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Auf dem Weg zum Zukunftspakt der Vereinten Nationen

Bislang eher zwischenstaatlicher Minimalkonsens statt visionäres Reformpaket

SWP-Aktuell 2024/A 20, 28.03.2024, 8 Seiten

doi:10.18449/2024A20

Forschungsgebiete

Am 26. Januar haben die beiden Ko-Fazilitator:innen für den Zukunftsgipfel der Vereinten Nationen (UN) im September 2024 den Erstentwurf für das Abschlussdoku­ment vorgelegt, den »Pakt für die Zukunft«. Nach umfangreichen Konsultationen verhandeln die Mit­glied­staaten nun diesen sogenannten Zero Draft. Dass der Pakt im Konsens verabschie­det werden soll, hatten die Staaten bereits 2022 vereinbart. Das begrenzt die Chancen, über einen dünnen und vagen Minimalkonsens hinauszukommen. Was steht im Entwurf? Kann es gelingen, beim »Summit of the Future« im September einen Pakt zu schließen, der eine Vision mit kon­kreten Reformvorhaben verbindet, um alte und neue Herausforderungen effektiver multilateral zu bearbeiten?

Die Stimmung in New York ist angespannt. Nicht der Zukunftspakt, sondern die Lage in Gaza dominiert die Diskussionen in fast allen Gremien. Die unterschiedliche Wahr­nehmung des Konflikts verdeutlicht erneut die Uneinigkeit und das verbreitete Miss­trauen in der »Staatengemeinschaft«. Groß ist die Ungeduld vieler Länder des globalen Südens, heftiger denn je sind die Vorwürfe zu Doppelstandards und nicht eingehaltenen Versprechen. Gepaart mit der Über­forderung vor allem kleinerer UN-Vertre­tun­gen, die sich kaum imstande sehen, den komplexen Prozessen hin zum Gipfel zu folgen, ist das keine gute Ausgangslage für die Verhandlungen. Ko-moderiert werden diese von den UN-Botschafter:innen Deutschlands und Nami­bias, Antje Leen­dertse und Neville M. Gertze.

Konflikte und Konsens

Von Anfang an waren die Debatten zum Zukunftsgipfel konfliktreich. Als es 2023 um den inhaltlichen Zuschnitt (»Scope«) des Gipfels und des Paktes ging, konn­ten sich die Mitgliedstaaten gerade mal auf die Über­schriften der fünf Kapitel des Pak­tes einigen, aber nicht darauf, welche »Elemen­te« unter diesen verhandelt werden sollten. Trotz positiver Worte beim vorbereitenden Mini­ster:innen-Treffen im September 2023 sind die Span­nungen seither eher gewachsen.

Aus der Group of Friends in Defense of the Charter, die mehrheitlich aus autoritären Staaten besteht, speist sich eine Gruppe Gleichgesinnter (die sogenannte Like-minded Group, LMG). Sie hat in wechselnder Zusammensetzung während der bisheri­gen Verhandlungen sehr konservative, wenn nicht revisionistische Positionen ein­genommen. Die LMG wird von Pakis­tan angeführt und von Bolivien, Iran, Kuba, Nordkorea, der Russischen Föde­ration, Sim­babwe, Syrien, Venezuela und einigen anderen unterstützt, oft von China, seltener auch von Ägypten, Indonesien, Nigeria oder Saudi-Arabien. Generell verstehen die Mit­glieder die UN als rein zwischenstaatliche Organisation souve­räner Staaten. Daher positioniert sich die LMG in den Verhandlungen gegen eine Stär­kung des UN-Sekre­tariats oder eine weitergehende Beteiligung nichtstaatlicher Akteure. Unilaterale Sank­tionen sind das wichtigste gemeinsam ver­tretene Thema. Diese, so argumentieren die betrof­fenen Staaten, behinderten die Umset­zung der Ziele nachhaltiger Entwicklung (SDGs) und müssten daher verurteilt werden.

Sowohl die LMG als auch die Gruppe der 77 (G77) bestanden darauf, den Zero Draft Absatz für Absatz (»para by para«) in geschlossenen informellen Vorverhand­lungen (»closed informals«) zu diskutieren. Einerseits kann man das positiv sehen: Es rückt die Anliegen der Mitgliedstaaten in den Vorder­grund und wirkt als vertrauensbildende Maßnahme. Andererseits können Blockierer durch lange Statements und das sogenannte Klammern strittiger Text­passagen die Verhandlungen in die Länge ziehen. Auch erhalten Zivilgesellschaft und Expert:innen kaum Informationen zu deren Verlauf, was eine empirisch fundierte Analyse und Beratung erschwert.

