Die Rolle von Technologien zur dauerhaften Entnahme von Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre (Carbon Dioxide Removal, CDR) wird im Rahmen der Erarbeitung eines neuen EU-Emissionsreduktionsziels für 2040 und einer deutschen Langfriststrategie Negativemissionen intensiv diskutiert. Ergänzend zu diesen Langfriststrategien bedarf es einer Kurzfriststrategie, damit die Skalierung von Technologien für industrielles CDR gelingt. Bislang liegt der Fokus häufig auf einer konzeptionellen Diskussion darüber, welche Mengen an CDR im Netto-Null-Jahr benötigt werden. Zu wenig Beachtung findet die Frage, wie und mit welchem Vorlauf die ersten großskaligen CDR-Projekte überhaupt entstehen können. Einige Länder haben bereits kurzfristige Instrumente entwickelt, um einen ersten Investitionsschub in Technologien für industrielles CDR auszulösen. Eine vergleichende Bewertung dieser Ansätze zeigt mehrere umsetzbare Politikoptionen für eine gezielte CDR-Skalierung in der EU und Deutschland auf.
Erste Fortschritte in der Integration von CO2-Entnahme in die Klimapolitik lassen sich auf allen politischen Ebenen beobachten. Die Europäische Union (EU) sieht in der CO2-Entnahme eine wichtige Technologie auf dem Weg zu ihrem Netto-Null-Ziel, das sie 2050 erreicht haben will, und ist dabei, neue Politikinstrumente zu entwickeln. In Deutschland läuft auf Bundesebene zurzeit der Prozess, im Rahmen der Langfriststrategie Negativemissionen (LNe) eine Positionierung und langfristige Entnahmeziele bis zum angestrebten Netto-Null-Jahr 2045 zu erarbeiten.
Gerade weil in den USA die bisher verfolgte innovative CDR-Politik voraussichtlich rückabgewickelt wird, bietet sich für die EU und Deutschland die Chance, eine Vorreiterrolle zu ergreifen. Hierfür braucht es jedoch nicht nur langfristig orientierte Ziele und Strategien, sondern auch eine »Kurzfriststrategie Negativemissionen«, die den Blick auf die Skalierung insbesondere von Anwendungen für permanentes CDR richtet. Dieser kurzfristige Handlungsbedarf ergibt sich zum einen aus der wissenschaftlichen Literatur, wie es für die EU etwa die Publikationen des Europäischen Wissenschaftlichen Beirats zum Klimawandel zeigen, und zum anderen aus dem Dialog mit Industrieunternehmen, zum Beispiel im Rahmen der Landesinitiative IN4climate. NRW.
CO2-Entnahme als ein Baustein ambitionierter Klimapolitik
CO2-Entnahme umfasst ein breites Spektrum an Methoden, die häufig in konventionelle und neuartige Ansätze unterteilt werden. Diese Methoden zielen darauf ab, CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen und es je nach Verfahren für Jahrzehnte bis Jahrtausende zu speichern. Zusätzlich zur drastischen Reduktion der Emissionen wird es ohne die Skalierung eines Portfolios von CO2-Entnahme-Methoden – bestehend aus konventionellem und neuartigem CDR – nicht möglich sein, Netto-Null-Ziele zu erreichen, weder auf internationaler oder nationaler noch auf regionaler Ebene.
Ein wichtiges Unterscheidungskriterium für CDR-Methoden ist die Frage, wie dauerhaft das CO2 gespeichert werden kann. Konventionelles CDR im Sektor Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF) speichert das CO2 häufig nur für begrenzte Zeiträume. Demgegenüber ermöglichen nach aktuellem Forschungsstand insbesondere die neuartigen Methoden, die auf einer CO2-Speicherung in geologischen Formationen (Carbon Capture and Storage, CCS) basieren, das CO2 dauerhaft der Atmosphäre zu entnehmen. Um die CCS-basierten Methoden von den konventionellen abzugrenzen, wird hier von »industriellem CDR« gesprochen.
