Am 8. Dezember 2024 wurde in Syrien das Assad-Regime durch eine von Hay’at Tahrir al-Sham (HTS) angeführte Rebellenallianz gestürzt. Dabei haben Veränderungen in den regionalen und internationalen Kräfteverhältnissen den Zusammenbruch der Familiendiktatur erst ermöglicht. Entscheidende Faktoren waren die Unterstützung der Rebellen durch die Türkei, die Schwächung von Iran und Hisbollah durch israelische Militärschläge sowie eine veränderte Prioritätensetzung Russlands im Kontext seines Krieges gegen die Ukraine. Gleichzeitig haben sich mit dem Sturz des Regimes auch die Machtverhältnisse in der Region weiter verschoben. Die Interessen, Prioritäten und Aktivitäten der regionalen und internationalen Akteure werden den Handlungsspielraum der neuen Machthaber in Damaskus abstecken. Die Türkei und Israel haben Gebiete im Norden bzw. Südwesten des Landes militärisch besetzt. Einfluss werden auch die arabischen Golfmonarchien nehmen, die für einen Wiederaufbau Syriens von herausgehobener Bedeutung sind. Die USA sind dort heute noch mit Truppen präsent, ihr künftiges Engagement in Syrien ist jedoch ungeklärt.
Russland intervenierte 2015 militärisch im syrischen Bürgerkrieg und etablierte rund zwei Jahre später das sogenannte Astana-Format. In diesem Rahmen kooperierte Moskau mit der Türkei und Iran, um in Syrien die Konflikte einzufrieren, die Gewalt zu reduzieren und Einflusszonen abzustecken. In der Folge verschoben sich die Machtbalance in der Region und die Prioritäten, denen regionale und internationale Akteure in Syrien folgten. Insbesondere waren die Unterstützer der syrischen Opposition nicht mehr auf den Sturz des Regimes fokussiert; vielmehr stellten sie ihre nationalen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen in den Vordergrund. Die USA konzentrierten sich auf die Bekämpfung des »Islamischen Staates« (IS); die Türkei suchte ein zusammenhängendes Territorium unter Kontrolle der kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) entlang ihrer Südgrenze zu verhindern und die Rückkehr syrischer Geflüchteter voranzubringen. Israel, das sich im Machtkampf des Nachbarlandes nicht positioniert hatte, bombardierte Stellungen und Konvois von Iran und mit Iran verbündeten Milizen, um zu verhindern, dass sich feindliche Stützpunkte in der Grenzregion festsetzen, Rüstungsfabriken errichtet und Waffen an die Hisbollah geliefert würden.
Nachdem die Arabische Liga 2011 die Mitgliedschaft Syriens ausgesetzt hatte, wurde das Land im Mai 2023 wieder in die Regionalorganisation aufgenommen. Dies geschah vor allem auf Betreiben der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und der arabischen Nachbarn Syriens sowie vor dem Hintergrund einer Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Iran.
Die Rolle externer Akteure beim Sturz des Regimes
Ab 2023 verschob sich die regionale Machtbalance einmal mehr. Dies war eine Folge der Angriffe, die Hamas und andere bewaffnete palästinensische Gruppierungen am 7. Oktober auf Israel verübten, sowie der israelischen Reaktion darauf. Die von Teheran angeführte »Achse des Widerstands« war spätestens seit Oktober 2024 durch israelische Militäroperationen extrem geschwächt. Dies galt vor allem für Iran selbst und die libanesische Hisbollah, beide neben Russland die Hauptunterstützer des Assad-Regimes. Moskaus Armee war auf den Krieg in der Ukraine konzentriert. Damit veränderten sich auch die Prioritäten und Kalküle der wichtigsten regionalen und internationalen Akteure in Syrien, was den Rebellen den Weg zur Machtübernahme ebnete.
Türkei
Aus Sicht der türkischen Regierung war der Sturz von Bashar al-Assad die Folge seiner Unfähigkeit und seines mangelnden Willens, die Situation des eingefrorenen Konflikts, die ab 2017 infolge der Astana-Vereinbarungen herrschte, für den Wiederaufbau Syriens zu nutzen. Ankara hat die von der HTS geführte Rebellenoffensive als einen von Syrern geplanten und umgesetzten Angriff dargestellt und eine türkische Teilnahme daran bestritten. Doch nach regierungsnahen Medienstimmen haben Armee und Nachrichtendienst der Türkei die Offensive nicht nur genau beobachtet, sondern vor allem auch »die Syrische Nationale Armee (SNA) und die (arabischen) Stämme direkt unterstützt«. Schon im Oktober 2024 verstärkte die türkische Armee im Norden des Nachbarlandes ihre Präsenz und Ausrüstung in Idlib und um Aleppo, wo sie seit 2017 präsent war.