Konsens besteht, dass der Zukunftspakt dazu beitragen soll, das Vertrauen in den Multilateralismus zu stärken, vor allem auf Seiten des globalen Südens. Einig sind sich die Mitgliedstaaten auch, dass der Zukunftspakt helfen soll, die Beschlüsse des 2023er SDG-Gipfels zu opera­tionalisieren und so die Umsetzung der Ziele »wieder auf Kurs« zu bringen. Das Sekretariat formulierte es so: In der dort verabschiedeten Politischen Erklä­rung hätten die Mitgliedstaaten festgehalten, in welchen Bereichen sie vorangehen wollen (das Was). Beim Zu­kunftsgipfel sollten sie nun dar­legen, wie sie die multilateralen Kapazitäten dafür stärken wollen (das Wie). Dieser Leitgedanke wird von allen unterstützt. Der Zukunftspakt muss sich daran messen lassen.

Der Zero Draft

Der 20-seitige Erstentwurf des Paktes enthält 148 Absätze. Die Verhandlungsgruppen und Mitgliedstaaten haben erste schrift­liche Eingaben eingereicht, das kommentierte Dokument (»compilation document«) umfasst 242 Seiten. Auf dieser Basis wird nun verhandelt und soll dann ein revidierter Entwurf erarbeitet werden.

Chapeau

Die Ko-Fazilitator:innen möchten, dass im einleitenden Rahmentext (Chapeau) nicht nur die üblichen Textbausteine politischer Erklärungen enthalten sind, son­dern die wichtigsten Ergebnisse des Paktes in ver­ständlicher Sprache vorgestellt werden. Er soll daher zuletzt verhandelt werden.

Sinnvoll wäre ein Narrativ, das die Kapi­tel verbindet, eine Vision für den Multi­­lateralismus der Zukunft beinhaltet und erkennen lässt, welchen Mehrwert die beschlossenen Reformen und Initiativen hierfür haben. Um im Chapeau die Ergeb­nisse für die Presse aufzubereiten, sollten die journalistischen Stan­dardfragen beant­wortet werden: neben wie auch was, wer, wo, wann und warum.

Sehr zu begrüßen ist, dass die Beschlüsse des Paktes nach­gehalten werden sollen (»Follow-up«). Im Chapeau heißt es, die Mitgliedstaaten sollen – mit Stakeholdern – zum Ende der 80. Sit­zung der Generalversammlung (2025/26) überprüfen, wie es um die Verwirklichung der Beschlüsse steht. Das fiele ins 80. Jubiläums­jahr der UN und in die Amtszeit der deut­schen Präsi­dentschaft der Generalversammlung.

Kapitel 1: Nachhaltige Entwicklung und Entwicklungsfinanzierung

Im ersten Kapitel geht es darum, wie sich die beim SDG-Gipfel 2023 beschlossene beschleunigte Umsetzung der SDGs voran­bringen lässt. Daher wer­den im Zero Draft des Zukunftspaktes viele Verpflichtungen aus der Politischen Erklärung aufgegriffen. Neben der 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung werden weitere Abkommen und Doku­mente zitiert und bestätigt. All dies vermittelt jedoch eher den Eindruck einer erneuten Verpflichtung auf dieselben Inhalte (»re-commitment«). Manche Beob­achter sehen das in diesen schwierigen Zeiten bereits als Errungenschaft. Allerdings ist es nicht der große Schritt nach vorne, wie es die Ankündigungen zum Zukunftsgipfel nahelegen.

Neu ist, dass auf globale Umweltprobleme eingegangen wird: Klima­wandel, Biodiversitätsverlust, Ver­schmutzung und Ausbreitung der Wüsten. Diese Themen fehlten bislang in den Bera­tungen zum Zukunftspakt. Jedoch kritisier­te die G77 diesen Fokus sogleich als unaus­gewogen.

Konkretere Ausführungen folgen nur für das Klimathema. Auch hier geht der Zero Draft nicht über die bisherigen Beschlüsse hinaus. Weder werden operative Fragen geklärt noch zumindest als klärungsbedürftig herausgestellt zum Bei­spiel, wer sich an Finanzierung beteiligen soll und wer davon profitieren darf.

