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Minderheitsregierung in Japan

Eingeschränkter Spielraum für außenpolitische Initiativen

SWP-Aktuell 2025/A 05, 16.01.2025, 6 Seiten

doi:10.18449/2025A05

Forschungsgebiete

Im Oktober 2024 übernahm Ishiba Shigeru das Amt des Premierministers in Japan, nach­dem er überraschend die Wahl zum Vorsitzenden der regierenden Liberal­demokra­tischen Partei (LDP) gewonnen hatte. Dieser von ihm lang ersehnte Erfolg dürfte dennoch einen bitteren Beigeschmack haben: Nach einem schlechten Ergebnis in den Unterhauswahlen Ende Oktober 2024 führt Ishiba nun eine Minderheitsregierung. Wegen des größten Finanzskandals seit Jahrzehnten steckt seine Partei in einer tiefen Krise, und im Sommer 2025 finden Oberhaus­wahlen statt. Die Innenpolitik wird Ishibas Aufmerksamkeit in den kommenden Monaten stark fordern – in einer Zeit, in der die außen- und sicherheitspolitischen Herausforde­rungen für das Land größer sind denn je.

Mit Ausnahme zweier kurzer Regierungs­perioden in den Jahren 1993–94 und 2009–12 hat die LDP in Japan seit ihrer Gründung 1955 regiert. Viermal kandi­dier­te Ishiba Shigeru vergeblich für den Partei­vorsitz. Zu gering war sein Rückhalt in der eigenen Partei. In den letzten Jahren äußer­te Ishiba immer wieder scharfe Kritik an politischen Entscheidungen amtierender Premierminister, was ihm den Ruf als »innerparteiliche Opposition« einbrachte. In der japanischen Öffentlichkeit zählt er allerdings seit lan­gem zu den beliebtesten Politikern des Landes – gerade aufgrund seiner offenen Kommunikationsweise und kritischen Per­spektive auf seine eigene Partei. Dass er sich Ende September 2024 als LDP-Vorsitzender durchsetzte, lag vor allem an der tiefen Krise, in der seine Partei steckt.

LDP in der Krise – Ishiba wird Hoffnungsträger

Zwei Skandale hatten die LDP erschüttert. Erstens wurden nach dem Attentat auf den ehemaligen Premierminister Abe Shinzo 2022 langjährige und enge Verbindungen zwischen LDP-Politikern und der sogenannten Moon-Sekte (auch Vereinigungskirche) aufgedeckt. Der Attentäter gab an, dass die Sekte seine Familie durch Spendenforderun­gen in den finanziellen Ruin getrieben und er aus Wut darüber Abe als Ziel gewählt habe, weil dieser ein Förderer der Sekte gewesen sei. Eine anschließende Untersuchung ergab, dass fast die Hälfte der LDP-Parlamentarier Verbindungen zur Sekte hatten, aber die Partei wies eine Gesamtverantwortung zurück. Aus Sicht gro­ßer Teile der Bevölkerung blieb die Aufklärung und Aufarbeitung der Affäre unzureichend.

Zweitens kam Ende 2023 ein massiver Parteispendenskandal ans Licht. Zahlreiche Abgeordnete der LDP hatten Einnahmen aus »Spendenpartys« der Partei nicht ord­nungsgemäß verbucht. Zwischen 2018 und 2022 sollen so rund 580 Millionen Yen (etwa 3,7 Millionen Euro) in schwarze Kas­sen geflossen sein. Auf die Enthüllungen reagierte Ishibas Vorgänger, Premierminister Kishida Fumio, mit der Ent­lassung von Kabinettsmitgliedern, die in den Skandal verstrickt waren, und einer Verschärfung des Gesetzes zur Parteienfinanzierung. Für die Ver­untreuung bestrafte die LDP zwar einige ihrer Mitglieder, doch die Straf­maße fielen eher mild aus. Zudem lösten sich fünf der sechs LDP-Faktionen auf – mächti­ge inner­parteiliche Gruppierungen, die in den Spendenskandal eben­falls ver­wickelt waren, darunter die ehe­mali­ge Faktion von Abe Shinzo. Angesichts fort­dauernder öffent­licher Kritik an der LDP und der Regierung verkündete Premier­minister Kishida im August 2024, bei der anstehenden Wahl des LDP-Vor­sitzenden nicht mehr anzutreten.

