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Venezuelas Wahlkampagne der besonderen Art

Wie Präsident Maduro die Wähler für sich gewinnen will

SWP-Aktuell 2024/A 33, 03.07.2024, 6 Seiten

doi:10.18449/2024A33

Forschungsgebiete

Am 28. Juli 2024 finden in Venezuela Präsidentschaftswahlen statt, bei denen sich der seit 2013 regierende Staatschef Nicolás Maduro im Amt bestätigen lassen möchte. Mit María Corina Machado ist ihm eine Gegenkandidatin erwachsen, die zwar die Massen mobilisiert, aber nicht antreten darf. An ihrer Stelle tritt jetzt ein »Platzhalterkandidat« an, um sicherzustellen, dass oppositionelle Kräfte bei den Wahlen eine Alter­native haben. Die administrative Gängelung sowie die polizeiliche und justizielle Re­pression der Opposition dauert an, von fairen Wahlbedingungen kann nicht die Rede sein. Nun hat auch der Nationale Wahlrat (CNE) seine Einladung an die Europäische Union zurückgezogen, eine Beobachtermission zur Präsidentschaftswahl zu entsenden. Jen­seits des Wahlgangs dürfte auch der Umgang mit dem Wahlergebnis eine besondere Herausforderung nicht nur für die venezolanische Politik, sondern auch für die internationale Gemeinschaft bereithalten.

»Es geht uns besser. Das Schlimmste ist vorbei.« Mit diesem Wahlslogan versucht Venezuelas Präsident Nicolás Maduro die Wählerschaft seines Landes für seine Wie­derwahl zu gewinnen. Dabei baut er auf die jüngsten Verbesserungen der wirtschaft­lichen Rahmendaten seines Landes und darauf, dass diese die massive Verarmung der Bevöl­kerung und den unübersehbaren Verfall der Infrastruktur Venezuelas (Stra­ßen, Brücken, Gesundheits- und Wasser­versorgung) vergessen machen. Zudem wirbt er mit neuen Versprechungen, wie etwa mit der Zusage eines Dialogs mit allen Teilen der venezolanischen Gesellschaft nach dem Wahltag. Die regierende Vereinte Sozialistische Partei (PSUV) organisiert die traditionellen Massenkundgebungen, auf denen sich Maduro für eine dritte Amtszeit empfiehlt. Daneben verlagert sich der Wahl­kampf in die sozialen Medien, die angesichts der Zensur für viele Wähler der einzige Zugang zu Informationen jenseits der kon­trol­lierten staatlichen Medien sind.

Wirtschaftliche Erholung, andauernde soziale Notlage

Venezuela verzeichnete im Jahr 2022 ein Wirtschaftswachstum von nahezu 12 Pro­zent. Damit endete eine lange Phase der Schrumpfung des BIP, die acht Jahre dauer­te (2014–2021) und zu einem kumulativen Verlust von 75 Pro­zent des BIP geführt hat. Zu der Trendumkehr beigetragen haben vor allem der gestiegene Ölpreis, aber auch eine wieder wachsende Ölproduktion des Landes. Allerdings hat sich der Konjunkturanstieg im Jahr 2023 bereits wieder etwas ab­geschwächt, so dass nur ein Wachstum von circa 2,6 Prozent erreicht wurde, eine Ab­flachung, die wiederum auf zwischenzeitlich erneut sinkende Rohölpreise zurück­zuführen ist.

Für die Bevölkerung ist die Hyperinfla­tion und der damit verbundene Kaufkraftverlust weiterhin eine schwere Last, belief sich doch die akkumulierte Inflation im Jahr 2023 auf 189 Prozent, eine Steigerungs­rate, die gleichwohl die niedrigste seit dem Jahr 2015 war. In ihren Projektionen für das Jahr 2024 rechnet die UN-Wirtschafts­kommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) für Venezuela mit einem Wachstum von 4 Prozent, das allerdings unter dem Vorbehalt möglicher politischer Verwerfungen steht. Nichtsdestotrotz sind diese Wirtschaftsdaten für Präsident Maduro Anlass, von einem Ende der Belastungen für die Bevölkerung zu sprechen, insoweit eine Besserung der Lage spürbar sei und das »Schlimmste« hinter den Menschen liege.