Dasselbe gilt für den vom Generalsekretär vorgeschlagenen SDG-Stimulus, eine Reihe von Maßnahmen, die jährlich minde­stens 500 Milliarden US-Dollar für nach­haltige Entwicklung mobilisieren sollen. Die Initiative wird begrüßt, aber bislang auch nicht mehr. Stattdessen wird auf die 2025 anstehende vierte Internationale Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung (FfD) verwiesen. Die Forderung nach einem deutlichen Mittelaufwuchs ist indes für die Regierungen des globalen Südens entscheidend. Entsprechende Kritik am Text­entwurf kam dann auch von Seiten der G77.

Am Ende des ersten Kapitels wird ein besonders umstrittenes Thema behandelt, welches im Vorfeld des 2023er SDG-Gipfels beinahe den ausgehandelten Konsens zur Politischen Erklärung gesprengt hätte: die unilateralen Sank­tionen. Im Zero Draft wird der Textbaustein übernommen, der 2015 in der 2030-Agenda im Konsens ver­abschiedet wurde. Ob dies noch immer als Kompromiss durchgeht, wird sich zeigen.

Kapitel 2: Internationaler Frieden und Sicherheit

Das zweite Kapitel greift die von UN-General­sekretär Guterres vorgeschlagene New Agenda for Peace auf, mit Ideen, wie sich klassische und neue Sicherheitsrisiken effek­tiver bearbeiten lassen. Im Zero Draft werden diese Empfehlungen pau­schal be­grüßt. Ein zentrales Anliegen des Generalsekretärs war, Prävention zu verbessern. Hierzu könnte Einigkeit erreicht werden. Jenseits dessen halten Experten es derzeit für schwer vorstellbar, sub­stan­tielle Kon­sense zu Reformen im Bereich Sicherheit und Frieden zu erzielen. Dissens besteht insbesondere bei Abrüstungsthemen.

Weitere Themen werden benannt, etwa »Frauen, Frieden und Sicher­heit«, jedoch nicht operativ konkretisiert. Im Bereich Friedensoperationen wird der vernetzte Ansatz betont. Afrikanische Staa­ten begrüßen die Ausführungen zu Kapazi­tätsaufbau und Bezüge zu Entwicklungsthemen, ebenso Pläne, regionale Frie­dens­missionen mit UN-Mitteln zu finanzieren. Innovativ sind die Überlegungen, im Rah­men der UN künftige Herausforderungen im Sicherheitsbereich stärker zu bearbeiten: Missbrauch von Biotechnologien und künstlicher Intelligenz, autonome Waffensysteme, Rüstungs­wettlauf im All sowie Desinformation im Inter­net. Es wäre mög­lich, dass hier Prozesse zumindest angeschoben werden.

Kapitel 3: Wissenschaft, Technologie, Innovation und digitale Kooperation

Im dritten Kapitel des Paktes stehen die positiven Seiten technologischer Entwicklungen im Vordergrund. Die Themen »Science, Technology and Innovation« (STI) und vor allem Technologietransfers sind den Entwicklungs- und Schwellenländern sehr wichtig. Bislang geht der Zero Draft nicht über bestehende Verpflichtungen hinaus. Das ist nicht hilfreich. Beispiels­weise werden strukturelle Probleme beim jähr­lichen Multi-stakeholder Forum on Science, Technology and Innovation for the SDGs (STI-Forum, eine Hauptkomponente des in der 2030-Agenda vereinbarten Tech­nology Facilitation Mechanism) thematisiert, aber nicht gelöst. Ähnlich werden im Zero Draft Technologietransfers begrüßt und Probleme der Rechte an geistigem Eigentum benannt, aber keine Ideen prä­sentiert, wie sich diese Schwierigkeiten meistern lassen. Die G77 kommentierte, dass hier Lösungen erwartet werden.

Dass es zusätzlicher Finanzierung bedarf, um Ungleichheiten zu über­winden und Zugänge zu schaffen, wird zwar anerkannt (»we recognize the need«), aber ohne dass neue Verpflichtungen ein­gegangen würden. Das wird nicht reichen, um das Vertrauen der Länder des globalen Südens zu stärken. Auch für bessere Schnittstellen zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft (Science-Policy-Society Interfaces), die im Pakt für die UN gefordert werden, gibt es bisher keine Finanzierungszusagen.

