Dr. Wolfram Lacher ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten.
Der Autor dankt Felix Heiduk, Guido Steinberg und Clara‑Auguste Süß für ihre hilfreichen Kommentare.
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Gängige Ansätze zur Analyse islamistischer Mobilisierung können schwer erklären, warum sich militant islamistische Bewegungen in Libyen nach 2011 zunächst rasch ausbreiteten und dann wie über Nacht fast völlig verschwanden. Ihr Niedergang stellt für herkömmliche Analysemuster ein Rätsel dar.
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Taktische Handlungslogiken wie die Suche nach Schutz oder Verbündeten beförderten sowohl Aufstieg als auch Niedergang militanter Islamisten. Welche taktischen Erwägungen für Konfliktakteure in Frage kamen, wurde auch durch soziale Faktoren bedingt, zum Beispiel die Vertrauensbeziehungen, die sie unterhielten, und die gesellschaftliche Akzeptanz, die sie genossen.
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Die kurzlebige Blüte militant islamistischer Bewegungen kann unter anderem als Modeerscheinung verstanden werden. Ihre Protagonisten strebten wahlweise nach sozialer Abgrenzung oder Konformität, indem sie sich oberflächlich islamistische Rhetorik und Ästhetik aneigneten und anschließend wieder ablegten.
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Erst ein Blick auf den dramatischen Niedergang militanter Islamisten zeigt die ganze Bandbreite der Beweggründe, die ihren Aufstieg beförderten. Insbesondere soziale Anerkennung wurde als Motivation für bewaffnete Mobilisierung bislang vernachlässigt.
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Der libysche Fall unterstreicht, dass im Kontext anhaltender Konflikte äußerste Vorsicht gegenüber Etiketten wie »Islamisten« und »Jihadisten« geboten ist. Externe Akteure sollten erstens beachten, dass Konfliktparteien solche Kategorien gezielt einsetzen, und zweitens ein genaues Verständnis des sozialen Umfelds entwickeln, in dem militant islamistische Bewegungen agieren.
Inhaltsverzeichnis
1 Problemstellung und Schlussfolgerungen
2 Aufstieg und Niedergang militanter Islamisten in Libyen, 2011–2020
2.1 Wer war tatsächlich Islamist?
3 Analysen militant islamistischer Mobilisierung – und das Rätsel Libyen
3.1 Was sind militante Islamisten?
4 Soziale Mechanismen des Aufstiegs und des Niedergangs
4.1 Aufstieg: Taktische Handlungslogiken
4.2 Niedergang: Taktische Handlungslogiken
4.3 Aufstieg: Soziale Einbettung und gesellschaftliche Akzeptanz
4.4 Niedergang: Soziale Distanzierung und Isolation
Problemstellung und Schlussfolgerungen
Wie in anderen Ländern des arabischen Frühlings hatten auch in Libyen militant islamistische Strömungen in den ersten Jahren nach dem Sturz des Machthabers Hochkonjunktur. Nach dem Ende der Herrschaft Muammar al-Gaddafis 2011 erhielten sie regen Zulauf von jungen Libyern und profitierten von der Eskalation gewaltsamer Konflikte, die sie zu Bündnispartnern anderer bewaffneter Gruppen machten. Doch von 2016 an verloren diese Strömungen dramatisch an Bedeutung und Attraktivität – eine Entwicklung, die etwa zeitgleich auch in anderen Staaten der Region zu beobachten war. Dafür gab es naheliegende Gründe, allen voran die militärischen Niederlagen militant islamistischer Gruppen und die Verteufelung sämtlicher Islamisten durch libysche und regionale Medien.
Dennoch gibt der jähe Fall militanter Islamisten in Libyen Rätsel auf. Er lässt sich nämlich schwer vereinen mit den beiden führenden Erklärungsansätzen für jihadistische Mobilisierung: Eine Schule legt das Gewicht auf die Rolle ideologischer Radikalisierung bei der Ausbreitung militant islamistischer Gruppen. In dieser Radikalisierung sieht sie den Grund für die besondere Hartnäckigkeit besagter Gruppen, die in Libyen aber offenbar fehlte. Zudem stellt sich die Frage, warum islamistische Ideologie plötzlich an Attraktivität verlor. Ein anderer Ansatz betont dagegen, dass militante Islamisten von Konflikten und Missständen profitieren, da sie dadurch Zulauf von Anhängern bekommen, die nichtideologische Ziele verfolgen. Doch in Libyen dauerten die politische Spaltung und die bewaffneten Konflikte auch nach 2016 an, während militante Islamisten in ihnen immer irrelevanter wurden. Als 2019 ein dritter Bürgerkrieg ausbrach, wurde allgemein erwartet, dass er zu einer erneuten Mobilisierung jihadistischer Gruppen führen würde. Nichts dergleichen geschah.
Die vorliegende Studie geht der Frage nach, wie sich die abrupte Schicksalswendung militanter Islamisten in Libyen erklären lässt – und was sie uns über die Triebkräfte islamistischer Mobilisierung lehrt. Der hier gewählte Ansatz stützt sich auf Interviews mit Anhängern und Verbündeten militant islamistischer Gruppen sowie mit Akteuren, die deren Entwicklung in ihrem unmittelbaren sozialen Umfeld beobachteten. Wiederkehrende Muster in diesen Interviews ergeben drei Mechanismen, die im Aufstieg und Fall militant islamistischer Bewegungen in Libyen identifizierbar sind.
Da sind erstens taktische Erwägungen: Akteure schlossen sich militanten Islamisten an und gingen Bündnisse mit ihnen ein oder distanzierten sich von ihnen, um auf die Entwicklung des Konfliktgeschehens zu reagieren – etwa um einer unmittelbaren Bedrohung zu begegnen. Dieser Aspekt ist aus gängigen Analysen jihadistischer Mobilisierung weithin bekannt.
Zweitens: Welche taktischen Entscheidungen in Frage kamen, hing unter anderem von der sozialen Einbettung der Akteure ab und davon, was gesellschaftlich akzeptabel war. Militante Islamisten profitierten von einem dichten Netzwerk von Vertrauensbeziehungen mit ehemaligen Revolutionären, das auf den gemeinsamen Kampf 2011 zurückging. Deshalb konnten Jihadisten in den ersten Jahren nach 2011 offen mobilisieren und 2014 zu Bündnispartnern ihrer ehemaligen Waffenbrüder avancieren. Es waren vor allem die Konfrontationen der ehemaligen Revolutionäre mit dem Islamischen Staat (IS) im Jahr 2016, die deren Vertrauen auch zu anderen Akteuren im militant islamistischen Spektrum zerrütteten; alte Freundschaften brachen entzwei. Bei Ausbruch des dritten Bürgerkriegs 2019 war eine erneute taktische Allianz mit militanten Islamisten nicht nur unter realpolitischen Gesichtspunkten keine Option mehr, sondern auch deswegen, weil die sozialen Bande mit ihnen zerrissen waren.
Drittens aber speiste sich der Aufstieg militanter Islamisten ab 2011 auch aus der oberflächlichen Aneignung islamistischer Ästhetik und Rhetorik durch Akteure, die sich dadurch hervorheben oder an andere anpassen wollten. Das jähe Verschwinden militant islamistischer Bewegungen wurde ebenfalls durch dieses Wechselspiel von Abgrenzung und Nachahmung angetrieben. Revolutionärer Islamismus war in Libyen nach Gaddafi nicht zuletzt eine Modeerscheinung, Jihadismus eine ephemere Jugendkultur. Das Schlüsselereignis des Kampfes gegen den IS setzte zweifellos einen wichtigen Impuls dafür, dass der damit verbundene Habitus aus der Mode kam und andere Modelle für den Gewinn an sozialem Status an seine Stelle traten. Erklärungsbedürftig ist dabei allerdings die Rapidität, mit der dieser Impuls gesellschaftliche Kreise erfasste, die zuvor wenig Berührungsängste gegenüber militanten Islamisten gehabt hatten. Prozesse der Nachahmung, die sich durch das Gewicht des Konformismus verstärken, können hier zum Verständnis beitragen.
Insbesondere mit diesem dritten Mechanismus, der militanten Islamismus im Post-Gaddafi-Libyen als Modephänomen analysiert, setzt sich diese Studie von vielen bisherigen Arbeiten zu islamistischer Mobilisierung ab. Untersuchungen zu militant islamistischen Gruppen haben sich ganz überwiegend mit deren Ausbreitung beschäftigt; mit ihrem Rückgang wesentlich seltener. Das ist nachvollziehbar, da diese Gruppen in erster Linie als Sicherheitsproblem wahrgenommen werden und vor allem dann ins Licht der Aufmerksamkeit rücken, wenn sie sich an eskalierenden Konflikten beteiligen. Doch der exzessive Fokus auf Mobilisierung hat analytische Ansätze begünstigt, die Entwicklungen wie die in Libyen nicht adäquat erklären können – und der Fall Libyen steht in dieser Hinsicht keineswegs allein da. Wenn der Niedergang militant islamistischer Bewegungen gleichermaßen in den Blick genommen wird, ergibt sich ein anderes Bild sowohl ihres Aufstiegs als auch ihres Falls.
Eine so angelegte Analyse macht es zudem leichter, die ganze Vielfalt von Beweggründen derer zu erfassen, die sich militant islamistischen Gruppen anschlossen oder mit ihnen paktierten. Es wird deutlich, wie problematisch Kategorien wie »Islamisten« und »Jihadisten« oftmals zu dem Zeitpunkt waren, als diese Etikettierung konfliktrelevant war. Die Protagonisten der libyschen Machtkämpfe waren sich der dämonisierenden Wirkung dieser Bezeichnungen oft gut bewusst und verwendeten sie absichtlich in inflationärer Weise. Ausländische Beobachter übernahmen diese Praxis meist, weil sie die damit designierten Akteure und ihr soziales Umfeld nicht aus eigener Erfahrung kannten. Wie unterschiedlich die Motivationslagen und das Ausmaß ideologischer Hingabe bei jenen sein konnten, die hier unter dem breiten Begriff »militante Islamisten« subsumiert werden, zeigt diese Studie.
Aufstieg und Niedergang militanter Islamisten in Libyen, 2011–2020
Nach dem Sturz Gaddafis 2011 entwickelte sich in Libyen ein florierendes Spektrum militant islamistischer Gruppen. In immer mehr Städten traten solche Gruppen offen auf, übernahmen Sicherheitsfunktionen und schmiedeten Allianzen mit anderen Milizen in den eskalierenden Machtkämpfen. Aus radikalen Splittergruppen entwickelten sich mächtige libysche Ableger des Islamischen Staates und machten 2015 Sirt zur Hauptstadt seiner »Provinz Tripolitanien«. Zu jener Zeit schien es, als ob jihadistischen Gruppen in Libyen eine große Zukunft bestimmt sei.1 Doch ebenso rasch, wie sie sich ausgebreitet hatten, verschwanden militante Islamisten auch wieder aus der Akteurslandschaft Libyens. Bewaffnete Gruppen auf beiden Seiten des libyschen Machtkampfs vertrieben den IS aus den Städten. Bald distanzierten sich ehemalige Verbündete auch von weniger radikalen Gruppen islamistischer Tendenz, die sich zunehmend isoliert sahen und rapide an Einfluss verloren. Unter den Kräften, die seit dem Ende des Krieges um Tripolis im Juni 2020 die Politik Libyens bestimmen, spielen militante Islamisten keine Rolle mehr.
Die Ausbreitung des militanten Islamismus in Libyen speiste sich aus tiefen Wurzeln. Eine beträchtliche Zahl von Libyern war ab Ende der achtziger Jahre nach Afghanistan gegangen, um dort zu kämpfen. In den neunziger Jahren gründeten einige von ihnen die Kämpfende Islamische Gruppe in Libyen (Libyan Islamic Fighting Group, LIFG), die sich 1995–1998 immer wieder Gefechte mit dem Gaddafi-Regime lieferte, bevor ihre Mitglieder entweder im Gefängnis saßen oder ins Ausland geflüchtet waren.2 Nach der US-amerikanischen Invasion des Irak stellten Libyer einen weit überproportionalen Anteil an den ausländischen Kämpfern dort. Viele von ihnen kamen zudem aus einigen wenigen libyschen Städten, von denen manche bereits LIFG-Hochburgen gewesen waren.3 Schon damals hatte sich also in bestimmten Städten Libyens eine jihadistische Subkultur entwickelt.
Während des ersten Bürgerkriegs (2011) waren militante Islamisten Teil der revolutionären Kräfte. Sie bildeten keine eigenen jihadistischen Gruppen, sondern kämpften Seite an Seite mit nichtislamistischen Revolutionären. So wurden sie mit dem Sturz Gaddafis nicht nur zu Siegern, sondern hatten darüber hinaus solide Beziehungen zu anderen Revolutionären geschaffen.
Nach dem Sieg der Revolutionäre wurden ehemalige LIFG-Anführer und militante Islamisten ohne Affiliation unter anderem zu Parlamentariern und stellvertretenden Verteidigungs- oder Innenministern. Andere bauten bewaffnete Gruppen auf, die einen offiziellen Status und Zugang zu staatlichen Mitteln erhielten. Darin unterschieden sich islamistische Akteure nicht von anderen ehemaligen Revolutionären. Obgleich die ehemaligen LIFG-Anführer von ihren politischen Gegnern nun oft als »al-Qaida« oder »Terroristen« diffamiert wurden, gab es keine Hinweise darauf, dass sie weiterhin eine jihadistische Agenda verfolgten. Stattdessen gründeten sie Parteien und verschrieben sich dem Aufbau eines Staates nach ihren Vorstellungen islamischer Prinzipien – die sich im Grunde kaum vom konservativen gesellschaftlichen Konsens in Libyen unterschieden.4
Zugleich begann sich das militant islamistische Spektrum auszudifferenzieren. Jihadisten, die sich ideologisch an al-Qaida orientierten, gründeten 2012 in mehreren Städten Gruppen unter dem Namen Ansar al-Sharia. Solche und andere Gruppen leiteten Rekruten aus Libyen und anderen nordafrikanischen Staaten nach Syrien, wo diese sich der Nusra-Front und später dem Islamischen Staat anschlossen.5 In Bengasi und Darna kam es immer häufiger zu Morden an ehemaligen Armeeoffizieren und Geheimdienstmitarbeitern. Obwohl die Fälle nie aufgeklärt wurden und vermutlich diverse Hintergründe hatten, fiel der Verdacht auf Ansar al-Sharia und andere Jihadisten, die in ebenjenen Städten besonders aktiv waren. Allerdings bewahrte sich Ansar al-Sharia ein bemerkenswertes Maß an gesellschaftlicher Akzeptanz, etwa indem die Gruppe für Sicherheit im größten Krankenhaus Bengasis sorgte oder Kampagnen gegen Drogenkonsum unternahm.6
Der zweite Bürgerkrieg (2014–2015) gab militanten Islamisten einen enormen Wachstumsschub. In Bengasi schlossen ehemalige Revolutionäre mit Ansar al-Sharia ein Bündnis, um gemeinsam gegen die bewaffneten Gruppen zu kämpfen, die von dem aufständischen Offizier Khalifa Haftar angeführt wurden. Die Gegner Haftars in Westlibyen, allen voran die bewaffneten Gruppen Misratas, unterstützten die Allianz mit Ansar al-Sharia in Bengasi politisch, medial und logistisch. In Bengasi und Darna bildeten sich lokale Ableger des Islamischen Staates. Diese profitierten davon, dass Haftars Gegner sie zunächst nicht bekämpften, da sie nicht zwei Fronten zugleich eröffnen wollten. Aus ähnlichen Gründen gelang es dem Islamischen Staat, Sirt unter seine Kontrolle zu bringen: Die Stadt lag zwischen den Fronten, und weder die bewaffneten Gruppen Misratas noch deren Gegner östlich von Sirt wollten wertvolle Ressourcen darauf verwenden, sie zu besetzen. Der IS konnte also offen agieren und rekrutieren. Viele Gegner Haftars minimisierten das IS-Problem und spielten überdies die Gefahr herunter, die von Extremisten in ihrem eigenen Lager ausging.7
Haftars Gegner bekämpften den IS zunächst nicht – bis dieser zur Bedrohung wurde.
