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Der Fall des Assad-Regimes: Regionale und internationale Machtverschiebungen

SWP-Aktuell 2025/A 06, 11.02.2025, 8 Seiten

doi:10.18449/2025A06

Forschungsgebiete

Am 8. Dezember 2024 wurde in Syrien das Assad-Regime durch eine von Hay’at Tahrir al-Sham (HTS) angeführte Rebellenallianz gestürzt. Dabei haben Veränderungen in den regionalen und internationalen Kräfteverhältnissen den Zusammenbruch der Familiendiktatur erst ermöglicht. Entscheidende Faktoren waren die Unterstützung der Rebellen durch die Türkei, die Schwächung von Iran und Hisbollah durch israe­lische Militärschläge sowie eine veränderte Prioritätensetzung Russlands im Kontext seines Krieges gegen die Ukraine. Gleichzeitig haben sich mit dem Sturz des Regimes auch die Machtverhältnisse in der Region weiter verschoben. Die Interessen, Prioritäten und Aktivitäten der regionalen und internationalen Akteure werden den Hand­lungsspielraum der neuen Machthaber in Damaskus abstecken. Die Türkei und Israel haben Gebiete im Norden bzw. Südwesten des Landes militärisch besetzt. Einfluss werden auch die arabischen Golfmonarchien nehmen, die für einen Wiederaufbau Syriens von herausgehobener Bedeutung sind. Die USA sind dort heute noch mit Truppen präsent, ihr künftiges Engagement in Syrien ist jedoch ungeklärt.

Russland intervenierte 2015 militärisch im syrischen Bürgerkrieg und etablierte rund zwei Jahre später das sogenannte Astana-Format. In diesem Rahmen kooperierte Mos­kau mit der Türkei und Iran, um in Syrien die Konflikte einzufrieren, die Ge­walt zu reduzieren und Einflusszonen ab­zustecken. In der Folge verschoben sich die Macht­­balance in der Region und die Priori­täten, denen regionale und internationale Akteu­re in Syrien folgten. Insbesondere waren die Unterstützer der syrischen Opposition nicht mehr auf den Sturz des Regimes fokussiert; vielmehr stellten sie ihre natio­nalen, wirt­schaftlichen und sicherheits­politischen Interessen in den Vordergrund. Die USA konzentrierten sich auf die Be­kämpfung des »Islamischen Staates« (IS); die Türkei suchte ein zusammenhängendes Territo­rium unter Kontrolle der kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) entlang ihrer Südgrenze zu verhindern und die Rückkehr syrischer Geflüchteter voran­zubringen. Israel, das sich im Macht­kampf des Nachbarlandes nicht positioniert hatte, bombardierte Stellungen und Kon­vois von Iran und mit Iran verbündeten Milizen, um zu verhindern, dass sich feind­liche Stütz­punkte in der Grenzregion fest­setzen, Rüs­tungsfabriken errichtet und Waffen an die Hisbollah geliefert würden.

Nachdem die Arabische Liga 2011 die Mitgliedschaft Syriens ausgesetzt hatte, wurde das Land im Mai 2023 wieder in die Regionalorganisation aufgenommen. Dies geschah vor allem auf Betreiben der Ver­einigten Arabischen Emirate (VAE) und der arabischen Nachbarn Syriens sowie vor dem Hintergrund einer Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Iran.

Die Rolle externer Akteure beim Sturz des Regimes

Ab 2023 verschob sich die regionale Macht­balance einmal mehr. Dies war eine Folge der Angriffe, die Hamas und andere bewaff­nete palästinensische Gruppierungen am 7. Oktober auf Israel verübten, sowie der israelischen Reaktion darauf. Die von Tehe­ran angeführte »Achse des Widerstands« war spätestens seit Oktober 2024 durch israelische Militäroperationen extrem ge­schwächt. Dies galt vor allem für Iran selbst und die libanesische Hisbollah, beide neben Russland die Hauptunterstützer des Assad-Regimes. Moskaus Armee war auf den Krieg in der Ukraine konzentriert. Da­mit verän­derten sich auch die Prioritäten und Kal­kü­le der wichtigsten regionalen und internationalen Akteure in Syrien, was den Rebel­len den Weg zur Machtübernahme ebnete.

