Es könnte die weltgrößte Freihandelszone werden. Als Bedingung für einseitige EU-Forderungen verlangen die Mercosur-Staaten nun Kooperation und Handelsvorteile - zu Recht und beispielhaft für andere Abkommen, meinen Bettina Rudloff und Tobias Stoll.
Kooperation, Finanzhilfen, Handelsausgleich, aber keine Sanktionen: Das fordern Medienberichten zufolge die Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay. Sie reagieren damit auf die Forderung der EU vom Frühjahr, den Wald- und Klimaschutz im EU-Mercosur-Abkommen mit einer Zusatzerklärung noch einmal nachzubessern. Parallel dazu wurden ohnehin Regeln für den Absatz in die EU hinsichtlich der Entwaldungsfreiheit definiert.
Eigentlich hatten sich die beiden großen regionalen Märkte nach mehr als 20 Jahren bereits im Juni 2019 auf ein gemeinsames Handelsabkommen geeinigt. Doch dann verabschiedete sich die damalige brasilianische Regierung unter Jair Bolsonaro von ihren Klimaschutzverpflichtungen und tolerierte großflächige Brandrodungen. Unter diesen Umständen war die EU nicht bereit, das Abkommen abzuschließen. Nach seiner Wahl 2022 kündigte Präsident Luiz Inácio »Lula« da Silva an, zu seiner früheren klimabewussten Politik zurückzukehren. Aber damit gab sich die EU nicht zufrieden. Die Vorgänge hatten in der EU die kritische Bedeutung der Entwaldung bewusst gemacht und zu einer deutlich härteren Gangart geführt: Die im Mai in Kraft getretene Entwaldungsverordnung verpflichtet europäische Importeure bestimmter Produkte wie Soja, Rindfleisch oder Kakao dazu, für eine entwaldungsfreie Lieferkette zu sorgen und praktisch nur noch entsprechend zertifizierte Ware einzukaufen. Dies wirkt sich auf die Produktionsweise, deren Dokumentation und damit auf die Kosten in Lieferländern wie Brasilien aus. Darüber hinaus wollte die EU auch das ausgehandelte Abkommen nachhaltiger gestalten: Eine Zusatzerklärung sollte entsprechende Schwächen des Textes auffangen, auch um eine Zustimmung bislang ablehnender EU-Länder wie Frankreich und Österreich zu ermöglichen.
Die Mercosur-Staaten kritisierten zunehmend die zeitgleich entstehenden unilateralen EU-Initiativen, die sie als übergriffig und konträr zur Idee bilateraler und damit gemeinschaftlicher Abschlussverhandlungen wahrnehmen. Dabei sieht die Entwaldungsverordnung als unilaterales Instrument durchaus Kooperationen vor, etwa bei der Entwicklung von Standards. In diesem Zusammenhang bietet sie auch Raum für eine günstigere Risikoeinstufung der Exportländer, was den administrativen Aufwand und die Kosten mindert. Ob diese Möglichkeiten in den Vertragsverhandlungen umfassend berücksichtigt wurden, ist nicht bekannt. Die im Februar und damit vor Inkrafttreten der Entwaldungsverordnung vorgeschlagene Zusatzerklärung der EU geht jedenfalls noch nicht darauf ein.
Die Antwort der Mercosur-Staaten auf die Zusatzerklärung der EU greift diese Kooperation nun konsequent auf: Sie fordern die Unterstützung der EU bei der Umsetzung der notwendigen Standards auch mit finanziellen Mitteln, schließen Handelssanktionen von den Verpflichtungen aus und bringen vor allem einen Ausgleichsmechanismus ins Spiel. Dieser soll greifen, wenn die EU einseitig Gesetze erlässt, die die Handelsvorteile aus dem Abkommen zunichtemachen. Letzteres ist aufgrund der Vielzahl neuer Nachhaltigkeitspflichten nicht aus der Luft gegriffen: Neben der Entwaldungsverordnung ist die ähnlich gelagerte, aber produktumfassende europäische Lieferkettenrichtlinie im Brüsseler Gesetzgebungsverfahren weit fortgeschritten, ein Importverbot für Produkte aus Zwangsarbeit wird vorbereitet. Alle diese neuen einseitigen Ansätze stellen zum Teil unterschiedliche Anforderungen an den Absatz in der EU in Bezug auf Entwaldung, Klimaschutz, Arbeitsstandards und Menschenrechte.
