Der gewaltsame Bruch Russlands mit dem Völkerrecht verleiht der Debatte um die Zukunft globaler Kooperation neue Dringlichkeit – auch in der Digitalpolitik. Der deutsche G7-Vorsitz bietet die Gelegenheit für die jetzt notwendige strategische Debatte, meint Daniel Voelsen.
Digital vernetzte Technologien prägen weltweit Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die allermeisten davon erwachsen aus technischen und politischen Praktiken, die weit über einzelne Staaten hinausweisen. Ihre Gesamtheit lässt sich als globale digitale Ordnung beschreiben. Diese wird zusehends durch autoritäre Regime herausgefordert. Die G7 sollten dem »dichte« Kooperation wo möglich und »dünne« Koordination wo nötig entgegensetzen.
Von den 1990er Jahren an war die globale digitale Ordnung lange von den USA geprägt. Dagegen zielen seit einigen Jahren immer mehr Staaten darauf, die Souveränität über »ihren« Teil der globalen Ordnung zurückzugewinnen. In der Logik von Netzwerken gesprochen: Sie versuchen, zentrale Machtpositionen innerhalb von Subnetzwerken zu schaffen. Während es liberalen Staaten dabei jedoch um Datenschutz und Monopolbegrenzungen geht, sehen autoritäre Staaten das Internet zunehmend als Herrschaftsinstrument. China und Russland gehen dabei noch einen Schritt weiter: Ihr Ziel ist nicht nur mehr Kontrolle nach innen, sondern auch eine darüber hinausgehende Umgestaltung der globalen digitalen Ordnung.
Ein eindrückliches Signal ist hier die gemeinsame Erklärung von Russlands Präsident Wladimir Putin und Chinas Staatschef Xi Jinping zu Beginn der olympischen Winterspiele in Peking. Darin fordern sie die »Internationalisierung der Internet Governance«. Gemeint ist damit die Stärkung nationalstaatlicher Kontrolle und dementsprechend der Rolle zwischenstaatlicher Organisationen wie der International Telecommunication Union (ITU). Diese Forderung ist nicht neu. Dass beide Staaten sie als Priorität auf höchster Ebene behandeln, sollte aber zu denken geben.
Dabei kommt diesen autoritären Staaten zugute, dass die institutionellen Strukturen globaler Kooperation zunehmend unübersichtlich geworden sind. Neben den traditionellen Formaten multilateraler Kooperation und den ebenso etablierten Strukturen zur (Weiter-)Entwicklung technischer Standards existiert heute eine Vielzahl von Multistakeholder-Formaten, die sich Themen wie Internet Governance, Cybersicherheit oder Künstlicher Intelligenz widmen.
Für Staaten wie China und Russland ist dies schon an sich ein Erfolg. Die institutionelle Fragmentierung überfordert viele Akteure, schafft Widersprüche und führt oftmals zu Blockaden und Stillstand. Das ungeregelte Nebeneinander bietet zudem immer wieder Gelegenheiten, die Veto-Macht des Westens in den etablierten Strukturen zu umgehen.
Unter dem Eindruck von Russlands Angriff auf die Ukraine ist damit zu rechnen, dass auch diese globalen Kommunikationsnetze Teil der Auseinandersetzung werden. Die großen sozialen Netzwerke haben bereits Partei ergriffen – ein weiteres Beispiel für die enorme politische Macht dieser Unternehmen – und die Nutzung ihrer Plattformen durch die russische Regierung und Staatsmedien erheblich eingeschränkt. Noch fundamentaler hat die ukrainische Regierung gefordert, russische Websites aus den weltweiten Strukturen des Internets auszuschließen. Technisch wäre dies durchaus umsetzbar. Dabei droht jedoch eine politische Dynamik, an deren Ende nicht mehr viel vom gemeinsamen globalen Fundament des Internets übrig bliebe. Zudem würde eine solche Maßnahme es den Bürgerinnen und Bürgern Russlands noch weiter erschweren, Informationen aus dem Ausland zu erhalten.
Schon kurz nach Amtsantritt hat die Biden-Administration eine Reihe von Vorschlägen dazu lanciert, wie die Demokratien bei digitalpolitischen Fragen besser kooperieren könnten. Einen konkreten Ansatz hierzu bildet der »US-EU Trade and Technology Council«, der im Juni 2021 ins Leben gerufen wurde; zudem gibt es weitergehende Ideen für einen Zusammenschluss der »Techno-Democracies« oder eine »Alliance for the Future of the Internet«.
Dringend notwendig ist aber auch eine Perspektive für die Zukunft globaler Zusammenarbeit – gerade dann, wenn die Bedingungen dafür schwierig sind. Um noch einmal die Logik von Netzwerken zu bemühen: Die Kooperation liberaler Demokratien schafft im besten Falle ein dichtes, belastbares Netz an Beziehungen zwischen den beteiligten Akteuren. Diese Kooperationsbeziehungen sollten aber ergänzt werden um inklusive, wenn auch dafür dünnere und entsprechend weniger belastbare Netzwerke, die auch nicht-demokratische Staaten einbeziehen.
An dieser Stelle nun kommen die G7 ins Spiel. Unter der Überschrift »starkes Miteinander« hat sich Deutschland für seinen G7-Vorsitz unter anderem vorgenommen, eine demokratische Antwort auf die Entwicklungen im Bereich der globalen digitalen Ordnung zu finden. Jenseits einzelner Sachfragen – von Cybersicherheit und Verschlüsselungstechnologie bis hin zum datenschutzkompatiblen Datenaustausch über Staatengrenzen hinweg – gilt es, auch die schwierige Frage der zukünftigen Institutionenordnung zu stellen.
Besondere Aufmerksamkeit verdienen hier die bereits laufenden Prozesse im Rahmen der Vereinten Nationen. 2020 hat VN-Generalsekretär António Guterres 2020 eine »Roadmap for Digital Cooperation« vorgestellt. Darin nimmt er jene Themen in den Blick, die für eine Großzahl der VN-Mitgliedsstaaten von Bedeutung sind: von Fragen wirtschaftlicher Entwicklung und digitaler Inklusion über den Schutz der Menschenrechte bis hin zur Sicherheitspolitik. Daneben gibt es schon seit langem Verhandlungen um Normen für das Verhalten von Staaten im Cyberspace, gerade in diesen Tagen haben nach langem Vorlauf die Verhandlungen um eine neue Cybercrime Convention begonnen. Für all diese Prozesse stellt sich nun sehr grundsätzlich die Frage, wie mit einem Russland unter Putin umzugehen ist. Gerade jetzt aber sollten diese Foren aktiv genutzt werden, um sich den autoritären Bestrebungen entgegenzustellen. Wie die Forderung nach einem Abkopplung Russlands vom globalen Internet zeigt, sollten dabei auch die stärker technisch ausgerichteten Foren, von der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) bis zur ITU, im Blick behalten werden.
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