Die Wende kam, als der IS schließlich zu einer zu großen Bedrohung wurde. Im September 2015 erklärten ehemalige Revolutionäre in Darna – unter ihnen auch militante Islamisten – dem dortigen IS-Ableger den Krieg. Dieser endete im April 2016 mit der Niederlage und der Flucht der verbleibenden IS-Kämpfer. In Sabratha, wo der IS nicht offen aufgetreten war, aber zunehmend Morde und Entführungen beging, nutzten lokale bewaffnete Gruppen einen US-Luftangriff im Februar 2016, um den IS in mehrtägigen Gefechten aus der Stadt zu vertreiben. Die Expansionsversuche des IS von Sirt aus – der bei weitem größten Präsenz der Gruppe in Libyen – in Richtung Misrata lösten im Mai 2016 eine Großoffensive bewaffneter Gruppen aus Misrata aus. Im Dezember 2016 nahmen diese die letzten Straßenzüge in Sirt ein, in denen der IS noch ausgehalten hatte. Solche Auseinandersetzungen machten es Haftars Gegnern unmöglich, weiterhin die Gefahr zu verharmlosen, die von Extremisten ausging. Eine weitreichende Distanzierung von militanten Islamisten war die Folge.8
In Bengasi endete die Präsenz des IS mit der Flucht seiner Kämpfer aus der Stadt im Januar 2017. Ansar al-Sharia war zu diesem Zeitpunkt als Organisation faktisch bereits nicht mehr existent. Andere Gegner Haftars in Bengasi leisteten weiter Widerstand, bis sie im Dezember 2017 besiegt wurden. Die meisten IS-Mitglieder, die sich aus den Städten in die Wüste Zentral- und Südlibyens gerettet hatten, fielen amerikanischen Luftangriffen zum Opfer. Die letzte ostlibysche Stadt außerhalb der Kontrolle Haftars war Darna. Auch dort waren längst nicht alle seine Gegner militante Islamisten – doch Letztere bildeten den harten Kern, der erst im Februar 2019 nach langen Kämpfen besiegt wurde.9
Damit waren sowohl der Islamische Staat als auch mehrere andere militant islamistische Gruppen militärisch besiegt worden. In den Augen externer Analysten war jedoch die Gefahr neuer jihadistischer Mobilisierung keineswegs gebannt. Libyen war weiterhin politisch gespalten, Gewalt und Repression durch Haftars Kräfte und andere Milizen schufen keine nachhaltige Sicherheit, sondern Nährboden für neue Radikalisierung.10 Als Haftar im April 2019 Tripolis angriff und so einen dritten Bürgerkrieg auslöste, warnten viele wohlinformierte Beobachter, der Konflikt werde – wie schon der in Bengasi – jihadistischer Mobilisierung einen neuen Schub verleihen.11 Doch dazu kam es nicht. In dem vierzehnmonatigen Krieg spielten militante Islamisten keine Rolle. Einzelne Kämpfer mochten in früheren Phasen der Konflikte Verbindungen zu militant islamistischen Gruppen gehabt haben, doch kämpften sie nun in Verbänden, die islamistische Ideologie ablehnten. Die Anführer jener Verbände hielten Figuren, die – oft fälschlicherweise – als Extremisten verschrien waren, von ihren Einheiten fern.12
Auch nach Haftars Niederlage und dem Ende des Krieges um Tripolis konnten militante Islamisten keinen nennenswerten Einfluss zurückgewinnen. Vielleicht am erstaunlichsten war, dass es kaum Anzeichen gab für eine anhaltende Mobilisierung im Verborgenen, das heißt keine erkennbaren Splittergruppen, die sich weiter dem bewaffneten Kampf für einen islamischen Staat nach ihren Vorstellungen verschrieben. Militanter Islamismus schien nicht nur militärisch, sondern auch ideologisch und moralisch besiegt – zumindest vorerst.
Wer war tatsächlich Islamist?
Ein Teil der Antwort auf die Frage, wie das jähe Verschwinden der militanten Islamisten Libyens zu erklären ist, besteht darin, dass viele vermeintliche Islamisten in Wirklichkeit nie welche waren. Nach 2011 verwendeten zahlreiche politische Akteure und Medien in Libyen und der Region »Islamist« als Kampfbegriff. Politische Gegner wurden in die islamistische Schublade gesteckt, um sie zu diskreditieren. Es war gang und gäbe, jemanden ohne jede Grundlage als Muslimbruder zu bezeichnen oder als al-Qaida-Mitglied zu verunglimpfen. Internationale Medien, Diplomaten und Analysten übernahmen vielfach derlei Kategorien. In zahlreichen Artikeln war etwa zu lesen, dass die paramilitärischen Libya-Shield-Forces der Muslimbruderschaft naheständen oder die bewaffneten Gruppen Misratas islamistisch seien – was beides ganz einfach falsch war.13
Von einem Artikel zum nächsten immer weiter reproduziert, wurden solche Legenden zu weithin anerkannten Fakten. Das dafür verantwortliche Ringen um Konfliktnarrative war besonders virulent während des zweiten Bürgerkriegs 2014–2015. Im Krieg um Tripolis 2019–2020 versuchten die Propagandisten des Haftar-Lagers erneut, ihre Gegner als Islamisten und Terroristen zu stigmatisieren.14 Seit Haftars Niederlage wird wesentlich weniger Rekurs auf solche Propaganda genommen, was den Eindruck verstärkt, dass der Einfluss von Islamisten in Libyen stark abgenommen habe. Tatsächlich aber war dieser Einfluss vorher maßlos aufgeblasen worden.
Diese Entwicklung erklärt allerdings nur teilweise, warum militante Islamisten bis 2016 im Rampenlicht der Aufmerksamkeit standen und seit 2020 fast völlig daraus verschwunden sind. Denn neben den Phantastereien und einer oft ungenauen Berichterstattung gab es auch einen realen Aufstieg und Fall militant islamistischer Bewegungen. So gilt es etwa zu begründen, warum viele Akteure in den ersten Jahren nach 2011 geringe Berührungsängste mit militanten Islamisten hatten – was es ihren Gegnern leichter machte, sie selbst als solche einzustufen –, bevor sie sich ab 2015 zunehmend von Islamisten distanzierten.
Analysen militant islamistischer Mobilisierung – und das Rätsel Libyen
Sowohl die sozialwissenschaftliche Forschung als auch praxisorientierte Analysen haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wie und warum sich militant islamistische Bewegungen ausbreiten. Wodurch deren Niedergang zu erklären ist, war dagegen nur selten Untersuchungsgegenstand. Dabei sollte die Stichhaltigkeit von Erklärungsansätzen für militanten Islamismus auch daran geprüft werden, ob sie dessen Rückgang begründen können.
Die vorherrschenden Ansätze zur Erklärung militant islamistischer Mobilisierung unterscheiden sich vor allem darin, wie sie die Rolle von Ideologie gegenüber anderen Mobilisierungsgründen bewerten. Simplifizierende Positionen, die Ideologie entweder zum wichtigsten Faktor erklären oder gänzlich verwerfen, bestimmen zwar kaum mehr die wissenschaftliche Debatte. Auch ein weiterer theoretischer Graben wird allmählich überwunden: zwischen der Tendenz, Ideologie lediglich als Instrument in der Hand von Eliten abzutun, und der Annahme, Mitglieder ideologisch definierter Gruppen seien ›wahre Gläubige‹, deren Handeln von ihren Glaubensgrundsätzen geleitet sei. Eine Reihe von Arbeiten zeigt, dass Ideologie in ein und derselben Organisation diese beiden und noch weitere Funktionen erfüllen kann.15
In Politik und Sicherheitsbehörden erfreut sich das schwammige Konzept der Radikalisierung immer noch großer Popularität, womit sich oftmals ein starker Fokus auf Ideologie verbindet.16 Nuancierte wissenschaftliche Ansätze betrachten die Verinnerlichung extremistischen Gedankenguts hingegen als einen Aspekt von Radikalisierungsprozessen, die oft stärker von sozialer Abkapselung und gewaltsamer Auseinandersetzung angetrieben werden.17 Davon abgesehen aber gilt weithin die Annahme, dass ideologische Sozialisierung und Indoktrination militant islamistische Gruppen überaus zäh und widerstandsfähig macht. Schon allein die Kategorie »jihadistische Gruppe« suggeriert, es handele sich dabei um einen Akteur sui generis, dessen Eigenheit in der besonders wichtigen Rolle von Ideologie besteht.18 Die These vom strategischen »Vorteil des Extremisten« geht davon aus, eine extremistische Ideologie könne Vertrauen zwischen Mitgliedern einer bewaffneten Gruppe stärken und somit auch ihre Kampfkraft.19 Bisher kaum berücksichtigt wird, dass der Anteil hartgesottener Ideologen von einer Gruppe zur nächsten erheblich variiert.20
Die gängigen Ansätze würden also grundsätzlich erwarten lassen, dass Ideologie militanten Islamisten in Libyen Zusammenhalt verleiht und sie so zu einer außerordentlich hartnäckigen politischen und militärischen Kraft macht. Der plötzliche Niedergang militant islamistischer Gruppen wirft folglich die Frage auf, welche Rolle Ideologie in diesen Gruppen tatsächlich gespielt hat. Die Entwicklung in Libyen in dieser Hinsicht ist über den Einzelfall hinaus relevant: Im gleichen Zeitraum verlor die ehemals florierende jihadistische Bewegung im benachbarten Tunesien ebenfalls rapide an Zulauf.21
Auch die entgegengesetzte analytische Schule kommt mit dem libyschen Fall an die Grenzen ihrer Erklärungskraft: die Schule, die nichtideologische Gründe für jihadistische Mobilisierung in den Vordergrund rückt. Sowohl unter Sozialwissenschaftlern als auch bei Think-Tanks und Nichtregierungsorganisationen war es in den letzten zwei Jahrzehnten üblich, die Rekrutierungs- und Mobilisierungserfolge jihadistischer Gruppen vor allem als Symptom für grundlegende politische und gesellschaftliche Missstände zu sehen. Willkürliche Repression durch autoritäre Regime radikalisiere oppositionelle Gruppen – etwa in Gefängnissen, in denen zu Unrecht verhaftete junge Menschen zusammen mit überzeugten Ideologen einsitzen.22
Anwendungsorientierte Analysen von jihadistischen Gruppen als Bürgerkriegsparteien betonen oft, dass sich der Zulauf zu diesen Gruppen durch taktische Allianzen erkläre oder durch die Suche nach Schutz gegenüber staatlichen Sicherheitskräften und deren ausländischen Unterstützern.23 Aufgrund der zahlreichen zivilen Opfer habe sich der Antiterrorkampf der USA und verbündeter Staaten nach 2001 als ausgesprochen kontraproduktiv erwiesen; ja, er habe Jihadisten ein »Rekrutierungsbonanza« beschert.24 In den Sahelstaaten wiederum habe pauschale Schikanierung ganze Bevölkerungsgruppen in die Arme von Jihadisten getrieben.25 Als wichtige Faktoren, sich an jihadistischen bewaffneten Gruppen zu beteiligen, werden ferner sozioökonomische Missstände genannt und aus ihnen hervorgehende Wut über eine als ungerecht empfundene Wirtschaftsordnung sowie schließlich finanzielle Anreize.26 Demgemäß erfordere der Kampf gegen jihadistische Gruppen in erster Linie, die fundamentalen Triebkräfte der Konflikte einzuhegen und für eine gerechtere, effektivere Staatlichkeit zu sorgen.
Dass Zusammenhänge zwischen willkürlicher oder kollektiver Bedrohung und Rekrutierungserfolgen jihadistischer Gruppen bestehen, ist empirisch umfangreich belegt. Dem tut auch keinen Abbruch, dass bestimmte Rahmenbedingungen solche Zusammenhänge umkehren können, etwa wenn die staatliche Repressionskapazität dermaßen stark ist, dass selbst massive Ungerechtigkeit militante Mobilisierung nicht begünstigt, sondern hemmt.27
Und doch legt die Entwicklung in Libyen nahe, dass solche Erklärungsmuster relevante Aspekte außer Acht lassen. Denn Libyens militante Islamisten erfreuten sich ja schon in den ersten beiden Jahren nach dem Sturz Gaddafis eines regen Zulaufs, als die Konflikte noch nicht eskalierten, sie aber auch keiner Repression ausgesetzt waren. Vor allem aber wüteten die Konflikte in Libyen in den Jahren nach 2016 weiter, während militant islamistische Bewegungen als Konfliktakteure immer marginaler wurden. Letzteres traf entgegen allgemeiner Erwartung ebenso auf die Zeit des Krieges um Tripolis zu. Und Libyen ist kein Einzelfall: In Konflikten wie in Somalia oder im Irak gewannen Jihadisten phasenweise an Bedeutung, als sie sich anderen Akteuren als Verbündete andienten, und verloren diese Bedeutung wieder, als sie für ihre Verbündeten zur Bedrohung geworden waren.28
Sowohl Ideologie als auch Konfliktdynamiken liefern also unzureichende Erklärungen für den Niedergang militant islamistischer Bewegungen in Libyen.
Was sind militante Islamisten?
