Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sagte in ihrer Rede auf der Berliner Sicherheitskonferenz 2018, die europäische Verteidigungsunion sei im Werden und alle Initiativen dienten der Verzahnung der Streitkräfte sowie dem Aufbau gemeinsamer Fähigkeiten. Zurzeit plant das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) den Aufbau einer multinationalen Transporteinheit mit 13 Airbus-Flugzeugen des Typs A400M, die Deutschland gekauft hat, aber selbst nicht nutzen will. Es gibt jedoch Alternativen zum Vorschlag des BMVg: Deutschland könnte diese Maschinen der EU für Missionen oder Operationen im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) zur Verfügung stellen – dies wäre ein konkreter Schritt in Richtung einer europäischen Verteidigungsunion. Damit könnte die Bundesrepublik ein Signal für weitere Vorhaben setzen, zum Beispiel für ein europäisches Ausbildungsprogramm.
In der NATO und unter den europäischen Staaten existieren bereits seit mehreren Jahrzehnten Kooperationen für den Betrieb und die gemeinsame Nutzung von Flugzeugen. In der NATO gehört die in multinationaler Kooperation betriebene AWACS-Flotte (Airborne Warning and Control System) dazu, auf europäischer Ebene das European Air Transport Command (EATC) und die sich im Aufbau befindliche Multinational Multi-Role Tanker Transport Fleet (MMF). Alle drei Projekte sind Zusammenschlüsse einzelner Nationalstaaten, unterscheiden sich jedoch in ihrer Ausgestaltung: So weist die AWACS-Flotte eine sehr weitreichende Kooperation auf, was die Nutzung und den Betrieb der Flugzeuge angeht. Das EATC hingegen stellt lediglich ein operatives Steuerelement von verbindlich eingemeldeten Flugzeugen dar. Zielsetzung aller Kooperationen ist die gemeinschaftliche Bereitstellung kostspieliger Mangelressourcen, hier: luftgestützter Fähigkeiten. Auch der Europäischen Union (EU) mangelt es gemäß dem Capability Development Plan (CDP) an Lufttransportfähigkeiten. Wenn Deutschland seine 13 Airbus-Maschinen der EU übertragen oder verkaufen würde, könnte es damit nicht nur eine Fähigkeitslücke schließen helfen, sondern auch einen signifikanten Beitrag zur Weiterentwicklung der GSVP leisten.
Der A400M und bestehende Kooperationen
Der A400M dient in seiner Grundidee als militärisches Lufttransportmittel, das neben der taktischen und strategischen Verlegung von Soldaten schwerpunktmäßig für den logistischen Lufttransport eingesetzt wird. Durch die speziellen militärischen Anforderungen, wie den Steilanflug oder das Starten und Landen auf kurzen, unbefestigten Plätzen, verfügt das Flugzeug über ein breites Einsatzspektrum und kann für zivile und militärische EU-Missionen und ‑Operationen genutzt werden. Bislang hat der A400M seine volle Einsatzreife noch nicht erreicht, da ihm ein Selbstschutzsystem fehlt. Dafür ist er für die zivile Nutzung zugelassen.
Deutschland hat 53 Airbus A400M gekauft (der erste wurde 2014 ausgeliefert), wollte 40 selbst nutzen und 13 weiterverkaufen. Der Verkauf scheiterte mangels Käufern. Das BMVg entschloss sich 2017 dazu, die 13 Maschinen selbst zu übernehmen. Laut aktueller Planung sollen sie bis Mitte der 2020er-Jahre geliefert werden, wodurch sich verschiedene Einsatz- und Kooperationsmöglichkeiten bieten.
