Angesichts der Gaskrise und der russischen Invasion der Ukraine ist der Markthochlauf von Wasserstoff noch dringlicher geworden für die europäische und die deutsche Energiepolitik. Die ehrgeizigen Ziele für grünen Wasserstoff stellen die Europäische Union (EU) und die junge Wasserstoffökonomie allerdings vor enorme Probleme. Abgesehen vom Strombedarf fehlen vor allem Produktionskapazitäten für Elektrolyseure. Die anvisierte Produktionsskalierung von Elektrolyseuren ist kaum zu schaffen, außerdem steht sie im Konflikt zu Importbestrebungen und zementiert neue Abhängigkeiten von Lieferanten wichtiger Rohstoffe und kritischer Komponenten. Während eine Entkoppelung von Russlands Rohstofflieferungen zumindest möglich ist, führt an China kein Weg vorbei, will die EU ihre Ziele erreichen. Nebst erleichterten Regularien, einem aktiven Rohstoffmanagement und neuen Partnerschaften sollte Europa auch die einseitige Beschränkung auf grünen Wasserstoff überdenken.
Wasserstoff spielt eine immer zentralere Rolle in den klima- und energiepolitischen Plänen der EU, nicht zuletzt infolge der russischen Invasion der Ukraine und der Energieversorgungskrise. Schon 2020 hatte sich die EU im Rahmen ihrer Wasserstoffstrategie ehrgeizige Ziele gesetzt. Der jüngste Vorschlag der Europäischen Kommission (EK), REPowerEU, präzisiert und erhöht diese nun dramatisch. Zum einen sollen bis 2030 zu den ursprünglichen jährlichen 10 Millionen Tonnen (Mt) Wasserstoff aus heimischer Produktion weitere 10 Mt jährlich durch Importe hinzukommen. Zum anderen korrigiert der Vorschlag die Schätzung der benötigten heimischen Kapazitätsziele: Nicht 40 Gigawatt (GW), sondern 120 GW Kapazität werden erforderlich sein, um 10 Mt Wasserstoff in Europa herzustellen. Diese revidierten Vorgaben sollen bewirken, dass die EU ihre »Fit for 55«-Emissionsziele erfüllen kann und dass sie unabhängig(er) von russischen Energielieferungen wird.
Dabei setzt die EK ausschließlich auf grünen Wasserstoff. Er wird gewonnen, indem Wasser (H2O) mithilfe von Elektrolyseuren und erneuerbarem Strom in Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O2) gespalten wird – ohne direkte Kohlendioxid(CO2)-Emissionen. Es gibt jedoch auch andere klimafreundliche Verfahren für die Produktion von Wasserstoff, wie die Dampfreformierung mit Erdgas einschließlich CO2-Abscheidung (sog. blauer Wasserstoff).
Nun stellt sich die Frage, ob die ambitionierten Ziele der EU bei gleichzeitiger Festlegung auf nur eine Technologie überhaupt realisierbar sind. Allein der zusätzlich für die Gewinnung von jährlich 10 Mt Wasserstoff benötigte erneuerbare Strom entspräche beinahe der gesamten Stromproduktion der EU-27 aus Wind- und Sonnenkraft im Jahre 2021. Noch anspruchsvoller wird die Herstellung der Elektrolyseure: Die in der EU installierte Elektrolysekapazität müsste sich binnen acht Jahren um fast das 900-Fache erhöhen. Europa steht vor der doppelten Aufgabe, die notwendige Elektrolysekapazität zu installieren und sich eigene Marktanteile in der Elektrolyseurproduktion zu sichern.