Doch trotz der Verbesserung der ökonomischen Eckdaten bestehen nach einer Studie der UNDP zentrale Probleme für die Wirtschaft Venezuelas fort, an erster Stelle die fehlende Finanzierung von Krediten, gefolgt von den Ausfällen bei den öffent­lichen Dienstleistungen, der hohen Steuer­last, dem schwierigen makroökonomischen Umfeld und den anhaltenden Engpässen und Störungen bei der Kraftstoffversorgung, insbesondere im Landesinneren. 75 Prozent der befragten Unternehmen klagen dar­über, dass sie rund die Hälfte ihrer Kapazi­täten ungenutzt lassen müssen, ein Wert, der den Einbruch der Wirtschaftsleistung in der vergangenen Dekade auf drastische Weise veranschaulicht.

Auch wenn die makroökonomischen Daten eine Tendenz zu einer leichten Ver­besserung der ökonomischen Situation an­deuten, so gilt dies nicht für die soziale und humanitäre Lage der Bevölkerung Venezuelas, die als kritisch zu bezeichnen ist. Weiterhin stellen staatliche Programme einen wichtigen Weg der Nahrungsmittelversorgung für die Menschen dar. Die Loka­len Versorgungs- und Produktionskomitees (CLAP) verteilen in unregelmäßigen Liefe­rungen und mit einer begrenzten Anzahl von Produkten Lebensmittel an Begünstigte. In einer landesweiten Befragung der NGO-Plattform HumVenezuela gaben 61,9 Pro­zent der Haushalte an, diese Zuteilungen in Anspruch zu nehmen.

Massive Defizite werden auch für die Gesundheitsversorgung gemeldet. Im August 2023 beklagten sich 88,9 Prozent der Haushalte über schwerwiegende Ein­schränkungen bei den Diensten der öffent­lichen Gesundheitszentren. Diese seien wegen fehlender Medikamente, fehlender medizinischer Ausrüs­tung und mangelnden Personals nicht in der Lage, ihren Versorgungsauftrag zu erfüllen. Manche von ihnen hätten ihre Öffnungszeiten verkürzt oder seien gar ganz geschlossen worden. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Wasserversorgung, dem Transportwesen und dem Erziehungssystem. So besuchten im August 2023 6,5 Prozent der Kinder im Grundschul­alter und 15,7 Prozent in den höheren Jahr­gängen keine Schule.

Die Wahlkampagne der »Nicht-Kandidatin«

An diese Alltagserfahrungen von jahrzehnte­langer Mangelwirtschaft, Korruption und un­erfüllten Versprechungen knüpft die Wahl­kampagne der Regierungsgegner an. Oppo­sitionsführerin María Carolina Machado hat bei ihren Auftritten das, was die Bevölkerung bewegt – die Erschöpfung im tag­täglichen Kampf um Grundnahrungsmittel und Medikamente, das Gefühl der Unsicher­heit und der Druck und die Verfolgung durch das Regime – erfolgreich aufgenom­men; sie war mit einem erdrutschartigen Sieg bei den Vorwahlen im Oktober 2023 zur gemeinsamen Kandidatin der Opposi­tionsparteien gegen Präsident Maduro ge­wählt worden. Im vergangenen Januar ent­schied dann die venezo­lanische Rechnungs­prüfungsbehörde (CGR), dass Machado für einen Zeitraum von 15 Jahren von der Kan­didatur für ein gewähltes Amt ausgeschlossen wird, ein Urteil, dass im Anschluss auch der Oberste Gerichtshof des Landes bestä­tigte. Diese Disqualifizierung wurde mit an­geblichen Korruptionsvorfällen begründet, die in die Zeit der Präsidentschaft Juan Guaidós fallen, des früheren Oppositionsführers, den das venezolanische Parlament im Januar 2019 zum Interimspräsidenten Venezuelas proklamiert hatte. Zudem wurde Machado die Unterstützung der US‑Sanktionen gegen die Regierung von Nicolás Maduro vorgeworfen. Als Machado daraufhin die Universitätsprofessorin Corina Yoris als Ersatzkandidatin vorschlug, verweigerte ihr die venezolanische Wahl­behörde die Registrierung, so dass Yoris’ Name nun ebenfalls nicht auf dem Stimm­zettel steht. Machado übertrug die Spitzen­kandidatur schließlich an den weitgehend unbekannten 74-jährigen ehemaligen Diplomaten Edmundo González Urrutia, der nun formal das Oppositionslager an­führt. Dieser fungiert erkennbar als Platz­halter Machados, seine Kandidatur lebt vom politischen Kapital der verhinderten Bewer­berin, die die Hoffnung auf einen Wechsel verkörpert. Bislang ist es Machado gelungen, die traditionell starken zentrifugalen Kräfte des heterogenen Oppositionslagers unter Kontrolle zu halten und ihre Strahl­kraft für die Verständigung zwischen ihren Anhängern und neuen Verbündeten ein­zusetzen.

