Direkt zum Seiteninhalt springen

Ein europäischer Hamilton-Moment?

Der Corona-Wiederaufbaufonds der EU und die Weiterentwicklung der europäischen Integration

SWP-Studie 2023/S 17, 07.12.2023, 38 Seiten

doi:10.18449/2023S17

Forschungsgebiete

Dr. Peter Becker ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe EU / Europa

  • Die Europäische Union hat 2020 mit dem 750 Milliarden Euro schweren Zusatzhaushalt unter dem Namen »Next Generation EU« (NGEU) und mit der europäischen Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF) eine eindrucksvolle und innovative Reaktion auf die Covid 19-Pandemie und deren sozio­ökonomische Folgen beschlossen.

  • NGEU knüpft zwar an die vorhandenen Instrumente und Strukturen der europäischen Strukturfonds an und greift auf Elemente des sogenannten Europäischen Semesters zur wirtschaftspolitischen Koordinierung zurück. Grundsätzlich neu ist aber die Finanzierung des Programms durch die Aufnahme von Krediten, die bis 2058 getilgt sein müssen.

  • Der Beschluss zu dieser gemeinsamen Aufnahme von Schulden und zu deren Tilgung aus dem EU-Haushalt wurde häufig als europäischer Hamilton-Moment bezeichnet, also als erster Schritt auf dem Weg zu einem europäischen Bundesstaat.

  • Jedoch erscheint diese Interpretation der langfristigen integrations­politischen Wirkung von NGEU und ARF nicht angemessen. Realistisch ist allenfalls die Wiederholung einer gemeinsamen Kreditaufnahme für zweckgebundene, befristete und in ihrem Umfang begrenzte Ausgaben als Antwort auf eine erneute schwere Krise in der Europäischen Union.

Problemstellung und Schlussfolgerungen

Die Covid-19-Pandemie und die zur Eindämmung des Virus erforderlichen Kontaktbeschränkungen und Lockdowns stürzten die Europäische Union in die schwerste Rezession seit ihrem Bestehen. Nach den ersten nationalen Reflexen der Mitgliedstaaten (Grenz­schließungen und Exportverbote) im Februar 2020 reagierte die EU energisch und eindrucksvoll auf die Pandemie und deren ökonomische und soziale Folgen. Am 21. Juli 2020 verständigte sich der Europäische Rat auf ein umfassendes Haushaltspaket mit einem Gesamtumfang von insgesamt rund 1,8 Billionen Euro als gemeinsame Antwort auf die Folgen der Pandemie. Neben dem mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) für die nächsten sieben Jahre 2021–2027 ver­einbarte er ein zusätzliches Förderprogramm unter dem Namen »Next Generation EU« (NGEU), für dessen Finanzierung die EU erstmals Kredite in bisher nicht bekanntem Umfang aufnahm. Im Zentrum des Pro­gramms steht die europäische Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF). Allein mit diesem Instrument stellt die EU den angeschlagenen europäischen Volkswirtschaf­ten bis Ende 2026 mehr als 670 Milliarden Euro (in Preisen von 2018) in Form von Zuschüssen und Kredi­ten zur Verfügung. Die ARF ist am 19. Februar 2021 in Kraft getreten und die EU hat inzwischen mehr als 150 Milliarden Euro an die Mit­gliedstaaten aus­gezahlt.

Fachleute und Beteiligte bewerteten die Einigung auf dieses Haushaltspaket, die nach langen und kon­fliktreichen Verhandlungen zustande kam, als nach­haltige integrations- und haushaltspolitische Zäsur. Von einem »historischen Moment« oder einer »koper­nikanischen Wende« war die Rede, und die Beschlussfassung wurde sogar als »Hamilton-Moment der Euro­päischen Union« bezeichnet, also als ein Wendepunkt in den Bemühungen der EU zur Schaffung eines europäischen Bundesstaats, der mit einem Schlüssel­moment im Prozess der Staatsbildung der Vereinigten Staaten von Amerika vergleichbar ist.

Die vorliegende Studie stellt sich der Frage, ob das zusätzliche Förderinstrument NGEU und dessen kre­dit­basierte Finanzierung diese sehr hochgesteckten Erwartungen (oder Hoffnungen) erfüllen kann und ob der europäische Integrationsprozess damit eine grundsätzliche qualitative Weiterentwicklung er­fahren hat, auf die voraussichtlich weitere Schritte folgen werden. Mit ihrer Entscheidung im Jahr 2020 hat die EU ihre Handlungsfähigkeit in einer besonders herausfordernden Krise bewiesen. Sie musste und konnte unter den Bedingungen großer Unsicherheit und höchsten Zeitdrucks weitreichende Be­schlüsse fassen und Kompromisse vereinbaren. Mit dieser kraftvollen Reaktion verband sich in der EU ein Gefühl wechselseitiger Solidarität und eines gestärkten Zusammenhalts. Die Gemeinschaft hatte trotz vielfältiger Vorbehalte und Kritik nicht nur gezeigt, dass sie in der Lage war, innovative Lösungen zu entwickeln, sondern auch, dass alle EU-Institutionen und alle Mitgliedstaaten diesen zustimmen konnten. Unbestritten ist indes, dass eine nachhaltige Wirkung für den europäischen Integra­tions­prozess nur dann eintreten wird, wenn die zusätzlichen Fördergelder effizient und effektiv genutzt werden. Allerdings ist vor dem Abschluss der NGEU-Förderperiode am 31. Dezember 2026 nur eine vorläufige Einschätzung möglich. Jedoch können die innovativen Elemente der neuen Fazilität ARF mit den traditionellen Förder­instrumenten der EU verglichen und eingeordnet werden.

Die Verständigung auf die neuen Instrumente NGEU und ARF eröffnete der EU zweifellos neue Handlungsoptionen und erweiterte ihren wirtschaftspolitischen Spielraum. Dass die zusätzlichen euro­päischen Fördergelder mit der Umsetzung der länder­spezifischen Reformempfehlungen verknüpft wurden, die die Europäische Kommission im Rahmen des Europäischen Semesters ausspricht, verstärkt die Hebelwirkung der europäischen Ausgabenpolitik auf die Umsetzung nachhaltiger Investitionen und Refor­men in den Mitgliedstaaten. Zugleich lösten das im­mense Finanzvolumen des NGEU-Programms und die Begrenzung des Förderzeitrahmens auf Ende 2026 auf Seiten der Mitgliedstaaten eine besondere Dynamik aus, die neue Handlungsspielräume im Inneren er­öffnete. Die Regierungen konnten manche Vorbehalte innenpolitischer Akteure und Interessengruppen gegen spezifische Strukturreformen und Investitionsvorhaben mit Verweis auf die Singularität dieser Förderung leichter umgehen und ihre wirtschafts­politischen Ziele im Zusammenspiel mit der Euro­päischen Kommission umsetzen.

Ob die neuen Förderinstrumente der EU allerdings auch nachhaltige ökonomische und soziale Effekte entfalten können, bleibt abzuwarten. Die Bewertung der Implementierung wird von den Erwartungen bestimmt und geprägt werden, die mit den Instrumenten der europäischen Krisenreaktion verbunden werden. Für die längerfristige integrationspolitische Bedeutung von NGEU und ARF zeichnen sich unter­schiedliche Entwicklungspfade ab: Neben der Mög­lichkeit, dass das NGEU-Programm eine einmalige Reaktion der EU auf eine einmalige Herausforderung (in Gestalt der Covid-19-Pandemie) war, ist auch denk­bar, dass die gefundene Lösung in einer neuen Krisen­situation wieder hervorgezogen wird. Zugleich wird auch über die Etablierung eines institutionalisierten Finanzinstruments auf der Grundlage der Verständigung auf NGEU und ARF diskutiert. Darüber hinaus gibt es Stimmen, die sehr schnell die NGEU-Einigung als einen wegweisenden integrationspolitischen Im­puls auf dem Weg zur Staatswerdung der Europäischen Union gewertet haben.

Am wahrscheinlichsten erscheint derzeit die Op­tion, dass das in der Pandemie gefundene Modell der Problembewältigung in einer erneuten schweren Krisensituation wieder eingesetzt wird, man sich also auf befristete und zweckgebundene Förderinstrumente einigen würde, die über gemeinschaftliche Kredite finanziert werden. Mit der im Juli 2020 gefundenen Verständigung und dem Urteil des Bundesverfassungs­gerichts vom 6. Dezember 2022 wurden die Grenzen, Eckpunkte und Vorbedingungen für die Zustimmung der Bundesregierung zu einer Wiederholung abgesteckt. Die Rechtsgrundlage könnte er­neut der Solidaritätsartikel 122 in Verbindung mit dem Eigenmittelartikel 311 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sein, der die Aufnahme gemeinschaftlicher Kredite als externe zweckgebundene Einnahmen ermöglicht. Die Einigung würde sicherlich erneut im Europäischen Rat, also im Konsens auf höchster politischer Ebene der EU erfolgen müssen. Jedoch sollte bei einer sol­chen Neuauflage auf eine Beteiligung und Mitwirkung der nationalen Parlamente und des Europäischen Parla­ments geachtet werden, um einen entsprechenden Kompromiss dann auch in der EU und in den Mit­gliedstaaten angemessen parlamentarisch legitimieren zu können. Ob diese eher realistische Option der Wiederholung im nächsten Krisenfall auch zugleich eine integrationspolitische Zäsur auf dem Weg zu einem europäischen Bundesstaat bedeuten würde, ist jedoch angesichts der Beschränkungen zu bezweifeln.

Die Antwort der EU auf die Pandemie: Next Generation EU und die Aufbau- und Resilienzfazilität

Nach langen und überaus harten Verhandlungen ver­abschiedete der Europäische Rat am 21. Juli 2020 ein umfassendes, auf die Bewältigung der Corona-Pan­demie ausgelegtes Haushaltspaket mit dem immensen Umfang von insgesamt rund 1,8 Billionen Euro. Der neue siebenjährige Haushalt der EU, der so­genannte Mehrjährige Finanzrahmen (MFR), wurde für die Laufzeit von 2021 bis 2027 mit 1,074 Billionen Euro (für Verpflichtungen zu Preisen von 2018) aus­gestattet, eine Summe, die 1,054 Prozent des Brutto­nationaleinkommens (BNE) der EU-27 entspricht. Für den zusätzlichen Corona-Sonderhaushalt »Next Generation EU« (NGEU) wurden insgesamt maximal 750 Milliarden Euro (in Preisen von 2018) vereinbart, was etwa zusätzlichen 0,7 Prozent des EU-BNE ent­spricht (siehe Tabelle 1, S. 8). Er wurde auf drei Jahre bis zum 31. Dezember 2023 befristet, wobei noch bis zum 31. Dezember 2026 letzte Zahlungen geleistet werden können. »NGEU hat einen Umfang, der über alles hinausgeht, was in der Geschichte der EU zu beobachten war.«1

NGEU soll als »außergewöhnliche Reaktion« auf die Pandemie »massive öffentliche und private Inves­titionen auf europäischer Ebene« anstoßen, so der Europäische Rat bei seiner Einigung, »um die Union auf den Weg zu nachhaltiger und robuster Erholung zu bringen, Arbeitsplätze zu schaffen, die durch die Covid-19-Pandemie verursachten unmittelbaren Schäden zu beheben und gleichzeitig die Prioritäten der Union im Hinblick auf die grüne und digitale Wende voranzubringen«.2 Insgesamt bewies die EU damit ihre Fähigkeit zu einer schnellen, weitreichenden und innovativen Antwort auf die Krise mit einem imposanten Finanzvolumen. Das gemeinsame Inter­esse, einen tiefen Konjunktureinbruch in allen euro­päischen Volkswirtschaften abzuwenden, der mit steigender Arbeitslosigkeit und Armut verbunden gewesen wäre, und ein Auseinanderdriften des euro­päischen Binnenmarkts zu verhindern, war die lei­tende Handlungsmaxime. Darüber hinaus zeigte sich, dass der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union die Einigungsfähigkeit und zu­gleich die Kompromissbereitschaft der 27 Mitglied­staaten in dieser besonderen Herausforderung eher gestärkt hatte.

Im Zentrum von NGEU steht die neue Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF), die mit insgesamt 672,5 Mil­liarden Euro (in Preisen von 2018) ausgestattet wurde. Davon sollen knapp die Hälfte, 312,5 Milliarden Euro, als direkte Finanzhilfen ausgezahlt werden, während die restlichen 350 Milliarden als Darlehen in An­spruch genommen werden können; die übrigen 77,5 Milliarden Euro des Rettungsfonds sollten der zeitlich befristeten Aufstockung und Ergänzung bestehender Programme des EU-Haushalts dienen.3

Der ARF wird mit sogenannten »externen zweckgebundenen Einnahmen«4 finanziert. Die Mittel dafür wurden durch die Ausgabe von gemeinsamen An­leihen der EU auf den globalen Kapitalmärkten ge­wonnen. Die Rückzahlung dieser Kredite soll aus dem EU-Haushalt ab 2028 erfolgen und bis spätestens 2058 abgeschlossen sein. Bei diesen »zweckgebundenen Einnahmen« verfügt das Europäische Parlament (EP) jedoch nur über stark eingeschränkte haushaltspolitische Mitwirkungs- und Kontrollrechte; es wird vom Rat lediglich über die Verwendung der Gelder infor­miert. Die weitergehende Beteiligung des Parlaments als Teil der EU-Haushaltsbehörde wurde im Dezember 2020 lediglich in einer Interinstitutionellen Verein­barung zwischen dem EP, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission fixiert.5

Finanzausstattung der EU-Krisenreaktion auf die Covid-19-Pandemiekrise (in Mrd. Euro, in Preisen 2018)

Tabelle 1

MFR 2021–2027 (in Verpflich­tungen)

NGEU

davon ARF

Volumen

1074,3

750

672,5

Volumen im jährlichen Durchschnitt

153,5

125

112

Prozentualer Anteil am Gesamtpaket

59 %

41 %

36,9 %

Laufzeit

7 Jahre

6 Jahre

Nach der politischen Einigung im Europäischen Rat begannen im zweiten Halbjahr 2020 die Verhandlungen zur Verabschiedung der notwendigen Legis­lativakte zur rechtlichen Umsetzung der neuen In­strumente zwischen dem Rat, der Kommission und dem Parlament. Diese Triloge über die Rechtsgrundlagen gestalteten sich ebenfalls schwierig und zogen sich bis in den Januar 2021 hin. Die Verordnung zur Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF-VO) wurde schließ­lich am 18. Februar 2021 im Amtsblatt der EU ver­öffentlicht und trat am folgenden Tag in Kraft.6

Das vorrangige Ziel der ARF-Förde­rung ist eine möglichst effiziente und effektive Verwendung der euro­päischen Gelder.

Durch die Verknüpfung der ARF mit den länderspezifischen Empfehlungen, die die Kommission im Rahmen des Europäischen Semesters zur wirtschaftspolitischen Koordinierung ausspricht, versuchte die EU, die Durch- und Umsetzung ihrer Reform­program­me zu verbessern. Auf diese Weise, so die Erwartung, sollten die zusätzlichen Fördermittel deut­lich ergebnisorientierter und nachhaltiger eingesetzt werden. Bereits während der Verhandlungen zwi­schen den Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat war strittig, was unter einer sinnvollen und möglichst effizienten Verwendung der ARF-Gelder in den Mitgliedstaaten und durch diese zu verstehen sei und wie diese sichergestellt werden könnte. Die Netto­zahler drängten auf eine enge Verbindung von NGEU mit dem eingespielten Verfahren des Europäischen Semesters. Auf Druck der niederländischen Regierung wurde darüber hinaus eine besondere Aufschub­klausel vereinbart: Demnach können ein oder meh­rere Mitgliedstaaten im Europäischen Rat ihre Zweifel an den Reformzusagen eines anderen Mitgliedstaats und ihre Bedenken bei schwerwiegenden Abweichun­gen der Ergebnisse von der vereinbarten nationalen Zielstellung vorbringen. Die Auszahlung europäischer Fördergelder wird dann so lange unterbrochen, bis der Europäische Rat das Problem erörtert hat (Er­wägungsgrund 52 ARF-VO). Allerdings kann mit dieser Klausel die Ausreichung der Mittel nur zurück­gehal­ten und nicht endgültig gestoppt werden. Die Euro­päische Kommission behält ihre alleinige Befugnis, die Umsetzungsmaßnahmen in den Mitgliedstaaten zu bewerten. Die Verordnung schreibt insofern folge­richtig fest, dass die Kommission eine Förderung ganz oder teilweise aussetzen kann, wenn ein Mitgliedstaat keine oder nicht ausreichende Schritte unternimmt, um die im Rahmen des Europäischen Semesters er­haltenen makroökonomischen Empfehlungen um­zusetzen, das heißt um sein nationales Haushalts­defizit zu korrigieren (Art. 10 ARF-VO). Jedoch wurde mit der Aufschubklausel die Hoffnung verbunden, zumindest eine Debatte in der europäischen Öffent­lichkeit anzustoßen und so den politischen Druck auf EU-Mitglieder zu verstärken, vereinbarte Maßnahmen auch konsequent zu implementieren. Die Klausel war zudem nicht nur ein Zeichen des Misstrauens der Nettozahler gegenüber den Empfängern europäischer Finanzhilfen, sondern auch ein Zeichen des Miss­trauens gegenüber den Bewertungen der Europäischen Kommission. Zumindest einige Mitgliedstaaten zweifelten an deren Bereitschaft und Fähigkeit, ihre Kontrollfunktion objektiv und durchsetzungsstark auszuüben und strikt auf die Durchführung der verabredeten Reformprozesse und das Erreichen der Etappenziele zu achten. Sie sahen die Gefahr, dass die Kommission sich in ihrer Aufsichtsrolle eher von politischen Erwägungen und Rücksichtsnahmen auf einzelne Mitgliedstaaten leiten lassen würde und damit die Verknüpfung von europäischen Förder­geldern mit der Umsetzung von wirtschaftspolitischen Reformempfehlungen und mit der klima- und digital­politischen Transformationsagenda der EU auf­geweicht werden könnte.

EU-Experten werteten den Beschluss, den NGEU und die ARF einzurichten, als »Signal für die Soli­darität«7 und »als starkes Zeichen für die Fortdauer eines integrationspolitischen Grundkonsens«.8 In der Fachwelt war die Rede von einem paradigmatischen Wandel,9 einer »kopernikanischen Wende«10 mit signifikanten langfristigen Implikationen für die Wirtschaftspolitik der EU11 oder gar von einem »großen Sprung in neues und noch unerforschtes Terrain der weiteren Entwicklung Europas«.12 Ins­besondere die Einigung zur Aufnahme gemeinsamer Schulden wurde als europäischer Hamilton-Moment13 oder »Madisonian moment in European integration history«14 gedeutet.

