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Der Global Digital Compact der Vereinten Nationen

Die Weltorganisation möchte ihre Rolle in der internationalen Digitalpolitik neu bestimmen

SWP-Aktuell 2024/A 35, 17.07.2024, 7 Pages

doi:10.18449/2024A35

Research Areas

Im September 2024 soll beim Zukunftsgipfel der Vereinten Nationen der globale Digi­talpakt verabschiedet werden. Der Pakt wird zentrale Themen der internationalen Digitalpolitik aufgreifen, vom Zugang zu digitalen Technologien bis hin zu regu­lato­rischen Herausforderungen Künstlicher Intelligenz. Gleichzeitig soll der Pakt dazu dienen, die Rolle der VN in diesem Bereich neu zu bestimmen. Bislang bleibt aber vieles vage, und die Klärung strittiger Fragen wird in Folgeprozesse ausgelagert. Für die deut­sche Politik geht es um viel, gilt es doch, das übergeordnete Ziel »Stärkung der VN« mit jenen Zielen für die inter­nationale Digitalpolitik zu verbinden, welche gerade erst innerhalb der Regierung vereinbart wurden. Entscheidend dafür wird sein, Rückschritte bei Themen wie Menschenrechtsschutz und Nachhaltigkeitspolitik zu verhindern und Leitplanken für die Ausgestaltung des Folgeprozesses zu setzen.

Die internationale Digitalpolitik umfasst all jene Aktivitäten, die über das Geschehen in einzelnen Staaten hinaus zum Ziel haben, Macht über die Entwicklung und Nutzung digitaler Technologien zu gewinnen, zu erhalten und auszuüben. Staaten versuchen, mit Hilfe der Kontrolle über digitale Technologien Macht auch über ihre eigenen Grenzen hinaus zu projizieren. Zudem macht die enorme Konzentration wirtschaftlicher Macht in den Händen weniger großer Konzerne diese de facto ebenfalls zu Akteu­ren der internationalen Digitalpolitik. Ein­fluss auf die globale digitale Ordnung neh­men sie in erster Linie durch ihre Produkte und Dienstleistungen, die immer auch politische Wertvorstellungen verkörpern.

Die Vereinten Nationen (VN) spielen in der internationalen Digitalpolitik bisher eine eher überschaubare Rolle, ob­wohl sich immer deut­licher zeigt, dass digi­tale Tech­nologien direkte und weitreichende Folgen für Kernthemen der VN haben: von neuen Herausforderungen für Friedenssicherung und den Schutz der Menschenrechte ebenso wie etwa Fragen nachhaltiger Ent­wicklung.

Es scheint, dass VN-General­sekretär António Guterres sich dessen bewusst ist. Seit nun schon sechs Jahren treibt er einen Prozess voran, mit dem die Rolle der VN in der Gestaltung digitaler Technologien neu bestimmt werden soll. Beim Zukunftsgipfel der VN im September 2024 soll der so­genannte Global Digital Compact (GDC, zu Deutsch etwa globaler Digitalpakt) beschlos­sen werden.

Für die Bundesregierung bietet sich hier eine besondere Gelegenheit, im globalen Rahmen der VN die Erfüllung jener Ziele zu forcieren, die sie sich Anfang 2024 mit ihrer Stra­tegie für die Internationale Digitalpolitik gesetzt hat. Zum einen betrifft dies sub­stantielle Ziele, etwa Ach­tung, Schutz und Ge­währleistung der Men­schenrechte im digi­talen Raum, die Beteili­gung aller Stake­holder an der Internet-Governance oder den verantwortungsvollen Umgang mit Künst­licher Intelligenz (KI). Zum anderen wird es aber auch darauf ankommen, eine Ant­wort auf die grundsätzliche Frage zu fin­den, welche Rolle den Vereinten Nationen in diesem Bereich zukommen sollte.