Die »Nicht-Kandidatin« ist weiterhin das Zugpferd im Wahlkampf und scheint durch ihre Mobilisierungsfähigkeit in der Breite der Bevölkerung in der Lage, den Chavismus, also die nach dem ehemaligen Präsi­denten Hugo Chávez (1954–2013) benann­te Bewegung, an der Wahlurne wirklich bezwingen zu können. Diese Siegaussichten hatten unmittelbare Effekte für die Wahl­kampagne Maduros: Der Aufstieg von María Corina Machado als Führungspersönlichkeit hat seine Agenda verändert und ihn in die Defensive gedrängt. Seine Reaktionen wir­ken impulsiv und sind garniert mit einer Fülle von Maßnahmen aus dem Handbuch autokratischer Herrschaftsführung – sei es in Gestalt von Repressionen gegen Laden­besitzer, die an Machado Essen verkaufen, oder gegen Hotels, in denen sie Station macht. Auch weiterhin hat die Opposition keinen Zugang zu den Medien, sie wird zensiert, von der Regierung schikaniert und muss ständig mit ernsten, auch gewaltsamen Gegenschlägen des Regimes rechnen, zum Beispiel in der Weise, dass gewählte Oppo­sitionsbürgermeister des Amtes enthoben und Unterstützer in Haft genommen werden. Zudem versucht die Propagandamaschinerie der Regierung ein Zerrbild der Opposition zu zeichnen, indem sie diese verantwortlich macht für die internatio­nalen Sanktionen, die für die Verschlech­terung der Lebensverhältnisse maßgeblich seien. Mit wachsender Nähe zum Wahl­datum werden die Eingriffe der staatlichen Behörden in die Rechte der Opposition immer zahlreicher, so dass die Verein­barun­gen, die beide Parteien im sogenannten Barbados-Abkommen getroffen haben, nicht nur verletzt, sondern mitunter außer Kraft gesetzt werden.

Das Barbados-Abkommen und die Rolle der internationalen Gemeinschaft

Das Abkommen von Barbados wurde im Oktober letzten Jahres zwischen der Regie­rung und der Opposition unter Vermittlung des Königreichs Norwegen geschlossen, um im Hinblick auf die bevorstehenden Wah­len Verfahrensgarantien und demokratische Rechte festzulegen. Der venezolanischen Opposition ging es bei den Verhandlungen vor allem darum sicherzustellen, dass die diesjährigen Wahlen aufgrund des Abkom­mens unter faireren Bedingungen statt­finden würden – insbesondere unter Betei­ligung internationaler Beobachter. Der Ver­handlungsprozess wurde von Ländern wie Barbados, Kolumbien, Mexiko, den Nieder­landen, Russland und den USA begleitet. Washington hatte sich bereiterklärt, im Gegenzug für eine akzeptable Verein­barung zwischen den venezolanischen Akteuren die gegen die Maduro-Regierung verhängten Sanktionen zu lockern. Im Nachgang des Barbados-Abkommens setz­ten die USA nach Geheimverhandlungen mit der venezolanischen Regierung in Doha einige Wirtschaftssanktionen gegen Vene­zuela tatsächlich für sechs Monate aus. Im Oktober 2023 entschied die Regierung Biden, eine Reihe von Strafmaßnahmen gegen die Ölindustrie, den Bergbau und die Zentralbank Venezuelas zu entschärfen, unter anderem als Gegenleistung dafür, dass die Regierung Maduro in Barbados zugesichert hatte, die politischen Rechte der Opposition und insbesondere die Ge­bote fairer Wahlen zu respektieren.