Auf der Suche nach einer angemessenen Erklärung gilt es zunächst, den Gegenstand der Analyse – militant islamistische Bewegungen – abzugrenzen. Es geht nicht einfach um Terrorismus: Bei Letzterem handelt es sich um eine Taktik unter anderen, die militant islamistische Bewegungen potentiell einsetzen können – je nachdem, in welchem Kräfteverhältnis mit ihren Gegnern sie sich befinden.29 Auch die Begriffe »Extremismus« und »Radikalisierung« lassen sich nicht ohne weiteres auf den Untersuchungsgegenstand anwenden, denn Extremismus ist immer relativ: extrem im Vergleich zu gesellschaftlich akzeptierten Vorstellungen.30
Die Literatur zu Radikalisierung beschäftigt sich hauptsächlich mit Individuen, engen Zirkeln oder kleinen Gruppen im Untergrund, die sich von der Gesellschaft abkapseln. Die wenigen Untersuchungen des Niedergangs militant islamistischer Gruppen betreffen explizit terroristische Gruppen und betonen daher militärische Dynamiken sowie Aspekte, die sich aus der strikten Abschottung dieser Organisationen von der Außenwelt ergeben.31 Dagegen entwickelten sich Libyens militante Islamisten in den ersten Jahren nach 2011 weitgehend offen und genossen beträchtliche gesellschaftliche Akzeptanz. Nicht nur aus diesem Grund ist es sinnvoll, sie unter anderem als soziale Bewegungen aufzufassen.
Die Theorie sozialer Bewegungen wird schon seit längerem auf gewaltbereite und zivile islamistische Gruppen angewendet; sie bietet überdies einen Teil des konzeptionellen Instrumentariums, um den libyschen Fall zu verstehen. Dazu zählen etwa die Bedeutung opportuner politischer Umstände, der Zugang zu Ressourcen, die Mobilisierung ermöglichen, sowie die variierende Resonanz von Narrativen und Frames.32
Analysen islamistischer Bewegungen fallen in zwei Lager, was deren Kategorisierung betrifft: jene, die die Unterschiede zwischen verschiedenen Tendenzen hervorheben, und jene, die alle Islamisten in einen Topf werfen.33 Sozial- und Islamwissenschaftler im ersten Lager sind bemüht, gewaltbereite Islamisten von moderaten, zivilen Bewegungen abzugrenzen. Sie verwenden für Erstere meist den Begriff »Jihadismus« und für Letztere »Islamismus« oder »politischer Islam«.34 Im zweiten Lager benutzen autoritäre Regierungen von Ländern am Persischen Golf und in Nordafrika »Islamisten« und »Terroristen« als austauschbare Begriffe für all ihre politischen Gegner. In der westlichen Öffentlichkeit machen sich rechtsgerichtete Sozial- und Islamwissenschaftler diese Pauschalisierung zu eigen, und auch die deutschen Medien und Behörden gebrauchen »Islamist« zunehmend als Synonym für »Terrorist«.35 Dass diese Gleichsetzung grundfalsch ist, gleich ob sie aus politischer Motivation oder Unkenntnis heraus geschieht, muss hier nicht näher erläutert werden.36
Der Begriff »Jihadismus« eignet sich nicht, die libyschen Realitäten adäquat zu beschreiben.
Die in dieser Studie verwendete Begrifflichkeit des »militanten Islamismus« setzt sich von beiden Lagern ab. Militanter Islamismus kann definiert werden als gewaltbereite Mobilisierung, die sich auf ein islamisches Idiom stützt und das erklärte Ziel verfolgt, die politische und gesellschaftliche Ordnung umzugestalten. Diese Definition ist ausdrücklich breiter als die Kategorie des Jihadismus – ein Begriff, der im Übrigen selbst nicht unumstritten ist. Denn er wird generell unter der Annahme benutzt, dass damit eine klar umrissene doktrinäre Schule verbunden sei – was sich aber bei näherer Betrachtung als falsch herausstellt.37
Schon allein der libysche Kontext bietet mehrere Beispiele dafür, wie ambivalent der Begriff »Jihadismus« ist: Schließlich blieb der Kampf gegen die italienische Kolonialisierung als Jihad im kollektiven Gedächtnis und wurde als solcher von Gaddafi mythologisiert.38 Zum Jihad riefen in der Post-Gaddafi-Ära aber auch der vermeintliche Islamistengegner Haftar sowie sogenannte Madkhalisten in den Reihen seiner Kräfte auf.39 Dabei handelt es sich bei den Madkhalisten doch um reaktionäre Salafisten, deren Doktrin vor allem absoluten Gehorsam dem Herrscher gegenüber betont und von Islamwissenschaftlern eigentlich als mit Salafismus-Jihadismus unvereinbarer Quietismus angesehen wird.40 Aufgrund ihrer explizit reaktionären Agenda fallen sie nicht unter die Definition »militanter Islamismus«, dessen Phase des Niedergangs in Libyen gleichzeitig auch die des Aufschwungs der Madkhalisten war.
Dass diese Studie nicht nur eindeutig salafistisch-jihadistische Gruppen, sondern den breiter gefassten militanten Islamismus untersucht, ergibt sich ebenfalls aus den libyschen Realitäten. Die salafistisch-jihadistischen Gruppen des Landes lassen sich nämlich nicht so leicht von anderen islamistischen Strömungen trennen, wie es jenen lieb wäre, die den Fokus gern auf Unterschiede und Nuancen richten. Wie diese Studie zeigt, gewannen jihadistische Gruppen ihre anfängliche Stärke nicht zuletzt aus ihren vielen Verbindungen mit Islamisten, die flexibler im Umgang mit Ideologie waren. Außerdem waren moderate, zivile Islamisten wie die Muslimbrüder offenbar ähnlichen Dynamiken ausgesetzt wie militante Kräfte, denn der Niedergang erfasste das gesamte islamistische Spektrum. Auch das spricht dafür, die Analyse nicht auf Gruppen zu beschränken, die sich ideologisch an al-Qaida oder dem Islamischen Staat orientierten.
Methode
Diese Studie identifiziert Mechanismen der Ausbreitung und des Rückgangs militant islamistischer Mobilisierung, wie sie in Libyen zwischen 2011 und 2020 erkennbar waren. Diese Mechanismen decken sich teilweise mit den gängigen Ansätzen, gehen aber über sie hinaus. Sie sind aus wiederkehrenden Mustern entwickelt, die der Autor aus 39 Interviews extrahiert hat – Interviews mit ehemaligen Anführern, Mitgliedern und Verbündeten militant islamistischer Gruppen sowie mit anderen Akteuren und Beobachtern, die das Aufkommen und den Niedergang solcher Gruppen in ihrem sozialen Umfeld aus nächster Nähe mitverfolgt haben.
Der Großteil dieser Interviews wurde 2022–2023 in Libyen und Istanbul geführt. Zu diesem Zeitpunkt waren militante Islamisten keine relevanten Konfliktakteure mehr. Damit wurden Gespräche möglich, die meist offener und weniger von politisch motivierter Verdrehung geprägt waren, als dies zur Hochzeit der betreffenden Gruppen der Fall war. Auch deswegen kann es von Vorteil sein, islamistische Mobilisierung zu untersuchen, nachdem sie bereits wieder abgeflaut ist. Wo die Gesprächspartner zu nachträglicher Rationalisierung neigten, konnte der Autor ihre Einschätzungen mit seinen eigenen vergleichen, die er in den Jahren seit 2011 durch Gespräche mit den gleichen Akteursgruppen gewonnen hat – zu der Zeit, als militant islamistische Gruppen in raschem Aufschwung begriffen waren.
Soziale Mechanismen des Aufstiegs und des Niedergangs
Viele der Muster, die in gängigen Analysen jihadistischer Mobilisierung im Vordergrund stehen, sind auch in der Ausbreitung militant islamistischer Gruppen in Libyen erkennbar: Junge Männer schlossen sich besagten Gruppen an, und andere Milizen paktierten mit diesen, um sich gegen Bedrohungen durch dritte Akteure zu verteidigen, oder weil sie davon ausgingen, dass militante Islamisten die beste Aussicht auf militärischen Erfolg hatten. Diese Mechanismen werden im Folgenden als taktische Handlungslogiken zusammengefasst. Taktische Erwägungen können ebenso dazu beitragen, den Niedergang militanter Islamisten zu erklären – wenn solche Gruppen nämlich keine Erfolgschancen mehr hatten und keinen Schutz mehr bieten konnten, sondern Verbindungen zu ihnen zur Gefahr wurden.
Allerdings liefern derartige taktische Handlungslogiken keine Begründung dafür, warum militante Islamisten in Libyen im Zeitraum 2012–2014 starken Zulauf hatten, obwohl sie in dieser Zeit noch nicht im Kontext eines offenen Konflikts agierten. Sie geben außerdem keine ausreichende Antwort auf die Frage, warum militante Islamisten nicht vom Ausbruch des Krieges um Tripolis 2019 profitierten, so wie sie es im zweiten Bürgerkrieg 2014–2015 konnten. Zwei andere soziale Mechanismen bieten komplementäre Erklärungen: Erstens erleichterte ihre soziale Einbettung es militanten Islamisten, durch gegenseitiges Vertrauen, Loyalität und konsensfähigen ideologischen Diskurs gesellschaftlich akzeptiert zu werden. Der Niedergang militant islamistischer Bewegungen manifestierte sich demzufolge auch als ihre zunehmende soziale Isolation, als Distanzierung ihrer ehemaligen Verbündeten und Gefolgsleute, was mit einem Wandel des gesellschaftlichen Diskurses einherging. Ein zweiter Mechanismus – das Streben nach sozialer Anerkennung – hilft zu verstehen, wie dynamisch und rapide solche Prozesse der Assoziation und Dissoziation ablaufen können. Besonders relevant ist hierbei die dialektische Beziehung zwischen dem Streben nach Profilierung und jenem nach Konformität.
Aufstieg: Taktische Handlungslogiken
Taktische Erwägungen beförderten sowohl den Aufstieg militanter Islamisten als auch ihren Fall. Damit ist ein Spektrum von Handlungslogiken gemeint, das von reinem Opportunismus bis hin zu taktischer Radikalisierung und emotionsgeladenen Racheakten reicht. Ob Akteure aus nüchterner Kalkulation oder emotionalem Affekt heraus handelten, lässt sich oft schwer beurteilen; in vielen Fällen dürfte sich beides vermischen. Gemein ist diesen Handlungslogiken, dass sie Reaktionen auf das Konfliktgeschehen oder Erwartungen über dessen zukünftige Entwicklung widerspiegeln.
Ein Beispiel dafür, wie schwierig unterschiedliche Motivationsgründe voneinander zu trennen sind, ist die Toleranz vieler Akteure für militante Islamisten im Zeitraum 2011–2014. Wie weiter unten (Seite 21ff) gezeigt wird, erklärte sich diese Toleranz teilweise aus sozialer Nähe und Verbundenheit, die während des Krieges von 2011 entstanden war. Eine ebenso wichtige Rolle spielte aber die Frage, ob sich Akteure von militanten Islamisten bedroht sahen – oder ob sich deren Gewalt vielmehr gegen die politischen Gegner dieser Akteure richtete.
In Bengasi betrachteten sich viele Anführer revolutionärer Gruppen selbst als Islamisten und zeigten eine gewisse Gelassenheit gegenüber den Morden in der Stadt – von denen zumindest ein Teil sicherlich militanten Islamisten zuzurechnen war. Eine Führungsfigur der Rafallah-Sahati-Brigade sagte dem Autor im November 2012, ehemalige Geheimdienstmitarbeiter seien selbst schuld, wenn sie Morden zum Opfer fielen, denn schon allein ihre Präsenz schade dem gesellschaftlichen Frieden. Und die Extremisten, die möglicherweise hinter manchen Morden steckten, ließen sich besänftigen, indem man Funktionäre des alten Regimes vom politischen Leben ausschließe.41 In Darna hatten die Anführer der mächtigsten bewaffneten Gruppe, der Abu-Salim-Brigade, eine ähnliche Perspektive auf die Morde in ihrer Stadt.42 Eine Führungsfigur der Partei der Muslimbrüder, der Justice and Construction Party (JCP), räumte im April 2014 zwar ein, dass Jihadisten vermutlich für einige der Morde in Bengasi verantwortlich seien, spielte aber zugleich die Gefahr herunter, die von Ansar al-Sharia ausging.43
Diese kulante Einstellung erklärt auch, warum Extremisten, die sich später Ansar al-Sharia oder dem IS anschlossen, in den ersten Jahren nach 2011 teilweise unter dem Deckmantel staatlicher Institutionen operieren konnten, etwa des Obersten Sicherheitskomitees, und so an staatliche Ressourcen gelangten – zum Beispiel in Sirt.44 Dass so ein Zugang zu Ressourcen der Mobilisierung zuträglich sein musste, liegt auf der Hand. Theorien sozialer Bewegungen ebenso wie Analysen islamistischer Gruppen in anderen Kontexten betonen diesen Zusammenhang.45
Ab welchem Punkt es sich nicht mehr um Toleranz, sondern um Allianzen handelte, ist nicht immer klar. Je stärker aber die Konflikte eskalierten, desto mehr waren Akteure gewillt, mit militanten Islamisten zu paktieren. So sagte ein Anführer revolutionärer Gruppen in Sabratha rückblickend über die Beteiligung späterer IS-Mitglieder an seinem Verband: »Wir kannten sie, wir tolerierten sie, bis sie damit anfingen, Leute zu entführen und zu töten. Davor kümmerten wir uns nicht um sie, und wir fanden es gut, dass sie den Kampf gegen Assad in Syrien unterstützten. Im Krieg von 2014 war uns die Neigung Abdallah Haftars [späterer Kopf des IS in Sabratha] zum IS schon klar, aber er kämpfte bei uns als Einzelner, er hatte keine eigene Gruppe. Wir beschlossen jedoch, ihm wärmesuchende Raketen nur einzeln zu geben – denn wir wussten, bald könnten wir mit ihm und seinesgleichen in Konflikt stehen. Wir betrachteten den IS nie als Verbündeten – es waren nur Einzelne, die bei uns kämpften.«46
In Bengasi wurde besonders deutlich, wie Konfliktdynamiken zur Bildung von Allianzen mit militanten Islamisten beitrugen. Dass sich die größten revolutionären Verbände im Juni 2014 mit Ansar al-Sharia im Schurarat der Revolutionäre von Bengasi (Majlis Shura Thuwwar Benghazi, MSTB) zusammenschlossen, war eine direkte Reaktion auf die Angriffe, denen sie seit Mai durch Haftars Allianz ausgesetzt waren. »Das ist eine Konterrevolution! Haftar hat nicht nur Ansar al-Sharia, sondern auch die Revolutionäre angegriffen. Natürlich kämpfen wir jetzt gemeinsam gegen Haftar«, sagte schon damals einer der Anführer des Bündnisses dem Autor.47
Stimmen, die sich – nicht zuletzt aus taktischen Gründen – gegen dieses Bündnis stellten, waren in der Minderheit. Prominent unter ihnen war Ziyad Balam, Chef der Omar-al-Mukhtar-Brigade, der sich weigerte, sich dem Schurarat anzuschließen.48 Eigener Auskunft zufolge warnte Balam den Anführer des Schurarats, Wissam ben Hamid, vor der Allianz mit Ansar al-Sharia: »Ich sagte Wissam: ›Das Ausland betrachtet Ansar al-Sharia als al-Qaida, und hier in Libyen verbindet man sie mit den Morden. Ausländische Kampfjets werden kommen und euch bombardieren.‹ Aber Wissam tat die Warnung ab – er dachte, er könne Haftar rasch besiegen, mit dessen Verbündeten Frieden schließen und sich dann wieder von Ansar al-Sharia distanzieren.«49
Solche Logiken wiederholten sich später in abgewandelter Form, als den aus Bengasi vertriebenen Gegnern Haftars bereits klar geworden war, wie sehr ihnen die Allianz mit Jihadisten schadete. Eigentlich wollten sie sich mit der Bildung der Kompanien zur Verteidigung Bengasis (Saraya al-Difa‘ an Benghazi) von Jihadisten distanzieren, wie unten (Seite 19ff) näher erläutert wird. Doch um von Zentrallibyen aus bis nach Bengasi zu kommen, gingen sie unter anderem Bündnisse mit Kämpfern aus Ajdabiya ein, denen Verbindungen zu Jihadisten angelastet wurden. Zum damaligen Zeitpunkt verteidigten Anführer der Kompanien dieses Vorgehen: »Es stimmt, Usama al-Jadhran war früher bei Ansar al-Sharia und ist jetzt bei uns, aber er ist nicht wirklich religiös. Wir brauchen ihn bis Ajdabiya, danach können wir uns seiner entledigen.«50 Doch im Nachhinein gab der wichtigste Führer der Kompanien, Ismail Sallabi, zu: »Das Problem lag in unserer Allianz mit Ajdabiya, mit Jadhrans Leuten. Die hatten ihre eigenen Verbindungen mit Extremisten, und wir hatten wenig Einfluss darauf, wie sich ihre Gruppe zusammensetzte.«51
Zu den umstrittensten Fragen gehört das Verhältnis zwischen Haftars Gegnern in Bengasi und dem lokalen Ableger des Islamischen Staates. Während das Haftar-Lager alle Gegner pauschal als Dawaesh (IS-Anhänger) verteufelte, stritten seine Gegner oft jegliche Allianz mit dem IS ab. Mit zeitlichem Abstand ergibt sich ein nuancierteres Bild. In den Worten eines Mitglieds des Schurarats: »Als IS-Anhänger auftauchten, sagten viele unserer Kämpfer: ›Lasst sie ruhig machen, die Verteidigung unserer Stadt eint uns.‹ Andere konfrontierten Wissam [ben Hamid] mit der Frage, wie er zusammen mit dem IS kämpfen konnte. Wissam antwortete, dass er nicht in der Lage sei, den IS zu bekämpfen.«52
Ein anderes Mitglied des Schurarats bestätigte das: »Nachdem Haftars Milizen im Oktober 2014 unsere Häuser angriffen, waren wir gezwungen, in die Stadt zurückzukehren, um unsere Familien zu schützen. Diese Angriffe trieben die Kämpfer in die Arme des IS. Ich sprach mit Wissam darüber, der mir sagte, er könne jetzt keine zweite Front gegen den IS eröffnen. Er müsse ihnen auch etwas Munition geben, sonst würden sie uns angreifen. Aber er versuche, den IS nicht erstarken zu lassen, indem er ihm nur wenig Waffen zukommen lasse. Später, als wir erfuhren, dass der IS Waffen und Munition von Haftars Leuten kaufte, hörten wir ganz damit auf.«53
Während des Bürgerkriegs 2014–2015 profitierten Gruppen wie Ansar al‑Sharia und der IS von Allianzen mit revolutionären Gruppen.
