Am 26. Januar haben die beiden Ko-Fazilitator:innen für den Zukunftsgipfel der Vereinten Nationen (UN) im September 2024 den Erstentwurf für das Abschlussdokument vorgelegt, den »Pakt für die Zukunft«. Nach umfangreichen Konsultationen verhandeln die Mitgliedstaaten nun diesen sogenannten Zero Draft. Dass der Pakt im Konsens verabschiedet werden soll, hatten die Staaten bereits 2022 vereinbart. Das begrenzt die Chancen, über einen dünnen und vagen Minimalkonsens hinauszukommen. Was steht im Entwurf? Kann es gelingen, beim »Summit of the Future« im September einen Pakt zu schließen, der eine Vision mit konkreten Reformvorhaben verbindet, um alte und neue Herausforderungen effektiver multilateral zu bearbeiten?
Die Stimmung in New York ist angespannt. Nicht der Zukunftspakt, sondern die Lage in Gaza dominiert die Diskussionen in fast allen Gremien. Die unterschiedliche Wahrnehmung des Konflikts verdeutlicht erneut die Uneinigkeit und das verbreitete Misstrauen in der »Staatengemeinschaft«. Groß ist die Ungeduld vieler Länder des globalen Südens, heftiger denn je sind die Vorwürfe zu Doppelstandards und nicht eingehaltenen Versprechen. Gepaart mit der Überforderung vor allem kleinerer UN-Vertretungen, die sich kaum imstande sehen, den komplexen Prozessen hin zum Gipfel zu folgen, ist das keine gute Ausgangslage für die Verhandlungen. Ko-moderiert werden diese von den UN-Botschafter:innen Deutschlands und Namibias, Antje Leendertse und Neville M. Gertze.
Konflikte und Konsens
Von Anfang an waren die Debatten zum Zukunftsgipfel konfliktreich. Als es 2023 um den inhaltlichen Zuschnitt (»Scope«) des Gipfels und des Paktes ging, konnten sich die Mitgliedstaaten gerade mal auf die Überschriften der fünf Kapitel des Paktes einigen, aber nicht darauf, welche »Elemente« unter diesen verhandelt werden sollten. Trotz positiver Worte beim vorbereitenden Minister:innen-Treffen im September 2023 sind die Spannungen seither eher gewachsen.
Aus der Group of Friends in Defense of the Charter, die mehrheitlich aus autoritären Staaten besteht, speist sich eine Gruppe Gleichgesinnter (die sogenannte Like-minded Group, LMG). Sie hat in wechselnder Zusammensetzung während der bisherigen Verhandlungen sehr konservative, wenn nicht revisionistische Positionen eingenommen. Die LMG wird von Pakistan angeführt und von Bolivien, Iran, Kuba, Nordkorea, der Russischen Föderation, Simbabwe, Syrien, Venezuela und einigen anderen unterstützt, oft von China, seltener auch von Ägypten, Indonesien, Nigeria oder Saudi-Arabien. Generell verstehen die Mitglieder die UN als rein zwischenstaatliche Organisation souveräner Staaten. Daher positioniert sich die LMG in den Verhandlungen gegen eine Stärkung des UN-Sekretariats oder eine weitergehende Beteiligung nichtstaatlicher Akteure. Unilaterale Sanktionen sind das wichtigste gemeinsam vertretene Thema. Diese, so argumentieren die betroffenen Staaten, behinderten die Umsetzung der Ziele nachhaltiger Entwicklung (SDGs) und müssten daher verurteilt werden.
Sowohl die LMG als auch die Gruppe der 77 (G77) bestanden darauf, den Zero Draft Absatz für Absatz (»para by para«) in geschlossenen informellen Vorverhandlungen (»closed informals«) zu diskutieren. Einerseits kann man das positiv sehen: Es rückt die Anliegen der Mitgliedstaaten in den Vordergrund und wirkt als vertrauensbildende Maßnahme. Andererseits können Blockierer durch lange Statements und das sogenannte Klammern strittiger Textpassagen die Verhandlungen in die Länge ziehen. Auch erhalten Zivilgesellschaft und Expert:innen kaum Informationen zu deren Verlauf, was eine empirisch fundierte Analyse und Beratung erschwert.
