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Die EU-Brasilien-Partnerschaft in der neuen Klima-Geopolitik

Dekarbonisierung und Wettbewerb strategisch zusammenführen

SWP-Aktuell 2024/A 62, 03.12.2024, 8 Seiten

doi:10.18449/2024A62

Forschungsgebiete

Kernziele der neuen EU-Kommission sind es, die geoökonomische Widerstandsfähigkeit zu erhöhen, die Dekarbonisierung voranzutreiben und die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Dafür ist die EU auf Schwellenländer wie Brasilien angewiesen. Doch während China sein Engagement in Brasilien ausgeweitet hat, verliert die EU an Ein­fluss, weil sie keine langfristige Strategie besitzt und nicht in der Lage ist, der selbst­bewussten Position Brasiliens in einer zunehmend multipolaren Welt angemessen zu begegnen. Ihre strategische Agenda gerät dadurch immer mehr in Gefahr.

Auf der politischen und diskursiven Ebene werden Klimapolitik und Wettbewerbs­fähigkeit seit einigen Jahren zunehmend verschränkt. Infolge der jüngsten Wahlen zum Europäischen Parlament und der Wahl Donald Trumps zum US-Präsi­denten wird sich dieser Trend weiter verschärfen. China dominiert mittlerweile große Teile der Pro­duktions- und Lieferketten von Schlüssel­technologien wie Solarpaneelen und Elek­trofahrzeugen (EVs). Diese Ent­wicklung hat in der EU Befürchtungen vor einer zu großen Importabhängigkeit von China ausgelöst. Das gilt be­sonders im Hin­blick auf Risiken für die Versorgungssicher­heit, Störungen in den globalen Liefer­ketten und mögliche geo­politische Span­nungen wie Handelskonflikte. Die europäische Industrie steckt in der Krise, die Wettbewerbsfähigkeit ist bedroht. Um im Wett­streit um Tech­nologieführerschaft, Markt­anteile grü­ner Technologien und Zugang zu kritischen Rohstoffen nicht weiter zurückzufallen, bemüht sich die EU verstärkt, ihre Liefer­ketten zu diversifizieren, und treibt zu­gleich die Dekarbonisierung voran.

EU-Kommis­sionspräsidentin Ursula von der Leyen hat angekündigt, innerhalb der ersten 100 Tage ihrer neuen Kommission einen Clean Industrial Deal vorzulegen. Damit rückt die industriepolitische Flankie­rung der europäischen Klimapolitik weiter in den Mittelpunkt. In der vergangenen Legislaturperiode genoss die Klimapolitik mit dem European Green Deal (EGD) einen hohen Stellenwert. Nun aber lassen die Zusammensetzung der neuen Kommission und ihr politisches Programm erkennen, dass Wettbewerbsfähigkeit, wirt­schaftliche Sicherheit und strategische Autonomie die EU-Agenda im politischen Zyklus 2024–2029 prägen werden. Dabei muss die Kom­mission mit ihren Initiativen, nicht nur wegen der Wahl Trumps, in einer geopolitischen Lage navigieren, die sich während der letzten fünf Jahre stark gewandelt hat, und dabei mit neuen Interessenkonflikten und Allianzen umgehen.

Schon in der letzten Legislaturperi­ode hat die EU konkrete Maßnahmen er­griffen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz zu steigern: Der Net Zero Industry Act und der Critical Raw Materials Act sollen die Abhängigkeit von Importen redu­zieren und die heimische Produktion grüner Technologien ankurbeln. Die neue Kommission hat angekündigt, die Global-Gateway-Initiative (GG) aufzuwerten, um geoökono­mische Inter­essen und strategische Autonomie der EU zu fördern. Gemeinsam mit den vor­gesehenen Partnerschaften für sauberen Handel und Investitionen soll sie Dekar­bo­nisierung und Diversifizierung der Liefer­ketten unterstützen, indem Infrastrukturprojekte in Ländern des Globalen Südens finanziert werden und die Versorgung mit Rohstoffen und grünen Techno­logien gesichert wird.

