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Eine »Kurzfriststrategie Negativemissionen«: Politikoptionen für den Hochlauf von CO2-Entnahme

SWP-Aktuell 2025/A 10, 07.03.2025, 8 Pages

doi:10.18449/2025A10

Research Areas

Die Rolle von Technologien zur dauerhaften Entnahme von Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre (Carbon Dioxide Removal, CDR) wird im Rahmen der Erarbeitung eines neuen EU-Emissionsreduktionsziels für 2040 und einer deutschen Langfrist­strategie Negativemissionen intensiv diskutiert. Ergänzend zu diesen Langfriststrategien bedarf es einer Kurz­friststrategie, damit die Skalierung von Technologien für industrielles CDR gelingt. Bislang liegt der Fokus häufig auf einer konzeptionellen Diskussion darüber, welche Mengen an CDR im Netto-Null-Jahr benötigt werden. Zu wenig Beachtung findet die Frage, wie und mit welchem Vorlauf die ersten groß­skaligen CDR-Projekte überhaupt ent­stehen können. Einige Länder haben bereits kurz­­fristige Instrumente entwickelt, um einen ersten Investitionsschub in Technologien für industrielles CDR aus­zulösen. Eine ver­gleichende Bewertung dieser Ansätze zeigt mehrere umsetzbare Politik­optionen für eine gezielte CDR-Skalierung in der EU und Deutschland auf.

Erste Fortschritte in der Integration von CO2-Entnahme in die Klimapolitik lassen sich auf allen politischen Ebenen beobachten. Die Europäische Union (EU) sieht in der CO2-Entnahme eine wichtige Technologie auf dem Weg zu ihrem Netto-Null-Ziel, das sie 2050 erreicht haben will, und ist dabei, neue Politikinstrumente zu ent­wickeln. In Deutschland läuft auf Bundesebene zurzeit der Prozess, im Rah­men der Langfriststrategie Negativemissionen (LNe) eine Positio­nierung und langfristige Entnahmeziele bis zum angestrebten Netto-Null-Jahr 2045 zu erarbeiten.

Gerade weil in den USA die bis­her verfolgte innovative CDR-Politik vor­aussicht­lich rückabgewickelt wird, bietet sich für die EU und Deutschland die Chance, eine Vor­reiter­rolle zu ergreifen. Hierfür braucht es jedoch nicht nur lang­fristig orientierte Ziele und Strategien, sondern auch eine »Kurzfriststrategie Negativemissionen«, die den Blick auf die Skalierung insbe­son­dere von Anwen­dungen für permanentes CDR richtet. Dieser kurzfristige Handlungsbedarf ergibt sich zum einen aus der wissen­schaft­lichen Literatur, wie es für die EU etwa die Publikationen des Europäischen Wis­sen­schaftlichen Beirats zum Klima­wandel zeigen, und zum anderen aus dem Dialog mit Industrieunternehmen, zum Beispiel im Rahmen der Landes­initiative IN4climate. NRW.

CO2-Entnahme als ein Baustein ambitionierter Klimapolitik

CO2-Entnahme umfasst ein breites Spek­trum an Methoden, die häufig in konven­tionelle und neuartige Ansätze unterteilt werden. Diese Methoden zielen darauf ab, CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen und es je nach Verfahren für Jahrzehnte bis Jahrtausende zu speichern. Zusätzlich zur drastischen Reduktion der Emissionen wird es ohne die Skalierung eines Portfolios von CO2-Entnahme-Methoden – bestehend aus konventionellem und neuartigem CDR – nicht möglich sein, Netto-Null-Ziele zu erreichen, weder auf internationaler oder nationaler noch auf regionaler Ebene.

Ein wichtiges Unterscheidungskriterium für CDR-Methoden ist die Frage, wie dauer­haft das CO2 gespeichert werden kann. Kon­ventionelles CDR im Sektor Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF) spei­chert das CO2 häufig nur für begrenzte Zeiträume. Dem­gegen­über er­mög­lichen nach aktuellem Forschungs­stand insbesondere die neu­artigen Methoden, die auf einer CO2-Spei­che­rung in geologischen Formationen (Carbon Capture and Storage, CCS) basieren, das CO2 dauer­haft der Atmo­sphäre zu entnehmen. Um die CCS-basier­ten Metho­den von den kon­ventionellen abzugrenzen, wird hier von »industriellem CDR« gesprochen.

