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Die aufkommende Geopolitik von Carbon Capture & Storage (CCS) in Asien

Transregionale Verbindungen und Implikationen für Deutschland und Europa

SWP-Aktuell 2024/A 41, 01.08.2024, 8 Pages

doi:10.18449/2024A41

Research Areas

Derzeit verschärft sich der Wettbewerb um die CO2-Abscheidung und ‑Speicherung sowie ‑Nutzung (CCS/CCU). Bislang (noch) von Nordamerika dominiert, sind es nun insbesondere Akteure im Großraum Asien – von Saudi-Arabien bis Japan –, die diese Technologien vorantreiben. In deren sich abzeichnender Geopolitik geht es (für Ener­gie-Geopolitik untypisch) weniger um Rohstoffe, sondern eher um Technologie, Geo­logie und vor allem Industrieführerschaft. Einerseits erfordern die Entwicklungen, dass Deutschland und Europa ihr klimaaußenpolitisches Verständnis wie auch ihre Instru­mente pragmatisch anpassen. Andererseits sollte mit der Technologie proaktiv um­gegangen werden, um in Technologie und Industrie nicht den Anschluss zu verlieren.

Spätestens mit der Ankündigung einer deutschen Carbon-Management-Strategie ist die Abscheidung und Speicherung bzw. Nutzung von CO2 – kurz CC(U)S (Carbon Capture (Utilisation) and Storage) – auch hierzulande Thema geworden. Dabei geht es um verschiedene Verfahren, bei denen CO2-Emissionen aus Verbrennungsprozessen – etwa in Kraftwerken oder in der Schwer­industrie – aufgefangen, genutzt und/oder dauerhaft gespeichert werden. CSS ist eben­falls eng verbunden mit Negativ-Emissions­technologien wie Direct Air Carbon Capture and Storage (DACCS, häufig auch DAC), mit denen sich emittiertes CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernen lässt. Gleichzeitig er­öffnet CCS einen Weg zur Dekarbonisierung der konventionellen Produktion von Wasser­stoff, dem sogenannten blauen Wasserstoff.

Deutschland hatte sich mit dieser Technologie bisher nur zaghaft befasst, als globale Vorreiter gelten noch immer die USA und Kanada. Mittlerweile ist es jedoch vor allem auch ein Netz von Akteuren im Großraum Asien – vorrangig die arabischen Golfstaaten, Australien, Japan, Korea, Indo­nesien, Malaysia und China –, die die Technologie vorantreiben und zusehends als Motor von Innovation und (gemeinschaftlichen) Projekten fungieren.

Der Großraum ist geopolitisch und öko­nomisch heterogen; und die Länder haben unterschiedliche geostrategische Motive, CCS zu entwickeln. China und die Golf­staaten etwa nutzen CCS, um ihren Bevöl­kerungen mittels Innovation und Errichtung von Infrastruktur ihren globalen Einfluss und ihre Stärke zu demonstrieren (techno­politics). Gleichzeitig möchte China andere Länder technologisch von sich abhängig machen, während CCS in den Golfstaaten auch deren Petroleumexportwirtschaft unterstützt: Abgeschiedenes CO2 dient der tertiären Ölgewinnung, ehemalige Petro­leumreservoirs eignen sich als CO2-Lager­stätten; eigene Märkte für fossile Brenn­stoffe lassen sich langfristig sichern. Andere Öl- und Gasproduzenten der Region haben ähnliche Motive, etwa Malaysia, Indonesien und Australien. Letztere wiederum sitzen mit China, Korea und Japan im selben Boot und sichern ihre Industrie gegen die Even­tuali­tät strikterer globaler Klimapolitik ab. Nicht zu­letzt handelt es sich bei CCS auch um eine mögliche Schlüsseltechnologie für dieses Jahrhundert, Technologieführerschaft könnte sich daher ökonomisch wie geostrategisch auszahlen.