Für die Umsetzung ihrer Agenda ist die EU auf Partner angewiesen. Ihr Engagement will sie vor allem in Schwellenländern wie Brasilien erhöhen, die wegen ihres großen Einflusses und ihrer strategischen Bedeutung eine Schlüsselrolle in der sich wan­delnden glo­balen Machtverteilung spielen und über wichtige Rohstoffe für grüne Technologien verfügen. Doch die Partnerschaftsstrategie der EU steht in Brasilien und anderen Ländern des Globalen Südens vor Herausforderungen, die eng mit der Abhängigkeit von China und den damit einhergehenden Sicherheitsbedenken ver­bunden sind: Wäh­rend China sein Engage­ment in Bra­silien und anderen Partner­ländern der EU weiter ausdehnt, verliert die EU stetig an Einfluss. Das ist ein Resultat ihrer bisher un­zureichenden und wenig ent­schlossenen Bemühungen, Partnerschaften strategisch zu gestalten und den im Wandel begriffenen geopolitischen Realitä­ten an­zupassen.

Brasilien im Spannungsfeld der globalen Machtdynamik

Die Kombination aus wirtschaftlicher Bedeutung, regionaler Führungsrolle und Zugang zu für die Dekarbonisierung ent­scheidenden Rohstoffen macht Brasilien zu einem gefragten Partner in der sich verän­dernden Weltordnung. Für die nächsten drei Jahre spielt das Land zudem eine zen­trale Rolle bei der Gestaltung der globalen Klimakooperation: als Aus­richter der COP30, die 2025 in Belém statt­finden soll, aber auch als G20-Vorsitz 2024 und BRICS-Vorsitz 2025. Sowohl die EU als auch China sind deshalb bestrebt, ihre Beziehungen mit Brasilien zu vertiefen. Das bleibt nicht ohne Folgen für Brasiliens strategische Entscheidungen und politische Prioritäten. Das Land ist ein selbstbewusster Akteur, der aktiv die globale Ordnung zu prägen versucht und seine strategische Position und seine Han­delsbeziehungen nutzt, um wirtschaftliche und technologische Vorteile für die eigene grüne Transformation zu sichern.

In Brasilien wird die EU als verlässlicher Partner für ausländische Direktinvestitionen, die Förderung gemeinsamer Werte wie Demokratie und Menschenrechte sowie für die klimapolitische Zusammenarbeit ge­schätzt. Von intensiverer politischer Koope­ration mit China erhofft sich die brasilianische Regierung in erster Linie Inves­titionen in die Bereiche Infrastruktur und Industrie, welche EU und USA bisher nur begrenzt ab­deckten. Auch verspricht sich Brasilien da­von, seine Position bei der Gestaltung der Glo­bal Governance in einer multipolaren Welt zu stärken und den Einfluss des Glo­balen Südens im internationalen System zu vergrößern. Zugleich wird aber in Brasilien – auch in der Regierung – kontro­vers dis­kutiert, inwieweit die ökonomische Abhän­gigkeit von China und die politische Nähe zu ihm langfristig strategisch vorteil­haft sind. Während das Außenministerium befürchtet, die prochine­si­sche Rhe­torik des Staatspräsidenten könne Brasi­liens Block­freiheit gefähr­den, unterstützt besonders die starke Lobby des exportierenden Agro­business mehr Annäherung an China.

Chinas wachsender Einfluss

China hat seine Präsenz in Brasilien seit der Jahrtausendwende massiv ausgebaut und ist bestrebt, seinen diplomatischen, wirt­schaftlichen und militärischen Einfluss im Rahmen der »Süd-Süd-Kooperation« weiter zu vergrößern. Dazu setzt die Volksrepublik vermehrt »Soft Power« ein, etwa mit der Lie­ferung von Impfstoffen während der Covid-19-Pandemie. Nach einer Phase der brasilia­nischen Zurück­haltung unter den Präsidenten Michel Temer (2016–2018) und Jair Bolsonaro (2019–2022) steht Luiz Inácio Lula da Silva der Kooperation mit China wieder deutlich offener gegenüber.