Unter den an der Rebellenoffensive beteiligten Gruppen sind die HTS und die SNA – die aus der Freien Syrischen Armee (FSA) und Teilen der »Islamischen Front« hervorging – besonders eng mit der Türkei verbunden. Seit 2015/16 hat die Regierung in Ankara diverse Vereinbarungen mit beiden bewaffneten Gruppen getroffen und diese weiterentwickelt, nachdem sich ihre Prioritäten in Syrien geändert hatten. Es ging ihr dabei nicht mehr wie ursprünglich um den Sturz Assads. Vielmehr wollte sie in erster Linie verhindern, dass unter Führung der PYD/YPG (der syrischen Schwesterorganisation der PKK, die in der Türkei, der EU und den USA als terroristische Organisation eingestuft ist) eine kurdische Autonomie entsteht und es zu neuen Fluchtbewegungen in die Türkei kommt. Die SNA ist in den nordsyrischen Gebieten, die schrittweise von 2016 bis 2019 von der Türkei besetzt und seither weitgehend in die türkische Wirtschaft und Verwaltung integriert wurden, militärisch, finanziell und logistisch vollständig von Ankara abhängig. Die Beziehung der Türkei zur HTS wiederum lässt sich eher als eine Schutzherrschaft bezeichnen. Zwar wird die HTS von Ankara als terroristische Organisation eingestuft. Doch übernahm die Türkei im Rahmen des 2018 mit Russland geschlossenen Sotschi-Abkommens in der Provinz Idlib die Rolle einer Schutzmacht. Mit ihrer militärischen Intervention 2020 verhinderte die Türkei eine Rückeroberung Idlibs durch das Assad-Regime und stärkte ihr Verhältnis zur HTS.
Ohne grünes Licht aus Ankara wäre die Rebellenoffensive 2024 nicht denkbar gewesen. Allerdings äußerte der türkische Präsident Erdoğan dann Unbehagen über die Geschwindigkeit des Vormarsches. Dies deutet darauf hin, dass Ankara eine begrenzte Aktion erwartet hatte. Ziel dürfte dabei gewesen sein, Assad zu Verhandlungen über eine Normalisierung der türkisch-syrischen Beziehungen und die Rückkehr syrischer Flüchtlinge zu zwingen.
Arabische Golfstaaten
Unter den arabischen Golfstaaten war es vor allem Katar, das als Juniorpartner der Türkei zum Sturz des Assad-Regimes beitrug. Seit der Jahreswende 2011/12 hatten Katar, Saudi-Arabien und die VAE zunächst gemeinsam Rebellen in Syrien unterstützt. Doch entstanden schon bald Meinungsverschiedenheiten, bei denen es vor allem um den Beistand für Islamisten, Salafisten und Jihadisten durch Katar (und die Türkei) ging. Saudi-Arabien und die VAE halfen zwischen 2015 und 2017 vor allem ideologisch eher indifferenten Rebellen im Süden des Landes, während sie den Norden Katar und der Türkei überließen. Als 2017/18 der Aufstand im südlichen Syrien zusammenbrach, war Saudi-Arabien aus dem Spiel; die VAE hatten sich schon vorher zurückgezogen.
Die salafistisch geprägte Rebellenformation Ahrar al-Sham war für Katar längere Zeit der wichtigste Klient in Syrien. Zudem dürfte Doha die jihadistische Nusra-Front unterstützt haben, die aus al‑Qaida hervorgegangen war. Es war ein großer Erfolg katarischer Politik, als Nusra-Anführer Abu Muhammad al-Jaulani sich 2016 von al-Qaida lossagte, auf einen syrischen National-Islamismus setzte und sich mit ähnlich gesinnten Gruppen verbündete. Damit wurde es für die Türkei und Katar viel leichter, die 2017 von Jaulani und seinen Gefolgsleuten gegründete HTS zu unterstützen.