Trotz dieser heterogenen Motive konvergiert im Großraum Asien das Interesse an CCS; die Technologie könnte auch zu einer neuen Machtwährung werden. Die »neue Energiewelt« hat eine eigene Geopolitik – die Wechselwirkung zwischen Geographie und zwischenstaatlicher Macht –, was etwa im Kontext von Wasserstoff und Strom be­reits deutlich wird. In dieser Welt spielen, neben Technologie, vor allem (kritische) Rohstoffe, Komponenten und Infrastruktur essenzielle Rollen, aber auch Industrie (samt damit einhergehenden Abhängigkeiten) und die Fähigkeit, Standards zu setzen. Gleich­zeitig werden CO2-Speicherkapazitäten und damit für CCS günstige geologische Bedin­gungen neue Machtfaktoren, Grundlagen einer möglichen Geopolitik des CCS –, und die finden sich zusehends in Asien.

Angesichts der techno- und geopolitischen Folgen stellt sich für Deutschland und Europa die Frage, wie auf innen- und außen­politischer Ebene mit der Technologie um­zugehen ist.

Technologiewettbewerb und der Aufstieg Asiens

Im Falle von CCS sind keine kritischen Roh­stoffe oder Komponenten nötig, sondern hauptsächlich kohlenstoffbasierte Materialien, metallorganische Gerüststrukturen, Zeolithe, Silica und Metalloxide. Mit signifi­kanten Abhängigkeiten ist daher nicht zu rechnen. Allerdings behindern momentan hohe Kapitalkosten bzw. großer Energie­bedarf, je nach Technologie, den Hochlauf. Das CO2 wird vor, während oder nach der Verbrennung abgetrennt. Das am meisten verbreitete Post-Combustion-Verfahren, das CO2 aus Rauchgas in einem energieinten­siven Prozess mittels einer aminhaltigen Lösung bindet, wird in der Chemie-, Zement- und Düngemittelindustrie genutzt. Bei der Pre-Combustion wiederum werden Kohle oder Gas in ein synthetisches Gas um­gewan­delt, aus dem CO2 abgeschieden wird. Dieses Verfahren wird in Kraftwerken und zur Herstellung von blauem Wasserstoff genutzt, bedarf aber größerer Investitionen. Das Oxyfuel-Verfahren, bei dem in reinem Sauerstoff verbrannt wird, findet Anwendung in der Glas- und Stahlindustrie und hat Potential für die Zementindustrie. Auch hier entstehen hohe Energiekosten.

In puncto Technologieführerschaft spielt der Großraum Asien als globales Gravita­tionszentrum für CCS eine immer wichti­gere Rolle (siehe Grafik). Unter den Top-15-Anmeldern relevanter Patente zwischen 2010 und 2019 waren lediglich vier west­liche Unternehmen; inzwischen haben asia­tische Konkurrenten sie jedoch allesamt aus ihrer anfänglich führenden Position ver­drängt. Die übrigen elf Top-Anmelder sind japanische Technologiekonglomerate, Ein­richtungen verschiedener Sektoren aus Korea und China sowie Saudi-Arabiens staatlicher Ölkonzern Aramco – ein Mix aus privaten und öffentlichen, aus gewinn- und forschungsorientierten Organisationen. Auch bei den aufstrebenden Innovatoren hat sich der Schwerpunkt nach Asien ver­schoben. Auch wenn die Innovationsrate westlicher etablierter Organisationen im genannten Zeitraum abgenommen hat, bleiben ihre Patente stark. Gemessen an der Patentstärke (definiert als Distinktheit, Ver­breitung und Einfluss der Patente) dominieren Toshiba, Aramco und Mitsubishi in die­ser Zeit, jedoch dicht gefolgt von General Elec­tric und Alstom. Unter den aufkommen­den Innovatoren belegen westliche Akteure die ersten fünf Plätze, auf den nächsten zwei findet sich eine saudische und eine chine­sische Universität. Korea und China fallen durch die Menge der Anmeldungen auf, nicht aber durch Patentstärke.

Grafik

Anzahl der CCS-Patenteinreichungen

Auch bei den Innovationsschwerpunkten lassen sich gewisse Unterschiede erkennen. In Asien ist die Innovationsrate in Pre-Com­bustion-Prozessen höher. Im Großraum Asien zeichnen sich China und Japan vor allem durch thematisch breit gestreute Patentanmeldungen aus, während Korea und Saudi-Arabien (im Verhältnis zur Zahl ihrer Patente) in Nischen vordringen: Koreas Anmeldungen betreffen etwa Pre-Combus­tion- und Oxyfuel-Verfahren, jene Saudi-Arabiens neben der Pre-Combustion etwa die Methanolherstellung. Chinas und Japans breiter Fokus zeugt von einem holis­tischen Interesse an der Technologie und ihrer Anwendung, leitend für Korea und Saudi-Arabien ist dagegen vermutlich das Interesse an der Dekarbonisierung des Stromsektors und an der Entwicklung der (bereits starken) petrochemischen Industrie sowie an der Herstellung sauberer Brennstoffe. Diese Beobachtungen deuten auf eine Ambivalenz zwischen Wettbewerb und Spezialisierung in der Großregion Asien hin.

