Dr. Marian Feist ist Senior Research Fellow an der Hertie School. Er war Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Globale Fragen und im Projekt »Green Deal Diplomacy«.
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In der klimapolitischen Praxis sind plurilaterale Initiativen als Ergänzung zum multilateralen Forum der Vereinten Nationen zuletzt wieder wichtiger geworden. Die Gründe dafür liegen vor allem im mangelnden Fortschritt bei der Umsetzung des Pariser Abkommens und den erschwerten Bedingungen im UN-Prozess.
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Das Potential der Zusammenarbeit kleinerer Gruppen von Vorreiterstaaten liegt darin, dass sie sich leichter einigen und auf diese Weise den Klimaschutz mit ambitionierteren Zielen und stringenteren Maßnahmen effektiv vorantreiben können. Das wiederum kann Strahlkraft über einzelne Initiativen hinaus entfalten, normativen Druck aufbauen und für Drittstaaten Anreize zur Kooperation schaffen.
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Auch plurilaterale Allianzen überwinden allerdings nicht per se die strukturellen Hemmnisse, die einer umfassenderen internationalen Klimakooperation entgegenstehen. Deshalb sollten die deutsche und die europäische Klimadiplomatie die spezifischen prozessualen Herausforderungen plurilateraler Initiativen antizipieren, unter den verschiedenen Optionen Prioritäten setzen und dabei Umfang und Ausgestaltung der einzelnen Initiativen möglichst frühzeitig präzisieren.
Inhaltsverzeichnis
1 Problemstellung und Empfehlungen
2 Hintergrund und aktuelle Entwicklungen
2.1 Implementierung des Pariser Abkommens
2.2 Vertrauen und Glaubwürdigkeit im multilateralen Prozess
3 Die Logik plurilateraler Klimakooperation: Hoffnungen und Fallstricke
3.1 Verhandlungsprozess und Einigungsfähigkeit
3.2 Implementierungsdynamik und Strahlkraft
3.3.5 Club der Energiewendestaaten
3.3.6 Energiewendepartnerschaften
4 Implikationen für die klimadiplomatische Praxis
4.1 Glaubwürdigkeit und Priorisierung
4.2 Vertrauen und Kommunikation
Problemstellung und Empfehlungen
In der Debatte über effektive internationale Kooperation in der Klimapolitik richtet sich der Fokus in jüngerer Zeit wieder verstärkt auf kleinere Zusammenschlüsse von Vorreiterstaaten. Im Rahmen des Klimagipfels in Glasgow 2021 (COP 26) und auch darüber hinaus wurden zuletzt eine ganze Reihe solcher plurilateraler Initiativen angekündigt. Dafür gibt es mehrere Gründe: So bringen die Mechanismen des multilateralen Pariser Abkommens bislang nicht die nötige Dynamik hervor, um Treibhausgasemissionen wirksam zu reduzieren. Gleichzeitig wachsen die faktischen Notwendigkeiten für eine Beschleunigung des Klimaschutzes und der Klimafolgenanpassung. Nicht nur im Globalen Süden wird es immer dringender, sich auf die Folgen des Klimawandels einzustellen und einen Weg zu finden, mit irreparablen Schäden und Verlusten umzugehen. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine, den damit verbundenen geopolitischen Spannungen und den kurz- bis mittelfristig verschobenen energiepolitischen Prioritäten hat sich die internationale Klimakooperation zusätzlich verkompliziert.
Plurilaterale Kooperationsformate können – so die Hoffnung – politische Hindernisse überwinden und auf diese Weise die Implementierung des Pariser Abkommens vorantreiben. Dazu sollen die nationalen Anstrengungen im Klimaschutz besser koordiniert, die multilaterale Zusammenarbeit ergänzt und die fehlende Dynamik und Zugkraft der globalen Klimaschutzbemühungen ausgeglichen werden. Allerdings stellen sich gerade angesichts interferierender Problemlagen etwa mit Blick auf Energieversorgungssicherheit umso drängendere Fragen, welche Anforderungen der diplomatischen Begleitung erfüllt sein müssen, damit neue Allianzen erfolgreich sein können.
Die vorliegende Studie befasst sich unter Rückgriff auf die Forschung zu früheren Initiativen mit der Logik plurilateraler Klimakooperation. Sie diskutiert die Verheißungen und Fallstricke neuer Allianzen vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen, und sie erörtert die Implikationen für die klimadiplomatische Praxis. Plurilaterale Formate können eine wichtige Ergänzung für den Klimaschutz bilden, wie ihn das Pariser Abkommen vorsieht. Sie können bei der Implementierung helfen, aber sie überwinden dabei nicht die bestehenden Dynamiken internationaler Klimapolitik. Sie bieten keine einfachen Lösungen für politische Herausforderungen. Damit plurilaterale Initiativen Erfolg haben, sind nicht nur ihre technischen Details entscheidend, sondern insbesondere auch, wie der politische Prozess ausgestaltet ist, von dem sie getragen werden. Die prozessualen Herausforderungen einzelner Formate in Bezug auf die Interessen der Partnerländer müssen antizipiert werden. Des Weiteren sollten Initiativen mit klaren Zielen und Instrumenten priorisiert werden; nicht jede weitere Initiative bietet einen Zugewinn. Bei all dem sollten darüber hinaus die Interessen der Partnerländer im Globalen Süden im Blick behalten werden. Dazu gehört es auch, plurilaterale Initiativen als komplementäre Komponente im Zusammenspiel mit multilateralen Kooperationsbemühungen zu verstehen und darauf zu achten, dass sie auch so wahrgenommen werden, nicht in Konkurrenz dazu.