In der BRICS-Gruppe und anderen Formaten setzen sich China und Brasilien für Reformen in internationalen Institutionen wie der Weltbank ein und drängen auf eine stärkere eigene Ver­tretung und mehr Mit­sprache. Brasilien wirbt gemeinsam mit China für einen Sechs-Punkte-Plan zur Beendigung des Ukraine-Kriegs, was in den USA und der EU auf scharfe Kritik stößt. Auch ein umfassendes Freihandelsabkommen zwischen den Mercosur-Staaten und China hat Lula ins Gespräch gebracht. Nachdem Brasilien jahrelang abgelehnt hatte, der chinesischen Belt and Road Initiative (BRI) beizutreten, unter anderem aus Sorge, sich von Partnern wie der EU und den USA zu isolieren, schien ein Bei­tritt noch im Jahr 2024 wahrschein­licher denn je. Auch wenn Lula, anders als von vielen erwartet, kurz vor dem Besuch von Chinas Staats- und Partei­chef Xi Jinping erklärt hat, nicht beitreten zu wollen, drücken seine jüngsten Äußerungen zur BRI eine gewisse Anerkennung für den wachsenden globalen Einfluss Chinas und Unterstützung für dessen glo­bale Vision aus. Insgesamt bleibt die Position Brasiliens ambivalent, was etwa an der klaren Ableh­nung des Beitritts vonseiten des Außen­ministeriums deutlich wird.

Die politische Annäherung zwischen China und Brasilien geht mit der Intensivierung der Handelsbeziehungen einher. Zwar ist die EU immer noch der größte auslän­di­sche Investor (stock) in vielen Sektoren der brasilianischen Wirtschaft und zweit­wichtigste Han­delspartner Brasiliens. Doch der Handel zwischen Brasilien und China und die chi­nesischen Investitionen in Brasi­lien (flow) stiegen zuletzt stark an. Die Volksrepublik ist zu einem relevanten Kreditgeber geworden. Schon 2009 war China zum bedeutendsten Handelspartner Brasiliens avanciert. Dieser Aufstieg hatte eine Repri­marisierung der brasilianischen Export­palette, also eine verstärkte Orientierung auf Güter des Primären Sektors zur Folge. Auf China entfallen 28 Prozent des gesamten brasilianischen Handels und 31 Prozent der Exporte, einschließlich 73 Prozent aller exportierten Sojabohnen. Brasilien exportiert hauptsächlich unver­arbeitete Rohstoffe und Agrar­erzeugnisse wie Soja und mineralische Pro­dukte nach China und importiert von dort vor allem Endprodukte wie EVs und Elek­tronik. In­zwischen ist Bra­silien der wichtig­ste Export­markt für chinesische EVs. Im Laufe des Jahres 2023 stieg der Wert der chinesischen EV-Exporte nach Brasilien auf das Achtzehnfache. Chinesische EVs mach­ten in diesem Zeitraum 92 Prozent der gesamten EV-Importe Brasiliens aus.

Brasilien ist derzeit Chinas Hauptempfänger ausländischer Direktinvestitionen in Lateinamerika. Sie stiegen im Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 33 Prozent auf 1,73 Milliarden Dollar. Damit ist Brasilien weltweit das neuntbeliebteste Ziel für chi­nesische Direktinvestitionen. China hat in den letzten Jahren eine weit­reichende Investitionsstrategie verfolgt, um seine Posi­tion als führender Anbieter grü­ner Techno­logien weiter auszubauen. In keinen ande­ren Wirtschaftsbereich Brasi­liens investieren chinesische Unternehmen so intensiv wie in den Stromsektor (39 Pro­zent). Um seinen steigenden Energiebedarf zu decken, seine Energieversorgung zu diversifizieren und die Abhängigkeit von fossilen Brenn­stoffen zu reduzieren, inves­tiert China zunehmend in erneuerbare Energien in Brasilien und anderen Ländern Latein­amerikas. Als weltweit größter Inves­tor in erneuerbare Energien beteiligt sich China bereits seit 2010 an der Energie­wende Brasiliens. Nach einem Rückgang im Jahr 2020 wuchs der Anteil der Projekte zu erneuerbarer Energie von Jahr zu Jahr, bis er 2023 einen Rekordwert von 72 Prozent erreichte. In jenem Jahr unterzeichneten Lula und Xi eine gemeinsame Erklä­rung, künftig die bilaterale Zusammen­arbeit zu grünen Technologien, wie erneuer­­bare Energien und Elektromobilität, zu verbrei­ten, zu vertiefen und zu diversi­fizieren. Anfang 2024 schloss Chinas State Grid Cor­poration mit Brasilien einen Konzessionsvertrag mit einer Laufzeit von 30 Jahren, der den Bau einer 1.500 km langen Über­tragungsleitung im Nord­osten Brasiliens vorsieht. Das 3,6-Milliar­den-Dollar-Projekt soll die Integration er­neuerbarer Energiequellen wie Wind- und Solarenergie in das brasili­anische Stromnetz vorantreiben.