Grafik 1 (Seite 3) zeigt den Ausbau der CDR-Kapazitäten bis 2050 in der EU – entsprechend der Modellierung der Europäischen Kommission – und dass dieser parallel zur drastischen Reduktion der Emissionen erfolgen muss (linker Teil). Zudem veranschaulicht sie, dass für die Netto-CO2-Entnahme im LULUCF-Sektor für 2030 310 Millionen Tonnen als Ziel vereinbart sind und diese Entnahme bis 2050 gemäß der Szenarien um weitere 7 Prozent steigt. Industrielles CDR müsste als neuer Sektor aufgebaut werden, mit einer Wachstumsrate von 2800 Prozent zwischen 2030 und 2050 (rechter Teil). Beide Entwicklungen sind mit erheblichen, wenn auch unterschiedlich gelagerten politischen Herausforderungen verbunden.
Unzureichende Integration von industriellem CDR in die Klimapolitik
Angesichts des notwendigen Ausmaßes der Skalierung von Technologien für industrielles CDR werden diese in der Klimapolitik der unterschiedlichen politischen Ebenen bislang nur unzureichend berücksichtigt. Die EU hat zwar mit der Verordnung zur Zertifizierung von CO2-Entnahmen (Verordnung 2024/3012) einen ersten Schritt gemacht. Gleichzeitig bleiben zentrale Fragen offen, zum Beispiel ob und unter welchen Bedingungen CDR-Zertifikate in bestehende klimapolitische Instrumente der EU integriert werden können, etwa den EU-Emissionshandel (ETS) oder die Lastenteilungsverordnung.
In Deutschland ist CO2-Entnahme im Klimaschutzgesetz (KSG) zwar grundsätzlich enthalten (Ziele in §§ 3a und 3b KSG) und der Prozess zur Erarbeitung der LNe des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz will hiermit verbundene Ziele klären. Allerdings mangelt es an kurzfristigen Anreizstrukturen für die Skalierung von CDR-Projekten und ‑Infrastrukturen im industriellen Maßstab. Die bisherigen Rahmenbedingungen für Unternehmen führen zu Investitionsunsicherheit, sodass zwischen kleinskaligen Innovationsprototypen und großskaligen Umsetzungsprojekten ein »valley of death« klafft. Viele schon heute technisch mögliche CDR-Projekte, mit denen sich kurzfristig zu erreichende CDR-Kapazitäten realisieren ließen, kommen deshalb bis auf Weiteres nicht über das Konzeptstadium hinaus. Eine Strategie zu Negativemissionen sollte daher nicht nur auf die Jahre 2035 bis 2060 blicken, sondern auch für die Jahre davor die industrielle CO2-Entnahme in die Klimapolitik aufnehmen.
Langwierige Reformen und kurzfristige Kapazitäten
Die Gestaltung von CDR-Politik wird Zeit brauchen, da sie maßgeblich von der Pfadabhängigkeit bestehender Instrumente auf den unterschiedlichen politischen Ebenen geprägt ist. Die strukturelle Einbindung von CDR in die breitere klimapolitische Architektur wird voraussichtlich erst mit der Fortschreibung der EU-Instrumente für die nächste Dekade (ab 2031) erfolgen. Vermutlich erst in den frühen oder mittleren 2030er Jahren ist damit zu rechnen, dass CDR-Politik als integrierter Baustein der klimapolitischen Architektur auf EU-Ebene so weit umgesetzt ist, dass daraus Anreizstrukturen resultieren. Bis dahin gilt es, politische Allianzen zwischen EU-Mitgliedstaaten und Sektoren zu bilden sowie Anreize und Fördermechanismen zu schaffen, die die Lernkurve für Innovation im Bereich CDR beschleunigen und die Kosten im industriellen Maßstab senken. Dafür ist es wichtig, sich auf diejenigen CDR-Kapazitäten zu konzentrieren, die kurzfristig und vergleichsweise leicht zu erreichen sind.
Dafür müssen Prioritäten gesetzt und entlang klarer Kriterien einzelne Anwendungen ausgewählt werden. Nur CDR-Methoden, die sich innerhalb der kurzen Frist in breitere klimapolitische Entwicklungen einfügen und sich langfristig am Markt behaupten können, sollten eine kurzfristig orientierte Förderung erhalten.
Zu den Kriterien zählen die Fähigkeit zur permanenten CO2-Speicherung, eine überschaubare Preisspanne im unteren dreistelligen Bereich pro Tonne CO2 und ein systemkompatibler Energiebedarf. Um förderungswürdige Anwendungen zeitlich zu priorisieren, sollte geprüft werden, ob es Synergien zu Carbon-Management-Aktivitäten der Industrie und zum schrittweisen Aufbau der CO2-Transportinfrastruktur gibt.