Türkei

Aus Sicht der türkischen Regierung war der Sturz von Bashar al-Assad die Folge seiner Unfähigkeit und seines mangelnden Wil­lens, die Situation des eingefrorenen Kon­flikts, die ab 2017 infolge der Astana-Ver­einbarungen herrschte, für den Wiederaufbau Syriens zu nutzen. Ankara hat die von der HTS geführte Rebellenoffensive als einen von Syrern geplanten und umgesetzten Angriff dargestellt und eine türkische Teilnahme daran bestritten. Doch nach regierungsnahen Medienstimmen haben Armee und Nachrichtendienst der Türkei die Offensive nicht nur genau beobachtet, sondern vor allem auch »die Syrische Natio­nale Armee (SNA) und die (arabischen) Stämme direkt unterstützt«. Schon im Okto­ber 2024 verstärkte die türkische Armee im Norden des Nachbarlandes ihre Präsenz und Ausrüstung in Idlib und um Aleppo, wo sie seit 2017 präsent war.

Unter den an der Rebellenoffensive be­teiligten Gruppen sind die HTS und die SNA – die aus der Freien Syrischen Armee (FSA) und Teilen der »Islamischen Front« hervor­ging – besonders eng mit der Türkei ver­bunden. Seit 2015/16 hat die Regierung in Ankara diverse Vereinbarungen mit beiden bewaffneten Gruppen getroffen und diese weiterentwickelt, nachdem sich ihre Priori­täten in Syrien geändert hatten. Es ging ihr dabei nicht mehr wie ursprünglich um den Sturz Assads. Vielmehr wollte sie in erster Linie verhindern, dass unter Führung der PYD/YPG (der syrischen Schwesterorganisation der PKK, die in der Türkei, der EU und den USA als terroristische Organisation ein­gestuft ist) eine kurdische Autonomie ent­steht und es zu neuen Fluchtbewegungen in die Türkei kommt. Die SNA ist in den nordsyrischen Gebieten, die schrittweise von 2016 bis 2019 von der Türkei besetzt und seither weitgehend in die türkische Wirtschaft und Verwaltung integriert wur­den, militärisch, finanziell und logistisch vollständig von Ankara abhängig. Die Bezie­hung der Türkei zur HTS wiederum lässt sich eher als eine Schutzherrschaft bezeich­nen. Zwar wird die HTS von Ankara als terroristische Organisation eingestuft. Doch übernahm die Türkei im Rahmen des 2018 mit Russland geschlossenen Sotschi-Abkom­mens in der Provinz Idlib die Rolle einer Schutzmacht. Mit ihrer militärischen Inter­vention 2020 verhinderte die Türkei eine Rückeroberung Idlibs durch das Assad-Regime und stärkte ihr Verhältnis zur HTS.

Ohne grünes Licht aus Ankara wäre die Rebellenoffensive 2024 nicht denkbar ge­wesen. Allerdings äußerte der türkische Präsident Erdoğan dann Un­behagen über die Geschwindigkeit des Vormarsches. Dies deutet darauf hin, dass Ankara eine be­grenzte Aktion erwartet hatte. Ziel dürfte dabei gewesen sein, Assad zu Verhandlungen über eine Normalisierung der türkisch-syrischen Beziehungen und die Rückkehr syrischer Flüchtlinge zu zwingen.

Arabische Golfstaaten

Unter den arabischen Golfstaaten war es vor allem Katar, das als Juniorpartner der Türkei zum Sturz des Assad-Regimes bei­trug. Seit der Jahreswende 2011/12 hatten Katar, Saudi-Arabien und die VAE zunächst gemeinsam Rebellen in Syrien unterstützt. Doch entstanden schon bald Meinungsverschiedenheiten, bei denen es vor allem um den Beistand für Islamisten, Salafisten und Jihadisten durch Katar (und die Türkei) ging. Saudi-Arabien und die VAE halfen zwi­schen 2015 und 2017 vor allem ideolo­gisch eher indifferenten Rebellen im Süden des Lan­des, während sie den Norden Katar und der Türkei überließen. Als 2017/18 der Auf­stand im südlichen Syrien zusammenbrach, war Saudi-Arabien aus dem Spiel; die VAE hatten sich schon vorher zurückgezogen.

Die salafistisch geprägte Rebellenformation Ahrar al-Sham war für Katar län­gere Zeit der wichtigste Klient in Syrien. Zudem dürfte Doha die jihadistische Nusra-Front unterstützt haben, die aus al‑Qaida hervor­gegangen war. Es war ein großer Er­folg kata­rischer Politik, als Nusra-Anführer Abu Muhammad al-Jaulani sich 2016 von al-Qaida lossagte, auf einen syri­schen Natio­nal-Islamismus setzte und sich mit ähnlich gesinnten Gruppen ver­bündete. Da­mit wur­de es für die Türkei und Katar viel leichter, die 2017 von Jaulani und sei­nen Gefolgsleuten gegründete HTS zu unterstützen.