Diese Investitionen sind integraler Bestandteil von Chinas geoökonomischer Stra­tegie. Sie hat zum Ziel, wirtschaftliche Netz­werke und politische Allianzen zu schaffen, die seine Vision einer multipolaren, an seinen Interessen ausgerichteten Weltordnung unterstützen.

Implikationen der brasilianisch-chinesischen Annäherung

Das ökonomische Ungleichgewicht zwi­schen China und Brasilien und dessen mitt­ler­weile sehr große handelspolitische Ab­hän­gigkeit sind ein Problem für das Land. Mit gezielten Maßnahmen hat die brasilianische Regierung auf den enormen Anstieg der Importe aus China der letzten Monate reagiert, um chinesische Unternehmen zur Produktion vor Ort zu bewegen und die loka­le Wert­schöpfung zu steigern. Zu diesen Maßnahmen gehörten Untersuchun­gen an­geblichen Dumpings chinesi­scher Industrie­produkte sowie höhere Zölle auf EVs.

Chinas wachsendes Engagement in Brasi­lien ist ein Balanceakt für das südamerikanische Land, das traditionell nach außen­politischer Autonomie und nach Äqui­distanz zu China und sogenannten west­lichen Staaten strebt. Zudem hat die Ver­tiefung der brasilianisch-chine­sischen Beziehungen weitreichende Implikationen über das bi­laterale Verhältnis hinaus: Sie spiegelt die Veränderungen in der geo­politi­schen Macht­­dynamik wider und stellt die post­koloniale Weltordnung, deren multi­laterale Einrichtungen historisch von den Industrieländern dominiert sind, immer mehr in Frage.

Schwindender Einfluss der EU

Während China sein Engagement in Bra­silien stetig ausgeweitet hat, war die EU bis­her nicht imstande, sich an die zunehmend multipolare Welt anzupassen und der kräf­tigeren Stimme sowie größeren Macht und Handlungsfähigkeit Brasiliens und anderer Länder des Globalen Südens angemessen und über eine symbolische Anerkennung hinaus zu begegnen. Lange hat die brasilia­nische Diplomatie versucht, engere Bezie­hungen zur EU auf­zubauen, um ein Gegen­gewicht zur bis in die frühen 1990er Jahre währenden Hege­monie der Vereinigten Staaten zu schaffen. Doch trotz starker kul­tureller und historischer Bindun­gen sowie gemein­samer Normen und Werte wie Demo­kratie und Menschenrechte hat Brüssel ver­säumt, den Bezie­hun­gen zu Bra­silien den notwendigen Stellenwert einzu­räumen. Im Rahmen des 2007 unterzeichneten strategi­schen Partnerschaftsabkommens betrach­tet die EU Brasi­lien zwar als einen ihrer wich­tigsten Part­ner in inter­nationalen Foren. Aber die bislang auf kurz­fristige und inter­vallhafte Aktivitäten rund um Gipfel­treffen beschränkten diplomatischen Bemü­hungen sowie die häufig euro­zentrische Heran­gehensweise der EU haben bewirkt, dass sich der Aufbau einer für beide Seiten vorteilhaften und nachhaltigen Part­ner­schaft auf Augenhöhe schwierig gestaltete.

Derweil Brasiliens Handel mit China flo­riert, hat die EU die Erwartungen Brasi­liens nicht erfüllt: Weder hat sie aus­reichend dazu beigetragen, die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit dem Merco­sur abzuschließen, noch ist es ihr gelungen, die politischen Beziehungen maßgeblich zu vertiefen. Unter anderem mangels nach­hal­tiger Fortschritte bei der interregionalen Handelsagenda wandte sich Brasilien immer häufiger an China. Eine Rolle dabei spielen auch die anhaltende wirtschaftliche Stagna­tion der EU und der Verlust der Führungsposition bei Schlüsseltechnologien wie erneuer­baren Energien.