Grafik 1 (Seite 3) zeigt den Ausbau der CDR-Kapazitäten bis 2050 in der EU – ent­sprechend der Modellierung der Europäischen Kom­mis­sion – und dass dieser paral­lel zur dras­tischen Reduktion der Emissionen erfolgen muss (linker Teil). Zudem ver­an­schaulicht sie, dass für die Netto-CO2-Ent­nahme im LULUCF-Sektor für 2030 310 Mil­lionen Tonnen als Ziel vereinbart sind und diese Entnahme bis 2050 gemäß der Sze­narien um weitere 7 Prozent steigt. Indus­trielles CDR müsste als neuer Sektor auf­ge­baut werden, mit einer Wachstumsrate von 2800 Prozent zwischen 2030 und 2050 (rechter Teil). Beide Entwicklungen sind mit erheblichen, wenn auch unterschiedlich gelagerten poli­tischen Herausforderungen verbunden.

Unzureichende Integration von indust­riellem CDR in die Klima­politik

Angesichts des notwendigen Ausmaßes der Skalierung von Tech­nologien für industrielles CDR werden diese in der Klimapolitik der unter­schiedlichen poli­tischen Ebenen bis­lang nur unzureichend berücksichtigt. Die EU hat zwar mit der Verordnung zur Zer­tifi­zierung von CO2-Entnahmen (Verord­nung 2024/3012) einen ersten Schritt ge­macht. Gleich­zeitig bleiben zentrale Fragen offen, zum Beispiel ob und unter wel­chen Bedin­gun­gen CDR-Zertifikate in be­stehende klima­politische Instrumente der EU inte­griert wer­den können, etwa den EU-Emis­sions­handel (ETS) oder die Lasten­teilungs­verordnung.

In Deutschland ist CO2-Entnahme im Klimaschutzgesetz (KSG) zwar grundsätzlich ent­halten (Ziele in §§ 3a und 3b KSG) und der Pro­zess zur Erarbeitung der LNe des Bundes­ministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz will hier­mit verbundene Ziele klären. Aller­dings mangelt es an kurzfristigen An­reiz­strukturen für die Skalierung von CDR-Projekten und ‑Infrastrukturen im in­dus­triellen Maß­stab. Die bisherigen Rah­men­bedingungen für Unter­nehmen führen zu Investitions­unsicher­heit, sodass zwischen kleinskaligen Innovationsprototypen und großskaligen Umsetzungsprojekten ein »valley of death« klafft. Viele schon heute technisch mögliche CDR-Projekte, mit denen sich kurzfristig zu erreichende CDR-Kapa­zitäten realisieren ließen, kom­men deshalb bis auf Weite­res nicht über das Konzept­stadium hinaus. Eine Strategie zu Negativ­emissionen sollte daher nicht nur auf die Jahre 2035 bis 2060 blicken, sondern auch für die Jahre davor die in­dus­trielle CO2-Entnahme in die Klimapolitik auf­nehmen.

Langwierige Reformen und kurzfristige Kapazitäten

Die Gestaltung von CDR-Politik wird Zeit brauchen, da sie maßgeblich von der Pfad­abhängigkeit bestehender Instrumente auf den unterschied­lichen politischen Ebenen geprägt ist. Die struktu­relle Ein­bindung von CDR in die breitere klima­politische Archi­tek­tur wird voraussichtlich erst mit der Fortschrei­bung der EU-Instru­mente für die nächste Dekade (ab 2031) erfolgen. Vermut­lich erst in den frühen oder mittleren 2030er Jahren ist damit zu rechnen, dass CDR-Politik als inte­grierter Baustein der klimapolitischen Archi­tektur auf EU-Ebene so weit umgesetzt ist, dass daraus Anreizstrukturen resul­tieren. Bis dahin gilt es, politische Alli­anzen zwi­schen EU-Mitglied­staaten und Sek­toren zu bilden sowie An­reize und Fördermechanis­men zu schaffen, die die Lernkurve für Inno­vation im Bereich CDR beschleunigen und die Kosten im indus­triellen Maßstab sen­ken. Dafür ist es wich­tig, sich auf diejenigen CDR-Kapazi­täten zu konzentrieren, die kurz­fristi­g und vergleichsweise leicht zu erreichen sind.

