Am 17. März 2021 ist Tansanias Präsident John Pombe Magufuli unerwartet verstorben. Unter seiner Nachfolgerin Samia Suluhu Hassan, der bisherigen Vizepräsidentin, steht das Land vor wichtigen Richtungsentscheidungen. Ihre ersten Tage im Amt hat sie genutzt, um politische Änderungen einzuleiten. Zum einen nimmt sie Covid-19 ernst, anders als ihr Vorgänger; ein Expertenkomitee soll den Umgang des Landes mit der Pandemie überprüfen. Zum anderen werden Einschränkungen von Presse- und Meinungsfreiheit aufgehoben. Ob die neue Präsidentin ein eigenes Profil entwickeln kann und Tansania so auch regional wie international wieder an Bedeutung gewinnt, ist zwar noch offen. Doch die Zeichen stehen auf Wandel.
Die Amtszeit von Präsident Magufuli war von großen Ambivalenzen geprägt. Einerseits trat er besonders zu Beginn 2015 als Korruptionsbekämpfer und Panafrikanist auf, was ihm große Beliebtheit in der Bevölkerung verschaffte. Andererseits schränkte er Presse- und Meinungsfreiheit sowie Oppositionsrechte massiv ein und isolierte sein Land zusehends im internationalen Verbund. Ob die neue Präsidentin Suluhu Hassan die Regierungspartei Chama Cha Mapinduzi (CCM, Partei der Revolution) ebenso prägen wird wie ihr Vorgänger oder ob sie in dessen Schatten verbleiben wird, dürfte auch Signale in die Region senden. Suluhu Hassan hat Liberata Mulamula zur Außenministerin berufen und sich damit eine erfahrene Diplomatin an die Seite geholt. Mulamula besitzt nicht nur exzellente Kontakte nach Washington, sondern war auch als Exekutivsekretärin der Internationalen Konferenz zur Region der Großen Seen (ICGLR) mit Fragen der Friedenssicherung, Migration und Ressourcenökonomie befasst. Tansania ist mit seinen rund 58 Millionen Einwohnern ein wichtiger Stabilitätsfaktor und Akteur für die Sicherheit in Ostafrika – zumal vor dem Hintergrund, dass sich die jihadistischen Aktivitäten der somalischen Al-Shabaab Richtung Süden ausbreiten und auch im Norden Mosambiks terroristische Gefahren heranwachsen.
Tansania unter Magufuli
Mit Magufulis Amtsantritt im November 2015 waren nicht nur in Tansania selbst, sondern auch im Ausland große Erwartungen verbunden. Sein Wahlkampfslogan »Hapa kazi tu« (etwa: Hier zählt nur die Arbeit) wurde zum geflügelten Wort im Land. Entsprechende Taten ließ Magufuli folgen, als er direkt nach seinem Wahlsieg gegen müßige oder korrupte Beschäftigte des öffentlichen Dienstes vorging. Im Corruption Perception Index verbesserte sich die Stellung Tansanias seit 2015 von Platz 117 auf aktuell Platz 94. Magufuli erhielt in den ersten Amtsjahren viel Lob für seinen ergebnisorientierten und kompromisslosen Ansatz.
Infrastruktur und Wirtschaft
Magufuli brachte etliche größere Infrastrukturprojekte voran, darunter ein Eisenbahnvorhaben, den Ausbau der Hauptverkehrsstraßen, die Einführung eines Schnellbussystems in der Metropole Daressalam und die Erhöhung der Stromproduktion. Unter Magufuli wurden zudem neue Regularien zur Kontrolle und Besteuerung multinationaler Bergbauunternehmen eingeführt. Ziel war dabei, Tansania stärker von seinen natürlichen Ressourcen profitieren zu lassen. Tatsächlich erreichten die Staatseinnahmen aus dem Bergbausektor unter Magufuli neue Höchstwerte.
Insgesamt verzeichnete Tansania während seiner Amtszeit bis zur Corona-Pandemie ein stabil hohes Wirtschaftswachstum von jährlich um die 7 Prozent. Im eigenen Land wie auch in der Region erfuhr er dafür viel Anerkennung. Westliche Geber jedoch reagierten mit Kritik, als Freiheitsrechte in Tansania beschnitten wurden. In der Folge wandte sich Magufuli verstärkt an China, von dem er Kredite und Investitionen ohne Konditionen erwartete. Als einer der größten Investoren ist die Volksrepublik seit Jahren an zahlreichen Projekten in Tansania beteiligt. Im Bausektor gehen rund 70 Prozent der Ausschreibungen an chinesische Unternehmen.
