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Wasserstoff aus Oman für Deutschland und die EU

Nicht nur aus energiepolitischer Perspektive sinnvoll

SWP-Aktuell 2023/A 18, 09.03.2023, 8 Pages

doi:10.18449/2023A18

Research Areas

Deutschland und die EU möchten künftig Wasserstoff und dessen Derivate aus den arabischen Golf­staaten importieren. Zwar hat Deutschland dafür eine gemeinsame Absichts­erklä­rung mit dem Sultanat Oman unterzeichnet, konzentriert seine Anstrengungen aber in erster Linie auf dessen grö­ßere Nachbarstaaten. Oman hintanzustellen wäre jedoch ein energiepolitischer, geostrategischer und klimaaußenpoli­tischer Fehler. Nicht nur können Omans ambitionierte Wasserstoffpläne für bezahl­bare saubere Energie sorgen. Darüber hinaus entsprechen vertiefte (Handels-)Bezie­hun­gen mit dem Sultanat dem Ansatz einer werteorientierten Handelspolitik, fördern den internationalen Klimaschutz und tragen zur Stabi­lisierung der Machtverhältnisse im Golf bei. Damit beugen sie gefähr­lichen Konflikten vor.

Die arabischen Golfstaaten – Saudi-Ara­bien, Kuwait, Bahrain, Katar, die Vereinigten Ara­bischen Emirate (VAE) und Oman – sind 2022 ins Blickfeld deutscher und europäischer Energiepolitik getreten. Nebst kurz­fristig dringend benötigtem Flüssiggas soll Wasserstoff zur langfristigen Dekarbonisierung von Industrie und Luftfahrt ak­quiriert werden. Hervorragende Bedingungen für Wasserstoff aus erneuerbaren Energien platzieren die Golfstaaten am unteren Ende der globalen Kostenkurve. Jenseits der Kosten geht es für Deutschland und die EU um langfristige Importdiversifikation, aber auch den Imperativ eines raschen Hoch­fahrens des Wasserstoffsektors. Finanzierungskapazitäten, bestehende (Export-)Infra­­struktur, kurze Bauzeiten und führendes Knowhow erlauben es den Golf­staaten, Pilot­projekte zügig und verläss­lich um­zusetzen und rasch den Handel mit Europa aufzunehmen.

Die Golfstaaten haben dementsprechend ehrgeizige Wasserstoffpläne vorgelegt und suchen nach Tech­nologie-, Investitions- und Handelspartnern. Deutschland hat dazu Absichtserklärungen mit Saudi-Arabien, den VAE, Katar und Oman unterzeichnet. Allerdings führte keine der Golf-Reisen der Bundesregierung im Jahr 2022 nach Oman, und auch das En­gagement von Behörden und Unternehmen konzentriert sich auf die ersten drei Länder. Diese sind tendenziell in Europa stärker repräsentiert als Oman und außerdem vergleichsweise bedeuten­dere Öl- und Gasproduzenten.

Oman hintanzustellen wäre aber ein strategischer Fehler. Die Pläne des Sultanats sind überaus ernsthaft, auch weil es aus innenpolitischen Gründen dringend neue Wirt­schaftssektoren erschließen muss. Zudem sollten geostrategische und klima­außen­politische Überlegungen in die deut­schen Wasserstoffambitionen einfließen. Gleich­zeitig offenbart die Causa Oman exemplarisch, welche Schwächen im deut­schen Management des Sektors noch beseitigt werden müssen.

Omans Wasserstoffpolitik: Rahmen und Hintergrund

Omans Wasserstoffpolitik steht im Zusam­menhang mit allgemeinen Entwicklungszielen des Landes wie auch ökonomischen Herausforderungen und Klimaschutzbestre­bungen. Sie erhält ihren allgemeinen Rah­men durch die Vision 2040, eine über­geord­nete nachhaltige Entwicklungsagenda für den Zeitraum 2021–2040. Darin hat das Sultanat eine Reihe von Zielen defi­niert und festgelegt, wie deren Umsetzung harmonisiert und überwacht werden soll. Angestrebt wird unter anderem ökonomische Vorreiter­schaft und Diversifizierung. Zu diesem Zweck sollen vor allem komplementäre Schlüsselsektoren und Zukunftsindustrien identifiziert und gefördert wer­den. In diesem Kontext soll der Anteil nicht­fossiler Wirt­schaft von 61 auf 91,6% der Wirtschaftsleistung wachsen. Geplant ist auch, ihren An­teil am öffentlichen Budget auf 18% zu ver­doppeln. Um die oma­nische Wettbewerbs­fähigkeit zu erhöhen, soll außerdem die grüne Ökonomie und dabei besonders die erneuerbaren Energien aus­gebaut werden. Bis 2030 sollen sie 20% des Energiebedarfs decken, bis 2040 zwischen 35 und 39%.