Grafik 1

Grafik 1. Linker Teil: Emissionsreduktion und CO2-Entnahme. Rechter Teil: Industrielle und Netto-LULUCF-Entnahme.

Dafür müssen Prioritäten gesetzt und entlang klarer Kriterien einzelne Anwendungen ausgewählt werden. Nur CDR-Methoden, die sich innerhalb der kurzen Frist in breitere klimapolitische Entwicklungen einfügen und sich langfristig am Markt behaupten können, sollten eine kurzfristig orientierte Förderung erhalten.

Zu den Kriterien zählen die Fähigkeit zur permanenten CO2-Spei­cherung, eine über­schaubare Preisspanne im unteren drei­stelligen Bereich pro Tonne CO2 und ein system­kompatibler Energie­bedarf. Um förderungswürdige Anwendun­gen zeit­lich zu priorisieren, sollte geprüft werden, ob es Synergien zu Carbon-Manage­ment-Aktivitä­ten der Industrie und zum schritt­weisen Aufbau der CO2-Trans­port­infrastruk­tur gibt.

Generell sollte der Hochlauf von CO2-Ent­nahme sowohl im übergeordneten politi­schen Regelwerk als auch in der Förder- und Entwicklungspraxis mit Projekten zur Abscheidung von fossilem CO2 und dessen Speicherung (CCS) oder dessen Nutzung (Carbon Capture and Utilization, CCU) zusammengedacht werden. Die Prozesse zur Erarbeitung von Carbon-Manage­ment-Strategien in der EU sowie in Deutsch­land und ande­ren Mitgliedstaaten betonen, dass auch künftig in bestimmten Sektoren ein CO2-Ausstoß nicht zu vermeiden sein wird (siehe SWP-Aktuell 30/2023). Daher müs­sen insbesondere Müll­verbrennungs­anlagen, Zement- und Kalk­werke zukünftig mit CO2-Abscheideanlagen ausgestattet werden, wenn CO2-neutral pro­duziert und eine Ab­wanderung verhindert werden soll. Gleich­zeitig sind es genau diese Anlagen, in denen die Möglichkeit besteht, dringend be­nötigte Mengen von permanentem CDR zu er­rei­chen, indem nämlich biogene Rest­stoffe an­teilig als Ener­giequelle eingesetzt werden.

Bedacht werden müssen darüber hinaus die langen Inves­titionszyklen in der Indus­trie. Anlagen, die in den kommenden Jah­ren geplant, dimen­sioniert und gebaut wer­den, bleiben Jahr­zehnte in Betrieb. Heute getrof­fene Ent­scheidungen, in CO2-Ab­scheidung und die CO2-Trans­portinfrastruk­tu­r zu in­ves­tieren, bestimmen damit über die Kapa­zi­täten zur CO2-Entnahme in den 2040er Jah­ren – und somit darüber, ob das Netto-Null-Ziel in greifbare Nähe rückt.

Die Synergien zwischen CO2-Entnahme und der Abscheidung von fossi­lem CO2 sind also ein wichtiges Element für eine erfolg­reiche Im­plementie­rung von CDR-Anwen­dungen; sie sollten in einer »Kurzfriststrategie Negativ­emissionen« berücksichtigt wer­den. Zu bedenken ist hierbei, dass CO2-Ent­nahme und ‑Abscheidung in Deutschland, anders als auf EU-Ebene, bislang in zwei unterschiedlichen Strategieprozessen be­arbei­tet werden.

Politikoptionen: Beispiele für kurzfristige CDR-Politik

In einigen Ländern werden bereits Instru­mente erprobt, die auf die Schließung der Lücke bis zu einem langfristigen Markt­rahmen abzielen und schon jetzt Investi­tio­nen anreizen. Sowohl die bevorstehenden Initiativen auf EU-Ebene als auch die neue Bundesregierung können aus diesen ersten praktischen Er­fah­rungen ihre näch­sten Schritte ableiten.