Konsens besteht, dass der Zukunftspakt dazu beitragen soll, das Vertrauen in den Multilateralismus zu stärken, vor allem auf Seiten des globalen Südens. Einig sind sich die Mitgliedstaaten auch, dass der Zukunftspakt helfen soll, die Beschlüsse des 2023er SDG-Gipfels zu operationalisieren und so die Umsetzung der Ziele »wieder auf Kurs« zu bringen. Das Sekretariat formulierte es so: In der dort verabschiedeten Politischen Erklärung hätten die Mitgliedstaaten festgehalten, in welchen Bereichen sie vorangehen wollen (das Was). Beim Zukunftsgipfel sollten sie nun darlegen, wie sie die multilateralen Kapazitäten dafür stärken wollen (das Wie). Dieser Leitgedanke wird von allen unterstützt. Der Zukunftspakt muss sich daran messen lassen.
Der Zero Draft
Der 20-seitige Erstentwurf des Paktes enthält 148 Absätze. Die Verhandlungsgruppen und Mitgliedstaaten haben erste schriftliche Eingaben eingereicht, das kommentierte Dokument (»compilation document«) umfasst 242 Seiten. Auf dieser Basis wird nun verhandelt und soll dann ein revidierter Entwurf erarbeitet werden.
Chapeau
Die Ko-Fazilitator:innen möchten, dass im einleitenden Rahmentext (Chapeau) nicht nur die üblichen Textbausteine politischer Erklärungen enthalten sind, sondern die wichtigsten Ergebnisse des Paktes in verständlicher Sprache vorgestellt werden. Er soll daher zuletzt verhandelt werden.
Sinnvoll wäre ein Narrativ, das die Kapitel verbindet, eine Vision für den Multilateralismus der Zukunft beinhaltet und erkennen lässt, welchen Mehrwert die beschlossenen Reformen und Initiativen hierfür haben. Um im Chapeau die Ergebnisse für die Presse aufzubereiten, sollten die journalistischen Standardfragen beantwortet werden: neben wie auch was, wer, wo, wann und warum.
Sehr zu begrüßen ist, dass die Beschlüsse des Paktes nachgehalten werden sollen (»Follow-up«). Im Chapeau heißt es, die Mitgliedstaaten sollen – mit Stakeholdern – zum Ende der 80. Sitzung der Generalversammlung (2025/26) überprüfen, wie es um die Verwirklichung der Beschlüsse steht. Das fiele ins 80. Jubiläumsjahr der UN und in die Amtszeit der deutschen Präsidentschaft der Generalversammlung.
Kapitel 1: Nachhaltige Entwicklung und Entwicklungsfinanzierung
Im ersten Kapitel geht es darum, wie sich die beim SDG-Gipfel 2023 beschlossene beschleunigte Umsetzung der SDGs voranbringen lässt. Daher werden im Zero Draft des Zukunftspaktes viele Verpflichtungen aus der Politischen Erklärung aufgegriffen. Neben der 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung werden weitere Abkommen und Dokumente zitiert und bestätigt. All dies vermittelt jedoch eher den Eindruck einer erneuten Verpflichtung auf dieselben Inhalte (»re-commitment«). Manche Beobachter sehen das in diesen schwierigen Zeiten bereits als Errungenschaft. Allerdings ist es nicht der große Schritt nach vorne, wie es die Ankündigungen zum Zukunftsgipfel nahelegen.
Neu ist, dass auf globale Umweltprobleme eingegangen wird: Klimawandel, Biodiversitätsverlust, Verschmutzung und Ausbreitung der Wüsten. Diese Themen fehlten bislang in den Beratungen zum Zukunftspakt. Jedoch kritisierte die G77 diesen Fokus sogleich als unausgewogen.
Konkretere Ausführungen folgen nur für das Klimathema. Auch hier geht der Zero Draft nicht über die bisherigen Beschlüsse hinaus. Weder werden operative Fragen geklärt noch zumindest als klärungsbedürftig herausgestellt zum Beispiel, wer sich an Finanzierung beteiligen soll und wer davon profitieren darf.