Spä­testens mit den Folgen des russischen Angriffs­kriegs gegen die Ukraine hat die Kommission von der Leyen erkannt, wie notwendig starke Partnerschaften mit Län­dern des Globalen Südens sind. Seither sucht sie aktiv nach Möglichkeiten, die poli­tischen und ökonomischen Beziehungen mit Brasilien zu vertiefen, um einseiti­ge Abhängigkeit zu reduzieren, ihre Resili­enz zu steigern und globale Bündnisse zur Bewältigung globaler Krisen wie den Klima­wandel zu schmieden. 2023 reiste von der Leyen als erste EU-Kommissionspräsidentin seit zehn Jahren nach Brasilien. Sie kündig­te an, im Rahmen der GG-Initiative, die als geoökonomische und geopolitische Antwort der EU auf die chinesische BRI präsentiert wird, zwei Milliarden Euro in die Produktion von grünem Wasserstoff und die Förde­rung der Energieeffizienz der Industrie zu investieren. Von der Leyen versprach zudem, 430 Millionen Euro bereitzustellen, um die brasilianische Regierung dabei zu unterstützen, die illegale Abholzung bis 2030 zu beenden.

GG bleibt diskursive Antwort auf Chinas Einfluss

Doch das Potential der GG-Initiative, die EU in Brasilien und anderen Ländern des Glo­balen Südens neu zu positionieren, stößt auf Grenzen, besonders im Hinblick auf Finanzierung und Umsetzungsgeschwindigkeit. Mit einem angekündigten Budget von 300 Milliarden Euro (bis 2027) wirkt die Infrastruktur-Initiative bescheiden gegen­über Chinas BRI (geschätzt über 1 Billion US-Dollar). China investiert systematisch in Großprojekte wie Hafenausbauten und Stromnetze. Die EU hat bislang nur eine begrenzte Zahl von weniger um­fangreichen Projekten offiziell angekündigt. Unklar bleibt, ob damit die inkludierten privaten Investitionen in der angedachten Höhe von rund 135 Milliarden Euro mobilisiert werden können. Komplexe Genehmigungsprozesse und hohe bürokratische Hürden hemmen die Umsetzung, erst recht im Ver­gleich zu konkurrierenden Pro­grammen wie der BRI. Chinesische Infrastruktur­investitionen bieten oft schnelle und un­bürokratische Finanzierung an. Dagegen wird der Anspruch der EU, hohe Stan­dards für Transparenz, Nach­haltigkeit und Men­schenrechte zu setzen, in Brasilien als überkomplex empfunden und verzögert häufig die Umsetzung.

Der Ansatz der GG-Initia­tive in Brasilien scheint noch zu frag­mentiert, was sowohl die Effektivität der Projekte als auch den geostrategischen Charakter der Initiative insgesamt in Frage stellt. Besonders proble­matisch ist, dass die EU ihre Maßnahmen vorrangig an den Zielen der eigenen poli­tischen Agenda ausrichtet und nur unzurei­chend auf Brasiliens Prioritäten und spezifi­sche sozioöko­nomische Bedingungen ein­geht. China hingegen verfolgt eine pragma­tischere Strategie, in deren Vordergrund ebenfalls eigene Interessen stehen. Zugleich folgt die chinesische Strategie einer ent­schieden markt­wirtschaftlichen Logik und ist durch ein umfassenderes Verständnis für Erwartungen und Bedürfnisse des Partnerlands gekennzeichnet. Der eurozentristische Ansatz der EU, welcher sich mit dem stärkeren Fokus auf Wettbewerbs­fähigkeit zu festigen droht, birgt das Risiko, lang­fristig ihre Glaubwürdigkeit als attrak­tiver und fairer Partner zu unter­graben.

Schließlich finden die Logik der geo­politischen Rivalität und die narrative Rah­mung von GG als Gegenmodell zu Chinas Aktivitäten in Brasilien kaum Resonanz. Brasilien hat eine klare Präferenz für eine multipolare globale Ordnung und für eine Diversifizierung seiner Partnerschaften. GG erscheint bislang eher als diskursive Antwort auf den Wettbewerb mit China, mit der die EU ambitionierte Standards setzen möchte, ohne jedoch die notwendigen finanziellen Mittel sowie eine effiziente und kohärente Umsetzung sicherzustellen.