Generell sollte der Hochlauf von CO2-Entnahme sowohl im übergeordneten politischen Regelwerk als auch in der Förder- und Entwicklungspraxis mit Projekten zur Abscheidung von fossilem CO2 und dessen Speicherung (CCS) oder dessen Nutzung (Carbon Capture and Utilization, CCU) zusammengedacht werden. Die Prozesse zur Erarbeitung von Carbon-Management-Strategien in der EU sowie in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten betonen, dass auch künftig in bestimmten Sektoren ein CO2-Ausstoß nicht zu vermeiden sein wird (siehe SWP-Aktuell 30/2023). Daher müssen insbesondere Müllverbrennungsanlagen, Zement- und Kalkwerke zukünftig mit CO2-Abscheideanlagen ausgestattet werden, wenn CO2-neutral produziert und eine Abwanderung verhindert werden soll. Gleichzeitig sind es genau diese Anlagen, in denen die Möglichkeit besteht, dringend benötigte Mengen von permanentem CDR zu erreichen, indem nämlich biogene Reststoffe anteilig als Energiequelle eingesetzt werden.
Bedacht werden müssen darüber hinaus die langen Investitionszyklen in der Industrie. Anlagen, die in den kommenden Jahren geplant, dimensioniert und gebaut werden, bleiben Jahrzehnte in Betrieb. Heute getroffene Entscheidungen, in CO2-Abscheidung und die CO2-Transportinfrastruktur zu investieren, bestimmen damit über die Kapazitäten zur CO2-Entnahme in den 2040er Jahren – und somit darüber, ob das Netto-Null-Ziel in greifbare Nähe rückt.
Die Synergien zwischen CO2-Entnahme und der Abscheidung von fossilem CO2 sind also ein wichtiges Element für eine erfolgreiche Implementierung von CDR-Anwendungen; sie sollten in einer »Kurzfriststrategie Negativemissionen« berücksichtigt werden. Zu bedenken ist hierbei, dass CO2-Entnahme und ‑Abscheidung in Deutschland, anders als auf EU-Ebene, bislang in zwei unterschiedlichen Strategieprozessen bearbeitet werden.
Politikoptionen: Beispiele für kurzfristige CDR-Politik
In einigen Ländern werden bereits Instrumente erprobt, die auf die Schließung der Lücke bis zu einem langfristigen Marktrahmen abzielen und schon jetzt Investitionen anreizen. Sowohl die bevorstehenden Initiativen auf EU-Ebene als auch die neue Bundesregierung können aus diesen ersten praktischen Erfahrungen ihre nächsten Schritte ableiten.
Diese Instrumente sollen neue Anreize für CDR-Technologien schaffen und Letztere gezielter und effektiver fördern als der freiwillige Kohlenstoffmarkt (Voluntary Carbon Market, VCM). Die Instrumente lassen sich grob in vier Kategorien einteilen: pauschale Steuergutschriften, direkte öffentliche Nachfrage, Differenzverträge sowie wettbewerbliche Ausschreibungen bzw. Auktionen. Ihnen ist gemeinsam, dass es sich um staatliche Zuschüsse handelt, die mit einer Haushaltsbelastung einhergehen. Mit Blick auf eine angespannte Haushaltslage in der EU und in Deutschland sollten diese Mittel daher möglichst effizient verwendet werden und keine Dauerlösung sein.
Ziel ist es, Investitionsanreize zu setzen, bis ein langfristiger EU-Marktrahmen ausreichend eigene Anreize liefert. Die genannten Instrumente können Europa in den nächsten 10 bis 15 Jahren eine Vorreiterrolle sichern und notwendige Investitionen im Bereich CCS- und CDR-Technologien sowie CO2-Infrastrukturen anstoßen. Dass damit neben klimapolitischen gleichermaßen industriepolitische Ziele wie Standortsicherheit und Wettbewerbsfähigkeit verfolgt werden, waren wichtige Argumente in den Ländern, die bereits Instrumente entwickelt haben, und bietet auch in der EU und in Deutschland eine Legitimationsgrundlage.