Die Neuerungen durch NGEU und ARF

Die paradigmatischen Veränderungen und die tief­greifenden integrationspolitischen Folgen des Corona-Haushaltspakets zeigen sich an verschiedenen Punk­ten:

(1)  Gänzlich neu und somit von besonderer Bedeutung ist sicherlich, dass der EU die Möglichkeit über­tragen wurde, in größerem Umfang Schulden auf­zunehmen. Erstmals nimmt die Union gemeinsame Kredite in Höhe von mehreren Hundert Milliarden Euro auf, um ihre Hilfs- und Förderprogramme zu finanzieren. Mit dem Corona-Haushaltspaket er­wei­tert sie ihre politischen und finanziellen Spielräume zur Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der klima­politischen und digitalen Transformation erheblich. Die Entscheidung, sich im Moment einer schweren ökonomischen Krise kollektiv Geldmittel zu ver­schaffen, wurde von den Beteiligten und Beobachtern zugleich als deutliches Zeichen innereuropäischer Solidarität gewertet. Sie stellt einen Bruch mit dem bisherigen haushaltspolitischen Dogma dar, dem zufolge das europäische Budget keine Schulden machen darf. Damit schafft die EU einen Präzedenzfall, der bei künftigen Krisen neue Handlungs­optionen eröffnen kann. Diese Möglichkeit zur Finan­zierung eines ergänzenden, zweckgerichteten, zeit­lich befristeten und in seinem Umfang begrenzten Notfallfonds erweitert insofern die fiskalischen und damit auch die politischen Spielräume der Union erheblich. Nicht mehr die Frage, ob sich die EU ver­schulden darf, wird künftig diskutiert werden und auszuhandeln sein, sondern nur noch, wann diese Verschuldungsmöglichkeit ausgelöst wird bzw. was unter einer außergewöhnlichen Krisensituation zu verstehen ist und welche Indikatoren angelegt werden sollten.15

(2)  Mit dem voluminösen Paket aus MFR und NGEU eröffneten sich der EU neue Potentiale zur Finanzierung ihrer politischen Prioritäten. Die Europäische Kommission war sehr erfolgreich damit, ihren Vorschlag vom Dezember 2019 für einen Europäischen Green Deal16 in das Zentrum der zusätzlichen europäischen Förderprogramme zu rücken. Die Ziele der EU, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu werden und der ökologischen Nachhaltigkeit politisch Vor­rang zuzumessen, wurden zum Maßstab für die Neu­ausrichtung aller europäischen Förderprogramme.17 Damit rückten neue europäische (und globale) Zu­kunftsthemen und der Schutz und die Stärkung euro­päischer öffentlicher Güter in den Vordergrund.

(3)  Darüber hinaus kann die EU mit den zusätzlichen Geldern nicht nur ihre eigenen finanziellen Möglichkeiten erweitern; mit der Weitergabe der Gelder an die Mitgliedstaaten – entweder als Zuschüsse oder als Kredite – vergrößert die EU auch die budgetären Spielräume ihrer Mitglieder. Die Finanzierung von NGEU erfolgt durch Kredite, die die EU aufnimmt; die den Mitgliedstaaten so zur Verfügung stehenden Mittel belasten nicht deren einzelstaatliche Haushalte und werden nicht auf die nationalen Verschuldungs­möglichkeiten angerechnet, die gemäß den Konvergenzkriterien des EU-Vertrags prinzipiell beschränkt sind. Ebenso wie andere Fördergelder aus dem EU-Budget, zum Beispiel die aus den Struktur- und Kohäsionsfonds oder die aus den Töpfen der Gemeinsamen Agrarpolitik, können die Mitgliedstaaten diese Mittel für ihre nationalen Förderprogramme und Förderprioritäten verwenden.

(4)  Die EU erweitert mit der Entscheidung zur Auf­nahme gemeinsamer Schulden nicht nur ihre haus­haltsrechtlichen und haushaltspolitischen Möglichkeiten. Sie wird darüber hinaus auf den globalen Finanzmärkten zu einem der größten Kreditnehmer mit der höchsten Bonitätsstufe.18 Mit dieser neuen Rolle der EU ändert sich zugleich die europäische Finanzverfassung; die Verständigung auf die Auf­nahme gemeinsamer Anleihen wurde als »Ausdruck des gewachsenen fiskalischen Selbstbewusstseins der EU« interpretiert.19

Insbesondere die finanzpolitische Funktion und die fiskalpolitische Bedeutung der Europäischen Kommission wurden gestärkt; diese wird de facto zu einem europäischen Schatzamt, das die Planung und Umsetzung der Kreditaufnahme beaufsichtigt und für die Umschichtung und Umschuldung verantwortlich zeichnet.20 Diese zusätzlichen Aufgaben der Kom­mission sind durchaus mit einer Aufwertung ihrer Verantwortung und ihres politischen Gewichts ver­bunden.

(5)  Ein wichtiger und besonders umstrittener Punkt der europäischen Haushaltsverhandlungen war, dass die Auszahlung der europäischen Hilfs- und Fördergelder stärker an das Europäische Semester und an die Einhaltung ökonomischer Reformempfehlungen gekoppelt werden soll. Auch NGEU ermöglicht keine Auszahlung ungebundener Transfers an die Mitgliedstaaten. Vielmehr ist die Vergabe der Mittel an die nachhaltige Umsetzung europäischer Ziele und Vor­gaben geknüpft, die wiederum kontinuierlich über­prüft wird.

Mit der ARF übernahm die EU auch das Prinzip des Performance-based Budgeting.

Mit der ARF übernahm die EU auch das Konzept des Performance-based Budgeting21, das heißt das Prinzip, dass die Auszahlung der europäischen Fördergelder an die Implementierung gemeinsamer, mit den Mitgliedstaaten vereinbarter Ziele gebunden wird. Sie knüpfte dabei an eine von der Kommission bereits 2015/16 lancierte Initiative mit dem Namen »EU budget focused on results« an, mit der die euro­päische Ausgabenpolitik leistungsorientierter gestal­tet und vereinfacht werden sollte.22 Dieser Ansatz erfordert besondere Absprachen über ein enges Monitoring und eine möglichst objektive Evaluation der Mittelverwendung in den geförderten Mitgliedstaaten. Bei den Verhandlungen über NGEU ging es somit auch um institutionelle Fragen, die zugleich eminent politische Fragen sind, denn hier wurden auch die Zuständigkeiten und die Verantwortlich­keiten zwischen den Mitgliedstaaten und der EU neu austariert; vor allem wurde die wirtschaftspolitische Rolle der Europäischen Kommission gestärkt.

Zusammengefasst war die Einigung des Europäischen Rats im Juli 2020 ein sichtbarer (und in Zahlen ables­barer) Beweis europäischen Zusammenhalts und gegenseitiger Solidarität unter den Bedingungen einer großen Unsicherheit und einer ungewöhnlichen Krise, zu deren Bewältigung man kaum auf Erfahrungen zurückgreifen konnte. Die Staats- und Regierungschefs waren in der Lage, einen Ausgleich zwischen Nettozahlern und Begünstigten der europäischen Förderpolitik zu finden und schließlich eine immense Summe an gemeinsamen Haushaltsmitteln zu gene­rie­ren, um der Gemeinschaft einen kollektiven Konjunkturimpuls zur Abfederung der ökonomischen und sozialen Kosten der Pandemie zu geben. Der erfolgreiche Konsens belegte den grundsätzlichen Willen und das Interesse der EU-Mitglieder an einer gemeinsamen Lösung. Die Sicherung und Stabilisierung der europäischen Institutionen, wie des Binnen­markts und der Gemeinschaftswährung, und die Wah­rung der EU-internen Prinzipien, wie Kohärenz und Solidarität, waren wichtiger als nationale Sonder­wege. Diese Solidarität wurde zu keinem Zeitpunkt während der Verhandlungen des Europäischen Rats in Zweifel gezogen, auch wenn die Hilfs­maßnahmen zwangsläufig mit deutlichen Umverteilungseffekten verbunden waren. Dabei spielte zweifel­los auch die besondere Ursache der Krise eine bedeutende Rolle: die Covid-19-Pandemie, die einen symmetrischen Schock für alle Volkswirtschaften in der EU darstellte und für deren Auftreten keinem Akteur Verantwortlichkeit oder gar Schuld zugemessen werden konnte. Zugleich ging der gefundene Kompromiss für die EU mit einem Zugewinn an politischer und fiskalischer Handlungsfähigkeit einher und mit neuen Formen der haushaltspolitischen Flexibilität. Die deutliche Erweiterung der finanziellen Spielräume, die der EU und vor allem der Europäischen Kommission mit dem Beschluss vom Juli 2020 zur Verfügung gestellt wur­den, hatte für die Kommission noch eine weitere posi­tive Folge: Sie gewann an fiskalpolitischer Autonomie und konnte ihre politischen Prioritäten, den euro­päischen Green Deal, mit den erforderlichen Finanz­mitteln unterlegen.

Die Kritik an NGEU und ARF

Dennoch gab es vereinzelt auch Stimmen, die den Kompromiss des Europäischen Rats kritisierten, wobei sich die Einwände mit den fortschreitenden Erfahrun­gen bei der Umsetzung der ARF konkretisierten:

1. Europarechtliche Kritikpunkte: Die erstmals der EU eröffnete Möglichkeit, gemeinsame Schulden in bisher nicht gekanntem Umfang aufzunehmen, löste eine sehr grundsätzliche Diskussion aus. Strittig waren die gewählten Rechtsgrundlagen für die Er­mächtigung zur Ausgabe europäischer Anleihen bzw. zur Aufnahme von Schulden sowie zur Errichtung eines gesonderten Fonds neben dem mehrjährigen Finanzrahmen der EU und außerhalb des europäischen Budgets. Während manche Europarechts­expertinnen und -experten die Eignung der Rechtsgrundlagen komplett in Frage stellten,23 argumentierten andere nicht grundsätzlich ablehnend, meldeten aber »gewisse Zweifel an der Tragfähigkeit dieser Argumentation«24 an, und wiederum andere Juristen hatten keinerlei Vorbehalte.25 Diese Diskussion wurde zumindest in Deutschland mit dem Urteil des Bundes­verfassungsgerichts vom 6. Dezember 2022 beendet. Die Karlsruher Richter formulierten zwar deutlich ihre Bedenken gegenüber der Einigung des Europäischen Rats zur Aufnahme gemeinsamer Schulden, für die in den Verträgen keine Einzelermächtigung enthalten sei. Jedoch stelle dieser Kompromiss noch keine »qualifizierte Kompetenzüberschreitung« dar, die von offensichtlicher und struktureller Bedeutung sei und erheblich ins Gewicht falle. Deshalb könne die EU ausnahmsweise Kredite als sonstige Einnahmen aufnehmen, aber nur unter den Bedingungen der Zweckbindung, der zeitlichen Befristung und der begrenzten Höhe. Diese dürfe den Umfang der sons­tigen Eigenmittel nicht übersteigen.26

2. Ökonomische Kritikpunkte: Die gemeinschaftliche Kreditaufnahme zur Finanzierung der neuen Fazilität wurde auch aus ökonomischen Erwägungen heraus heftig kritisiert. Ein solches Vorgehen setze die fal­schen Anreize, garantiere keine effiziente und wirt­schaftliche Verwendung der Fördermittel und weiche das Prinzip der Eigenverantwortung auf.27 Zwar ver­suche die EU, mit den vereinbarten quantitativen und qualitativen Indikatoren und Etappenzielen die Effizienz und die Wirksamkeit der ARF zu erhöhen und besser zu prüfen. Jedoch sei der Einsatz der Förder­gelder nicht wirklich ergebnisorientiert, häufig intransparent und werde in den Mitgliedstaaten un­einheitlich gehandhabt. Der Fokus der Fazilität liege auf schnellen Outputs und sichtbaren Resultaten und nicht auf nachhaltigen Veränderungen; zum Teil seien die vereinbarten Gradmesser für das Monitoring der Verwendung der ARF-Gelder niedriger bzw. weniger ambitioniert als bei nationalen Förder­programmen mit ähnlichen oder gleichen Zielen. Damit bestehe durchaus das Risiko eines ineffizienten Mittel­einsatzes sowie einer unterschiedlichen Hand­habung und Bewertung durch die Europäische Kom­mission.28

Einige Kritiker zogen sehr grundsätzlich die ökonomische Wirksamkeit von NGEU und insbesondere der ARF in Zweifel. Die ARF könne nur einen be­grenz­ten wirtschaftlichen Effekt haben, denn zur Bekämpfung der unmittelbaren Pandemiekrisenfolgen komme sie deutlich zu spät. Die Fazilität könne insofern eher prozyklisch wirken und die von der Gesundheitskrise verursachten ökonomischen Schäden überkompensieren.29 Die Förderprioritäten seien zu unspezifisch und nicht ausreichend auf die strukturellen wirtschaftspolitischen Probleme in den einzelnen Volks­wirtschaften fokussiert. Die immensen Gelder aus den neuen Fonds würden insofern keine zusätzlichen Investitionen auslösen, sondern eher zur Finanzierung von bestehenden Programmen und Vorhaben eingesetzt werden. Insbesondere der kurze Förder­zeitraum und die Notwendigkeit, die nationalen Aufbaupläne möglichst schnell nach der Verabschiedung der rechtlichen Grundlagen zu erarbeiten und der Kommission zur Genehmigung vorzulegen, be­grenzten das Ambitionsniveau ebendieser Pläne und verstärkten den Druck in Richtung möglichst schnell zu erzielender Erfolge.30

Die Verknüpfung der ARF-Fördergelder mit der Umsetzung der Reformempfehlungen, die die Kom­mission im Rahmen des Europäischen Semesters ausspricht, wurde zwar als Stärkung der wirtschaftspolitischen Koordinierung in der EU gedeutet, jedoch nicht unbedingt als Maßnahme zur Effizienzsteigerung der ARF.31 Die enge Anbindung spiegele die eindeutige Dominanz der europäischen und der nationalen Exekutiven bei der Festlegung der Förder­prioritäten und der Mittelverwendung wider; die Interessen und Ziele der Parlamente, der Sozial­partner und auch der europäischen Regionen seien hingegen kaum einbezogen worden. Dies verschärfe die Tendenz zur Zentralisierung der wirtschafts­politischen Koordinierung und stärke insbesondere die Rolle der Europäischen Kommission.32

3. Integrationspolitische Kritikpunkte: Auch die langfristigen haushaltspolitischen Konsequenzen des europäi­schen Kompromisses wurden kritisiert. Mit NGEU und der Möglichkeit der Verschuldung werde ein Präze­denzfall geschaffen, der in den nächsten Jahrzehnten oder bei anderen Krisen Begehrlichkeiten für weitere Schuldenaufnahmen durch die EU wecken und somit langfristig den Weg in eine europäische Transfer­union öffnen werde. Darauf deute auch die starke Über­deckung der Kreditsumme im Eigenmittelbeschluss der EU hin.33 Andere Kommentatoren wider­sprachen dieser Kritik, indem sie die Einrichtung von NGEU als ersten Schritt zur Schaffung einer permanenten euro­päischen Fiskalkapazität interpretierten.34

Manche Beobachter und Beobachterinnen bewerteten auch die allgemeine Krisenreaktionsfähigkeit der EU und ihrer Organe skeptisch. Sie stellten einerseits fest, dass im Krisenfall eine Stärkung der europäischen Exekutive, also der Kommission und des Rates, normal sei.35 Sie wiesen andererseits jedoch auch auf die Begrenztheit und die Janusköpfigkeit des gefun­denen Kompromisses hin, der von den bestehenden institutionellen Pfadabhängigkeiten bestimmt werde.36 Die EU könne nur begrenzt als Krisen­manager agieren, ihr fehlten noch immer die Mög­lichkeiten zu einer schnellen und robusten Notfall­reaktion.37

Einigkeit bestand weitgehend in der Überraschung über die erstaunlich innovative Antwort der EU auf die Covid-19-Pandemie und deren sozioökonomische Folgen sowie über die beachtliche Bereitschaft der Mitgliedstaaten zu inner­europäischer Solidarität, die sich in den neugeschaffenen und weitreichenden Finanzinstrumenten ausdrücke. Allerdings gingen einigen Analysten die so eröffneten Reformmöglichkeiten nicht weit genug, während anderen die poten­tiellen integrationspolitischen Folgen zu weit gingen. Mit Blick auf die administrativen Vorgaben und die konkrete Ausgestaltung der ARF blieben viele Kom­mentatoren skeptisch.38

Die Implementierung der Aufbau- und Resilienzfazilität als Kern von NGEU

Nach der Verabschiedung der Verordnung zur Ein­richtung der Aufbau- und Resilienzfazilität rückte die Implementierung in den Mitgliedstaaten in den Vordergrund. Den politischen Akteuren als auch den wissenschaftlichen Beobachtern war klar, dass eine erfolgreiche, nachhaltige und überzeugende Anwen­dung der neuen Instrumente ausschlaggebend dafür sein würde, ob diese einen weiterreichenden inte­gra­tionspolitischen Schwung würden entfalten können. Die ARF soll zur Stärkung der strategischen Auto­nomie der EU beitragen, die Union resilienter machen und zugleich einen europäischen Mehrwert schaffen. Um diese generellen Ziele mit der Fazilität zu er­reichen, sollen mindestens 37 Prozent der Förder­gelder für Maßnahmen gegen den ökologischen und klimabezogenen Wandel und mindestens 20 Prozent für die Digitalisierung verwendet werden. Der An­wendungsbereich der ARF wurde in sechs Schwer­punkte, die so bezeichneten »Säulen«, aufgegliedert (Art. 3 der Verordnung 2021/241 des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates vom 12. Febru­ar 2021 zur Einrichtung der Aufbau- und Resilienzfazilität, kurz ARF-VO):

  • ökologischer Wandel;

  • digitaler Wandel;

  • intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachs­tum sowie Arbeitsplätze und Wettbewerbsfähigkeit;

  • sozialer und territorialer Zusammenhalt;

  • Gesundheit und wirtschaftliche, soziale und institutionelle Resilienz;

  • Bildung und Kompetenzen.

Die Mitgliedstaaten hatten zunächst nationale Aufbau- und Resilienzpläne (NARP) zu erstellen, die »im Einklang stehen« (Art. 17, 3 ARF-VO) mussten mit den länderspezifischen Empfehlungen (LSE) des Euro­päischen Semesters und mit anderen Programmen und Strategien der EU (unter anderem mit den Ener­gie- und Klimaplänen und den Programmen für die europäischen Strukturfonds). Die Kommission hatte die Aufgabe, diese NARPs innerhalb von zwei Mona­ten zu bewerten und dem Rat anschließend einen Vorschlag für einen Durchführungsbeschluss zur Billigung des jeweiligen Plans vorzulegen (Art. 19 und 20 ARF-VO). Sie hatte bereits im Vorfeld ihrer Prüfung der nationalen Pläne einen Leitfaden39 mit Eckpunkten erarbeitet, in dem sie ihre Erwartungen an die nationalen Pläne, deren Struktur, Schwerpunkt­setzungen und Ziele formuliert hatte. In ihren Auf­bau- und Resilienzplänen erläuterten die Mitgliedstaaten, wie sie die europäischen Gelder zur Umsetzung der empfohlenen Strukturreformen nutzen wollen, um ihre wirtschaftliche und soziale Lage zu verbessern, ihr Wachstumspotential zu erhöhen, neue Arbeitsplätze zu schaffen und die ökologische und digitale Transformation umzusetzen. Die Pläne mussten hinreichend begründet und belegt sein und die Schritte der Mitgliedstaaten zur Implementierung der europäischen Reformempfehlungen konkret be­schreiben. Zugleich mussten die Mitgliedstaaten ihre Fördermaßnahmen mit detaillierten, verbindlichen und messbaren quantitativen und qualitativen Ziel­werten und Etappenzielen verknüpfen sowie Kosten- und Zeitpläne vorlegen. Darüber hinaus waren sie aufgefordert zu erläutern, welche Mechanismen zur Überwachung und zur Korruptionsbekämpfung sie zu installieren gedachten (Art. 18 ARF-VO).