Dasselbe gilt für den vom Generalsekretär vorgeschlagenen SDG-Stimulus, eine Reihe von Maßnahmen, die jährlich mindestens 500 Milliarden US-Dollar für nachhaltige Entwicklung mobilisieren sollen. Die Initiative wird begrüßt, aber bislang auch nicht mehr. Stattdessen wird auf die 2025 anstehende vierte Internationale Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung (FfD) verwiesen. Die Forderung nach einem deutlichen Mittelaufwuchs ist indes für die Regierungen des globalen Südens entscheidend. Entsprechende Kritik am Textentwurf kam dann auch von Seiten der G77.
Am Ende des ersten Kapitels wird ein besonders umstrittenes Thema behandelt, welches im Vorfeld des 2023er SDG-Gipfels beinahe den ausgehandelten Konsens zur Politischen Erklärung gesprengt hätte: die unilateralen Sanktionen. Im Zero Draft wird der Textbaustein übernommen, der 2015 in der 2030-Agenda im Konsens verabschiedet wurde. Ob dies noch immer als Kompromiss durchgeht, wird sich zeigen.
Kapitel 2: Internationaler Frieden und Sicherheit
Das zweite Kapitel greift die von UN-Generalsekretär Guterres vorgeschlagene New Agenda for Peace auf, mit Ideen, wie sich klassische und neue Sicherheitsrisiken effektiver bearbeiten lassen. Im Zero Draft werden diese Empfehlungen pauschal begrüßt. Ein zentrales Anliegen des Generalsekretärs war, Prävention zu verbessern. Hierzu könnte Einigkeit erreicht werden. Jenseits dessen halten Experten es derzeit für schwer vorstellbar, substantielle Konsense zu Reformen im Bereich Sicherheit und Frieden zu erzielen. Dissens besteht insbesondere bei Abrüstungsthemen.
Weitere Themen werden benannt, etwa »Frauen, Frieden und Sicherheit«, jedoch nicht operativ konkretisiert. Im Bereich Friedensoperationen wird der vernetzte Ansatz betont. Afrikanische Staaten begrüßen die Ausführungen zu Kapazitätsaufbau und Bezüge zu Entwicklungsthemen, ebenso Pläne, regionale Friedensmissionen mit UN-Mitteln zu finanzieren. Innovativ sind die Überlegungen, im Rahmen der UN künftige Herausforderungen im Sicherheitsbereich stärker zu bearbeiten: Missbrauch von Biotechnologien und künstlicher Intelligenz, autonome Waffensysteme, Rüstungswettlauf im All sowie Desinformation im Internet. Es wäre möglich, dass hier Prozesse zumindest angeschoben werden.
Kapitel 3: Wissenschaft, Technologie, Innovation und digitale Kooperation
Im dritten Kapitel des Paktes stehen die positiven Seiten technologischer Entwicklungen im Vordergrund. Die Themen »Science, Technology and Innovation« (STI) und vor allem Technologietransfers sind den Entwicklungs- und Schwellenländern sehr wichtig. Bislang geht der Zero Draft nicht über bestehende Verpflichtungen hinaus. Das ist nicht hilfreich. Beispielsweise werden strukturelle Probleme beim jährlichen Multi-stakeholder Forum on Science, Technology and Innovation for the SDGs (STI-Forum, eine Hauptkomponente des in der 2030-Agenda vereinbarten Technology Facilitation Mechanism) thematisiert, aber nicht gelöst. Ähnlich werden im Zero Draft Technologietransfers begrüßt und Probleme der Rechte an geistigem Eigentum benannt, aber keine Ideen präsentiert, wie sich diese Schwierigkeiten meistern lassen. Die G77 kommentierte, dass hier Lösungen erwartet werden.
Dass es zusätzlicher Finanzierung bedarf, um Ungleichheiten zu überwinden und Zugänge zu schaffen, wird zwar anerkannt (»we recognize the need«), aber ohne dass neue Verpflichtungen eingegangen würden. Das wird nicht reichen, um das Vertrauen der Länder des globalen Südens zu stärken. Auch für bessere Schnittstellen zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft (Science-Policy-Society Interfaces), die im Pakt für die UN gefordert werden, gibt es bisher keine Finanzierungszusagen.
