst von Strukturen und Instrumenten betrachtet werden. Damit sich etwa technologische Handlungsfelder in der Außenpolitik wirksam und nachhaltig besetzen lassen, müssen in den Außenministerien entsprechende interne Strukturen und Instrumente vorhanden sein. Anders ausgedrückt: Nur wer selbst die Digitalisierung verinnerlicht und umsetzt, kann nach außen die eigenen Interessen glaubwürdig vertreten und durchsetzen. Dies zeigt das Beispiel Estland – ein kleiner Staat, der eine digitalisierte Verwaltung besitzt und daher in internationalen Gremien und bei Kapazitätsbildungsprojekten selbstbewusst Initiativen einbringen kann, die den Digital- und Cyberbereich betreffen.
Um digitale und technologische Themen im außenpolitischen Kontext zu bearbeiten, müssen Strukturen innerhalb eines Außenministeriums angepasst werden. Zum einen bedarf es für diese Aufgaben der nötigen Expertise, zum anderen ist die Arbeitsweise zwischen den einzelnen Referaten und Abteilungen sowie ressortübergreifend innerhalb der Regierung entsprechend auszurichten. Solche Erneuerungen sind notwendig mit Blick auf eine Vielzahl an Handlungsfeldern – darunter die Cyberdiplomatie; die zunehmende Verzahnung von Geopolitik und Technologie, auch mit Blick auf Verfügbarkeit und Integrität der Letzteren; die Governance, Regulierung und Standardsetzung bei aufkommenden Technologien; die Nutzung von Technologien in Entwicklungskontexten und für die humanitäre Hilfe. Eine strategische Entwicklung innerhalb von Außenministerien ist notwendig, um die stetig wachsende Bandbreite von Themen an der Schnittstelle von Außenpolitik und Digitalisierung zu bewältigen und die Zunahme digitaler Instrumenten zu nutzen. Dies zeigt das Beispiel von digitaler Expertise, bei dem Handlungsfelder, Strukturen und Instrumente zusammengedacht werden müssen.
Beispiel: Aufbau von Expertise
Die zunehmende Wichtigkeit von Digitalthemen und dazugehörigen Instrumenten sollte sich unter anderem in der Aus- und Fortbildung von Außenministerien widerspiegeln. So hat etwa Australien 2017 ein »Cyber Affairs Curriculum« für seine Diplomatenakademie erstellt, das Lerninhalte zu grundsätzlichen Positionen des Landes auf diesem Feld bietet und allen Ministerien offensteht. Ein ähnliches Konzept ist für den weiten Themenkomplex Technologie/Digitalisierung und Außenpolitik denkbar.
Diplomaten müssen verinnerlichen, dass entsprechende Fragen keinen abgesonderten Bereich bilden, sondern sich in vielfältigen Kontexten niederschlagen – von bilateralen und multilateralen Beziehungen über Konfliktprävention, Stabilisierung und Sicherheitspolitik bis hin zu Menschenrechten oder Wirtschaft. Zu vermeiden gilt jedenfalls, dass einzelne Referate, die sich speziell auf Themen wie »GeoTech« oder Cyber fokussieren, von anderen Arbeitseinheiten als eine Art interner Tech-Sektor wahrgenommen werden. Dafür muss in der Attachéausbildung und in Fortbildungskursen vermittelt werden, dass die digitale Transformation in nahezu allen Regionalkontexten und in Bereichen wie Wirtschafts-, Sicherheits- oder Entwicklungspolitik zu einem wichtigen Faktor geworden ist, der sowohl Chancen als auch Risiken mit sich bringt. Wie intensiv und detailliert die Kurse ausfallen, lässt sich je nach Notwendigkeit und persönlichen bzw. fachlichen Voraussetzungen anpassen. Zudem sollte die Möglichkeit erörtert werden, Diplomaten – wie im britischen System – für eine vorübergehende Tätigkeit im Tech-Sektor freizustellen.
Darüber hinaus wird insbesondere bei der Nutzung digitaler Instrumente spezifisches Fachpersonal benötigt, das zum Beispiel auf Datenanalyse und KI-Anwendungen spezialisiert ist. Dies ist eine Herausforderung für Ministerien, die aufgrund ihrer starren Laufbahnen und der im Vergleich zur freien Wirtschaft niedrigeren Gehälter oftmals nicht attraktiv genug für Seiteneinsteiger aus dem Tech-Sektor sind. Zudem sind solche Experten rar. Im deutschen Kontext könnte das Auswärtige Amt von den Erfahrungen des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) und anderer nationaler Ressorts lernen, ebenso von Ministerien anderer Länder, und sich über die Vor- und Nachteile bestehender Maßnahmen zur Personalbeschaffung im Tech-Bereich informieren. Es sollten neue Wege der Rekrutierung beschritten werden, etwa durch Anstellung von Fachpersonal jenseits der Laufbahnstruktur. Generell ist zu prüfen, wie mehr Durchlässigkeit zwischen Ministerium, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft hergestellt werden kann. Dabei ist auch wichtig, Schnittstellenkompetenz innerhalb des Amtes zu schaffen, so dass sich auf der einen Seite technische Expertise einbringen, auf der anderen außenpolitisches und bürokratisches Wissen vermitteln lässt. Das AA kann hier auf die Erfahrungen aus dem Datenpool-Projekt PREVIEW bauen, das zur Krisenfrüherkennung, Konfliktanalyse und Strategischen Vorausschau dient.