Das Ausmaß der katarischen Hilfe für die HTS zwischen 2017 und 2024 ist nicht voll­ständig bekannt. Militärisch dürfte das Golf­emirat keine Rolle gespielt haben. Allerdings ist davon auszugehen, dass die im November 2017 von der HTS in der Provinz Idlib eingesetzte »Heils-« bzw. »Rettungs­regierung« und wahrscheinlich auch die HTS selbst finanzielle Hilfen aus Katar er­hielten. Außerdem stellte sich der einflussreiche katarische Fernsehsender Al Jazeera eindeutig auf die Seite der HTS, die er oft mit der syrischen Opposition gleichsetzte.

Iran

Seit Beginn des syrischen Aufstands 2011 spielte Iran eine Schlüsselrolle für das Über­leben des Assad-Regimes. Teheran inter­venierte auf dessen Seite in den Bürgerkrieg und errichtete in Syrien über ein Jahrzehnt hinweg eine umfangreiche militärische Infrastruktur. Dazu gehörten Stützpunkte an strategischen Orten, Waffendepots und Fabriken zur Belieferung der Hisbollah im Libanon sowie ein Netzwerk lokaler und ausländischer Milizen. Zugleich verschaffte sich Iran politischen Einfluss innerhalb des syrischen Militär- und Sicherheitsapparats. Diplomatisch beteiligte sich die Islamische Republik neben Russland und der Türkei am Astana-Prozess.

Trotz dieses intensiven Engagements konnte Teheran den Zusammenbruch des Regimes Ende 2024 nicht verhindern. Ein zentraler Grund dafür war, dass Iran in den Jahren zuvor seine Militärpräsenz in Syrien schrittweise verringert hatte. Dies ging zum einen auf einen Wunsch Assads zurück, der sich mit arabischen Staaten zu arrangieren suchte, die eine Eindämmung des iranischen Einflusses forderten. Zum anderen wurde Teheran durch verstärkte israelische Luft­angriffe auf iranische Einrichtungen (und auf iran-loyale Milizen) in Syrien ge­zwun­gen, Schlüsselpersonal nach Iran zurückzuverlegen. Ende 2024 unterhielt die Islami­sche Republik in Syrien nur noch eine Not­falltruppe zum Schutz ihrer Stütz­punkte und Interessen. Auf den schnellen Vor­marsch der Rebellen war sie nicht vor­berei­tet. Eine entscheidende Rolle spielte auch die mangelnde Kampfbereitschaft der syri­schen Armee, folgt man Aussagen irani­scher Kommandeure. Wie sie erklärten, konnte Iran nicht anstelle von Assads demoralisierten und unmotivierten Trup­pen in die Schlacht ziehen.

Vor allem aber befand sich die von Tehe­ran geführte »Achse des Widerstands« nach einem Jahr intensiver militärischer Aus­ein­andersetzungen mit Israel in Auflösung. Die libanesische Hisbollah, geschwächt durch einen verheerenden Krieg mit Israel, und irakische Milizen, die amerikanische wie israelische Vergeltungsschläge fürchte­ten, waren nicht bereit, in Syrien zu inter­venieren. Israels Angriffe auf iranische Nachschubrouten, die Landübergänge, Luft­korridore und Konvois trafen, schränkten Teheran zusätzlich ein – wie sogar vom Obersten Führer Ali Khamenei anerkannt wurde. Gleichzeitig verminderte es die Reaktionsmöglichkeiten in Teheran weiter, dass man dort eine direkte Eskalation mit Israel befürchtete. Eine beispiellose israeli­sche Militäroperation hatte Ende Oktober 2024 unter anderem Irans Luftabwehr enorm geschwächt und Ängste vor einem weiteren Angriff geweckt. In der Folge stell­te Teheran die eigene nationale Sicherheit über den regionalen Einfluss und überließ Assad seinem Schicksal.