Pauschale Steuergutschriften
In den USA bekommen CCS-Projekte im Rahmen des 45Q-Programms schon seit der Einführung im Jahr 2008 pauschal Steuergutschriften für die geologische Speicherung von CO2 (aktuell 85 US-Dollar pro Tonne CO2). Der Inflation Reduction Act der Biden-Regierung hat das Instrument um eine CDR-spezifische Dimension ergänzt: Wenn das CO2 direkt aus der Umgebungsluft (Direct Air Capture, DAC) stammt, also nicht fossilen Ursprungs ist, können Unternehmen eine deutlich höhere Gutschrift von 180 US-Dollar pro Tonne geltend machen. Auch Kanada fördert bis 2030 DAC-Anlagen durch pauschale Steuergutschriften in Höhe von 60 Prozent der Investitionskosten (ab 2031 30 Prozent). Diese Steuergutschriften sind für Unternehmen attraktiv, da sie recht einfach abrufbar sind.
Auf diese Weise kann ein CDR-Hochlauf in der Breite gefördert werden, statt einzelne Projekte zu selektieren. Ohne wettbewerblichen Selektionsmechanismus bleibt dabei allerdings offen, wie hoch das erforderliche Budget im öffentlichen Haushalt ausfällt.
Auf den Kontext der EU ist das Instrument nur begrenzt übertragbar, da ihr die Zuständigkeit für Steuern fehlt. Auf Ebene der Mitgliedsländer stellten sich wettbewerbsrechtliche Fragen – eine praktische Umsetzung stünde somit vor einigen rechtlichen und politischen Hürden.
Direkte öffentliche Nachfrage
Die industrielle CO2-Entnahme kann auch über öffentliche Nachfrage angereizt werden. Kanada hat im Rahmen seiner Greening Government Strategy ein Programm aufgelegt, um bis 2030 CO2-Entnahme-Zertifikate in Höhe von 10 Millionen kanadischen Dollar zu kaufen. In den USA wurde für den Ankauf solcher Zertifikate ein Innovationswettbewerb gestartet. Das US Department of Energy hat den Carbon Dioxide Removal Purchase Pilot Prize mit einem Gesamtvolumen von 35 Millionen US-Dollar ausgeschrieben. In drei Wettbewerbsphasen werden an bis zu zehn Finalisten aus vier unterschiedlichen Technologiefeldern Ankaufverträge in Höhe von bis zu 3 Millionen US-Dollar vergeben. Dies ermöglicht ersten Projekten mit unterschiedlichen Technologien Abnahmesicherheit und führt gleichzeitig zu Innovationen im Bereich Monitoring, Reporting and Verification (MRV).
Ein EU-weites öffentliches Ankaufprogramm für Zertifikate für die CO2-Entnahme wäre ein geeigneter Schritt, um CDR-Anbietern zu signalisieren, dass es eine stabile Nachfrage auf Basis der EU-Zertifizierungsstandards (Carbon Removals and Carbon Farming (CRCF) Regulation) gibt. Deshalb wird dieses Instrument aktuell auch auf EU-Ebene diskutiert. Eine stabile Nachfrage auf EU-Ebene wäre zielführender als fragmentierte kleine Nachfrageprogramme der einzelnen Mitgliedstaaten. Für Deutschland wäre das Ziel aus dem deutschen Klimaschutzgesetz, die Bundesverwaltung bis 2030 klimaneutral zu organisieren (§ 15 KSG), ein Ansatzpunkt, um bisherige Kompensationsprogramme um CDR-Zertifikate zu erweitern.
Differenzverträge
Sogenannte Differenzverträge (Contracts for Difference, CfDs) zielen vor allem darauf, solche Investitionen langfristig abzusichern, deren Wirtschaftlichkeit stark von der Entwicklung des CO2-Preises (teilweise auch von weiteren Preisentwicklungen) abhängt. Dieser wiederum hängt von einem komplexen Zusammenspiel politischer und unternehmerischer Entscheidungen ab. Die daraus folgende Investitionsunsicherheit kann ein CfD mildern, indem die Differenz zu einem vereinbarten Referenzpreis erstattet wird. Hierbei sinken für den Staat die Förderkosten, sobald der CO2-Preis steigt oder die Kosten für klimaneutrale Energiebereitstellung sinken. Ab einem gewissen Punkt zahlen die Unternehmen sogar zurück, wenn das Projekt eine gute Wirtschaftlichkeit erreicht.