Einschränkung von Freiheiten
Tatsächlich schränkte Magufuli die Presse- und Meinungsfreiheit in Tansania stark ein. Das Land wurde im World Press Freedom Index zwischen 2016 und 2020 um 53 Plätze herabgestuft. Kritische Journalisten sahen sich zunehmend bedroht und an ihrer Arbeit gehindert, was zu einer Atmosphäre der Furcht, Repression und Selbstzensur führte. 2016 wurde ein Mediengesetz verabschiedet, das harte Strafen für Inhalte vorsieht, die als diffamierend oder aufrührerisch gelten. Vier regierungskritische Zeitungen wurden unter Magufuli geschlossen. Seit 2018 sind Blogger und Betreiber von Diskussionsplattformen verpflichtet, Registrierungsgebühren zu bezahlen. Im selben Jahr erging auch ein Gesetz, das die Bestrafung von Personen ermöglicht, die offizielle Statistiken anzweifeln. Innenpolitisch gab es Kritik an diesen Maßnahmen, doch blieb sie in der breiten Bevölkerung ohne nennenswerten Widerhall.
Von Dänemark und der Weltbank indes wurden Gelder für Tansania eingefroren. Anlass dafür waren die Verfolgung von LGBT-Personen im Land, denen unter anderem Gesundheitsdienstleistungen verweigert werden, sowie ein Gesetz, das Mädchen und junge Frauen im Falle einer Schwangerschaft vom Schulunterricht ausschließt.
Wahlen 2020
Im Oktober 2020 gewann Magufuli erneut die Präsidentschaftswahlen; nach offiziellen Angaben erreichte er 84 Prozent der Stimmen. Die Oppositionsparteien jedoch warfen der Regierung klaren Wahlbetrug, Einschüchterungen und systematische Behinderungen vor. Wahlbeobachtung war kaum möglich. Im Vorfeld des Urnengangs wurden mindestens 17 Oppositionspolitiker und Regierungskritiker festgenommen sowie weitere daran gehindert, ihre Kandidatur registrieren zu lassen. Kurz nach den Wahlen flüchtete Tundu Lissu, der Kandidat der größten Oppositionspartei, Chadema, nach Belgien, weil er Morddrohungen erhalten hatte. Schon 2017 war er bei einem Anschlag schwer verletzt worden. Lissu beschuldigt die Regierung, an dem Attentat beteiligt gewesen zu sein.
Im Wahlprogramm der Chadema bildete die Menschenrechtslage in Tansania einen Schwerpunkt. Darüber hinaus sprach sich die Partei für eine Dezentralisierung des Landes aus; zu diesem Zweck forderte sie, Regionalregierungen zu schaffen und den seit 2015 ruhenden Prozess zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung wiederzubeleben.
Oppositionsrechte
Die CCM, der Magufuli angehörte, war bis 1992 die einzige existierende Partei des Landes. Das Verhältnis zwischen ihr und der Opposition verschärfte sich schon bald nach Magufulis Amtsantritt 2015, als die Regierung beschloss, Parlamentssitzungen nicht mehr live im staatlichen Fernsehsender zu übertragen – offiziell aus Kostengründen. Demonstrationen der Opposition gegen diesen Schritt wurden unterbunden, und die Versammlungsfreiheit blieb dauerhaft eingeschränkt.
Im teilautonomen Sansibar annullierte die Wahlkommission das Ergebnis der Abstimmung von 2015. Dieser nach internationalen Beobachtern unrechtmäßige Schritt führte zu starken Kontroversen zwischen CCM und der auf Sansibar damals stärksten Oppositionspartei Civic United Front (CUF). Die USA schlossen Tansania wegen der Wahlaufhebung 2016 aus dem »Millennium Challenge Corporation«-Programm aus, wodurch 470 Millionen Dollar für Entwicklungsprojekte wegfielen.
Umgang mit Covid-19
Im Inland erfreute sich Magufuli bis zum Tod großer Beliebtheit, vor allem bei Älteren, weniger Gebildeten und Armen. Doch international isolierte er sich und sein Land, als er Tansania im Juni 2020 nach drei Tagen Staatsgebet für coronafrei erklärte. Bereits seit Mai des Jahres veröffentlichte Tansania – trotz eines gegenteiligen Plädoyers der Weltgesundheitsorganisation – keine Daten mehr zur Pandemie-Lage, so dass die Statistik offiziell bei 500 Infektionen und 20 Todesfällen verblieb.
Magufuli und weitere Regierungsmitglieder stellten nicht nur die Effizienz von Masken und Corona-Tests in Frage, wobei sie sich zum Teil antiwestlicher Rhetorik bedienten. Sie stichelten auch gegen Nachbarländer wie Kenia, die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus angeordnet hatten. In Tansania gab es kaum Einschränkungen, auch nicht für den Tourismus. Die Regierung des Landes zeigte zudem kein Interesse, sich an der globalen COVAX-Impfinitiative zu beteiligen. Seit Ende Januar 2021 verdichten sich allerdings die Anzeichen, dass Tansania unter einer neuen Corona-Welle erheblichen Ausmaßes leidet.
Tansania unter Suluhu Hassan
Unter Magufuli bewegte sich Tansania weg von einer Demokratie und hin zu einem autoritär regierten Staat. Ob diese Entwicklung anhalten wird, hängt nun wesentlich von Samia Suluhu Hassan ab, die am 19. März 2021 als Präsidentin in ihr Amt eingeführt wurde.