Der politische Kontext

Die derzeitigen Verhandlungen über einen globalen Digitalpakt laufen vor dem Hinter­grund sich verschärfender Konflikte über die globale digitale Ord­nung. Mittlerweile ist allen Regierungen klar, welch weit­reichende poli­tische Bedeu­tung digitale Technologien haben. Sie wer­den als neues Machtinstrument verstanden, sowohl nach innen gegenüber der eigenen Bevölkerung als auch zwischen den Staa­ten. In min­de­stens viererlei Hinsicht fügen sie bestehenden Konflikten eine neue Dimen­sion hinzu:

Erstens haben digitale Technologien große Bedeutung in der geopolitischen Aus­einandersetzung zwischen den USA und China. Technische Überlegenheit gilt hier als Grundlage dafür, politi­sche, wirtschaftliche und militärische Macht auch über die Grenzen des eigenen Landes hinaus zu ent­falten (siehe SWP-Studie 1/2020).

Zweitens verschärfen digitale Techno­logien die wirtschaftlichen Machtasymme­trien zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden. Diese Technologien werden großteils im globalen Norden ent­wickelt, sodass dort auch die entsprechende Wertschöpfung stattfindet. Immer lauter werden daher die Stimmen aus dem glo­ba­len Süden, die eine neue Form des Kolonia­lismus, nämlich eines digitalen, befürchten.

Drittens sind es nur einige wenige, aber außerordentlich mächtige Unter­nehmen, die den Digitalbereich beherrschen. Skalen- und Netzwerkeffekte haben eine derartige Konzentration von Marktmacht herbei­geführt, dass diese nun auch in politische Macht umschlägt. In vielen Ländern, nicht nur des globalen Südens, hat dies Diskussionen über »digitale Souveränität« befeuert.

Viertens schließlich offenbart sich im Wettstreit demokratischer und autokratischer Systeme nur allzu deutlich die Ambi­valenz digitaler Technologien. Einerseits entstehen durch sie neue Partizipationsformen und Informationskanäle. Andererseits ermög­lichen sie es, Überwachung, Repression und Des­information auszuweiten und auf diese Weise demokratische Normen und Verfahren auszuhöhlen.

All diese Konflikte sind von erheblichen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Staaten geprägt, die sowohl unmittelbare materielle Interessen als auch Wert- und Ordnungsvorstellungen betreffen. Entsprechend ernüchternd ist die Bilanz bisheriger Bemühungen der VN. Lang­jährige Debatten etwa über »verantwortungsvolles Staa­ten­handeln im Cyberspace« brachten bis jetzt nur sehr all­gemeine Handlungsempfehlungen hervor. Ver­handlungen über die Regu­lierung auto­nomer Waf­fen­systeme endeten ergebnislos. Und die seit zwei Jahren lau­fen­den Ver­handlungen über eine Cybercrime-Konven­tion drohen auf­grund massi­ver Diffe­renzen unter den Staaten zu scheitern. Schon dieser kurze Überblick veranschaulicht, dass die Eini­gung auf einen umfassenden Digitalpakt im Kreis aller Mitgliedstaaten der VN eine äußerst anspruchs­volle poli­tische Aufgabe ist.

Der Weg bis zum Zero Draft

Anfang April 2024 wurde ein erster Ent­wurf (Zero Draft) für einen globalen Digital­pakt vorgelegt. Nach öffent­lichen Diskussionen und ersten Verhandlungen zwischen den Staa­ten gibt es nun eine überarbeitete Fassung. Dem Entwurf voraus­gegangen war eine Reihe von Doku­menten, die in unter­schiedlichem Maße Spuren im Ent­wurf hinterlassen haben:

  • Im Jahr 2018 setzte VN-Generalsekretär Guterres ein High-level Panel on Digital Cooperation ein, das unter der Leitung von Melinda Gates und des chinesischen Internet-Unternehmers Jack Ma einen Bericht mit dem Titel »The Age of Digital Interdependence« erarbeitete.

  • Die darin enthaltenen Vorschläge bilde­ten die Grundlage für die von Guterres im Juni 2020 präsentierte Roadmap for Digital Cooperation.

  • Im Januar 2021 schuf Guterres den in der Roadmap vorgesehenen Posten eines Sondergesandten für Technologie (Envoy on Technology). Seit Juli 2022 bekleidet der indische Diplomat Amandeep Singh Gill diese Position.

  • Im September 2021 unterbreitete der Generalsekretär in seiner Zukunftsvision für die VN, Our Common Agenda, einen Vorschlag für einen High-level Track zu digitalen Technologien, schon damals mit dem Ziel eines globalen Pakts.