In der neuen technologiebasierten Energiewelt und bei dem sich verschärfenden ökonomischen und geopolitischen Wettbewerb können der schnelle Ausbau von Kapazitäten in der Elektrolyse sowie der dafür notwendigen Anlagenproduktion zu einem entscheidenden Faktor für den Industriestandort werden. Gegenwärtig ist Europas Stellung im Markt noch stark. Zudem bemüht sich die EU, ihre industrie- und energiepolitische Souveränität zu betonen. Beispielsweise fordern der Green Deal und die europäische Industriestrategie, dass strategische Wertschöpfungsketten rund um Technologien für erneuerbare Energien geschaffen werden müssen. Mit der Clean Hydrogen Alliance versucht die EU, private Pilotprojekte zu fördern und die Wasserstoffproduktion schnell zu steigern. Auch die Frage resilienter Rohstofflieferketten gewinnt für die EU zunehmend an Bedeutung.
Generell ist aber festzustellen, dass gerade mit Blick auf Elektrolyseure geo-, industrie- und ressourcenpolitische Aspekte in den aktuellen Plänen kaum berücksichtigt sind. Vor dem Hintergrund der drohenden Fragmentierung der Weltwirtschaft sowie der Entstehung einer merkantilistisch geprägten Globalisierung gilt es daher, als Erstes mögliche Abhängigkeiten und Verwundbarkeiten für die europäische Elektrolyseurindustrie genauer zu identifizieren, um (geopolitischen) Risiken vorzubeugen. Zu betrachten sind dabei vorgelagerte Rohstofflieferketten und der Bezug kritischer Komponenten sowie die zunehmende Marktdominanz Dritter in der Elektrolyseurproduktion.
Welche Elektrolyseure für Europa?
Nur zwei Technologien weisen derzeit eine hohe Marktreife auf und werden in den nächsten Jahrzenten wohl den Löwenanteil der Kapazitäten ausmachen: Alkalische Elektrolyseure (AEL-Anlagen) und Polymer-Elektrolyt-Membran-Elektrolyseure (PEM).
AEL ist die älteste, am besten ausgereifte und mit 61 Prozent der weltweit installierten Kapazität die am weitesten verbreitete Technologie. Ihre Vorteile liegen im relativ simplen Design des Elektrolyseurs und, damit einhergehend, einer vergleichsweise simplen Produktion. AEL-Anlagen sind durchaus flexibel genug, um ausreichend schnell auf die Fluktuation von Sonnen- und Windenergie reagieren zu können. Die Kaltstartzeit ist mit etwas über 50 Minuten jedoch relativ lang, sodass sich diese Technologie eher für den Basis- als für den Spitzenbetrieb eignet.
PEM-Elektrolyseure sind jünger als AEL-Anlagen. Ihr weltweiter Marktanteil liegt zurzeit bei knapp 31 Prozent; er wächst aber stark. Die PEM-Technologie zeichnet sich vor allem durch eine sehr schnelle Kaltstartzeit von etwa 10 bis 20 Minuten aus sowie durch eine noch schnellere Reaktionszeit auf schwankende Stromproduktion. PEM-Anlagen sind daher besonders geeignet für Spitzenstunden in Stromnetzen mit hohen Anteilen erneuerbarer Energien, die eine rasche Reaktion erfordern. Sie sind jedoch technisch weniger ausgereift und gelten im Allgemeinen als teurer als AEL-Modelle, da für ihre Herstellung seltene Metalle gebraucht werden.
Zwar hat sich Europa auf grünen Wasserstoff festgelegt – bei der Wahl der Elektrolyseure zeigt es sich aber technologieoffen. Das ist zu begrüßen, da jedwede Elektrolysekapazität hilft, um die Wasserstoffproduktion wie gewünscht zu skalieren.
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Quellen: U. S. Geological Survey, Mineral Commodity Summaries 2022, Reston, VA, 2022; Gian Andrea Blengini et al., Study on the EU’s List of |
Rohstoffe und Komponenten
Der massive Ausbau von Europas Elektrolyseurflotte macht es notwendig, einen kritischen Blick auf die Wertschöpfungskette beider Elektrolysetechnologien zu werfen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen vorgelagerten Rohstofflieferketten und kritischen Komponenten (also industriell hergestellten Anlageteilen).