Gruppen wie Ansar al-Sharia und der IS profitierten jedoch nicht nur von Allianzen mit revolutionären Gruppen, sondern auch davon, dass sich Teile von Letzteren radikalisierten, da sie Konflikten ausgesetzt waren. In Bengasi und Darna hatten islamistische Anführer der Revolutionäre seit dem Sturz Gaddafis bei ihrer Gefolgschaft dafür geworben, sich staatlichen Institutionen anzuschließen und politische Prozesse wie die Wahlen von 2012 zu unterstützen. Gruppen wie Ansar al-Sharia spalteten sich eben deshalb von den Revolutionären ab, weil sie den Staat in seiner damaligen Form ablehnten.54 Mit seinem Angriff auf die Revolutionäre schien Haftar die kompromisslose Position Ansar al-Sharias als die richtige zu bestätigen: »Ansar-Anführer sagten zu den Shabab [jungen Männern, Kämpfern]: ›Seht ihr? Wir haben euch doch gesagt, dass wir gegen den Staat kämpfen müssen, dass wir ihn erobern müssen! Jetzt führt der Staat gegen euch Krieg!‹«55 Später, nachdem Haftars Verbündete Wohnhäuser der Revolutionäre angegriffen hatten, warb der IS damit, dass er jeden Kompromiss mit dem Gegner ablehnte.56
Zeitweise schien ebenjene Kompromisslosigkeit wiederum die Erfolgschancen des IS zu erhöhen: So erwartete ein Mitglied des Schurarats im Januar 2015, dass der IS die Schlacht um Bengasi für sich entscheiden werde, »denn das sind brutale Kämpfer, die jeden töten, der sich ihnen in den Weg stellt. Die Stämme werden sich ihnen unterordnen, um ihren Söhnen das Leben zu retten.«57 Ein Politiker, dessen drei Söhne im Kampf gegen Haftar getötet worden waren, sagte damals, dass viele, die nun für den IS kämpften, keine Islamisten seien, sondern sich ihm aufgrund der Gewalt der Gegenseite angeschlossen hätten.58 Eine andere Person, die der Führung des Schurarats nahestand, meinte zum selben Zeitpunkt: »Wenn wir den IS brauchen, um Haftar zu besiegen, dann soll der IS kommen. Meine Familie hat alles verloren, unser Haus wurde abgebrannt, tausende von Familien sind aus Bengasi geflohen. Ich habe nichts mehr zu verlieren.«59 Einem ehemaligen Führungsmitglied der Rafallah-Sahati-Brigade zufolge erklärten solche Radikalisierungsprozesse, warum viele Mitglieder der Gruppe sich zunächst Ansar al-Sharia und später dem IS zuwandten.60
Nicht zuletzt gab es Leute, deren Unterstützung oder Mobilisierung für militante Islamisten aus Opportunismus zustande kam, wie etwa der Tendenz, sich einer Kraft anzuschließen, die auf dem Weg zum militärischen Sieg zu sein schien: »Als der IS 2014 plötzlich fast die ganze Provinz al-Anbar [im Irak] übernahm, waren auch in Bengasi viele beeindruckt.«61 Desgleichen war in Sirt der Siegeszug des IS im Irak ein starker Ansporn für Mitglieder Ansar al-Sharias, sich dem Kalifat unterzuordnen.62 Ein Bewohner Darnas berichtete von einem Apotheker, der sich aus Eigeninitiative um eine Lizenz des IS für sein Geschäft bemüht hatte: »Ich war verwundert und fragte ihn, warum. Er antwortete: ›Libyen wollte doch schon immer ein mächtiger arabischer Staat sein. Und jetzt schau dir den IS an, sein Territorium ist größer als das von Großbritannien!‹«63 In Darna gab es Kämpfer, die sich »jeder neuen Welle anschlossen – erst dem IS, später Haftar«.64 In Bengasi fanden sich unter den IS-Kämpfern »Leute, die Alkohol tranken, Drogen konsumierten oder Banken ausraubten und den IS als Deckmantel für ihre Selbstbereicherung nutzten«.65 In Sirt, wo Anhänger des Gaddafi-Regimes militärisch entmachtet und der Verfolgung durch die Revolutionäre aus Misrata ausgesetzt gewesen waren, bot ihnen der IS eine Möglichkeit, an Waffen zu kommen, Schutz zu finden und vielleicht sogar Rache an Misrata zu üben.66
Niedergang: Taktische Handlungslogiken
Ähnliche taktische Erwägungen sind beim Niedergang militant islamistischer Gruppen erkennbar. Und auch hier sind solche Erwägungen in einem Spektrum angesiedelt, das von der Reaktion auf eine unmittelbare Bedrohung bis zur kühlen Kosten-Nutzen-Kalkulation reicht.
Dass ehemalige Revolutionäre in Sabratha, Darna und Misrata von der anfänglichen Toleranz gegenüber dem IS zu einer verlustreichen Konfrontation mit ihm übergingen, hing direkt mit der Bedrohung zusammen, die er darstellte. In Sabratha duldeten die bewaffneten Gruppen die IS-Anhänger, »bis sie damit anfingen, Leute zu entführen und zu töten«.67 Zur Konfrontation kam es jedoch erst, als der IS-Ableger nach einem vernichtenden amerikanischen Luftangriff im Februar 2016 plötzlich versuchte, offen die Kontrolle über die Stadt zu erringen – und daraufhin aus ihr vertrieben wurde.68
In Darna lieferte sich der IS schon seit Mitte 2014 immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen mit der Abu-Salim-Brigade. Letztere bildete mit anderen Verbänden den Schurarat der Mujahidin von Darna (Majlis Shura Mujhahidi Darna), dem sich kurzzeitig auch ein Teil des lokalen Ansar-al-Sharia-Ablegers anschloss, bevor er wieder von dem Bündnis abfiel. Aber ein offener Krieg zwischen dem IS und seinen Gegnern brach erst aus, als der IS einen prominenten Schurarat-Kommandeur ermordete – das ehemalige LIFG-Mitglied Nasr al-Okr – und in den darauffolgenden Zusammenstößen der Anführer des Schurarats, Salim Derbi, getötet wurde.69 Die Kämpfe in Darna dauerten acht Monate an.
Externe Beobachter beschrieben diese Konfrontation meist verkürzt als einen internen Konflikt zwischen Jihadisten: nämlich zwischen dem IS und Gruppen, die ideologisch al-Qaida zuzurechnen waren.70 Tatsächlich aber galt letztere Beschreibung nur für einen Teil des harten Kerns der Abu-Salim-Brigade. Und für den Kampf gegen den IS gelang es dem Schurarat nicht nur, breite Unterstützung in Darna zu mobilisieren; er versuchte darüber hinaus zunehmend, in der öffentlichen Kommunikation sein jihadistisches Image abzulegen. Ob damit ein wirklicher Sinneswandel zumindest einiger Anführer des Schurarats verbunden war, wie wohlinformierte Beobachter zu erkennen glaubten, ist schwer zu beurteilen.71 Dennoch muss der Kampf gegen den IS in Darna als der Beginn eines Distanzierungsprozesses der lokalen Revolutionäre vom Jihadismus gesehen werden, der freilich nicht von allen bewältigt wurde.
Die spätere Umbenennung des Schurarats in »Schutztruppe von Darna« (Quwat Himayat Darna) folgte derselben Logik. Die Schutztruppe vermied jegliche jihadistische Referenzen und stellte ihren Widerstand gegen Haftar als einen Kampf der ganzen Stadt gegen die Diktatur und für einen »zivilen Staat« dar.72 Ein Kommandeur der Schutztruppe, der sich nach der Niederlage gegen Haftar nach Westlibyen rettete, betonte, die Gruppe habe keinerlei Verbindungen mehr zu Jihadisten.73
Noch einschneidender und folgenreicher war der Wandel, der in Misrata eintrat, als der IS von Sirt aus in Richtung Misrata zu expandieren drohte. Ab Anfang 2015 brachte der IS Sirt unter seine Kontrolle und griff dort auch immer wieder eine bewaffnete Gruppe aus Misrata an.74 In Misrata steigerte das zwar das Bewusstsein für die Gefahr, löste aber noch keine Mobilisierung aus.75 Zudem ließen die führenden Akteure in Misrata weiterhin zu, dass ihre Stadt von den Haftar-Gegnern in Bengasi als logistisches Drehkreuz genutzt wurde – wovon eben auch IS-Anhänger in Bengasi profitierten.76 Das änderte sich erst, als der IS im Mai 2016 Checkpoints zwischen Sirt und Misrata angriff und damit die Stadt selbst bedrohte.
Es kam zu einer spontanen Mobilisierung der bewaffneten Gruppen Misratas, mit der eine monatelange Offensive begann. Hunderte Kämpfer der Stadt wurden getötet, bevor der IS im Dezember 2016 besiegt war. Wie ein Kämpfer damals sagte: »Am Tag nach dem Angriff auf den Checkpoint in al-Sdada schloss ich mich der Offensive an. Denn der IS rückte näher, er tauchte sogar in Misrata selbst auf.«77 Damit einher ging ein tiefgreifender Wandel in der Einstellung gegenüber militanten Islamisten insgesamt. Durch Verhöre und aufgefundene Dokumente wurde in Misrata bekannt, dass der IS in Sirt und Bengasi von der über Misrata laufenden Unterstützung für die Haftar-Gegner in Bengasi hatte profitieren können. Gesellschaftlicher Druck in Misrata bereitete dieser Unterstützung ein Ende.78 Auch politische Kalkulationen dürften in dieser Entwicklung eine Rolle gespielt haben. Politiker aus Misrata versuchten nämlich seit der Bildung der Einheitsregierung Anfang 2016, in Ostlibyen neue Verbündete zu finden. Dies setzte voraus, dass sie die Unterstützung für die Gruppen in Bengasi beendeten.
Der Sinneswandel in Misrata war ein wichtiger Grund dafür, dass sich die aus Bengasi vertriebenen Haftar-Gegner zunehmend von Jihadisten zu distanzieren versuchten. Ein Beispiel dafür war die Gründung der Kompanien zur Verteidigung Bengasis.79 Die Anführer verlasen die Gründungserklärung im Juni 2016 demonstrativ vor der libyschen Flagge, mit einem Armeeoffizier in ihrer Mitte, und verkündeten, dass sie sich nach der Rechtsprechung des Dar al-Ifta‘ richteten, also des Muftis in Tripolis.80 Damit setzten sie sich vom Schurarat ab, den Ansar al-Sharia an der Verwendung der Landesflagge hinderte, sowie von allen Gruppen, die sich auf jihadistische Rechtsgelehrte bezogen. Außerdem waren sie bestrebt, Kämpfer mit Verbindungen zu Extremisten bei der Rekrutierung auszusieben – mit gemischtem Erfolg, wie oben (Seite 17f) beschrieben. Nachdem ihnen solche Verbindungen zur Last gelegt wurden, trennten sie sich von zwielichtigen Gestalten, wie sie nicht müde wurden zu betonen: gegenüber Offizieren in Tripolis und Misrata, gegenüber britischen und amerikanischen Vertretern sowie dem Autor.81
Auch individuelle Kämpfer suchten Schutz, indem sie sich von militanten Islamisten distanzierten. Ein junger Mann aus einer westlibyschen Stadt, der in Bengasi gegen Haftar gekämpft hatte, erzählte dem Autor: »Einer meiner Brüder hatte sich in Syrien dem IS angeschlossen und wurde dort getötet. Als ich aus Bengasi zurückkam, fingen Leute an, Fragen über meine ideologische Orientierung zu stellen. Später kämpften einige entfernte Verwandte von mir in den Reihen des IS in Sabratha. Aus all diesen Gründen suchte ich zuhause Schutz und fand ihn in der [anonymisiert]-Brigade.«82
Als Haftar 2019 Tripolis angriff, hatten seine Gegner aus diesen Erfahrungen gelernt. Sie waren sich nun sehr genau bewusst, wie toxisch Verbindungen mit Extremisten waren – die vom Haftar-Lager und dessen ausländischen Verbündeten vom ersten Tag des Krieges an konstruiert wurden.83 Prominente Kommandeure aus Bengasi, denen solche Verbindungen zu Recht oder Unrecht nachgesagt wurden, wollten sich am Kampf gegen Haftar in Tripolis beteiligen. Doch sowohl Persönlichkeiten aus ihrem eigenen Umfeld als auch westlibysche Führungsfiguren rieten ihnen, sich fernzuhalten, um der Sache nicht zu schaden.84 Ehemalige Fußsoldaten des Schurarats konnten sich den Verbänden anschließen, sofern sie zu keinem Zeitpunkt Mitglied von Ansar al-Sharia oder des IS gewesen waren.