In Großbritannien beispielsweise wurden zwei CfD-Vertragsmodelle für CDR entwickelt und zur Konsultation gestellt: die Business Models for Greenhouse Gas Removals and Power BECCS. Hierbei trägt der Staat über eine Laufzeit von 15 Jahren die Differenz zwischen den Kosten (CAPEX und OPEX) und den Einnahmen, die etwa durch Nebenprodukte oder über den freiwilligen Kohlenstoffmarkt erzielt werden.
Ein großer Pluspunkt dieses Instruments ist die Fördermitteleffizienz, da die Verträge erstens in einem wettbewerblichen Verfahren vergeben werden können und zweitens keine Mitnahmeeffekte entstehen, zum Beispiel wenn die Betriebskosten stärker sinken als angenommen. Für die Unternehmen sind Differenzverträge eine Absicherung gegen Preisunsicherheiten und erleichtern somit die finale Investitionsentscheidung erheblich. Allerdings bedeuten CfDs über 15 Jahre einen nur schwer zu kalkulierenden Finanzierungsbedarf für den öffentlichen Haushalt, da die Gesamtsumme der Förderung letztlich von nicht vorhersehbaren Preisentwicklungen abhängt. Dieses Risiko kann bei einer regelmäßigen Neuausschreibung von CfDs nach und nach besser eingeschätzt und folglich über das ausgeschriebene Volumen gesteuert werden.
Auf EU-Ebene spielen Differenzverträge zunehmend eine Rolle, da sie die bestehende Architektur der Klimaschutzpolitik mit dem Emissionshandel im Zentrum gut ergänzen können. Hinsichtlich der Umsetzbarkeit in Deutschland gibt es mit den Klimaschutzverträgen bereits Erfahrungen mit diesem innovativen Förderinstrument, auf denen man aufbauen könnte.
Wettbewerbliche Ausschreibungen und Auktionen
Die unklare Haushaltsbelastung bei CfDs haben Dänemark, Schweden und die Schweiz dadurch vermieden, dass sie eine fest definierte Fördersumme ausgeschrieben bzw. auktioniert haben. So hat Dänemark mit dem CCS Fund und dem NECCS Fund (speziell für biogenes CO2) in den vergangenen Jahren bereits zwei Vergabeverfahren erfolgreich durchgeführt, bei denen letztlich der günstigste Preis pro Tonne entferntes CO2 das entscheidende Kriterium war. Um den Preis zu senken, können Einnahmen auf dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt erzielt und abgezogen werden. Bis in das Jahr 2026 hinein läuft eine weitere Wettbewerbsrunde des CCS Fund, der die Abscheidung im industriellen Maßstab (mindestens 100.000 Tonnen CO2 pro Jahr) sowohl von fossilen als auch biogenen CO2-Mengen mit circa 4 Milliarden Euro fördert. Das Wettbewerbsverfahren ist aufwändig und über etwa eineinhalb Jahre in mehrere Stufen unterteilt mit dazwischenliegenden Verhandlungsphasen. So bleibt viel Spielraum für weitere Kriterien neben dem Preis pro Tonne CO2.
Schwedens umgekehrte Auktion für Bio-CCS-Projekte mit einem Volumen von circa 3 Milliarden Euro bis 2046 ist deutlich einfacher gestaltet. Hier zählt einzig und allein der Preis pro entnommener Tonne CO2. Gefördert werden soll die CO2-Abscheidung an bereits vorhandenen Anlagen, in denen mindestens 50.000 Tonnen biogenes CO2 pro Jahr entstehen und die nicht dem ausschließlichen Zweck der CO2-Entnahme, sondern in erster Linie einem anderen Produktionszweck dienen (zum Beispiel Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen oder Bioraffinerien).
Ein solcher fester Zuschuss für jede Tonne CO2, die aus der Atmosphäre entfernt wird, bietet zwar Sicherheit für die öffentliche Haushaltsplanung, auf der anderen Seite birgt ein so gestaltetes Instrument aber das Risiko eines »winner’s curse«: Wenn das Siegerangebot von zu optimistischen Annahmen über die Preisentwicklung ausgegangen ist, könnte das Projekt am Ende gar nicht realisiert werden. Mit anderen Worten: Das Instrument könnte sein Ziel verfehlen.