  • Im Oktober 2022 wurden Schweden und Ruanda zu Verantwortlichen für die Organisation des Verfahrens (Ko-Fazilita­toren) zur Vorbereitung des GDC ernannt. Sie organisierten einen breit an­gelegten Beratungs- und Konsultations­prozess, in dem sowohl Staaten als auch nichtstaat­liche Stakeholder in meh­reren Phasen schriftliche und mündliche Beiträge ein­reichten. Als Beitrag zu den Beratungen publizierte das Büro des Generalsekretärs im Mai 2023 einen Policy Brief mit Vor­schlägen für Prinzipien, Ziele und Maßnahmen in einem Global Digital Compact. Die Ko-Fazilita­toren wiederum leg­ten im September 2023 ein Issue Paper vor, in dem sie die Themen bündelten, die bis dahin in den Diskussionen aufgekommen waren. Im Oktober 2023 übernahmen Sambia und Schweden die Rolle als Ko-Fazilitatoren für die Erarbeitung des ersten Entwurfs. Parallel zu den Kon­sultationen über den globalen Digitalpakt liefen innerhalb der VN Pro­zesse zum Thema KI. In der Gene­ral­versammlung wurde nicht zuletzt auf Betreiben der USA über eine Resolution zu KI verhandelt. Sie erhielt den Titel »Seizing the opportunities of safe, secure and trustworthy arti­ficial intelligence systems for sustainable development« (A/RES/78/265) und wurde im März 2024 ohne Ab­stimmung angenommen. Im Oktober 2023 setzte Guterres außerdem ein High-level Advisory Body on Artifical Intelligence ein, dessen Empfehlungen in den GDC einfließen.

Zentrale Verhandlungsgegenstände

Der Text des GDC in der zurzeit aktuellen Fassung vom 26. Juni 2024 setzt für die VN fünf übergreifende Ziele, denen jeweils Verp­flichtungen und Handlungsempfehlungen zugeordnet sind. So soll der GDC dazu beitragen, (1) die digitale Spaltung (»digital divide«) beim Zugang zu Technologien zu überwinden, (2) eine inklusivere Form der digitalen Wirtschaft zu befördern, (3) auch im digitalen Raum die Menschenrechte zur Geltung zu bringen, (4) inter­national einen gerechteren Umgang mit Daten und einen interoperablen Daten­austausch zu ermög­lichen und schließlich (5) die internationale Governance von »emerging technologies« wie KI zu stärken. Der Ent­wurf endet mit einem Abschnitt zum Folgeprozess.

Der GDC umfasst also eine Vielzahl von Themen. Ohne alle Facetten abzudecken, werden im Folgenden einige besonders wich­tige Verhandlungsgegenstände hervorgehoben.

Viele vage Ziele, wenige konkrete Festlegungen

Die Struktur des GDC ist darauf ausgerichtet, dass die Staaten sich auf geeignete Maß­nah­men verpflichten, um die genann­ten fünf Ziele zu erreichen. Bei allen Maßnahmen ist zudem aus­gewiesen, wie diese zugleich helfen sollen, konkrete Ziele nach­haltiger Entwicklung (Sustainable Develop­ment Goals, SDGs) zu erfüllen.

Es werden also Staaten sein, die einen Großteil der Umsetzung tragen müssen. Hinzu kommen einige Aufträge an einzelne Arbeitseinheiten des VN-Systems. Hier zeigt sich ein grundsätzliches Spannungsverhältnis. Damit der GDC Wir­kung entfalten kann, müssen möglichst konkrete Fest­legungen getroffen werden. Doch je konkreter sie sind, umso heftigere Kontroversen lösen sie aus.

Positiv hervorzuheben ist das klare und umfassende Bekenntnis zu den Menschenrechten (Abschnitt 22). Die Aktivitäten der VN sollen hier durch einen neuen Digital Human Rights Advisory Service verstärkt werden, der beim Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) (Abschnitt 24) angesiedelt sein soll. In der neuesten Fassung ist zudem das Vorhaben aufgeführt, gemein­sam mit relevanten Stakeholdern Methoden zur Messung genderspezifischer digitaler Gewalt zu erarbeiten (Abschnitt 30 (e)).