Hohe Erwartungen haben viele an den Global Digital Compact, der parallel verhandelt wird und dem Pakt als Annex hinzugefügt werden soll. Hier wird es in erster Linie darum gehen, neben grundlegenden Prinzipien eine Rolle für die UN in der Governance von Digitalfragen zu definieren. Die Botschafter:innen Schwedens und Sambias, die die Verhandlungen leiten, haben mitgeteilt, dass der Zero Draft Ende März in Umlauf gebracht wird und die Verhandlungen am 5. April beginnen.
Kapitel 4: Jugend und zukünftige Generationen
Zum Thema Jugendbeteiligung einigte man sich bereits auf einige Reformen. So soll die UN-Jugenddelegierte mittels eines UN-Jugendbüros unterstützt werden. Die LMG äußerte jedoch Bedenken, der globale Norden wolle das Thema Jugendbeteiligung instrumentalisieren, um seine Agenda zu Gender- und Umweltthemen zu befördern. Themen des globalen Südens, wie Jugendarbeitslosigkeit und -armut, kämen zu kurz.
Im Zero Draft wird auf alle Aspekte eingegangen. Erfreulich konkret wird der Generalsekretär aufgefordert, die Entwicklung eines Standards für die Jugendbeteiligung in allen UN-Prozessen anzustoßen und eine »investment platform« zu etablieren, um Mittel zu mobilisieren. Die LMG möchte diese Passagen abschwächen.
Eine Erklärung zu zukünftigen Generationen wird in einem parallelen zwischenstaatlichen Prozess verhandelt und dann dem Pakt angefügt. Am 8. April wollen die Botschafter:innen der Niederlande und Jamaikas einen Zero Draft vorlegen. Danach beginnen die Textverhandlungen.
Kapitel 5: Global Governance transformieren
Im fünften Kapitel werden die institutionellen Reformen behandelt. Im ersten Absatz wird die Vision eines multilateralen Systems vorangestellt, welches kompetenter und effektiver liefert sowie gerechter und repräsentativer verfasst ist. Zudem soll es inklusiver und vernetzter arbeiten, um existierende Kapazitäten des Regierens bestmöglich zu nutzen und Fragmentierung zu überwinden. Diese Passagen folgen dem »Our Common Agenda«-Bericht des UN-Generalsekretärs.
Einige Mitgliedstaaten haben darauf bestanden, Reformen der UN-Hauptorgane zu behandeln. Die Absätze zur Revitalisierung der Generalversammlung (UNGA) und Stärkung des Wirtschafts- und Sozialrates (ECOSOC) greifen aktuelle Reformthemen auf. Dazu zählen etwa die Sitzungen der UNGA nach dem Veto im Sicherheitsrat, ihre Rolle bei der Wahl eines UN-Generalsekretärs oder einer UN-Generalsekretärin, verbesserte Foresight-Aktivitäten beim ECOSOC oder die Arbeit des NGO-Komitees. Bislang fehlen innovative Ideen zu UNGA-Formaten, die das gegenseitige Verständnis und die Vertrauensbildung stärken. Sinnvoll wäre es, die Ergebnisse der Verhandlungen zum Review des ECOSOC und des Hochrangigen Politischen Forums für Nachhaltige Entwicklung (HLPF) zu berücksichtigen, die aktuell von Guinea und Lettland angeführt werden. Ausstehende Beschlüsse zur Reform der Arbeitsmethoden des NGO-Komitees beim ECOSOC sollten ebenfalls im Pakt bekräftigt werden. Letzteres ist auch wichtig, da der Generalsekretär mit seinem Vorschlag, nichtstaatliche Akteure mehr in die Arbeit der UN einzubeziehen, auf Misstrauen gestoßen ist, sowohl bei einigen Staaten als auch zivilgesellschaftlichen Akteuren. Es könnte geklärt werden, wer mit der oft genutzten Formel »relevant stakeholders« gemeint ist und wie die UN mit diesen Akteuren zukünftig kooperieren möchte. Dafür könnte man auf Erfahrungen mit UN-Rahmenwerken zum Umgang mit nichtstaatlichen Akteuren aufbauen, etwa die Regularien bei der Weltgesundheitsorganisation oder beim Welternährungsausschuss der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation.