Ein weiteres Beispiel für eine Ausschreibung ist der Förderwettbewerb der Schweiz (100 Millionen Franken), bei dem es ebenfalls nicht ausschließlich um CDR geht.
Da für die Wettbewerbe in Dänemark und Schweden bereits eine beihilferechtliche Genehmigung durch die EU vorliegt, erscheint eine Umsetzung entsprechender Programme in anderen EU-Staaten und somit auch in Deutschland machbar.
Ein Portfolio an Instrumenten
Wer neue Initiativen zur industriellen CO2-Entnahme plant, sollte den in anderen Ländern gemachten Erfahrungen Beachtung schenken und in einen bilateralen Austausch treten. Die vergleichende Bewertung der hier vorgestellten vier Instrumente (siehe Tabelle 1, Seite 7) zeigt, dass sie unterschiedliche Stärken und Schwächen aufweisen – ein klarer Sieger ist nicht erkennbar. In zukünftigen Abwägungsprozessen, welche Instrumente umgesetzt werden sollen, ist neben den politischen Prioritäten und Pfadabhängigkeiten die Frage wichtig, auf welcher politischen Ebene die Instrumente beschlossen werden müssten.
Innerhalb des Mehrebenensystems der EU existieren vor allem für pauschale Steuergutschriften erhebliche politische und juristische Hürden. Jedoch müssten auch die anderen Instrumente gründlich geprüft werden. Dass Differenzverträge sowie wettbewerbliche Ausschreibungen und Auktionen schon in einzelnen EU-Staaten genutzt werden, würde die Übertragung auf andere Mitgliedstaaten und eine wettbewerbsrechtlich konforme Ausgestaltung vereinfachen.
Vergleichende Bewertung kurzfristiger Instrumente zur CO2-Entnahme |
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++ wesentliche Stärke; + Stärke; o neutral; – Schwäche VCM = Voluntary Carbon Market (freiwilliger Kohlenstoffmarkt) |
Den einen Königsweg für die Ausgestaltung einer »Kurzfriststrategie Negativemissionen« gibt es ohnehin nicht – stattdessen mehrere gangbare Wege für einen Markthochlauf von CDR mit jeweils unterschiedlich gelagerten Risiken und Prioritäten. Auch über eine Kombination der Ansätze sollte nachgedacht werden und inwiefern sie mit bestehenden Instrumenten vereinbar sind. Mit Differenzverträgen und wettbewerblichen Ausschreibungen oder Auktionen lassen sich beispielsweise gezielt Investitionen in großskalige Anlagen im industriellen Maßstab auslösen. Dies dürfte insbesondere Investitionen in industrielle Bio-CCS-Projekte stützen, gerade auch in Branchen mit unvermeidbaren Restemissionen. Direct Air Capture hingegen würde in einem Preiswettbewerb mit Bio-CCS wohl eher nicht zum Zuge kommen, da hier bisher kleinere Mengen zu höheren Kosten umgesetzt werden. Dies spricht für andere Formen der Förderung, etwa Demonstrationsanlagen oder die Unterstützung von Forschungs- und Entwicklungsprojekten.
Bausteine einer Kurzfriststrategie
Die EU und die Bundesregierung sollten die sich bietende Gelegenheit ergreifen, eine Vorreiterrolle in der CDR-Politik einzunehmen. Gerade mit Blick auf die Entwicklungen in den USA – in den letzten vier Jahren ein wichtiger Taktgeber in der CDR-Politik – könnte hier ein Vakuum entstehen. Die vielen bevorstehenden Gesetzgebungsprozesse im Rahmen der EU-Klimapolitik, aber auch neue Impulse im Zusammenhang mit dem Clean Industrial Deal eröffnen die Möglichkeit, innovative Instrumente einer CDR-Politik und kurzfristige Anreizstrukturen mit anderen politischen Prioritäten zu kombinieren, zum Beispiel der Wettbewerbsfähigkeit und dem Aufrechterhalten und der Weiterentwicklung der bisherigen Klimapolitik.