Hohe Erwartungen haben viele an den Global Digital Compact, der parallel verhandelt wird und dem Pakt als Annex hinzu­gefügt werden soll. Hier wird es in erster Linie darum gehen, neben grundlegenden Prin­zipien eine Rolle für die UN in der Gover­nance von Digitalfragen zu definieren. Die Botschafter:innen Schwedens und Sambias, die die Verhandlungen leiten, haben mit­geteilt, dass der Zero Draft Ende März in Umlauf gebracht wird und die Verhandlungen am 5. April beginnen.

Kapitel 4: Jugend und zukünftige Generationen

Zum Thema Jugendbeteiligung einigte man sich bereits auf einige Reformen. So soll die UN-Jugenddelegierte mittels eines UN-Jugendbüros unterstützt werden. Die LMG äußerte jedoch Bedenken, der globale Norden wolle das Thema Jugend­beteiligung instrumentalisieren, um seine Agenda zu Gender- und Umweltthemen zu befördern. Themen des globalen Südens, wie Jugendarbeitslosigkeit und -armut, kämen zu kurz.

Im Zero Draft wird auf alle Aspekte eingegangen. Erfreulich konkret wird der Generalsekretär aufgefordert, die Entwicklung eines Standards für die Jugend­beteili­gung in allen UN-Prozessen anzustoßen und eine »investment platform« zu etablieren, um Mittel zu mobilisieren. Die LMG möchte diese Passagen abschwächen.

Eine Erklärung zu zukünftigen Generationen wird in einem parallelen zwischenstaat­lichen Prozess verhandelt und dann dem Pakt angefügt. Am 8. April wollen die Botschafter:innen der Niederlande und Jamai­kas einen Zero Draft vorlegen. Danach begin­nen die Textverhandlungen.

Kapitel 5: Global Governance transformieren

Im fünften Kapitel werden die institutionellen Reformen behandelt. Im ersten Absatz wird die Vision eines multilateralen Systems voran­gestellt, welches kompetenter und effek­tiver liefert sowie gerechter und reprä­sentativer verfasst ist. Zudem soll es inklu­si­ver und vernetzter arbeiten, um existierende Kapazitäten des Regierens bestmöglich zu nutzen und Fragmentierung zu über­winden. Diese Passagen folgen dem »Our Common Agenda«-Bericht des UN-General­sekretärs.

Einige Mitgliedstaaten haben darauf bestanden, Reformen der UN-Hauptorgane zu behandeln. Die Absätze zur Revitalisierung der Generalversammlung (UNGA) und Stär­kung des Wirtschafts- und Sozialrates (ECOSOC) greifen aktuelle Reformthemen auf. Dazu zählen etwa die Sitzungen der UNGA nach dem Veto im Sicherheitsrat, ihre Rolle bei der Wahl eines UN-Gene­ral­sekretärs oder einer UN-General­sekretärin, verbesserte Foresight-Akti­vitäten beim ECOSOC oder die Arbeit des NGO-Komitees. Bislang fehlen innovative Ideen zu UNGA-Formaten, die das gegenseitige Verständnis und die Ver­trau­ensbildung stärken. Sinn­voll wäre es, die Ergebnisse der Verhandlungen zum Review des ECOSOC und des Hochrangigen Politi­schen Forums für Nachhaltige Entwicklung (HLPF) zu berück­sichtigen, die aktuell von Guinea und Lettland angeführt werden. Ausstehende Beschlüsse zur Reform der Arbeitsmethoden des NGO-Komitees beim ECOSOC sollten ebenfalls im Pakt bekräftigt werden. Letz­teres ist auch wichtig, da der Generalsekretär mit seinem Vorschlag, nichtstaatliche Akteure mehr in die Arbeit der UN einzu­beziehen, auf Misstrauen gestoßen ist, sowohl bei einigen Staaten als auch zivil­gesellschaftlichen Akteuren. Es könnte geklärt werden, wer mit der oft genutz­ten Formel »relevant stakeholders« gemeint ist und wie die UN mit diesen Akteuren zu­künftig kooperieren möchte. Dafür könnte man auf Erfahrungen mit UN-Rahmen­werken zum Umgang mit nichtstaatlichen Akteuren aufbauen, etwa die Regularien bei der Weltgesundheitsorganisation oder beim Welt­ernährungsausschuss der Ernäh­rungs- und Landwirtschaftsorganisation.