Nickel und Platin: Indonesien und Südafrika sind (k)eine Alternative zu Russland und China
Für AEL-Anlagen werden keine seltenen Metalle benötigt; lediglich Nickel und (nickelbeschichteter) Edelstahl müssen näher betrachtet werden. Zwar sind Nickelvorkommen weder selten noch geographisch konzentriert, die Versorgung mit Nickel ist aber problembehaftet. Bislang stammen zwischen 35 und knapp 50 Prozent der Importe nach Deutschland bzw. in die gesamte EU aus Russland, gemessen am Handelswert oder Gewicht. Russland nimmt weltweit den vierten Rang bei den Nickelreserven ein und ist daher ebenfalls ein relevanter Akteur sowohl für unraffinierten als auch für raffinierten Nickel (vgl. Grafik).
Andere Länder wie Indonesien (22 %), die Philippinen (5 %) und Australien (22 %) verfügen zusammen über fast die Hälfte der globalen Nickelreserven und weisen einen ähnlichen Anteil bei der globalen Bergwerkförderung von Nickelerzen auf. Sie stellen somit eine Alternative zu Russland dar. Allerdings hat Indonesien 2020 einen Exportstopp für Nickelerze beschlossen, um die Wertschöpfung im eigenen Land zu halten – was für die EU Anlass war für eine Beschwerde bei der Welthandelsorganisation. Andererseits decken Australiens Raffinierungskapazitäten gerade einmal 7 Prozent des globalen Marktes.
Insbesondere im Verhüttungswesen, einer wichtigen Vorstufe zur Raffination, und im Raffinierungswesen ist trotz indonesischer (und längerfristig philippinischer) Ambitionen China ein Schlüsselakteur: Das Land hat zwar keine großen Nickelreserven, stellt aber laut Schätzungen über drei Viertel der Schmelzöfen für die Verhüttung sowie ein Drittel der weltweiten Raffinadeproduktion. Unter den aktuellen Bedingungen müsste die EU also entweder bereits verhütteten Nickel aus Indonesien erwerben und dabei mit China konkurrieren oder beispielsweise von Australien und den Philippinen Nickelerze beziehen, die aber bislang weitestgehend in China verhüttet werden. – Kosten und Risiken einer Loslösung aus der Abhängigkeit von Russland sind signifikant.
Deutlich schwieriger noch ist die Lage bei PEM-Elektrolyseuren. Hier basiert die Kathode meist auf Platin und die Anode auf Iridium – zwei der seltensten, emissionsreichsten und teuersten Metalle. Sie gehören zu den Platingruppenmetallen (PGM). Für Iridium in PEM-Elektrolyseuren sind keine Alternativen bekannt. Europas Importabhängigkeit für Platin liegt bei 98, diejenige für Iridium bei 100 Prozent.
Die Vorkommen sind stark in Südafrika konzentriert, das Land ist der weltweit größte Platin- und Iridiumlieferant (vgl. Grafik). Die derzeitigen Abbauraten von Iridium und Platin reichen voraussichtlich nur, um die PEM-Elektrolyse-Kapazitäten jährlich um 3 bis 7,5 GW zu erhöhen. Es wird aber erwartet, dass der Bedarf bis 2030 massiv steigt. Dies würde eine enorme Zunahme der Minenaktivität bedeuten.
Versorgungsschwierigkeiten für Iridium ergeben sich nicht primär aus der geologischen Knappheit, sondern aus den sozialen und ökonomischen Voraussetzungen für die zu steigernde Exploration. 2013 etwa führten blutig niedergeschlagene Proteste gegen die Arbeitsbedingungen in südafrikanischen Platinminen zu einem zeitweiligen Exportstopp und hohen Preisspitzen.