Für das venezolanische Regime ergaben sich mit dem Deal neue wirtschaftliche Chancen. Das Land mit den größten Erdöl­reserven weltweit konnte den internatio­nalen Verkauf von Öl und Gas wieder in Schwung bringen und bislang stillliegende Produktionskapazitäten in Betrieb nehmen. Die erste Lizenz zur Förderung und zum Export von Gas im »Campo Dragón« (vor der Küste des Bundesstaates Sucre) wurde an die staatliche National Gas Company (NGC) von Trinidad und Tobago vergeben, in Partnerschaft mit dem transnationalen Unternehmen Shell. Ende 2023 unterzeich­neten der Ölkonzern Petróleos de Vene­zuela S.A. (PDVSA) und die Raffinerie Kòrsou (RdK) von Curaçao ein Abkommen, das die Wiederaufnahme der kommerziellen und finanziellen Aktivitäten zwischen den beiden staatlichen Erdölgesellschaften und die Reaktivierung der ehemaligen Raffinerie Isla vorsieht, die über eine Ver­arbeitungskapazität von 335.000 Barrel pro Tag verfügt. Eine weitere wichtige Trans­aktion war der Abschluss eines Rahmen­abkommens zwischen PDVSA und der spanischen Gesellschaft Repsol zur Reakti­vierung eines Joint Ventures, an dem das europäische Unternehmen zu 40 Prozent beteiligt ist.

Doch mit dem 17. April 2024 sind die von der US-Regierung gewährten Vergünstigungen für den venezolanischen Öl- und Gas­sektor ausgelaufen. Washington lehnte eine Verlängerung ab, da Venezuela die Verein­barung von Barbados verletzt habe. Der Ver­mittler Norwegen hatte immer wieder gefor­dert, die Bemühungen um die Einrichtung einer Follow-up- und Verifizierungskommis­sion für das Abkommen voranzutreiben mit dem Ziel, konstruktive Lösungen für noch offene Fragen zu finden. Doch dieser Aufruf ist ohne Folgen geblieben. Beide Seiten – die Regierung Venezuelas und die Oppo­sitionsplattform Plataforma Unitaria Demo­crática – haben das Abkommen inzwischen als »tot« bezeichnet. Das Regime führt zur Begründung angebliche Mordpläne der Opposition gegen den Präsidenten an, die Opposition die kontinuierlichen Verstöße des Regimes gegen die Vereinbarung.

Damit werden ergänzende Restriktionen von wirtschaftlichen Transaktionen mit Unternehmen wirksam, die ihren Sitz in Russland haben oder von einer Person mit Wohnsitz in Russland kontrolliert werden. Die Normalisierung der Beziehungen des Maduro-Regimes mit Washington ist somit vorerst gescheitert. Die temporären und selektiven Vergünstigungen für die Öl-, Gas- und Bergbauindustrie des Landes sind hin­fällig geworden. Damit stellt sich auch die Frage, inwieweit das asymmetrische Ver­handlungsmuster »Aufweichung der Sank­tionen gegen demokratische Konzessionen« für die Opposition noch zukunftsfähig ist, da diese in zentraler Weise von der Politik Washingtons abhängt.

Im Mai 2024 nahm der venezolanische Wahlrat dann die bereits erteilte Einladung an die EU zurück, mit einer Wahlbeobachtungsmission präsent zu sein. Dadurch wird eine unabhängige Beglei­tung der Wahlen schwieriger, auch wenn andere internationale Organisationen wie das Carter Center weiterhin Gelegenheit zur Beobachtung der Präsidentschaftswahl haben. Als Grund für den Ausschluss der EU wurden von venezo­lanischer Seite die davor verlängerten Sank­tionen gegen führende Persönlichkeiten des Landes angeführt. Die Strafmaßnahmen der EU umfassen ein Embargo für Waffen und Ausrüstungen zur internen Repression und ein Reiseverbot für 54 Personen aus dem Regierungs- und Justizapparat, deren Ver­mögenswerte zusätzlich eingefroren wer­den. Diese Sanktionen wurden im Mai bis Januar 2025 verlängert. Für vier Personen des nationalen Wahlrats wurden sie zu­nächst aufgehoben. Doch diese Andeutung von Flexibilität stieß auf wenig Verständnis bei den Repräsentanten Venezuelas. Bereits im Januar hatte das venezolanische Parla­ment davor gewarnt, dass die Teilnahme der EU als Beobachter bei den Präsidentschaftswahlen in Frage stünde, weil die EU die Bedingungen der Objektivität, Neutra­lität und Unparteilichkeit nicht erfülle. Hinter­grund dafür war eine Entschließung des Europäischen Parlaments, die Wahlen und deren Ergebnisse nicht anzuerkennen, wenn die Einhaltung des Abkommens von Barbados nicht gewährleistet ist. Die EU hatte nach den Erfahrungen mit ihrer Wahl­beobachtungsmission bei den Regional- und Kommunalwahlen 2021 einen Katalog mit klaren Kriterien für demokratische Wahlen vorgelegt, der in Caracas auf ein negatives Echo gestoßen war.