Ishiba eingeschlossen stellten sich neun Kandidatinnen und Kandidaten zur Wahl – eine Rekordzahl in der Parteigeschichte. Ein Hauptgrund dafür war der Wegfall des Ein­flusses der Faktionen, die bei voran­gegangenen Wahlen aus ihren Reihen nur jeweils eine Kandidatin oder einen Kandi­daten zugelassen hatten. Nachdem in der ersten Abstimmungsrunde niemand die absolute Mehrheit der Stimmen erhalten hatte, setzte sich Ishiba, der teils liberale, teils konservative Standpunkte vertritt, in einer Stichwahl gegen die rechtskonservative Politikerin Takaichi Sanae durch. Besorgt über den Verlust öffentlichen Vertrauens gegenüber der LDP, entschieden sich wohl etliche Ab­geordnete für Ishiba, in der Hoffnung, dass er mit seinem Außenseiter-Image für einen glaubhaften Neuanfang stehen würde. Takaichi, die als Protegé Abes galt, hätte einen solchen Neubeginn dagegen nur schwer verkörpern können.

Denkzettel in der Unterhauswahl

Unmittelbar nach seiner Bestätigung als Premierminister am 1. Oktober 2024 setzte Ishiba Neu­wahlen an, um sich zu Beginn seiner Regie­rungszeit ein Mandat der Wäh­ler zu sichern. Sein selbstgestecktes Ziel, gemein­sam mit dem kleineren Koalitionspartner Komeito eine absolute Mehrheit der 465 Unterhaussitze zu gewin­nen, ver­fehlte er jedoch krachend. In der Wahl am 27. Oktober erlangte die Regierungs­koali­tion nur 215 Sitze, büßte damit 64 Sitze ein und verlor so ihre komforta­ble Mehrheit. Unter den Oppositionsparteien erzielte die Constitutional Democratic Party (CDP), geführt vom frühe­ren Premier­minis­ter Noda Yoshihiko, die größ­ten Zu­gewinne und stellt nun 148 Abgeordnete. Die zwei nächstkleineren Oppo­sitions­­parteien sind mit 38 Sitzen die in der Region Osaka ver­wurzelte Japan Innovation Party (JIP) und mit 28 Sitzen die Democratic Party for the People (DPFP), welche die Zahl ihrer Sitze vervierfachte.

Entscheidend für das schlechte Ergebnis der Regierungskoalition war, dass Ishiba seine Glaubwürdigkeit als Reformer und Erneuerer in der Öffentlichkeit verlor, weil er nach Übernahme des Partei­vorsitzes, offenbar getrieben durch parteiinterne Interessen, von vorherigen Ver­sprechen abrückte. Mit der schnellen Auf­lösung des Parlaments widersprach er seiner zuvor vertretenen Position, dass Wahlen erst nach ausgiebiger Debatte mit der Op­posi­tion stattfinden sollten. In die Kritik geriet Ishiba besonders für seinen Umgang mit skandalbelasteten LDP-Politikern, nachdem er im Wahlkampf mehr Transparenz und eine Aufarbeitung der Parteispendenaffäre angekündigt hatte. Zwar wurde zwölf von ihnen eine offizielle LDP-Kandidatur ver­weigert, doch die Partei ließ die meisten anderen in ihren Wahlkreisen antreten. Schließlich wurde nur wenige Tage vor der Wahl bekannt, dass Finanzmittel der Partei auch an diejenigen lokalen Orts­verbände geflossen waren, die von »bestraf­ten« Kandi­daten ohne offizielle LDP-Unter­stützung geführt wurden. Für viele Beob­achter war dies de facto Wahlkampfhilfe und bewies den mangelnden Reformwillen der LDP.

Hinzu kam, dass Ishiba die Wählerschaft wohl auch in einem anderen wichtigen The­menfeld – der Wirtschaft – wenig überzeugte. Seit der Corona-Pandemie belas­ten steigende Lebenshaltungskosten die privaten Haushalte. Der japanische Yen hat seit 2022 massiv an Wert verloren, was die Inflation verschärfte. Im Wahlkampf ging Ishiba jedoch mit seinen Forderungen trotz wach­sender Probleme kaum über die wirtschaftspolitischen Ideen seines Vor­gängers Kishida hinaus, abge­sehen von einigen Akzenten wie etwa der Anhebung des Mindestlohns.