Bei ihrer Prüfung der NARPs achtete die Kommis­sion auf die Kohärenz der jeweiligen nationalen Ziele mit den gemeinsamen europäischen wirtschafts-, sozial-, klima- und nachhaltigkeitspolitischen Zielen und mit den länderspezifischen Empfehlungen des Europäischen Semesters. Zugleich beurteilte sie die Umsetzbarkeit und Messbarkeit der in den Plänen vereinbarten Maßnahmen und der angestrebten Etappenziele und Zwischenschritte. Die Kommission prüfte die Relevanz, Wirksamkeit, Effizienz und Kohärenz der nationalen Umsetzungspläne mit Hilfe von 11 Kriterien (Art. 19 ARF-VO). Zur Bewertung der NARPs stufte sie diese Kriterien in Kategorien von A (weitgehend erfüllt) bis C (nur in geringem Maß er­füllt) ein (Anhang V der ARF-VO). Dabei orientierte sie sich an dem wirtschaftspolitischen Leitbild der »wettbewerbsfähigen Nachhaltigkeit«, das auf vier Schwerpunkte setzt: ökologische Nachhaltigkeit, Produktivität, Gerechtigkeit und makroökonomische Stabilität.40 In der Praxis wurden die Pläne in enger Zusammenarbeit zwischen den Regierungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission erstellt und abgestimmt bzw. angepasst oder über­arbeitet.41 Die Prüfungsmaßstäbe der Kommission waren insofern für die Mitgliedstaaten nicht wirklich überraschend, ebenso wenig wie das Ergebnis.

Die Einrichtung eines Scoreboards ist das zentrale Element des kontinuier­lichen Monitorings der ARF-Imple­mentierungsfortschritte.

In Artikel 29 der ARF-Verordnung wurde fest­geschrieben, dass die Europäische Kommission die Anwendung der Fazilität und die Einhaltung der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne kontinuierlich überwachen muss und hierfür ein System der Leistungsberichterstattung entwickelt, in dem sie die Daten der Implementierung zeitnah erfasst. Hierzu hat die Kommission in einem die Verordnung ergän­zenden delegierten Rechtsakt42 ein Aufbau- und Resilienz-Scoreboard erarbeitet, in dem die Maß­nahmen und die Erfüllung der Etappenziele für jeden Mitgliedstaat und für jede der sechs Fördersäulen ablesbar sind.43 Darüber hinaus legt die Kommission einen jährlichen Bericht vor (Art. 31 ARF-VO), in dem die Fortschritte der Fazilität insgesamt dargestellt werden und eine Verbindung mit der Umsetzung der Empfehlungen im Rahmen des Europäischen Semes­ters hergestellt wird. Das Aufbau- und Resilienz-Scoreboard umfasst 14 gemeinsame Indikatoren44 für die sechs Politikbereiche (Säulen) der Fazilität, mit deren Hilfe die Entwicklung in allen Mitgliedstaaten angezeigt und vergleichbar bewertet werden. Darüber hinaus berichtet die Kommission auf der Grundlage dieses Scoreboards über die Erfüllung der länder­spezifischen Etappenziele und der vereinbarten Ziel­werte sowie über den Abfluss der Fördergelder. Um die Fortschritte in den Mitgliedstaaten aggregieren zu können, sind die gemeinsamen Indikatoren quanti­fizierbar; sie werden in relativen Angaben erhoben, um Vergleiche auch zwischen den NARPs von Mit­gliedstaaten mit unterschiedlichen Größen oder Fördersummen zu ermöglichen. Das Monitoring der Implementierung der ARF-Fazilität und der Umsetzung der nationalen Pläne erfolgt also kontinuierlich vor allem mit Hilfe quantitativer Indikatoren.

Eine erste grundlegende Anpassung erfuhr die ARF im Februar 2023 mit der Entscheidung, dass jeder Mit­gliedstaat ein RePowerEU-Kapitel in seinen NARP und seine regelmäßigen Berichte aufnehmen muss. Mit RePowerEU reagierte die EU auf den Angriff Russlands auf die Ukraine. Ziel des Plans ist es, die Energie­abhängigkeit von Russland zu minimieren, die Nut­zung fossiler Brennstoffe insgesamt zu reduzieren und die Energiespar- und -effizienzpotentiale besser auszuschöpfen.45 Der immense Investitionsbedarf im Energiebereich, der mit dieser Vorgabe verknüpft ist, soll zum Teil mit Hilfe des RePowerEU-Plans ab­gedeckt werden. Hierfür wurden die ARF-Mittel um weitere 20 Milliarden Euro aufgestockt, um zusätz­liche Darlehen für die Mitgliedstaaten bereitstellen zu können. Diese sollten bis April 2023 bei der Kom­mission Anträge zur Einfügung eines RePowerEU-Kapitels in ihren NARP einreichen, in denen sie ihre angepassten Maßnahmen und die entsprechenden End- und Etappenziele erläutern.46 Eine frühe Ab­sprache mit der Kommission, so hieß es in den Er­wägungsgründen, sei erforderlich, damit eine recht­zeitige Verabschiedung des erforderlichen Durch­führungsbeschlusses des Rates gewährleistet werden könne. Denn am 31. August 2023 endete bereits die Frist für die Einreichung geänderter Auf­bau- und Resilienzpläne, die einen RePowerEU-Darlehens­antrag enthalten.47 Die zusätzlichen RePowerEU-Maßnahmen können in energiepolitischen Reformen und Investitionen bestehen, die zur Verbesserung der Erdgasinfrastruktur beitragen. Gefördert werden auch Programme, mit denen eine Steigerung der Energie­effizienz von Gebäuden, die Dekarbonisierung der Wirtschaft und der Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigt, die Energiearmut bekämpft und Anreize zu Senkung der Energienachfrage gesetzt werden. Als Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine und der grundsätzlichen Neubewertung der europäischen Energiepolitik wurde die Aufbau- und Resilienzfazilität also um einen energiepolitischen Schwerpunkt ergänzt.

Die Abflüsse aus der Fazilität bis zum Sommer 2023 zeigen, dass die Verteilung der Fördermittel auf die Mitgliedstaaten, ob als Zuschüsse oder Kredite, in keinem Zusammenhang stehen mit den im engeren Sinn gesundheitlichen Folgen der Covid-19-Pandemie. Die Höhe der Zuteilungen korreliert nicht mit den Übersterblichkeitsraten in den Mitgliedstaaten im Zeitraum 2020 und 2021. Vielmehr war das jeweilige Ausmaß der ökonomischen und sozialen Einbußen durch die Pandemie ausschlaggebend für die Zu­teilung der ARF-Förderung an die Mitgliedstaaten. Die Regierungen nahmen vornehmlich die direkten Zuschüsse, die nicht an die EU zurückgezahlt werden müssen, in Anspruch und nur sieben Staaten haben sich für zusätzliche zinsvergünstigte Kredite entschie­den. Von diesen haben bis zum Sommer 2023 ledig­lich Griechenland, Italien, Portugal, Rumänien und Zypern bereits kreditfinanzierte Förderung abgerufen (siehe Tabelle 2, S. 18). Die größten Summen an zu­schuss- und kreditfinanzierten Fördergeldern erhalten Italien mit dem immensen Volumen von mehr als 191 Milliarden Euro und Spanien mit 69,5 Milliarden Euro. Setzt man den Anteil der ARF-Fördergelder mit dem jeweiligen Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Empfängerstaats in Relation, so sollen insgesamt vier Mitgliedsländer einen Förderbetrag von mehr als 10 Prozent ihres BIP erhalten; Griechenland kann demnach eine ARF-Förderung von 16,68 Prozent, Rumänien von 12,15 Prozent und Kroatien von rund 11 Prozent seines BIP abrufen. Und auch die Mittel, die Italien zufließen sollen, würden mehr als 10 Pro­zent seines BIP entsprechen. Unabhängig von der zu­geteilten und maximal möglichen Förderung durch die ARF zeigen die relativ niedrigen Abrufquoten bis zum Sommer 2023, dass den nationalen Regierungen die Implementierung der neuen ergebnisorientierten Mittelverwaltung und das Erreichen der vereinbarten Etappenziele Probleme bereitet. Offensichtlich waren bislang diejenigen Mitgliedstaaten erfolgreicher beim Abrufen der ARF-Fördergelder und beim Nachweis von erfüllten Zielvereinbarungen, die auf langjährige Erfahrungen beim Bezug und der Verwaltung euro­päischer Fördergelder, insbesondere aus den EU-Struk­turfonds, zurückblicken können.

Tabelle 2

Die Umsetzung der ARF

Mitgliedstaat

Anträge

Förderung (in Mrd. Euro)

Vorlage des NARP

Positive Bewertung der Kommission

Durchführungs­beschluss des Rates

Förderung insgesamt

Zuschüsse

Kredite

Anteil am BIP

Ausgezahlt
(Stand 1.8.2023)

Belgien

30.04.2021

23.06.2021

13.07.2021

5,92

5,92

0

1,17%

0,77

Bulgarien

15.10.2021

07.04.2022

03.05.2022

6,27

6,27

0

9,23%

1,37

Dänemark

30.04.2021

17.06.2021

13.07.2021

1,55

1,55

0

0,46%

0,50

Deutschland

28.04.2021

22.06.2021

13.07.2021

26,36

26,36

0

0,73%

2,25

Estland

18.06.2021

05.10.2021

29.10.2021

0,97

0,97

0

3,08%

0,13

Finnland

27.05.2021

04.10.2021

29.10.2021

1,82

1,82

0

0,72%

0,27

Frankreich

28.04.2021

23.06.2021

13.07.2021

39,37

39,37

0

1,57%

12,52

Griechenland

27.04.2021

17.06.2021

13.07.2021

30,5

17,77

12,73

16,68%

5,75 / 5,35

Irland

28.05.2021

16.07.2021

08.09.2021

0,99

0,99

0

0,23%

0

Italien

30.04.2021

22.06.2021

13.07.2021

191,48

68,88

122,6

10,79%

28,95 / 37,94

Kroatien

14.05.2021

08.07.2021

28.07.2021

6,29

6,29

0

11,01%

2,22

Lettland

30.04.2021

22.06.2021

13.07.2021

1,83

1,83

0

5,56%

0,44

Litauen

14.05.2021

02.07.2021

28.07.2021

2,22

2,22

0

4,02%

0,83

Luxemburg

30.04.2021

18.06.2021

13.07.2021

0,08

0,08

0

0,11%

0,03

Malta

13.07.2021

16.09.2021

05.10.2021

0,32

0,32

0

2,16%

0,09

Niederlande

08.07.2022

08.09.2022

04.10.2022

4,7

4,7

0

0,55%

0

Österreich

30.04.2021

21.06.2021

13.07.2021

3,46

3,46

0

0,86%

1,15

Quelle: European Commission, Recovery and Resilience Scoreboard, <https://ec.europa.eu/economy_finance/recovery-and-resilience-scoreboard/index.html> (Stand: August 2023).

Mitgliedstaat

Anträge

Förderung (in Mrd. Euro)

Vorlage des NARP

Positive Bewertung der Kommission

Durchführungs­beschluss des Rates

Förderung insgesamt

Zuschüsse

Kredite

Anteil am BIP

Ausgezahlt
(Stand 1.8.2023)

Polen

03.05.2021

01.06.2022

17.06.2022

35,35

23,85

11,5

6,16%

0

Portugal

22.04.2021

16.06.2021

13.07.2021

16,61

13,91

2,7

7,86%

4,07 / 1,07

Rumänien

31.05.2021

28.09.2021

29.10.2021

29,18

14,24

14,94

12,15%

3,62 / 2,73

Schweden

28.05.2021

29.03.2022

03.05.2022

3,29

3,29

0

0,61

0

Spanien

30.04.2021

16.06.2021

13.07.2021

69,51

69,51

0

5,76%

37,04

Slowakei

28.04.2021

21.06.2021

13.07.2021

6,33

6,33

0

6,52%

1,93

Slowenien

30.04.2021

01.07.2021

28.07.2021

2,48

1,78

0,7

4,75%

0,28

Tschechien

01.06.2021

19.07.2021

08.09.2021

7,04

7,04

0

2,95%

1,84

Ungarn

12.05.2021

30.11.2022

15.12.2022

5,81

5,81

0

3,77%

0

Zypern

17.05.2021

08.07.2021

28.07.2021

1,2

1,0

0,2

5,15%

0,22 / 0,03

Quelle: European Commission, Recovery and Resilience Scoreboard, <https://ec.europa.eu/economy_finance/recovery-and-resilience-scoreboard/index.html> (Stand: August 2023).

Die ARF und das Europäische Semester zur wirtschaftspolitischen Koordinierung

Das Europäische Semester wurde 2011 im Zuge der Verschuldungskrise in der Eurozone etabliert. Es bildet seither die politisch-administrative Klammer, um die verschiedenen wirtschafts-, beschäftigungs-, sozial- und inzwischen auch nachhaltigkeitspolitischen Koordinationsprozesse der EU mit den makro­ökonomischen und fiskalpolitischen Instrumenten des Stabilitäts- und Wachstumspakts in einem jähr­lichen Zyklus zu verbinden. Im Rahmen dieses mittlerweile eingespielten Prozesses stimmen die EU und die Mitgliedstaaten ihre Politiken aufeinander ab und vereinbaren gemeinsame Ziele auch in den Politikfeldern, in denen die EU über keine Recht­setzungskompetenz verfügt.48

Auch die Aufbau- und Resilienzfazilität zur Ab­federung der sozioökonomischen Folgen der Covid-19-Pandemie wurde in dieses Koordinierungs­verfahren einbezogen. Die Mitgliedstaaten sind dazu verpflichtet, zweimal jährlich im Rahmen des Euro­päischen Semesters auch über ihre Fortschritte bei der Umsetzung ihrer NARPs zu berichten, wofür sie ihre Nationalen Reformprogramme (NRP) nutzen können (Art. 27 ARF-VO); diesen NRP müssen sie ohnehin jährlich im Zyklus des Europäischen Semes­ters erstellen und der Kommission vorlegen. Darüber hinaus wurde den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnet, ihren NARP »in Form eines einzigen Gesamt­dokuments« (Erwägungsgrund 38 ARF-VO) zusammen mit ihrem NRP einzureichen.49 Die Regierungen müssen bei der Erstellung ihrer Umsetzungspläne erläutern, ob und wie ihr NARP »zur wirksamen Bewältigung aller oder eines wesentlichen Teils der Herausforderungen [beitragen kann], die in den relevanten länderspezifischen Empfehlungen an den betreffenden Mitgliedstaat, einschließlich der finanz­politischen Herausforderungen und Empfehlungen« ermittelt wurden (Art. 19, 3b ARF-VO).

Die länderspezifischen Empfehlungen (LSE), die die EU im Zyklus des Europäischen Semesters in den Jahren 2019 und 2020 für jeden Mitgliedstaat formu­lierte, und die sechs Säulen der ARF-Verordnung dienten als eine Art Matrix, in die die spezifischen nationalen Einzelmaßnahmen ein- und zuzuordnen waren. Die Mitgliedstaaten definierten so nationale Förderschwerpunkte und wiesen diesen die ent­sprechenden Maßnahmen und die dafür jeweils auf­zuwen­denden Mittel zu und fixierten die quantita­tiven und qualitativen Etappenziele. Die enge Ver­knüpfung von ARF mit den LSE verschafften der Kommission einen ersten Ansatzpunkt für ihre Ein­schätzung der angestrebten und vereinbarten Inves­titionen und Reformen. Allerdings sind die Empfehlungen in der Regel relativ allgemein gefasst, weshalb die Mitgliedstaaten darauf mit einer Vielzahl mög­licher Förder­maßnahmen oder -projekte reagieren können.

Die Implementierung der ARF verstärkt die Wirkung der länder­spezifischen Empfehlungen des Europäischen Semesters.

Die Qualität der Umsetzung der LSE mit Hilfe der ARF-Fördergelder wird von den konkreten Maßnahmen in den Mitgliedstaaten, den spezifischen Etap­pen­zielen und den Implementierungsindikatoren in den NARP vorbestimmt. Die Kommission drängte wäh­rend ihrer intensiven Verhandlungen mit den Regie­rungen auf eine möglichst vollständige Erfüllung der LSE. Je mehr ARF-Fördergelder für einen Mitgliedstaat vorgesehen und reserviert wurden, desto höher war die Zahl der in den NARP vereinbarten Ziele und desto präziser und verbindlicher wurden die euro­päischen Implementierungsvorgaben. Mit der Höhe der europäischen Fördergelder verlängerte sich damit der Hebel der Kommission zur Überwachung und Beeinflussung der Mitgliedstaaten.50

Die Europäische Kommission und die Zentralregierungen der Mitgliedstaaten arbeiteten bei der Erstel­lung der nationalen ARF-Programme überaus eng zusammen.51 Dies verstärkte einerseits den Einfluss der Kommission auf die Festlegung der Investitionsprioritäten und die Durchführung der Struktur­reformen in den Mitgliedstaaten. Andererseits erleich­terten die avisierten immensen Fördersummen, ver­bun­den mit einer hohen Dynamik und einem hohen Zeitdruck bei der Verwendung der EU-Gelder, aber auch die Umsetzung der Programme. Die nationalen Regierungen waren relativ frei darin zu entscheiden, ob und wie weit sie ihre Regionen oder zivilgesellschaftliche Interessengruppen in die Erstellung und die Implementierung der NARP einbinden wollen. Potentielle Bedenkenträger, Zögerer oder Gegner geplanter Reformen oder Investitionen konnten so in der innenpolitischen Debatte ignoriert oder zurückgedrängt werden.

Mit der Aufnahme der LSE in die nationalen Aufbau- und Resilienzpläne verknüpft die ARF zwei wirtschaftspolitische Zielsetzungen miteinander:

  1. Als Reaktion auf die Pandemiekrise und deren absehbar erhebliche sozioökonomische Folgen stellte die EU beträchtliche Fördergelder als Konjunkturimpulse zur Verfügung. Bei der Verwendung dieser Mittel fokussierte sie sich auf die zweifache klimapolitische und digitale Trans­formation der europäischen Volkswirtschaften.

  2. Die Verknüpfung der immensen ARF-Fördermittel mit der verbindlichen Beachtung der Reform­empfehlungen, die die Kommission im Rahmen des Europäischen Semesters 2019 und 2020 aus­gesprochen hatte, in den NARP sollte dabei die Wirkung der LSE erhöhen bzw. deren Umsetzung beschleunigen. Die Mitgliedstaaten waren an­gesichts der hohen potentiellen Fördersummen eher zu tiefgreifenden Umgestaltungsmaßnahmen, zum Beispiel zu strukturellen Reformen ihrer öffentlichen Verwaltungen oder der Steuer-, Bildungs- oder Justizsysteme, bereit und verpflich­teten sich hierzu in ihren NARP.

Die europäischen Fördergelder sollen erst dann fließen, wenn die Mitgliedstaaten die zugesagten Reformen wirklich aufgenommen und die vereinbarten Zielwerte und Etappenziele, wie sie in den NARP fixiert wurden, de facto erreicht haben. Die Höhe der Förderung durch die EU ist unabhängig von den tat­sächlich eingetretenen Kosten der Maßnahmen. Die Summe ist a priori in dem jeweiligen Nationalen Aufbau- und Resilienzplan festgelegt. Die ARF-Mittel sind demnach nicht zur Finanzierung der konkreten Reform- und Umsetzungsmaßnahmen bestimmt, die bereits erfolgreich in den Mitgliedstaaten abgeschlossen sein müssen und an die Kommission gemeldet und von ihr geprüft wurden. Sie dienen eher zur Unterstützung für die Inangriffnahme weiterer Re­strukturierungsmaßnahmen und somit eher als Belohnung für nationale Reformbereitschaft. Für die Implementierung der ARF in den Mitgliedstaaten wurde ein engmaschiges Monitoring- und Evalua­tions­system vereinbart, das ebenfalls in das Verfahren und die Schrittfolge des Europäischen Semesters integriert wurde. Dass die enge Verbindung von ARF-Fördergeldern mit dem Europäischen Semester zu einer besseren und effizienteren Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen führt, wird zwar von der Europäischen Kommission erwartet; ob sich diese Hoffnung erfüllt, bleibt aber noch abzuwarten.