Zur Reform des Sicherheitsrates enthält der Textentwurf bislang keine Vorschläge. Bis Juni wollen die Botschafter Österreichs und Kuwaits ein Papier erarbeiten, in dem sie die Ergebnisse der Gespräche zu den verschiedenen Reformvorschlägen vorstellen, die zurzeit im Rahmen des informellen Plenums der Generalversammlung (IGN) geführt werden. Spannend wird sein, ob dieses Papier ein Konsenspapier sein kann oder ein Chairs-Paper bleiben muss.
Ausführlich wird die Kommission für Friedenskonsolidierung behandelt. Ähnlich wie im zweiten Kapitel werden auch hier der Nexus zu Entwicklung und humanitärer Hilfe, Bezüge zu den Menschenrechten, die Bedeutung von Prävention und Resilienz, die Rolle verschiedener Stakeholder außerhalb der UN und besonders die Zusammenarbeit mit regionalen Organisationen in den Vordergrund gestellt. Aufbauend auf den Bericht des von Guterres berufenen hochrangigen Beratergremiums (High-level Advisory Board on Effective Multilateralism, HLAB) hatten Mitglieder der United Nations University zuletzt Empfehlungen auf den Tisch gelegt, wie diese Anliegen umgesetzt werden könnten.
Ein konkreter Vorschlag des Generalsekretärs war die Einrichtung einer Notfallplattform zur raschen Reaktion auf komplexe globale Krisen. Nach ersten kritischen Rückmeldungen der LMG und einiger Hauptbeitragszahler stellte Guterres klar, es gehe hier nicht um neue Bürokratie, sondern um wirksames und vernetztes Handeln der UN unter Mitarbeit relevanter Stakeholder. Dies solle durch eine Reihe von Abkommen und Protokollen erreicht werden. Im Zero Draft wird dies aufgegriffen und betont, dass dabei weder die Souveränität von Staaten gefährdet noch Dopplungen zu anderen mandatierten UN-Krisenmechanismen (samt damit verbundenen Kosten) verursacht werden dürften. Es ist noch offen, ob dieser Versuch trägt, einerseits die Bedenken zu entkräften und andererseits ein solides Mandat zu erteilen.
Für den globalen Süden ist in diesem Kapitel zuvorderst die Reform der internationalen Finanzarchitektur von großer Bedeutung. Übergreifend wird der Anspruch formuliert, dass die UN in globalen ökonomischen Fragen eine größere Rolle spielen und insgesamt die Stimme und Teilhabe des globalen Südens gestärkt werden soll. Dazu wird an den Vorschlag des Generalsekretärs angeknüpft, alle zwei Jahre einen gemeinsamen Gipfel (Biennial Summit) zu veranstalten, an dem die Staats- und Regierungschef:innen der G20 teilnehmen, die Mitgliedstaaten des ECOSOC, der Generalsekretär und die Spitzen der Internationalen Finanzinstitutionen (IFIs, also die Weltbankgruppe, der Internationale Währungsfonds und regionale Entwicklungsbanken). Dieser Vorschlag stieß auf großes Interesse aber auch auf Vorbehalte, etwa seitens der LMG und einiger NGOs.
Die IFIs werden nicht nur aufgefordert, die Repräsentation von Entwicklungsländern in ihren Strukturen zu verstärken, sondern auch ihre Arbeit an den SDGs auszurichten und darüber zu berichten. Zugleich wird im Text auf die Zuständigkeit der Entscheidungsgremien der IFIs verwiesen, die respektiert werden müsse. Derartige Spannungsverhältnisse zwischen Textteilen sind typisch für UN-Kompromisse.
Weitere Reformthemen sind aufgelistet, wie ein neues Schulden- und Steuerregime oder die Sonderziehungsrechte des IWF. Der Text weist aber wenig konkrete Impulse auf. Dabei haben für den Finanzbereich viele NGOs, Beiräte und Think-Tanks Reformvorschläge eingebracht.
Die Idee, einen neuen Standard für die Wohlstandsmessung (Beyond GDP) zu erarbeiten, hatte im Vorfeld breite Zustimmung erfahren. Das spiegelt sich im Zero Draft wider, doch überraschenderweise enthält dieser kein Mandat für die UN, hierzu einen Prozess zu starten.