Die Agenda wirkt für einen Golfstaat zunächst nicht ungewöhnlich, hat jedoch eine besondere Bewandtnis. 2020 verstarb Sultan Qaboos bin Said nach 50 Jahren im Amt. Befürchtungen einer politischen Destabilisierung bewahrheiteten sich indes nicht. Der neue Herrscher, Sultan Haitham bin Tariq, konnte seine Macht schnell kon­solidieren und setzt die Politik seines Vor­gängers über­wiegend fort. Er erbte jedoch öko­nomische und soziale Heraus­forde­rungen. 2021 führten Jugendarbeitslosigkeit und steigende Lebenshaltungskosten zu sonst seltenen Protesten. Die Demonstrierenden verlangten unter anderem, neue (staat­liche) Arbeits­plätze zu schaffen, jüngst ein­geführte Steu­ern zu streichen und zuvor abgebaute Sub­ventionen wiederherzustellen; bis heute sind die For­derungen nicht voll­ständig ver­stummt. Dem Ruf nach ex­pan­si­ver Fiskal­politik entgegen stehen je­doch für Ölexpor­teure ungewöhnlich hohe Staats­schulden von etwa 50% der Wirtschafts­leistung, welche ohne Einsparungen zu eska­lieren drohen. Die Verschuldung wuchs seit dem Ölpreiseinbruch 2014 stetig und hat sich infolge der Corona-Pandemie ver­vielfacht. Mit einem jährlichen Pro-Kopf-Ein­kommen von etwa 19.000 Euro ist Oman wohl­habend, wenn­gleich weniger als seine Nachbarstaaten. Auch der Staatsfonds ist mit etwa 39 Milli­arden Euro eher klein, sodass der Spielraum für richtungsweisende Investi­tionen ein­geschränkt ist.

Omans Wirtschafts- und Energieexport­strategie sieht daher vor, durch Hebeleffekte und Zukunftsförderung aktuelle Aus­gaben zu begrenzen und zugleich mittel­fristige Perspektiven zu schaffen. Erstens sorgen Teilprivatisierungen und Fremd­kapitalisierung für zusätzliche Liquidität und senken gegenwärtige Verbindlichkeiten, was den Staats­haushalt entlastet. So wurden beispielsweise im Jahr 2021 Kon­zessionen für die Ausbeutung wichtiger Ölfelder an staatliche, aber kreditfinanzierte Unternehmen ausgegliedert. Anteilige Veräußerungen weiterer öffentlicher (Ener­gie-)Unter­nehmen stehen an. Auch im Wasserstoff­bereich wird auf ausländisches Kapital ge­setzt. Dabei sieht Oman sich haupt­sächlich als Bereitsteller natürlicher Res­sourcen. Zweitens versucht das Sultanat, mit On­shoring, der Reservierung von Ar­beitsplätzen für Ein­heimische und geziel­ten Vor­stößen in Zukunftsschlüsseltechnologien die Arbeitslosigkeit langfristig abzubauen. Neben Rahmenstrategien wie der Vision 2040 sieht ein »In-Country Value«-Rahmen­werk vor, dass die omanische (Energie-)Wirtschaft einen substantiellen Beitrag zur sozio­ökonomischen Ent­wicklung des Sulta­nats demonstrieren muss. Auf dem Wasserstoff­sektor liegt viel Hoff­nung: Oman erwartet 70.000 neue Arbeits­plätze im Inland.