Die Parallelität von ARF und EU-Struktur­fonds

Das älteste und bekannteste wirtschaftspolitische Förderinstrument der EU sind die europäischen Struk­turfonds. Mit diesen Fonds52 sollen die wirt­schaftlichen Divergenzen zwischen den Regionen in der EU verringert und die europäische Kohäsion ge­stärkt werden. Die allgemeinen Zielsetzungen der ARF decken sich weitgehend mit denen der europäischen Kohäsionspolitik und der Strukturfonds. So entsprechen die sechs Schwerpunkte der ARF den Förderprioritäten, die auch für die Verwendung der europäischen Strukturfonds formuliert wurden. Die in den sechs Säulen der ARF definierten Ziele sollen folglich »den wirtschaftlichen, sozialen und territo­rialen Zusammenhalt der Union« fördern (Art. 3 ARF‑VO). Die Verordnungen für beide Förderinstrumente enthalten jeweils den Appell, wechselseitige Synergien anzustreben, »um einen möglichst hohen Mehrwert zu bewirken«.53 Dennoch, so argumentierte der Generaldirektor der Generaldirektion Haushalt der Europäischen Kommission, Gert Jan Koopman, wenig überraschend, seien die langfristigen Zwecke beider Förderinstrumente unterschiedlich: »Cohesion policy and the RRF have some common aims, but different general objectives«.54 Während mit der ARF eine deutlich breitere Zielsetzung auf mitgliedstaat­licher Ebene verfolgt werde und eine kurzfristige Kapitallücke als Folge der Covid-19-Pandemie ge­schlossen werden solle, verfolge die Kohäsionspolitik eine langfristige und regionale Investitionsstrategie zur Verringerung der regionalen Wohlstandsunterschiede und zur Schaffung von Beschäftigung.

Ziele und Schwerpunkte der ARF und der europäischen Struktur- und Kohäsionsfonds sind nahezu deckungsgleich.

Allerdings ähneln die spezifischen Ziele und Förderschwerpunkte der europäischen Aufbau- und Resilienzfazilität und der nationalen Umsetzungs­pläne stark denen der europäischen Kohäsions- und Strukturpolitik.55 In den Verordnungen zu den europäischen Struktur- und Kohäsionsfonds für die Förderperiode 2021–2027, die im Rahmen der euro­päischen Haushaltsverhandlungen 2020 parallel zu NGEU und ARF verhandelt wurden, werden die gleichen Ziele und ähnliche Förderprioritäten for­muliert.56 Im Einklang mit der Vorgabe der thema­tischen Konzentration soll der Großteil der Zuweisungen aus den Strukturfonds wie bei der ARF prio­ritär im Dienste der gleichen wirtschafts- und klima­politischen Ziele verwendet werden, nämlich der weiteren CO2-Reduktion und der Digitalisierung. Ziele und Schwerpunkte der beiden europäischen Förder­instrumente sind also nahezu deckungsgleich.

Neben den eher inhaltlich-funktionalen Aspekten fällt die deutliche Parallelität bei der Programmierung beider Förderinstrumente auf. Die Strukturen, Prozesse und Mechanismen der Implementierung der ARF sind weitgehend an die Elemente der Politik­steuerung der europäischen Kohäsionspolitik an­gelehnt. Die Planungsdokumente der Strukturfonds sind zunächst in der Dachverordnung und den spezi­fischen Fondsverordnungen festgelegt. Die dort fixierten europaweiten Ziele und Schwerpunkte werden dann in Partnerschaftsvereinbarungen zwi­schen der EU und den Mitgliedstaaten konkretisiert und auf die jeweiligen nationalen Gegebenheiten an­gepasst. In sogenannten Operationellen Programmen für die einzelnen Fonds und für jede geförderte Region in der EU werden schließlich die spezifischen Förder­schwerpunkte und -projekte definiert. Auch die ARF folgt weitgehend diesem dreistufigen Aufbau: Die rechtlichen Grundlagen werden in der ARF-Ver­ordnung und in delegierten Rechtsakten der Euro­päischen Kommission gelegt; die Mitgliedstaaten fixieren in einem zweiten Schritt ihre Förderprioritäten in ihren nationalen Aufbau- und Resilienzplänen, die dann weiter mit Hilfe von sogenannten Operationellen Vereinbarungen spezifiziert werden.

Ein wichtiger Unterschied besteht allerdings darin, welche Instanz über die Annahme dieser nationalen Implementierungspläne formal entscheidet. Die EU-Kommission prüft zwar sowohl die kohäsionspolitischen Partnerschaftsvereinbarungen und die Opera­tio­nellen Programme als auch die ARF-Planungs­dokumente auf die Möglichkeiten der Umsetzung und auf die zu erwartende Effektivität, Effizienz und Nachhaltigkeit. Allerdings sind es bei den ARF-Doku­menten letztlich die Mitgliedstaaten, die im Rat auf der Grundlage der Analyse und Bewertung der Kom­mission beschließen, während die Kommission über die kohäsionspolitischen Planungs- und Programmie­rungsdokumente alleine befindet.

Eine wesentliche Differenz zwischen beiden Förder­programmen ergibt sich auch aus der unterschiedlichen Laufzeit und der entsprechend ungleichen Dynamik bzw. Kontinuität und Nachhaltigkeit der Förderung. Die Strukturfonds decken eine maximal zehnjährige Förderperiode ab. Nach Ablauf können die begonnenen Projekte oder Maßnahmen in der Regel in der nachfolgenden Förderperiode fortgeführt werden; zumindest besteht eine maximal zweijährige Überlappung der beiden Förderzeiträume, wenn der neue 2028 beginnt und der aktuelle erst spätestens 2030 ausläuft. Die Förderprogramme der ARF müssen hingegen bis Ende 2026 abgewickelt sein und können angesichts der einmaligen Entscheidung für diese Fazilität nicht verlängert werden. Eine Fortsetzung der Finanzierung spezifischer Projekte oder Programme kann insofern allenfalls in der nächsten kohäsionspolitischen Förderperiode mit Mitteln aus den Strukturfonds erfolgen. Einige Beobachter befürch­ten deshalb nach Ende der ARF-Laufzeit einen ab­rupten Stopp der Förderung im Jahr 2027 und einen Einbruch der öffentlichen Investitionen. Bereits zu Beginn des Förderzeitraums haben einige Mitgliedstaaten daher auf die Möglichkeit gedrängt, die Frist zu verlängern, um den kompletten Mittelabfluss und den Abschluss der Projekte garantieren zu können.

ARF und Strukturfonds unter­scheiden sich jedoch fundamental in den Implementierungsstrukturen.

Die administrativen Ressourcen, um die jeweiligen nationalen Programme zu implementieren, sind begrenzt. Auch aus diesem Grund haben die unter­schiedlichen Laufzeiten und Dynamiken– bei ähn­lichen Förderprioritäten – dazu geführt, dass in den Jahren 2021 und 2022 zum Abschluss der alten ko­häsionspolitischen Förderperiode und zum Start der Förderperioden von React-EU, der ARF, des Just Tran­sition Fonds (siehe Fn. 3) und der neuen Struktur­fonds die administrativen Prioritäten zur Umsetzung auf den zeitlich vorrangigeren Fonds lagen. Der Fokus richtete sich also auf die Beendigung der ablaufenden kohäsionspolitischen Projekte, auf die Verwendung der befristeten React-EU-Gelder und auf den Anlauf der bis 2026 befristeten ARF-Förderperiode. Die neuen kohäsionspolitischen Förderprogramme starteten deshalb mit einer deutlichen Verspätung in den Mit­gliedstaaten.57

ARF und EU-Strukturfonds unterscheiden sich in vier weiteren Punkten:

(1)  Die Auszahlung der europäischen Fördergelder folgt je eigenen Verfahren. Die Mittel aus den euro­päischen Strukturfonds werden nach dem Erstattungs­prinzip ausgezahlt. Demnach ist die begünstigte Region oder der Mitgliedstaat verantwortlich für die ordnungsgemäße Durchführung der Fördermaßnahmen. Eine Region finanziert eine spezi­fische Maß­nahme und zahlt zum Beispiel einem Unternehmen oder einem Bildungsträger entsprechende Förder­gelder zur Umsetzung des Vorhabens aus dem eigenen Haushalt. Die Belege und Rechnungen reicht sie dann bei der Kommission ein, die die Förderwürdigkeit und die Regelkonformität prüft und der Region dann den entsprechenden Betrag erstattet. Der Maßstab, der an die Auszahlung der europäischen Gelder angelegt wird, ist also die in den Strukturfonds-Verordnungen und den regionalen Förderrichtlinien vereinbarte Förderfähigkeit einer Maßnahme.

Im Unterschied zu diesem Erstattungsverfahren werden die Fördergelder der ARF von der Kommission erst ausgezahlt, wenn der Mitgliedstaat die zuvor ver­abredeten und fixierten quantitativen und qualitativen Etappen- und Endziele eines Förderprogramms nachweisen kann. Ob diese erreicht wurden, wird von der Kommission geprüft, und im positiven Fall wird dann die nächste Tranche der im Vorfeld festgelegten Fördersumme für das Programm ausgezahlt. Die Aus­zahlung der europäischen Fördergelder soll also nicht auf Basis der festgestellten Förderfähigkeit erfolgen, sondern stärker und eindeutiger an das Erreichen spezifischer Ziele und an messbare Indikatoren ge­knüpft werden. Im Unterschied zur Erstattung der tatsächlich entstandenen Kosten für die Implementie­rung eines Förderprojekts, das im Rahmen eines euro­päischen Strukturfonds durchgeführt wird, erhält der Mitgliedstaat aus der ARF nur die zuvor ver­einbarte und in den NARP festgeschriebene Förderung für den Abschluss der Maßnahme – auch wenn die realen Ausgaben für das Vorhaben höher sein sollten. Die auszuzahlende Summe wurde also im Vorfeld im Zuge der Abfassung des jeweiligen NARP kalkuliert und verbindlich festgelegt. Die ARF folgt damit dem Ansatz des Performance-based Budgeting, mit dem die Effizienz und die Effektivität der europäischen Förderpolitiken verbessert werden soll.

Ob die Auszahlung der ARF-Fördergelder jedoch strikt leistungsbasiert sein und stets auf der Grund­lage messbarer Indikatoren erfolgen wird, bleibt fraglich und darf bezweifelt werden. Die Etappenziele und anzulegenden Indikatoren, die zwischen der Kommission und dem jeweiligen Mitgliedstaat in den nationalen Plänen vereinbart worden sind, lassen in einigen Fällen Fragen offen. So akzeptiert die Kom­mission zum Teil bereits das fristgerechte Einreichen von Planungsdokumenten als Etappenziel, um die Zuweisung einer Tranche der Fördergelder zu geneh­migen. Auch wurden Etappenziele mitunter im Ein­vernehmen mit der Kommission so niedrig angesetzt, dass die Erfüllung dieser Minimalziele keine oder kaum Anstrengungen erfordert.58

(2)  Die Implementierung der europäischen Struktur­fonds erfolgt auf dem Weg der geteilten Mittelverwaltung, das heißt sowohl die Kommission als auch die Mitgliedstaaten übernehmen gemeinsam die Ver­antwortung für die ordnungsgemäße Verwendung der Fördergelder. Die Kommission übt hierbei eine eher mittelbare Aufsichtsfunktion aus und kon­trolliert nur punktuell die mitgliedstaatlichen bzw. regionalen Verwaltungs-, Überwachungs- und Prüf­instanzen.

Die ARF-Fördergelder hingegen werden in Form der direkten Mittelverwaltung von der Kommission an die Mitgliedstaaten ausgezahlt. Dies bedeutet, dass die Kommission für die ordnungsgemäße Verwendung der Fördergelder gegenüber der europäischen Haus­haltsbehörde, dem Europäischen Parlament und dem Rat der EU, verantwortlich ist. Sie kontrolliert die regelkonforme Allokation der Gelder anhand der mit den Mitgliedstaaten abgesprochenen qualitativen und quantitativen Etappen- und Endziele. Die nationalen Regierungen – in der Regel eine federführende Behörde – sind die Begünstigten der Fazilität. Die Kommission überprüft und bewertet also nicht mehr einzelne Fördermaßnahmen oder die sachgerechte Mittelverwendung auf Seiten einzelner Empfänger der europäischen Fördergelder, sondern kontrolliert nur die Einhaltung der vereinbarten Umsetzungs­indikatoren. Diese Form der direkten Mittelverwaltung verschafft der Kommission zunächst einen deut­lich vergrößerten Spielraum bei der Bewertung, ob die mit den Mitgliedstaaten ausgehandelten Förderziele und -prioritäten auch wirklich erreicht worden sind. Sie ist zwar formal alleine verantwortlich für die ordnungsgemäße Mittelverwendung und die Imple­mentierung der Programme; die konkrete Umsetzung der einzelnen Projekte konnte sie aber de facto in die Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Exekutiven übertragen. Umgekehrt ist die Kommission darauf an­gewiesen, dass ihr die nationalen Regierungen Infor­mationen zur Umsetzung der ARF-Förder­programme pünktlich, umfassend und inhaltlich korrekt kom­munizieren. Die Möglichkeit, sich auf die von den Mitgliedstaaten gemeldeten Umsetzungsindikatoren konzentrieren zu können, erleichtert es der Kom­mission andererseits, ihren Aufsichts- und Kontrollpflichten nachzukommen und entlastet sie somit von vielen administrativen Pflichten. Diese Implementierungsaufgaben werden von den Regierungen in den Mitgliedstaaten übernommen, die sich inzwischen über die hohen und zunehmenden Bürokratielasten und die Inflexibilität des Monitorings der Europäischen Kommission beklagen.59

(3)  Um die Mitgliedstaaten und ihre Regionen für die korrekte, vor allem aber für die effektive, effiziente und nachhaltige Verwendung der europäischen Strukturfonds verantwortlich zu machen und deren Interesse an sinnvollen Projekten zu stärken, ist es üblich, dass die Maßnahmen mit Geldern aus den nationalen (und/oder regionalen Haushalten) ko­finanziert werden. Je nach Ausmaß der regionalen Rückständigkeit bzw. des Abstands zum Durchschnitt des Wohlstands in der EU variiert die Höhe dieser nationalen Beteiligung. Die ARF-Fördermittel hin­gegen werden komplett von der EU an die begünstigten Mitgliedstaaten ausgezahlt – entweder als nicht-rückzahlbare Finanzhilfen oder als zinsvergünstigte Kredite. Die Ownership der EU-Staaten für die Pro­jekte und ihr Interesse an einer möglichst effektiven und effizienten Mittelverwendung könnten dadurch potentiell geringer sein.

(4)  Auch das Prinzip, die verschiedenen Interessengruppen und Sozialpartner in die Durchführung der jeweiligen Förderprogramme einzubinden, wird unter­schiedlich gehandhabt. Während es für die europäische Kohäsionspolitik europarechtlich fest­geschrieben ist (Art. 8 der Dachverordnung für die Europäischen Struktur- und Investitionsfonds, ESI-VO), war die Beteiligung und Berücksichtigung zivil­gesellschaftlicher Interessenvertreter bei der Erstellung der nationalen ARF-Förderpläne und auch bei deren Umsetzung nicht verpflichtend und wird von den Mitgliedstaaten durchaus nach eigenen Vorstellungen praktiziert (Art. 18 ARF-VO).60

Tabelle 3 Vergleichende Übersicht: Europäische Strukturfonds und ARF

Strukturfonds

ARF

Rechtsgrundlage

Art. 177 AEUV

Art. 175, Abs. 3 AEUV

Laufzeit

2021–2027 plus 3 Jahre bis 2030

2021–2026

Gesamtsumme
(in Preisen 2018)

330,2 Mrd. Euro
(Zuschüsse – gestaffelt je nach regionalem Wohlstand)

672,5 Mrd. Euro
(Zuschüsse und Darlehen)

Finanzierung

EU-Budget bzw. Eigenmittel

Kreditaufnahme an Kapitalmärkten;
Schuldentilgung über EU-Budget

Förderziele

5 Politikziele

  • Umwelt- und klimafreundlichere, CO2-neutrale Wirtschaft und widerstandsfähiges Europa

  • Stärkere Vernetzung und Mobilität

  • Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Innovation

  • Soziales Europa

  • Bürgernahes Europa

6 Säulen

  • Ökologischer Wandel

  • Digitaler Wandel

  • Wachstum und Beschäftigung

  • Sozialer und territorialer Zusammenhalt

  • Gesundheit, Resilienz und Krisen­vorsorge

  • Bildung und Kompetenzen

Ausgabenprioritäten

Thematische Konzentration:

mindestens 30 % für Klimapolitik;
zwischen 55 % und 85 % für grünen und digitalen Wandel

Zielwerte (bzw. Mindestwerte):

37 % für ökologischen Wandel;
20 % für digitalen Wandel

Förderzeitraum

10 Jahre

6,5 Jahre

Programmierung

1 Dachverordnung und spezifische Fondsverordnungen
27 nationale Partnerschafts­vereinbarungen (PV)
379 nationale oder regionale Opera­tionelle Programme

ARF-VO
27 nationale Aufbau- und Resilienz­pläne (NARP)
27 Operationale Vereinbarungen

Mittelverwaltung

Geteilte Mittelverwaltung

Direkte Mittelverwaltung

Auszahlung / Erstattung

Erstattungsprinzip;
Ausgaben für Förderprojekt werden erstattet

Auszahlung von Tranchen beim Erreichen von zuvor vereinbarten Zwischenzielen

Kofinanzierung

Nationale Kofinanzierung nach regio­nalen Kriterien zwischen 40 und 85 % der Fördersumme

Keine nationale Kofinanzierung (100 %‑Förderung durch EU)

Beide Förderinstrumente ähneln einander also in ihren allgemeinen Förderzielen; es gibt funktionale Überlappungen und verwandte Strukturen. In wich­tigen Details, insbesondere bei der Form der Mittelverwaltung, unterscheiden sie sich jedoch erheblich. Beide werden parallel eingesetzt und müssen insofern voneinander abgegrenzt und zugleich aufeinander abgestimmt werden, um Doppelförderungen und Fehlanreize zu vermeiden und zugleich Synergien zu ermöglichen. Die Mitgliedstaaten und ihre Regionen können also zum Beispiel ihre klima- und digital­politischen Förderprogramme sowohl mit der ARF als auch mit den Strukturfonds umsetzen und insofern über den für sie und ihr jeweiliges Projektziel besten Förderrahmen entscheiden. Die Überschneidungen in den Zielsetzungen eröffnen den Mitgliedstaaten neue Optionen und größere politische Spielräume. Mit der ARF hat die EU ein Förderinstrument entwickelt, das die Verwaltungsaufgaben für die Kommission reduziert und dieser – mit der Fokussierung auf die Etappen- und Endziele in den NARP – gleichzeitig scheinbar klare Bewertungsmaßstäbe und -indikato­ren an die Hand gibt. Die Festlegung dieser Ziele in direkten Absprachen zwischen der Kommission und den Regierungen in den Mitgliedstaaten, bei einer nur begrenzten Einbindung zivilgesellschaftlicher Inter­essengruppen, der nationalen Parlamente oder der Regionen, hat eine schnelle Programmplanung und ein hohes Maß an Flexibilität für den Start der Maß­nahmen ermöglicht.