Zusammenwachsende Räume: Projekte und CCS-Hubs

Die Ausdehnung des Netzwerks an Innova­toren spiegelt sich auch auf Projektebene wider (siehe Karte). In Japan, China und den arabischen Golfstaaten existieren schon funktionsfähige Anlagen. Australien, Indo­nesien und Malaysia sind weitere Planungsschwerpunkte. Diese Länder haben außer­dem bereits staatliche Regulierungen zur Ver­gabe von CO2-Speicherkapazitäten an Dritte erlassen oder bereiten solche vor. Ebenso wie die Golfstaaten stützen sie sich auf ihre Erfahrungen im Öl- und Gassektor und nutzen die tertiäre Ölförderung. Japan und Korea treten vor allem als forschungsstarke Regionen auf, denen CCS im Klima­schutz als unabdingbar gilt – doch sind koreanische Anlagen erst in Planung.

Bei der simultanen Betrachtung bestehen­der Industriecluster und möglicher CO2-Speicherstätten lassen sich eine Reihe poten­tieller »CCS-Hubs« (siehe Karte) ausmachen, bei denen CCS aufgrund von Skaleneffekten tendenziell ökonomisch tragfähig ist. Zu­nächst fallen die Golfstaaten auf, die großes Potential haben, vorhandene Industrie­cluster zu dekarbonisieren und die Produk­tion von blauem (neben grünem) Wasser­stoff voranzutreiben. Abgesehen von den ASEAN-Staaten, in denen eine Vielzahl von Standorten für CCS-Hubs in Frage kommt, sticht auch Indien hervor: Zwar existieren dort momentan nur drei Anlagen, jedoch birgt das Land eines der größten Potentiale für CCS-Hubs. Die indischen Bestrebungen haben zuletzt an Fahrt gewonnen, bleiben allerdings isoliert vom regionalen Kontext.

Karte

Entstehende CCS-Landschaft in Asien: Anlagen, Hubs und transnationale Verbindungen

Ähnliches gilt für Russland und Zentralasien, wo zudem die Zahl der Projekte recht überschaubar ist. Vor dem Ukraine-Krieg hatten Gazprom und Mitsui (Japan) eine Ab­sichtserklärung zu CCS-Projekten in Russ­land vereinbart; ob sie jedoch umgesetzt wird, ist unklar.

Dagegen findet sich in China bereits eine Vielfalt an Projekten, die insbesondere Ini­tiativen in der inländischen Chemie-, Eisen-, Stahl- und Wärmeindustrie umfassen. Noch fehlen indes ausreichend Regulatorien, zu­dem agiert auch China weitgehend autark, losgelöst von anderen asiatischen Staaten.

Im Gegensatz dazu sind andere zentrale Akteure in ein enges Netz aus Verbindun­gen eingespannt (Karte). Japan etwa hat ein panasiatisches CC(U)S-Netzwerk für Wis­senstransfer und gemeinsame Projekte ins Leben gerufen. Dabei sind die Verbindungen von natio­nalen Interessen motiviert, aber auch geprägt von der Ambivalenz zwischen Ko­operation und Wettbewerb. Japan, Korea und die Golfstaaten sind über blauen Wasserstoff wie auch durch LNG-Lieferverträge verbunden, zusätzlich zu gemeinsamer Innovation. Ähnliche Abkom­men bestehen mit Australien. Japan und Korea, die industriell miteinander kon­kur­rieren, unterhalten kaum Projektverbin­dungen. Als zentrale Hubs stechen Singa­pur, Indonesien und Malaysia hervor; bei der lokalen Nutzung, aber auch weil sie die Möglichkeit bieten, CO2 aus Übersee – ins­besondere Japan, das im Inland nur unzu­reichende Speicherkapazitäten hat – ab­zuneh­men und zu speichern.