Das Ausmaß der katarischen Hilfe für die HTS zwischen 2017 und 2024 ist nicht vollständig bekannt. Militärisch dürfte das Golfemirat keine Rolle gespielt haben. Allerdings ist davon auszugehen, dass die im November 2017 von der HTS in der Provinz Idlib eingesetzte »Heils-« bzw. »Rettungsregierung« und wahrscheinlich auch die HTS selbst finanzielle Hilfen aus Katar erhielten. Außerdem stellte sich der einflussreiche katarische Fernsehsender Al Jazeera eindeutig auf die Seite der HTS, die er oft mit der syrischen Opposition gleichsetzte.
Iran
Seit Beginn des syrischen Aufstands 2011 spielte Iran eine Schlüsselrolle für das Überleben des Assad-Regimes. Teheran intervenierte auf dessen Seite in den Bürgerkrieg und errichtete in Syrien über ein Jahrzehnt hinweg eine umfangreiche militärische Infrastruktur. Dazu gehörten Stützpunkte an strategischen Orten, Waffendepots und Fabriken zur Belieferung der Hisbollah im Libanon sowie ein Netzwerk lokaler und ausländischer Milizen. Zugleich verschaffte sich Iran politischen Einfluss innerhalb des syrischen Militär- und Sicherheitsapparats. Diplomatisch beteiligte sich die Islamische Republik neben Russland und der Türkei am Astana-Prozess.
Trotz dieses intensiven Engagements konnte Teheran den Zusammenbruch des Regimes Ende 2024 nicht verhindern. Ein zentraler Grund dafür war, dass Iran in den Jahren zuvor seine Militärpräsenz in Syrien schrittweise verringert hatte. Dies ging zum einen auf einen Wunsch Assads zurück, der sich mit arabischen Staaten zu arrangieren suchte, die eine Eindämmung des iranischen Einflusses forderten. Zum anderen wurde Teheran durch verstärkte israelische Luftangriffe auf iranische Einrichtungen (und auf iran-loyale Milizen) in Syrien gezwungen, Schlüsselpersonal nach Iran zurückzuverlegen. Ende 2024 unterhielt die Islamische Republik in Syrien nur noch eine Notfalltruppe zum Schutz ihrer Stützpunkte und Interessen. Auf den schnellen Vormarsch der Rebellen war sie nicht vorbereitet. Eine entscheidende Rolle spielte auch die mangelnde Kampfbereitschaft der syrischen Armee, folgt man Aussagen iranischer Kommandeure. Wie sie erklärten, konnte Iran nicht anstelle von Assads demoralisierten und unmotivierten Truppen in die Schlacht ziehen.
Vor allem aber befand sich die von Teheran geführte »Achse des Widerstands« nach einem Jahr intensiver militärischer Auseinandersetzungen mit Israel in Auflösung. Die libanesische Hisbollah, geschwächt durch einen verheerenden Krieg mit Israel, und irakische Milizen, die amerikanische wie israelische Vergeltungsschläge fürchteten, waren nicht bereit, in Syrien zu intervenieren. Israels Angriffe auf iranische Nachschubrouten, die Landübergänge, Luftkorridore und Konvois trafen, schränkten Teheran zusätzlich ein – wie sogar vom Obersten Führer Ali Khamenei anerkannt wurde. Gleichzeitig verminderte es die Reaktionsmöglichkeiten in Teheran weiter, dass man dort eine direkte Eskalation mit Israel befürchtete. Eine beispiellose israelische Militäroperation hatte Ende Oktober 2024 unter anderem Irans Luftabwehr enorm geschwächt und Ängste vor einem weiteren Angriff geweckt. In der Folge stellte Teheran die eigene nationale Sicherheit über den regionalen Einfluss und überließ Assad seinem Schicksal.
Russland
Auch Russland, das seit September 2015 in Syrien eingegriffen und damit eine Niederlage Assads verhindert hatte, zeigte sich Ende 2024 nicht in der Lage, dessen Herrschaft erneut abzusichern. Dies hängt damit zusammen, dass die militärischen Fähigkeiten des Kremls infolge des Kriegs gegen die Ukraine eingeschränkt sind und seine politischen Prioritätensetzungen sich verändert haben.