Konkret könnte die neue Bundesregierung den Prozess für die Langfriststrategie Negativemissionen um eine Kurzfriststrategie ergänzen. Dabei sollte es nicht darum gehen, auf Dauer ein finanzielles Zuschussmodell zu etablieren. Erste Priorität müsste vielmehr sein, ohnehin anstehende Investitionsentscheidungen jetzt in Bahnen zu lenken, die es erlauben, kurzfristig realisierbare CDR-Kapazitäten auszuschöpfen und diese dann mittel- bis langfristig wettbewerbsfähig auszubauen. Dies wäre wichtig, damit Innovationen früher Marktreife erlangen und damit die Ansiedlung eines neuen und zukunftsträchtigen Geschäftszweiges in Deutschland und Europa gelingt. Die Nachteile von First Movern in Form von höheren Preisen und Mehraufwand für Planungs- und Genehmigungsverfahren können so ausgeglichen, außerdem eine integrierte Planung und dadurch effiziente Auslastung von CO2-Transport- und ‑Speicherinfrastrukturen besser erreicht werden.
Konkret sollte eine Kurzfriststrategie folgende fünf Bausteine berücksichtigen:
1) Carbon Management – also CDR und die Nutzung und Speicherung von fossilem CO2 (CCU und CCS) – muss integriert gedacht werden. Schon heute bestehen Synergien in Investitionsentscheidungen, und mit Blick auf langfristig benötigte CO2-Abscheide- und ‑Speicherkapazitäten könnten zu bauende Infrastrukturen zunächst verstärkt für fossiles CO2 genutzt werden, danach in immer größeren Anteilen für biogenes CO2 und solches aus DAC.
2) Eine Kurzfriststrategie sollte ein strukturiertes Mapping von kurzfristig und leicht zu erreichenden CDR-Kapazitäten erstellen. Mithilfe einer solchen Auswertung könnten Entscheidungen über mögliche Anreizmechanismen und Infrastrukturen als Brücke bis hin zu einem langfristigen Marktrahmen für CDR zielsicherer und effektiver getroffen werden.
3) Die zukünftige Bundesregierung und die Europäische Kommission sollten mittels eines geeigneten Anreizmechanismus die vergleichsweise leicht und kurzfristig realisierbaren CDR-Kapazitäten priorisieren.
4) Das Zielbild wäre ein europäisch integrierter Markt für alle Anwendungen von Carbon Management, in dem die nationalen Politiken der Mitgliedstaaten eine Integration von CDR in die künftige Klimapolitik nicht erschweren. Länderübergreifende Projekte – gegebenenfalls auch mit Drittstaaten wie Norwegen oder der Schweiz – sollten gefördert werden, denn früh grenzübergreifende Infrastrukturen zu schaffen, wird dem Ausbau der CDR-Kapazitäten langfristig zugutekommen.
5) Auch eine Kurzfriststrategie darf nicht den Eindruck erwecken, CDR würde das Erreichen von Emissionsreduktionszielen erleichtern – der Ausbau der CDR-Kapazitäten macht die Zielerreichung keineswegs leichter, sondern überhaupt erst möglich. Entscheidend ist deshalb, dass CDR-Politik die konventionelle Emissionsreduktion nicht unterminiert. Gleichzeitig muss sie kurzfristige und langfristige Instrumente schaffen und damit eine Brücke zwischen Gegenwart und Zukunft.
Durch alle genannten Punkte dürften langfristig Kosten sinken und somit ein Markthochlauf von CDR schneller erreicht werden. Dies bedeutete einen Standortvorteil für wichtige Segmente der europäischen und deutschen Industrie auf dem Weg zur Treibhausgasneutralität. Eine Kurzfriststrategie würde dafür sorgen, dass nicht unnötig Zeit, Potenzial und Wirtschaftskraft verloren geht. Beides wird benötigt: eine Langfrist- und eine Kurzfriststrategie, denn auf Dauer wird es ohne einen EU-Marktrahmen sowie verbindliche Ziele für die permanente CO2-Entnahme nicht gehen.
Dr. Felix Schenuit ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe EU / Europa im Projekt »Hochskalieren von CO₂-Entnahme (UPTAKE)«.
Domenik Treß koordiniert als Fachexperte im Bereich Industrie & Produktion unter anderem den Stakeholderdialog zu CDR in der Initiative IN4climate.NRW, dem Thinktank der Landesgesellschaft für Energie und Klimaschutz NRW.Energy4Climate.
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ISSN (Online) 2747-5018
DOI: 10.18449/2025A10