Globaler Industriewettbewerb

Ähnlich wie bei Wasserstoff hat die Förde­rung von CCS-Technologien das Ziel, hei­mische Industrie auch in Zeiten strikterer Klimapolitik zu erhalten. Da Industrieführer­schaft eine der Kerngrößen der (neuen) Ener­gie-Geopolitik ist, ist nicht nur die Bereit­stellung von CCS, sondern auch deren Ein­satz geopolitisch relevant. Aus Sicht Euro­pas könnte sich CCS global als zweischnei­diges Schwert erweisen – es eröffnet zwar die Möglichkeit, Industrie in Europa zu hal­ten, allerdings könnten, ceteris paribus, Märkte, in denen für CCS günstigere Standortbedin­gungen herrschen, europäische Unterneh­men auch zum Abwandern verleiten. Gerade an den Verflechtungen im Großraum Asien lässt sich der potentielle Wettbewerb um In­dustrieerhalt und (Re-)Allokation erkennen. Für eine Verlagerung von Industrien spielen indes verschiedene Faktoren eine Rolle.

Globaler Klimaschutz

Eine Grundvoraussetzung für die industrielle Anwendung von CCS sind deutliche Anreize zur Emissionsminderung, etwa ausreichend strenge CO2-Steuern oder ‑Zertifikatsysteme. Denn erst solche Maßnahmen veranlassen Unternehmen dazu, Emissionen zu vermei­den und die Kosten ihrer Vermeidung in ihr Kalkül einzubeziehen.

Überdies könnte bei rein unilateralem Klimaschutz die Industrie ihre Produktion an Orte verlagern, in denen ein weniger strik­tes Klimaschutzregime herrscht (so­genanntes Carbon Leakage) – ganz unab­hängig von CCS. Für den Standortwett­bewerb relevant wären also nur homogene Anreize zur CO2-Vermeidung über Landes­grenzen hinweg oder Grenzausgleichs­mechanismen (siehe EU-Beschluss).

Transportmöglichkeiten

Bei gegebenen Klimaschutzanreizen entschei­det die Möglichkeit, CO2 zu transportieren, darüber, ob Industrie verlagert wird. Prin­zipiell präferieren Pläne wie auch bestehende Projekte Pipelines aus Gründen der Wirtschaftlichkeit, Sicherheit und Umwelt­verträglichkeit. Je geringer allerdings die zu transportierenden Volumina und je größer die Distanz, desto eher lohnt es sich, Schiffe statt Unterseepipelines zu nutzen.

Es gibt Pilotprojekte, und auch technisch ist der maritime CO2-Transport möglich. Allerdings hängt dessen wirtschaftliche Machbarkeit von mehreren Faktoren ab: außerordentlichen Anreizen zur CO2-Ver­meidung, der drastischen Senkung der Transportkosten, einer nachdrücklichen politischen Koordinierung und regula­torische Entwicklungen. So erlaubt etwa eine Änderung des internationalen See­rechts mit dazugehöriger Resolution von 2019 den transmaritimen CO2-Transport, doch die getroffenen Vereinbarungen sind bis dato nicht vollständig rati­fiziert.

Würde es keinen Transport abgeschie­dener Emissionen geben, könnte CCS dazu führen, dass sich die Industrie primär an Orten mit hohen und günstig zugänglichen Speicherkapazitäten (und niedrigeren Ener­giepreisen) ansiedelt.

Sollte sich CO2 problemlos über Grenzen verbringen lassen, könnte ein interregiona­ler Markt für CO2 als Abfallstoff entstehen. Geplante Kooperationen wie jene zwischen Japan und Malaysia oder auch Deutschlands Vorhaben, abgeschiedenes CO2 nach Norwegen zu schicken, sind Beispiele – die EU plant bereits einen Binnenmarkt. Prinzi­piell wäre neben bilateralen Verbindungen sogar ein multilateraler Markt mit einem Netzwerk aus Emittenten und CO2-Speiche­rern möglich. Bestünde ein solcher inter­nationaler Markt, könnte die Industrie an ihrem Ursprungsort gehalten werden, zum Preis des Transports und der Einlagerung von CO2 im Ausland – ein Modell, das kon­zeptionell dem Wasserstoffimport ähnelt. Deutschland und Europa haben grundsätzlich Interesse an handelbarem CO2, da Spei­chermöglichkeiten vorhanden, jedoch meist teuer und teils politisch umstritten sind.