Ohnehin war Moskaus Militärpräsenz in Syrien stets begrenzt. Geschätzt wird, dass die Personalstärke des russischen Kontingents 2024 bei rund 7.500 Personen lag und es sich dabei primär um Angehörige von Luftstreitkräften, Spezialkräften und Militärpolizei handelte. Die Zahl der Bodentruppen war dagegen gering; noch weiter reduziert wurde sie durch die vermehrte Verlegung von »Wagner«-Kämpfern in die Ukraine seit 2022 und die Zerschlagung der Söldnergruppe 2023. Zudem priorisierte Russland den Krieg gegen die Ukraine, was einer Verstärkung von Bodenkräften in Syrien entgegenstand. In der Folge stützte sich Moskau dort auf pro-iranische Milizen und die syrische Armee. Doch angesichts der Rebellenoffensive von 2024 geriet Russlands Interventionsmodell an seine Grenzen. Die Truppen Assads leisteten kaum mehr Widerstand oder kollabierten rasch, darunter auch das 5. Korps der syrischen Armee, das finanziell wie militärisch starke Unterstützung von Moskau erfahren hatte.
Im Weiteren konzentrierte man sich auf Schadensbegrenzung. Die Luftangriffe auf Rebellenstellungen, die Russland bis dahin ausgeführt hatte, wurden am 8. Dezember beendet. Assad und seine Familie sahen sich ins Moskauer Exil gedrängt. Davon erhoffte sich der Kreml, das Image einer verlässlichen Schutzmacht aufrechtzuerhalten. Zugleich ging es Putin darum, mit Assad einen Störfaktor aus dem Spiel zu nehmen, der es erschwert hätte, die russische Syrien-Politik unter den veränderten realpolitischen Rahmenbedingungen neu aufzustellen.
Regionale und internationale Folgen des Umsturzes
Mit dem Sturz des Assad-Regimes haben sich die Kräfteverhältnisse in der Region – und darüber hinaus – weiter verschoben. Während Russland und Iran sowie deren Bündnispartner geschwächt sind, sehen sich die Türkei und Katar im Aufwind, sind sie doch Verbündete von Syriens neuen Machthabern. Auch Israel konnte seine strategische Position verbessern.
Russland
Der Fall Assads bedeutet für Russland mehr als nur einen Reputationsschaden. Er unterminiert auch einen – wenn nicht den wichtigsten – Grundpfeiler der russischen Politik gegenüber dem Nahen und Mittleren Osten im letzten Jahrzehnt. Moskau hatte sich nach Ende des Kalten Krieges weitgehend aus der Region zurückgezogen und im Zuge des Irak-Krieges 2003 wie auch des »Arabischen Frühlings« weiter an Gewicht verloren. Mit der militärischen Intervention in Syrien 2015 unterstrich Russland jedoch seinen Anspruch, in der Region wieder ein Schlüsselakteur zu werden und über seinen Einfluss dort auf globaler Ebene als Großmacht Anerkennung zu finden. Tatsächlich gelang es dem Kreml in der Folge, seine Beziehungen mit wichtigen Regionalmächten wie der Türkei, Israel und den Golfmonarchien auszubauen und so auch eine einseitige Abhängigkeit von Iran zu vermeiden.
Oberste und unmittelbare Priorität hat für Russland nun, seine Militärbasen in Syrien zu behalten. Dies betrifft vor allem die Marinebasis in Tartus sowie den Militärflughafen in Hmeimim. Beide sind nicht nur für Einsätze in Syrien essentiell, sondern auch für Russlands militärische Aufstellung in der weiteren Region. So garantiert bislang nur Tartus eine permanente Marinepräsenz des Landes im Mittelmeer, zudem erleichtert die Basis den Zugang zum Roten Meer. Durch die Zufahrtsbeschränkungen, denen russische Kriegsschiffe am Bosporus für den Weg ins Schwarze Meer seit der Ukraine-Vollinvasion unterliegen, haben die Reparatur- und Versorgungseinrichtungen in Tartus weiter an Gewicht gewonnen. Über den Flughafen in Hmeimim wiederum wurden bislang die Einsätze russischer Soldaten und Söldner in Libyen sowie einer Vielzahl afrikanischer Länder logistisch abgewickelt. Zwar hat Moskau bereits einen Teil seiner militärischen Ausrüstung aus Syrien abgezogen und unter anderem auf Flughäfen in Ostlibyen verlegt, die unter Kontrolle von General Haftar stehen. Doch selbst wenn es Russland gelänge, (mehr) Flugplätze und Häfen in Libyen oder Algerien zu nutzen, wären die Nutzungsrechte und infrastrukturellen Kapazitäten dort beschränkter, als es in Syrien bislang der Fall ist.