Zur Reform des Sicherheitsrates enthält der Textentwurf bislang keine Vorschläge. Bis Juni wollen die Botschafter Öster­reichs und Kuwaits ein Papier erarbeiten, in dem sie die Ergebnisse der Gespräche zu den ver­schiedenen Reformvorschlägen vorstellen, die zurzeit im Rahmen des infor­mellen Plenums der Generalversammlung (IGN) geführt werden. Spannend wird sein, ob dieses Papier ein Konsenspapier sein kann oder ein Chairs-Paper bleiben muss.

Ausführlich wird die Kommission für Friedenskonsolidierung behandelt. Ähnlich wie im zweiten Kapitel werden auch hier der Nexus zu Entwicklung und humanitärer Hilfe, Bezüge zu den Menschenrechten, die Bedeutung von Prävention und Resi­lienz, die Rolle verschiedener Stakeholder außerhalb der UN und besonders die Zusammenarbeit mit regionalen Organisationen in den Vordergrund gestellt. Auf­bauend auf den Bericht des von Guterres berufenen hochrangigen Beratergremiums (High-level Advisory Board on Effective Multilateralism, HLAB) hatten Mitglieder der United Nations University zuletzt Empfehlungen auf den Tisch gelegt, wie diese Anliegen umgesetzt werden könnten.

Ein konkreter Vorschlag des General­sekretärs war die Einrichtung einer Notfall­plattform zur raschen Reaktion auf kom­plexe globale Krisen. Nach ersten kritischen Rückmeldungen der LMG und eini­ger Hauptbeitragszahler stellte Guterres klar, es gehe hier nicht um neue Bürokratie, son­dern um wirksames und vernetztes Handeln der UN unter Mit­arbeit relevanter Stakeholder. Dies solle durch eine Reihe von Abkommen und Protokollen erreicht werden. Im Zero Draft wird dies aufgegriffen und betont, dass dabei weder die Souveränität von Staaten gefährdet noch Dopplungen zu anderen mandatierten UN-Krisen­mechanismen (samt damit verbundenen Kosten) ver­ur­sacht werden dürften. Es ist noch offen, ob dieser Versuch trägt, einer­seits die Beden­ken zu entkräften und andererseits ein solides Mandat zu erteilen.

Für den globalen Süden ist in diesem Kapitel zuvorderst die Reform der inter­natio­nalen Finanzarchitektur von großer Bedeutung. Übergreifend wird der Anspruch formuliert, dass die UN in globalen ökono­mischen Fragen eine größere Rolle spielen und insgesamt die Stimme und Teilhabe des globalen Südens gestärkt werden soll. Dazu wird an den Vorschlag des Generalsekretärs angeknüpft, alle zwei Jahre einen gemeinsamen Gipfel (Biennial Summit) zu veranstalten, an dem die Staats- und Regie­rungschef:innen der G20 teil­nehmen, die Mitgliedstaaten des ECOSOC, der Generalsekretär und die Spit­zen der Internationalen Finanzinstitutionen (IFIs, also die Welt­bankgruppe, der Internationale Währungsfonds und regio­nale Entwicklungsbanken). Dieser Vorschlag stieß auf großes Interesse aber auch auf Vorbehalte, etwa seitens der LMG und einiger NGOs.

Die IFIs werden nicht nur aufgefordert, die Repräsentation von Entwicklungs­ländern in ihren Strukturen zu verstärken, sondern auch ihre Arbeit an den SDGs auszurichten und darüber zu berichten. Zugleich wird im Text auf die Zuständigkeit der Entscheidungsgremien der IFIs verwie­sen, die respektiert werden müsse. Derartige Spannungsverhältnisse zwischen Textteilen sind typisch für UN-Kom­promisse.

Weitere Reformthemen sind aufgelistet, wie ein neues Schulden- und Steuerregime oder die Sonderziehungsrechte des IWF. Der Text weist aber wenig konkrete Impulse auf. Dabei haben für den Finanzbereich viele NGOs, Beiräte und Think-Tanks Reform­vorschläge eingebracht.

Die Idee, einen neuen Standard für die Wohlstandsmessung (Beyond GDP) zu er­arbei­ten, hatte im Vorfeld breite Zustimmung erfahren. Das spiegelt sich im Zero Draft wider, doch überraschenderweise ent­hält dieser kein Mandat für die UN, hierzu einen Prozess zu starten.