Russland

Auch Russland, das seit September 2015 in Syrien eingegriffen und damit eine Nieder­lage Assads verhindert hatte, zeigte sich Ende 2024 nicht in der Lage, dessen Herr­schaft erneut abzusichern. Dies hängt da­mit zusammen, dass die militärischen Fähigkeiten des Kremls infolge des Kriegs gegen die Ukraine eingeschränkt sind und seine politischen Prioritätensetzungen sich verändert haben.

Ohnehin war Moskaus Militärpräsenz in Syrien stets begrenzt. Geschätzt wird, dass die Personalstärke des russischen Kontingents 2024 bei rund 7.500 Personen lag und es sich dabei primär um Angehörige von Luftstreitkräften, Spezialkräften und Mili­tär­polizei handelte. Die Zahl der Boden­trup­pen war dagegen gering; noch weiter redu­ziert wurde sie durch die vermehrte Verle­gung von »Wagner«-Kämpfern in die Ukrai­ne seit 2022 und die Zerschlagung der Söld­nergruppe 2023. Zu­dem priorisierte Russ­land den Krieg gegen die Ukraine, was einer Verstärkung von Bodenkräften in Syrien entgegenstand. In der Folge stützte sich Moskau dort auf pro-iranische Milizen und die syrische Armee. Doch angesichts der Rebellenoffensive von 2024 geriet Russlands Interventionsmodell an seine Gren­zen. Die Truppen Assads leisteten kaum mehr Widerstand oder kollabierten rasch, darunter auch das 5. Korps der syrischen Armee, das finanziell wie militärisch starke Unterstützung von Moskau erfahren hatte.

Im Weiteren konzentrierte man sich auf Schadensbegrenzung. Die Luftangriffe auf Rebellenstellungen, die Russland bis dahin ausgeführt hatte, wurden am 8. Dezember beendet. Assad und seine Familie sahen sich ins Moskauer Exil gedrängt. Davon er­hoffte sich der Kreml, das Image einer ver­lässlichen Schutzmacht aufrechtzuerhalten. Zugleich ging es Putin darum, mit Assad einen Störfaktor aus dem Spiel zu nehmen, der es erschwert hätte, die russische Syrien-Politik unter den veränderten realpolitischen Rahmenbedingungen neu aufzustellen.

Regionale und internationale Folgen des Umsturzes

Mit dem Sturz des Assad-Regimes haben sich die Kräfteverhältnisse in der Region – und darüber hinaus – weiter verschoben. Während Russland und Iran sowie deren Bündnispartner geschwächt sind, sehen sich die Türkei und Katar im Aufwind, sind sie doch Verbündete von Syriens neuen Machthabern. Auch Israel konnte seine strategische Position verbessern.

Russland

Der Fall Assads bedeutet für Russland mehr als nur einen Reputationsschaden. Er unter­miniert auch einen – wenn nicht den wichtigsten – Grundpfeiler der russischen Politik gegenüber dem Nahen und Mittleren Osten im letzten Jahrzehnt. Moskau hatte sich nach Ende des Kalten Krieges weitgehend aus der Region zurückgezogen und im Zuge des Irak-Krieges 2003 wie auch des »Arabischen Frühlings« weiter an Gewicht verloren. Mit der militärischen Intervention in Syrien 2015 unterstrich Russland jedoch seinen Anspruch, in der Region wieder ein Schlüsselakteur zu werden und über seinen Einfluss dort auf globaler Ebene als Groß­macht Anerkennung zu finden. Tatsächlich gelang es dem Kreml in der Folge, seine Be­ziehungen mit wichtigen Regionalmächten wie der Türkei, Israel und den Golfmonarchien auszubauen und so auch eine einsei­tige Abhängigkeit von Iran zu vermeiden.

Oberste und unmittelbare Priorität hat für Russland nun, seine Militärbasen in Syrien zu behalten. Dies betrifft vor allem die Marinebasis in Tartus sowie den Militär­flughafen in Hmeimim. Beide sind nicht nur für Einsätze in Syrien essentiell, son­dern auch für Russlands militärische Auf­stellung in der weiteren Region. So garan­tiert bislang nur Tartus eine permanente Marinepräsenz des Landes im Mittelmeer, zudem erleichtert die Basis den Zugang zum Roten Meer. Durch die Zufahrtsbeschränkungen, denen russische Kriegsschiffe am Bosporus für den Weg ins Schwarze Meer seit der Ukraine-Vollinvasion unter­liegen, haben die Reparatur- und Versorgungseinrichtungen in Tartus weiter an Gewicht gewonnen. Über den Flughafen in Hmeimim wiederum wurden bislang die Einsätze russischer Soldaten und Söldner in Libyen sowie einer Vielzahl afrikanischer Länder logistisch abgewickelt. Zwar hat Moskau bereits einen Teil seiner militärischen Ausrüstung aus Syrien abgezogen und unter anderem auf Flughäfen in Ost­libyen verlegt, die unter Kontrolle von General Haftar stehen. Doch selbst wenn es Russland gelänge, (mehr) Flugplätze und Häfen in Libyen oder Algerien zu nutzen, wären die Nutzungsrechte und infrastrukturellen Kapazitäten dort beschränkter, als es in Syrien bislang der Fall ist.