Überdies ergriffen viele andere junge Männer, die von Haftars Kräften aus dem Osten des Landes vertrieben worden waren, die Waffen. Doch anstatt eine eigene Einheit zu bilden, die negative mediale Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte, verteilten sie sich auf fast alle westlibyschen Verbände. Zuvor hatten sie sich in Westlibyen in einer prekären Situation befunden, da Vertriebene aus dem Osten unter Generalverdacht standen, Terroristen zu sein. Sie wurden oft grundlos und ohne Gerichtsverfahren festgehalten im berüchtigten Gefängnis des »Apparats für Abschreckung«, einer der mächtigsten Milizen in Tripolis. Indem sie sich als einzelne Kämpfer westlibyschen Gruppen anschlossen, darunter auch dem Apparat für Abschreckung, wirkten sie diesem Verdacht entgegen und fanden Schutz.85
Aufstieg: Soziale Einbettung und gesellschaftliche Akzeptanz
Besser verständlich werden die eben analysierten taktischen Erwägungen durch ihren sozialen Kontext: wenn man berücksichtigt, was gesellschaftlich akzeptabel oder aufgrund sozialer Verbundenheit naheliegend war. Bevor militante Islamisten mit der Eskalation der Konflikte 2014 zu attraktiven Verbündeten wurden, konnten sie sich in einem Umfeld entwickeln, in dem sie und ihre Positionen sich weitreichender gesellschaftlicher Anerkennung erfreuten. Das war teilweise auf die unter Gaddafi vorherrschenden Moralvorstellungen zurückzuführen, vor allem aber auf die Rolle von Islamisten in der Revolution 2011.
Zwar hatte Gaddafi islamistische Oppositionelle verfolgt und verteufelt; zeitweise hatte sein Regime junge Männer allein schon deshalb verhaftet, weil sie zum frühmorgendlichen Gebet gingen. Gleichzeitig hatte Gaddafi aber über einen strengen Moralkodex gewacht – in den Worten eines damals jungen Islamisten, der mehrere Jahre im berüchtigten Gefängnis Abu Salim verbracht hatte: »Libyen war eine konservative, abgeschottete Gesellschaft. Gaddafi hatte Alkohol, Prostitution, Nachtklubs verboten. Im Ramadan fasteten alle. Religiös zu sein war völlig normal, und viele Leute, die später als Islamisten abgestempelt wurden, waren ganz einfach fromm.«86
In den 2000er Jahren hatte das Regime zudem, innerhalb gewisser Grenzen, eine jihadistische Untergrundkultur toleriert. Zumindest eine Zeitlang förderten die Geheimdienste verdeckt die Rekrutierung junger Männer für den Kampf im Irak und verhinderten auch nicht, dass die Familien der Kämpfer diese öffentlich als Märtyrer feierten, wenn sie die Nachricht über ihren Tod erhielten.87 So entwickelten sich in Städten wie Darna, Ajdabiya und Sabratha Netzwerke, die jihadistisches Gedankengut tief in Teilen der lokalen Gesellschaft verankerten. Für junge Männer mit diesem sozialen Hintergrund war Jihadismus schlicht ein Aspekt von Frömmigkeit.88
Während der Revolution 2011 traten Islamisten als prominente Führungsfiguren hervor, indem sie sich aktiv am Kampf beteiligten. Auf diese Weise häuften sie ein beträchtliches »revolutionäres soziales Kapital«89 an, was ihre gesellschaftliche Stellung umso dramatischer erhöhte, als sie noch kurz zuvor im Exil, im Gefängnis oder unter Überwachung gewesen waren. Kaum einer unter ihnen bildete rein islamistische oder gar jihadistische Einheiten. Stattdessen mobilisierten sie ebenso wie andere unter dem Banner der Revolution. Die revolutionären Verbände formierten sich meist auf der Basis einzelner Städte. Kämpfer schlossen sich in erster Linie den Gruppen an, zu deren Mitgliedern sie verwandtschaftliche, freundschaftliche oder nachbarliche Beziehungen hatten.
Dass es in manchen Gruppen – etwa jenen aus Darna – mehr Islamisten gab als in anderen, lag vor allem an lokalen Subkulturen. Aber auch in diesen Gruppen kämpften eingefleischte Jihadisten mit solchen jungen Männern Seite an Seite, deren Überzeugungen sich auf den Einsatz für die Revolution beschränkten.90 Unter islamistischen und nichtislamistischen Kommandeuren unterschiedlicher Gruppen entwickelte sich durch den gemeinsamen Kampf oft eine tiefe Verbundenheit, die jahrelang nachwirken sollte. Freilich existierte auch Misstrauen – insbesondere zwischen Figuren, die nicht eng zusammen gekämpft hatten und sich erst gegenübertraten, als mit dem Sturz des Regimes schon die ersten Rivalitäten aufkamen.91
Drei Aspekte dieser Genese waren entscheidend für den Aufstieg militant islamistischer Bewegungen nach 2011. Erstens gingen aus der Revolution viele charismatische Anführer bewaffneter Gruppen hervor, die islamische Idiome verwendeten. Wer von ihnen Islamist, Jihadist oder schlicht gottesfürchtig war, ließ sich oft nicht ohne weiteres feststellen – die Grenzen waren fließend.
Zweitens konnten Politiker und Kommandeure, die im militant islamistischen Spektrum angesiedelt waren, in den Jahren nach 2011 auf die Verbundenheit derer bauen, mit denen sie während der Revolution für ein gemeinsames Ziel gekämpft hatten. Zumindest in der Anfangsphase besaßen sie ein hohes gesellschaftliches Ansehen, das sich 2012 in den Wahlergebnissen widerspiegelte und anschließend schwand, als Konflikte und Unsicherheit um sich griffen.
Drittens fanden sich in den Gruppen, die von frommen bis islamistischen Figuren nach dem Sturz Gaddafis angeführt wurden, oft sowohl Islamisten wie Nichtislamisten. Die meisten, wenn auch nicht alle Anführer der Abu-Salim-Brigade in Darna waren Jihadisten, unter ihren Kämpfern befanden sich indes »viele gewöhnliche junge Leute aus Darna, die rauchten und sich Gel ins Haar schmierten«.92 Die Gründer der Rafallah-Sahati-Brigade in Bengasi »vertraten islamistisches Gedankengut. Die meisten von uns waren ehemalige Häftlinge. Aber viele unserer Mitglieder waren Shabab, die rauchten, Drogen nahmen, Musik hörten. Wir waren für alle offen. Bei anderen Gruppen war es ähnlich, wie bei der Brigade des 17. Februar oder der Märtyrer-von-Zintan-Brigade.«93 Führungsfiguren in Zawiya und Sabratha wie Mohamed al-Kilani, Omar al-Mukhtar und Shaaban Hadiya galten weithin als Islamisten – tatsächlich aber »war Hadiya ein charismatischer Rechtsgelehrter, der 2011 eine einigende Figur gewesen war, kein Extremist«.94 Kilani und Mukhtar waren »keine Mitglieder irgendwelcher ideologisierten Organisationen. Omar al-Mukhtar war im Gefängnis Abu Salim gewesen, aber er war einfach tiefgläubig. Und viele Kämpfer waren es nicht, sondern sie rauchten und so weiter.«95 Die Anführer der Faruq-Brigade in Zawiya, die später von politischen Gegnern als Terroristen verunglimpft wurden, waren religiös – »aber unter den Mitgliedern gab es mehr Leute, die Alkohol tranken, als Strenggläubige«.96
Diese Aspekte erklären, warum viele Revolutionäre zumindest diejenigen militanten Islamisten, zu denen sie persönliche Verbindungen hatten, nicht als Gefahr ansahen. Auch islamistische Ideologie war deshalb für viele von ihnen nicht so fremd. Für junge Männer in der Abu-Salim-Brigade aus Darna zum Beispiel waren Gesänge (Nasha’id) aus dem Umfeld des al-Qaida-Netzwerks etwas Selbstverständliches.97 Ähnliches galt für die schwarze Flagge mit dem islamischen Glaubensbekenntnis, die unter anderem vom IS und al-Qaida-Gruppen verwendet wurde. In Bengasi »mussten wir den Shabab erklären, wie das international wahrgenommen wurde«.98 Rückblickend sagte ein islamistischer Revolutionär aus dieser Stadt: »Ich kann verstehen, warum vielen die schwarze Flagge gefiel. Aber sie machte keinen guten Eindruck, es sah wie der IS aus.«99
Militant islamistische Gruppen in Libyen konnten in der Mitte der Gesellschaft agieren.
Dieser Hintergrund macht auch verständlich, warum Jihadisten weiter in der Mitte der Gesellschaft agieren konnten, als sie sich von den Revolutionären absonderten und ihre eigenen Gruppen bildeten – mit anderen Worten, warum sie als soziale Bewegung auftraten und nicht als isolierte Zellen in den Untergrund gedrängt wurden. In Bengasi betrachteten viele Ansar al-Sharia zunächst als eine Gruppe von gottesfürchtigen, am Gemeinwohl interessierten jungen Männern.100 Noch 2013 war ein Mitglied des Lokalrats der Meinung: »Alles, was sie wollen, ist die Sharia«101 – und dass diese eine zentrale Funktion einnehme, darüber herrschte schließlich in den ersten Jahren nach 2011 weitgehender Konsens, über die politischen Gräben hinweg.102 Obwohl die Ansar-al-Sharia-Anführer den Staat und demokratische Prozesse offen ablehnten, traten ihre einstigen Waffenbrüder dafür ein, solche Meinungsverschiedenheiten durch Dialog zu lösen.103
Und nicht zuletzt erklärt sich so die Permeabilität zwischen Revolutionären und Jihadisten sowie die Tatsache, dass eine Allianzbildung zwischen ihnen sozial naheliegend war. Für Mitglieder der Rafallah-Sahati-Brigade war es umso leichter, sich Ansar al-Sharia anzuschließen, als sie dort ihre ehemaligen Mitstreiter vorfanden. Auch der IS trat zunächst in der Gestalt von Kämpfern auf, mit denen man schon früher persönliche Beziehungen gehabt hatte – so etwa die Person, die 2013 vom IS im Irak nach Bengasi gesandt wurde, um von drei revolutionären Kommandeuren vergeblich zu verlangen, dass sie sich der Organisation unterordneten.104 In Sabratha agierte ein führender Revolutionär als Mittelsmann zum IS, als über Geiselnahmen verhandelt wurde, indem er Beziehungen nutzte, die auf den gemeinsamen Kampf 2011 zurückgingen: »Abdallah Haftar [der örtliche IS-Anführer] war 2011 mit uns in den Bergen gewesen. Er war ein mutiger Kämpfer – ein einfacher Mensch, nicht ideologisch, an Geld interessiert. Auch 2014 kämpfte er in unseren Reihen.«105
Soziale Verbundenheit und Einbettung in die lokale Gesellschaft spielten also eine wichtige Rolle bei der Ausbreitung militanter Islamisten in früheren revolutionären Hochburgen wie Bengasi und Darna. Die spätere IS-Hauptstadt Sirt dagegen war alles andere als eine revolutionäre Hochburg, dort galten andere Zusammenhänge: Ansar al-Sharia und später der IS etablierten sich in der Stadt als kleine, isolierte Minderheiten, die davon profitierten, dass es kein Gegengewicht gab. Denn Sirt erlitt die Revolution als Niederlage, die Revolutionäre besaßen dort keine breite soziale Basis, und die Elite der Stadt war im Gefängnis, im Exil oder tot.106
In Sirt wurde Ansar al-Sharia unter anderem von Mitgliedern der Faruq-Brigade aus Misrata gegründet – einer revolutionären Gruppe, die sowohl Islamisten als auch Nichtislamisten in ihren Reihen hatte. Die Faruq-Brigade spaltete sich, als ein Teil von ihr sich in Sirt niederließ und in Ansar al-Sharia aufging. Mit dieser Spaltung waren eine geographische und eine soziale Distanzierung verbunden, selbst wenn Beziehungen zwischen manchen Mitgliedern beider Gruppen fortbestanden.107 Ansar al-Sharia wiederum bildete den späteren Nukleus des IS in der Stadt. Festzuhalten ist, dass dessen Aufstieg in Sirt vom Muster in anderen libyschen Städten abweicht, was die soziale Einbettung der Jihadisten betrifft.
Niedergang: Soziale Distanzierung und Isolation
Kann die Bedeutung sozialer Beziehungen auch zum Verständnis des Niedergangs militanter Islamisten beitragen?