Komplexe Finanzierungs­strukturen

Für Partnerländer wie Brasilien ist die Kom­plexität der europäischen Finanzierungs­instrumente und -akteure nach wie vor schwer zu überblicken. Die »Team Europe«-Initiative, die eigentlich die Koordination unter ihren Akteuren stärken soll, konnte dies bisher nicht auflösen. Vor allem im Vergleich zu China sind die Entscheidungs- und Umsetzungsprozesse aufgrund der zahl­reichen Finanzierungsstrukturen häufig sehr lang. Im Rahmen der GG existiert noch keine umfassende Zusammenschau über den Umfang des finanziellen Engagements der EU und ihrer Mitgliedstaaten in Brasili­en. In Einzelfällen sind Informationen über finanzielle Ambitionen und den Stand der Umsetzung auf Projektebene verfügbar, aber nicht in standardisierter, zusammengefasster Form. Das fragmentierte Bild euro­päischer Investitionen in Brasilien und ande­ren lateinamerikanischen Staaten erschwert es, ihre Gesamtwirkung zu bestimmen.

Auch China stellt Daten zur Finanzierung von Projekten in Brasilien nicht trans­parent zur Verfügung. Dennoch könnte man gerade von der EU erwarten, dass sie Investitionen gebündelt auswertet. Der Mangel an aggregierten Daten beeinträchtigt auch die strategische Kommunikation: Ohne klare Darstellung der Summen und Wirkungsbereiche europäischer Inves­titio­nen in Brasilien fällt es schwer, deren Mehr­wert gegenüber chinesischen Initia­tiven überzeugend zu präsentieren. Das schwächt die EU darin, ihre Rolle als starker Partner in globalen Investitionsfragen zu behaupten, und schmälert die Möglichkeiten, ihre Prin­zipien Nachhaltigkeit, Transparenz und wertebasierte Zusammen­arbeit als attrak­ti­ves Unterscheidungs­merkmal hervorzu­heben. Das Potential, europäischen Koope­rationsangeboten durch strategische Kom­munikation mehr Glaub­würdigkeit und Durchschlagskraft zu ver­leihen, wird bisher nicht ausgeschöpft.

Unzureichende außenpolitische Flankierung des EGD

Brasilien und andere Partner nehmen die Klimadiplomatie der EU aktuell als wenig kooperativ wahr. Statt Knowhow und klima­freundliche Technologien zu teilen, setze die EU auf Druck und »unilaterale Handels­maßnahmen«, so die Kritik Brasi­liens. Die EU hat die externe Dimension des European Green Deal bisher weitgehend vernachlässigt. Daher haben internationale Auswirkun­gen europäischer Klimaschutz­instrumente wie des CO2-Grenzausgleichs­mechanismus (Carbon Bor­der Adjustment Mechanism, CBAM) heftige diplomatische Verwerfungen erzeugt, mit weit­reichenden Folgen für das globale An­sehen und die Soft Power der EU. Brasilien gehört zu den schärf­sten Gegnern des CBAM und wehrt sich geschlossen mit seinen BRICS+-Partnern dagegen. Der CBAM sei »diskriminierend«, gefährde ohne finan­zielle Unter­stützung und flexible Gestaltung die wirtschaftliche Entwicklung außerhalb der EU und behindere die globalen Bemü­hungen um weniger Treibhausgasemissionen eher, statt sie zu fördern.

Auch die Verordnung der EU für entwaldungsfreie Produkte (EU-Regulation on De­forestation-free Products, EUDR) hat diplo­matische Spannungen mit Brasilien ver­ursacht. Die Verordnung, die fast ein Drittel der brasilianischen Exporte in die EU betref­fen könnte, ist einer der Hauptstreitpunkte in den Verhandlungen zum Mercosur-Abkom­men. Brasilien und andere Partnerländer kritisieren die EUDR als protek­tio­nistische Maßnahme, die nationale Gesetze zur Bekämpfung der Entwaldung ignoriere und Länder mit Waldressourcen benachteilige. Nachdem Brasilien die EU offiziell auf­gefordert hatte, die EUDR nicht wie geplant umzusetzen, hat das Europäische Parlament im November insistiert, die eigentlich bereits beschlossenen Vorschriften bis 2025 auszusetzen und inhaltlich zu ändern.