Auch bei der Frage des Zugangs zu digi­talen Technologien finden sich einige kon­krete Festlegungen. Dieser Punkt ist gerade für die Länder des globalen Südens von großer Bedeutung. Die Staaten sollen sich verpflich­ten, bis zum Jahr 2030 alle Schu­len welt­weit mit dem Internet zu verbinden. Ver­knüpft wird diese Festlegung mit dem Verweis auf bestehende einschlägige Akti­vitäten im VN-System (Abschnitt 11 (d)).

Deutlich unschärfer erscheinen indes die Konturen des wei­teren Vorgehens, wenn es darum geht, die digi­tale Spaltung beim Zugang zu digi­talen Technologien zu über­winden. So heißt es lediglich, dass bis 2030 zunächst eine Verständigung erreicht werden soll, welche qualitativen und quan­titativen Indikatoren für Konnektivität den Maßnahmen zugrunde gelegt werden sol­len (Abschnitt 11 (a)). Angesichts der Dringlichkeit des Themas und bereits geleisteter um­fang­reicher Vor­arbeiten besteht das Risiko, dass mindestens fünf weitere Jahre keine wesent­lichen Fortschritte erreicht werden.

An vielen weiteren Stellen bleibt der Entwurf ebenfalls vage oder lässt erkennen, dass die notwendige Klärung diverser Punkte in die Zukunft verschoben wurde. Beson­ders auffällig ist dies etwa in den Abschnitten zu digitalen öffentlichen Gütern, zu einer in­klusiveren Digitalwirtschaft oder zur Daten-Governance. Gerade bei dem letzten Aspekt zeigt sich exem­plarisch, wie schwierig die Verhandlungen sind: So hat der Bezug auf das von der G7 über mehrere Jahre entwickelte Konzept Data Free Flow With Trust schon die ersten Beratungen nicht über­standen und ist in der neuen Fassung des Entwurfs nicht mehr enthalten. Das Konzept war zwar ausgereift, aber nicht mehrheitsfähig. Stattdessen wurde die Einigung über gemeinsame Nor­men in einen weiteren Beratungs­prozess ausgelagert, der bis 2030 dauern soll.

Internet-Governance

Digitale Technologien sind mehr als das Internet, aber in einer sich stetig weiter vernetzenden Welt wird das Internet immer wich­tiger. Die Verhandlungen über den GDC sind vor dem Hintergrund der Institutionen der glo­balen Internet-Gover­nance zu be­trachten, wie sie sich in den letzten Jahr­zehnten entwickelt hat.

Prägend war dabei lange die Idee einer Multistakeholder-Governance, bei der alle relevanten Beteiligten auf Augenhöhe zusammenfinden sollen, um gemein­same Lösungen für die Gestaltung und Wei­ter­entwicklung des Internets zu finden. Nach der bis heute einschlägigen Definition des Weltgipfels zur Informationsgesellschaft (World Summit on the Information Society, WSIS) von 2005 zählen hierzu neben Staa­ten private Unternehmen, zwischenstaat­liche und internationale Organisationen, die Zivilgesellschaft, die Wissenschaft und technische Expert:innen. Diese Idee hat auch Eingang in das VN-System gefunden. In Gestalt des Inter­net Governance Forum (IGF) wurde dort ein Multi­stakeholder-Format etabliert, das nun schon seit fast zwanzig Jahren existiert. Immer wieder wird allerdings diskutiert, ob das IGF den gesetzten Zie­len gerecht wird. Sein aktu­elles Mandat läuft 2025 aus.

Im Entwurf des GDC wird das IGF wohlwollend erwähnt. Dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der GDC auch dazu dienen soll, die Machtverhältnisse in der internationalen Digitalpolitik neu zu sortie­ren. Wenn Staaten sich in einem Pakt auf gemeinsame Ziele verpflichten, ist es nicht verwunderlich, dass ihre Interessen im Mittelpunkt stehen. Doch lässt sich der GDC auch so lesen, dass Staaten damit ihre Rolle gegenüber anderen Akteuren auf­werten wollen.