Arbeitsplätze durch Zukunftssektoren zu schaffen ist auch ein Kernpunkt der im November 2022 veröffentlichten Klima­neutralitätsstrategie des Landes. Diese sieht bis 2050 die vollständige Dekarbonisierung des Sultanats entlang eines pragmatischen, aber ehrgeizigen Transformationspfades vor. Die Wasserstoff­ökonomie bildet in zweierlei Hinsicht ein Kernelement der Stra­tegie. Zum einen soll sie die Dekarbonisierung von Industrie und Verkehr im Inland voran­treiben, zum anderen den Aufbau grüner Wirtschaft und grüner Arbeitsplätze beför­dern. Gemäß der Strategie sollen 55% der in der Transformation geschaffenen Arbeitsplätze und zwei Drittel des in ihr generierten Wirtschaftswachstums aus der Wasser­stoffökonomie stammen.

Die Anfänge der omanischen Wasserstoffwirtschaft

Im Oktober 2022 hat Oman die nationalen Wasserstoffpläne quantifiziert und ver­öffent­licht. Bis 2030 avisiert es die Produk­tion von 1 bis 1,25 Millionen Tonnen (Mt) Wasserstoff; bis 2040 und 2050 soll sich diese Zahl auf 3,5 bzw. 8 Mt erhöhen. Für den eher kleinen Golfstaat sind dies giganti­sche Pläne. Zum Vergleich: Das benachbarte, flächen- und bevölkerungs­mäßig etwa achtmal so große Saudi-Arabien will bis 2030 jährlich 4 Mt Wasserstoff pro­duzieren, die gesamte EU im selben Zeit­raum »nur« 10 Mt pro Jahr. Das Sulta­nat schätzt die für sein Vorhaben notwendigen Elektrolyseurkapazitäten und zusätzliche erneuer­bare Stromerzeugung auf 8–10 bzw. 16–20 Giga­watt (GW) bis 2030 und 100 bzw. 185 GW bis 2050. Einschließlich sämtlicher Infra­struktur beziffert das Energieministerium den Gesamtinvestitions­bedarf auf 132 Milliarden Euro.

Mögliche Produktionsregionen sind über das Land verteilt und mit den (Tiefwasser-) Häfen verknüpft (siehe Grafik). Duqm, Sala­lah und Sohar sind aus­gebaute Industrie­häfen und Sonderwirtschaftszonen, wäh­rend Sur die Flüssig­gasterminals des Sultanats behei­matet. Aktuell hat das oma­nische Energieministerium die Regionen um Sala­lah im Gouvernement Dhofar sowie Duqm und Al-Jazir im Gouvernement Al-Wusta ausgewählt. Diese weisen die besten Sonnen- und Windbedingungen auf und liegen in Küstennähe. Das ist vor­teilhaft, weil das für die Elektrolyse not­wendige Was­ser durch Meerwasserentsalzung ge­wonnen wird und keine teuren Transportpipelines zu den Häfen gebaut werden müssen. Salalah ist (ebenso wie Sohar) ein Bevölkerungs­zentrum, was den Sektoraufbau erleichtert.

Während diverse Staatskonzerne für die (getrennt vergebene) Wasserstoffinfrastruktur in Oman verantwortlich sind, sollen entsprechend Omans allgemeinem ökono­mischem Vorgehen private internationale Konsortien die Wasserstoffproduktion umsetzen. Dazu werden vom Königshaus bestimmte (Land-)Blöcke mit Produktionskonzessionen für einen Zeit­raum von 47 Jahren ausgeschrieben. In der aktuellen Phase A sind dies sechs Blöcke, aufgeteilt in zwei Runden: zunächst zwei Blöcke in Duqm (siehe Grafik), welche im April 2023 vergeben werden, und darauffolgend vier Blöcke in Dhofar, für welche das Gebots­verfahren im Mai 2023 beginnt.

Die Ausschreibungsbedingungen sollen sowohl inländische Entwicklung und Teil­habe als auch Fremd­kapitalisierung und Attraktivität für Investoren gewährleisten. Dabei werden gewisse Mindestgebote vor­gegeben: circa 0,04 Euro pro Qua­drat­meter für die Pacht des Bodens und 5% des produ­zierten Wasserstoffs als Sachleistung zu­sätzlich zu Gewinnabgaben. Auch muss der omanische Konzern OQ, vertreten durch seine Alter­native-Energien-Sparte, mit min­destens 20% am Eigenkapital des zu grün­denden Produktionsunternehmens beteiligt werden. Weiterhin besteht Unternehmenssteuerpflicht. Die Vergabe der Produktionsprojekte erfolgt vertikal integriert von der Strom- bis zur Wasserstoffderivaterzeugung. Elek­trizität soll mit einem kosteneffizienten und dynamisch erweiterbaren Solar-Wind-Mix produziert werden. Das Konsortium kann die Elektrolyseurtechnologie wie auch die Form des Derivats selbst bestimmen. Da­für aber sollten Bieter (möglichst ver­bind­li­che) Exportabnehmer (Offtaker) mit­bringen.