Mit der kompletten Übernahme der Förderkosten durch die EU und der Verknüpfung mit den Vorgaben der länderspezifischen Empfehlungen des Europäischen Semesters hat die EU, das heißt in der praktischen Umsetzung die Europäische Kommission, im Vergleich zu den bisherigen kohäsionspolitischen Förderprogrammen an Einfluss auf die wirtschafts­politischen Prioritäten der Mitgliedstaaten und die Auswahl der Investitionsschwerpunkte gewonnen. Zugleich ist die ARF-Förderpolitik schneller und flexibler geworden.

Europäische Schulden – Die Finanzierung von NGEU und ARF

Der Eigenmittelbeschluss vom 14. Dezember 2020 war Teil des großen Pandemie-Haushaltspakets und des Kompromisses im Europäischen Rat im Juli 2020. Er ermächtigt die Europäische Kommission dazu, zur Finanzierung der neuen Ausgabeninstrumente NGEU und ARF Kredite in Höhe von bis zu 750 Milliarden Euro (in Preisen von 2018) im Namen der EU an den globalen Finanzmärkten aufzunehmen. Von diesen Krediten werden maximal 390 Milliarden Euro in Form nichtrückzahlbarer Hilfszahlungen an die Mit­gliedstaaten ausgezahlt und maximal 360 Milliarden Euro als zinsgünstige Darlehen ausgereicht bzw. weitergeleitet. Die Ermächtigung zur Verschuldung ist sowohl mit Blick auf das mögliche Kreditvolumen als auch bezüglich der Laufzeit und des Verwendungszwecks der Gelder klar begrenzt. Nach 2026, dem letzten Jahr dieser Ermächtigung zur Kredit­aufnahme, darf die Kommission keine Schulden mehr aufnehmen; ab 2028 soll sie mit den erforderlichen Rückzahlungen der an den Kapitalmärkten geliehenen Mittel beginnen; die Tilgung muss bis spätestens zum 31. Dezember 2058 abgeschlossen sein. Zur Ab­sicherung dieser Kreditermächtigung wurde die Eigen­mittelobergrenze »ausschließlich« und »vorüber­gehend« um 0,6 Prozentpunkte auf 2 Prozent des Bruttonationaleinkommens der EU angehoben. Diese Anhebung soll als Garantie und Sicherheit für die Gläubiger der Union dienen, bis alle EU-Anleihen zurückgezahlt worden sind. In dem Beschluss vom Dezember 2020 heißt es dazu explizit: »Die An­hebung der Eigenmittelobergrenzen darf nicht zur Deckung sonstiger Verbindlichkeiten der Union verwendet werden.«61 Die Tilgung der NGEU-Kredite wird zum einen durch die Rückzahlung der Mitgliedstaaten an die EU geleistet, wenn ihre Kredite fällig werden, und zum anderen aus dem EU-Haushalt bestritten, aus dem auch die anfallenden Zinsen bezahlt werden.

Die Europäische Kommission hat sich frühzeitig auf ihre neue Rolle als Kreditnehmerin an den glo­balen Finanzmärkten vorbereitet und die erforder­lichen personellen und inhaltlichen Vorkehrungen getroffen.62 Sie rechnete mit Finanzierungsgeschäften im Umfang von jährlich 150 bis 200 Milliarden Euro bis Ende 2026 und legte hierfür eine diversifizierte Finanzierungsstrategie vor.63 Diese Strategie und die Handhabung der Kosten für das Zins- und Schuldenmanagement wurden durch eine Änderung der europäischen Haushaltsordnung64 und entsprechende Durchführungsbeschlüsse65 der Kommission weiter konkretisiert.

Bereits im Juni 2021 legte die Kommission die drei ersten Anleihen auf – eine Anleihe über 20 Milliar­den Euro mit zehnjähriger Laufzeit, eine Anleihe mit fünfjähriger Laufzeit über 9 Milliarden Euro und eine Anleihe über 6 Milliarden Euro mit 30-jähriger Lauf­zeit.66 Bis Ende 2022 hat die EU Anleihen in Höhe von insgesamt 171 Milliarden Euro im Rahmen von NGEU begeben.67 Die Rahmenbedingungen zur Kredit­aufnahme waren während der MFR-Verhandlungen und auch bei der Ausgabe der ersten Anleihen durch die Kommission überaus günstig. Die Ratingagenturen bewerteten die Anleihen der EU mit dem Triple-A-Rating für sehr sichere Anleihen und sehr geringes Ausfallrisiko; die Kreditzinsen der EU waren dem­zufolge sehr niedrig – »at historic lows«.68 Die EU konnte sich zum Start der Kreditaufnahme unter günstigsten Konditionen verschulden.

Der starke Anstieg der Zinssätze für die EU-Anleihen führt zu Finanzie­rungsproblemen im EU-Haushalt.

Zum Jahreswechsel 2021/22 und schließlich mit dem russischen Angriff auf die Ukraine änderten sich diese Bedingungen jedoch fundamental. Als Reaktion auf das drastische Ansteigen der Inflationsraten war die EZB gezwungen, die Leitzinsen zu erhöhen. In der Folge erhöhten sich auch die Kreditzinsen und die Schuldenmanagementkosten der EU deutlich. Die Zinssätze für zehnjährige EU-Anleihen bewegten sich bei den ersten Ausgaben der Anleihen im Juni 2021 bei 0,09 Prozent und stiegen dann bis Mai 2022 auf 1,53 Prozent an; im April 2023 lagen sie bei 3,09 Pro­zent.

Die EU hatte im MFR 2021–2027 für Zinszahlungen insgesamt 14,9 Milliarden Euro eingeplant; diese Summe wird angesichts der deutlich verschlechterten Bedingungen und der noch auszugebenden Anleihen bis 2026 absehbar nicht ausreichen. Die Kommission erwartete, dass dieses kalkulierte Volumen bereits Mitte des Jahres 2023 aufgebraucht sein würde.69 Sie schlug deshalb einen neuen Mechanismus zur Deckung der höheren NGEU-Finanzierungskosten vor. Diese von der Kommission »EURI Instrument« ge­nannte Flexibilitätsreserve soll nur die zusätzlichen Kosten abdecken und außerhalb der Obergrenzen des MFR geführt werden. Angesichts der Unsicherheit und kaum exakt zu kalkulierenden Zinsausgaben sollen alle anfallenden Kreditzinsen und Schuldenmanagementkosten in den Jahren 2024–2027, die eine festgelegte Marge überschreiten, in den entsprechenden Jahreshaushalten eingestellt werden; diese Ausgaben sollen jedoch über die durch den MFR gezogene Obergrenze für das jeweilige Jahresbudget hinausgehen.70

Als Folge der massiv gestiegenen Zinsbelastungen trat zum wiederholten Male eine eklatante Unstimmigkeit bzw. Schwäche in der Systematik des EU-Haushalts zutage. Einerseits beharren insbesondere die Mitgliedstaaten auf der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit des Ausgabenvolumens und der Obergrenzen des MFR, um die Belastungen ihrer natio­nalen Haushalte mit Hilfe der siebenjährigen Fixie­rung im MFR planbar zu machen. Andererseits er­fordert die budgetäre Abhängigkeit von der Volatilität der internationalen Finanzmärkte, die mit der Schul­denaufnahme in der vereinbarten Größenordnung von mehr als 800 Milliarden Euro (in laufenden Kosten) bis zum Jahr 2026 zwangsläufig einhergeht, eine ausreichende Flexibilität im Haus­halt und die ent­sprechende Bereitschaft und Fähig­keit, auch steigen­de Zinskosten zu tragen.

Wenn die Kommission nun vorschlägt, die zusätzlichen, ungeplanten und unkalkulierbaren NGEU-Finanzierungskosten außerhalb der vereinbarten strikten Obergrenzen des Finanzrahmens in einer zusätzlichen Flexibilitätsmarge in das EU-Budget aufzunehmen, macht sie mit Nachdruck deutlich, dass mit der Schuldenaufnahme eine solche Budget­flexibilität untrennbar verbunden ist. Noch kritisieren die Nettozahler, dass diese Flexibilität nur ein­seitig in Form der Bereitstellung zusätzlicher Finanz­mittel interpretiert werde. Einsparungen und Um­schichtungen zur Tilgung der gestiegenen Zinskosten seien aber ebenso eine Option.

Eine erste Interimsbewertung

Eine entscheidende Vorbedingung für eine positive Bewertung des Corona-Wiederaufbaufonds wird vor allem die erfolgreiche und nachhaltige Implementierung der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne in und durch die Mitgliedstaaten sein. Eine Voraus­setzung hierfür ist, dass die Kommission ihre Auf­gabe, die Umsetzung der NARP und das Erreichen der Ziele zu überwachen und zu kontrollieren, sehr ernst nimmt. Damit verbunden ist die sehr grundsätzliche Abwägung, mit welchen Indikatoren und nach wel­chen Kriterien die Ausführung der NARPs bemessen und bewertet werden sollte: Sollen schnell umsetz­bare und quantitativ leicht messbare Ergebnisse (Outputs), eher qualitative Effekte (Outcomes) oder langfristig wirkende Strukturveränderungen (Impacts) den Ausschlag geben?71

Es können also sehr unterschiedliche Maßstäbe zur Bewertung der effizienten, wirtschaftlichen und nach­haltigen Verwendung der europäischen Förder­gelder und somit einer erfolgreichen NGEU-Imple­mentierung angelegt werden:

(1)  Der Abfluss der Fördermittel: Der einfachste Maßstab ist die Verwendung der ARF-Gelder für Maßnahmen in den Mitgliedstaaten – also der schnelle und voll­ständige Abfluss der Fördermittel. Die zügige Durch­führung der nationalen Umsetzungspläne ist an­gesichts der Begrenzung des Förderzeitraums bis Ende 2026 ein wichtiges Ziel. Die Kommission hat in ihrer zusammenfassenden Mitteilung zu den Länder­berichten und ihren Vorschlägen für die länderspezifischen Empfehlungen im Rahmen des Europäischen Semesters ausdrücklich die Notwendigkeit betont, dass die Aufbau- und Resilienzpläne rasch implementiert und die Aufnahmekapazitäten für ARF-Mittel in den Mitgliedstaaten verbessert werden.72 Allerdings reicht die zügige Ausgabe der NGEU- und ARF-Gelder nicht aus, um den Wiederaufbaufonds zu einem Erfolg zu erklären. Die sinnvolle Verwendung euro­päischer Fördermittel, die Schaffung von sichtbaren und nachweisbaren Ergebnissen und im besten Fall von nachhaltig wirkenden Strukturveränderungen sollten das Ziel der europäischen Förderpolitik sein – und damit der Maßstab zur Bewertung von NGEU und ARF.

Diese Maßgabe ist jedoch nicht leicht umzusetzen. Evaluationen der kohäsionspolitischen Förder­programme zeigen, dass ein anhaltender Effekt der Förderung häufig sehr schwer nachzuweisen ist. Kri­tiker bezweifeln, dass eine klare Kausalität zwischen der EU-Förderung und den positiven Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung zu belegen ist, oder kommen sogar zu dem Schluss, dass mit der EU-Förde­rung oft keine wirklichen Fortschritte zu er­zielen seien und diese lediglich zu Mitnahmeeffekten führe.73 In Anbetracht dieser Schwierigkeit, die Nach­haltigkeit der Ergebnisse der europäischen Förder­programme zu dokumentieren, wird bereits der Abfluss aller Gelder zu einem wichtigen politischen Kriterium der Implementierung.

(2)  Die erfolgreiche Umsetzung der Etappen- und Endziele: Die EU nahm diese Kritik an den kohäsionspolitischen Förderprogrammen auf und legte mit dem Performance-based-Budgeting-Ansatz einen anderen Bewertungsmaßstab an die Implementierung der ARF-Programme an, bei dem sich eine zufrieden­stellende Umsetzung der NARP daran bemisst, dass die vereinbarten Milestones realisiert und die Ziel­marken von den Mitgliedstaaten erreicht worden sind. Die Auszahlung der europäischen Fördergelder durch die Kommission kann nur erfolgen, wenn der Rat auf der Grundlage einer vorläufigen Einschätzung durch die Kommission die hinreichende Verwirk­lichung der Etappenziele und Zielwerte durch die Mitgliedstaaten feststellt. Diese Form der Leistungsorientierung der Fazilität leitet sich aus dem An­spruch ab, die Effizienz der europäischen Fördermaßnahmen angesichts der begrenzten Haushaltsmittel zu verbessern. Zugleich soll mit Hilfe eines kontinuierlichen Monitorings und einer Evaluation, die auf quantifizierbaren Ergebnissen beruht, die Förderpolitik zielgerichteter und somit stetig opti­miert werden. Ein Problem dieser ergebnisorientierten Haushaltsplanung liegt jedoch in der Definition der Ziele von Fördermaßnahmen angesichts unterschiedlicher Erwartungen und Anforderungen sowie widersprüch­licher Prioritäten. Im Kern besagt die Kritik an dem Ansatz, dass auch die Haushaltspolitik politischen Zwängen und Beschränkungen Rechnung tragen muss.74 Eine ganze Reihe von Faktoren können zu Verzerrungen der ergebnisorientierten Haushaltsplanung führen – dazu zählen Spielräume bei der Messung und Evaluation der unterschiedlichen Ziele, die Genauigkeit und die Interpretation der gemessenen Werte, die Ableitung von Kausalitäten und eine strikte oder eher flexible Auslegung der Indikatoren.

Die Europäische Kommission sah sich seit der Einigung auf das Pandemie-Haushaltspaket unter dem Druck, besonders auf die Effizienz und Effek­tivität der neuen Ausgabeninstrumente zu achten. Die direkte Anbindung der ARF an die Reform­empfehlungen des Europäischen Semesters, die strik­ten zeitlichen und administrativen Grenzen der Im­plementierung, das dichte Monitoring und die strenge Evaluierung der Umsetzung in den Mitgliedstaaten – alle diese Stellschrauben sollen sicher­stellen, dass sich die Fördermaßnahmen auf Ergebnisse fokus­sieren und die Umsetzung der ARF messbar und nach­haltig und damit insgesamt erfolgreich ist.

Die Europäische Kommission verfügt bei der Bewertung der ARF-Implemen­tierung in den Mitgliedstaaten über einen weiten Spielraum.

In ihrem zweiten Jahresbericht über die Durch­führung der Aufbau und Resilienzfazilität, der im Februar 2023 veröffentlicht wurde, hat die Kommis­sion eine Methodik zur Gewichtung der Milestones vorgelegt. Diese Klassifizierung dient ihr als Grund­lage für ihre Entscheidung, ob eine Maßnahme zum Erreichen der Etappenziele und der Zielwerte zu­friedenstellend war und sie demzufolge eine weitere Tranche der Fördergelder auszahlen kann. Indem die Kommission diese Methodik öffentlich vorlegt, lässt sie gegenüber den Mitgliedstaaten erkennen, dass sie dabei von den Grundsätzen der Transparenz und Gleichbehandlung geleitet wird. Die Kommission unterscheidet bei ihrer Bewertung der nationalen Förderaktivitäten zwischen Investitionen und Refor­men sowie zwischen Etappenzielen für die qualitativen und Zielwerten für die quantitativen Fortschritte. Für ihre Beurteilung, ob mit einer Maßnahme ein spezifisches Etappenziel oder ein Zielwert in zufrie­denstellender Weise erreicht worden ist, prüft die Kommission die Einhaltung des vereinbarten Finanz­rahmens bzw. des Förderbetrags, die Einhaltung des zeitlichen Rahmens und die Einhaltung der vereinbarten inhaltlichen Anforderungen.75 Sie orientiert sich bei ihrer Bewertung an der Beschreibung der Etappenziele und der Zielwerte in den NARP; daraus leitet sie die Anforderungen ab, die der jeweilige Mit­gliedstaat erfüllen muss, und ermittelt dann, ob das festgelegte Etappenziel oder ein bestimmter Ziel­wert zufriedenstellend erfüllt wurde. In gewissen Fällen ist durch die verbindliche Fixierung von Zwischenzielen ein Reformpfad skizziert worden, der es ermöglicht, die Entwicklung und die Fortschritte bei einem kon­kreten Vorhaben in dem jeweiligen Mitgliedstaat sichtbar und nachvollziehbar zu machen.

Diese Methodik belässt der Kommission allerdings einen relativ weiten Beurteilungsspielraum – zum Beispiel bei der Interpretation der Beschreibung der Ziele in den nationalen Plänen oder bei der Einschätzung, ob ein Ziel in zufriedenstellender Weise er­reicht wurde. Dabei werden die Vorgaben für Inves­titionen leichter zu quantifizieren und somit für die Kommission eindeutiger zu bewerten sein als die für die Implementierung von nationalen Struktur­reformen. Dennoch wird die Definition der Etappenziele, die die Mitgliedstaaten mit ihren Förder­program­men zu erreichen beabsichtigen, von zen­traler Bedeutung dafür sein, wie die nationalen Pläne und deren Ausführung bewertet werden. Die Mit­gliedstaaten sollen mit ihren individuellen Aufbau- und Resilienzplänen nicht nur Vorschläge umsetzen, wo investiert werden soll, sondern auch langfristige und häufig umstrittene wirtschaftspolitische Struk­tur­reformen durchführen. So wurden in den LSE des Europäischen Semesters 2019 und 2020 immer wieder Reformen der öffentlichen Verwaltungen, staatlicher Strukturen und der Justizsysteme (zum Beispiel gegenüber Italien) angemahnt, um deren Effizienz zu verbessern und die Korruptionsanfälligkeit zu verringern. Den Niederlanden wurde ein neuer Ansatz in der Steuerpolitik empfohlen, um aggressive Steuerplanung, insbesondere von aus­ländischen Unternehmen, die dort investieren, zu erschweren. Frankreich wurde die Vereinfachung des Steuersystems angeraten und Deutschland die Verringerung des Verwaltungs- und Bürokratie­aufwands für Unternehmen.

Die Umsetzung solcher Reformen ist jedoch nur schwer messbar. Ist der Abschluss eines entsprechenden Gesetzgebungsverfahrens ausreichend für eine zufriedenstellende Implementierung? Oder müssen das novellierte Recht in der Praxis, also im alltäg­lichen Verwaltungsverfahren, tatsächlich schon angewendet und entsprechende Behörden aufgebaut und ausgestattet worden sein? Auch können bei­spielsweise Neu­regelungen der nationalen Steuer­systeme spürbare Auswirkungen auf das Steuer­aufkommen haben oder Reformen im Bildungswesen zu dauerhaft erhöhten Personalkosten führen. Die Verknüpfung der befristeten europäischen Förderung mit der Durchführung lang­fristig wirksamer natio­naler Strukturreformen mit schwer zu kalkulierenden fiskalischen Folgen für die öffentlichen Haus­halte ist insofern nicht unproblematisch. Die Imple­mentierung solcher Reformen ist jedenfalls nicht nur von der Bereitstellung ausreichender Fördergelder abhängig, sondern auch von der Reformbereitschaft der Mitgliedstaaten und häufig von den dortigen politischen Mehrheitsverhältnissen.

Das Ambitionsniveau bei der ARF-Implementierung ist in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich.