Moskau bemüht sich dementsprechend, mit den neuen Machthabern in Damaskus einen Weiterbetrieb der beiden Militär­basen auszuhandeln, die 2017 vertraglich von Russland für 49 Jahre geleast wurden. Die jetzige syrische Führung hat zwar Russ­lands Bedeutung allgemein anerkannt, im Januar aber den Leasingvertrag mit der russischen Firma Stroytransgaz für den zivi­len Teil des Hafens Tartus gekündigt. Noch ist offen, ob dies auch zur Schließung der russischen Militärbasis führt oder nur der Auftakt für weitere Verhandlungen ist, in denen Mos­kau eine reduzierte militärische Präsenz als Gegenleistung für russisches Entgegenkom­men in anderen Politikfeldern zugestanden werden könnte.

Dass Russland in Syrien militärisch und politisch geschwächt ist, wird sich auch auf seine Beziehungen mit den anderen Regio­nalakteuren auswirken. Dabei dürften sich teils Trends verstärken, die bereits infolge des Angriffs auf die Ukraine von 2022 ein­gesetzt haben. So verliert Moskau ohne Kontrolle des syrischen Luftraums an Be­deutung für Israel. Ab 2015 war Israel auf ein militärisches De-conflicting mit Russ­land angewiesen, um Stellungen Irans und mit Iran verbündeter Milizen in Syrien an­greifen zu können. Dies ist nun obsolet, was eine Neuausrichtung der israelischen Ukraine-Politik erleichtern dürfte. Gleichzeitig wird sich die seit der Invasion der Ukraine ohnehin intensivierte Kooperation Russlands mit Iran – insbesondere auf militärischem Gebiet – wohl noch verstär­ken. So haben Teheran und Moskau im Januar 2025 einen Vertrag über eine strate­gische Partnerschaft unterzeichnet.

Demgegenüber setzt sich mit dem Sturz Assads die Neukalibrierung der russisch-türkischen Beziehungen zu Ungunsten Moskaus fort. Der russische Einfluss ist nicht nur in Syrien geschrumpft; auch im Südkaukasus hat Ankara in den vergangenen Jahren seine Stellung ausgeweitet. Mos­kau dürfte ver­suchen, gemeinsame Inter­essen mit der Türkei im Energiebereich und bei der Ein­hegung westlicher Politik zu nutzen. Ziel wäre, Ankara dafür zu gewin­nen, dass es die Einbeziehung Russlands in regionale Formate der Konfliktbearbeitung (ähnlich dem Astana-Format) unterstützt.

Iran

Der Sturz des Assad-Regimes bedeutet einen erheblichen Rückschlag für Irans Streben nach Einfluss und seine strategischen Ziele in der Region. Betroffen davon ist insbesondere die von Teheran geführte »Achse des Widerstands«. Geographisch war Syrien ein zentrales Element des »Landkorridors«, der Iran über den Irak mit der Hisbollah im Libanon und dem Mittelmeer verband. Die­ser Korridor hatte nicht zuletzt den Zweck, Waffentransfers und logistische Unterstützung für die Hisbollah zu ermöglichen, deren militärische Fähigkeiten durch den jüngsten Krieg mit Israel sehr geschwächt wurden. Der Zusammenbruch dieser Land­route wird es Iran erheblich erschweren, die Hisbollah wiederaufzurüsten und sein breiteres regionales Netzwerk an verbündeten Milizen aufrechtzuerhalten.