Ähnliche Kalküle finden sich auch in Ländern Asiens: Industrienationen mit begrenztem oder teurem Speicherpotential wie insbesondere Japan haben ein starkes Interesse am CO2-Transport. Standorte mit großem Speicherpotential wiederum könn­ten in beiden Fällen profitieren: Denn ohne CO2-Transport gibt es Anreize, Industrie an­zusiedeln; findet aber CO2-Transport statt, bietet sich die Speicherung von auslän­dischem CO2 als neues Geschäftsmodell an.

Das Konzept ist jedoch auf politische und soziale Akzeptanz angewiesen, die nicht unbedingt unterstellt werden sollte. In Oman etwa wird die Option einer Spei­che­rung von ausländischem CO2 eher ab­gelehnt, da dies den Eindruck einer »glo­balen Abfallentsorgung« vermittelt.

Speichermöglichkeiten

Den Löwenanteil möglicher Speicher machen erschöpfte Öl- und Gasreservoirs oder salz­wasserführende Gesteine aus, wie etwa Oli­vin-, Serpentin- und Basaltformationen, die CO2 gut aufnehmen und bei denen, je nach Einspritz- und Versiegelungsverfahren, nur ein geringes Entweichrisiko besteht.

Goldstandard ist dabei die Mineralisierung, bei der das CO2 nach dem Einspritzen mit dem Gestein chemisch reagiert und sich verfestigt – ein späteres Entweichen oder Umweltrisiken sind also ausgeschlossen. Das Verfahren steht insbesondere im Kontext von DACCS, stellt aber auch im Rahmen von CCS eine langfristige und skalierbare Ein­lagerungsmethode dar, die sich positiv auf die Umwelt auswirkt. Doch funktioniert sie nur in bestimmten geologischen Umgebun­gen: nötig sind mafische Gesteine, die etwa in Indien, Australien und Russland vor­handen sind; bevorzugt werden aber ultra­mafische Gesteine, die außer in den USA und Neukaledonien in Oman vorkommen, wo bereits erste Pilotprojekte entstehen.

Abgesehen von natürlichen Vorkommen – das geschätzte weltweite Speicherpoten­tial liegt im Bereich von Teratonnen und übersteigt damit den möglichen Bedarf deutlich – geht es hier jedoch auch um eine (umwelt-)regulatorische Frage: Welche Umweltrisiken werden für CCS in Kauf genommen? Je mehr Risiken vermieden werden sollen, desto stärker verringern sich die verfügbaren Flächen. Dabei geht es etwa um die Distanz zu Siedlungen oder die Risi­ken des Entweichens, die von der Art der Speicherung beeinflusst werden.

Mit dem Grad der Laxheit der Regulierungen steigt die Zahl der potentiellen CCS-Standorte; gelten strengere Regulierungen, würde dies die möglichen Einsatzorte stär­ker eingrenzen, während die Preise für CO2-Speicherung steigen würden. Diese Knapp­heit würde den Wettbewerb um mögliche CO2-Senken verschärfen und damit deren Preis nach oben treiben: Besitzer erhalten eine zusätzliche Knappheitsrente, gleich­zeitig wird der globale Einsatz abnehmen. Das würde wiederum einerseits die Verlage­rung von Industrie eindämmen, andererseits jedoch auch Staaten mit günstigen geo­logischen Bedingungen bevorteilen. Letzteres würde bedeuten, dass selbst Staa­ten mit großem Interesse an der CCS-Tech­no­logie striktere Regulatorien anstreben könnten, so etwa die Vereinigten Arabischen Emirate, Oman oder auch Australien.

Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Im Zuge des Aufkommens erster (transnatio­naler) Verbindungen, insbesondere im Groß­raum Asien, zeichnen sich bereits die Kon­turen einer möglichen Geopolitik des CCS ab. Im Mittelpunkt dieser Politik ste­hen im Gegensatz zu erneuerbaren Ener­gien und ihren kritischen Rohstoffen vor allem Technologie und Geologie. Öl- und Gasproduzenten ermöglicht dies, ihren Ein­fluss durch die Sicherstellung von Absatz, aber auch von Speichern zu festigen. Wäh­rend einzelne Querschnittstechnologien abseh­bar umkämpft sein werden, findet daneben viel Spezialisierung statt. Dies lässt einen Sektor erwarten, der von Kooperativität gekennzeichnet ist. Doch zugleich bahnt sich Konkurrenz insbesondere zwischen großen emittierenden Industriehubs an. Inwieweit sich Ersteres bewahrheiten wird, ist allerdings noch offen und könnte vom Grad der allgemeinen politischen Konver­genz in der Region abhängen.

Denn obwohl der Klimaschutz für die meisten Länder im Großraum Asien durch­aus eine Rolle spielt, überwiegen (sozio-) öko­nomische Motive für CCS. Dieser klima­politische Pragmatismus könnte jedoch unter bestimmten Voraussetzungen dazu führen, das europäische Industrie abwandert. Als Folge könnten für Europa und Deutschland je nach Technologiepfad neue Abhängigkeiten bei industriellen Wertschöpfungs- und Lieferketten entstehen. Vor diesem Hintergrund ergeben sich für die europäische und deutsche Klima(‑außen)- und Industriepolitik sowohl Risiken als auch Gestaltungspotentiale.

Pragmatische Klimaaußenpolitik

Nachdem CCS Eingang in staatliche Stra­tegien und industrielle Wertschöpfungs­ketten gefunden hat, folgt nun die Klima­außenpolitik. Eine Verlängerung der Grundsatzdebatte ist daher nicht hilfreich. Zwar bleiben Einsatzbereich und ‑umfang von CCS unsicher, so dass Vorsicht geboten ist, die hiesige Debatte ist jedoch eher dog­matisch als antizipato­risch: Obwohl De­karbonisierung in ihr als Leitbegriff dient, liegt ihr Fokus häufig nicht auf der prag­matischen Emissionssenkung, sondern gibt die vollständige Eliminierung fossiler Brennstoffe als primäres Ziel vor. Einerseits wird diese Agenda Europas von Ländern des Globalen Südens (ebenso von den USA) kaum geteilt, sondern zusehends als egois­tisch und paternalistisch wahrgenommen. Andererseits setzen Energielangfristszena­rien, die mit dem Pariser Abkommen kom­patibel sind, CCS oder DACCS häufig still­schweigend voraus.

Das signifikante Engagement der Akteure im Großraum Asien zugunsten von CCS zeigt, dass sich die Region auf eine pragma­tische Dekarbonisierung einstellt, die eine Nutzung fossiler Brennstoffe nicht aus­schließt; die auf der 28. Weltklimakonfe­renz beschlossene »Abkehr von fossilen Brennstoffen« muss insofern nuanciert verstanden werden. Auch weil Klimaschutz politisch, technologisch und episte­mo­logisch bislang in einem meist unidirektio­nalen Transfer vom Globalen Norden in den Süden bestand, könnte sich CCS zu einem wegweisenden Gegenbeispiel entwickeln. Pragmatische Klimaaußenpolitik bietet Deutschland und Europa die Chance, diese Entwicklungen mit­zugestalten und gleich­zeitig klimapolitische Handlungsmacht (Agency) außerhalb Europas zu fördern.

Konkret sollten auch Energie- und Klima­partnerschaften um eine »Technologie­partnerschaft« ergänzt werden. Diverse Motive der Partnerländer und deren Gege­benheiten sollten außerdem respektiert werden, anstatt sie nach eigenen Wert­vorstellungen ändern zu wollen. Auch sollte es um Zielkonvergenz gehen. Unidirektio­nale Kapazitätsausbildung wäre zu ersetzen durch Technologietransfer oder gemein­same Vorhaben. Entsprechend der CCS-Landschaft sollten Partnerschaften zuneh­mend mini- oder multilateral ausgerichtet werden, um Prozesse beeinflussen zu kön­nen. Regionalwissenschaftliche und außen­politische Expertise wäre verstärkt für die Planung und Umsetzung entsprechender Maßnahmen zu nutzen.