Die fehlende außenpolitische Flankierung des EGD und der daraus resultierende Widerstand gegen einzelne Maßnahmen wie den CBAM und die EUDR erschweren seine Umsetzung. Darüber hinaus unter­graben sie das Vertrauen in die EU als Vor­reiter und fairen Vermittler. Mit dem unter Trump bevorstehenden Ausstieg der USA aus dem Pariser Klima­abkommen könnte sich diese Kritik in multi- und plurilateralen Foren noch stär­ker allein auf die EU richten. Das würde die Bedingungen für EU-Klimadiplomatie in den Klimaverhandlungen verschlechtern und sie auch insgesamt außenpolitisch schwächen.

Fehlende strategische Vision für die Zusammenarbeit

Die Ankündigungen der EU, ihr Engagement in Brasilien zu steigern, erscheinen primär geopolitisch motiviert und sind als Versuch zu verstehen, dem wachsenden Einfluss Chinas entgegenzuwirken. Der Partnerschaftsansatz, der statt reaktiven Handelns eine proaktive, lang­fristige und ausreichend finanzierte Strategie vorsieht, geht noch nicht weit genug. Eine strategische Vision europäischer Ziele und Inter­essen in der Kooperation mit Brasilien, ab­seits von der Konkurrenz mit China, bleibt diffus und unzureichend kommuniziert. Das schränkt Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit des EU-Engagements stark ein. Er­schwerend kommt hinzu, dass die Allianzen der EU-Mitgliedstaaten mit Brasilien vielfältig und ihre Interessen dort nicht immer deckungsgleich sind. Aus brasilianischer Sicht bleibt der Mehrwert der Zusam­menarbeit mit der EU oft unklar. Daher richtet sich das Interesse Brasiliens zu­vorderst auf bilaterale Beziehungen zu den EU-Mitglied­staaten und deren meist als vielverspre­chender gesehene individuelle Kooperationsangebote.

Die strategischen Interessen der EU sind gefährdet

Der Ansehens- und Einflussverlust der EU in einer multipolaren Welt limitiert zu­sehends ihren Handlungsspielraum in Schwellenländern wie Brasilien und droht ihren Anspruch, globale Standards und Normen zu gestalten, langfristig zu konter­karieren. Schon jetzt steht dieser in Brasili­en in Frage: Die EU wird als krisengeschüttelter Akteur dargestellt, dessen Strahlkraft schwindet. Ohne starke Präsenz in und belastbare Partnerschaften mit Schlüsselstaaten wie Brasilien wird es der EU immer schwerer fallen, ihre geoökonomische Widerstandsfähigkeit zu erhöhen, die De­karbonisierung zu forcieren und im Wett­bewerb um Marktanteile und technologische Führerschaft mitzuhalten.

Empfehlungen für die Legislaturperiode 2024–2029

Die EU sollte ihre diplomatischen Bemühun­gen gegenüber Bra­silien intensivieren. Nötig sind eine aufmerksame und kontinuierliche Diplomatie sowie eine klare Defini­tion und Priorisierung der strategischen EU-Interessen in Brasilien und ande­ren Län­dern des Glo­balen Südens. Dabei sollte die EU auf Chinas wach­sende Präsenz nicht bloß reagie­ren, sondern eine proaktive und kohärente Partnerschaftsstrategie verfolgen, deren Kern die Beziehungen zu Brasilien bilden und die auf gegenseitigem Vertrauen und einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe basiert. Dies erfordert ein um­fassendes Ver­ständnis und mehr Berücksichtigung der spezifischen politischen, ökonomischen und sozialen Priori­täten und Interessen des Partnerlands. Im Fall Brasi­liens bedeutet das vor allem, die Zusammen­arbeit in der Klima- und Energie­politik vor­rangig an sozioökonomischen Aspekten wie der Besei­tigung von sozialer Ungleichheit, Armut und Hunger auszurichten sowie die lokale Wertschöpfung zu fördern.

Während die EU weiterhin eine normative Führungsrolle beansprucht, haben Partner wie Brasilien oft eigene Interpretationen ähnlicher Normen. Schlüsselfaktoren für einen erfolgreichen Dialog sind daher ein ausgeprägtes Bewusstsein für Unterschiede und Gemeinsamkeiten sowie eine Offenheit für gegen­seitiges Lernen. Entscheidend ist ein horizontaler Ansatz, mit dem sich Grundsätze der Kooperation gemeinsam entwickeln lassen, um beid­seitig vorteilhafte Partnerschaften zu etab­lieren. Das schließt ein, Stär­ken und Erfolge der Partnerländer anzuerkennen, etwa Brasiliens Führungsrolle bei Biokraftstoffen.