Das von Assad beherrschte Syrien spielte auch eine maßgebliche Rolle in Irans geo­ökonomischen Ambitionen. Teheran wollte sich im Rahmen der chinesischen »Belt and Road Initiative« als wichtiger Akteur posi­tionieren und Syrien als Teil einer Landroute nutzen, die China mit dem Mittelmeer verbindet. Der Verlust Syriens als enger Partner untergräbt diese Vision. Der ver­stärkte Einfluss der Türkei bedroht Irans geopolitische Stellung nicht nur in der Levante, sondern auch im Irak und im Süd­kaukasus. Besorgniserregend für Teheran ist insbesondere Ankaras Bestreben, den so­genannten Zangezur-Korridor zu etablie­ren – eine Transitroute, die die Türkei über armenisches Gebiet mit Aserbaidschan ver­bindet. Sollte dieser Korridor gemäß den türkischen und aserbaidschanischen Vor­schlägen fertiggestellt werden, würde er Iran umgehen und dessen direkten Land­zugang zu Armenien kappen. Dadurch würde Iran wirtschaftlich isoliert und seine Rolle in den Handels- und Transitrouten der Region geschwächt.

Sollten in Syrien jihadistische Gruppierungen wie der IS wiedererstarken, könnte sich dies ebenfalls negativ auf Irans regio­nale Interessen auswirken – nicht zuletzt, weil solche Akteure eine Bedrohung für Teherans Verbündete im Irak sowie für Iran selbst wären. Alarmiert ist die Islamische Republik zugleich durch die zunehmende israelische Präsenz in Syrien, nicht nur wegen der Besetzung weiteren syrischen Territoriums, sondern auch deshalb, weil Israel Kontakte zu syrisch-kurdischen Grup­pen unterhält und mit ihnen kooperieren könnte. In iranischen Politikzirkeln fürch­tet man die Entstehung eines »David-Korri­dors«, mit dem Israel sich Zugang zum Euphrat verschaffen und seinen Einfluss stärken würde, während Teheran weiter an den Rand gedrängt wäre.

Türkei

Ankara sieht durch den Sturz des Assad-Regimes seinen Handlungsspielraum in Syrien deutlich erweitert. Seit 2020 befand sich die Türkei in einer diplomatischen und militärischen Pattsituation, vor allem was ihre Bemühungen anging, eine kurdische Selbstverwaltung im Nordosten Syriens zu verhindern und die syrischen Flüchtlinge in ihr Herkunftsland zurückzuschicken. Zu diesen Zwecken suchte Ankara zum einen seine Beziehungen zu Assad zu normalisieren, zum anderen eine Militäroperation im Norden Syriens durchzuführen. Mit Letzte­rer sollten die kurdisch dominierten SDF vor allem aus den Städten Tel Rifaat und Manbij zurückgedrängt werden. Allerdings blieben beide Bestrebungen erfolglos. Mit Assad konnte kein Kompromiss erreicht werden; gleichzeitig stießen die Normalisierungsbemühungen auf den Widerstand syrischer Oppositionsgruppen. Und ohne grünes Licht seitens der USA und Russlands war Ankara nicht in der Lage, eine größere Militäroffensive zu starten. Die autonome, unter kurdischer Führung stehende Admi­nistration im Nordosten Syriens konnte ihre Verwaltungsstrukturen sogar weiter stärken.

Für die Türkei ist der Sturz Assads ein »now or never«-Moment, um eine von der PYD/YPG dominierte kurdische Autonomie zu verhindern. Während der Rebellenoffensive im November/Dezember 2024 haben die von der Türkei unterstützten SNA-Mili­zen die Kontrolle über Tel Rifaat und Man­bij übernommen. Ankara hat im Folgenden die Offensive der SNA mit Luftangriffen be­gleitet – mit dem Ziel, die Frontlinien im Norden Syriens zu verändern. In diesem Zusammenhang sieht Ankara die Rückkehr Trumps ins Weiße Haus als Gele­genheit, um eine Abkehr Washingtons von den SDF zu erreichen, mit denen die USA im Rah­men ihres Kampfes gegen IS koope­rieren und denen sie bislang Schutz bieten. Ob die Türkei sich hier durchsetzen kann, wird vor allem von den Richtungsentscheidungen der Trump-Administration abhängen.

Mit der HTS stellen nun Akteure die Über­gangsregierung in Damaskus, die An­kara als freundlich und kooperativ be­trach­tet und zu denen die türkische Führung enge persönliche Kontakte pflegt. Die Tür­kei dürfte damit erheblichen Einfluss auf die weitere Entwicklung Syriens haben. Vor dem Hintergrund einer Neukalibrierung ihrer außenpolitischen Prioritäten, der Schwächung Irans und der ungelösten Palästina-Frage setzt die Türkei gleichzeitig darauf, ihre Annäherung an arabische Staa­ten fortzusetzen. Bei der Stabilisierung Syriens hofft sie daher vor allem auf eine Kooperation mit Saudi-Arabien, den VAE, Katar, Ägypten, Jordanien und dem Irak, wie Außenminister Hakan Fidan er­klärte.