Als weiteres Zukunftsthema sollen globa­le Regeln für eine friedliche, sichere und nachhaltige Nutzung von Outer Space auf den Weg gebracht werden. Doch wird nicht klar, wie die Arbeit des Ausschusses für die friedliche Nutzung des Weltraums (COPUOS) künftig relevanter wer­den könnte.

Insgesamt wird also eine Vielzahl insti­tutioneller Anliegen aufgeführt, die in den vorgeschalteten Kon­sultationen breite Unterstützung erfahren haben, zu denen aber nicht un­bedingt Konsens be­steht. Daher sind die Formulierungen oft weder konkret noch ambitioniert. Positiv ist, dass im Text Menschenrechte, Frauen- und Gender­themen immer wieder ange­sprochen werden. Jenseits diffuser Absichts­erklä­run­gen, existierende Institutionen stärken zu wollen, werden jedoch keine konkreten Reformen benannt.

Der Weg zum Zukunftspakt

Insgesamt bietet der Zero Draft noch keine ausreichenden Antworten auf die »Wie«-Frage. Der Text bleibt an vielen Stellen abstrakt, es fehlen neue Verpflichtungen. Bei der öffentlichen Vorstellung des Zero Draft am 29. Januar betonte die deutsche UN-Botschafterin, der Entwurf sei bewusst sehr ausgewogen formuliert. Die Mitgliedstaaten seien nun eingeladen, konkrete Vorschläge in die Textverhandlungen ein­zubringen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass es oft schwieriger ist, etwas in Texte hinein- als aus ihnen herauszuverhandeln. Und so geschah das bislang auch kaum, obwohl viele Mitgliedstaaten in ihren ersten Rück­meldungen selbst einen »more action­able pact« gefordert hatten. Zu befürchten ist, dass sie weiter um Formulierungen ringen werden, statt kon­krete Reformbeschlüsse im Pakt zu ver­ankern. Dabei liegen Vor­schläge auf dem Tisch, die sie aufgreifen könnten. Auch Parallelprozesse sollen Ergebnisse liefern, beispielsweise das Früh­jahrstreffen der Weltbank Mitte April.

Allianzbildung für den Pakt

Eine der wichtigsten Aufgaben der beiden Ko-Fazilitator:innen wird sein, zu einem passenden Zeitpunkt das Ruder beziehungs­weise den Stift in die Hand zu nehmen. Jenseits der üblichen Revisionen sollten sie sich auf eine kritische Situa­tion vorbereiten, in der die Verhandlungen zu stark ausufern oder eine Blocka­de droht. Recht­zeitig vor der Sommerpause könnten sie einen gekürzten Schlussentwurf (final draft) vorlegen, der von einer breiten Mehr­heit vor allem aus dem globalen Süden getragen wird. In einem solchen finalen Entwurf sollte ein positives Reformnarrativ präsen­tiert und mit Beschlüssen zu (weit­gehend) konsensu­alen Reformvorhaben unter­mauert werden. Dies sollte kurz- und mittel­fristig umsetz­bare Maßnahmen ebenso um­fassen wie längerfristige Reform­prozesse. Mit der öffentlichen Präsen­tation und Dis­kussion eines solchen Ent­wurfs, der größt­mögliche Unterstützung genießt, könn­te sozialer Druck auf die blockierenden Staaten aus­geübt werden. Zumindest würde dann sichtbar, wer im Wege steht. Weiter­gehen­de Reformvorschläge, die keinen Kon­sens, aber breite Unterstützung fanden, könnten in einem informellen Papier der Ko-Fazilita­tor:innen gelistet werden, um Ansatz­punkte für die Arbeit nach dem Gipfel fest­zuhalten.