Diese Instrumente sollen neue Anreize für CDR-Technologien schaffen und Letz­tere geziel­ter und effektiver fördern als der frei­willige Kohlenstoffmarkt (Voluntary Carbon Market, VCM). Die Instrumente las­sen sich grob in vier Kategorien einteilen: pau­schale Steuergut­schriften, direkte öffent­liche Nach­frage, Differenzverträge sowie wett­bewerbliche Aus­schreibungen bzw. Auktio­nen. Ihnen ist gemeinsam, dass es sich um staatliche Zu­schüsse handelt, die mit einer Haushalts­belastung einhergehen. Mit Blick auf eine angespannte Haushaltslage in der EU und in Deutschland sollten diese Mittel daher möglichst effizient ver­wendet werden und keine Dauerlösung sein.

Ziel ist es, Investitionsanreize zu setzen, bis ein langfristiger EU-Marktrahmen aus­reichend eigene Anreize liefert. Die genann­ten Instrumente können Europa in den nächs­ten 10 bis 15 Jahren eine Vorreiterrolle sichern und notwendige Investitionen im Bereich CCS- und CDR-Technologien sowie CO2-Infrastrukturen anstoßen. Dass damit neben klimapolitischen gleichermaßen indus­triepolitische Ziele wie Standortsicher­heit und Wettbewerbsfähigkeit verfolgt wer­den, waren wichtige Argumente in den Ländern, die bereits Instrumente ent­wickelt haben, und bietet auch in der EU und in Deutschland eine Legitimationsgrundlage.

Pauschale Steuergutschriften

In den USA bekommen CCS-Projekte im Rahmen des 45Q-Programms schon seit der Einführung im Jahr 2008 pauschal Steuer­gutschriften für die geologische Speicherung von CO2 (aktuell 85 US-Dollar pro Tonne CO2). Der Inflation Reduction Act der Biden-Regierung hat das Instrument um eine CDR-spezifische Dimension ergänzt: Wenn das CO2 direkt aus der Umgebungsluft (Direct Air Capture, DAC) stammt, also nicht fossi­len Ursprungs ist, können Unter­neh­men eine deutlich höhere Gutschrift von 180 US-Dollar pro Tonne geltend machen. Auch Kanada fördert bis 2030 DAC-Anlagen durch pauschale Steuergutschriften in Höhe von 60 Prozent der Investitionskosten (ab 2031 30 Prozent). Diese Steuergutschriften sind für Unternehmen attraktiv, da sie recht einfach ab­rufbar sind.

Auf diese Weise kann ein CDR-Hoch­lauf in der Breite gefördert werden, statt ein­zelne Projekte zu selektieren. Ohne wettbewerb­lichen Selektionsmechanismus bleibt dabei allerdings offen, wie hoch das erforderliche Budget im öffentlichen Haushalt ausfällt.

Auf den Kontext der EU ist das Instrument nur begrenzt übertragbar, da ihr die Zuständigkeit für Steuern fehlt. Auf Ebene der Mitgliedsländer stellten sich wett­bewerbs­­rechtliche Fragen – eine praktische Um­setzung stünde somit vor einigen recht­lichen und politischen Hürden.

Direkte öffentliche Nachfrage

Die industrielle CO2-Entnahme kann auch über öffentliche Nachfrage angereizt wer­den. Kanada hat im Rahmen seiner Green­ing Government Stra­tegy ein Programm aufgelegt, um bis 2030 CO2-Ent­nahme-Zertifikate in Höhe von 10 Millionen kana­dischen Dollar zu kaufen. In den USA wurde für den Ankauf sol­cher Zertifikate ein Innovationswettbewerb gestartet. Das US Department of Energy hat den Carbon Dioxide Removal Purchase Pilot Prize mit einem Gesamt­volumen von 35 Mil­lionen US-Dollar aus­geschrieben. In drei Wettbewerbs­phasen werden an bis zu zehn Finalis­ten aus vier unterschiedlichen Tech­nologie­feldern Ankaufverträge in Höhe von bis zu 3 Mil­lionen US-Dollar vergeben. Dies er­möglicht ersten Projekten mit unterschied­lichen Technologien Abnahmesicher­heit und führt gleichzeitig zu Innovationen im Bereich Monitoring, Reporting and Verifi­cation (MRV).