Die niedrige Wahlbeteiligung von knapp 54 Prozent – die drittniedrigste in Japans Nachkriegsgeschichte – zeigt auch, dass die Oppositionsparteien keinen Begeisterungssturm unter japanischen Wählern aus­lösten. Anders war dies bei der historischen Wahl 2009, die der Oppo­sition einen Erd­rutschsieg bescherte und bei der die Wahl­beteiligung fast 70 Prozent betrug.

Fragile Minderheitsregierung

Nach der Wahl entstand eine Pattsituation: Weder der LDP noch der größten Opposi­tionspartei CDP gelang es, andere Parteien für eine Mehrheit zu gewinnen. Eine »große Koalition« kam für die CDP nicht in Frage, da sie mit der Forderung nach einem Regie­rungswechsel Wahlkampf betrieben hatte. Die zwei nächstkleineren Oppositions­parteien JIF und DPFP sahen kaum Vorteile darin, eine Koalition mit einer der größeren Parteien einzugehen, denn eine solch enge Zusammenarbeit mit der skandalbelasteten LDP könnte ihr Image schädigen – und das vor der für Juli 2025 anberaumten Ober­hauswahl. Gute Gründe hatten beide auch gegen eine Koalition mit der CDP. Wegen der Sitz­verteilung im Unterhaus wäre es noch schwieriger, eine Mehrheit zu errei­chen, und gleichzeitig könnte die LDP-Komeito-Mehr­heit im Oberhaus Gesetzesvorhaben blockieren.

Mit Hilfe der Stimmen von LDP und Komeito wurde Ishiba Mitte November daher in einer Stichwahl erneut als Premier­minister bestätigt. Seine Minderheitsregierung steht nun vor der Herausforderung, parla­mentarische Mehrheiten für Gesetzesvorhaben und Haushaltsbeschlüsse zu orga­nisieren. Grundsätzlich besteht jederzeit die Gefahr, dass die Ishiba-Regierung durch einen Misstrauensantrag der Opposition zu Fall gebracht wird – vorausgesetzt, mehre­re Oppositionsparteien unterstützen diesen Schritt. Tatsächlich hat die CDP angedeutet, einen solchen Antrag für die Ende Januar 2025 beginnende ordentliche Sitzungsperiode des Parlaments in Erwägung zu ziehen. In jedem Fall wird die Aushandlung von Kom­promissen mit Oppositionsparteien absehbar viel Zeit und Aufmerksamkeit der Regierungsparteien fordern.

Viele Beobachter glauben vor diesem Hintergrund, dass sich Ishiba nicht lange im Amt halten wird. Im Vorfeld der Ober­hauswahl könnten sich die Oppositions­parteien von der LDP-Komeito-Regie­rung abgrenzen wollen, was Einigungen noch erschweren könnte. Sollten sich die Erfolgs­aussichten der LDP für die Oberhauswahl nicht verbessern, könnte auch innerparteiliche Kritik an Ishiba wieder laut werden.

Zweifellos sind die Herausforderungen für Ishiba immens. Trotzdem ist nicht aus­geschlossen, dass er mit seiner Regierungs­koalition einen konstruktiven Modus für die Zusammenarbeit mit DPFP oder JIF findet. Dafür dürften aber substantielle Zugeständnisse an die Oppositionsparteien von­nöten sein. Vor allem die DPFP hat be­tont, dass sie für »Lösungen statt Konfrontation« steht und für eine Kooperation von Fall zu Fall offen ist. In ihrem auf innen­politische Themen fokussierten Wahl­kampf hat die DPFP steuerliche Entlastungen ge­fordert, allen voran die Erhöhung des Ein­kommensteuerfreibetrags und die Sen­kung der Kraftstoffsteuer. Während seiner ersten Rede vor dem neuen Parlament Ende November 2024 erklärte Ishiba, er beabsichtige, den bestehenden Einkommensteuerfrei­betrag heraufzusetzen. Damit wollte er offen­sichtlich der DPFP entgegenkommen. Dennoch gibt es an­gesichts klammer Staats­kassen Widerstände in der LDP, denn Schät­zungen zufolge wür­den die Steuereinnahmen jährlich um 7 bis 8 Billionen Yen (etwa 44 bis 51 Milliarden Euro) sinken, wenn der Vorschlag der DPFP zum Freibetrag verwirk­licht würde.