Grafik

Vereinfachtes Organigramm Wasserstoffsektor und Karte Omans

Die der Grafik zugrunde liegenden Quellen sind aufgelistet unter https://bit.ly/SWP23A18Links

Schon im Vorfeld hat Omans Energie­ministerium zahlreiche Absichtserklärungen unterzeichnet, sowohl mit potentiellen Importländern wie Deutschland, Bel­gi­en, Niederlande und Japan als auch mit stra­te­gischen Partnern wie dem Energiekonzern Shell. Jenseits des Ausschreibungsverfahrens haben bereits erste Kon­sortien Land­nutzungsvereinbarungen ge­schlossen. Das Hyport-Duqm-Projekt unter Leitung des belgischen Unternehmens DEME zum Bei­spiel arbeitet an der Herstel­lung grünen Ammo­niaks aus 1,3 GW Solar- und Wind­energie in der Duqm-Region. Regiona­le Koordina­tion und Kooperation findet bisher kaum statt. Allerdings bestehen Ab­sichts­erklärungen für saudische und emira­tische Investitionen in Omans Wasserstoffsektor. Auch Kuwaits Staatsfonds hatte zwischenzeitlich sein Interesse bekundet.

Eine weitere Besonderheit der omanischen Pläne ist, dass sie die inländische Nutzung des Wasserstoffs und seiner Deri­vate ausdrücklich einbeziehen. So wird ein lokales Verteilernetz geplant, über welches der bereits im Öl- und Gassektor sowie in der Landwirtschaft bestehende Bedarf de­karbonisiert wird. Das Sultanat setzt aktiv auf das Potenzial der Häfen als Wasserstoff-Hub mit Export- und Produktionsanlagen. Vor allem Herstellung und Aus­fuhr grünen Stahls sind Teil der omanischen Vor­­haben. So will Jindal Shadeed, der lokale Ableger des indischen Giganten Jindal Steel and Power, etwa 2,8 Milliarden Euro in eine Anlage zur Produktion von fünf Millionen Tonnen Stahl jährlich investieren. Die oma­nische Holding OQ äußerte ebenfalls Inter­esse, und zwar am Aufbau von Anlagen für grünen Zement. Weiterhin bestehen Ab­nahmevereinbarungen mit dem norwegischen Unternehmen Yara International zur Nutzung grünen Ammoniaks als Schiffs­treibstoff und exportierbarem Dünge­mittel.

Die Schlüsselakteure in Omans Wasserstoffwirtschaft

Der Aufbau der Wasserstoffwirtschaft liegt in den Händen eines nationalen Netzwerks aus öffentlichen Unternehmen und Mini­sterien, allen voran dem Ministerium für Energie und Mineralien (MEM) sowie dem 2022 gegründeten Staatsunternehmen Hydrom (siehe Grafik). Das MEM leitet den Sektor politisch, strategisch und regula­to­risch und hat dabei sowohl ein energie- als auch wirtschaftspolitisches Mandat. Dieses schließt die Öl- und Gasbranche ein und orientiert sich an übergeordneten Zielen, vor allem der Vision 2040. Hydrom orche­striert den Sektor und ist damit unter ande­rem für Kon­zessionen zur Landnutzung, gemeinsame Upstream-Infra­struktur, Pro­jektvergabe, Absatz der Pro­dukte sowie die Koordination zwischen den verschiedenen beteiligten Stellen verantwortlich. Hydrom untersteht dem MEM und ist eine Tochtergesellschaft der Energy Devel­op­ment Oman (EDO), welcher 2021 in einer Umstrukturierung des Energiesektors auch der staatliche Ölkonzern Petroleum Development Oman (PDO) unterstellt wurde. PDO ist zwar kein Wasserstoffakteur per se, treibt jedoch durch enge personelle Verflechtungen und Teilhabe in Wasserstoffgremien den Sektor mit an. Über sämt­lichen Akteuren steht das Königshaus, welches durch Dekrete den Rahmen vorgibt und nationale Ressourcen wie etwa Boden verteilt.