Ein EU-weites öffentliches Ankaufprogramm für Zertifikate für die CO2-Ent­nahme­ wäre ein geeigneter Schritt, um CDR-Anbie­tern zu signalisieren, dass es eine stabile Nachfrage auf Basis der EU-Zer­ti­fizierungs­standards (Carbon Removals and Carbon Farming (CRCF) Regulation) gibt. Des­halb wird dieses Instrument aktuell auch auf EU-Ebene diskutiert. Eine stabile Nach­frage auf EU-Ebene wäre ziel­führender als frag­men­tierte kleine Nach­frageprogramme der ein­zel­nen Mitgliedstaaten. Für Deutsch­land wäre das Ziel aus dem deutschen Klima­schutz­gesetz, die Bun­desverwaltung bis 2030 klimaneutral zu organisieren (§ 15 KSG), ein Ansatzpunkt, um bisherige Kom­pensations­programme um CDR-Zertifikate zu erweitern.

Differenzverträge

Sogenannte Differenzverträge (Con­tracts for Difference, CfDs) zielen vor allem dar­auf, solche Investitionen langfristig abzusichern, deren Wirtschaftlichkeit stark von der Ent­wicklung des CO2-Preises (teilweise auch von weiteren Preisentwicklungen) abhängt. Dieser wiederum hängt von einem kom­ple­xen Zusammenspiel politischer und unter­nehmerischer Entscheidungen ab. Die dar­aus folgende Investitionsunsicherheit kann ein CfD mildern, indem die Differenz zu einem vereinbarten Referenzpreis erstattet wird. Hierbei sinken für den Staat die För­der­kosten, sobald der CO2-Preis steigt oder die Kosten für klimaneutrale Energiebereitstellung sinken. Ab einem gewissen Punkt zahlen die Unternehmen sogar zurück, wenn das Projekt eine gute Wirtschaftlichkeit erreicht.

In Großbritannien beispielsweise wurden zwei CfD-Vertragsmodelle für CDR ent­wickelt und zur Konsultation gestellt: die Business Models for Green­house Gas Removals and Power BECCS. Hier­bei trägt der Staat über eine Laufzeit von 15 Jahren die Differenz zwi­schen den Kosten (CAPEX und OPEX) und den Einnahmen, die etwa durch Neben­produkte oder über den frei­willigen Kohlen­stoffmarkt erzielt werden.

Ein großer Pluspunkt dieses Instruments ist die Fördermitteleffizienz, da die Verträge erstens in einem wettbewerblichen Ver­fah­ren vergeben werden können und zweitens keine Mitnahmeeffekte entstehen, zum Beispiel wenn die Betriebskosten stärker sin­ken als angenommen. Für die Unterneh­men sind Differenzverträge eine Absicherung gegen Preisunsicherheiten und er­leich­tern somit die finale Investi­tions­entschei­dung erheb­lich. Allerdings bedeuten CfDs über 15 Jahre einen nur schwer zu kalku­lie­renden Finan­zierungsbedarf für den öffent­lichen Haus­halt, da die Gesamtsumme der Förderung letztlich von nicht vor­her­seh­baren Preis­entwicklungen abhängt. Dieses Risiko kann bei einer regelmäßigen Neu­ausschreibung von CfDs nach und nach besser eingeschätzt und folglich über das aus­­geschriebene Volumen gesteuert werden.

Auf EU-Ebene spielen Differenzverträge zunehmend eine Rolle, da sie die bestehende Architektur der Klimaschutzpolitik mit dem Emissionshandel im Zentrum gut er­gänzen können. Hinsichtlich der Um­setz­barkeit in Deutschland gibt es mit den Klima­schutzverträgen bereits Erfahrungen mit diesem innovativen Förderinstrument, auf denen man aufbauen könnte.