Russland ist mit 13 Prozent der zweitwichtigste Platinlieferant weltweit – und ebenso für Europa. Die Entkoppelung von Russland wird Europas Importabhängigkeit von Südafrika mithin weiter verfestigen. Eine echte Diversifizierung scheint unmöglich, denn Südafrika verfügt mit 90 Prozent auch über die mit Abstand größten Reserven an PGM. Stabile Abbauländer wie die USA oder Kanada werden wiederum selbst einen Nachfrageanstieg zu verzeichnen haben – namentlich Firmen aus den USA setzen auf die Produktion von PEM-Elektrolyseuren. Um ihren eigenen steigenden Bedarf an PGM zu decken, versuchen die USA, mithilfe des Defense Production Act die heimische Produktion zu fördern, um einer sich abzeichnenden Importabhängigkeit vorzubeugen. Die USA könnten also als bestehender Lieferant am Weltmarkt (Platin: 2 %) ausfallen.
Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die Probleme hinsichtlich der Diversifizierung der Nickelversorgung weg von Russland erheblich, aber trotz allem lösbar sind. Allerdings wächst damit die Abhängigkeit Europas von der Nickel-Verhüttung in China sowie von PGM aus Südafrika.
Abhängigkeiten bei kritischen Komponenten für PEM‑Anlagen
Für die Produktion von AEL-Anlagen gibt es keine Komponenten, die im Hinblick auf die Versorgungssicherheit Probleme bereiten. Sämtliche Komponenten sind Standardmaterialien in der Industrie und können von innerhalb Europas bezogen werden.
Die Lieferketten bei PEM-Elektrolyseuren weisen zwar Ähnlichkeiten mit denjenigen von AEL-Anlagen auf, jedoch bestehen bei Komponenten für die Herstellung von PEM-Elektrolyseuren durchaus Abhängigkeiten, und zwar vorwiegend von den USA, Japan und dem Vereinigten Königreich (VK) (vgl. Grafik). Sie stellen voraussichtlich kein geopolitisches Risiko dar; wohl aber kann die Marktkonzentration Preisrisiken und logistische Abhängigkeiten verursachen.
Insbesondere drei Komponenten für die Herstellung von PEM-Elektrolyseuren werden als besonders kritisch erachtet: Polymer-Elektrolyt-Membranen, Trägerkatalysatoren und die Membran-Elektroden-Einheit.
Polymer-Elektrolyt-Membranen ersetzen den flüssigen Elektrolyten, wie er in AEL-Modellen vorkommt, und sind entscheidend für die Leistung von PEM-Elektrolyseuren und die Reinheit des Wasserstoffs. Zwar gibt es in Europa einen Produzenten für das Membranrohmaterial, weshalb die Abhängigkeiten gering gehalten werden können; die Membranen selbst müssen aber aus dem VK, den USA oder Japan importiert werden. Dadurch können diese drei Länder ihre bestehenden Vorteile in Technologie und Skalierung aufrechterhalten.
Trägerkatalysatoren in PEM-Elektrolyseuren verstärken die elektrochemischen Reaktionen der Zelle. Zwei der führenden Unternehmen auf diesem Markt sind in der EU bzw. dem VK beheimatet, das dritte in Japan. Auch hier gilt: Technologievorsprung stellt eine große Eintrittsbarriere für andere dar.
Die Membran-Elektroden-Einheit, ein optimal aufeinander abgestimmter und zusammengesetzter Stapel von Protonen-Austausch-Membranen, Katalysatoren und Elektroden, ist essentiell für die Leistung von PEM-Elektrolyseuren. Einer der führenden Produzenten hat seinen Sitz im VK; Hersteller in China arbeiten jedoch ebenfalls an Manufakturkapazitäten.
Skalierung der Elektrolyseurproduktion
Europa mit starker Position, aber Skalierungshindernissen
Die (fehlenden) Produktionskapazitäten für Elektrolyseure sind ein weiterer Hindernisfaktor für die Realisierung der Vorhaben der EU. Allein um die Ziele des REPowerEU-Plans hinsichtlich heimischer Wasserstoffproduktion zu erreichen, werden laut Europäischer Kommission 120 GW an Elektrolysekapazität benötigt – die in der EU installierte Kapazität lag 2021 aber gerade einmal bei 0,135 GW und die weltweite Manufakturkapazität betrug 2020 nur etwa 2 GW pro Jahr. Bereits bis 2030 sind zwar 118 GW Elektrolysekapazität in der EU angekündigt (73 GW davon in Spanien), finale Investitionsentscheidungen stehen allerdings meist noch aus. Von den 750 Pilotprojekten im Rahmen der Clean Hydrogen Alliance betreffen lediglich 64 die Elektrolyseurproduktion.