Weitere öffentliche Unternehmen und Behörden sind vor allem im Mid- und Downstreamsektor vertreten (siehe Grafik). Allen voran ist hier OQ zu nennen, eine vertikal integrierte Holding omanischer Unternehmen mit Bezug zum Energiesektor. OQ stellt nicht nur Infrastruktur bereit­, sondern ist im Rahmen seiner Alternative-Energien-Sparte auch an der Wasserstoffproduktion beteiligt. Die ASYAD Group, Omans zentrale Logistikholding, ist für den Seetransport von Wasserstoff und seinen Derivaten sowie die Verwaltung mehrerer Exporthäfen zuständig. Diese sind indivi­du­ell agierende Sonderwirtschaftszonen, ver­netzt durch internationale Teilhabe, näm­lich Belgiens und der Niederlande. Im Sinne der europäischen »Hydrogen Valleys« sollen sie zu inte­grierten Wasserstoffökosystemen aus­gebaut werden. Aufgrund ihrer Lage im Ara­bischen Meer, also entlang internationaler Handelsströme, eignen sich die Häfen nicht nur als inländische Wasserstoff-Hubs, sondern auch als potenzielle internationale Umschlagplätze für Wasserstoff und seine Derivate. Eine übergeordnete Behörde regu­liert sie und ist für die Gesamtkoordination der Downstream-Infrastruktur ver­ant­wort­lich. Die 2021 gegründete Hy-Fly Alliance fungiert als umfassendes nationales Koordi­nationsgremium mit öffentlichen und pri­vaten sowie nationalen und internationalen Wasserstoffakteuren.

Jenseits dieses Kerns prägen weitere Ak­teure das Bild. Internationale Ölkonzerne halten Anteile der nationalen Energieindu­strie (siehe Grafik) und konnten so auch rasch Fuß im Wasserstoffsektor fassen. Sie haben bereits Projekte in er­neuerbaren Energien realisiert und Absichtserklärungen für gemeinsame Wasserstoffprojekte unterzeichnet. Praxis­nahe Forschungs­institute, besonders das Oman Hydrogen Centre, begleiten den Sek­tor mit technischen und projektbezogenen Studien.

Das Gesamtbild zeigt, dass der Wasserstoffsektor institutionell verteilt, aber zugleich von Verschränkun­gen wichtiger Akteure ge­kennzeichnet ist (siehe Grafik). Es gibt eine durch das MEM domi­nierte Seite und eine, die durch die staat­lichen Unternehmen unter der Oman Invest­ment Authority geprägt ist. Letztere ist der 2020 gegründete Staatsfonds, welcher nahe­zu alle öffent­lichen Unternehmen um­fasst und dem Ministerrat des Landes, dem ober­sten Exe­kutivorgan, untersteht. Ander­seits sind die Aufsichts­räte der öffent­lichen Unternehmen stets mit Vertretern mehrerer Stellen besetzt. Damit ergibt sich trotz der Domi­nanz des MEM und der allumfassenden Macht des Monarchen eine Verschränkung der Akteure im Wasserstoffsektor, die für gegenseitige Kontrolle sorgt. Diese zuneh­mende Institutionalisierung erhöht zwar den Koordinationsbedarf für inter­nationale Partner, aber ebenso die Verlässlichkeit einer möglichen Zusammenarbeit.

Gründe für die Zusammenarbeit

Das geopolitische Gleichgewicht am Golf

Neben energiepolitischen Gründen, beson­ders der diversifizierten und schnellen Ver­sorgung mit bezahlbarer sauberer Energie, sprechen vor allem geopolitische Interessen für Wasserstoffimporte aus und Kooperatio­nen mit Oman.