Besonders deutlich wird das mit Blick auf das IGF. Hieß es zuvor, alle Stakeholder sollten auf Augen­höhe zusammenkommen, schafft der GDC nun eine klare Hierarchie. So wird dem IGF nahegelegt, jährlich darüber zu diskutieren, welchen Beitrag es im Sinne der Ziele des GDC leisten kann. Zugespitzt bedeutet dies, dass die Staaten die Ziele vorgeben und das IGF sich auf Fragen der Umsetzung beschränken soll.

Dieser Versuch einer fundamentalen Umgestaltung der Strukturen der globalen Internet-Governance birgt Risi­ken: Einer­seits droht er das viel­fältige zivilgesellschaftliche Engagement in diesem Bereich zu ersticken. Entsprechend laut ertönen die Warnungen zivilgesellschaftlicher Akteure, weil sie das Multistakeholder-Modell prin­zipiell in Frage gestellt sehen. Andererseits ist nicht zu erkennen, was der Pakt in der vorliegenden Form den großen Technologieunter­nehmen entgegensetzen könnte. Im Ver­hältnis zu diesen extrem einfluss­reichen Stakeholdern droht die angepeilte Machtverschiebung ins Leere zu laufen.

Künstliche Intelligenz und neue Technologien

Die Entwicklung Künstlicher Intelligenz verläuft derzeit enorm dyna­misch und erfährt beträchtliche politische Aufmerksamkeit. In Anbetracht dessen enthält der GDC einen ausführlichen Abschnitt zu KI und zu deren globaler Governance. Doch auch hier ist ein Konsens derzeit anscheinend nur dadurch zu erreichen, dass auf mög­lichst vage Formulierungen ausgewichen wird. So soll KI-Governance »balanced« und »inclu­sive« sein sowie einem risiko­basierten (»risk-based«) An­satz folgen. Risi­ken von KI sollen beurteilt, angegangen und reduziert werden (Abschnitt 49 und 50). Begrüßt werden außerdem bestehende Bemühungen, KI »safe, secure and trustworthy« zu gestalten (Abschnitt 49 und 57). All diese Attribute sind nicht per se proble­matisch. Aber sie lassen so viel Raum für Interpretation, dass kein gemeinsames Ziel erkennbar wird.

Überdies wurde der aktuellen Text­fassung eine Beschränkung auf den nicht­militärischen Bereich hin­zu­gefügt. Aus­geklammert ist damit die besonders heikle Frage der Nutzung von KI für militärische Zwecke (Abschnitt 49).

Auch wenn die Ziele nur ungenau bestimmt wurden, enthält der Teil zu KI drei Ansätze zu neuen For­maten der Ko­operation. Der erste, nämlich der Vor­schlag für ein International Scientific Panel on AI, beruht auf Forderungen aus den letzten Jahren, für Künstliche Intelligenz ein ähn­liches Forum zu schaffen wie im Klima­bereich das International Panel on Climate Change (IPCC). Das Panel soll jährliche Berichte erstellen, doch hier sind ebenfalls wesentliche Fragen zu Aufgaben, Zusammensetzung, Funktionsweise und Finanzierung des Panels ungeklärt und werden in einen separaten Prozess aus­gelagert (Ab­schnitt 54 und 55). Mit der ein­deutigen Beschränkung auf KI wurde eine Chance vertan: Hatte der erste Entwurf noch die Befas­sung mit weiteren »emerging tech­nologies« vorgesehen, wurde diese Erweite­rung mittlerweile gestrichen. Dies birgt die Gefahr, mit viel Aufwand ein Gremium zu schaffen, das schon für den nächsten Schritt der tech­no­logischen Entwicklung kein Mandat mehr hat.

Auch beim zweiten Vorschlag für eine neue Institution deutet sich in der Ent­wick­lung vom Zero Draft bis zur aktuellen Ver­sion ein Rückschritt an: Hieß es in der ersten Fassung noch, jährlich solle ein Dia­log »aller relevanten Stakeholder« statt­fin­den, wurde diese Passage in der aktu­ellen Version durch einen Dialog »aller Mitgliedstaaten« ersetzt. Wie in der Inter­net­-Gover­nance wird auch hier das Multi­stakeholder-Modell nachdrücklich in Frage gestellt.