Die Forderungen der Mercosur-Staaten berühren die grundlegende Frage, wie Nachhaltigkeit und fairer Handel möglich sind. Europäische Gesetze können ausschließen, dass die EU und ihre Konsumentinnen und Konsumenten unbeabsichtigt zu Entwaldung, Umweltzerstörung, menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen und Menschenrechtsverletzungen beitragen. Bei globalen Nachhaltigkeitszielen wie dem Klimaschutz durch Entwaldungsschutz können strenge Regeln aber dazu führen, dass der Handel in andere, weniger streng regulierte Absatzmärkte umgelenkt wird. Dann ist das Nachhaltigkeitsziel verfehlt, wenn auch nicht durch europäische Konsumentinnen und Konsumenten. Nachhaltigkeitsziele lassen sich daher nur mit Akzeptanz und Unterstützung der Handelspartner umfassend erreichen. Dazu können Handelsabkommen in kluger Abstimmung mit den genannten unilateralen Instrumenten beitragen. Im Gegenzug werden die Partner aber von der EU Klarheit darüber erwarten, welche Verpflichtungen sie übernehmen müssen und welche Beiträge die EU und ihre Mitgliedstaaten zu deren Umsetzung leisten können. Zudem werden eigene Handels- und Wettbewerbsvorteile bei gleichzeitig größeren Nachhaltigkeitspflichten stärker eingefordert werden.
Der Mercosur-Vorschlag bietet nun Optionen für die Verbindung von unilateralen Ansätzen und Handelsabkommen. Genau das hatte die EU selbst nach in ihrer Überprüfung von Nachhaltigkeit in Handelsabkommen vom Sommer 2022 vorgesehen. Der Vorschlag der Mercosur-Staaten sollte daher konstruktiv als Vorlage genutzt werden, wenn auch die Ausgestaltung einzelner Elemente noch weiterer Diskussionen bedarf: So sollte die EU - aus Synergiegründen und mehr noch als Zeichen der Wertschätzung - verstärkt versuchen, bestehende Nachhaltigkeitsansätze auf Mercosur-Seite, etwa zur Zertifizierung, zu nutzen und zugleich zu unterstützen. Auch der vorgeschlagene Ausgleichsmechanismus könnte die dringend nötige Akzeptanz von Nachhaltigkeitszielen erhöhen. Er folgt einer in Handelsabkommen durchaus bekannten Logik. Denkbar wären Schutzzölle auf Seiten des Mercosur oder umgekehrt ein ausgleichender erweiterter Marktzugang in die EU - bei Einhaltung der unilateralen Nachhaltigkeitsvorgaben.
Die EU kann nun einen wegweisenden Beitrag leisten, um Nachhaltigkeit und Handel zu verbinden und einen fairen Handel auch aus Sicht der Partner zu fördern. Ein Scheitern des Abkommens würde vor allem China nützen, das einzelnen Mercosur-Staaten schon ein Handelsabkommen angeboten hat. Nicht zuletzt sollte die EU die Chance nutzen, mit einem zukunftsweisenden Modell für die Verbindung von Nachhaltigkeit und Handel den Weg aus der Sackgasse für geostrategisch wichtige Abkommen mit anderen Partnern zu ebnen.
Einfache Wiederbelebung oder Grunderneuerung?
doi:10.18449/2023A42
Lateinamerika und die Karibik im Fokus Deutschlands und der EU
doi:10.18449/2023A38
Das EU-Mercosur-Abkommen wartet seit mehr als drei Jahren auf einen Abschluss. Einigen EU-Staaten gehen die Nachhaltigkeitsmaßnahmen nicht weit genug. Unilaterale Ansätze der EU wie die Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten können helfen – bergen aber Risiken, meinen Bettina Rudloff und Tobias Stoll.
Chancen deutscher Außenpolitik mit einem traditionellen Partner
doi:10.18449/2022A81
doi:10.18449/2022WP05