Als weiteres Zukunftsthema sollen globale Regeln für eine friedliche, sichere und nachhaltige Nutzung von Outer Space auf den Weg gebracht werden. Doch wird nicht klar, wie die Arbeit des Ausschusses für die friedliche Nutzung des Weltraums (COPUOS) künftig relevanter werden könnte.
Insgesamt wird also eine Vielzahl institutioneller Anliegen aufgeführt, die in den vorgeschalteten Konsultationen breite Unterstützung erfahren haben, zu denen aber nicht unbedingt Konsens besteht. Daher sind die Formulierungen oft weder konkret noch ambitioniert. Positiv ist, dass im Text Menschenrechte, Frauen- und Genderthemen immer wieder angesprochen werden. Jenseits diffuser Absichtserklärungen, existierende Institutionen stärken zu wollen, werden jedoch keine konkreten Reformen benannt.
Der Weg zum Zukunftspakt
Insgesamt bietet der Zero Draft noch keine ausreichenden Antworten auf die »Wie«-Frage. Der Text bleibt an vielen Stellen abstrakt, es fehlen neue Verpflichtungen. Bei der öffentlichen Vorstellung des Zero Draft am 29. Januar betonte die deutsche UN-Botschafterin, der Entwurf sei bewusst sehr ausgewogen formuliert. Die Mitgliedstaaten seien nun eingeladen, konkrete Vorschläge in die Textverhandlungen einzubringen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass es oft schwieriger ist, etwas in Texte hinein- als aus ihnen herauszuverhandeln. Und so geschah das bislang auch kaum, obwohl viele Mitgliedstaaten in ihren ersten Rückmeldungen selbst einen »more actionable pact« gefordert hatten. Zu befürchten ist, dass sie weiter um Formulierungen ringen werden, statt konkrete Reformbeschlüsse im Pakt zu verankern. Dabei liegen Vorschläge auf dem Tisch, die sie aufgreifen könnten. Auch Parallelprozesse sollen Ergebnisse liefern, beispielsweise das Frühjahrstreffen der Weltbank Mitte April.
Allianzbildung für den Pakt
Eine der wichtigsten Aufgaben der beiden Ko-Fazilitator:innen wird sein, zu einem passenden Zeitpunkt das Ruder beziehungsweise den Stift in die Hand zu nehmen. Jenseits der üblichen Revisionen sollten sie sich auf eine kritische Situation vorbereiten, in der die Verhandlungen zu stark ausufern oder eine Blockade droht. Rechtzeitig vor der Sommerpause könnten sie einen gekürzten Schlussentwurf (final draft) vorlegen, der von einer breiten Mehrheit vor allem aus dem globalen Süden getragen wird. In einem solchen finalen Entwurf sollte ein positives Reformnarrativ präsentiert und mit Beschlüssen zu (weitgehend) konsensualen Reformvorhaben untermauert werden. Dies sollte kurz- und mittelfristig umsetzbare Maßnahmen ebenso umfassen wie längerfristige Reformprozesse. Mit der öffentlichen Präsentation und Diskussion eines solchen Entwurfs, der größtmögliche Unterstützung genießt, könnte sozialer Druck auf die blockierenden Staaten ausgeübt werden. Zumindest würde dann sichtbar, wer im Wege steht. Weitergehende Reformvorschläge, die keinen Konsens, aber breite Unterstützung fanden, könnten in einem informellen Papier der Ko-Fazilitator:innen gelistet werden, um Ansatzpunkte für die Arbeit nach dem Gipfel festzuhalten.
Der Botschafter Singapurs, Burhan Gafoor, rief zu Kooperation und Kompromissen auf und mahnte, ein »all-or-nothing approach« sei nicht hilfreich. Singapur leitet eine neu für diesen Prozess gegründete Small States Group mit 55 Mitgliedstaaten aus mehreren Regionen. Kleine Staaten könnten eine wichtige Rolle in den weiteren Verhandlungen spielen, denn sie legen besonderen Wert auf inklusive und effektive multilaterale Institutionen, in denen sie eine Stimme haben. Je mehr die Fragmentierung des internationalen Regierens zunimmt, desto wichtiger wird es, in Gestalt der UN einen Ort für die Kommunikation aller mit allen zu haben. Allen voran kleine Staaten haben ein Interesse daran und wollen zumindest darüber reden können, was in anderen, plurilateralen Foren (etwa G7, OECD, G20 oder BRICS+) beschlossen wird. Der Zukunftspakt könnte das Votum enthalten, dass plurilaterale Kooperation an multilateral vereinbarten Zielen orientiert sein sollte und dass Gruppen sich kontinuierlich in UN-Prozesse einbringen sowie möglichst inklusiv und offen gestaltet sein sollten.