Die vereinbarten Milestones und Ziele der ARF sind auf die Bedürfnisse im jeweiligen EU-Staat angepasst; sie sind insofern zwangsläufig heterogen. Hinzu kommt, dass die Mitgliedstaaten relativ frei darin sind, die Maßnahmen zu wählen, mit denen sie die Ziele erreichen wollen. Diese Flexibilität soll, so die Kommission, die »Eigenverantwortung für die Pläne« stärken und eine erfolgreiche Verwendung der euro­päischen Fördergelder wahrscheinlicher machen.76 Das Ambitionsniveau bei der tatsächlichen Implemen­tierung der Programme in den Mitglied­staaten ist jedoch sehr unterschiedlich. Das zeigt sich nicht allein an quantitativen Faktoren, also daran, wie viele Mile­stones und Zielmarken erreicht wurden, sondern auch an der Qualität der Umsetzung. So haben Regierungen mit der EU Ziele vereinbart, deren Verwirklichung bereits bei der Einreichung der nationalen Pläne ab­sehbar war, oder Indikatoren, die so niedrig angesetzt waren, dass es keiner zusätzlichen Reformanstrengung bedurfte, um die Anforderung zu erfüllen.77

Auch bei der Implementierung der ARF-Projekte und des damit verknüpften Konzepts des Performance-based Budgeting, das mit quantifizierbaren Indikatoren operiert, neigen die Mitgliedstaaten dem­zufolge dazu, manipulative Mechanismen anzuwenden. Dies führt zu Formen des sogenannten »cherry-picking« oder des »gaming«, also zur Manipulation der Ziel- oder der Messwerte.78 Eine strikte und un­flexible Verfolgung der Zielvorgaben führt umgekehrt allerdings nicht zwangsläufig zu einer erhöhten Effi­zienz der ARF-Förderung, sondern lässt häufig den eigentlichen Zweck der Fördermaßnahmen in den Hintergrund rücken.

(3)  Weiterreichende Reformwirkung und nachhaltige Ergeb­nisse der Fördermaßnahmen: Der sinnvollste, wenn auch schwierigste und kaum umzusetzende Maßstab für die Bewertung der ARF-Förderung ist zweifellos die Effektivität und Nachhaltigkeit der Reformen und Investitionen. Dies jedoch wird erst im Rückblick zu beurteilen sein. So lobt die Kommission zwar die Re­formen in den Justizsystemen Spaniens und Italiens oder die Anstrengungen Zyperns bei der Korruptionsbekämpfung.79 Ob diese Maßnahmen jedoch wirklich die angestrebten und gewünschten Wirkungen er­fül­len werden, also zu einer Verkürzung der Gerichts­verfahren und der Verringerung der Korruption führen, ist derzeit noch nicht absehbar.

Die gegenwärtige Form der Ergebnismessung und Ergebnisevaluierung muss also bei vielen Reformen zwangsläufig darauf beschränkt bleiben, dass die Höhe der Fördersumme und umgesetzten Projekte einander gegenübergestellt werden. Das grundsätz­liche und alles überwölbende Ziel, mit der ARF der zweifachen digitalen und klimapolitischen Trans­formation in den Volkswirtschaften der EU einen kräftigen Schub zu verleihen, wird zunächst in der Verwendung der europäischen Fördergelder für Maß­nahmen der Digitalisierung und zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes messbar sein. Die bis zum Sommer 2023 ausgezahlten rund 18,6 Milliarden Euro für Zuschüsse und 8,1 Milliarden Euro für Kredite für Programme in den beiden ARF-Säulen »Grüne und Digitale Transformation« sind vom Volumen her allerdings noch nicht überzeugend; denn diese Summen entsprechen lediglich rund 17,5 Prozent der ausgezahlten Zuschüsse bzw. 17,3 Prozent der aus­gereichten Kredite. Die Investitionen in den Säulen »Intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum sowie Arbeitsplätze und Wettbewerbsfähigkeit«, »sozialer und territorialer Zusammenhalt« und »Gesundheit und wirtschaftliche, soziale und insti­tutionelle Resilienz« übersteigen diese Ausgaben zum Teil deutlich.80 Kaum überraschend kommt die Kommission in ihren Zwischenberichten dennoch zu einer positiven Schlussfolgerung: »Die Fazilität hat der EU-Wirt­schaft einen kräftigen Schub verliehen, den ökologischen und digitalen Wandel beschleunigt und die Resilienz der EU gegenüber künftigen Heraus­forderungen gestärkt.«81

Langfristige integrations­politische Folgen und Entwicklungspfade

Die vorläufige Bewertung der Umsetzungs- und Wir­kungsbilanz von NGEU und ARF liefert noch kein Indiz für mögliche längerfristige und weiterreichende integrationspolitische Folgen. Um diese Effekte erken­nen und einordnen zu können, müssen zunächst die wirklichen Veränderungen, Neuerungen und der poli­tische Mehrwert von NGEU und ARF benannt werden.

Das beträchtliche Haushaltspaket, das die EU in gemeinsamer Reaktion auf die sozioökonomischen Folgen der Covid-19-Pandemie geschnürt hat, wurde zwar überwiegend als bedeutender integrations­politischer Schritt bewertet, allerdings hat sich die Europäische Union mit NGEU und ARF kein neues Politikfeld erschlossen. Eine politische Europäisierung oder sogar eine vertragsrechtliche Vertiefung und eine Ausweitung der Gemeinschaftspolitiken fanden nicht statt. NGEU und ARF greifen vielmehr auf be­stehende Instru­mente und Strukturen zurück und operieren im Rahmen bereits europäisierter Politik­bereiche. Die besonderen Implikationen der neuen Förderinstrumente, wie die Stärkung der Europäischen Kommission und der wirtschaftspolitischen Koordinierung in der EU, wirken zunächst nur in­direkt und mittelbar.

Gänzlich neu und vor dem Hintergrund der üblichen Status-quo-orientierten europäischen Haushaltspolitik überraschend waren das immense Finanzvolumen von NGEU und dessen kreditbasierte Finanzierung. Die annähernde Verdoppelung der für europäische Fördermaßnahmen zur Verfügung stehenden Gelder ging zwar mit der Schaffung neuer Instrumente und Fazilitäten einher; deren Umfang und Laufzeit wurden allerdings begrenzt bzw. befristet. Die zusätzlichen Fördermittel aus dem EU-Budget wurden darüber hinaus an spezifische Ver­wendungsbedingungen und Zielsetzungen gebunden. Die Dynamik bei der Mittelvergabe und das enge Zeitfenster, das für die Nutzung der Fördergelder offensteht, erhöhten sowohl auf europäischer Ebene als auch in den jeweiligen Mitgliedstaaten den Druck, die NARP schnellstmöglich umzusetzen. Die politische Hebelwirkung der neuen Fazilitäten ist deutlich größer als bei den bisherigen Steuerungsmechanismen der wirtschaftspolitischen Koordinierung in der EU – den Instrumenten der europäischen »soft gover­nance«. Während die Implementierungsbilanz der länderspezifischen Empfehlungen, die im Rahmen des Europäischen Semesters erstellt wird, über viele Jahre enttäuschend blieb, war mit NGEU und ARF zumindest die Hoffnung verbunden, dass die Mit­gliedstaaten ihre Anstrengungen zur Umsetzung der wirtschaftspolitischen Reformempfehlungen und der digitalen und klimapolitischen Transformation der europäischen Volkswirtschaften verstärken werden.

Die Finanzierung der neuen Fonds über europäische Kredite ist neu; die Förderziele und Ausgabenprioritäten sind es nicht.

Grundsätzlich neu ist die Form der Finanzierung der neuen Fonds über die Aufnahme gemeinschaft­licher Kredite durch die EU. Diese weitreichende Ergänzung der Möglichkeiten zur Finanzierung des EU-Haushalts wird zumeist als deutliches Zeichen des innereuropäischen Zusammenhalts in einer tiefen Krise interpretiert. Die Umverteilungswirkung zeigt sich bei der Vergabe der EU-Zuschüsse aus NGEU und ARF am deutlichsten – und damit zugleich die euro­päische Solidarität zwischen reichen und ärmeren Mitgliedstaaten.82

Eine unkonditionierte Ausschöpfung der neuen haushaltspolitischen Spielräume wurde ohnehin ausgeschlossen, indem die Verwendung der Mittel an die Transformationsziele des Green Deals und an die LSE des Europäischen Semesters geknüpft wurden. Im Zuge der gerichtlichen Prüfung der europarecht­lichen Zulässigkeit der gemeinschaftlichen Kredit­aufnahme wurde auch die politische Reichweite dieser Innovation eingeschränkt. Das Bundesverfassungsgericht83 geht in seinem Urteil zur Rechtmäßigkeit des Eigenmittelbeschlusses der EU ebenso wie der Juristische Dienst des Rates in seinem Gutachten zur Vereinbarkeit der Kreditaufnahme mit den EU-Ver­trägen84 von einer besonderen Ausnahmesituation aus, die diese singuläre Maßnahme erlaube. Das Karlsruher Urteil knüpft eine potentielle Wieder­holung der gemeinsamen Schuldenaufnahme an Bedingungen, die insofern die neuen politischen und fiskalischen Handlungsspielräume der EU wieder begrenzen. Mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer »offensichtlichen Kompetenzüberschreitung« für ein Einschreiten des Bundesverfassungsgerichts öffnen die Karlsruher Richter zwar grundsätzlich die Tür für eine erneute Aufnahme gemeinschaftlicher Kredite in einer Notlage; sie haben jedoch strenge Maßstäbe für die Feststellung einer solchen Notlage angelegt.

Damit gewinnt die EU grundsätzlich an politischer (und insbesondere haushaltspolitischer) Flexibilität in Krisenzeiten. Der Kompromiss zur Ausgabe europäischer Schuldtitel auf der Grundlage der Solidaritätsklausel in Artikel 122 AEUV, verknüpft mit dem Ein­stimmigkeitserfordernis des Eigenmittelbeschlusses, erweitert zwar die politischen Optionen der EU – vor­ausgesetzt, es besteht hierfür ein grundsätzlicher Konsens aller Organe und Mitgliedstaaten. Aus dieser Möglichkeit erwächst jedoch kein dauerhaftes fiskal­politisches Instrument der europäischen Haushalts­politik, sondern lediglich die Perspektive auf eine Wiederholung des ausnahmsweisen Rückgriffs auf die Finanzierung eines neuen Kriseninstruments. Die grundsätzliche Erlaubnis zur gemeinsamen Verschuldung in einer schweren politischen oder ökonomischen Krise eröffnet der EU also zusätzliche Optionen. Doch die europarechtlichen Voraussetzungen für die neue Finanzierungsvariante begrenzen die Form und das Ausmaß einer gemeinsamen EU-Kreditaufnahme und somit auch den Zugewinn an politischer Flexi­bilität. NGEU und ARF ergänzen insofern lediglich die bestehenden Strukturen und Mechanismen in der EU, die vorhandene Kompetenzverteilung und institutionelle Ordnung um ein Mehr an grundsätzlicher Hand­lungsfähigkeit mit Hilfe innovativer und doch zu­gleich begrenzter Veränderungen. Herausgekommen ist eine »janusköpfige Lösung«,85 die einerseits neu erscheint und andererseits alle Eigenschaften der Vergangenheit trägt.

Optionen der Weiterentwicklung

Gleichwohl kann die gemeinschaftliche Kreditaufnah­me durchaus eine starke Präzedenzwirkung mit lang­fristigen integrationspolitischen Folgen entfalten. Unmittelbar nach der Einigung des Europäischen Rats wurden jedenfalls Stimmen laut – sowohl von wissen­schaftlichen Beobachtern als auch aus der Politik –, die sich für eine dauerhafte Nutzung dieser Verschuldungsmöglichkeit der Europäischen Union aus­sprachen.86 Allerdings ist eine Fortsetzung oder Neu­auflage von NGEU keineswegs ein Selbstläufer und keineswegs der vorherbestimmte integrationspolitische Weg der EU. Vielmehr öffnen sich der EU ver­schiedene Entwicklungspfade:

(1)  NGEU als einmalige Maßnahme in einer außergewöhn­lichen Krisensituation der EU

In seinen Schlussfolgerungen hat der Europäische Rat die Singularität der Kreditaufnahme durch die EU und der Aufstockung des EU-Budgets in einer sozio­ökonomischen Ausnahmesituation deutlich betont: »Da NGEU eine außergewöhnliche Reaktion auf diese vorübergehenden, aber extremen Umstände darstellt, sind die der Kommission übertragenen Befugnisse zur Mittelaufnahme hinsichtlich Höhe, Dauer und Um­fang klar begrenzt.«87 Auch in den entsprechenden europarechtlichen Grundlagen wird hervorgehoben, dass diese »außerordentliche Reaktion« der EU »auf zwar vorübergehende, jedoch extreme Umstände«88 einen Sonderfall darstellt: »Daher sollte die Unterstützung zeitlich begrenzt sein und der Großteil der Mittel unmittelbar nach der Krise bereitgestellt werden.«89

Diese offizielle und derzeit rechtlich verbindliche Festlegung der EU, dass die neuen Instrumente NGEU und ARF und die Aufnahme gemeinschaftlicher Kredite zur Finanzierung dieser neuen Fonds nur für diesen besonderen Krisenfall geschaffen und zeitlich begrenzt wurden, schließt jedoch eine ähnliche Reaktion in einer erneuten außergewöhnlichen Not­lage keineswegs aus.

Sollte allerdings die Bilanz von NGEU und ARF deutlich negativ und somit die Wirkung der innovativen Instrumente für die europäische Haushalts- und Förderpolitik enttäuschend ausfallen, so könnte NGEU eine singuläre Reaktion der EU in einer Krisen­situation gewesen sein. Eine solche Abschlussbilanz erscheint jedoch angesichts der bisherigen positiven Implementierungsberichte der Europäischen Kom­mission und in Anbetracht der Förderinteressen der begünstigten Mitgliedstaaten nicht wahrscheinlich.

(2)  NGEU als Präzedenzfall und die Wiederholung in einer erneuten Krise

Die Option, an die einmal gefundenen innovativen Lösungen anzuknüpfen, könnte im Fall einer erneuten dramatischen Lage aufgegriffen werden. Voraus­setzung dafür wäre, dass sich die Krisenerscheinungen abermals der Kontrolle durch die Mitgliedstaaten entziehen und die Wirtschaftstätigkeit im europäischen Binnenmarkt erheblich gestört ist, mit signifi­kanten Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte und mit weitreichenden sozialen Folgen.90 Denkbar sind jedoch auch andere Kriterien, die eine ähnliche Re­aktion der EU rechtfertigen würden. Nicht in jedem Fall und zwangsläufig müsste eine solche Krise öko­no­mischer oder sozialer Natur sein. Denkbar wären auch Naturkatastrophen, Kriege oder andere außer­gewöhnliche Ereignisse. Die entscheidenden Merk­male werden eher die Außergewöhnlichkeit, die Reichweite und die Intensität der Notlage, die Be­troffenheit der gesamten EU, die Unvorhersehbarkeit und die Unkalkulierbarkeit der Auswirkungen der Krise sein.

Für die Bundesregierung hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 6. Dezember 2022 zusätzliche Kriterien formuliert, die es in einem solchen Fall zu beachten gälte. Demnach sollte eine erneute Kreditaufnahme der EU nur ausnahmsweise erfolgen, zeitlich befristet und in ihrer Höhe begrenzt sein. Die Summe der kreditfinanzierten Einnahmen dürfe jedenfalls die Summe der Eigenmittel nicht übersteigen. Insbesondere dürfe die Finanzierung des EU-Haushalts nicht durch diese sonstigen Einnahmen umgangen werden und das Aufnehmen von Schulden dürfe sich keinesfalls zu einem dauerhaften Finanzierungsmechanismus entwickeln. Die zusätzlichen Ein­nahmen müssten zweckgebunden eingesetzt werden; sie dürften nicht zur allgemeinen Haushaltsfinanzierung verwendet werden und keinesfalls auf eine Haftungsübernahme für Entschei­dungen anderer Mitgliedstaaten hinauslaufen. Eine Verstetigung der Kreditfinanzierung der EU wäre demnach nur nach Änderung der Verträge möglich.

Die Karlsruher Richter gaben des Weiteren vor, dass »jede ausgabenwirksame solidarische Hilfsmaßnahme des Bundes größeren Umfangs im unionalen und internationalen Bereich [...] vom Bundestag im Einzelnen bewilligt werden« muss. Dabei müsse der parlamentarische Einfluss auch hinsichtlich der Art und Weise des Umgangs mit den zur Verfügung ge­stellten Mitteln gewährleistet werden.91 Die im Juli 2020 gefundene Lösung im Europäischen Rat für eine gemeinsame Reaktion auf die Covid-19-Pandemiekrise liefert nicht nur einen Maßstab für eine eventuelle Wiederholung in einer neuen Krisensituation, sondern auch eine Vorlage für das Verfahren zur Verständi­gung innerhalb der EU in einem derartigen aber­maligen Notfall.

Einige Eckpunkte wären dann bei einer solchen europäischen Entscheidungsfindung zu beachten: Die Rechtsgrundlage für ein außerordentliches europäisches Krisen- und Ausgabenprogramm, zu dessen Finanzierung zusätzliche Kredite als externe zweck­gebundene Einnahmen aufgenommen werden, könnte erneut der Solidaritätsartikel 122 AEUV sein. Allerdings sollte bereits im Vorfeld vereinbart wer­den, dass die nationalen Parlamente und das Europäische Parlament an dem Beschluss zu einer solchen wieder­holten Anwendung angemessen mitwirken können, um diesen dann auch in der EU und in den Mitgliedstaaten hinreichend parlamentarisch legiti­mieren zu können. Denkbar (und wohl erforderlich) wäre eine Einbeziehung in Anlehnung an die parlamentarischen Mitwirkungsrechte bei einem vereinfachten Verfahren zur Änderung der europäischen Verträge nach Artikel 48,6 EUV. Eine Einigung auf eine er­neute gemeinsame Krisenreaktion kann wohl nicht im üblichen Rechtsetzungs­verfahren im Rat der EU, das heißt auf der Ebene von Fachministern, erfolgen, sondern müsste zwischen den Staats- und Regierungs­chefs im Europäischen Rat ausgehandelt werden. Ein derartiges singuläres Agreement erfordert Verhandlungen auf höchster politischer Ebene, bei denen die nationalen Entscheidungsträger über die Legitimität und Souveränität verfügen, über weitreichende Kom­promisse verhandeln und entsprechende Beschlüsse fassen zu können. Verhandlungen im Europäischen Rat garantieren darüber hinaus allen Mitgliedstaaten die Möglichkeit eines Vetos und somit die Berücksichtigung ihrer nationalen Interessen.

(3)  NGEU als Präzedenzfall und Impuls für die Schaffung einer dauerhaften europäischen Fiskalkapazität

Die Institutionalisierung einer kreditfinanzierten Krisennotfallreserve (oder einer Fiskalkapazität), die in den europäischen Verträgen rechtlich verankert ist, würde weit über die in Option 2 ausgeführte er­neute punktuelle Verständigung auf ein NGEU-ähn­liches Paket hinausgehen. Die Forderung nach einer solchen institutionalisierten Krisenlösung bzw. die Hoffnung darauf wurde nach der überraschenden Einigung im Europäischen Rat im Juli 2020 um­gehend und von verschiedenen Seiten geäußert. Die Vorschläge knüpften dabei an die schwierige Debatte über ein zusätzliches Budget für die Eurozone an, die nach der Verschuldungskrise zehn Jahre zuvor auf­gekommen war.92 Gerade dieser Rückgriff auf die damaligen Diskussionen bedeutet jedoch zugleich, dass der Diskurs von den Konfliktlinien und Antagonismen jener Zeit beherrscht wird. Der unschätzbare politische Mehrwert der konsensualen Kompromiss­lösung vom Juli 2020 könnte im Zuge dieser alten Kontroversen in Vergessenheit geraten.