Die AWACS-Flotte der NATO
Ein Beispiel für eine solche Kooperation ist die AWACS-Flotte der NATO, der sich 15 der 29 NATO-Staaten angeschlossen haben, darunter auch Deutschland. Die eigens dafür geschaffene NATO Airborne Early Warning and Control Programme Management Organisation (NAPMO) hat die Flugzeuge in den 1980er-Jahren beschafft und betreibt sie bis heute. Die Maschinen sind Eigentum der NATO, in Luxemburg registriert und in Deutschland stationiert. Die Kosten werden unter den Mitgliedstaaten aufgeteilt und die Besatzungen setzen sich aus Soldaten der beteiligten Nationen zusammen. Das operative Kommando liegt beim Supreme Allied Commander Europe (SACEUR), selbst wenn die Teilnahme der deutschen Soldaten an Einsätzen unter bestimmten Bedingungen durch den Bundestag mandatiert werden muss.
Das EATC
Ein ähnliches Modell existiert seit 2010 auch auf europäischer Ebene, zwischen Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg, Italien und Spanien: Das European Air Transport Command ist ein multinationales Kommando, das die Lufttransport-, Luftbetankungs- und Air-Medical-Evacuation-Kräfte der beteiligten Staaten koordiniert und operationell führt. Dabei gehören die Flugzeuge nicht dem EATC, sondern die Mitgliedstaaten übertragen dem EATC die operationelle Kontrolle über die vorher verbindlich benannten Maschinen. Die Leistungen werden mithilfe des ATARES-»Verrechnungssystems« (Air Transport and Air-to-Air Refuelling and other Exchanges of Services) bezahlt. Das EATC ist eine Kooperation außerhalb von EU und NATO, kommt ihnen aber zugute: durch die effektivere Auslastung der Flugzeuge der teilnehmenden Staaten, wenn diese in EU- und NATO-Missionen involviert sind. Für den Einsatz der deutschen Flugzeuge ist eine Beteiligung des Bundestages nicht vorgesehen, wenngleich ein nationaler Vorbehalt durch ein Vetorecht verankert ist.
Multinationale Transporteinheit
Derzeitiges Ziel des BMVg ist es, die 13 Airbus A400M als multinationale Transportflotte anderen Staaten zur Verfügung zu stellen, und zwar im Rahmen des Framework Nations Concepts (FNC) der NATO. Stationiert werden sollen sie in Lechfeld (Bayern). Erster offizieller Interessent für die gemeinsame Nutzung der Maschinen ist seit Februar 2019 das Land Ungarn.
Aus drei Gründen erscheint es jedoch zielführender, die A400M zum Aufbau eigener EU-Lufttransportfähigkeiten zu verwenden. Erstens beteiligt sich Deutschland bereits seit Jahren erfolgreich an der AWACS-Flotte und dem EATC, zweitens stellt die EU erstmals ein eigenes Budget für Verteidigung zur Verfügung: mit der Schaffung des Europäischen Verteidigungsfonds (EVF) 2017 und mit den Mitteln, die im Finanzrahmen 2021–2027 vorgesehen sind für die Anschaffung von Ausrüstung für die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (FRONTEX). Drittens engagiert sich die Bundesrepublik für die europäische Verteidigungsunion, dessen Aufbau sie mit den 13 Flugzeugen unterstützen könnte.
Der Aufbau europäischer Fähigkeiten: Drei Optionen
Mit dem Aufbau europäischer militärischer Fähigkeiten, gerade was die sogenannten »Shortfalls« der EU anbetrifft (u. a. Lufttransport, Aufklärungsmittel, Satellitenkommunikation), würde ein Beitrag zur Überwindung nationalstaatlicher Interessen geleistet und ein Mehrwert für die EU-Mitgliedstaaten sowie die EU als Ganzes generiert.
European Air Transport Group
Die erste Option: Deutschland könnte die Flugzeuge dem EATC übertragen. Durch den Besitz der Maschinen würde das Kommando zu einer European Air Transport Group aufgewertet. In diesem Konstrukt wäre ein gemeinsamer Betrieb durch die teilnehmenden Staaten des EATC (vgl. S. 2), vergleichbar mit dem AWACS-Modell der NATO, denkbar. Das EATC müsste für den Betrieb und die Wartung der Flotte eine eigene Organisation, ähnlich der NAPMO, aufstellen oder auf die bereits existierende Zusammenarbeit mit der European Defence Agency (EDA) oder der Gemeinsamen Organisation für Rüstungskooperation (OCCAR) zurückgreifen.