Europa kann schon heute auf heimische Elektrolyseurhersteller mit Expertise in allen technologischen Varianten verweisen. Dies umfasst gleichermaßen große industrielle Player, wie thyssenkrupp und Siemens, sowie kleinere Unternehmen, die sich häufig auf noch unausgereifte Verfahren konzentrieren. Derzeit liegen 60 Prozent der weltweiten Produktionskapazität für Elektrolyseure und 40 Prozent des Elektrolyseurbestandes in der EU; auch mit etwa 40 Prozent der relevanten Patente ist sie vorn dabei. Insbesondere bei den PEM-Modellen ist ihre Technologieführerschaft ausgeprägt.
Elektrolyseurhersteller beklagen indes, dass Abnehmer bislang kaum verbindliche Investitionsentscheidungen getroffen haben und somit keine Produktionskapazitäten aufgebaut werden können – die Abnehmer bemängeln ihrerseits die hohen rechtlichen Anforderungen in den Entwürfen des delegierten Rechtsaktes der EK. Dieser ist maßgeblich für die Definition von grünem Wasserstoff und die für seine Produktion geforderten Bedingungen.
Der ursprüngliche Entwurf verlangte, erstens, »Zusätzlichkeit«: Ab Ende 2026 sollte für die Elektrolyse nur noch Strom aus neu erbauten und nicht subventionierten Solar- und Windparks verwendet werden. Zweitens sah er räumliche und zeitliche Korrelation vor: Ein Elektrolyseur sollte ab 2027 nur solchen Strom nutzen dürfen, der in derselben Stunde und in derselben Stromgebotszone von Anlagen erzeugt wird, die mit dem Elektrolyseur direkt verbunden sind. Diese strikte Regulierung stand aber der Tatsache gegenüber, dass Elektrolyseure mindestens 4.000 Stunden im Jahr betrieben werden müssen, um kosteneffizient zu produzieren. Aus diesem Grund hat das Europäische Parlament mit seiner jüngsten Abstimmung diesen beiden strengen Regeln eine Absage erteilt. Für einen schnellen Markthochlauf bedarf es aber weiterer Diskussionen und wegweisender Entscheidungen, angefangen mit der Definition von sauberem Wasserstoff.
China auf dem Weg zur Marktführerschaft
Neben regulatorischen Hindernissen sieht sich die europäische Elektrolyseurindustrie auch mit anderen Konkurrenten konfrontiert – allen voran China. Zurzeit hält die Volksrepublik etwa 35 Prozent der weltweiten Produktionskapazität für Elektrolyseure. Obwohl dies unter derjenigen Europas liegt, ist China bereits zum weltgrößten Hersteller von Elektrolyseuren geworden. Dafür sorgen vor allem deutlich niedrigere Kosten: Sie betragen trotz zunehmend ähnlicher Effizienz und Qualität der Anlagen nur ein Fünftel der Kosten europäischer Modelle. Chinas Fokus lag bisher auf AEL-Anlagen, für die es die Hälfte der globalen Produktion stellt.
Die Tendenz ist weiter steigend: Für das Jahr 2022 wird von einer Verfünffachung der chinesischen Manufakturkapazität auf 2,5 GW jährlich ausgegangen. Diese Entwicklung treiben Staat und Industrie aktiv voran. Der 14. Fünfjahresplan Chinas (2021–2025) erklärt die Wasserstoffindustrie zu einer von sechs industriellen Prioritäten. Führende Hersteller von Solaranlagen ebenso wie Staatsunternehmen sind in den Markt eingestiegen und verfolgen die gleiche Strategie, die bereits in anderen Sektoren wie der Solarbranche in die Marktdominanz mündete: massive Skalierung der Produktion, damit verbundene Senkung der Stückkosten und rasche Weiterentwicklung der Technologie. Bislang hat China nur den heimischen Markt versorgt; zunehmend stellt sich die Industrie jedoch auch (zu höheren Preisen) auf internationale Kunden ein – zum Beispiel in den arabischen Golfstaaten.