Wettbewerbliche Ausschreibun­gen und Auktionen

Die unklare Haushaltsbelastung bei CfDs haben Dänemark, Schweden und die Schweiz dadurch vermieden, dass sie eine fest definierte Fördersumme ausgeschrieben bzw. auktioniert haben. So hat Däne­mark mit dem CCS Fund und dem NECCS Fund (speziell für biogenes CO2) in den vergangenen Jahren bereits zwei Vergabeverfahren erfolgreich durchgeführt, bei denen letztlich der günstigste Preis pro Tonne entferntes CO2 das entscheidende Kriterium war. Um den Preis zu senken, können Einnahmen auf dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt erzielt und abgezogen werden. Bis in das Jahr 2026 hinein läuft eine weitere Wettbewerbsrunde des CCS Fund, der die Abscheidung im indus­triellen Maßstab (mindestens 100.000 Tonnen CO2 pro Jahr) sowohl von fossilen als auch bio­genen CO2-Mengen mit circa 4 Milliarden Euro fördert. Das Wettbewerbs­verfahren ist aufwändig und über etwa eineinhalb Jahre in mehrere Stufen unter­teilt mit dazwischen­liegenden Verhandlungsphasen. So bleibt viel Spielraum für weitere Kriterien neben dem Preis pro Tonne CO2.

Schwedens umgekehrte Auktion für Bio-CCS-Projekte mit einem Volumen von circa 3 Milliarden Euro bis 2046 ist deutlich ein­facher gestaltet. Hier zählt einzig und allein der Preis pro ent­nommener Tonne CO2. Gefördert werden soll die CO2-Abscheidung an bereits vorhandenen An­lagen, in denen mindestens 50.000 Tonnen biogenes CO2 pro Jahr entstehen und die nicht dem aus­schließlichen Zweck der CO2-Entnahme, sondern in erster Linie einem anderen Produktionszweck dienen (zum Beispiel Kraft-Wärme-Kopp­lungs-Anlagen oder Bio­raffinerien).

Ein solcher fester Zuschuss für jede Tonne CO2, die aus der Atmosphäre entfernt wird, bietet zwar Sicherheit für die öffent­liche Haushaltsplanung, auf der anderen Seite birgt ein so gestaltetes Instrument aber das Risiko eines »winner’s curse«: Wenn das Sieger­angebot von zu optimistischen An­nahmen über die Preis­entwicklung ausge­gangen ist, könnte das Pro­jekt am Ende gar nicht reali­siert werden. Mit anderen Worten: Das Instrument könnte sein Ziel verfehlen.

Ein weiteres Beispiel für eine Ausschreibung ist der Förderwettbewerb der Schweiz (100 Millionen Fran­ken), bei dem es eben­falls nicht ausschließlich um CDR geht.

Da für die Wettbewerbe in Dänemark und Schweden bereits eine beihilferecht­liche Genehmigung durch die EU vorliegt, erscheint eine Umsetzung entsprechender Programme in anderen EU-Staaten und somit auch in Deutschland machbar.

Ein Portfolio an Instrumenten

Wer neue Initiativen zur industriellen CO2-Entnahme plant, sollte den in anderen Län­dern ge­machten Erfah­rungen Beachtung schenken und in einen bilateralen Aus­tausch treten. Die vergleichende Bewer­tung der hier vorgestellten vier Instrumente (siehe Tabelle 1, Seite 7) zeigt, dass sie unter­schiedliche Stärken und Schwä­chen auf­weisen – ein klarer Sieger ist nicht erkenn­bar. In zukünf­tigen Abwägungs­prozessen, welche Instru­mente umgesetzt werden sollen, ist neben den politischen Prioritäten und Pfadabhän­gigkeiten die Frage wichtig, auf welcher poli­tischen Ebene die Instrumente beschlossen werden müssten.

Innerhalb des Mehrebenensystems der EU existieren vor allem für pau­schale Steuergut­schriften erhebliche politische und juris­tische Hürden. Jedoch müssten auch die anderen Instrumente gründlich geprüft werden. Dass Differenzverträge sowie wett­bewerbliche Aus­schreibungen und Auktio­nen schon in einzelnen EU-Staaten genutzt werden, würde die Über­tragung auf andere Mitgliedstaaten und eine wettbewerbsrechtlich konforme Aus­gestaltung ver­einfachen.