Drittens schließlich soll ein neuer Fonds dazu dienen, Maßnahmen zum Kapa­zitäts­aufbau zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele und für die Beseitigung von Ungleichheiten im Zugang zu KI zu finanzieren (Ab­schnitt 62). Er soll neue Ressourcen aus öffentlichen, privaten und philanthropischen Quellen generieren. Die erste Fassung des Textes enthielt noch einen Zielwert des Fonds von 100 Millionen US-Dollar. Diese Zahl wurde in der neuesten Version ge­strichen. Stattdessen soll der Generalsekretär Kon­sultationen anregen und binnen zwölf Monaten über den Stand des Fonds berich­ten. Folglich ist unklar, inwiefern es über­haupt gelingen kann, substantielle Finanz­mittel einzuwerben. Zum Vergleich: Allein Amazon und Microsoft haben in diesem Jahr schon über 40 Mil­liar­den US-Dollar in KI-Projekte und Datenzentren investiert.

Follow-up- und Review-Prozess

Viele Teile des GDC sind Aufträge für die Zukunft, von der Spezifizierung noch all­gemein gehaltener Ziele über den Aufbau neuer Institutionen bis hin zur Umsetzung in nationale Gesetze und Regierungs­pro­gramme. Die Ausgestaltung des Follow-up- und Review-Prozesses ist daher entscheidend für die tatsächliche Wirksamkeit des GDC.

Bei der Gestaltung des Review-Pro­zesses haben sich die Ko-Fazilitatoren nach eigener Aussage und erkennbar am Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration (GCM) orientiert, der 2018 ver­­abschiedet wurde. Dementsprechend sieht der Entwurf für den GDC ein High-level Review of the Global Digital Compact vor, das erst­mals im Rahmen der 82. Generalversammlung stattfinden soll (Abschnitt 75), also ab Sep­tember 2027. Alle wesent­lichen Fragen zur Ausgestaltung dieses Treffens sollen in einem weiteren Prozess ge­klärt werden, der im Rahmen der 80. Generalversammlung ab 2025 beginnen soll.

In den insti­tutionellen Vorkehrungen kommt dem VN-Generalsekretär die Haupt­rolle zu. Gemäß dem Entwurf des GDC soll er einen Umsetzungsplan sowie im Jahr 2026 einen Bericht über die Fortschritte bei der Umset­zung des Digitalpakts vorlegen (Abschnitt 76). Geplant ist außer­dem, unter dem Generalsekretariat ein Büro einzurichten, das alle Prozesse im VN-System koordi­nieren soll. Das Büro soll auch die Aktivi­täten des Büros des Sondergesandten für Technologie integrieren und seine Tätigkeit damit verstetigen.

Grundfragen zum Verhältnis der Prozesse in New York und der Multistakeholder-Prozesse rund um das IGF und den Welt­gipfel zur Informationsgesellschaft in Genf wer­den jedoch ausgeklammert. Um Syner­gien zu schaffen, wird zwar angestrebt, den Follow-up- und Review-Prozess im Jahr 2025 an den WSIS-Review-Prozess (WSIS+20) anzubinden. Wie das sich konkret dar­stellen soll, wird im Text für den GDC nicht aus­geführt. Anvisiert ist ledig­lich, dass das IGF, die Commission on Science and Tech­nology for Development (CSTD) und die Koordinator:innen des WSIS-Prozesses im Rahmen einer »meaningful participation« am High-level Review beteiligt sein sollen (Abschnitt 75). Nicht geklärt ist auch das Verhältnis zu Multi­stakeholder-Prozessen wie NETmundial+10.

Dabei herrscht Einigkeit zwischen den Staaten, der tech­nischen Community und der Zivilgesellschaft, dass der GDC Syn­er­gien schaffen und Dopplungen ver­mei­den muss. Eine Bündelung ist kein Selbstzweck, denn den zahlreichen paral­le­len Prozessen und Formaten in der inter­nationalen Digi­talisierung droht eine Fragmentierung. Vor allem Ländern des globalen Südens und zivil­gesellschaftlichen Akteur:in­nen fehlen die Ressourcen, um an zusätzlichen Pro­zessen mitzuwirken.