Moskau bemüht sich dementsprechend, mit den neuen Machthabern in Damaskus einen Weiterbetrieb der beiden Militärbasen auszuhandeln, die 2017 vertraglich von Russland für 49 Jahre geleast wurden. Die jetzige syrische Führung hat zwar Russlands Bedeutung allgemein anerkannt, im Januar aber den Leasingvertrag mit der russischen Firma Stroytransgaz für den zivilen Teil des Hafens Tartus gekündigt. Noch ist offen, ob dies auch zur Schließung der russischen Militärbasis führt oder nur der Auftakt für weitere Verhandlungen ist, in denen Moskau eine reduzierte militärische Präsenz als Gegenleistung für russisches Entgegenkommen in anderen Politikfeldern zugestanden werden könnte.
Dass Russland in Syrien militärisch und politisch geschwächt ist, wird sich auch auf seine Beziehungen mit den anderen Regionalakteuren auswirken. Dabei dürften sich teils Trends verstärken, die bereits infolge des Angriffs auf die Ukraine von 2022 eingesetzt haben. So verliert Moskau ohne Kontrolle des syrischen Luftraums an Bedeutung für Israel. Ab 2015 war Israel auf ein militärisches De-conflicting mit Russland angewiesen, um Stellungen Irans und mit Iran verbündeter Milizen in Syrien angreifen zu können. Dies ist nun obsolet, was eine Neuausrichtung der israelischen Ukraine-Politik erleichtern dürfte. Gleichzeitig wird sich die seit der Invasion der Ukraine ohnehin intensivierte Kooperation Russlands mit Iran – insbesondere auf militärischem Gebiet – wohl noch verstärken. So haben Teheran und Moskau im Januar 2025 einen Vertrag über eine strategische Partnerschaft unterzeichnet.
Demgegenüber setzt sich mit dem Sturz Assads die Neukalibrierung der russisch-türkischen Beziehungen zu Ungunsten Moskaus fort. Der russische Einfluss ist nicht nur in Syrien geschrumpft; auch im Südkaukasus hat Ankara in den vergangenen Jahren seine Stellung ausgeweitet. Moskau dürfte versuchen, gemeinsame Interessen mit der Türkei im Energiebereich und bei der Einhegung westlicher Politik zu nutzen. Ziel wäre, Ankara dafür zu gewinnen, dass es die Einbeziehung Russlands in regionale Formate der Konfliktbearbeitung (ähnlich dem Astana-Format) unterstützt.
Iran
Der Sturz des Assad-Regimes bedeutet einen erheblichen Rückschlag für Irans Streben nach Einfluss und seine strategischen Ziele in der Region. Betroffen davon ist insbesondere die von Teheran geführte »Achse des Widerstands«. Geographisch war Syrien ein zentrales Element des »Landkorridors«, der Iran über den Irak mit der Hisbollah im Libanon und dem Mittelmeer verband. Dieser Korridor hatte nicht zuletzt den Zweck, Waffentransfers und logistische Unterstützung für die Hisbollah zu ermöglichen, deren militärische Fähigkeiten durch den jüngsten Krieg mit Israel sehr geschwächt wurden. Der Zusammenbruch dieser Landroute wird es Iran erheblich erschweren, die Hisbollah wiederaufzurüsten und sein breiteres regionales Netzwerk an verbündeten Milizen aufrechtzuerhalten.
Das von Assad beherrschte Syrien spielte auch eine maßgebliche Rolle in Irans geoökonomischen Ambitionen. Teheran wollte sich im Rahmen der chinesischen »Belt and Road Initiative« als wichtiger Akteur positionieren und Syrien als Teil einer Landroute nutzen, die China mit dem Mittelmeer verbindet. Der Verlust Syriens als enger Partner untergräbt diese Vision. Der verstärkte Einfluss der Türkei bedroht Irans geopolitische Stellung nicht nur in der Levante, sondern auch im Irak und im Südkaukasus. Besorgniserregend für Teheran ist insbesondere Ankaras Bestreben, den sogenannten Zangezur-Korridor zu etablieren – eine Transitroute, die die Türkei über armenisches Gebiet mit Aserbaidschan verbindet. Sollte dieser Korridor gemäß den türkischen und aserbaidschanischen Vorschlägen fertiggestellt werden, würde er Iran umgehen und dessen direkten Landzugang zu Armenien kappen. Dadurch würde Iran wirtschaftlich isoliert und seine Rolle in den Handels- und Transitrouten der Region geschwächt.