Auch sollte in Betracht gezogen werden, im AA einen Innovation Hub aufzubauen. Verschiedene Ministerien haben bereits solche Knotenpunkte ins Leben gerufen, um zugunsten digitaler Lösungen die Zusammenarbeit mit Tech-Sektor und Start-ups zu intensivieren und digitale Instrumente sowie neuere Arbeitsmethoden zu testen – so das BMVg mit dem Cyber Innovation Hub, das BMI mit dem Digital Innovation Team und das BMZ mit Digilab. Angesichts der erwünschten Zunahme digitaler Instrumente und der Adaptation neuerer Arbeitsweisen mit anderen Ressorts brächte ein Innovation Hub im AA den Mehrwert, vielfältige Ideen, Akteure und Technologien zu bündeln und zu vernetzen. Er würde auch dazu beitragen, das »Mainstreaming« des Themas Technologie/Digitalisierung und Außenpolitik auf den verschiedenen Ebenen des Ministeriums zu unterstützen.
Darüber hinaus ließen sich die diplomatischen Vertretungen der Bundesrepublik besser und strategischer für den Themenkomplex Technologie und Geopolitik nutzen. Die deutschen Botschaften und Konsulate können Informationen über technologische Entwicklungen und Stärken der jeweiligen Gastländer liefern. Innerhalb der Bundesregierung kann das AA damit eine wichtige Funktion erfüllen. In ausgewählten Vertretungen, die von größerer Bedeutung für den Sachbereich sind – Brüssel, Neu-Delhi, Paris, Peking, San Francisco, Seoul, Singapur, Tokio, Washington etc. –, sollten die Posten von Technologiereferenten bzw. Tech-Attachés eingerichtet werden. Ferner wäre denkbar, dass das Auswärtige Amt an ausgewählten Standorten den Aufbau von Tech-Initiativen bzw. Hubs unterstützt, um den Austausch zwischen Wirtschaft, Forschung, Wissenschaft und Diplomatie zu intensivieren. Andere Staaten haben solche Initiativen bereits ins Leben gerufen, so die Schweiz mit der Swissnex und Österreich mit Open Austria.
Mögliche Lehren für die deutsche Außenpolitik
Aus den internationalen Erfahrungen mit außenpolitischen Digitalstrategien lassen sich drei Lehren für die Bundesregierung ziehen. Erstens sollte eine solche Strategie – auch wenn sie sich nur auf Handlungsfelder konzentriert – mit dem Aufbau von Strukturen und Instrumenten in Verbindung gebracht werden. Handlungsfelder, auf denen das Auswärtige Amt sich engagieren möchte, sollten definiert werden; damit verbunden gilt es konkrete, nach Möglichkeit messbare Ziele aufzustellen, wofür die dänische Strategie ein Vorbild bietet. Dabei ist es wichtig, dass die Strukturebene mit Zielen und Handlungsfeldern zusammengedacht wird, weil die Strategie ansonsten zu einem reinen Leitlinien-Dokument gerät. Mit anderen Worten bestimmen Strukturen, Finanzen und vorhandene Expertise, wie ambitioniert eine Digitalstrategie sein kann. In diesem Zusammenhang sollte darüber nachgedacht werden, bestehende Referate innerhalb des AA auszubauen bzw. neue zu gründen, damit sich der stetig wachsende Themenbereich besser abdecken lässt.
Zweitens sollte durch eine solche Strategie auch bestimmt werden, welche konkrete Rolle das Auswärtige Amt national – vor allem im Zusammenspiel mit anderen Bundesministerien – und international einzunehmen hat. Dank Auslandsvertretungen und völkerrechtlicher Expertise bieten Außenministerien bei diesem Themenfeld einen unabdingbaren Mehrwert innerhalb von Regierungen. Dabei lassen sich Zuständigkeiten gegenüber anderen Ministerien nicht immer trennscharf abgrenzen, was zu Reibungen führen kann. Angesichts der Tatsache, dass Digital- und Technologiepolitik nahezu immer auch Außenpolitik ist, dürfen Außenministerien und speziell das AA den Ambitionsgrad aber nicht zu gering ansetzen.
Drittens bleibt der Themenkomplex Technologie/Digitalisierung und Außenpolitik eine interministerielle Aufgabe. Hier bietet das australische Modell eine mögliche Inspiration. Mit dem Ambassador for Cyber Affairs and Critical Technology wurde dort eine Position geschaffen, deren Inhaber den Vorsitz einer neu eingerichteten, vierteljährlich tagenden Whole-of-Government International Cyber and Critical Technology Engagement Group hat. Auch innerhalb der Bundesregierung sind gemeinsame Formate auf Arbeitsebene denkbar, denen Referenten aus verschiedenen Ministerien angehören. So ließen sich die unterschiedlichen wirtschafts-, sicherheits- und ordnungspolitischen Fragen besser bearbeiten, die sich im Bereich Technologie und Geopolitik stellen. Dabei könnten solche Cluster- bzw. Projektarbeitsteams um Referate des Auswärtigen Amtes herum gebildet werden.
Kaan Sahin ist ehemaliger Fellow im Centrum für angewandte Türkeistudien (CATS).
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