Das Sultanat tritt aktiv in der regionalen Konfliktvermeidung und -vermittlung auf. Omanische Missionen haben vom ersten Golfkrieg bis zum iranischen Atomabkommen geholfen, die Region zu stabilisieren. Oman ist der einzige regionale Akteur mit konstruktiven Beziehungen zu und in sämt­lichen Staaten der Region. Omans Rolle ist fluider und nuancierter als (aktive) Neutra­lität und zielt häufig darauf ab, den Status quo zu wahren. In der Katar-Krise von 2017 – damals hatten Saudi-Arabien, Bahrain und die VAE binnen eines Tages diplomatische Beziehungen sowie jeglichen Wirtschafts- und Personenverkehr mit Katar ausgesetzt – blieb Oman offiziell unparteiisch. Es hat jedoch ausbleibende Lebens­mittellieferungen an Katar ersetzt, bilatera­le Beziehungen zu Katar vertieft und später neben Kuwait zwischen den Parteien ver­mit­telt. Auch im Jemen-Krieg ist das Sultanat unerlässlich. Beispielsweise hat es maßgeblich zum Waffenstillstand von 2022 beige­tragen und agiert als humanitärer Akteur, etwa durch Gesundheitsversorgung und Transitvisa für die jemenitische Diaspora.

Sultan Haitham bin Tariq plant offenbar, diesen Ansatz beizubehalten und omanische Diplomaten weiter »als Vermittler des Friedens und Mitwirkende zur Konflikt­lösung« einzusetzen. Die ökonomische Lage begrenzt jedoch Omans Kapazitäten zur Friedensschaffung: Zwischen 2015 und 2022 ist der Etat des Außenministeriums um 24% gesunken, und auch auf absehbare Zeit werden sozioökonomische und haushaltspolitische Themen Vorrang haben. Mit der Vision 2040 und dem Klima­neutralitätsplan setzt Oman alles auf die Zukunftssektoren. Da­mit wird ein rascher Erfolg der Wasserstoffindustrie de facto zur Bedingung für tiefe­res außen­politisches Engagement.

Eine erfolgreiche omanische Wasserstoff­ökonomie würde den Golfstaat stärken, was für Europa von geo­politischem Inter­esse ist. Der Ara­bische Früh­ling hat die zuvor eher innen­politisch orientierten Golfstaaten in eine aktivere Außenpolitik und vor allem Saudi-Arabien und die VAE sowie teils Katar in einen verschärften Wettbewerb um Hegemonie gezwungen. Die kleineren Golf­staaten, allen voran Oman, bremsen einer­seits Konfrontationen (wie die Katar-Krise 2017). Anderseits begrenzt der durch sie geschaffene regionale Pluralismus die Macht­ausübung in überregionalen Kon­flikten. Die Folgen eines Autonomieverlustes zeigt bei­spielsweise Bahrain. Seit es bei Protesten 2011 besonders Saudi-Arabiens militäri­sche Hilfe in Anspruch nahm, ist es außenpolitisch zunehmend an Riad orientiert und hat Eskalationen wie die Katar-Blockade und den Jemen-Krieg aktiv unterstützt. Eine wach­sende Konzentrierung der Macht unter den Golfstaaten könnte regionale Konflikte wie den Kalten Krieg mit Iran und den Jemen-Krieg oder auch überregionales militärisches Engagement in Levante, Nord­afrika und am Horn von Afrika anheizen.

Vor allem aber sind Deutschland und die EU auch darauf an­gewiesen, neue Verbündete in der Region zu finden. In der globa­len Ord­nung avan­cieren die Golfstaaten immer mehr zum Machtakteur. Zugleich haben Europa wie auch die USA ihre Bezie­hungen zu der Region lange vernachlässigt und deutlich an Einfluss verloren. Zum einen ist Europa kaum noch in der Lage, seine Interessen am Golf zu vertreten. Die Ohnmacht angesichts der OPEC-Entschei­dung gegen Produktionsausweitungen 2022 hat dies eindrucksvoll belegt. Zum anderen bildet sich eine Golf-China-Achse heraus, welche das Machtverhältnis im Systemkonflikt zwischen dem Westen und China zu beeinträchtigen droht. Was­ser­stoffbezug und -kooperation legen ein breiteres diplo­matisches Fundament mit Oman und können so der zunehmenden Abspaltung der Region von Europa ent­gegenwirken.

Werteorientierte Handelspolitik, Klimaaußenpolitik und Berechen­barkeit

Deutschlands Entkoppelung von Russland hat die Debatte über Werteorientierung, Risiken und mögliche positive Nebeneffekte des Außen­handels neu entfacht. Das gilt vor allem mit Blick auf Energie­importe aus den Golfstaaten.