Arabische Golfmonarchien

Der Fall des Assad-Regimes hat die Macht­balance unter den arabischen Golfstaaten stark verändert. Dass Katar Jihadisten wie die syrische Nusra-Front unterstützte, war 2017 einer der Gründe, weshalb Saudi-Arabien, die VAE, Bahrain und Ägypten das Emirat mit einer Land-, See- und Luftblockade belegten. Die Krise wurde im Januar 2021 beigelegt, wobei Doha seine Politik nicht grundsätzlich änderte. Der Konflikt zwischen den arabischen Golfmonarchien kann also jederzeit wieder aufflammen.

Assads Sturz und die Machtübernahme durch die HTS sind ein großer Erfolg für die katarische Politik. Seit Beginn des »Arabischen Frühlings« 2011 setzte Doha darauf, dass Islamisten unterschiedlicher Ausrichtung die Kräfte der Zukunft sein könnten und Katar durch ein Bündnis mit ihnen an regionalem Einfluss gewinnen würde.

Saudi-Arabien und die VAE hingegen tra­ten als Anführer der Gegenrevolution auf, indem sie die autoritäre Restauration in Ägypten wie Tunesien unterstützten und die Islamisten andernorts auch militärisch bekämpften. Besonders kompromisslos waren dabei die VAE, die ab 2015 sogar auf Assad setzten, um weitere Erfolge der Isla­misten zu verhindern. Sie waren 2018 der erste arabische Staat, der die wegen des Bür­gerkriegs gekappten Beziehungen zu Syrien wiederherstellte. Anschließend arbeiteten sie auf eine Rehabilitierung Assads in der arabischen Welt hin. Auch wenn Abu Dhabi es positiv sehen dürfte, dass Iran mit Syrien einen wichtigen Verbündeten ver­liert und deshalb in der Region geschwächt ist, bleibt der Sturz des Regimes in Damas­kus ein schwerer Rückschlag für die emira­tische Politik.

Auch in Saudi-Arabien überwiegt eine ambivalente Sicht auf den Machtwechsel in Syrien, mit dem Unterschied, dass Riad pragmatischer auf den Sieg der HTS blickt. Das Königreich hatte die Annäherung an Assads Syrien zwar mitgetragen, doch es entschied sich erst 2023 – viel später als die VAE – zur Wiederherstellung der Be­ziehungen und wahrte mehr Distanz zu Damaskus. Auch die saudi-arabische Füh­rung befürchtet, dass die Machtübernahme der Islamisten weitere regionale Auswirkungen haben könnte. Sie ist in ihrem Kampf gegen Islamisten aber weniger ideo­logisch als Abu Dhabi. Zugleich weiß Riad die Schwächung Irans und der Hisbol­lah zu schätzen. Zuletzt mehrten sich die Anzei­chen, dass Saudi-Arabien pragma­tisch mit HTS-Syrien zusammen­arbeiten will.

Israel

Der Fall des Assad-Regimes hat das regiona­le Kräfteverhältnis weiter zugunsten Israels verschoben – auch deshalb, weil iranische Truppen und verbündete afghanische Milizen wie die Fatemiyoun-Brigaden aus Syrien abgezogen wurden. Schon in der Folge der Angriffe des 7. Oktober 2023 hatte Israel seinen Gegnern Hamas, Hisbollah und Iran empfindliche Verluste zugefügt.

Direkt nach Assads Sturz er­klärte Israel das israelisch-syrische Waffen­stillstands­abkommen von 1974 für hinfällig und leite­te die Operation »Pfeil von Baschan« ein. Deren Ziele waren laut Verteidigungsminister Israel Katz, einen zusätzlichen Beobachtungsposten über der libanesischen Bekaa-Ebene zu erlangen, in der sich eine Hoch­burg der Hisbollah befindet, eine weitere Pufferzone gegen die Rebellen in Damaskus einzurichten und diese abzuschrecken so­wie zu verhindern, dass die Waffen des Assad-Regimes in ihre Hände fallen. Denn ihnen sei trotz ihres moderaten Auftretens nicht zu trauen, gehörten sie doch extre­mistischen Gruppierungen an.