Die Verabschiedung des Nachtragshaushalts im Dezember 2024 kann als Indiz dafür gewertet werden, dass ein konstruktiver Modus zwischen Regierungskoalition und Opposition möglich ist. Sowohl die DPFP als auch die JIP unterstützten die Ver­ab­schiedung des Haushalts mit ihren Stim­men, nachdem die LDP Bereitschaft gezeigt hatte, über deren Forderungen zu verhandeln. Die JIP will mit Ishiba über die Ab­schaffung von Studiengebühren an Ober­schulen sprechen.

Auch zur Parteienfinanzierung hat die LDP Kompromisse mit Oppositionsparteien wie CDP, DPFP und JIP ausgehandelt. Im Dezember 2024 verabschiedete das Parla­ment drei entsprechende Gesetzesänderungen, die für mehr Transparenz bei der Nut­zung von Geldern sorgen sollen. Uneinigkeit herrscht allerdings noch in der Frage, ob Parteispenden aus den Händen von Unternehmen und anderen Organisationen verboten werden sollen. Die LDP, die von derlei Spenden stark profitiert, lehnt einen solchen Vorschlag der CDP ab. In der kom­menden parlamentarischen Sitzungsperiode ab Ende Januar 2025 wird die CDP dieses Thema wohl erneut auf die Tagesordnung setzen.

Ob Ishiba mit der Opposition einen kon­struktiven Modus fortsetzen kann, werden vor allem die bevorstehenden Verhandlungen über den regulären Haushalt zei­gen. Sollte Ishiba dabei indes allzu bereitwillig auf Forderungen der Opposi­tion eingehen, könnten ihm parteiinterne Kritiker man­gelnde Standfestigkeit und Führungsstärke vorwerfen.

Trotz fragiler innenpolitischer Lage bie­tet sich für Japan nach der Unterhauswahl auch eine Chance, nämlich die parlamentarische Debattenkultur zu stärken. Während der letzten Jahre, in denen die LDP-Komeito-Koalition dominierte, war das Parlament in politischen Prozessen ein schwacher Akteur, dessen Hauptaufgabe darin bestand, Be­schlüsse der Regierungskoalition offiziell zu bestätigen und zu legitimieren. Von den 17 Vorsitzen Ständiger Ausschüsse im Unter­haus haben Oppositionsparteien nun sieben, fünf mehr als zuvor, und können so mehr Einfluss auf Zeitplan und Agenda ausüben. Zum ersten Mal seit 30 Jahren verfügt eine Oppositionspartei, die CDP, über den Vor­sitz des mächtigen Haushaltsausschusses. Das eröffnet die Möglichkeit, Debatten mit Kabinettsmitgliedern zu einem breiten Themenspektrum anzusetzen.

Japans schwieriges Umfeld

Im Wahlkampf spielten außen- und sicher­heitspolitische Themen eine größere Rolle als bei der letzten Unterhauswahl 2021. Japans Sicherheitsumfeld hat sich in den vergangenen Jahren infolge regio­naler Auf­rüstungstendenzen und militärischer Provo­kationen massiv verschlechtert. China hat seine militärischen Aktivitäten um den Insel­staat intensiviert. Im August 2024 drang erstmals ein chinesisches Militär­flugzeug in den japanischen Luftraum ein, und im Sep­tember durchquerte ein chinesischer Flug­zeugträger das Gewässer zwischen zwei japa­nischen Inseln nahe Taiwan. Zugleich sind die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel gewachsen, und Nordkorea erhält von Russland im Gegenzug für seine Unter­stützung im Krieg gegen die Ukraine wohl technische Hilfe für seine Nuklear- und Raketenprogramme.