Der Botschafter Singapurs, Burhan Gafoor, rief zu Kooperation und Kompromissen auf und mahnte, ein »all-or-nothing approach« sei nicht hilfreich. Singapur leitet eine neu für diesen Prozess gegründete Small States Group mit 55 Mitgliedstaaten aus mehreren Regionen. Kleine Staaten könnten eine wichtige Rolle in den weite­ren Verhandlungen spielen, denn sie legen besonderen Wert auf in­klusive und effek­ti­ve multilaterale Insti­tutionen, in denen sie eine Stimme haben. Je mehr die Fragmentie­rung des inter­nationalen Regierens zunimmt, desto wichtiger wird es, in Gestalt der UN einen Ort für die Kommunikation aller mit allen zu haben. Allen voran kleine Staaten haben ein Interesse daran und wollen zumindest darüber reden kön­nen, was in anderen, plurilateralen Foren (etwa G7, OECD, G20 oder BRICS+) beschlossen wird. Der Zu­kunfts­pakt könnte das Votum enthalten, dass plurilaterale Kooperation an multi­lateral vereinbarten Zielen orientiert sein sollte und dass Gruppen sich kontinuierlich in UN-Prozesse einbringen sowie möglichst inklusiv und offen gestaltet sein sollten.

Dazu passend erklärte Mitte März der brasilianische G20-Sherpa im Rahmen eines Briefings der Generalversammlung, dass Brasilien im Zuge seiner G20-Präsident­schaft einen Bei­trag zum Thema »global governance reform« erarbeiten wolle. Als ersten Schritt plane Brasi­lien am 26. Sep­tember, also in der Eröffnungswoche der Generalversammlung, ein Treffen der Außenminister:innen der G20 in den Räu­men der UN, um diese Fragen mit allen interessierten Mitgliedstaaten zu diskutieren. Das wäre ein Novum. Und es würde den Vorschlag einiger Mitgliedstaaten stützen, den Biennial Summit in der UNGA anzusiedeln (statt beim ECOSOC mit nur 54 Mitgliedstaaten).

Es gilt jetzt also, die an einem gehalt­vollen Zukunftspakt interessierten Staaten zu mobilisieren und jene aus dem globalen Süden auch so zu unterstützen, dass sie ihre Reformanliegen stark machen können, sowohl direkt in den Textverhandlungen als auch in ihren Ver­handlungsgruppen.

Zivilgesellschaft als Partner

Bereits in ihrem Ernennungsbrief wur­den die Ko-Fazilitator:innen auf­gefordert, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und weitere Stakeholder in den Vorbereitungsprozess einzubeziehen. Allerdings erwies sich das wegen Vorbehalten einiger Staaten als schwierig. Es gab mehrere virtuelle Kon­sulta­tionsrunden mit den beiden Ko-Fazi­lita­tor:innen und auch die Möglichkeit, schriftliche Eingaben einzureichen. Da die zwischenstaatlichen Verhandlungen aber als geschlossene Informals durchgeführt werden, sind Stellungnahmen zivilgesellschaftlicher Vertreter:innen nur in diesen separaten Anhörungen möglich. Das er­zeugte Unmut und hatte ein entsprechendes Schrei­ben der Initiative UNMute Civil Society an die Ko-Fazilitator:innen, das UN-Sekretariat und die Mitgliedstaaten zur Folge, welches von mehr als 350 NGOs unter­stützt wurde. In ihrem Antwortschreiben erläutern die Ko-Fazilitator:in­nen, warum die meisten der weit­gehenden Forderungen nicht erfüllt werden können, dass es aber weite­re Gelegenheiten für Beteiligung geben werde.

So wird am 9. und 10. Mai in Nairobi eine Konferenz für interessierte nichtstaatliche Akteure stattfinden. Hatten viele zivilgesellschaftliche Gruppen anfangs weit­reichende Reformideen vertreten, sorgte der Zero Draft für eine unsanfte Landung auf dem Boden der Tatsachen. Aktuell arbeiten sie an einem eigenen Text, dem »Peoples Pact«, der in Nairobi verabschiedet werden soll. Sinnvoll wäre, wenn die Beteiligten den (dann gege­benenfalls bereits revidierten) Draft des Zukunftspaktes zum Aus­gangspunkt ihrer Arbeit in Nairobi machten und möglichst gezielt Verbesserungen im Text forderten. Die Ko-Fazilitator:innen haben zugesichert zu ermöglichen, die erarbeiteten Vorschläge den Mit­gliedstaaten vorzustellen.

Für den 20. und 21. September, unmittel­bar vor dem Zukunftsgipfel, plant die UN zwei »Action Days« in ihrem Hauptquartier. Das könnte nicht nur eine letzte Gelegenheit zur Mobilisierung sein, sondern auch der Anfang einer zivilgesellschaftlichen Beglei­tung der Umsetzung des Zukunftspaktes. Die beiden gewählten Co-Chairs der Nairobi-Konferenz haben dazu aufgerufen, »Multi-stakeholder ImPACT Coalitions« zu bilden, die die Arbeit auch nach dem Gipfel vorantreiben und nachhalten sollen.