Globaler Wettbewerb um Marktanteile … und Elektrolyseure
Ob die europäische Elektrolyseurindustrie dasselbe Schicksal wie die einstmalige heimische Solarindustrie erfährt, bleibt eine offene Frage, denn die Branchen unterscheiden sich deutlich: Modulare Solaranlagen sind kleinteilig und im Nachhinein gut transportabel, ihre Herstellung standardisiert. Im Gegensatz dazu sind Elektrolyseure klobigere Anlagen. Überdies dominierten die europäische Solarindustrie hauptsächlich junge Unternehmen, während es in der Elektrolyse oft europäische multinationale Konzerne sind. In jedem Fall aber zeigt der Aufstieg Chinas zum führenden Produzenten von AEL-Anlagen, dass Europas technologischer Vorsprung mehr und mehr dahinschmilzt. Selbst in der PEM-Technologie fasst China allmählich Fuß. Auch die USA sind zunehmend an diesem Markt interessiert und ein ernsthafter Konkurrent für PEM-Elektrolyseure geworden.
Elektrolyseure selbst könnten sich also als globaler Flaschenhals herausstellen. Trotz der erwarteten fünffachen Steigerung der europäischen Produktionskapazitäten bis 2023 werden diese voraussichtlich nicht ausreichen, um die europäischen Ambitionen zu erfüllen. Die Verwirklichung der EU-Pläne würde einen für Energietechnologien beispiellosen Fortschritt in der Produktion und Installation von Elektrolyseuren erforderlich machen – was vermutlich nur mit einer zentralen Steuerung von Ressourcen wie in Kriegszeiten möglich wäre. Dementsprechend wahrscheinlich ist es, dass Europa auf die wachsende chinesische Elektrolyseurindustrie zurückgreifen muss – neue Abhängigkeiten inbegriffen.
Wohlgemerkt zielt REPowerEU nicht nur darauf ab, grünen Wasserstoff in der EU herzustellen, sondern ebenso auf den Import derselben Menge – für deren Herstellung wiederum Elektrolyseure gebraucht werden. Das parallele Hochfahren von Importen und heimischer Produktion könnte demnach, bedingt durch die begrenzten Kapazitäten, einen Zielkonflikt heraufbeschwören. Zudem existieren auch außerhalb Europas Pläne für die Wasserstoffproduktion und ‑nutzung. China selbst zielt mit der China Hydrogen Alliance auf eine ähnliche Größenordnung ab wie die EK: 100 GW bis 2030. Je nach Geschwindigkeit des (globalen) Ausbaus der Produktionskapazitäten für Elektrolyseure bergen also die hohen Installationsziele die Gefahr, neue Abhängigkeiten zu schaffen und / oder die Preise für Elektrolyseure massiv nach oben zu treiben.
Handlungsempfehlungen: Realistisch bleiben, pragmatisch und strategisch handeln
Elektrolyseure sind das Herzstück der entstehenden grünen Wasserstoffwelt. Die Herausforderungen, die mit einer Produktionsskalierung einhergehen, werden aber oft übersehen.
Die REPowerEU-Pläne sind in ihrem Ausmaß kaum zu verwirklichen. Ihnen liegen fast unrealistische Zuwächse in Bergbau, Metallurgie, Anlagenbau und Stromproduktion zugrunde. Darüber hinaus soll der beschleunigte Markthochlauf dazu dienen, von russischen Energieimporten unabhängig zu werden – dabei verursachen die Elektrolyseure selbst neue Abhängigkeiten. Ein globales Nadelöhr könnte den Wettbewerb um Elektrolyseure anheizen und damit grünen Wasserstoff noch teurer machen.