Sollten in Syrien jihadistische Gruppierungen wie der IS wiedererstarken, könnte sich dies ebenfalls negativ auf Irans regionale Interessen auswirken – nicht zuletzt, weil solche Akteure eine Bedrohung für Teherans Verbündete im Irak sowie für Iran selbst wären. Alarmiert ist die Islamische Republik zugleich durch die zunehmende israelische Präsenz in Syrien, nicht nur wegen der Besetzung weiteren syrischen Territoriums, sondern auch deshalb, weil Israel Kontakte zu syrisch-kurdischen Gruppen unterhält und mit ihnen kooperieren könnte. In iranischen Politikzirkeln fürchtet man die Entstehung eines »David-Korridors«, mit dem Israel sich Zugang zum Euphrat verschaffen und seinen Einfluss stärken würde, während Teheran weiter an den Rand gedrängt wäre.
Türkei
Ankara sieht durch den Sturz des Assad-Regimes seinen Handlungsspielraum in Syrien deutlich erweitert. Seit 2020 befand sich die Türkei in einer diplomatischen und militärischen Pattsituation, vor allem was ihre Bemühungen anging, eine kurdische Selbstverwaltung im Nordosten Syriens zu verhindern und die syrischen Flüchtlinge in ihr Herkunftsland zurückzuschicken. Zu diesen Zwecken suchte Ankara zum einen seine Beziehungen zu Assad zu normalisieren, zum anderen eine Militäroperation im Norden Syriens durchzuführen. Mit Letzterer sollten die kurdisch dominierten SDF vor allem aus den Städten Tel Rifaat und Manbij zurückgedrängt werden. Allerdings blieben beide Bestrebungen erfolglos. Mit Assad konnte kein Kompromiss erreicht werden; gleichzeitig stießen die Normalisierungsbemühungen auf den Widerstand syrischer Oppositionsgruppen. Und ohne grünes Licht seitens der USA und Russlands war Ankara nicht in der Lage, eine größere Militäroffensive zu starten. Die autonome, unter kurdischer Führung stehende Administration im Nordosten Syriens konnte ihre Verwaltungsstrukturen sogar weiter stärken.
Für die Türkei ist der Sturz Assads ein »now or never«-Moment, um eine von der PYD/YPG dominierte kurdische Autonomie zu verhindern. Während der Rebellenoffensive im November/Dezember 2024 haben die von der Türkei unterstützten SNA-Milizen die Kontrolle über Tel Rifaat und Manbij übernommen. Ankara hat im Folgenden die Offensive der SNA mit Luftangriffen begleitet – mit dem Ziel, die Frontlinien im Norden Syriens zu verändern. In diesem Zusammenhang sieht Ankara die Rückkehr Trumps ins Weiße Haus als Gelegenheit, um eine Abkehr Washingtons von den SDF zu erreichen, mit denen die USA im Rahmen ihres Kampfes gegen IS kooperieren und denen sie bislang Schutz bieten. Ob die Türkei sich hier durchsetzen kann, wird vor allem von den Richtungsentscheidungen der Trump-Administration abhängen.
Mit der HTS stellen nun Akteure die Übergangsregierung in Damaskus, die Ankara als freundlich und kooperativ betrachtet und zu denen die türkische Führung enge persönliche Kontakte pflegt. Die Türkei dürfte damit erheblichen Einfluss auf die weitere Entwicklung Syriens haben. Vor dem Hintergrund einer Neukalibrierung ihrer außenpolitischen Prioritäten, der Schwächung Irans und der ungelösten Palästina-Frage setzt die Türkei gleichzeitig darauf, ihre Annäherung an arabische Staaten fortzusetzen. Bei der Stabilisierung Syriens hofft sie daher vor allem auf eine Kooperation mit Saudi-Arabien, den VAE, Katar, Ägypten, Jordanien und dem Irak, wie Außenminister Hakan Fidan erklärte.