Unterstützung in und durch Deutschland

Deutschland wird 2025 die Präsidentschaft der Generalversammlung übernehmen und sich 2026 um einen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat bewerben – zwei gute Gründe, dem Zukunftsgipfel Aufmerksamkeit zu widmen. In der deutschen Öffentlichkeit ist dieser noch kaum bekannt. Ende Januar fand im Bundestag eine Anhö­rung zur Stärkung der Vereinten Nationen statt, war aber nicht auf den Zukunftsgipfel aus­gerichtet. Dabei wäre es sinnvoll, wenn im Parlament Vorschläge ausgearbeitet und diskutiert würden, warum und wie Deutsch­land die Vereinten Nationen stärken möchte. Der Haushaltsausschuss sollte hierbei ein­bezogen werden, damit die finanzielle Seite gleich verlässlich mitgedacht wird.

Vertreter:innen der Bundesregierung führen die Rolle der deutschen Ständigen Vertreterin als Ko-Verhandlungsführerin als einen Grund an, zurückhaltend agieren zu wollen. Das mag zunächst klug gewesen sein, könnte sich nun aber ändern. Anfangs sind die Ko-Fazilitator:innen sicherlich eher neutrale Zuhörer:innen, um Positionen zu sammeln und zu ordnen. Aber je länger die Verhandlungen dauern, desto aktiver wird ihre Rolle. Um erfolg­reich gestalten zu können, ist die weit­sichtige Unterstützung durch das »Team Deutschland« notwendig. Wenig hilfreich sind Maximalforderungen, lange Wunschzettel oder strikte finanzielle Vorbehalte. Stattdessen sollte die Bundes­regierung die tieferen Einsichten in die Verhandlungs­dynamiken, die mit der Rolle in New York einhergehen, strategisch nutzen, um sich mittels der EU-Koordinie­rung in Brüssel und in möglichst vielen weite­ren Foren für aussichtsreiche Vor­schläge und konstruktive Kompromisse einzusetzen. Der namibische Botschafter wird hier­zu in der G77 die schwierigere Aufgabe haben.

Warum der Pakt sonst noch politisch wichtig ist

Der Gipfel im September 2024 bietet die Chance, vor einer möglichen zweiten Trump-Administration ein Zeichen für den Multilateralismus zu setzen. Der Artikel des ehemaligen US-Sicherheitsberaters John Bolton Anfang März im Wall Street Journal befeuert Ängste, was auf die UN zukommen könnte, sollte Trump zum Präsidenten ge­wählt werden. Bolton postuliert, die Trump-Administration solle grund­sätzlich nur noch freiwillige Beiträge zum UN-Haushalt zahlen, aus einigen Insti­tutionen komplett aussteigen und statt multilateraler nur noch bilaterale Entwicklungsprogramme finanzieren, die im US-Interesse seien. Das würde das Gegenteil dessen bewirken, was der Zukunftsgipfel erreichen möchte: gestärktes Vertrauen in den Multilateralismus durch mehr Beteiligung und solidarische Lösungen für globale Probleme.

Der Zukunftsgipfel ist auch ein Kristallisationspunkt: Im Vorbereitungsprozess zeigt sich mehr und mehr, wer für welche internationale Ordnung steht. Das könnte helfen zu identifizieren, wer Interesse haben könnte, im Falle eines Fal­les die »Allianz für den Multilateralismus« wieder­zubeleben. Als Anker dafür könnte der geplante Nachfolgeprozess zum Zukunftspakt dienen.

Im September 2025 werden die UN ihr 80-jähriges Bestehen zelebrieren. In der Erklärung zum 75. Jahrestag hatten die Mitgliedstaaten den Generalsekretär beauftragt, Vorschläge zu unterbreiten, wie ihre »gemeinsame Agenda« vorangebracht werden kann. Der Zukunftsgipfel soll dafür ein Meilenstein sein. Wenn die Mitgliedstaaten an ihrer gemeinsamen Agenda fest­halten wollen, sollten sie im Pakt zumindest einige zukunftsweisende Fortschritte ausweisen. Sonst könnte es 2025 wenig zu feiern geben.

Dr. Marianne Beisheim ist Wissenschaftlerin in der SWP-Forschungsgruppe Globale Fragen.

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