Einerseits scheint soziale Verbundenheit eine harte Distanzierung von Jihadisten oder jenen, die Kontakte zu ihnen hatten, oft eher gebremst zu haben. Das zeigte sich etwa in den Dialogversuchen mit Ansar al-Sharia in Bengasi oder in der Nachsichtigkeit gegenüber manchen Mitstreitern im Kampf gegen den IS in Darna: Zwar lehnten die einen wie die anderen Demokratie ab, und Letztere boten dem ägyptischen Jihadisten Omar Rifai Surur Zuflucht, aber »solche Meinungsverschiedenheiten sollte man durch Diskussion lösen, nicht durch Krieg«.108 Oder es äußerte sich in Beziehungen zu alten Freunden wie einem ehemaligen Kader Ansar al-Sharias; nach diesem hatten amerikanische Militärs den Anführer der Kompanien zur Verteidigung Bengasis, Ismail Sallabi, gefragt: »Ich sagte ihnen: ›Ja, es stimmt, Younes und ich waren alte Freunde, schon vor 2011. Dass er sich Ansar al-Sharia anschloss, entfremdete uns voneinander. Danach half ich ihm nur noch in einer ganz bestimmten Angelegenheit, und er war nie in den Kompanien dabei.‹«109
Sallabi und ein anderer Anführer der Kompanien, Ziyad Balam, ließen eine gewisse Nachsicht gegenüber Figuren erkennen, deren Beziehungen mit Terroristen sie in den Augen ausländischer Geheimdienste zu Jihadisten machten, obwohl besagte Beziehungen rein transaktionaler Natur waren. So sagte etwa Balam über Saadi Nofili, den ein Video zusammen mit dem algerischen Terroristen Mokhtar Belmokhtar gezeigt hatte: »Ich fragte Saadi danach. Er erklärte mir, dass er einigen Leuten gegen Geld geholfen habe, von Bengasi nach Zalla zu kommen, und erst dabei herausfand, um wen es sich handelte. Ich überzeugte mich, dass Saadi kein Extremist war und es sich um eine reine Geschäftsbeziehung gehandelt hatte. Die Anschuldigungen waren dennoch eine Last für uns, und ich bat ihn, sich freiwillig einer polizeilichen Untersuchung zu unterziehen.«110 Und Sallabi äußerte sich über die Beteiligung einer anderen zwielichtigen Figur an Militäroperationen der Kompanien: »Ahmed al-Hasnawi ist ein einfacher Mensch. Er ist nicht ›al-Qaida‹. Aber bei ihm im Süden ist das so, da macht man mit allen Geschäfte – mit dem IS, al-Qaida oder wem auch immer.«111
Andererseits: Wo die soziale Ächtung militanter Islamisten erst einmal besiegelt war, ließ sie sich nur schwer rückgängig machen. Dadurch wird verständlicher, warum Haftars Gegner 2019 keine erneute taktische Allianz mit militanten Islamisten eingingen, sondern Abstand wahrten von allen, die – ob zu Recht oder zu Unrecht – in diese Kategorie gesteckt wurden. Ein ehemaliger LIFG-Anführer führte das auf die Erfahrungen zurück, die im Kampf gegen den IS in Darna, Sabratha und Sirt gemacht worden waren: »Seither wussten die Thuwwar [Revolutionäre], dass sie Jihadisten nicht trauen konnten.«112
Eine wichtige Rolle spielte bei dieser Entwicklung zudem die abstoßende Wirkung, die von der zur Schau gestellten Brutalität des IS ausging. Der IS wurde nicht nur zu einer unmittelbaren Bedrohung; seine demonstrative Grausamkeit sprengte alle Grenzen des gesellschaftlich Akzeptablen. Der schon zitierte Kämpfer aus Misrata, der sich der Offensive gegen den IS anschloss, begründete das auch damit, dass der IS »das Bild des Islam in den Dreck zog«.113 Dass Anhänger und Sympathisanten sich von Rebellengruppen oder Terrororganisationen abwenden, weil sie von deren Gewalt gegen Zivilisten abgeschreckt werden, ist ein weit verbreitetes Muster.114
Zur Isolation nicht nur von militanten, sondern auch moderateren Islamisten trug ebenfalls bei, dass die Markierung als »Islamist« seit 2014 zu einem wirkungsvollen Stigma geworden war. Ein anderer ehemaliger LIFG-Anführer erinnerte sich: »Auf einmal wollten die Leute nichts mehr mit uns zu tun haben, wollten uns nie gekannt haben. Sie schoren uns alle über einen Kamm – ›die Islamisten‹. Die Dämonisierung durch Sender wie al-Asema TV war sehr effektiv. Sie sprachen über die LIFG, als ob wir für alles verantwortlich seien, hinter allem steckten.«115
Dass die libyschen Muslimbrüder 2021 ihren Namen änderten und sich so von der Muslimbruderschaft zu distanzieren versuchten, erklärte ein Kader wie folgt: »Die Muslimbruderschaft findet keine Akzeptanz mehr. Niemand wird zu dir ins Büro kommen. Wenn ich im Namen der Muslimbruderschaft spreche, bin ich das fleischgewordene Böse.«116 Sein Name hatte auf einer Liste von »Terroristen« gestanden, veröffentlicht von dem mit Haftar verbündeten Parlament im Osten Libyens – mit spürbaren Folgen in seinem sozialen und professionellen Umfeld, wo ihm manche nun misstrauisch begegneten. Und ein Aktivist aus Darna, der versuchte, öffentliche Aufmerksamkeit für Gefangene aus seiner Heimatstadt zu gewinnen, die in Haftars Gefängnissen willkürlich festgehalten und gefoltert wurden, sagte: »Niemand will über die Gefangenen reden, denn sie gelten als ›Daesh‹ [IS]. Wenn du über sie redest, bist du selbst ›Daesh‹«.117
Viele der Aktivisten, Politiker und Anführer bewaffneter Gruppen, die sich auf diese Weise stigmatisiert sahen, zogen sich zurück und waren zunehmend sozial isoliert – unabhängig davon, ob sie in Libyen blieben oder sich ins Exil retteten. So etwa die ehemaligen LIFG-Anführer in Istanbul.118 Ismail Sallabi berichtete, er treffe sich in seinem Istanbuler Exil nur mit wenigen alten Freunden und auch nicht mehr mit Journalisten. Als Haftar Tripolis angriff, wollte er kämpfen – aber man habe ihm mitgeteilt, er solle sich fernhalten; seine Beteiligung werde nur schaden, da er als Extremist verschrien sei.119
Taktische Erwägungen führten also 2019 auch deshalb nicht zu dem erwarteten Comeback militanter Islamisten, weil Letztere in der Zwischenzeit stark an gesellschaftlicher Akzeptanz verloren hatten und nun sozial isoliert waren. Viele der Vertrauensbeziehungen, die militante Islamisten durch den gemeinsamen Kampf 2011 mit ihren Waffenbrüdern geknüpft hatten, waren 2019 längst zerrüttet. Die einschneidende Erfahrung der Konfrontation mit dem IS sowie die mediale Verteufelung sämtlicher Islamisten hatten maßgeblichen Anteil daran. Allerdings dürfte die enge soziale Vernetzung militanter Islamisten diese Entwicklung eher verzögert haben. Dass sich das Blatt so schnell und vollständig wendete, bedarf also noch einer weiteren Erklärung.
Aufstieg und Niedergang: Konformismus und Abgrenzung
Einen weiteren Schlüssel zum Verständnis der Dynamik seit 2011 liefern soziale Mechanismen der Abgrenzung und des Konformismus, der Absonderung und Anpassung. Triebkraft dieser Mechanismen ist das Streben des Einzelnen nach sozialer Anerkennung und Gruppenzugehörigkeit. Für Georg Simmel und Pierre Bourdieu dienten Distinktion und Nachahmung dazu, einen sozialen Status auszudrücken beziehungsweise anzustreben; die dialektische Beziehung zwischen ihnen war für sie der Motor von Mode und Geschmack.120 Ähnliche Prozesse lassen sich in der Ausbreitung und dem Rückgang militant islamistischer Bewegungen in Libyen beobachten.
Wie oben (Seite 21ff) dargestellt, schlossen die militant islamistischen Bewegungen Libyens in den ersten Jahren nach 2011 nahtlos an einen gesellschaftlichen Mainstream an, der einem politisch revolutionären, aber sozial konservativen Zeitgeist folgte. Militante Islamisten und Jihadisten stachen anfangs weder äußerlich noch diskursiv stark aus der Masse der Revolutionäre heraus. Die Ästhetik der Revolutionäre – bärtig, oft in Tarnkleidung – war von derjenigen militanter Islamisten kaum zu unterscheiden. Viele Milizionäre eigneten sich diese Ästhetik an. Ein ehemaliger LIFG-Anführer erinnerte sich: »Damals ließen sich selbst haschischrauchende Milizenführer einen Bart wachsen und mit Sheikh anreden. Wir deuteten diese Entwicklung falsch, weil wir so lange von der libyschen Gesellschaft isoliert gewesen waren; plötzlich schienen alle unsere Überzeugungen zu teilen.«121 Ein Revolutionär aus dem islamistischen Spektrum sah es ähnlich: »Nimm zum Beispiel Ismail Sallabi oder Wissam ben Hamid. 2012 trug Ismail die Abaya [langes Gewand] der Islamisten, denn damals war das populär. Heute bietet er dir Zigaretten an, wenn du ihn triffst«122 (eine Beobachtung, die der Autor bestätigen kann). Mit der ästhetischen Anpassung einher gingen formelhafte Bekenntnisse zu den Idealen der Revolution sowie die weit verbreitete Tendenz, die eigene Rolle in der Gaddafi-Ära zu verschweigen oder umzuinterpretieren, so dass sie in den Zeitgeist passte.
Dass Ästhetik und Habitus der Revolutionäre und Islamisten so viele Nachahmer fanden, lag nicht zuletzt an ihrem Status als Sieger und Helden. Wie ein Anführer der Rafallah-Sahati-Brigade sagte: »Im Oktober 2011 kamen wir als Helden, als Revolutionäre von der Front zurück. Als die Mordserie begann, fing man plötzlich an, uns Terroristen und Milizen zu nennen. Wir waren schockiert – nur ein Jahr vorher waren wir edle Revolutionäre gewesen!«123
Das Streben nach Heldentum und pubertäre Angeberei waren Triebkräfte hinter der Absonderung jihadistischer Splittergruppen.
Dieses Streben nach Heldentum war auch eine Triebkraft hinter der allmählichen Absonderung jihadistischer Splittergruppen nach dem Sturz des Regimes. So gingen etwa viele junge Männer aus Darna nach Syrien, denn »diejenigen, die im Irak gegen die Amerikaner oder 2011 gegen Gaddafi gekämpft hatten, waren als Helden zurückgekommen. Wenn du ein Held werden wolltest, konntest du in den Jihad ziehen.«124 Ein Kommandeur aus Bengasi erinnerte sich an einen Sechzehnjährigen, der aus dem Westen Libyens kam, um gegen Haftar zu kämpfen: »Jemand wie er ging auch nach Bengasi, um später zuhause damit angeben zu können, dort gekämpft zu haben. Zum Glück schloss er sich uns an und nicht irgendwelchen Extremisten.«125 Der Zulauf, den der IS in Bengasi erfuhr, ließ sich einem Rafallah-Sahati-Veteran zufolge ebenfalls (unter anderem) mit pubertärer Angeberei begründen: »Beim IS war viel Hollywood im Spiel, es ging viel um Action – ›ich hab’ dies gemacht, ich hab’ das gemacht‹. Es waren bei weitem nicht alles Ideologen.«126 Ideologie war allerdings auch ein Mittel, um sich als überlegen abzugrenzen: Gruppen wie Ansar al-Sharia und später der IS sahen sich als die Vertreter der einzig wahren Lehre; Anhänger moderaterer Strömungen waren für sie Abtrünnige oder Ungläubige.127
Bezeichnend für die entstehenden jihadistischen Splittergruppen war das Alter ihrer Mitglieder – bei diesen handelte es sich vor allem um Jugendliche und junge Erwachsene.128 Anführer der revolutionären Brigaden betonten oft, dass sie eine generationelle Kluft von den Mitgliedern Ansar al-Sharias und des IS trennte: »Im IS waren nur ganz junge Leute. Keiner der älteren Revolutionäre schloss sich ihm an.«129 Neben jugendlicher Prahlerei und dem Streben nach Ruhm waren dabei auch andere allgemeine Jugendphänomene zu erkennen, nämlich die Rebellion gegen Eltern und Gesellschaft sowie die Suche nach Identität, Zugehörigkeit und höheren Zielen.130 Solche Dynamiken wurden gleichermaßen in anderen Kontexten beobachtet, etwa bei jungen Salafisten in Tunesien oder sozial marginalisierten Teenagern in Europa, die von einer jihadistischen Subkultur, einem »Jihadi Cool«, angezogen wurden.131 Weitgehend unbeachtet blieb bisher, wie schnelllebig solch eine Subkultur sein kann – wie andere Jugendkulturen eben auch.
Mit der Trendwende um 2016 verschwanden die Ästhetik und der Habitus militanter Islamisten rasch. Manche, die 2012 die »Abaya der Islamisten« getragen hatten, trugen nun die »Abaya der Madkhali-Salafisten«, deren Bewegung einen dramatischen Aufschwung erlebte.132 Unter den Anführern bewaffneter Gruppen wurden die Bärte kürzer oder ganz abrasiert; Milizenführer wie Haitham al-Tajuri aus Tripolis zeigten sich jetzt in Designerkleidung und verkörperten einen ostentativen Materialismus, der an die Stelle der islamistisch-revolutionären Rhetorik trat. Die neue Jugendkultur der Milizionäre verherrlichte schnellen Reichtum durch Gewalt und Kriminalität.133 Später legten die Anführer bewaffneter Gruppen Uniformen an, um den formellen und disziplinierten Charakter ihrer Einheiten zu unterstreichen.134
Ende 2023 traf sich der Autor mit einem Sheikh und Universitätsprofessor, dem von wohlinformierten Mitbürgern nachgesagt wurde, vor 2011 mehrere Rekruten für den Jihad im Irak gewonnen zu haben. Er hatte 2011 eine bewaffnete Gruppe angeführt, deren Mitglieder sich später teilweise Ansar al-Sharia und anschließend dem IS in Sirt angeschlossen hatten. Doch nun trat er dem Autor im Anzug und glattrasiert gegenüber und hob hervor, er sei reiner Akademiker und habe schon seit dem Sturz Gaddafis nichts mehr mit bewaffneten Gruppen zu tun.135
Im Hinblick auf das modeartige Aufkommen und Verschwinden militanter Islamisten ist Libyen kein Einzelfall. In der libanesischen Hafenstadt Tripolis, die für ihre jihadistische Subkultur berüchtigt wurde, können ältere Bürger sich noch an das ungefähre Datum erinnern, an dem die jungen Leute eines Viertels »plötzlich ›Islamisten‹ wurden – es war im Sommer 1980. [Sie] fingen an, fünfmal am Tag zu beten, ließen sich Bärte wachsen … [und] hielten die schwarze Fahne des Jihad hoch.«136 Und in Tunesien, von wo aus tausende junger Männer sich nach 2011 jihadistischen Gruppen in Libyen und Syrien angeschlossen hatten, war Jihadismus schon 2020 wieder »aus der Mode gekommen«.137
Mechanismen der Abgrenzung und Nachahmung können dazu beitragen, sowohl die rasche Ausbreitung als auch den ebenso schnellen Niedergang militant islamistischer Bewegungen in Libyen zu verstehen. Die Impulse gingen dabei von Schlüsselereignissen wie der Revolution von 2011 und dem Kampf gegen den IS aus, aber auch von dem Faktum, dass die öffentliche Meinung durch die Medien gezielt beeinflusst wurde. Prozesse der sozialen Anpassung und das Gewicht des Konformismus helfen zu erklären, wie schnell solche Impulse gesellschaftliche Trends entstehen und wieder verschwinden lassen können. Oder, um es mit dem Vokabular der Theorien sozialer Bewegungen zu sagen: wie diskursive Frames zu einem bestimmten Zeitpunkt Resonanz finden – und nur wenig später nicht mehr.138
Schlussfolgerungen
Der kometenhafte Aufstieg und abrupte Fall militant islamistischer Bewegungen in Libyen lässt sich nicht allein durch taktische Handlungslogiken und noch weniger durch die Macht ideologischer Mobilisierung erklären. Die Suche nach Schutz beispielsweise konnte sowohl zur Annäherung an Jihadisten führen als auch zur Distanzierung von ihnen. Gewiss: Es spielte eine wichtige Rolle, ob militante Islamisten Zugang zu Ressourcen hatten oder ihnen diese verwehrt blieben, ob sie militärische Siege feierten oder Niederlagen erlitten. Doch dass sie sich überhaupt ausbreiten konnten, wird erst durch ihre soziale Einbettung verständlich. Dass sie zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr als taktische Verbündete angesehen wurden, lag nicht nur am taktischen Kalkül, sondern ebenfalls daran, dass die aus dem Jahr 2011 herrührende Verbundenheit durch einschneidende Erfahrungen zerrüttet worden war.