Darüber hinaus wären auch die europarechtlichen Hürden deutlich höher als bei einer Anknüpfung an die Möglichkeit einer erneuten Konsenssuche im Europäischen Rat in einer Ausnahmesituation (Ent­wicklungspfad 2). Die Verständigung auf ein institu­tionalisiertes Notfallinstrument würde im Vorfeld eine Reihe abstrakter Festlegungen erfordern, das heißt ohne die Kenntnis des spezifischen Anwendungsfalls. Dazu würde zum Beispiel die verbindliche Definition dessen gehören, was eine Krisensituation ausmacht und welche Auswirkungen vorliegen müs­sen, damit der Notfallmechanismus ausgelöst wird; es müsste vorab eine Klärung des entsprechenden Kostenrahmens oder der Finanzierung des Mechanis­mus geben, ohne dass die Bedarfe und die Bedürfnisse in einer künftigen Krise bekannt wären; und gegebe­nenfalls müsste auch die Aufteilung der Finanzierungslasten zwischen den Mitgliedstaaten a priori bestimmt werden.

Solche Verhandlungen über nur potentielle Anwendungsfälle würden innerhalb der EU und zwi­schen den Mitgliedstaaten ein immens hohes Konfliktpoten­tial aufwerfen. Sie wären in Anbetracht der Notwendigkeit, dass die hohe Hürde einer Vertragsänderung übersprungen werden müsste, extrem risikoreich. Dass es dazu kommt, erscheint deshalb unwahrscheinlich.

(4)  NGEU als wirklicher europäischer Hamilton-Moment zur Schaffung eines europäischen Bundesstaats

Dieser Entwicklungspfad würde eine fundamentale Änderung des integrationspolitischen Kurses der EU bedeuten und die Frage nach der »Finalität« der Union auf die europäische Tagesordnung setzen. Damit wäre eine europaweite Diskussion über das europapolitische Leitbild des Integrationsprozesses verbunden, die in der EU bislang vermieden wurde. Mit Überlegungen zur Schaffung eines europäischen Bundesstaats wäre insofern viel mehr verbunden als »nur« eine Änderung der europäischen Verträge. Das Verhältnis der europäischen Nationalstaaten zur Europäischen Union müsste grundsätzlich neu definiert werden, die Frage nach einem angemessenen europäischen Föderalismus beantwortet und somit die europäische Kompetenzordnung fundamental angepasst werden. Eine komplette Neudefinition der integrationspolitischen Finalität würde eine umfassende Änderung der bestehenden Ordnung und Strukturen der EU erfor­dern.93

Das inzwischen häufig verwendete Bild des euro­päischen Hamilton-Moments scheint deshalb voreilig zu sein. Die Einigung auf die europäische Pandemie-Krisenreaktion war jedenfalls keineswegs eine Vor­entscheidung für die Schaffung der »Vereinigten Staaten von Europa«. Zwar verständigten sich die Mitgliedstaaten erstmals darauf, dass die Union für einen befristeten Zeitraum und für einen eng be­grenzten Zweck Schulden machen darf – aber aus­drücklich ausgeschlossen wurde die Übernahme der bestehenden Schulden der EU-Mitglied­staaten. Diese Kreditaufnahme führte auch nicht unweigerlich zur Stärkung der supranationalen Institutionen der EU. Die Vereinbarung wurde im Europäischen Rat ge­schlossen, dem intergouvernementalen Organ der EU, in dem die Spitzen der Mitgliedstaaten zusammenkommen. Eine Dominanz der supranationalen Institutionen oder eine eindeutige Orientierung an einem supranationalen Leitbild kann aus dem Vor­gang nicht abgeleitet werden. Zudem fehlt dem Kom­promiss, der dem Corona-Wiederaufbaufonds zu­grunde liegt, ein wichtiges Element der US-amerika­nischen »Hamilton-Lösung«: Die amerikanische Zentralregierung hat Ende des 18. Jahrhunderts nicht nur die Altschulden der amerikanischen Gliedstaaten übernommen, ihr wurde zugleich auch das Recht zur Steuererhebung auf der zentralstaatlichen Ebene übertragen. Genau dies ist in der EU nicht geschehen: Die EU wurde nicht mit einer autonomen Steuer­erhebungskompetenz ausgestattet.

Vorbereitung einer Wiederholung des Präzedenzfalls NGEU

Insofern scheint die Option einer Wiederholung der einmal gefundenen Kompromisslösung in einer er­neuten Krisensituation die realistischere Perspektive zur Weiterentwicklung der Europäischen Union zu sein. Allerdings erfordert auch dieses Szenario eine politische, institutionelle und rechtliche Vorbereitung.

Die Grenzen und Konditionen, die das Bundes­verfassungsgericht gezogen hat, müssen beachtet werden. Eine erneute Kreditaufnahme dürfte dem­zufolge nur ausnahmsweise, in einer abermaligen Notlage, zeitlich befristet und vom Volumen her begrenzt für einen besonderen Zweck erfolgen. Dies macht keine quantitative Beschränkung im Vorfeld erforderlich – dies hatten die Karlsruher Richter in ihrem Urteil explizit ausgeschlossen.

Dennoch könnten einige Kriterien festgelegt wer­den, anhand deren der Ausnahmecharakter einer künftigen Krise bestimmt werden könnte. Klar scheint, dass im Widerspruch zu den früheren Über­legungen für ein gesondertes Eurozonen-Budget alle Mitgliedstaaten der EU von den Auswirkungen der gefährlichen Situation potentiell betroffen sein müssten. Klar scheint auch, dass es sich um eine Krise handeln muss, die von externen Faktoren bestimmt oder einem externen symmetrischen Schock ausgelöst wurde, von der also nicht nur ein oder mehrere Mit­gliedstaaten, sondern alle betroffen sein würden. Ebenso scheint unbestritten, dass es sich bei einer derartigen Notlage um einen außerordentlichen Schock handeln muss, der mit den üblichen Möglichkeiten und Formen politischen Handelns der EU nicht bekämpft werden könnte. Zugleich müssen die er­forderlichen Maßnahmen und Reaktionen auf eine solche Krise in den Zuständigkeitsbereich der Euro­päischen Union fallen. Die Rechtsgrundlage könnte erneut der Solidaritätsartikel 122 AEUV sein, der die Ausgabe gemeinschaftlicher Kredite als externe zweck­gebundene Einnahmen ermöglicht. Für ein außerordentliches europäisches Krisen- und Aus­gabenprogramm könnten erneut gemeinschaftliche Kredite aufgenommen werden. Die Einigung würde sicherlich wieder im Europäischen Rat, also im Kon­sens auf höchster politischer Ebene der EU, erfolgen müssen. Die Informations- und Mitwirkungsrechte des Bundestags sollten angepasst werden, denn das deutsche Parlament muss frühzeitig über etwaige Vorschläge informiert und in mögliche Verhand­lungen einbezogen werden. Auch auf europäischer Ebene sollte die umfassende Einbindung des Euro­päischen Parlaments in die Entscheidung über die Verwendung der zweckgebundenen Mittel rechtlich verbindlich verankert werden.

Abkürzungen

AEUV

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

ARF

Aufbau und Resilienzfazilität

BIP

Bruttoinlandsprodukt

BNE

Bruttonationaleinkommen

CEPS

Centre for European Policy Studies (Brüssel)

EFRE

Europäischer Fonds für regionale Entwicklung

EFTA

European Free Trade Association / Europäische Freihandelsassoziation

EP

Europäisches Parlament

ESF

Europäischer Sozialfonds

EU

Europäische Union

EZB

Europäische Zentralbank

JTF

Just Transition Funds

KF

Kohäsionsfonds

LSE

Länderspezifische Empfehlungen

MFR

mehrjähriger Finanzrahmen

NARP

Nationaler Aufbau- und Resilienzplan

NGEU

NextGenerationEU

NRP

Nationaler Reformplan

OECD

Organisation for Economic Co-operation and Development / Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

VO

Verordnung

Endnoten

1

 Martin Nettesheim, »›Next Generation EU‹: Die Transformation der EU-Finanzverfassung«, in: Archiv des öffentlichen Rechts, 145 (2020) 3, S. 381–437 (386).

2

 Europäischer Rat, Außerordentliche Tagung des Europäischen Rates (17., 18., 19., 20. und 21. Juli 2020) – Schlussfolgerungen, EUCO 10/20, 21.7.2020.

3

 So wurde ein neues kohäsionspolitisches Programm, React-EU, geschaffen, mit dem die Zahlungen aus den euro­päischen Struktur- und Kohäsionsfonds der alten Förder­periode 2014–2020 um 47,5 Mrd. Euro aufgestockt wurden. Ein anderer Teil der Mittel im Umfang von 1,9 Mrd. Euro floss in die Förderung von Zivilschutzprogrammen. Der neue Just Transition Fonds (JTF) zur Unterstützung von Regionen und Sektoren bei ihrem Ausstieg aus fossilen Brennstoffen wurde um 10 Mrd. Euro aufgestockt.

4

 »Zweckgebundene Einnahmen« sind Einnahmen der EU, die dem EU-Haushalt unabhängig von den vereinbarten und definierten Eigenmitteln zufließen. Gemäß Artikel 21 Ab­satz 2 der aktuellem Haushaltsordnung aus dem Jahr 2018 waren dies bislang vor allem Finanzbeiträge von Dritt­ländern, zum Beispiel der EFTA-Staaten, oder von Stiftungen. Weitere zweckbestimmte Einnahmen sind »spezifische zu­sätzliche Finanzbeiträge von Mitgliedstaaten«, »Einnahmen aus dem Forschungsfonds für Kohle und Stahl« oder »Zinsen auf Einlagen und Geldbußen«. Im Jahr 2019 beliefen sich diese Einnahmen auf 2,2 Mrd. Euro und im Jahr 2020 auf 4,2 Mrd. Euro.

5

 »Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Euro­päischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über die Haushaltsdisziplin, die Zusammenarbeit im Haushaltsbereich und die wirtschaftliche Haushaltsführung sowie über neue Eigenmittel, einschließlich eines Fahrplans im Hinblick auf die Ein­führung neuer Eigenmittel vom 16. Dezember 2020«, in: Amtsblatt der Europäischen Union, L 433 I vom 22.12.2020, S. 28–46, Ziffer 40ff.

6

 »Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung der Aufbau- und Resilienzfazilität, Nr. 2021/241 vom 12. Februar 2021«, in: Amtsblatt der Europäischen Union, L 57 vom 18.2.2021, S. 17–75.

7

 Florian Dorn / Clemens Fuest, »Next Generation EU: Gibt es eine wirtschaftliche Begründung?«, in: ifo-Schnelldienst, 74 (10.2.2021) 2, S. 3–8.

8

 Friedrich Heinemann, »Next Generation EU: 750 Milliarden suchen einen Sinn«, in: ifo-Schnelldienst, 74 (10.2.2021) 2, S. 8–12.

9

Siehe Vivian A. Schmidt, »Theorizing Institutional Change and Governance in European Responses to the Covid-19 Pandemic«, in: Journal of European Integration, 42 (2020) 8, S. 1177–1193 (1179); Sarah Wolff / Stella Ladi, »European Union Responses to the Covid-19 Pandemic: Adaptability in Times of Permanent Emergency«, in: Journal of European Integration, 42 (2020) 8, S. 1025–1040 (1026).

10

 Siehe »›Kopernikanische Wende für die EU‹; Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, weist Kritik am Finanzpaket zurück«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.7.2020.

11

 Siehe Stella Ladi / Dimitris Tsarouhas, »EU Economic Governance and Covid-19: Policy Learning and Windows of Opportunity«, in: Journal of European Integration, 42 (2020) 8, S. 1041–1056 (1051).

12

 Michael Thöne, »Next Generation EU – der erste von vielen Schritten ist getan«, in: ifo-Schnelldienst, 74 (10.2.2021) 2, S. 16–19 (17).

13

 Siehe hierzu die Sonderausgabe »Did Europe Just Ex­perience its ›Hamiltonian Moment‹?«, The International Econ­omy, Summer 2020.

14

 Sabine Saurugger, »What Do the Negotiations about the Multiannual Financial Framework 2021–2027 Mean for Theories of European Integration? Reflections from an Actor-centred Constructivist Perspective«, in: Sybille Münch/Hubert Heinelt (Hg.), EU Policymaking at a Crossroads. Negotiating the 2021–2027 Budget, Cheltenham 2022, S. 251–271 (252).

15

 Peter Becker / Martin Grosse-Hüttmann, »Das Corona-Haushaltspaket der EU und die möglichen integrations­politischen Langzeitwirkungen«, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung Tübingen (EZFF) (Hg.), Jahrbuch des Föderalismus 2021, Baden-Baden 2021, S. 459–470.

16

 Europäische Kommission, Der europäische Gruene Deal, COM (2019) 640 final, Brüssel, 11.12.2019.

17

 Die Europäische Kommission konnte auch ein zusätz­liches Förderprogramm zur finanziellen Abfederung der Kosten des Ausstiegs aus fossilen Brennstoffen (Kohle, Torf und Ölschiefer) durchsetzen und mit weiteren Geldern finanzieren: Der Just Transition Funds soll den besonders betroffenen Regionen und Sektoren helfen, siehe Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Fonds für einen gerechten Übergang, COM (2020) 22 final, Brüssel, 14.1.2020, und dies., Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Fonds für einen gerechten Übergang, COM (2020) 460 final, Brüssel, 28.5.2020.

18

 European Commission, The EU as an Issuer: The NextGenera­tionEU Transformation, Luxemburg, Juli 2022, (EU Budget Policy Brief 3), <https://commission.europa.eu/strategy-and-policy/eu-budget/news-events-and-publications/publications/ policy-briefs_en> (Zugriff am 9.11.2023).

19

 Nettesheim, »›Next Generation EU‹« [wie Fn. 1], S. 384.

20

 Rebecca Christie / Grégory Claeys / Pauline Weil, Next Generation EU Borrowing: A First Assessment, Brüssel: Bruegel, November 2021 (Bruegel Policy Contribution 22/21).

21

 Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD), Performance Budgeting in OECD Countries, Paris 2007; OECD, OECD Good Practices for Performance Budgeting, Paris 2019.

22

 Europäische Kommission, Halbzeitüberprüfung/Halbzeit­revision des mehrjährigen Finanzrahmens 2014–2020. Ergebnis­orientierter EU-Haushalt, COM (2016) 603 final, Brüssel, 14.9.2016.

23

 Anja Hoffmann / Lukas Harta / Martina Anzini, Das Auf­bau­instrument »Next Generation EU«. Ausgewählte Fragen zur Ver­einbarkeit des 750-Milliarden-Euro-Instruments und der dafür ge­planten Schuldenaufnahme mit dem EU-Recht, Freiburg: Centrum für Europäische Politik (CEP), 2020 (cepAdhoc 7/2020).

24

 Nettesheim, »›Next Generation EU‹« [wie Fn. 1], S. 394.

25

 Franz C. Mayer / Philipp Lütkemeyer, »Hamilton in Brüssel? Europa- und verfassungsrechtliche Aspekte der Reform des EU-Eigenmittelsystems und des Next Generation-Programms der EU«, in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetz­gebung und Rechtswissenschaft, 103 (2020) 4, S. 317–350.

26

 Bundesverfassungsgericht, Urteil des Zweiten Senats vom 06. Dezember 2022, 2 BvR 547/21, 2 BvR 798/21.

27

 Bundesrechnungshof, Bericht nach § 99 der Bundeshaushaltsordnung zu den möglichen Auswirkungen der gemeinschaftlichen Kreditaufnahme der Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf den Bundeshaushalt (Wiederaufbaufonds), Bonn, 11.3.2021.

28

 Zsolt Darvas / Lennard Welslau, First Lessons from the Re­covery and Resilience Facility for the EU Economic Governance Frame­work, Brüssel: European Parliament. Economic Governance and EMU Scrutiny Unit, März 2023 (PE 741.478); Francesco Corti / Tomás Ruiz de la Ossa, The Recovery and Resilience Facility. What Are We Really Monitoring with a Performance-based Approach?, Brüssel: CEPS, 2023 (CEPS Explainer 2023-01); Euro­päischer Rechnungshof, Bewertung der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne durch die Kommission: insgesamt angemessen, doch bleiben Durchführungsrisiken bestehen, Luxemburg, 2022 (Sonderbericht 21, 2022); Jorge Núñez Ferrer, Avoiding the Main Risks in the Recovery Plans of Member States, Brüssel: CEPS, März 2021 (CEPS Recovery and Resilience Reflection Papers 1); Peter Becker, »Next Generation EU – effiziente Umsetzung als integrationspolitischer Katalysator«, in: ifo Schnelldienst, 74 (10.2.2021) 2, S. 19–22.

29

 Dorn / Fuest, »Next Generation EU: Gibt es eine wirtschaft­liche Begründung?« [wie Fn. 8]; Heinemann, »Next Genera­tion EU: 750 Milliarden suchen einen Sinn« [wie Fn. 8].

30

 Núñez Ferrer, Avoiding the Main Risks in the Recovery Plans of Member States, [wie Fn. 28]; Francesco Corti / Jorge Núñez Ferrer, Steering and Monitoring the Recovery and Resilience Plans. Reading Between the Lines, Brüssel: CEPS, April 2021 (CEPS Recovery and Resilience Reflection Papers 2); Francesco Corti et al., The Recovery and Resilience Facility. A Springboard for a Renaissance of Public Investments in Europe?, Brüssel: CEPS, Januar 2022 (CEPS Recovery and Resilience Reflection Papers 6); Darvas / Welslau, First Lessons from the Recovery and Resilience Facility [wie Fn. 28].

31

 Bart Vanhercke / Amy Verdun, »The European Semester as Goldilocks: Macroeconomic Policy Coordination and the Recovery and Resilience Facility«, in: Journal of Common Market Studies, 60 (2022) 1, S. 204–223.

32

 Sonja Bekker, »The EU’s Recovery and Resilience Facili­ty: A Next Phase in EU Socioeconomic Governance?«, in: Politics and Governance, 9 (2021) 3, S. 175–185; Alison Hunter/ Marta Pilati, Recovery and Reform in the EU’s Most Vulnerable Regions, Brüssel: European Policy Centre (EPC), 21.6.2021 (EPC Policy Brief); Jonathan Zeitlin / David Bokhorst / Edgars Eihmanis, Governing the RRF. Drafting, Implementing, and Moni­toring National Recovery and Resilience Plans as an Interactive Multi­level Process, Brüssel: Foundation for European Progressive Studies (FEPS), Juni 2023 (Recovery Watch, Policy Study).

33

 Heinemann, »Next Generation EU: 750 Milliarden suchen einen Sinn« [wie Fn. 8]; Friedrich Heinemann, »Die Überdeckung der Next Generation EU-Schulden im neuen EU-Eigenmittelbeschluss: Ausmaß und Haftungskonsequenzen«, in: List Forum, 47 (2021) 2–4, S. 133–150.

34

 Lucas Guttenberg / Johannes Hemker / Sander Tordoir, »Alles wird anders – Wie die Pandemie die EU-Finanzarchi­tektur verändert«, in: Wirtschaftsdienst, 101 (2021) 2, S. 90–94; Lorenzo Codogno / Paul van den Noord, Assessing Next Generation EU, Amsterdam: Amsterdam Centre for European Studies, 15.12.2020 (SSRN Research Paper 2020/09).

35

 Hussein Kassim, »The European Commission and the Covid-19 Pandemic: A Pluri-institutional Approach«, in: Journal of European Public Policy, 30 (2023) 4, S. 612–634; Wolf­gang Wessels / Lucas Schramm / Tobias Kunstein, The European Council as a Crisis Manager. The EU’s Fiscal Response to the COVID-19 Pandemic, Baden-Baden 2022; Lucas Schramm / Wolfgang Wessels, »The European Council as a Crisis Man­ager and Fusion Driver: Assessing the EU’s Fiscal Response to the COVID-19 Pandemic«, in: Journal of European Integration, 45 (2023) 2, S. 257–273, doi: 10.1080/07036337.2022.2111418.