Die neue Präsidentin
Tansanias neue Staatschefin stammt aus dem teilautonomen Sansibar. Im Jahr 2000 wurde die Entwicklungsökonomin zum ersten Mal in ein öffentliches Amt der dortigen Regionalregierung gewählt, 2010 dann in das tansanische Parlament. Bekannt wurde sie 2014 als stellvertretende Vorsitzende der konstituierenden Versammlung zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung. Im Jahr darauf machte Magufuli sie zur Kandidatin für das Amt der Vizepräsidentin, das sie nach der Wahl übernahm. Für die Wahl 2020 setzte Magufuli erneut auf Suluhu Hassan. Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger gilt sie als eher ruhig und bedächtig und als gute Zuhörerin. Sie kann als Brückenbauerin gesehen werden. 2017 besuchte sie den Vize-Chef der Oppositionspartei Chadema, Tundu Lissu, im Krankenhaus, der durch das erwähnte Attentat verletzt worden war. Mit der Geste signalisierte sie, dass sie Gewalt als politisches Instrument ablehnte.
Die tansanische Verfassung sieht vor, dass Suluhu Hassan für die verbleibenden viereinhalb Jahre von Magufulis insgesamt fünfjähriger Amtszeit als Präsidentin fungieren wird, also bis 2025. Die 61-Jährige ist nicht nur die erste Frau im höchsten Staatsamt Tansanias, sondern gegenwärtig auch eine von nur zwei Präsidentinnen in Afrika – wobei die Präsidentin Äthiopiens hauptsächlich eine repräsentative Rolle ausübt.
Politische Linien
Erste Anhaltspunkte, wie sie ihre Politik ausrichten will, vermittelte Suluhu Hassan in einer Rede am 6. April 2021. Zum einen kündigte sie an, ein Expertenkomitee einzusetzen, das über das Ausmaß von Covid-19 in Tansania und den Umgang mit der Pandemie beraten soll. Zum anderen versprach sie internationale Kooperation bei der Pandemiebekämpfung. Darüber hinaus gab sie bekannt, das Verbot mehrerer kritischer Medien aufheben zu lassen und damit die Presse- und Meinungsfreiheit wieder zu stärken. Der erste Monat ihrer Amtszeit kann als Beginn einer Wende verstanden werden. Nach innen und außen signalisiert die Präsidentin, dass sie sowohl Freiheitsrechte als auch das internationale Ansehen Tansanias im Blick hat. Ihre Rede lässt Menschenrechtsaktivistinnen und ‑aktivisten sowie Medienvertreterinnen und -vertreter im In- und Ausland hoffen. Dass es schwierig ist, einen trägen Tanker wie die Regierungspartei CCM auf einen vollkommen neuen Kurs zu steuern, darf dabei nicht übersehen werden. Auch würde es wohl die Beliebtheit Suluhu Hassans gefährden, sollte sie sich allzu schnell vom Kurs des weiter sehr populären Vorgängers abwenden.
Angesichts ihrer Herkunft ist zu hoffen, dass sich das angespannte Verhältnis zwischen Sansibar und dem Festland Tanganyika, die seit 1964 den Staat Tansania bilden, unter Suluhu Hassans Präsidentschaft verbessern wird. Es besteht die Chance, dass sich die sansibarische Bevölkerung künftig besser repräsentiert fühlt. Im fast vollständig muslimisch geprägten Sansibar wird von radikalen Splittergruppen immer wieder die Abtrennung vom mehrheitlich christlichen Festland gefordert. Vor allem zwischen 2012 bis 2014 war die fundamentalistische Gruppe Uamsho (»Das Erwachen«) in dieser Richtung aktiv.
Anders als im benachbarten Kenia gab es während der letzten Jahre in Tansania keine spektakulären jihadistischen Anschläge. Doch häuften sich in den letzten Monaten Angriffe der IS-affiliierten mosambikanischen Ahlu Sunna Wal Jamaah (ASWJ) –auch als Ansar al-Sunna bekannt – auf tansanischem Boden. In Mosambik wie bei der somalischen Al-Shabaab sind tansanische Rekruten aktiv. Religiöser Extremismus ist in Tansania, wie in Ostafrika generell, ein wachsendes Problem, wobei er sich im islamischen Fundamentalismus ebenso zeigt wie in christlichen Gruppierungen.
Ausblick
Für 2021 sind Regierungsverhandlungen zwischen Deutschland und Tansania über die künftige Zusammenarbeit geplant. Die deutsche Seite sollte sich dringend für die Aufnahme Tansanias – sofern dies von Suluhu Hassan als Bestandteil ihres Covid-19-Kurses angestrebt wird – in die COVAX-Impfinitiative und deren Beschleunigung einsetzen. Zudem sollte die Bundesrepublik das Land bei der Stärkung seiner Gesundheitsinfrastruktur unterstützen. Die kritische Aufarbeitung deutscher Kolonialgeschichte in Deutsch-Ostafrika sowie die Rückgabe von Kulturgütern und menschlichen Gebeinen wären darüber hinaus wichtige Schritte, mit denen sich eine gleichwertige Beziehung zu Tansania befördern ließe.
Lisa Erlmann ist Praktikantin in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten.
Dr. Annette Weber ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten.
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doi: 10.18449/2021A36