In diesem Sinne übernahm das israelische Militär bis auf weiteres die Kontrolle über die entmilitarisierte Zone, die 1974 geschaffen worden war und bis dato von der UNDOF-Mission kontrolliert wurde, ebenso den Gipfel des Berges Hermon auf syrischem Staatsgebiet (beides jenseits der bereits 1967 besetzten und 1981 annektierten syrischen Golanhöhen). Im Folgenden richtete Israel auch Checkpoints außerhalb der UN-Pufferzone ein. Zudem nutzte es die Gelegenheit, die verbliebenen militärischen Kapazitäten des Assad-Regimes weitgehend zu zerstören. Dazu flog die israelische Luft­waffe über 130 Angriffe in Syrien – vor allem, aber keineswegs nur im Westen und Süden des Nachbarlandes. Binnen 48 Stun­den, so der Armeesprecher, wurden dabei 70 bis 80 Prozent von Syriens militärischen Kapazitäten zerstört. Nahezu vollständig vernichtet wurden insbesondere Luftabwehr und Radarsysteme des Landes. Damit beseitigte Israel auch ein Hindernis für wei­tere Luftschläge gegen Iran. Mitte Dezember 2024 kündigte die Regierung Netanjahu zu­dem an, die Siedlungen auf den Golan­höhen auszubauen und die israelische Be­völkerung dort zu verdoppeln. Dies aber dürfte mittelfristig einem friedlichen Aus­gleich mit Syrien – unabhängig davon, wer dort die Macht ausübt – im Wege stehen.

USA

Auch für die USA hat sich das Kräfteverhältnis in Syrien und der Region positiv ver­ändert, stand ihnen das zusammengebrochene Assad-Regime doch antagonistisch gegenüber und wurden Iran ebenso wie mit ihm verbündete Milizen geschwächt. Doch bleiben die Dilemmata, die sich daraus er­geben, dass die USA den »Islamischen Staat« in Kooperation mit den SDF bekämpfen, die Türkei gegen die kurdisch dominierten, mit Washington verbündeten SDF vorgeht und Damaskus die SDF-Kämpfer (einzeln) in die neue Armee integrieren will. Auch bedarf es einer tragfähigen Regelung für die Kämp­fer und Angehörigen des IS, die in Gefängnissen, Haftanstalten und Internierungs­lagern der SDF einsitzen. In diesem Sinne sucht die amerikanische Regierung auf einen friedlichen Ausgleich zwischen HTS und SDF auf der einen sowie zwischen SDF und Türkei auf der anderen Seite hinzuwir­ken. Nachdem die Trump-Administration alle externen Unterstützungsleistungen der USA ausgesetzt hatte, wurde zwar kurzfristig eine Behelfslösung gefunden, um die Wachmannschaften in den Haftlagern von al-Hol und al-Roj zu bezahlen. Doch wenn solche finanziellen Transfers dauerhaft ein­gestellt werden, könnte dies ein enormes disruptives Potential mit sich bringen.

Der künftige Kurs der Trump-II-Regie­rung ist völlig offen, und die amerika­ni­sche Poli­tik in Syrien könnte sich durch­aus abrupt ändern. Zur Disposition stehen ins­beson­dere die US-Militärpräsenz im Land und die Kooperation mit den SDF. Trump selbst plädierte bereits kurz nach dem Fall des Regimes dafür, sich nicht in Syriens interne Dynamiken einzumischen. Der nationale Sicherheitsberater Mike Waltz sprach sich dafür aus, die ame­rika­nischen Truppen von dort abzuziehen. Außenmi­nister Marco Rubio hingegen plä­dierte im Januar 2025 für ein anhaltendes Engagement in Syrien und eine fortgesetzte Unter­stützung der SDF. Letztlich gehe es nicht nur um eine »inklusive Transition«, son­dern auch da­rum, dass böswillige Akteure den Übergangsprozess nicht für ihre eige­nen Ziele nutzten. Syrien dürfe »keine Quelle des internationalen Terrorismus« werden.

Dr. Sinem Adar ist Wissenschaftlerin im Centrum für angewandte Türkeistudien (CATS). Dr. Muriel Asseburg ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten. Dr. Hamidreza Azizi ist Gastwissenschaftler in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten. Dr. Margarete Klein ist Leiterin der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien. Dr. Guido Steinberg ist Wissen­schaftler in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten.

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