In ihrem Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung beschlossen, einen Sonderbevollmächtigten für Migrationsabkommen einzusetzen. Diese Position sollte nun umgehend besetzt werden, um die dringend benötigte partnerschaftliche Migrationspolitik voranzutreiben, meint Steffen Angenendt.
Der Ukrainekrieg beansprucht derzeit weitgehend die außen- und sicherheitspolitischen Kapazitäten der Bundesregierung. In der Flucht- und Migrationspolitik stehen die Aufnahme, Verteilung und Versorgung der Geflüchteten im Vordergrund. Die künftig zu bewältigenden Herausforderungen Deutschlands gehen aber weit über die aktuelle Flucht und Vertreibung aus der Ukraine hinaus. Um für diese Aufgaben besser gerüstet zu sein, hatten die Regierungsparteien in ihrem Koalitionsvertrag beschlossen, einen Sonderbevollmächtigten für die Gestaltung von Migrationsabkommen einzusetzen. Dieser Beschluss wurde bisher noch nicht umgesetzt. Die Koalitionsparteien konnten sich bislang nicht auf den konkreten Auftrag einigen. Auch ist nicht klar, in welchem Ministerium der Posten angesiedelt sein soll und wer dafür geeignet ist.
Flucht und Migration sind Querschnittsthemen, die über den Wirkungsbereich der Innenpolitik hinausweisen. Eine wirksame und nachhaltige Flucht- und Migrationspolitik erfordert im Inneren eine ressortübergreifende Kooperation sowie die Einbeziehung von Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft. Im Äußeren bedarf sie einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern sowie eines kontinuierlichen Engagements in internationalen Prozessen und Gremien. Die Einsicht, dass Regierungen die komplexen flucht- und migrationspolitischen Herausforderungen nicht mehr im Alleingang bewältigen können, ist inzwischen international weit verbreitet. Die Bedeutung von außen- und entwicklungspolitischen Aspekten in der Flucht- und Migrationspolitik nimmt zu. Das erfordert gerade in Deutschland, das in hohem Maße auf geregelte Zuwanderung angewiesen ist und seine humanitären Verpflichtungen zum Flüchtlingsschutz erfüllen will, eine aktive und institutionell gut verankerte Migrationsaußenpolitik. Der Sonderbevollmächtigte könnte hier einen wichtigen Beitrag leisten, wenn sich die Koalitionsparteien auf eine sinnvolle institutionelle Anbindung und einen hinreichend großen Arbeitsstab einigen. Die politische und fachliche Unterstützung durch alle Ressorts müsste sichergestellt sein.
An konkreten Aufgaben würde es dem Bevollmächtigten nicht mangeln: Insbesondere nimmt die internationale Konkurrenz um Fachkräfte zu. Die Herkunftsländer fordern zunehmend selbstbewusst faire Arbeits- und Lebensbedingungen für ihre Staatsangehörigen ein. Auch wachsen die weltweiten Fluchtbewegungen weiter an, weil in vielen Staaten die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Fragilität wächst und durch die Folgen des Klimawandels verstärkt wird. Zudem steigt die Gefahr zwischenstaatlicher Konflikte. Zu den migrationspolitischen Aufgaben gehört außerdem, die internationale Mobilität im Zuge und nach der Corona-Pandemie sicherzustellen. Eine besonders schwierige Aufgabe ist der Umgang mit den Versuchen autoritärer Herrscher, Migrationsbewegungen zu instrumentalisieren, um – wie im Fall Belarus – Zugeständnisse in anderen Bereichen zu erzwingen.
Diese Aufgaben erfordern internationale Vereinbarungen – und die Verhandlungen darüber dürften künftig noch komplexer werden. Wie wichtig sie sind, zeigen die Erfahrungen mit den seit 2008 von der EU verfolgten Mobilitäts- und Migrationspartnerschaften. Diese wurden als zentrale Vorhaben der EU-Migrationspolitik angekündigt, erzielten aber kaum greifbare Resultate, da sie vor allem irreguläre Wanderung reduzieren sollten und geregelte Migration und Mobilität nicht ausreichend förderten. Entwicklungspolitische Aspekte kamen regelmäßig zu kurz: Die Partnerschaften waren zu einseitig auf die Interessen der Zielländer ausgerichtet und boten den Herkunftsländern keine ausreichenden Anreize zur migrationspolitischen Kooperation – eben weil vor allem Angebote für legale Migrationsmöglichkeiten fehlten. Insgesamt blieben die Partnerschaften weit hinter den politischen Erwartungen und ihrem Potential zurück. Ein Sonderbevollmächtigter der Bundesregierung, der unter anderem darauf achtet, dass die von Deutschland geschlossenen Migrationsabkommen partnerschaftlich gestaltet werden und für die Partnerländer hinreichend attraktiv sind, könnte solchen Misserfolgen vorbeugen.
Als positives Beispiel kann die Schweiz dienen. Ebenfalls seit 2008 verbinden hier Migrationspartnerschaften legale Migration, Visumerteilung und Kapazitätsaufbau für Asyl- und Migrationssysteme mit der Prävention von irregulärer Migration sowie Vereinbarungen zur Unterstützung von Rückkehr und Reintegration. Diese Partnerschaften sollen auf Gegenseitigkeit beruhen, flexibel sein und Vertrauen schaffen. Um das Zusammenspiel der zahlreichen Akteure zu sichern, wird durch einen Gesamtregierungsansatz die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Bundesstellen gestärkt. Dieser umfassende Ansatz zur Migration, der eine entwicklungsorientierte Migrationspolitik, die Gewährung von Schutz und Rückkehrförderung umfasst, ist auch auf Ebene der Staatssekretärinnen und Staatsekretären sichergestellt. In den Anfangsjahren wurde es entscheidend durch die Bestellung eines Sonderbotschafters für Migration geprägt.
In ähnlicher Art und Weise könnte der von der Bundesregierung beschlossene Sonderbevollmächtigte der deutschen Migrationsaußenpolitik wichtige Impulse geben und zu einer partnerschaftlichen und wirksamen Migrationspolitik beitragen: Eine Person, die internationales Verhandlungsgeschick, thematische Expertise und die Bereitschaft mitbringt, für die von der Bundesregierung mitgetragenen Ziele des Globalen Migrationspaktes und einen umfassenden Politikansatz einzustehen.
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