Dazu passend erklärte Mitte März der brasilianische G20-Sherpa im Rahmen eines Briefings der Generalversammlung, dass Brasilien im Zuge seiner G20-Präsidentschaft einen Beitrag zum Thema »global governance reform« erarbeiten wolle. Als ersten Schritt plane Brasilien am 26. September, also in der Eröffnungswoche der Generalversammlung, ein Treffen der Außenminister:innen der G20 in den Räumen der UN, um diese Fragen mit allen interessierten Mitgliedstaaten zu diskutieren. Das wäre ein Novum. Und es würde den Vorschlag einiger Mitgliedstaaten stützen, den Biennial Summit in der UNGA anzusiedeln (statt beim ECOSOC mit nur 54 Mitgliedstaaten).
Es gilt jetzt also, die an einem gehaltvollen Zukunftspakt interessierten Staaten zu mobilisieren und jene aus dem globalen Süden auch so zu unterstützen, dass sie ihre Reformanliegen stark machen können, sowohl direkt in den Textverhandlungen als auch in ihren Verhandlungsgruppen.
Zivilgesellschaft als Partner
Bereits in ihrem Ernennungsbrief wurden die Ko-Fazilitator:innen aufgefordert, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und weitere Stakeholder in den Vorbereitungsprozess einzubeziehen. Allerdings erwies sich das wegen Vorbehalten einiger Staaten als schwierig. Es gab mehrere virtuelle Konsultationsrunden mit den beiden Ko-Fazilitator:innen und auch die Möglichkeit, schriftliche Eingaben einzureichen. Da die zwischenstaatlichen Verhandlungen aber als geschlossene Informals durchgeführt werden, sind Stellungnahmen zivilgesellschaftlicher Vertreter:innen nur in diesen separaten Anhörungen möglich. Das erzeugte Unmut und hatte ein entsprechendes Schreiben der Initiative UNMute Civil Society an die Ko-Fazilitator:innen, das UN-Sekretariat und die Mitgliedstaaten zur Folge, welches von mehr als 350 NGOs unterstützt wurde. In ihrem Antwortschreiben erläutern die Ko-Fazilitator:innen, warum die meisten der weitgehenden Forderungen nicht erfüllt werden können, dass es aber weitere Gelegenheiten für Beteiligung geben werde.
So wird am 9. und 10. Mai in Nairobi eine Konferenz für interessierte nichtstaatliche Akteure stattfinden. Hatten viele zivilgesellschaftliche Gruppen anfangs weitreichende Reformideen vertreten, sorgte der Zero Draft für eine unsanfte Landung auf dem Boden der Tatsachen. Aktuell arbeiten sie an einem eigenen Text, dem »Peoples Pact«, der in Nairobi verabschiedet werden soll. Sinnvoll wäre, wenn die Beteiligten den (dann gegebenenfalls bereits revidierten) Draft des Zukunftspaktes zum Ausgangspunkt ihrer Arbeit in Nairobi machten und möglichst gezielt Verbesserungen im Text forderten. Die Ko-Fazilitator:innen haben zugesichert zu ermöglichen, die erarbeiteten Vorschläge den Mitgliedstaaten vorzustellen.
Für den 20. und 21. September, unmittelbar vor dem Zukunftsgipfel, plant die UN zwei »Action Days« in ihrem Hauptquartier. Das könnte nicht nur eine letzte Gelegenheit zur Mobilisierung sein, sondern auch der Anfang einer zivilgesellschaftlichen Begleitung der Umsetzung des Zukunftspaktes. Die beiden gewählten Co-Chairs der Nairobi-Konferenz haben dazu aufgerufen, »Multi-stakeholder ImPACT Coalitions« zu bilden, die die Arbeit auch nach dem Gipfel vorantreiben und nachhalten sollen.