36

 Klaus Armingeon, et. al., Voices from the Past: Economic and Political Vulnerabilities in the Making of Next Generation EU, in: Comparative European Politics, 20 (2022) 2, S. 144–165; Caroline de la Porte / Elke Heins, »Introduction: EU Con­straints and Opportunities in the COVID-19 Pandemic – The Politics of NGEU«, in: Comparative European Politics, 20 (2022) 2, S. 135–143.

37

 Arjen Boin / Mark Rhinhard, »Crisis Management Per­formance and the European Union: The Case of COVID-19«, in: Journal of European Public Policy, 30 (2023) 4, S. 655–675.

38

 Zeitlin / Bokhorst / Eihmanis, Governing the RRF [wie Fn. 32].

39

 European Commission, Commission Staff Working Document: Guidance to Member States Recovery and Resilience Plans, SWD (2020) 205 final, Brüssel, 17.9.2020.

40

 Europäische Kommission, Jährliche Strategie für nachhal­tiges Wachstum 2021, COM (2020) 575 final, Brüssel 17.9.2020, und dies., Europäisches Semester 2020: Länderspezifische Empfehlungen, COM (2020) 500 final, Brüssel, 20.5.2020.

41

 David Bokhorst / Francesco Corti, »Governing Europe’s Recovery and Resilience Facility: Between Discipline and Discretion«, in: Government and Opposition, 2023, S. 1–17.

42

 »Delegierte Verordnung (EU) 2021/2106 der Kommission zur Ergänzung der Verordnung (EU) 2021/241 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung der Aufbau- und Resilienzfazilität durch die Festlegung der gemeinsamen Indikatoren und detaillierten Elemente des Aufbau- und Resilienzscoreboards«, in: Amtsblatt der Europäischen Union, L 429 vom 1.12.2021, S. 83–91.

43

 European Commission, Recovery and Resilience Scoreboard, abrufbar unter <https://ec.europa.eu/economy_finance/ recovery-and-resilience-scoreboard/index.html>.

44

 Die 14 gemeinsamen Indikatoren sind: 1. die Einsparun­gen beim jährlichen Primärenergieverbrauch; 2. die zusätz­lichen Betriebskapazitäten für erneuerbare Energien; 3. die geschaffene Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (wie die Zahl der Aufladestationen); 4. der Anteil der Bevölkerung, der von Schutzmaßnahmen gegen Hochwasser, Waldbrände und andere Natur­katastrophen profitiert; 5. die zusätzlichen Wohnungen mit Internet-Zugang; 6. die Zahl der geförderten Unternehmen, die digitale Produkte, Dienstleistungen und Prozesse entwickeln oder anwenden; 7. die Zahl der Nutzer von neuen oder verbesserten öffentlichen digitalen Dienstleistungen, Produkten oder Prozessen; 8. die Zahl der geförderten Forschenden; 9. die Zahl der geförderten Unter­nehmen; 10. die Zahl der Teilnehmenden an schulischen oder beruflichen Bildungsmaßnahmen; 11. die Zahl der geförderten Personen auf Arbeitsplatzsuche; 12. die Zahl der Personen, die in neuen oder modernisierten Gesundheits­einrichtungen behandelt wurden; 13. die Größe der Klassen in Kindergärten oder Schulen und 14. die Zahl der geförderten jungen Menschen im Alter zwischen 14 bis 29 Jahren.

45

 »Verordnung (EU) 2023/435 vom 27. Februar 2023 zur Änderung der Verordnung (EU) 2021/241 in Bezug auf REPowerEU-Kapitel in den Aufbau- und Resilienzplänen und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1303/2012, (EU) 2021/1060 und (EU) 2021/1755 sowie der Richtlinie 2003/87/EG«, in: Amtsblatt der Europäischen Union, L 63 vom 28.2.2023, S. 1–27, hier: Art. 21c.

46

 Bislang haben mit Estland, Frankreich, Irland, Malta und der Slowakei allerdings erst fünf Mitgliedstaaten ihre Pläne angepasst und um ein RePowerEU-Kapitel erweitert (Stand Juli 2023).

47

 »Bekanntmachung der Kommission. Leitlinien für die Aufbau- und Resilienzpläne im Kontext von REPowerEU«, in: Amtsblatt der Europäischen Union, C 80 vom 3.3.2023, S. 1–47.

48

 Peter Becker, Wirtschaftspolitische Koordinierung in der Europäischen Union. Europäisierung ohne Souveränitätsverlust, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, November 2014 (SWP-Studie 19/2014).

49

 Vanhercke / Verdun, »The European Semester as Goldilocks« [wie Fn. 31]; Bekker, »The EU’s Recovery and Resil­ience Facility« [wie Fn. 32].

50

 Bokhorst / Corti, »Governing Europe’s Recovery and Resilience Facility« [wie Fn. 41].

51

 Francesco Corti / Patrik Vesan, »From Austerity-condi­tionality towards a New Investment-led Growth Strategy: Social Europe after the Recovery and Resilience Facility«, in: Social Policy and Administration, 57 (2023) 4, S. 513–548; Bokhorst / Corti, »Governing Europe’s Recovery and Resil­ience Facility« [wie Fn. 41]; Zeitlin / Bokhorst / Eihmanis, Governing the RRF [wie Fn. 32].

52

 Zu den Strukturfonds werden der Europäische Sozialfonds (ESF), der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und der Kohäsionsfonds (KF) gezählt. Neu hinzu­gekommen ist in der aktuellen Förderperiode der Fonds für einen gerechten Übergang (Just Transition Fonds, JTF).

53

 »Verordnung 2021/1060 vom 24. Juni 2021 mit gemeinsamen Bestimmungen für den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds Plus, den Kohäsionsfonds, den Fonds für einen gerechten Übergang und den Europäischen Meeres-, Fischerei- und Aquakulturfonds sowie mit Haushaltsvorschriften für diese Fonds und für den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds, den Fonds für die innere Sicherheit und das Instrument für finan­zielle Hilfe im Bereich Grenzverwaltung und Visum­politik«, in: Amtsblatt der Europäischen Union, L 231 vom 30.6.2021, S. 159–706, Erwägungsgrund 49.

54

 Gert Jan Koopman, »Cohesion Policy and the Recovery and Resilience Facility: Not Just Two Sides of the Same Coin«, in: European Court of Auditors (Hg.), Cohesion and NextGenerationEU: Concord or Clash?, Luxemburg, Mai 2022 (Journal 1/2022), S. 27–31, S. 29.

55

 Europäischer Rechnungshof, EU-Finanzierung im Rahmen der Kohäsionspolitik und der Aufbau- und Resilienzfazilität: eine vergleichende Untersuchung, Luxemburg 2023 (Analyse 1/2023).

56

 Bereits in der letzten Förderperiode 2014–2020 dienten die europäischen Strukturfonds ähnlichen Zielen und Schwer­punkten wie die ARF. Auch das kohäsionspolitische Element von NGEU, das Programm React-EU, mit dem die europäischen Struktur- und Kohäsionsfonds der alten Förderperiode 2014–2020 um 47,5 Milliarden Euro auf­gestockt wurden, konnte leicht an die gleichen Prioritäten wie ökologische Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft sowie die Digitalisierung der Volkswirtschaften und der Administrationen anknüpfen.

57

 Andrey Novakov, »Cohesion & NextGenerationEU: Europe’s Double-faced Recovery?«, in: European Court of Auditors (Hrsg.), Cohesion and NextGenerationEU [wie Fn. 54], S. 116–119.

58

 Eulalia Rubio, From Words to Action. Analysing Possible Scenarios and Political Dynamics in the Process of Disbursing the European Recovery and Resilience Facility Funds, Paris: Jacques Delors Institute, Februar 2022 (Notre Europe Policy Paper 274); Darvas / Welslau, First Lessons from the Recovery and Resil­ience Facility [wie Fn. 28]; Corti / Ruiz de la Ossa, The Recovery and Resilience Facility [wie Fn. 28]; Zsolt Darvas / Lennard Welslau / Jeromin Zettelmeyer, Facility Falls Short against Per­formance-based Funding Standards, Brüssel: Bruegel, April 2023 (Bruegel Analysis); Corti / Núñez Ferrer, Steering and Monitoring the Recovery and Resilience Plans [wie Fn. 30].

59

 Zeitlin / Bokhorst / Eihmanis, Governing the RRF [wie Fn. 32].

60

 Für die Erstellung des deutschen Aufbau- und Resilienz­plans wurden die Länder und auch die Sozialpartner nach eigenen Angaben nur unzureichend eingebunden, siehe Bundesrat, Entwurf des Deutschen Aufbau- und Resilienzplans (DARP), Beschluss vom 5.3.2021, Drucksache 106/21. Bei einer Anhörung des Deutschen Bundestags am 20.6.2022 zu NGEU monierte die Vertreterin des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) ebenfalls, dass der DGB mit lediglich einem informellen Informationsgespräch nicht angemessen konsultiert worden sei.

61

 »Beschluss 2020/2053 des Rates vom 14. Dezember 2020 über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union und zur Aufhebung des Beschlusses 2014/335«, in: Amtsblatt der Euro­päischen Union, L 424 vom 15.12.2020, S. 1–10, hier Artikel 6.

62

 Die Ausgabe von Anleihen und damit die Aufnahme von Schulden der EU konnte allerdings erst erfolgen, nach­dem alle Mitgliedstaaten den neuen Eigenmittelbeschluss gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften ratifiziert hatten. Dieses Verfahren wurde ungewöhnlich zügig, näm­lich bis zum 31. Mai 2021 abgeschlossen. Zuvor hatten die Ratifizierungen der Eigenmittelbeschlüsse in den Mitgliedstaaten in der Regel rund zwei Jahre gedauert.

63

 Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission über eine neue Finanzierungsstrategie zur Finanzierung von Next Generation EU, 14.4.2021, COM (2021) 250 final.

64

 »Verordnung 2022/2434 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Dezember 2022 zur Änderung der Verordnung (EU, Euratom) 2018/1046 im Hinblick auf die Festlegung einer diversifizierten Finanzierungsstrategie als allgemeine Methode für die Mittelaufnahme«, in: Amtsblatt der Europäischen Union, L 319 vom 13.12.2022, S. 1-4.

65

 »Durchführungsbeschluss der Kommission 2021/1095 vom 2. Juli 2021 zur Festlegung der Methode für die Zu­rechnung von Kosten im Zusammenhang mit der Mittel­aufnahme und dem Schuldendienst im Rahmen von Next­GenerationEU«, in: Amtsblatt der Europäischen Union, L 236 vom 5.7.2021, S. 75-85; »Durchführungsbeschluss der Kommis­sion 2022/2545 vom 19. Dezember 2022 zur Festlegung des Rahmens für die Zurechnung von Kosten im Zusammenhang mit Mittelaufnahme und Schuldenmanagementtransaktionen im Rahmen der diversifizierten Finanzierungsstrategie«, in: Amtsblatt der Europäischen Union, L 328 vom 22.12.2022, S. 123–135.

66

 Christie / Claeys / Weil, Next Generation EU Borrowing [wie Fn. 20].

67

 Europäische Kommission, Halbjährlicher Bericht über die Durchführung von Mittelaufnahme- und Schuldenmanagement­transaktionen sowie von damit verbundenen Darlehenstransaktionen gemäß Artikel 12 des Durchführungsbeschlusses C(2022) 9700 der Kommission, 1. Juli 2022–31. Dezember 2022, COM (2023) 93 final, Brüssel, 22.2.2023.

68

 Grégory Claeys / Conor McCaffrey / Lennard Welslau, The Rising Cost of European Union Borrowing and What to Do about It, Brüssel: European Parliament, Policy Department for Bud­getary Affairs, Mai 2023 (Briefing PE 749.450), S. 1.

69

 European Commission, Mid-term Revision of the Multi­annual Financial Framework 2021–2027, COM (2023) 336 final, Brüssel, 20.6.2023, S. 11; dies., Commission Staff Working Document Accompanying the Communication Mid-term Review of the Multiannual Financial Framework 2021–2027, SWD (2023) 336 final, Brüssel, 20.6.2023, S. 35–37.

70

 European Commission, Proposal for a Council Regulation Amending Regulation 2020/2093 Laying down the Multiannual Financial Framework for the Years 2021 to 2027, COM (2023) 337 final, Brüssel, 20.6.2023.

71

 Siehe Europäischer Rechnungshof, Bewertung der natio­nalen Aufbau- und Resilienzpläne durch die Kommission: Insgesamt angemessen, doch bleiben Durchführungsrisiken bestehen, Luxemburg 2022 (Sonderbericht 21); Becker, »Next Generation EU« [wie Fn. 28].

72

 Europäische Kommission, Europäisches Semester 2023 – Frühjahrspaket, COM (2023) 600 final, Brüssel 24.5.2023.

73

Sascha Becker / Peter Egger / Maximilian von Ehrlich, »Too Much of a Good Thing? On the Growth Effects of the EU’s Regional Policy«, in: European Economic Review, 56 (2012) 4, S. 648–668; Sascha O. Becker / Peter H. Egger / Maximilian von Ehrlich, «Effects of EU Regional Policy: 1989–2013«, in: Regional Science and Urban Economics, 69 (2018), S. 143–152; Peter Berkowitz et al., The Impact of the Economic and Financial Crisis on the Reform of Cohesion Policy 2008–2013, Brüssel: Euro­pean Commission, Directorate-General for Regional and Urban Policy, 2015 (Regional Working Paper 3/2015); Julie Le Gallo / Sandy Dall’Erba / Rachel Guillain, »Local versus Global Dilemma of the Effects of Structural Funds«, in: Growth and Change, 42 (2011) 4, S. 466–490; Friedrich Heinemann, »EU-Kohäsionspolitik: Finanzielle Fehlanreize und die Suche nach dem europäischen Mehrwert«, in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 62 (2013) 1, S. 58–69.

74

 Aaron Wildavsky / Naomi Caiden, The New Politics of the Budgetary Process, (4. Aufl.) New York 2001.

75

 Europäische Kommission, Zwei Jahre Aufbau- und Resilienzfazilität: Ein einzigartiges Instrument im Zentrum des ökologischen und digitalen Wandels in Europa, COM (2023) 99 final, Brüssel, 21.2.2023.

76

 Ebd., S. 2.

77

 Darvas / Welslau, First Lessons from the Recovery and Resil­ience Facility [wie Fn. 28]; Corti / Ruiz de la Ossa, The Recovery and Resilience Facility [wie Fn. 28]; Darvas / Welslau / Zettel­meyer, Facility Falls Short against Performance-based Funding Standards [wie Fn. 58].

78

 Trevor Shaw, «Performance Budgeting Practices and Procedures«, in: OECD Journal on Budgeting, 15 (2016) 3, S. 65–136; Donald Moynihan / Ivor Beazley, Toward Next-Generation Performance Budgeting: Lessons from the Experiences of Seven Reforming Countries, Washington, D.C.: The World Ban, 2016; Magdalena Sapała, Ergebnisorientierte Haushaltsplanung. Ein Mittel zur Verbesserung der EU-Ausgabenpolitik, Brüssel: EPRS – Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments, März 2018 (PE 608.724); Darvas / Welslau, First Lessons from the Recovery and Resilience Facility [wie Fn. 30]; Zeitlin / Bokhorst / Eihmanis, Governing the RRF [wie Fn. 32].

79

 Europäische Kommission, Zwei Jahre Aufbau- und Resilienzfazilität [wie Fn. 75], S. 3/4 (Stand Juli 2023).

80

European Commission, Recovery and Resilience Scoreboard [wie Fn. 43].

81

 Europäische Kommission, Zwei Jahre Aufbau- und Resilienzfazilität [wie Fn. 75], S. 13.

82

 Bei der Vergabe der Darlehen sollten die Empfänger durch die günstigen Zinsen, zu denen die EU Kredite aufnehmen kann, in den Genuss der gemeinschaftsinternen Hilfe kommen. Allerdings blieb die Wirkung dieser zusätz­lichen Form einer redistributiven Solidarität begrenzt, denn die Belastung der Nettozahler, die ihre Bonität zur Absicherung der zinsvergünstigten Kredite an den Kapitalmärkten bereitgestellt haben, ist verpufft. Die Zinskosten für die Nettozahler sind gegenwärtig noch niedriger als für die EU – und damit auch für die Empfänger der europäischen Kredite.

83

 Bundesverfassungsgericht, Urteil des Zweiten Senats vom 06. Dezember 2022 [wie Fn. 26].

84

 Rat der Europäischen Union, Gutachten des Juristischen Dienstes, Dok. Nr. 9062/20, Brüssel, 24.6.2020.

85

 De la Porte / Heins, »Introduction: EU Constraints and Opportunities in the COVID-19 Pandemic« [wie Fn. 36].

86

 Guttenberg / Hemker / Tordoir, »Alles wird anders« [wie Fn. 34]; Leo Klimm, »Das böse T-Wort«, in: Süddeutsche Zeitung, 19.11.2020.

87

 Europäischer Rat, Außerordentliche Tagung des Europäischen Rates [wie Fn. 2], Ziffer A4.

88

 »Verordnung 2020/2094 des Rates vom 14. Dezember 2020 zur Schaffung eines Aufbauinstruments der Europäischen Union zur Unterstützung der Erholung nach der COVID-19-Krise«, in: Amtsblatt der Europäischen Union, L 433 vom 22.12.2020, Erwägungsgrund 6.

89

 »Beschluss 2020/2053 des Rates vom 14. Dezember 2020 über das Eigenmittelsystem« [wie Fn. 61], hier Erwägungsgrund 15.

90

 Diese Kriterien für eine tiefe Krise entsprechen den Formulierungen der NGEU-Verordnung.

91

 Bundesverfassungsgericht, Urteil des Zweiten Senats vom 06. Dezember 2022 [wie Fn. 26], Randnr. 147 ff. (Zitat Randnr. 135).

92

 Maurice Obstfeld, Finance at Center Stage: Some Lessons of the Euro Crisis, Brüssel: European Commission, April 2013 (Economic Papers 493); Jean Pisani-Ferry / Erkki Vihriälä / Guntram Wolff, Options for a Euro Area Fiscal Capacity, Brüssel: Bruegel, Januar 2013 (Bruegel Policy Contribution 1/2013).

93

 Die Diskussion über die Finalität des europäischen Inte­grationsprozesses wird seit einigen Jahrzehnten mit unterschiedlichen Schwerpunkten und bis dato ohne Ergeb­nis immer wieder geführt. Für frühere Debatten siehe Rudolf Wildenmann (Hg.) Staatswerdung Europas? Optionen für eine Europäische Union, Baden-Baden 1991; Heinrich Schneider / Wolf­gang Wessels (Hg.), Föderale Union – Europas Zukunft?, München 1994.

Alle Rechte vorbehalten.

Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten der Stiftung Wissenschaft und Politik ist auch in Aus­zügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet.

SWP-Studien unterliegen einem Verfahren der Begut­achtung durch Fachkolle­ginnen und -kollegen und durch die Institutsleitung (peer review), sie werden zudem einem Lektorat unterzogen. Weitere Informationen zur Qualitätssicherung der SWP finden Sie auf der SWP-Website unter https:// www.swp-berlin.org/ueber-uns/qualitaetssicherung/.
SWP‑Studien geben die Auffassung der Autoren und Autorinnen wieder.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, 2023

SWP

Stiftung Wissenschaft und Politik

Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Ludwigkirchplatz 3–4
10719 Berlin
Telefon +49 30 880 07-0
Fax +49 30 880 07-200
www.swp-berlin.org
swp@swp-berlin.org

ISSN (Print) 1611-6372

ISSN (Online) 2747-5115