Wie schnell aber Ausbreitung und Niedergang vor sich gingen, wird nachvollziehbarer, wenn man Mechanismen der Abgrenzung und Anpassung miteinbezieht. Akteure, die nach Anerkennung und Zugehörigkeit strebten, setzten Impulse, die von Schlüsselereignissen ausgelöst worden waren und die sich durch das Gewicht des Konformismus selbst verstärkten. Und so waren Libyens militante Islamisten auf einmal wieder verschwunden.
Für analytische Zwecke hat diese Studie Mechanismen voneinander getrennt, die in der Realität oft schwer auseinanderzuhalten sind. Wie soll man im Einzelfall feststellen, ob jemand die »Abaya der Islamisten« aufgrund bewusster Kalkulation oder aus Konformitätsdrang anlegt? Die Darstellungen der Akteure und genauen Beobachter in den Interviews legen jedenfalls nahe, dass es beides gab. Deutlich dürfte auch geworden sein, dass sich taktische Erwägungen, soziale Beziehungen sowie die Dialektik von Abgrenzung und Anpassung wechselseitig beeinflussen.
All das soll nicht heißen, dass Ideologie bei militant islamistischer Mobilisierung keine Rolle spielt. Beim harten Kern und langjährigen Anhängern tut sie das zweifelsohne. Ideologie kann erheblich zur Langlebigkeit und Widerstandsfähigkeit von sozialen Bewegungen oder Rebellengruppen beitragen – ganz gleich, ob dabei islamistisches oder anderes Gedankengut vertreten wird. Dass sie es in diesem Fall nicht tat, kann diese Studie zwar nicht abschließend erklären; eine Hypothese ergibt sich aus dem hier gewählten Ansatz aber doch: Gefolgsleute, die sich einer Gruppe aus taktischen Gründen, sozialer Verbundenheit oder Konformismus anschließen, können deren Ideologie verinnerlichen.139 Dafür braucht es aber unter anderem Zeit – das heißt, die Konfliktlinien und Kräfteverhältnisse, die militant islamistische Mobilisierung bedingt haben, müssen über einen gewissen Zeitraum ein Mindestmaß an Konstanz aufweisen. Erreicht ein Konflikt schon nach kurzer Zeit einen dramatischen Wendepunkt, der die Positionen und Kalkulationen der Akteure grundlegend ändert, kann dies Prozesse der ideologischen Verinnerlichung unterbrechen und rückgängig machen. Anhänger, die sich ideologische Standpunkte aus Konformismus oder Opportunismus angeeignet haben, können sie unter solchen Umständen leicht wieder ändern. Genau das war jedenfalls in Libyen zu beobachten.
Damit ist noch nichts darüber gesagt, wie dauerhaft der Niedergang militanter Islamisten in Libyen sein wird. Die vorliegende Analyse legt nahe, dass er durchaus reversibel ist. Zum einen gibt es weiterhin einen harten Kern langjähriger islamistischer – aber nicht jihadistischer – Aktivisten und Ideologen, die untereinander eng vernetzt sind, wie etwa den Mufti und die ehemalige LIFG-Führungsriege. Sie warten darauf, dass sich die politischen Rahmenbedingungen zu ihren Gunsten wenden.140 Zum anderen werden hunderte, vielleicht tausende ehemalige Mitglieder von Ansar al-Sharia und des IS unter furchtbarsten Bedingungen in libyschen Gefängnissen festgehalten – und welche langfristigen Folgen damit verbunden sein können, ist kaum abzusehen. Dass Gefängnisse den Nährboden für langfristige Radikalisierung bereiten können, beweisen sowohl der libysche als auch andere Fälle.141
Vor allem aber zeigt das Schicksal militanter Islamisten in Libyen: Schlüsselereignisse können eine unberechenbare Wirkung entfalten, die innerhalb kürzester Zeit allgemein anerkannte Annahmen darüber revolutioniert, welche politische Haltung gesellschaftlich akzeptabel ist.142 Jüngste Hinweise dafür liefert der Krieg im Gaza-Streifen, der im Oktober 2023 begonnen hat. Wenn er auch letztendlich kein solches Schlüsselereignis in Libyen darstellt, so hat er doch schlagartig die Sichtweise vieler Libyer auf die Hamas verändert: »Heute wird dir jeder Libyer sagen, dass er auf den Sieg der Hamas hofft. Aber vor nur drei Monaten war die Hamas noch die böse Muslimbruderschaft.«143
Tatsächlich problematisiert diese Studie zwar gängige Annahmen über die Gründe für militant islamistische Mobilisierung; sie versucht aber nicht, diese durch ein vermeintlich plausibleres Modell zu ersetzen. Modetrends sind bekanntlich schwer vorherzusagen.144 Um genauer zu sein: Nichtlineare Entwicklungen, die durch die Anpassung vieler an die plötzliche Repositionierung einiger weniger Akteure angetrieben werden, sind weitgehend unberechenbar. Diese Einsicht macht es keineswegs leichter, Handlungsempfehlungen dafür zu entwickeln, wie mit militanten Islamisten umzugehen ist. Drei Schlussfolgerungen, die auch für andere Fälle relevant sein dürften, ergeben sich dennoch aus der vorliegenden Analyse:
Erstens illustriert der libysche Fall, dass gegenüber Etiketten wie »Islamisten« und »Jihadisten« – von »Terroristen« ganz zu schweigen – äußerste Vorsicht geboten ist. Das trifft insbesondere auf Kontexte zu, in denen dichte soziale Netzwerke eine ebenso große Rolle für militante Mobilisierung spielen wie ideologische Nähe. Enge Beziehungen zu militanten Islamisten zu unterhalten, bedeutet unter solchen Umständen mitnichten, selbst einer zu sein. Das gilt umso mehr in Gesellschaften, deren strenge Wertvorstellungen für Außenstehende manchmal schwer von explizit militanten Ideologien zu unterscheiden sind. Im Rückblick zeigt sich, dass der Großteil internationaler Wissensproduktion zu militanten Islamisten in Libyen im hier untersuchten Zeitraum ein zu grobes Bild gezeichnet hat. So landeten Individuen und Gruppen oftmals in Schubladen, in die sie bei genauerer Betrachtung nicht hineingehörten.
Zweitens verdeutlicht die Studie, dass auch jene, die nicht nur mit jihadistischen Gruppen paktieren, sondern sich ihnen anschließen, keineswegs durchweg ideologisch überzeugte Islamisten sind. Das ist an sich kein überraschender Befund, sondern bestätigt lediglich, was bereits Untersuchungen in vielen anderen Kontexten festgestellt haben. Der libysche Fall legt allerdings dar, dass die Beweggründe für militant islamistische Mobilisierung noch vielfältiger sein können als bisher angenommen. Neben taktischen, ja opportunistischen Handlungslogiken sowie Reaktionen auf Missstände wie willkürliche Repression zählen enge soziale Verbundenheit sowie das Streben nach sozialer Anerkennung und Gruppenzugehörigkeit dazu.
Drittens und letztens gelten diese Schlussfolgerungen nicht nur für militante Islamisten. Sie weisen vielmehr darauf hin, dass diese den gleichen Handlungslogiken folgen wie andere bewaffnete Akteure auch. Die Analyse bewaffneter Gruppen hat sich bisher erstaunlich wenig mit dem Drang nach sozialer Anerkennung als Motivationsfaktor beschäftigt – verglichen etwa mit vermeintlich rationalen Interessen wie Macht, Selbstbereicherung oder Überleben. Abgrenzung und Konformismus sind Mechanismen, denen jede Gruppenbildung unterliegt. Sie sind gleichermaßen in gesamtgesellschaftlichen Prozessen am Werk, durch die politische Ideale und Feindbilder an Resonanz gewinnen oder verlieren. Sie sollten stärker berücksichtigt werden, um die mannigfaltigen Motivationen hinter militanter Mobilisierung – ob islamistisch oder nicht – besser zu verstehen.
Abkürzungen
AI |
Artificial intelligence |
HSFK |
Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (Frankfurt a. M.) |
ICG |
International Crisis Group (Brüssel) |
Ifri |
Institut français des relations internationales (Paris) |
IS |
Islamischer Staat |
ISIS |
Islamischer Staat in Irak und Syrien |
ISRM |
Institute for the Study of Radical Movements (Berlin) |
JCP |
Justice and Construction Party |
LIFG |
Libyan Islamic Fighting Group |
MSTB |
Majlis Shura Thuwwar Benghazi (Schurarat der Revolutionäre von Bengasi) |
Endnoten
- 1
-
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- 2
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- 3
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- 4
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- 5
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- 6
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- 9
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- 10
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- 11
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- 13
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- 14
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Lacher, Who Is Fighting Whom? [wie Fn. 12].
- 15
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- 20
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- 21
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-
Audrey Kurth Cronin, How Terrorism Ends. Understanding the Decline and Demise of Terrorist Campaigns, Princeton: Princeton University Press, 2011; Julie Chernov Hwang, Why Terrorists Quit. The Disengagement of Indonesian Jihadists, Ithaca, NY: Cornell University Press, 2018.
- 32
-
Quintan Wiktorowicz, »Introduction: Islamic Activism and Social Movement Theory«, in: ders. (Hg.), Islamic Activism. A Social Movement Theory Approach, Bloomington, IN: Indiana University Press, 2003, S. 1–33; Jerome Drevon, »Can (Salafi) Jihadi Insurgents Politicise and Become Pragmatic in Civil Wars? Social Movement Restraint in Ahrar al-Sham in Syria«, in: Third World Thematics: A TWQ Journal, 5 (2020) 3–6, S. 189–205.
- 33
-
Marc Lynch, »In the Same Basket, or Not?«, Diwan (Blog), 28.4.2017, <https://carnegie-mec.org/diwan/68779>.
- 34
-
Quintan Wiktorowicz, »Anatomy of the Salafi Movement«, in: Studies in Conflict & Terrorism, 29 (2006) 3, S. 207–239; Marc Lynch, »Islam Divided between Salafi-jihad and the Ikhwan«, in: Studies in Conflict & Terrorism, 33 (2010) 6, S. 467–487.
- 35
-
Hanna Pfeifer/Regine Schwab/Clara-Auguste Süß, »Who Are These ›Islamists‹ Everyone Talks About?! Why Academic Struggles over Words Matter«, PRIF blog (Blog), 3.12.2020, <https://blog.prif.org/2020/12/03/who-are-these-islamists-every one-talks-about-why-academic-struggles-over-words-matter/>.
- 36
-
Hazim Fouad/Behnam Said, »Islamismus, Salafismus, Dschihadismus. Hintergründe zur Historie und Begriffsbestimmung«, Bundeszentrale für politische Bildung (online), 17.12.2020, <https://www.bpb.de/themen/infodienst/322920/ islamismus-salafismus-dschihadismus/>; Lynch, »In the Same Basket?« [wie Fn. 33]; Pfeifer/Schwab/Süß, »Who Are These ›Islamists‹?!« [wie Fn. 35].
- 37
-
Thomas Hegghammer, »Jihadi-Salafis or Revolutionaries? On Religion and Politics in the Study of Militant Islamism«, in: Roel Meijer (Hg.), Global Salafism. Islam’s New Religious Movement, London: Hurst Publishers, 2009, S. 245–266; Darryl Li, »A Jihadism Anti-Primer«, in: Middle East Report, (2015) 276, S. 12–17; ICG, Exploiting Disorder [wie Fn. 1], S. 2.
- 38
-
Clémence Weulersse, »Histoire et révolution en Libye«, in: L’Année du Maghreb, 2 (2007), S. 249–260.
- 39
-
Erklärung Ashraf al-Mayyars zur Unterstützung Haftars, al-Assema TV, 10.6.2014, <https://www.youtube.com/watch? app=desktop&a&feature=youtu.be&v=r4v_sKiYDNs>; »Khalifa Haftar erklärt Jihad und allgemeine Mobilmachung, um der türkischen Militärintervention in Libyen zu begegnen« (arab.), France24, 4.1.2020, <https://bit.ly/4bK70Ka>.
- 40
-
Zur Problematik des Quietismus bei den Madkhali-Salafisten vgl. Laurent Bonnefoy, »Quietist Salafis, the Arab Spring and the Politicisation Process«, in: Francesco Cavatorta/ Fabio Merone (Hg.), Salafism after the Arab Awakening. Contending with People’s Power, Oxford: Oxford University Press, 2017, S. 205–218; Frederic Wehrey/Anouar Boukhars, Salafism in the Maghreb. Politics, Piety, and Militancy, Oxford: Oxford University Press, 2019.
- 41
-
Interview 1 (Führungsfigur in Rafallah-Sahati-Brigade, Tripolis, November 2012).
- 42
-
Interview 32 [wie Fn. 9].
- 43
-
Interview 3 (Führungskader in Justice and Construction Party, die der Muslimbruderschaft nahesteht, Misrata, April 2014).
- 44
-
Virginie Collombier, »Sirte’s Tribes under the Islamic State: From Civil War to Global Jihadism«, in: Virginie Collombier/Olivier Roy (Hg.), Tribes and Global Jihadism, London: Hurst Publishers, 2017, S. 153–180.
- 45
-
Aaron Y. Zelin, Your Sons Are at Your Service. Tunisia’s Missionaries of Jihad, New York: Columbia University Press, 2020; Medani, Black Markets and Militants [wie Fn. 26]; Aisha Ahmad, »The Long Jihad: The Boom–Bust Cycle behind Jihadist Durability«, in: Journal of Global Security Studies, 6 (2021) 4, S. 1–17.
- 46
-
Interview 36 (ehemalige Führungsfigur in revolutionären bewaffneten Gruppen, Sabratha, Dezember 2023).
- 47
-
Interview 4 (Führungsfigur in Rafallah-Sahati-Brigade, Tripolis, Juni 2014).
- 48
-
Interview 7 (ehemalige Führungsfigur in Brigade des 17. Februar, Berlin, Dezember 2014); Interview 27 (ehemalige Führungsfigur im Schurarat der Revolutionäre Bengasis, Istanbul, März 2023); Interview 28 (ehemalige Führungsfigur in Rafallah-Sahati-Brigade und Schurarat der Revolutionäre Bengasis, Istanbul, März 2023).