Proaktiver Industrieerhalt und mutige Technologiepolitik

Hauptmotiv für eine mögliche Abwanderung von Industrie sind aktuell hohe Ener­giepreise. Nötig ist insofern eine Entspannung der europäischen Energiekrise; das gilt auch für energieintensives CCS – andernfalls müssten Abscheidungskosten direkt subventioniert werden.

Unter gewissen Bedingungen kann jedoch auch CCS eine Abwanderung von Industrie verursachen. Diese ist meist irre­versibel, belastet komplexe Lieferkettennetzwerke und gefährdet Europas Rolle in globalen Lieferketten – und damit auch Europas geopolitische Autonomie.

Der Ausbau von CCS-Kapazitäten kann helfen, Industrie im Land zu halten und blauen Wasserstoff sowie DACCS zu ermög­lichen. Deutschlands bedachtsam-konserva­tives Interesse ist im Prinzip ein richtiger An­satz, seine eher reaktive Haltung in inter­nationalen Foren verbaut aber die Chance, die globale Entwicklung des Sektors zu prägen und auf diesem Wege eigene Inter­essen langfristig geltend zu machen. Euro­pas Ansätze zur Wasserstoffregulierung etwa haben sich denn auch, aller Kritik zum Trotz, weitgehend durchgesetzt und können seinen Einfluss langfristig aus­bauen. Durch eine proaktive Teilnahme am internationalen Diskurs könnten Grund­lagen für die Setzung entsprechender CCS-Standards geschaffen werden, die etwa die geologischen Voraussetzungen für die Zer­tifizierung von Anwendungen betreffen. In­haltlich könnten, nach einem simplen Kal­kül, striktere (globale) Standards für Europa durchaus hilfreich sein. Denn sie würden das faktische globale Speicherungspotential verringern und damit auch die Anreize zur Industrieverlagerung. Dies wäre allerdings in gleichem Maße riskant: denn Einschränkungen nutzbarer Speicherkapazitäten würden auch deren Konzentration bedeu­ten und insofern schädliche Abhängigkei­ten und Marktmacht fördern. Laxere Regu­latorien wären demnach vorzuziehen.

Europa sollte anerkennen, dass CCS-Technologiezentren mehr und mehr im Ausland liegen. Das Feld vollständig ande­ren zu überlassen würde wiederum jedoch Technologieabhängigkeit und Projektkosten erhöhen. Bestehende Forschungs- und Ent­wicklungsprojekte sollten fortgesetzt wer­den, werden aber nicht ausreichen, um auf­zuholen. Ein global erprobter, wenngleich für Europa gewagter Ansatz wäre es – ähn­lich wie das China oder Saudi-Arabien bei anderen Schlüsseltechnologien praktiziert haben –, strategisch in entsprechende Unternehmen zu investieren und mit ihnen Part­nerschaften einzugehen. Auf diese Weise ließe sich Schlüsselwissen entlang der CCS-Technologiekette importieren. Gleichzeitig würden mit der Energiewende verbundene ökonomische und politische Risiken diversifiziert und strategische Klimapolitik ermöglicht.

Dieser Ansatz würde jedoch für Europa eine bislang seltene Breite und Tiefe staat­licher (außen-)wirtschaftlicher Beteiligung erfordern. Die Gründung eines führenden europäischen Unternehmens (Champion) wäre denkbar und sollte trotz Vorbehalten in Erwägung gezo­gen werden. Der Aufstieg Asiens bei CCS-, aber auch bei anderen Tech­nologien ist zu großen Teilen Ergebnis gezielter Industriepolitik. Hier besteht das sogenannte Gefangenendilemma, da mit Marktmechanismen alleine nicht derselbe Grad an Koordinierung zu erreichen ist wie mit Industriepolitik; Europa hat also zur­zeit ein Handicap beim Ringen um jene Technologien. Abgesehen von der Einsicht, dass Fortschritt in kohlenstoffarmen Tech­nologien auch abseits von Europa stattfindet, braucht es daher mutige, neue Ansätze.

Dr. Dawud Ansari und Dr. Jacopo Maria Pepe sind Wissenschaftler, Rosa Melissa Gehrung ist Forschungsassistentin in der Forschungsgruppe Globale Fragen. Dieses SWP-Aktuell entstand im Rahmen des Projekts »Geopolitik der Energie­transformation im Großraum Asien (GET GA)«, das vom Auswärtigen Amt finanziert wird.

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