Bei dieser Option handelt es sich um ein militärisches Betreibermodell außerhalb der EU-Strukturen. Die Autonomie der teilnehmenden Staaten bliebe weitestgehend erhalten, die EU hätte keinen Einfluss auf den Einsatz der Flugzeuge. Jedoch könnte sich die EU an den Kosten für die Beschaffung und / oder den Betrieb der Maschinen beteiligen und damit Nutzungszeiten für ihre GSVP-Missionen und -Operationen erlangen. Je nach Wahl der Betreiberorganisation (z. B. EDA) wäre eine Integration in die EU-Strukturen perspektivisch möglich.
Ziviler Lufttransport
Die zweite Option: Da der A400M noch nicht uneingeschränkt (militärisch) einsatzreif ist, könnte Deutschland die 13 Flugzeuge der EU für zivile Transportflüge im Rahmen ziviler oder militärischer Operationen und Missionen übertragen oder sie ihr verkaufen. Die Maschinen würden von der EU betrieben. Für die Nutzung wären zwei Szenarien vorstellbar: Im ersten könnten die Mitgliedstaaten Lufttransportkapazitäten vertraglich einkaufen und über den Einsatz der Flugzeuge eigenständig entscheiden. Hierfür wäre die SALIS-Kooperation (Strategic Air Lift International Solution) zwischen der NATO und dem ukrainischen Antonov-Anbieter ein Beispiel.
Im zweiten Szenario, im Falle einer vertieften Ausgestaltung, könnte die EU bzw. der Europäische Rat selbst festlegen, für welche Missionen und Operationen die A400M eingesetzt würden. Die EU hätte mit der Flotte zum ersten Mal eigene Fähigkeiten zur Verfügung und könnte unabhängig von den Mitgliedstaaten agieren.
EU Air Transport Group
Die dritte Option: Die Bundesrepublik könnte die Maschinen der EU übertragen oder sie ihr verkaufen und sie von einer europäischen Agentur, zum Beispiel der EDA, betreiben lassen. Durch die bereits seit 2011 bestehende Zusammenarbeit zwischen der EDA und dem EATC im Bereich des Lufttransports könnte die EDA in Kooperation mit der OCCAR die Beschaffung und den Betrieb der Flotte managen, das EATC könnte den operationellen Einsatz koordinieren. Ein aktuelles Beispiel für eine ähnliche Konstellation ist die sich im Aufbau befindliche MMF, deren Flugzeuge die NATO besitzt.
Die EU würde mit dieser Option erstmals über eigene Fähigkeiten im Rahmen der GSVP verfügen. Diese würden den GSVP-Missionen und ‑Operationen zugutekommen und die EU zum Beispiel bei Katastrophen oder Epidemien unabhängiger machen von der Unterstützung ihrer Mitgliedstaaten.
Vorschläge über den Einsatz der Flugzeuge würde der Präsident der Europäischen Kommission über die Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik einbringen. Der Rat »Auswärtige Angelegenheiten« könnte über den Einsatz abstimmen und ihn beschließen. Entscheidungen über Flugzeugeinsätze im Rahmen von EU-Missionen und ‑Operationen unterliegen dem Einstimmigkeitsprinzip. Zivile Einsätze außerhalb von Missionen / Operationen der EU könnten eine Abkehr davon rechtfertigen und eine Mehrheitsentscheidung im Rat ermöglichen. Sowohl das Vorschlagsrecht des EU-Kommissionspräsidenten und der Hohen Vertreterin als auch die Möglichkeit von Mehrheitsentscheidungen würde zu einer Stärkung der europäischen Strukturen führen und langfristig den Aufbau weiterer europäischer Fähigkeiten fördern.