Arabische Golfmonarchien
Der Fall des Assad-Regimes hat die Machtbalance unter den arabischen Golfstaaten stark verändert. Dass Katar Jihadisten wie die syrische Nusra-Front unterstützte, war 2017 einer der Gründe, weshalb Saudi-Arabien, die VAE, Bahrain und Ägypten das Emirat mit einer Land-, See- und Luftblockade belegten. Die Krise wurde im Januar 2021 beigelegt, wobei Doha seine Politik nicht grundsätzlich änderte. Der Konflikt zwischen den arabischen Golfmonarchien kann also jederzeit wieder aufflammen.
Assads Sturz und die Machtübernahme durch die HTS sind ein großer Erfolg für die katarische Politik. Seit Beginn des »Arabischen Frühlings« 2011 setzte Doha darauf, dass Islamisten unterschiedlicher Ausrichtung die Kräfte der Zukunft sein könnten und Katar durch ein Bündnis mit ihnen an regionalem Einfluss gewinnen würde.
Saudi-Arabien und die VAE hingegen traten als Anführer der Gegenrevolution auf, indem sie die autoritäre Restauration in Ägypten wie Tunesien unterstützten und die Islamisten andernorts auch militärisch bekämpften. Besonders kompromisslos waren dabei die VAE, die ab 2015 sogar auf Assad setzten, um weitere Erfolge der Islamisten zu verhindern. Sie waren 2018 der erste arabische Staat, der die wegen des Bürgerkriegs gekappten Beziehungen zu Syrien wiederherstellte. Anschließend arbeiteten sie auf eine Rehabilitierung Assads in der arabischen Welt hin. Auch wenn Abu Dhabi es positiv sehen dürfte, dass Iran mit Syrien einen wichtigen Verbündeten verliert und deshalb in der Region geschwächt ist, bleibt der Sturz des Regimes in Damaskus ein schwerer Rückschlag für die emiratische Politik.
Auch in Saudi-Arabien überwiegt eine ambivalente Sicht auf den Machtwechsel in Syrien, mit dem Unterschied, dass Riad pragmatischer auf den Sieg der HTS blickt. Das Königreich hatte die Annäherung an Assads Syrien zwar mitgetragen, doch es entschied sich erst 2023 – viel später als die VAE – zur Wiederherstellung der Beziehungen und wahrte mehr Distanz zu Damaskus. Auch die saudi-arabische Führung befürchtet, dass die Machtübernahme der Islamisten weitere regionale Auswirkungen haben könnte. Sie ist in ihrem Kampf gegen Islamisten aber weniger ideologisch als Abu Dhabi. Zugleich weiß Riad die Schwächung Irans und der Hisbollah zu schätzen. Zuletzt mehrten sich die Anzeichen, dass Saudi-Arabien pragmatisch mit HTS-Syrien zusammenarbeiten will.
Israel
Der Fall des Assad-Regimes hat das regionale Kräfteverhältnis weiter zugunsten Israels verschoben – auch deshalb, weil iranische Truppen und verbündete afghanische Milizen wie die Fatemiyoun-Brigaden aus Syrien abgezogen wurden. Schon in der Folge der Angriffe des 7. Oktober 2023 hatte Israel seinen Gegnern Hamas, Hisbollah und Iran empfindliche Verluste zugefügt.
Direkt nach Assads Sturz erklärte Israel das israelisch-syrische Waffenstillstandsabkommen von 1974 für hinfällig und leitete die Operation »Pfeil von Baschan« ein. Deren Ziele waren laut Verteidigungsminister Israel Katz, einen zusätzlichen Beobachtungsposten über der libanesischen Bekaa-Ebene zu erlangen, in der sich eine Hochburg der Hisbollah befindet, eine weitere Pufferzone gegen die Rebellen in Damaskus einzurichten und diese abzuschrecken sowie zu verhindern, dass die Waffen des Assad-Regimes in ihre Hände fallen. Denn ihnen sei trotz ihres moderaten Auftretens nicht zu trauen, gehörten sie doch extremistischen Gruppierungen an.