Die Haltung der EU hinsichtlich der Wahrung von Fairness und Transparenz im Wahlprozess erhielt auch international Unterstützung. Auf dem jüngsten G7-Tref­fen in Italien stellten sich die Präsidenten und Regierungs­chefs in der Abschluss­erklärung hinter die Forderung zur Einhal­tung des Barbados-Abkommens und spra­chen sich für die Präsenz einer glaubwürdigen internationalen Wahlbeobachtung in Venezuela aus.

Ausblick: Ein Transitionsszenario

Der Ausgang der Wahlen ist ungewiss, zu­mal in dem Falle, dass die Opposition eine Mehr­heit erreichen sollte, mit Wahlbetrug, Aussetzung der Auszählung oder einer ande­ren Art der Unterbrechung des Wahl­gangs zu rechnen ist. Ein solches Vorgehen wird erleichtert, wenn keine unabhängige internationale Wahlbeobachtung vor Ort ist. Bis zum Amtsantritt einer neuen Regie­rung vergehen zudem noch sechs lange Monate, da dieser laut Verfassung im Januar 2025 erfolgen muss. Dies bedeutet, dass das Land vor einer Zeit großer Un­sicher­heit und nach den Wahlen vor einem Pro­zess der beschleunigten Destabilisierung stehen könnte, verbunden – wie im Jahr 2014 – mit von der Opposition gestarteten Mobilisierungen bis hin zu gewalt­samen Protesten (bekannt als »Guarimbas«).

Andererseits könnte daraus auch eine Transitionsphase folgen, in der sich Regie­rung und Opposition zu Verhandlungen und Übereinkünften durchringen. Zwar erscheint es nach beinahe 25-jähriger Vor­herrschaft des Chavismus schwer vorstellbar, wie sich der mit dem Militär eng ver­bundene Regierungsapparat zu einem solchen Schritt entschließen könnte, aber auch im Oppositionslager wird bereits über den Fahrplan einer politischen Transition nachgedacht. Trotz negativer Erfahrungen mit der systematischen Manipulation von Vereinbarungen durch das Maduro-Regime wird im Falle eines Wahlsiegs der Opposi­tion ein international begleiteter Verhandlungs­prozess in Betracht gezogen, an dem insbesondere auch die Nachbarländer Kolum­bien und Brasilien zu beteiligen wären. Ein solches Unterfangen würde sich durch extreme Komplexität auszeichnen, da die unmittelbaren Reaktionen der Bevöl­kerung nur schwer zu kontrollieren sein dürften – von der als Befreiung empfunde­nen Freude über ein Ende des Regimes bis zur Ernüchterung all derer, die bislang vom Klientelsystem des Chavismus profitiert haben. Der Wahlkampf der besonderen Art könnte somit in eine postelektorale Phase mit weiteren Eigentümlichkeiten und in sehr unübersichtliche Verhandlungssitua­tionen münden, die von den politischen Akteuren und der internationalen Gemeinschaft besondere Anstrengungen erfordern werden.

Verhandlungen auf der Basis von Treu und Glauben erfordern ein Mindestmaß an gegenseitigem Vertrauen. Genau das ist durch vorausgegangene Verhandlungs­prozesse zerrüttet. Es wiederherzustellen ist Aufgabe der Regierung und der Opposition unter Einbindung zivilgesellschaftlicher Gruppen und der Diaspora. Ein politisches Klima, das erneut durch Militarisierung und Repression seitens der Regierung und Rachegelüste seitens der Opposition ge­kennzeichnet wäre, könnte schnell die Er­wartungen der Bevölkerung auf eine Ende der schwierigen Lebensbedingungen und der unfruchtbaren Polarisierung ent­täuschen.

Prof. Dr. Günther Maihold ist Non-Resident Senior Fellow der SWP.

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