Trotz dieser ungünstigen Bedingungen können die EU, ihre Mitgliedstaaten und deren Unternehmen den Problemen zumindest entgegenwirken. Sechs Maßnahmen bilden die Basis dafür:
Erstens sollten EU, Mitgliedstaaten und Unternehmen den Risiken von Abhängigkeiten in der Rohstofflieferkette für Elektrolyseure durch einen Mix aus technologischen Innovationen und staatlicher Flankierung begegnen. Da eine Diversifizierung der PGM-Lieferanten wenig bis gar nicht machbar erscheint, gilt es, zum einen zügig eine Recyclinginfrastruktur aufzubauen, zum anderen, insbesondere den Iridiumgehalt in PEM-Elektrolyseuren zu reduzieren.
Überdies muss Rohstofflieferanten klar kommuniziert werden, wie hoch der Bedarf an diesen Metallen sein wird, sodass Planungs- und Investitionssicherheit für neue Minenprojekte gewährleistet ist. Zwar haben die meisten EU-Staaten keine eigenen internationalen Bergbauunternehmen. Das Beispiel der staatlichen japanischen Agentur JOGMEC aber zeigt, dass durch Kredite, Investitionen und Garantien Bergbauprojekte gezielt gefördert werden können. Die EU sollte ein ähnliches Instrument zur Förderung auch ausländischer privater Bergbauaktivitäten entwickeln und zusätzlich die Gründung eines europäischen Champions im Bergbausektor erwägen.
Zweitens ist wichtig, den Nachhaltigkeitsaspekt in Rohstofflieferketten mitzudenken – wie der Fall der Minenproteste in Südafrika vor Augen geführt hat, beeinflusst er ebenfalls die Versorgungssicherheit. Die Stärkung von Public-Private-Partnerschaften und Kapazitäten öffentlicher Institutionen in Abbauländern könnte dafür sorgen, dass neben der Wirtschaftlichkeit auch Umwelt- und Sozialkriterien stärker berücksichtigt werden und damit Unruhen und Lieferausfällen vorgebeugt wird.
Drittens sollten auf dieser Basis für bestimmte Rohstoffe wie Nickel oder PGM gezielte bilaterale Rohstoffpartnerschaften (insbesondere mit Indonesien, den Philippinen, Australien und Südafrika) ausgehandelt bzw. ausgebaut sowie Raffinierungsprozesse vor Ort mit Krediten und Investitionen gefördert werden. Angesichts der potenziellen Rolle Indonesiens und der Philippinen als alternative Lieferanten zu China und Russland wäre ferner sinnvoll, in das zurzeit verhandelte EU-ASEAN-Freihandelsabkommen eine Rohstoffkomponente zu integrieren.
Viertens müssen europäische Elektrolyseurhersteller beim zügigen Ausbau der Produktionskapazitäten aktiv unterstützt werden. Staatliche Zusagen für die Produktionsskalierung, geeignete Kredite und eine garantierte Nachfrage dürften ausreichende Anreize für Projektentwickler geben. Die EK hat unlängst die Schaffung einer EU-Wasserstoffbank vorgeschlagen, die als Abnehmer für 10 Mt Wasserstoff fungieren soll. Unklar bleibt aber, ob diese Bank die Nachfrage ebenso für Importe garantieren wird. Auch eine technologieneutrale Definition von Wasserstoff, die als Kriterium den CO2-Fußabdruck aufführt, der bei seiner Produktion anfällt, und nicht das angewandte Verfahren, scheint unabdingbar zu sein.