Jenseits des orientalistischen »Monarchie«-Etiketts steht Oman regional als in­klusiv und gemäßigt da. Bevölkerungsgruppen und Minderheiten werden breit repräsentiert, und der zivilgesellschaftliche Dialog ist weitgehend offen. So wurden Demon­strationen während des Arabischen Früh­lings nicht mit Repression, sondern durch Reformen beantwortet. Trotz einer nur ein­geschränkten Rolle des Parlaments besteht ein großteils funktionales System aus Checks and Balances zwischen den Insti­tu­tionen, welches einen rechtsstaatlichen Charakter herstellt. Ebenfalls im Hinblick auf wertebasierten Außenhandel ist Omans konstruktive Rolle zur Beilegung des Jemen-Krieges hervorzuheben.

Auch hinsichtlich der Klimaaußenpolitik ist die Wasserstoffzusammenarbeit mit Oman zu berücksichtigen. Nicht nur durch Ausfuhr von Öl und Gas sind die Golfstaaten Treibhausgasexporteure. Auch im In­land sind sie die weltweit größten Pro-Kopf-Emittenten. Eine wesentliche Aufgabe der Klima­außenpolitik wird sein, Öl- und Gas­produzenten pragmatisch in Klimaschutzbestrebungen einzubinden. Außer Katar haben sämtliche Golf­staaten un­längst Klima­neutralitätsziele bekanntgegeben. Oman sticht mit dem ehrgeizigsten Zieljahr (2050, ebenso wie die VAE), der ausgereiftesten Strategie und einem direkten Bezug zur Wasserstoffökonomie hervor und könnte eine Vorreiterrolle einnehmen. Wird die Wasserstoffproduktion zügig hochgefahren, kann die Dekarbonisierung der omanischen Industrie rasch vorangetrieben werden. Da Umweltschutz unter den Golfstaaten von national(istisch)er Konkurrenz geprägt ist, könnte dieser Prozess zu Spillover-Effekten auf die anderen Golfstaaten führen und auf diese Weise zum wirksamen Mittel inter­nationalen Klimaschutzes werden.

Vor allem aber hat sich Oman in seiner Politik­gestaltung während der letzten zehn Jahre als äußerst berechenbar erwie­sen. Dies steht im Gegensatz zu anderen Staaten der Region, deren Außenpolitik immer dyna­mischer wurde. So hat die Katar-Blockade gezeigt, dass zum Beispiel seitens Saudi-Ara­biens und der VAE außen­politische Manöver auch auf Kosten vertrag­licher Wirtschaftsbeziehungen nicht mehr ausgeschlossen sind. Prinzipiell bieten alle Golfstaaten Ver­tragstreue und Beschaffungssicherheit, allerdings sind die zuvor erwähnten Nuan­cen in der Politikgestaltung und -berechen­barkeit relevant: Ähn­liche Szenarien für den Wasserstoffhandel sind unwahrscheinlich, wenngleich nicht unmöglich. Dieses politische Risiko könnte sich auch in einem Verlust außenpolitischer Durchsetzungs­fähigkeit Deutschlands widerspiegeln. So hat die Bundesregierung 2022 im Vor­feld der Golf-Reise des Kanzlers erstmals das wegen des Jemen-Krieges verhängte Waffen­embargo aufgeweicht. In Oman mildert nicht zuletzt der hohe Institutionalisierungs­grad, der auch in der Wasserstoffwirtschaft sichtbar wird, das Risiko einer erra­tischen Politikgestaltung des Herrscherhauses.

Omans angespannte fiskalische Lage und seine deswegen schwache Bonität bergen einerseits ein finanzielles Risiko, anderseits aber auch eine wertvolle Verpflichtung. Während in anderen Golfstaaten der Wasserstoffsektor eher nebensächlich ist, bildet sein Aufbau für Oman ein mittel­fristig essenzielles Ziel, da das Sultanat neue Wirtschaftszweige erschließen muss. Das ist ein starker Treiber für die Verwirk­lichung der omanischen Pläne und erklärt ihre Ernsthaftigkeit.