Um die politische Agenda der neuen Kommission erfolgreich umzusetzen, ist es essentiell, den EGD vermehrt außen­politisch zu flankieren. Die externe Dimen­sion des EGD sollte systematisch und stra­tegisch weiterentwickelt werden, damit die Umset­zung nicht gefährdet und weitere diplomatische Verwerfungen mit wichtigen Partner­ländern wie Brasilien vermieden werden. Dabei steht die neue Kommission vor der Herausforderung, alle bestehenden inter­nationalen Klimapolitikinstrumente mehr auf die Ziele des EGD auszurichten.

Gerade im Hinblick auf den stärker wett­bewerbspolitischen Fokus der Kommission könnte die GG-Initiative strategischer ein­gesetzt werden, um den Widerstand gegen CBAM oder EUDR zu verringern. Dafür muss sie sinnvoller in die entstehende indu­s­tri­elle und wirtschaftliche Sicherheitsstrategie der EU integriert werden und einer für Brasilien und die EU vorteilhaften Agenda dienen. Eine GG-Initiative, die dazu bei­trägt, die Entwicklungs-, Klima-, Handels- und Investitionsagenda der EU besser mit Brasiliens Interessen und Prioritäten zu verbinden, könnte das Ver­trauen in die EU als Vorreiter und fairen Vermittler wieder­herstellen.

Zusätzlich sollte die EU ihre Finanzierungskanäle und -strukturen effek­tiver koordinieren und Komplexität ab­bauen. Hilfreich wäre, eine Länderplattform zu schaffen, welche die brasilianische Regie­rung mit relevanten EU-Akteuren zusammen­bringt. Sie könnte einen ganzheitlichen Überblick über die verschiedenen Finanzierungskanäle gewährleisten, Lücken sowie Synergien identifizieren, und den Zugang zu Finanzierung erleichtern. Für Brasilien könnte dies in der Energiezusammenarbeit erprobt werden.

Begleitend zu diesen Maßnahmen sollte die Gesamtwirkung europäischer Finanzierung strategischer kommuniziert werden. Der Auf­bau einer öffentlich zugänglichen Datenbank, welche die EU-Investitionen und die ihrer Mitgliedstaaten in relevanten Sektoren Bra­siliens und anderer Partnerländer erfasst, wäre ein geeignetes Mittel, um den positiven euro­päischen Beitrag sichtbar und die Ge­samtwirkung der Inve­stitionen mit Initia­tiven wie der chinesischen BRI vergleichbar zu machen. Dies ist gerade im Kontext auf­kommender Handels- und diplomatischer Konflikte um Maßnahmen wie dem CBAM wichtig, um die Glaubwürdigkeit und Attraktivität der EU als Partner in Brasilien zu erhöhen und die von der EU angestrebte Führungsrolle im Klimaschutz zu untermauern. Bedeutsamer wird strategische Kommunikation auch deshalb, weil China seit den US-Wahlen das Narrativ der globalen Klima­führung energi­scher für sich zu beanspruchen versucht. Das künftige Ringen um dieses Narrativ zeichnete sich bereits bei der COP29 in Baku ab.

In Europa steht ein neuer poli­tischer Zyklus bevor, mit neuen Man­daten für das Europäische Parlament und die Europäische Kommission. Das eröffnet die Chance, eine integrierte Agenda zu formulieren, welche die Klimaziele mit geoökonomischer Widerstandsfähigkeit und Handels­interessen verbindet, ohne die nationalen Ziele und entwicklungspolitischen Impli­kationen für Partnerländer wie Brasilien aus dem Blick zu verlieren. Notwendig sind klar kommunizierte Prioritäten und An­gebote, ein konti­nuierliches politisches Engagement auf Augenhöhe, zusätzliche finanzielle Res­sourcen und eine stärker außenpolitische Flankierung des EGD. Nur so lässt sich verhindern, dass die EU in einer zunehmend multi­polaren Welt weiter an Einfluss verliert.

Jule Könneke ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen und leitet das Projekt »Deutsche Klimadiplomatie im Kontext des European Green Deal«. Die Autorin dankt Paul Bochtler für die Unterstützung bei der Auswertung der Daten.

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