Tabelle 1

Vergleichende Bewertung kurzfristiger Instrumente zur CO2-Entnahme

Pauschale Steuer­gutschriften

Direkte öffentliche Nachfrage

Differenzverträge

Wettbewerbliche Ausschreibungen / Auktionen

1) Skalierungseffekt /
Volumen

+ Breitenwirkung, keine Vorauswahl von Projekten

o Begrenzt in Ab­hängigkeit vom Budget

o Zielt auf eine Aus­wahl an Großprojekten

o Zielt auf eine Aus­wahl an Großprojekten

2) Risikoabsicherung / Investitions­sicherheit

+ Klarer Betrag

o Bei jährlichem An­kauf über den VCM eher gering, besser bei langfristigen Verträgen

++ Absicherung von Preisrisiken

+ Klarer Betrag über definierten Zeitraum
– Winner’s curse

3) Verfahrens­aufwand / Bürokratie

++ Sehr einfach

++ Handhabbares An­kaufprogramm auf etabliertem VCM

o Je nach Ausgestaltung, tendenziell eher aufwändig

o Je nachdem:
Reicht von einstufiger Auktion bis zu mehr­stufigen Verfahren

4) Haushaltswirkung

– Schwer planbar und bei hoher Nach­frage potenziell sehr hoch, Mitnahme­effekte möglich

o Planbar / steuerbar

– Schwer planbar (Differenz kann steigen oder sinken)
+ Rückzahlungen möglich

++ Klares Budget, da der niedrigste Zu­schussbedarf den Zuschlag erhält

++ wesentliche Stärke; + Stärke; o neutral; – Schwäche

VCM = Voluntary Carbon Market (freiwilliger Kohlenstoffmarkt)

Den einen Königsweg für die Ausgestaltung einer »Kurzfriststrategie Negativ­emissionen« gibt es ohnehin nicht – statt­dessen mehrere gangbare Wege für einen Markt­hochlauf von CDR mit jeweils unter­schiedlich gelagerten Risiken und Priori­täten. Auch über eine Kombination der An­sätze sollte nachgedacht werden und inwie­fern sie mit bestehenden Instrumenten verein­bar sind. Mit Differenzverträgen und wett­bewerblichen Ausschreibungen oder Auk­tio­nen lassen sich beispielsweise gezielt Investitionen in großskalige Anlagen im industriellen Maßstab auslösen. Dies dürfte insbesondere Investitionen in indus­trielle Bio-CCS-Projekte stützen, gerade auch in Branchen mit unvermeidbaren Restemissio­nen. Direct Air Cap­ture hingegen würde in einem Preiswettbewerb mit Bio-CCS wohl eher nicht zum Zuge kommen, da hier bis­her kleinere Mengen zu höheren Kosten umge­setzt werden. Dies spricht für andere Formen der Förderung, etwa Demonstrations­anlagen oder die Unterstützung von For­schungs- und Entwicklungsprojekten.

Bausteine einer Kurzfriststrategie

Die EU und die Bundesregierung sollten die sich bietende Gelegenheit er­grei­fen, eine Vorreiterrolle in der CDR-Politik einzuneh­men. Gerade mit Blick auf die Ent­wicklun­gen in den USA – in den letz­ten vier Jahren ein wichtiger Taktgeber in der CDR-Politik – könnte hier ein Vakuum ent­stehen. Die vielen bevorstehenden Gesetz­gebungs­prozesse im Rahmen der EU-Klima­politik, aber auch neue Impulse im Zusam­men­hang mit dem Clean Industrial Deal eröff­nen die Möglichkeit, innovative Ins­tru­mente einer CDR-Politik und kurzfristige Anreizstrukturen mit anderen politischen Prioritäten zu kombinieren, zum Beispiel der Wettbewerbsfähigkeit und dem Auf­recht­erhalten und der Weiterentwicklung der bisherigen Klimapolitik.