Zur Finanzierung der zivilen Lufttransport-Flotte (zweite Option) und der EU Air Transport Group (dritte Option) sind folgende Möglichkeiten denkbar: Falls Deutschland der EU die Flugzeuge überträgt, könnte sich der EVF im Rahmen eines PESCO-Projekts (Permanent Structured Cooperation) beteiligen. Wenn die EU die A400M kaufen möchte, müssten die Mittel in den mehrjährigen Finanzrahmen 2021–2027 aufgenommen werden (vgl. FRONTEX-Ausrüstung, S. 2/3). Die EU-Kommission müsste in Abstimmung mit dem Europäischen Parlament (EP) geeignete Kontrollmechanismen zur Kostenüberwachung einführen.
Für alle drei Optionen gilt: Vor dem Hintergrund der zu erwartenden Nutzung müssten die Besatzungen nicht aus Soldaten bestehen, sondern könnten durch Zivilisten gestellt werden. Eine Beteiligung der nationalen Parlamente wäre nicht erforderlich, weil die Flugzeuge weder direkt noch indirekt an Kampfhandlungen teilnähmen, anders als zum Beispiel die eingesetzten deutschen Besatzungsmitglieder der AWACS-Flotte.
Vorhandene Überkapazitäten könnten kleineren EU-Staaten, für die der Betrieb einer eigenen Flotte zu kostspielig ist, zur Verfügung gestellt werden. Dadurch bekämen sie die Möglichkeit der Partizipation, außerdem könnten Standards einander angeglichen werden. Auch die NATO oder die Vereinten Nationen (VN) könnten vorhandene Überkapazitäten nach vorheriger Freigabe nutzen.
Fazit und Ausblick
Durch die Bereitstellung der 13 Airbus A400M könnte Deutschland die Ausgestaltung der hier vorgestellten Optionen maßgeblich beeinflussen und neue Impulse für die Weiterentwicklung der GSVP geben. Dabei könnte Deutschland eigene »rote Linien«, was den Einsatz militärischer Mittel angeht, aufgeben – wie den nationalen Vorbehalt, der selbst beim Libyen-Einsatz deutscher Flugzeuge im Rahmen des EATC nicht geltend gemacht wurde. Wenn die Bundesrepublik bereit wäre, bei der Ausgestaltung der Optionen Zugeständnisse zu machen, wäre das zielführend im Sinne des inklusiven Ansatzes, den sie nicht zuletzt bei der Umsetzung von PESCO verfolgt. Sie würde ein deutliches Signal für die europäische Integration setzen. Auf diese Weise könnten andere EU-Staaten, wie Frankreich oder die mittel- und osteuropäischen Partner, für eine der Optionen gewonnen werden. Deutschland wäre in der Lage, denjenigen EU-Staaten entgegenzutreten, die die Stärkung des europäischen Pfeilers in der NATO skeptisch betrachten. Für EU und NATO entstünde ein Mehrwert. Der weitere Aufbau der europäischen Verteidigungsunion und die Vertiefung der GSVP sind entscheidend auf dem Weg zu einer strategischen Autonomie Europas. Ein Festhalten an Kooperationsformen außerhalb der EU oder im Rahmen des Framework Nations Concepts der NATO läuft dem deutschen Anspruch zuwider, europäische Strukturen zu stärken. Die dargestellten Optionen hingegen haben, abhängig von ihrer jeweiligen Ausgestaltung, das Potenzial, die militärische Integration in Europa voranzutreiben.
Major i. G. René Schulz ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik.
© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2019
Alle Rechte vorbehalten
Das Aktuell gibt die Auffassung des Autors wieder.
SWP-Aktuells werden intern einem Begutachtungsverfahren, einem Faktencheck und einem Lektorat unterzogen. Weitere Informationen zur Qualitätssicherung der SWP finden Sie auf der SWP-Website unter https://www. swp-berlin.org/ueber-uns/ qualitaetssicherung/
SWP
Stiftung Wissenschaft und Politik
Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit
Ludwigkirchplatz 3–4
10719 Berlin
Telefon +49 30 880 07-0
Fax +49 30 880 07-100
www.swp-berlin.org
swp@swp-berlin.org
ISSN 1611-6364
doi: 10.18449/2019A25