Unterstützung in und durch Deutschland
Deutschland wird 2025 die Präsidentschaft der Generalversammlung übernehmen und sich 2026 um einen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat bewerben – zwei gute Gründe, dem Zukunftsgipfel Aufmerksamkeit zu widmen. In der deutschen Öffentlichkeit ist dieser noch kaum bekannt. Ende Januar fand im Bundestag eine Anhörung zur Stärkung der Vereinten Nationen statt, war aber nicht auf den Zukunftsgipfel ausgerichtet. Dabei wäre es sinnvoll, wenn im Parlament Vorschläge ausgearbeitet und diskutiert würden, warum und wie Deutschland die Vereinten Nationen stärken möchte. Der Haushaltsausschuss sollte hierbei einbezogen werden, damit die finanzielle Seite gleich verlässlich mitgedacht wird.
Vertreter:innen der Bundesregierung führen die Rolle der deutschen Ständigen Vertreterin als Ko-Verhandlungsführerin als einen Grund an, zurückhaltend agieren zu wollen. Das mag zunächst klug gewesen sein, könnte sich nun aber ändern. Anfangs sind die Ko-Fazilitator:innen sicherlich eher neutrale Zuhörer:innen, um Positionen zu sammeln und zu ordnen. Aber je länger die Verhandlungen dauern, desto aktiver wird ihre Rolle. Um erfolgreich gestalten zu können, ist die weitsichtige Unterstützung durch das »Team Deutschland« notwendig. Wenig hilfreich sind Maximalforderungen, lange Wunschzettel oder strikte finanzielle Vorbehalte. Stattdessen sollte die Bundesregierung die tieferen Einsichten in die Verhandlungsdynamiken, die mit der Rolle in New York einhergehen, strategisch nutzen, um sich mittels der EU-Koordinierung in Brüssel und in möglichst vielen weiteren Foren für aussichtsreiche Vorschläge und konstruktive Kompromisse einzusetzen. Der namibische Botschafter wird hierzu in der G77 die schwierigere Aufgabe haben.
Warum der Pakt sonst noch politisch wichtig ist
Der Gipfel im September 2024 bietet die Chance, vor einer möglichen zweiten Trump-Administration ein Zeichen für den Multilateralismus zu setzen. Der Artikel des ehemaligen US-Sicherheitsberaters John Bolton Anfang März im Wall Street Journal befeuert Ängste, was auf die UN zukommen könnte, sollte Trump zum Präsidenten gewählt werden. Bolton postuliert, die Trump-Administration solle grundsätzlich nur noch freiwillige Beiträge zum UN-Haushalt zahlen, aus einigen Institutionen komplett aussteigen und statt multilateraler nur noch bilaterale Entwicklungsprogramme finanzieren, die im US-Interesse seien. Das würde das Gegenteil dessen bewirken, was der Zukunftsgipfel erreichen möchte: gestärktes Vertrauen in den Multilateralismus durch mehr Beteiligung und solidarische Lösungen für globale Probleme.
Der Zukunftsgipfel ist auch ein Kristallisationspunkt: Im Vorbereitungsprozess zeigt sich mehr und mehr, wer für welche internationale Ordnung steht. Das könnte helfen zu identifizieren, wer Interesse haben könnte, im Falle eines Falles die »Allianz für den Multilateralismus« wiederzubeleben. Als Anker dafür könnte der geplante Nachfolgeprozess zum Zukunftspakt dienen.
Im September 2025 werden die UN ihr 80-jähriges Bestehen zelebrieren. In der Erklärung zum 75. Jahrestag hatten die Mitgliedstaaten den Generalsekretär beauftragt, Vorschläge zu unterbreiten, wie ihre »gemeinsame Agenda« vorangebracht werden kann. Der Zukunftsgipfel soll dafür ein Meilenstein sein. Wenn die Mitgliedstaaten an ihrer gemeinsamen Agenda festhalten wollen, sollten sie im Pakt zumindest einige zukunftsweisende Fortschritte ausweisen. Sonst könnte es 2025 wenig zu feiern geben.
Dr. Marianne Beisheim ist Wissenschaftlerin in der SWP-Forschungsgruppe Globale Fragen.
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DOI: 10.18449/2024A20