Konkret könnte die neue Bundesregierung den Prozess für die Langfriststrategie Negativemissionen um eine Kurzfriststrategie ergänzen. Dabei sollte es nicht darum gehen, auf Dauer ein finanzielles Zuschuss­modell zu etablieren. Erste Prio­rität müsste vielmehr sein, ohnehin anstehende Investi­tionsentscheidungen jetzt in Bahnen zu lenken, die es erlauben, kurzfristig realisier­bare CDR-Kapazitäten auszuschöpfen und diese dann mittel- bis langfristig wett­bewerbs­fähig auszubauen. Dies wäre wichtig, damit Innovationen früher Markt­reife er­langen und damit die An­siedlung eines neuen und zukunftsträchtigen Geschäftszweiges in Deutschland und Europa gelingt. Die Nach­teile von First Movern in Form von höhe­ren Preisen und Mehraufwand für Planungs- und Ge­nehmi­gungsverfahren können so ausgeglichen, außerdem eine integrierte Planung und dadurch effiziente Auslastung von CO2-Transport- und ‑Spei­cher­infra­strukturen besser erreicht werden.

Konkret sollte eine Kurzfriststrategie folgende fünf Bausteine berücksichtigen:

1) Carbon Management – also CDR und die Nutzung und Speicherung von fossilem CO2 (CCU und CCS) – muss integriert ge­dacht werden. Schon heute bestehen Syner­gien in Investitionsentscheidungen, und mit Blick auf langfristig benötigte CO2-Abscheide- und ‑Speicherkapazitäten könnten zu bau­ende Infrastrukturen zunächst verstärkt für fos­siles CO2 genutzt werden, danach in immer größeren Anteilen für biogenes CO2 und solches aus DAC.

2) Eine Kurzfriststrategie sollte ein struk­turiertes Mapping von kurzfristig und leicht zu erreichenden CDR-Kapazitäten erstellen. Mithilfe einer solchen Auswertung könnten Entscheidungen über mögliche Anreiz­mecha­nismen und Infrastrukturen als Brücke bis hin zu einem langfristigen Markt­rahmen für CDR ziel­sicherer und effektiver getroffen werden.

3) Die zukünftige Bundesregierung und die Europäische Kommission sollten mittels eines geeigneten An­reizmechanismus die vergleichsweise leicht und kurzfristig reali­sierbaren CDR-Kapazitäten priorisieren.

4) Das Zielbild wäre ein europäisch inte­grierter Markt für alle An­wen­dungen von Carbon Management, in dem die natio­nalen Politiken der Mitgliedstaaten eine Inte­gration von CDR in die künftige Klima­politik nicht erschweren. Länder­über­greifende Projekte – gegebenenfalls auch mit Dritt­staaten wie Norwegen oder der Schweiz – sollten gefördert werden, denn früh grenz­übergreifende Infrastrukturen zu schaffen, wird dem Ausbau der CDR-Kapa­zitäten langfristig zugutekommen.

5) Auch eine Kurzfriststrategie darf nicht den Eindruck erwecken, CDR würde das Erreichen von Emissionsreduktionszielen erleichtern – der Ausbau der CDR-Kapazi­tä­ten macht die Zielerreichung keineswegs leichter, sondern überhaupt erst möglich. Entscheidend ist deshalb, dass CDR-Politik die konventionelle Emissionsreduktion nicht unterminiert. Gleichzeitig muss sie kurz­fristige und langfristige Instrumente schaffen und damit eine Brücke zwischen Gegenwart und Zukunft.

Durch alle genannten Punkte dürften langfristig Kosten sinken und somit ein Markthochlauf von CDR schneller erreicht werden. Dies bedeutete einen Standort­vorteil für wichtige Segmente der euro­päi­schen und deutschen Industrie auf dem Weg zur Treib­hausgasneutralität. Eine Kurz­friststrategie würde dafür sorgen, dass nicht unnötig Zeit, Poten­zial und Wirtschafts­kraft verloren geht. Beides wird benö­tigt: eine Langfrist- und eine Kurzfriststrategie, denn auf Dauer wird es ohne einen EU-Marktrahmen sowie ver­bindliche Ziele für die permanente CO2-Ent­nahme nicht gehen.

Dr. Felix Schenuit ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe EU / Europa im Projekt »Hoch­skalieren von CO-Entnahme (UPTAKE)«.
Domenik Treß koordiniert als Fachexperte im Bereich Industrie & Produktion unter anderem den Stakeholder­dialog zu CDR in der Initiative IN4climate.NRW, dem Thinktank der Landesgesellschaft für Energie und Klimaschutz NRW.Energy4Climate.

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