In diesem Sinne übernahm das israelische Militär bis auf weiteres die Kontrolle über die entmilitarisierte Zone, die 1974 geschaffen worden war und bis dato von der UNDOF-Mission kontrolliert wurde, ebenso den Gipfel des Berges Hermon auf syrischem Staatsgebiet (beides jenseits der bereits 1967 besetzten und 1981 annektierten syrischen Golanhöhen). Im Folgenden richtete Israel auch Checkpoints außerhalb der UN-Pufferzone ein. Zudem nutzte es die Gelegenheit, die verbliebenen militärischen Kapazitäten des Assad-Regimes weitgehend zu zerstören. Dazu flog die israelische Luftwaffe über 130 Angriffe in Syrien – vor allem, aber keineswegs nur im Westen und Süden des Nachbarlandes. Binnen 48 Stunden, so der Armeesprecher, wurden dabei 70 bis 80 Prozent von Syriens militärischen Kapazitäten zerstört. Nahezu vollständig vernichtet wurden insbesondere Luftabwehr und Radarsysteme des Landes. Damit beseitigte Israel auch ein Hindernis für weitere Luftschläge gegen Iran. Mitte Dezember 2024 kündigte die Regierung Netanjahu zudem an, die Siedlungen auf den Golanhöhen auszubauen und die israelische Bevölkerung dort zu verdoppeln. Dies aber dürfte mittelfristig einem friedlichen Ausgleich mit Syrien – unabhängig davon, wer dort die Macht ausübt – im Wege stehen.
USA
Auch für die USA hat sich das Kräfteverhältnis in Syrien und der Region positiv verändert, stand ihnen das zusammengebrochene Assad-Regime doch antagonistisch gegenüber und wurden Iran ebenso wie mit ihm verbündete Milizen geschwächt. Doch bleiben die Dilemmata, die sich daraus ergeben, dass die USA den »Islamischen Staat« in Kooperation mit den SDF bekämpfen, die Türkei gegen die kurdisch dominierten, mit Washington verbündeten SDF vorgeht und Damaskus die SDF-Kämpfer (einzeln) in die neue Armee integrieren will. Auch bedarf es einer tragfähigen Regelung für die Kämpfer und Angehörigen des IS, die in Gefängnissen, Haftanstalten und Internierungslagern der SDF einsitzen. In diesem Sinne sucht die amerikanische Regierung auf einen friedlichen Ausgleich zwischen HTS und SDF auf der einen sowie zwischen SDF und Türkei auf der anderen Seite hinzuwirken. Nachdem die Trump-Administration alle externen Unterstützungsleistungen der USA ausgesetzt hatte, wurde zwar kurzfristig eine Behelfslösung gefunden, um die Wachmannschaften in den Haftlagern von al-Hol und al-Roj zu bezahlen. Doch wenn solche finanziellen Transfers dauerhaft eingestellt werden, könnte dies ein enormes disruptives Potential mit sich bringen.
Der künftige Kurs der Trump-II-Regierung ist völlig offen, und die amerikanische Politik in Syrien könnte sich durchaus abrupt ändern. Zur Disposition stehen insbesondere die US-Militärpräsenz im Land und die Kooperation mit den SDF. Trump selbst plädierte bereits kurz nach dem Fall des Regimes dafür, sich nicht in Syriens interne Dynamiken einzumischen. Der nationale Sicherheitsberater Mike Waltz sprach sich dafür aus, die amerikanischen Truppen von dort abzuziehen. Außenminister Marco Rubio hingegen plädierte im Januar 2025 für ein anhaltendes Engagement in Syrien und eine fortgesetzte Unterstützung der SDF. Letztlich gehe es nicht nur um eine »inklusive Transition«, sondern auch darum, dass böswillige Akteure den Übergangsprozess nicht für ihre eigenen Ziele nutzten. Syrien dürfe »keine Quelle des internationalen Terrorismus« werden.
Dr. Sinem Adar ist Wissenschaftlerin im Centrum für angewandte Türkeistudien (CATS). Dr. Muriel Asseburg ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten. Dr. Hamidreza Azizi ist Gastwissenschaftler in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten. Dr. Margarete Klein ist Leiterin der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien. Dr. Guido Steinberg ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten.
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ISSN (Online) 2747-5018
DOI: 10.18449/2025A06
Ein nachfolgendes SWP-Aktuell zum Fall des Assad-Regimes befasst sich mit den Auswirkungen der regionalen und internationalen Machtverschiebungen auf den politischen Übergang in Syrien.