Darüber hinaus gilt es, die Konkurrenz im Auge zu behalten: Der europäische Branchenverband der Wasserstoffindustrie, Hydrogen Europe, warnt bereits vor einem »Massenexodus« der europäischen grünen Wasserstoffindustrie in Richtung USA, sollte die EK die finale Fassung ihrer Regularien für die Herstellung von Wasserstoff nicht ähnlich einfach und großzügig gestalten wie der Konkurrent. Das neue US-Klimaschutzgesetz sieht umfassende Steuergutschriften für die Wasserstoffproduktion vor. Gepaart mit einfacheren Regeln für die Produktion, könnten diese eine massive Verlagerung von Kapitalflüssen und Unternehmen der Wasserstoffindustrie in die USA bewirken, wenn Europa nicht nachzieht. Die jüngste Abstimmung des EU-Parlaments ist ein wichtiger, aber dennoch nicht hinreichender Schritt, um eine Abwanderung zu verhindern.
Fünftens kommt es im Umgang mit China darauf an, abzuwägen zwischen dem Bestreben nach Souveränität einerseits und der Aufrechterhaltung notwendiger Lieferketten andererseits. An China führt kein Weg vorbei: falls nicht bereits für den innereuropäischen Ausbau der Elektrolyseurflotte, dann spätestens für Anlagen in Drittländern, von denen Europa grünen Wasserstoff beziehen möchte. Auch muss Europa zunehmend um seine Technologieführerschaft im Bereich Elektrolyseure bangen. Obwohl es bei Patenten und Produktionskapazitäten noch eine Spitzenposition innehat, hat China es hinsichtlich Marktanteilen bereits überholt. Das bedeutet für die EU und Deutschland einen Zielkonflikt, weil das rasche Skalieren der weltweiten Produktionskapazitäten für Elektrolyseure ohne China kaum zu schaffen ist.
Sechstens sollte blauer Wasserstoff in die europäischen Wasserstoffpläne miteinbezogen werden. Statt sich auf eine Technologie zu beschränken, sollte schlicht der bei der Wasserstoffproduktion oder -einfuhr entstehende CO2-Fußabdruck bilanziell angerechnet, also mit dem CO2-Preis belegt werden. Dies ergäbe ohnehin einen Lenkungseffekt zugunsten des klimaneutralen, grünen Wasserstoffs. In Europa machen Genehmigungsschwierigkeiten und Gaskrise blauen Wasserstoff zwar unwirtschaftlich – grüner Wasserstoff ist hier vorzeitig zum günstigsten geworden –, in Regionen mit niedrigen Gaspreisen (etwa den Golfstaaten) ist blauer Wasserstoff jedoch weiterhin günstiger. Zu prüfen wäre, welche Maßnahmen (wie Langfristverträge, spezialisierte Infrastruktur) sicherstellen, dass Exporteure mittelfristig Flüssiggas durch blauen Wasserstoff ersetzen.
Schon die fehlenden Elektrolyseure verdeutlichen, dass die EU ihre proklamierten Ziele ausschließlich mit grünem Wasserstoff kaum erreichen dürfte. Importe blauen Wasserstoffs würden den Zielkonflikt entschärfen, der sich aus dem gleichzeitigen Ausbau der heimischen und ausländischer Elektrolyseurflotten ergibt. Durch eine bilanzielle Anrechnung des CO2-Fußabdrucks kann weitgehend vermieden werden, dass regulierte europäische Wasserstoffhersteller gegenüber ausländischen benachteiligt werden. Ebenso würde der Aufbau eines globalen, harmonisierten Zertifizierungs- und Regelwerks erleichtert.
Unter den gegenwärtigen globalen energie- und geopolitischen Bedingungen muss die EU das Hochfahren der Elektrolysekapazitäten zweifelsohne forcieren. Dabei muss der Hochlauf des Wasserstoffmarktes Priorität haben gegenüber Vorlieben für bestimmte Technologien. Eminent wichtig bei all dem ist, dass die EU realistisch plant sowie pragmatisch und strategisch handelt.
Dr. Dawud Ansari und Dr. Jacopo Pepe sind Wissenschaftler, Julian Grinschgl ist Forschungsassistent in der Forschungsgruppe Globale Fragen. Dieses SWP-Aktuell entstand im Rahmen des Projekts »Geopolitik der Energiewende – Wasserstoff«, das vom Auswärtigen Amt finanziert wird.
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DOI: 10.18449/2022A58