- 49
-
Interview 37 (Ziyad Balam, ehemaliger Anführer der Omar-al-Mukhtar-Brigade und Gründungsmitglied der Kompanien zur Verteidigung Bengasis, Misrata, Dezember 2023).
- 50
-
Interview 16 (Armeeoffizier und Führungsfigur in Kompanien zur Verteidigung Bengasis, Tripolis, März 2017). Die Expertengruppe der Vereinten Nationen zu Libyen warf Jadhran später zudem vor, Geschäftsbeziehungen mit dem IS in Sirt unterhalten zu haben. United Nations Security Council, Final Report of the Panel of Experts on Libya Established Pursuant to Resolution 1973 (2011), S/2017/466, 1.6.2017, S. 112, <https:// undocs.org/Home/Mobile?FinalSymbol=S%2F2017%2F466& Language=E&DeviceType=Desktop&LangRequested=False>.
- 51
-
Interview 29 (Ismail Sallabi, ehemaliger Anführer der Rafallah-Sahati-Brigade und der Kompanien zur Verteidigung Bengasis, Istanbul, März 2023).
- 52
-
Interview 28 [wie Fn. 48].
- 53
-
Interview 27 [wie Fn. 48].
- 54
-
Thurston, Jihadists [wie Fn. 5]; Interviews 27 und 28 [wie Fn. 48]; Interview 29 [wie Fn. 51]; Interview 32 [wie Fn. 9].
- 55
- 56
-
Interview 28 [wie Fn. 48].
- 57
-
Interview 8 (ehemalige Führungsfigur in Rafallah-Sahati-Brigade, Tripolis, Januar 2015).
- 58
-
Interview 9 (Politiker mit engen Verbindungen zum Schurarat der Revolutionäre Bengasis, Tripolis, Januar 2015).
- 59
-
Interview 11 (Person mit engen familiären Verbindungen zur Führung des Schurarats der Revolutionäre Bengasis, Istanbul, Januar 2015).
- 60
-
Interview 28 [wie Fn. 48].
- 61
-
Interview 28 [wie Fn. 48].
- 62
-
Collombier, »Sirte’s Tribes« [wie Fn. 44].
- 63
-
Interview 32 [wie Fn. 9].
- 64
-
Interview 32 [wie Fn. 9].
- 65
-
Interview 27 [wie Fn. 48].
- 66
-
Collombier, »Sirte’s Tribes« [wie Fn. 44].
- 67
-
Interview 36 [wie Fn. 46].
- 68
-
Interview 36 [wie Fn. 46].
- 69
-
Interview 32 [wie Fn. 9]; vgl. auch Frederic Wehrey/ Ala’ Alrababa’h, »Splitting the Islamists: The Islamic State’s Creeping Advance in Libya«, Diwan (Blog), 19.6.2015, <https:// carnegie-mec.org/diwan/60447>.
- 70
-
Vgl. z. B. Rami Musa, »Al-Qaida-linked Militants Attack IS Affiliate in Libya«, Associated Press, 10.6.2015; Thomas Joscelyn, »Veteran Jihadists Killed by Islamic State’s ›Province‹ in Derna, Libya«, in: Long War Journal (online), 12.6.2015, <https://www.longwarjournal.org/archives/2015/06/rival-jihadists-battle-derna.php>; Rosenblatt, All Jihad Is Local [wie Fn. 5]; Rhiannon Smith/Jason Pack, »Al-Qaida’s Strategy in Libya: Keep It Local, Stupid«, in: Perspectives on Terrorism, 11 (2017) 6, S. 191–200.
- 71
-
Interview 32 [wie Fn. 9]; Interview 38 (Armeeoffizier mit Führungsrolle im Kampf gegen den IS in Darna, Tripolis, Dezember 2023).
- 72
-
»Chef des Schurarats der Mujahidin Darnas verkündigt Vereinigung der Sicherheitskräfte der Stadt zur Schutztruppe Darna« (arab.), Alnabaa TV, 11.5.2018, <https://www.youtube. com/watch?v=vagnCVr6140>.
- 73
-
Interview 18 [wie Fn. 9].
- 74
-
»Tote und Verletzte durch IS-Angriff mit Granatwerfern nahe Sirt« (arab.), in: al-Arab (online), 25.3.2015, <https:// bit.ly/3wV5yoW>; »Islamic State Militants in Libya ›Seize Sirte Airport‹«, BBC News (online), 29.5.2015, <https://www. bbc.com/news/world-africa-32935412>.
- 75
-
Interview 12 (Politiker aus Misrata, Istanbul, Januar 2015); Interview 8 [wie Fn. 57].
- 76
-
Interview 13 (Politiker aus Misrata mit Verbindungen zu Haftar-Gegnern aus Bengasi, Misrata, September 2016); Interview 14 (Universitätsprofessor aus Misrata, Misrata, September 2016); Kirkpatrick/Hubbard/Schmitt, »ISIS’ Grip on Libyan City« [wie Fn. 7].
- 77
-
Interview 15 (Kämpfer in bewaffneten Gruppen Misratas in der Offensive gegen den IS, Misrata, September 2016).
- 78
-
Interviews 13 und 14 [wie Fn. 76].
- 79
- 80
-
»Gründungserklärung der Kompanien zur Verteidigung Bengasis« (arab.), in: Ean Libya (online), 2.6.2016, <https:// bit.ly/450s2Se>.
- 81
-
Interview 18 [wie Fn. 9]; Interview 19 (Armeeoffizier, Führungsfigur in Kompanien zur Verteidigung Bengasis, al‑Sdada, November 2018); Interview 29 [wie Fn. 51]; Interview 37 [wie Fn. 49].
- 82
-
Interview 35 (anonymisiert, September 2023).
- 83
-
Vgl. z. B. »Libysche Armee identifiziert gesuchte Terroristen in Tripolis« (arab.), in: Sky News Arabia (online), 6.4.2019, <https://bit.ly/3yPrrGI>; Isabelle Lasserre, »Jean-Yves Le Drian: ›La France est en Libye pour combattre le terrorisme‹«, in: Le Figaro, 2.5.2019.
- 84
-
Interview 20 (ehemalige Führungsfigur in revolutionären bewaffneten Gruppen Bengasis, Tripolis, Juni 2019); Interview 22 (ehemalige Führungsfigur in revolutionären bewaffneten Gruppen Bengasis, Istanbul, Juni 2022); Interview 29 [wie Fn. 51]; Interview 37 [wie Fn. 49].
- 85
-
Interviews 20 und 22 [wie Fn. 84].
- 86
-
Interview 37 [wie Fn. 49].
- 87
-
Interview 24 (Journalist aus Darna, Istanbul, Juni 2022); Interview 21 (Einwohner von Sirt, Berlin, November 2019); Collombier, »Sirte’s Tribes« [wie Fn. 44].
- 88
- 89
-
Adam Baczko/Gilles Dorronsoro/Arthur Quesnay, »Le capital social révolutionnaire. L’exemple de la Syrie entre 2011 et 2014«, in: Actes de la recherche en sciences sociales, 211–212 (2016) 1–2, S. 24–35.
- 90
-
Fitzgerald, »Finding Their Place« [wie Fn. 2].
- 91
-
Peter Cole/Umar Khan, »The Fall of Tripoli: Part 1«, in: Cole/McQuinn (Hg.), The Libyan Revolution [wie Fn. 2], S. 55–79.
- 92
-
Interview 32 [wie Fn. 9]; Interview 6 (Journalist aus Darna, Berlin, November 2014).
- 93
-
Interview 28 [wie Fn. 48].
- 94
-
Interview 34 (ehemalige Führungsfigur in revolutionären bewaffneten Gruppen, Zawiya, Juni 2023).
- 95
-
Interview 36 [wie Fn. 46].
- 96
-
Interview 25 (ehemalige Führungsfigur in al-Faruq-Brigade, Tripolis, November 2022).
- 97
-
Interview 32 [wie Fn. 9].
- 98
-
Interview 37 [wie Fn. 49]
- 99
-
Interview 28 [wie Fn. 48].
- 100
-
Interview 2 (Mitglied des Lokalrats Bengasi, Bengasi, März 2013); Interview 37 [wie Fn. 49]; Fitzgerald, »Jihadism and Its Relationship« [wie Fn. 6].
- 101
-
Interview 2 [wie Fn. 100].
- 102
-
Fitzgerald, »What Happened?« [wie Fn. 10].
- 103
-
Interview 5 (Mitglieder des Munizipalrats Misrata, Misrata, Oktober 2014); Interview 10 (ehemalige LIFG-Führungsfigur, Tripolis, Januar 2015); Interview 27 [wie Fn. 48]; Mary Fitzgerald, »›Changed Utterly‹: How the 2014–18 War Transformed Benghazi’s Social Fabric«, in: Virginie Collombier/ Wolfram Lacher (Hg.), Violence and Social Transformation in Libya, London: Hurst Publishers, 2023, S. 97–131.
- 104
-
Interview 28 [wie Fn. 48].
- 105
-
Interview 36 [wie Fn. 46].
- 106
-
Collombier, »Sirte’s Tribes« [wie Fn. 44].
- 107
-
Interview 14 [wie Fn. 76].
- 108
-
Interview 38 [wie Fn. 71].
- 109
-
Interview 29 [wie Fn. 51].
- 110
-
Interview 37 [wie Fn. 49].
- 111
-
Interview 29 [wie Fn. 51].
- 112
-
Interview 30 (ehemalige LIFG-Führungsfigur, Istanbul, März 2023).
- 113
-
Interview 15 [wie Fn. 77].
- 114
-
Klaus Schlichte, In the Shadow of Violence. The Politics of Armed Groups, Frankfurt a. M.: Campus, 2009; Cronin, How Terrorism Ends [wie Fn. 31]; Hwang, Why Terrorists Quit [wie Fn. 31].
- 115
-
Interview 23 (ehemalige LIFG-Führungsfigur, Istanbul, Juni 2022).
- 116
-
Interview 33 (Führungskader der Muslimbruderschaft, Istanbul, März 2023).
- 117
-
Interview 24 [wie Fn. 87].
- 118
-
Interview 17 (ehemalige LIFG-Führungsfigur, Istanbul, November 2017); Interview 30 [wie Fn. 112]; Interview 31 (ehemalige LIFG-Führungsfigur, Istanbul, März 2023).
- 119
-
Interview 29 [wie Fn. 51].
- 120
-
Georg Simmel, Philosophie der Mode, Berlin: Pan-Verlag, o. J. [1905] (Moderne Zeitfragen, Bd. 11); Pierre Bourdieu, La distinction. Critique sociale du jugement, Paris: Les Editions de Minuit, 1979.
- 121
-
Interview 23 [wie Fn. 115].
- 122
-
Interview 36 [wie Fn. 46].
- 123
-
Interview 28 [wie Fn. 48].
- 124
-
Interview 32 [wie Fn. 9].
- 125
-
Interview 37 [wie Fn. 49].
- 126
-
Interview 28 [wie Fn. 48].
- 127
-
Interview 32 [wie Fn. 9]; Interviews 27 und 28 [wie Fn. 48].
- 128
-
Siehe auch Thurston, Jihadists [wie Fn. 5], S. 250; Rosenblatt, All Jihad Is Local [wie Fn. 5], S. 16.
- 129
-
Interview 29 [wie Fn. 51]; vgl. auch Interview 28 [wie Fn. 48].
- 130
-
Fitzgerald, »Jihadism and Its Relationship« [wie Fn. 6].
- 131
-
Monica Marks, »Youth Politics and Tunisian Salafism: Understanding the Jihadi Current«, in: Mediterranean Politics, 18 (2013) 1, S. 107–114; Claudia Dantschke, »Pop-Jihad«. History and Structure of Salafism and Jihadism in Germany, Berlin: Institute for the Study of Radical Movements (ISRM), 2013; Daniela Pisoiu, »Subcultural Theory Applied to Jihadi and Right-Wing Radicalization in Germany«, in: Terrorism and Political Violence, 27 (2015) 1, S. 9–28; Sune Qvotrup Jensen/ Jeppe Fuglsang Larsen/Sveinung Sandberg, »Rap, Islam and Jihadi Cool: The Attractions of the Western Jihadi Subculture«, in: Crime, Media, Culture, 18 (2022) 3, S. 430–445.
- 132
-
Interview 36 [wie Fn. 46]. Zum Aufstieg der Madkhali-Salafisten in Libyen vgl. ICG, Addressing the Rise of Libya’s Madkhali-Salafis, Brüssel, April 2019, <https://icg-prod.s3. amazonaws.com/200-libyas-madkhali-salafis.pdf>.
- 133
-
Emadeddin Badi, »No Country for the Young: The Degeneration of a Libyan Generation«, in: Collombier/Lacher (Hg.), Violence and Social Transformation in Libya [wie Fn. 103], S. 19–45.
- 134
-
Wolfram Lacher, Libyens zum Staat gewordene Milizen. Dimensionen und Konsequenzen eines Konsolidierungsprozesses, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Juli 2023 (SWP-Aktuell 50/2023), doi: 10.18449/2023A50.
- 135
-
Interview 39 (anonymisiert, Dezember 2023).
- 136
-
Lefèvre, Jihad in the City [wie Fn. 20], S. 128–129.
- 137
-
ICG, Jihadisme en Tunisie [wie Fn. 21], S. 9.
- 138
-
Robert D. Benford/David A. Snow, »Framing Processes and Social Movements: An Overview and Assessment«, in: Annual Review of Sociology, 26 (2000), S. 611–639.
- 139
-
Maynard, »Ideology and Armed Conflict« [wie Fn. 15].
- 140
-
Interview 26 (Mufti al-Sadeq al-Gharyani, Tripolis, November 2022); Interview 23 [wie Fn. 115].
- 141
-
Beispielsweise argumentiert Aaron Y. Zelin, dass die tunesische Ansar al-Sharia auf die Erfahrungen von Gefängnisinsassen während der Ben-Ali-Ära zurückging und »die Zukunft des tunesischen Jihadismus in den Gefängnissen des Landes brütet«. Zelin, Your Sons [wie Fn. 45], S. 266.
- 142
-
Giovanni Capoccia/R. Daniel Kelemen, »The Study of Critical Junctures: Theory, Narrative, and Counterfactuals in Historical Institutionalism«, in: World Politics, 59 (2007) 3, S. 341–369; Ivan Ermakoff, »The Structure of Contingency«, in: American Journal of Sociology, 121 (2015) 1, S. 64–125.
- 143
-
Interview 38 [wie Fn. 71].
- 144
-
Priscille Biehlmann, »›You’ve Got to Be Data-driven‹: The Fashion Forecasters Using AI to Predict the Next Trend«, in: The Guardian (online), 1.10.2023, <https://www.the guardian.com/technology/2023/oct/01/ai-artificial-intelli gence-fashion-trend-forecasting-style>.
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