Seit der Unterhauswahl in Japan sind zwei weitere außenpolitische Her­ausforde­rungen hinzugekommen: In den USA, Japans wichtigstem Bündnispartner, kehrt am 20. Januar 2025 Donald Trump ins Weiße Haus zurück. Für Tokio verstärkt Trumps transaktionaler America-First-Ansatz die Zweifel an der Glaubwürdigkeit der USA als verlässlicher Sicherheitspartner. Gleichzeitig fürchtet Tokio bilaterale Strei­tigkeiten, zum Beispiel über sicherheits­politische Lastenteilung, sowie die Unwäg­barkeiten von Trumps Außenpolitik, etwa in Bezug auf die Spannungen in der Taiwan-Straße und um Nord­korea. Eine zweite Herausforderung für Japan ist die Staatskrise in Südkorea um den sus­pen­dier­ten Präsidenten Yoon Suk Yeol, nach­dem dieser Anfang Dezember 2024 kurz­zeitig das Kriegsrecht ausgerufen hatte. Für Japan bedeutet dies einen Rück­schlag, denn unter Yoon hatte sich das japanisch-koreanische Verhältnis in den letzten zwei Jahren deut­lich verbessert, und auch die trilaterale Ko­operation mit den USA war vertieft worden.

Außen- und sicherheitspolitische Prioritäten unter Ishiba

Angesichts des schwierigen Sicherheits­umfelds spricht sich Ishiba dafür aus, Japans Verteidigungsfähigkeiten zu stärken und die sicherheitspolitische Ko­operation mit den USA zu intensivieren. Mit Präsident Trump plant Ishiba ein bal­diges Gipfel­treffen. In der Verteidigungs­politik steht der japanische Premier für Kontinuität mit seinem Vorgänger Kishida. Nach dem rus­sischen Einmarsch in die Ukraine, der für Kishida einen »histo­rischen Wendepunkt« – also eine Art Zeiten­wende – markierte, gab Japan Ende 2022 weitreichende sicher­heitspolitische Weichen­stellungen bekannt. Tokio bekun­dete damals unter anderem die Absicht, bis 2027 seine Ausgaben für Ver­teidigung und weitere sicherheitspolitische Bereiche auf ein Niveau von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 2022 zu steigern. 2024 lag das Verteidigungsbudget mit fast 8 Billionen Yen (etwa 50 Milliarden Euro) bereits um satte 47 Pro­zent höher als noch 2022. Diesen sicherheits­politischen Kurs möchte Ishiba also fort­setzen.

Zustimmung findet er dafür nicht nur beim Koalitionspartner Komeito, sondern auch bei den wichtigen Oppositionsparteien JIP, DPFP und sogar der CDP. Diese hatte in den vergangenen Jahren eher »linke« Positionen vertreten und beispielsweise die Anschaffung von Mittelstreckenraketen in Frage gestellt. Unter dem Vorsitz Nodas ist sie umgeschwenkt und befürwortet nun eine »realistische Außen- und Sicherheits­politik«. Der breite Konsens über die Not­wendigkeit besserer Verteidigungsfähig­keiten dürfte durch die erneute Präsidentschaft Trumps bestärkt werden.

Trotzdem muss Ishiba mit Gegenwind der Opposition in der Finanzierungsfrage rechnen. Abgelehnt haben CDP, JIP und DPFP im Wahlkampf die von der LDP ge­plante Erhebung zusätzlicher Steuern für mehr Verteidigungsausgaben, unterbreiteten aber keine alter­nativen Finanzierungsvorschläge. Schon mehrfach hat die Regie­rungskoalition den Beschluss über die Steuer­erhöhungen verschoben. Eine Eini­gung über die unpopuläre Maßnahme vor den Oberhauswahlen erscheint schwierig – was Japans Pläne zum Fähigkeitsaufbau beein­trächtigen könnte.

Gegenüber China will Ishiba aber nicht nur auf Abschreckung setzen. Wie­der­holt betonte er, dass Japan alle Möglichkeiten des Dialogs mit Beijing nutzen sollte, um die Beziehungen zu stabilisieren sowie Missverständnisse und Eskalationen zu ver­meiden. Angesichts der Rückkehr Trumps und der damit einhergehenden Unsicherheiten scheint Chinas Interesse an einem besseren Verhältnis mit Japan zu wachsen. Zu­min­dest sind zögerliche Signale aus Beijing zu erkennen. Beispielsweise hat die chinesische Regierung angedeutet, dass sie das seit 2023 geltende Einfuhrverbot für japanische Fischereiprodukte schritt­weise auf­heben wolle. Medienberichten zufolge soll Ishiba auch die Möglichkeit eines bilateralen Staatsbesuchs ins Spiel gebracht haben.