Fazit: Außenpolitische Ziele rasch mit Wasserstoffimporten kombinieren

Deutschland und Oman eint seit Juli 2022 eine Absichtserklärung zur Wasserstoff­zusammenarbeit. Deren Implementierung kommt jedoch nur schleppend voran. Dies sollte sich ändern, nicht nur aus energie­politischen Gründen.

Deutschlands Vorgehen beim Wasserstoff scheint immer noch von der Vorstellung geprägt, dass es sich mittelfristig um einen Nachfragermarkt handeln wird und die behutsame Suche nach Exporteuren fortgesetzt werden kann. Aller­dings wächst bereits die Zahl der Nachfrager, vor allem aus Japan und Korea, aber ebenso aus EU-Staaten wie Belgien und den Niederlanden. Letztere kalku­lieren bei ihren Importen schon ein, den Wasser­stoff teurer nach Deutschland weiter­zuverkaufen. Auch Ex­por­teure wissen mitt­lerweile um ihre Attraktivität, was die Preise in die Höhe statt in die Tiefe treiben könnte. Nicht ver­nach­lässigt werden sollte, dass Kapazitätsengpässe im Elektrolyseurbau Wasser­stoff zu­nächst zur Mangelware machen werden.

Deutschland sollte sich also sputen und in einem koordinierten Akt zwischen öffent­lichen und privaten Ak­teuren Wasserstoff­importe akquirieren, um hohe Preise und weitere Deindustrialisierung zu verhindern. Neben dem bisherigen Vorgehen könnten dazu Joint-Ventures mit anderen EU-Mit­gliedstaaten helfen, besonders mit den Niederlanden, Belgien und Italien. Derartige Formate schaffen Syn­ergien und beugen Gefällen in Energiepreisen und Wett­bewerbs­fähigkeit innerhalb der EU vor. Ferner könnten im Rahmen direkter Regierungskooperationen gemein­same Konzes­sionsträger unter Beteiligung des Privat­sektors gebildet werden. Das würde den Aus­bau deutscher und europäischer Techno­logieführerschaft bei Wasserstoff unterstüt­zen und gleichzeitig Importe sicher­stellen. Die Bundesregierung sollte nicht davor zurück­schrecken, eine aktivere Rolle als bisher für die Sicher­stellung von Wasser­stoff ein­zunehmen, bei­spielsweise in Form einer strategischen Reserve.

Zugleich können und sollten Wasserstoffimporte mit geopolitischen, werte­orien­tierten und klimaaußenpolitischen Zielen verknüpft werden. So dient in Oman die Stärkung der natio­nalen Wasserstoffökono­mie ebenfalls dem internationalen Klima­schutz, regionaler Stabilität und der Akqui­rierung diplomatischer Schlüsselpartner für die Bundesrepublik. Gleich­zeitig profiliert sich das Sultanat als Kon­fliktvermittler mit relativ geringem poli­tischem Risiko. Auch grüne Endprodukte wie Stahl oder Schiffs­treibstoff entlang der Transportroute EU-China bieten Schnitt­mengen mit deutschen Interessen. Es blei­ben aber die zentralen Herausforderungen aller poten­ziellen Ex­porteure außerhalb der EU-Nachbar­schaft: Welche Kostenrückgänge werden sich bei maritimen Wasser­stoff­transporten ergeben, und wie einfach wer­den sich Derivate wie Ammoniak nutzen lassen?

Es empfiehlt sich, eine ständige Was­ser­stoff-Task-Force zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium für Wirt­schaft und Klimaschutz einzurichten. Sie wäre ein wirk­sames Instrument, um künf­tig vertiefte Partnerschaften gleichrangig unter (ener­gie)ökonomischen und außenpolitischen Aspekten zu beurteilen.

Neben dem Hochfahren des Sektors sollte in der Wasserstoffimportstrategie inter­national wie regional auf langfristige Diver­sifizierung geachtet werden. Wasserstoff aus den Golfstaaten und besonders aus Oman ist dazu ein wichtiges Element. Geo­politische Aspekte bieten nicht nur Heraus­forderungen, sondern auch Chancen für die Politik- und Marktgestaltung.

Dr. Dawud Ansari ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Globale Fragen. Dieses SWP-Aktuell entstand im Rahmen des Projekts »Geopolitik der Energiewende – Wasserstoff«, das vom Auswärtigen Amt finanziert wird.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2023

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