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Freiwilligkeit statt Zwang: Eine entwicklungsorientierte Rückkehrpolitik für Syrien

Kurz gesagt, 16.12.2024

Nach dem Sturz des Assad-Regimes wird darüber diskutiert, ob eine Rückkehr der hier lebenden Syrer:innen unterstützt oder gar forciert werden sollte. Eine durchdachte Rückkehrpolitik könnte zur friedlichen Transformation und zum Wiederaufbau des Landes beitragen, meinen Nadine Biehler und David Kipp.

Trotz der anhaltend unsicheren politischen Lage in Syrien gewinnt die Diskussion um die Rückkehr syrischer Flüchtlinge in Deutschland und Europa zunehmend an Bedeutung. Aus den Nachbarländern Syriens kehren seit dem Sturz des Assad-Regimes tausende Syrer:innen zurück. Der Premierminister der syrischen Übergangsregierung, Mohammed al-Baschir, hat bereits deutlich gemacht, dass sie alle willkommen sind. Doch die Rückkehr in ein vom Krieg zerstörtes Land birgt enorme Herausforderungen.

Die wirtschaftliche Lage ist katastrophal: Weite Teile des Landes sind zerstört, 90 Prozent der Bevölkerung sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Sie kämpft mit den physischen und psychosozialen Folgen von Krieg und Flucht. Zudem kontrolliert die Übergangsregierung nicht das gesamte Staatsgebiet. Da die Kämpfe andauern, sind weitere Fluchtbewegungen abzusehen. So wurden seit Beginn der Offensive der Aufständischen am 27. November etwa eine weitere Million Menschen vertrieben. 

Freiwilligkeit und informierte Rückkehrentscheidung

Eine übereilte Rückkehrpolitik würde nicht nur die ohnehin fragile Infrastruktur belasten, sondern auch die soziale Stabilität gefährden. Rückkehrbewegungen sollten daher nicht erzwungen werden. Ziel sollte es vielmehr sein, die Rückkehrpolitik so zu gestalten, dass sie zu einer inklusiven, friedlichen Transformation, Aufarbeitung und Aussöhnung sowie zu einem umfassenden Wiederaufbau des Landes beitragen kann. Den wichtigsten Aufnahmeländern syrischer Flüchtlinge - wie Deutschland - kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. 

Von freiwilliger Rückkehr sind die größten positiven Entwicklungswirkungen zu erwarten.  Syrer:innen in Deutschland sollten die Möglichkeit haben, sich vor einer Entscheidung selbst ein Bild von den Verhältnissen in Syrien zu machen. Aktuell riskieren sie jedoch ihren Flüchtlingsstatus oder subsidiären Schutzstatus in Deutschland, wenn sie nach Syrien reisen. Dies ist zwar rechtlich konsequent, erschwert aber eine gut vorbereitete Rückkehr. 

Angesichts der volatilen Sicherheitslage im Land und der Vielzahl bewaffneter extremistischer Gruppierungen erscheint es der unmittelbaren Stabilisierung nicht dienlich, die Abschiebung von Gefährder:innen und kriminellen Syrer:innen aus Deutschland und anderen europäischen Staaten voranzutreiben. 

Eine entwicklungsorientierte Rückkehrpolitik

Die durch Vertreibung entstandenen transnationalen Verbindungen und Diasporanetzwerke in Deutschland haben großes Potential zum wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Wiederaufbau Syriens beizutragen, etwa über Investitionen oder Wissensaustausch. Für die zukünftige Entwicklung Syriens sollte Deutschland daher gemeinsam mit anderen Aufnahmeländern rechtliche Lösungen für dauerhafte Mobilität finden, fördern und so einen positiven Beitrag zum Wiederaufbau des Landes leisten.  

Eine der Herausforderungen bei der Rückkehr wird der Konflikt um Land- und Eigentumsfragen sein. Binnenvertriebene haben sich verlassenen Wohnraum angeeignet, Gewaltakteure haben Eigentum beschlagnahmt. In Syrien kommt noch das vom Assad-Regime erlassene Gesetz Nr. 10 hinzu, das zur Enteignung von geflohenen Syrer:innen führte. Um eine gewaltsame Eskalation der zwangsläufig entstehenden Konflikte zu vermeiden und Vertrauen in eine gerechte Nachkriegsordnung aufzubauen, ist der Zugang zu einer unparteiischen und unbestechlichen Justiz und Streitschlichtung unabdingbar. Dieser Bereich sollte in Wiederaufbau- und Entwicklungsprogrammen daher priorisiert werden.  

Als eines der Hauptaufnahmeländer von Flüchtlingen weltweit - nicht nur aus Syrien - hat Deutschland eine Vorbildfunktion für eine verantwortungsvolle Rückkehrpolitik. Diese sollte nicht innenpolitischen Erwägungen zum Opfer fallen, sondern genutzt werden: Rückkehr sollte freiwillig sein und auf der Grundlage einer informierten Entscheidung der Betroffenen erfolgen. Aufnahmeländer sollten also nicht die schnelle Rückkehr von Syrer:innen in den Vordergrund stellen, sondern diese so gestalten, dass sie Teil eines umfassenden Friedens- und Wiederaufbauprozesses ist.