Für Ishiba ist es ein großes Anliegen, die Beziehungen mit Südkorea weiter zu ver­bessern. Ein eigentlich für Anfang Januar 2025 geplanter Besuch des japanischen Premiers in Seoul musste aber wegen der Staatskrise in Südkorea abgesagt werden. Sollte dort die derzeit oppositionelle Demo­cratic Party mit ihrer japankritischen Hal­tung durch Neu­wahlen an die Macht kom­men, könnte sich das bilaterale Verhältnis wieder verschlechtern.

Vor seiner Wahl zum Premierminister hatte Ishiba mit zwei umstrittenen Ideen im Bereich Sicherheitspolitik für Aufsehen gesorgt. Erstens hatte er gefordert, eine asia­tische Nato als kollektives Verteidigungsbündnis zu schaffen – eine Idee, die er bereits seit etlichen Jahren verfolgt. Zwei­tens verlangte er, das Stationierungsabkom­men (Status of Forces Agreement) mit den USA zu überarbeiten, das seit 1960 besteht. Als unfair kritisierte er bestimmte Privilegien, die die USA durch das Abkommen genießen. Mit den zwei Vorschlägen stieß er allerdings auf harsche Kritik bei ameri­kanischen Außen- und Sicherheitspolitikexperten und sogar bei Beamten des State Depart­ment. Zurückgewiesen wurden Ishibas Ideen auch von anderen asiatischen Län­dern und aus den Reihen seiner eigenen Partei. In Ishibas zwei Grundsatzreden als Premierminister vor dem Parlament hat er die beiden Vorschläge nicht wieder auf­gegriffen – insofern scheinen sie in den Hintergrund zu rücken. Lediglich eine parteiinterne Kommission zu sicherheits­politischen Themen soll über Ishibas Ideen beraten.

Ausblick

Die jahrzehntelange Erfolgsgeschichte der LDP als dominante Regierungspartei schien eine Fortsetzung zu finden, nachdem sie unter Abe Shinzo 2012 nach dreieinhalb Jahren in der Opposition wieder an die Macht gekommen war. Eine Vielzahl wich­tiger Vor­haben wurde seitdem in der Außen-, Sicher­heits- und Wirtschaftspolitik auf den Weg ge­bracht. Doch nach der Unterhauswahl 2024 ist die LDP mit dem Koali­tionspartner Komeito als Minderheitsregierung erheblich geschwächt – die Oppositionsparteien können mehr Einfluss auf politische Debatten und Entscheidungen nehmen. Insgesamt ist die innenpolitische Lage nun fragiler, und es bleibt abzu­warten, wie lange sich Premierminister Ishiba im Amt hält.

Die neuen politischen Machtverhältnisse in Tokio dürften indes keine großen außen­politischen Schwerpunkt­veränderungen mit sich bringen, da Regierungs- und Oppo­sitionsparteien in wesentlichen Fragen große Einigkeit zeigen. Weil Ishiba aber mehr Aufmerksamkeit auf die Innen­politik rich­ten muss, ist sein Spielraum für außen­politische Initiativen eingeschränkt.

Japan spielt im Indo-Pazifik eine zentrale, stabilisierende Rolle, die auch für Europa von Bedeutung ist. Als wichtigster Bündnispartner der Region ermöglicht Japan den USA ihre massive militärische Präsenz, mit der Länder wie China oder Nordkorea von einseitigen Veränderungen des Status quo abgeschreckt werden sol­len. Mit dem Ausbau seiner eigenen militärischen Fähigkeiten trägt Japan zur Stärke des Bündnisses mit den USA bei. Zudem setzt sich Japan als stabile Demokratie für liberale Grundwerte und eine regelbasierte internationale Ordnung ein, etwa durch sein Konzept des Free and Open Indo-Pacific (FOIP) ebenso wie durch seine mas­sive Unterstützung für die Ukraine.

In Anbetracht der großen internationalen Herausforderungen sollten Deutschland und Europa die Beziehungen mit Japan weiter intensivieren. Sinnvoll wäre es für beide Seiten beispielsweise, sich über außen­­politische Pläne der Trump-Adminis­tration auszutauschen und Positionen dazu ge­gebe­nenfalls abzustimmen. Bedeutsam sind auch ein enger Austausch und Kooperation im sicherheitspolitischen Bereich, nicht zu­letzt weil Russland seine Zusammen­arbeit mit Nord­korea und China intensiviert.

Dr. Alexandra Sakaki ist Stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe Asien.

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