Ausblick

Noch laufen die Verhandlungen über den Text des GDC. Wie beispielhaft gezeigt, lässt sich den bisher vorliegenden Textversionen entnehmen, dass hier durchaus noch um grundlegende Fragen gerungen wird.

Mit ihrer jüngst verabschiedeten Strategie für die Internationale Digitalpolitik hat die Bundesregierung eine Positionierung vor­genommen, die auch hier als Verhandlungsgrundlage dienen kann:

  • Die bisherigen Textentwürfe enthalten klare Bekenntnisse zur Geltung der Men­schenrechte auch im Digitalen. Ferner finden sich direkte Bezüge zum Schutz der Privatsphäre, für den sich gerade Deutschland im Rahmen der VN ein­gesetzt hat. Hier kommt es hauptsächlich darauf an, den bisherigen Ver­handlungsstand zu wahren.

  • Das gilt auch für die Bezüge zur Nach­haltigkeitspolitik, die sich im Text bisher in vielen konkreten Verweisen auf die SDGs ausdrücken.

  • Problematisch ist, das Multistakeholder-Modells generell in Frage zu stellen, vorrangig in der Internet-Governance, aber auch beim Thema KI. Wie beschrieben birgt dies die Gefahr, die Rolle der Zivilgesellschaft zu beschränken, ohne dass Aussicht besteht, die bedenkliche Machtfülle großer Unternehmen effektiv ein­zuhegen.

In den Auseinandersetzungen um die Inhalte des GDC geht es für die deutsche Politik zunächst darum, zu verhindern, dass hier ein globaler normativer Referenzpunkt entsteht, der den Interessen und Wertvorstellungen Deutschlands und seiner Partner widerspricht. Allerdings ist der globale Digitalpakt in der vorliegenden Form kein geeignetes Instrument, um im Sinne des VN-Generalsekretärs die Rolle der VN in der internationalen Digital­politik neu zu bestimmen. Zu vieles, besonders mit Blick auf neue Institutionen und For­mate im Zuge des Follow-up-Prozesses, bleibt vage oder wurde in zukünf­tige Verhandlungen aus­gelagert.

Hierin liegt indes auch eine Chance: Wenn es tatsächlich deutsches Interesse ist, dass die VN auch in einer digita­len Welt handlungsfähig und wirk­mächtig bleiben, eröffnet der Follow-up-Pro­zess die Möglichkeit, über die kommenden Jahre hinweg auf dieses Ziel hinzuarbeiten. Die nächste Gelegenheit hierfür werden die schon bald anstehenden Verhandlungen über die Modalitäten des High-level Review of the Global Digital Compact bieten.

Dabei kann die Bundesregierung auf Erfah­rungen aus der Implementierung anderer multilateraler Abkommen zurück­greifen, etwa des globalen Migrationspakts, internationaler Menschenrechtsabkommen oder des Pariser Klimaabkommens. Die jüngst in den Medien diskutierte Idee eines VN Data Hub in Berlin könnte zudem einen wesentlichen Beitrag zur Umsetzung des globalen Digitalpakts leisten. Dafür müss­te freilich auf lange Sicht genug Geld bereit­gestellt werden. Außer­dem könnte bei der Umset­zung an regio­na­le Prozesse angeknüpft werden, die wäh­rend der Vorbereitungen für den GDC stattfanden. Zu nennen sind hier etwa die Konsultationen der Wirtschaftskommission für Afrika oder die von der Bundesregierung mitorgani­sierten Multistakeholder-Dialoge in Indien, Mexiko und Kenia.

Die Verabschiedung des globalen Digital­pakts im September 2024 kann nicht mehr als ein erster Schritt sein. Ob der Pakt ein Erfolg wird, wird sich erst auf mittlere Sicht erweisen. Nicht zuletzt wird es darauf ankommen, dass Länder wie Deutschland die Verpflichtungen des globalen Digital­pakts mit Leben füllen und damit durch ihre eigene Praxis die normativen Erwartungen bekräftigen, welche in das Ab­kom­men gesetzt werden.

Dr. Daniel Voelsen ist Leiter der Forschungsgruppe Globale Fragen.
Lisa Voigt ist Forschungsassistentin der Forschungsgruppe Globale Fragen.

Dieses Werk ist lizenziert unter CC BY 4.0

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DOI: 10.18449/2024A35