Hintergrund und aktuelle Entwicklungen
Im Rahmen plurilateraler Formate arbeitet eine kleinere Gruppe von Staaten zusammen – im Unterschied zum multilateralen Prozess oder zu bilateralen Vereinbarungen. In der internationalen Klimakooperation ist das kein neues Phänomen. Das Klimaregime zeichnet sich vielmehr seit langem durch ein Geflecht verschiedener Akteure, Institutionen und Foren aus, die innerhalb und neben dem multilateralen Prozess unter dem Dach der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) existieren.1 Das weitgehende Scheitern der Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen (COP 15) hat stark dazu beigetragen, dieses Geflecht als Chance für die Überwindung bestehender Kooperationshemmnisse zu begreifen.2 Ziel des Gipfels war es, ein neues universelles, rechtlich bindendes Klimaübereinkommen als Nachfolger des Kyoto-Protokolls zu vereinbaren. Dieses Ziel wurde verfehlt. Zwar gab es einige langfristig prägende Ergebnisse, wie insbesondere das Versprechen der Industrieländer, bis 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar für internationale Klimafinanzierung zu mobilisieren. Doch ist die Konferenz gemessen an ihrem Anspruch weitgehend gescheitert.3 Anknüpfend an diesen Misserfolg drängte sich die Frage auf, wie internationale Klimakooperation stattdessen aussehen könnte. Plurilaterale Kooperationsformen, die in ihrer Summe die fehlende Zugkraft globaler Bemühungen kompensieren sollten, spielten eine zentrale Rolle in dieser Debatte.4 Auch im Bereich der Forschung und der Politikberatung in Deutschland wurde dieser Ansatz breit diskutiert. Eine vielbeachtete zusammenfassende Analyse der damaligen Landschaft plurilateraler Initiativen resümierte, dass solche Vorstöße zwar einen ergänzenden Beitrag leisten können, die zu erwartenden Anreizdynamiken aber nicht ausreichend sind, um den Mangel an transformativer Klimaschutzambition im internationalen Kontext zu kompensieren.5
Zahlreiche plurilaterale Kooperationsinitiativen entstanden später auch im Fahrwasser des Pariser Abkommens.6 Nicht zuletzt wird in dessen Beschlussdokument ausdrücklich dazu ermutigt, Akteure zu
beteiligen, die kein Mitglied der Rahmenkonvention sind (Non-Party Action).7 Dabei geht es vor allem um transnationale Initiativen, die vornehmlich von subnationalen und nicht-staatlichen Akteuren wie Provinzen, Städten, Unternehmen oder zivilgesellschaftlichen Organisationen getragen werden.8 Ein weiterer Anknüpfungspunkt für plurilaterale Kooperation im Pariser Abkommen sind Vereinbarungen über den Transfer von eingesparten Emissionen zwischen Ländern gemäß Artikel 6.9 Mehr oder weniger stark institutionalisierte plurilaterale Kooperationsinitiativen übernehmen daher qua Design eine wichtige Rolle bei der Umsetzung des Pariser Abkommens.10 Der (inzwischen revidierte) Austritt der Vereinigten Staaten aus dem Vertrag unter Präsident Trump im Jahre 201911 verlieh der Bedeutung alternativer Kooperationsforen im Zusammenhang mit dem Pariser Abkommen später in der Praxis weiteren Schub.
Implementierung des Pariser Abkommens
Der Fortschritt bei der Umsetzung des Pariser Klimaabkommens ist unzureichend. Mit der Übereinkunft haben sich die Vertragsparteien 2015 verpflichtet, die Erderwärmung auf deutlich unter 2°°C zu begrenzen und Anstrengungen zur Begrenzung auf 1,5°°C zu unternehmen. Nachdem das Regelwerk des Abkommens auf den Klimagipfeln von Kattowitz (COP 24, 2018) bis Glasgow (COP 26, 2021) finalisiert worden ist, geht es nun um die Implementierung. Diese erweist sich im multilateralen UNFCCC-Kontext erwartungsgemäß als schwierig. 198 Vertragsparteien müssen dort einen Konsens finden. Die Größe und Komplexität dieses Prozesses machen ihn seit Beginn ausgesprochen langwierig und zäh.12 Das Pariser Abkommen zu vereinbaren gelang auch deshalb, weil keinerlei konkrete Emissionsreduktionsvorgaben für einzelne Länder gemacht wurden. Stattdessen ist es den Vertragsstaaten selbst überlassen, ihre Beiträge zum Erreichen des Ziels zu bestimmen (Nationally Determined Contributions, NDCs). Mit dieser Kooperationslogik betrat die internationale Klimapolitik seinerzeit neues Terrain.13 Das Abkommen enthält zwar Mechanismen, nach denen Staaten alle fünf Jahre über ihren Fortschritt berichten (Pledge-and-Review) und das Ambitionsniveau ihrer Ziele erhöhen müssen (Ratcheting-Up). Transparenz und Überprüfbarkeit sollen sicherstellen, dass die versprochenen Beiträge erfüllt werden. Allerdings drohen bei Nichterfüllung keinerlei handfeste Konsequenzen. Die nicht-sanktionsbewehrten Berichtsmechanismen entfalten per Design nur normative Wirkung.
Der Schwerpunkt bei der globalen Emissionsreduktion hat sich auf nationale und plurilaterale Ebenen verschoben.
Es besteht eine Erfüllungslücke zwischen der 1,5‑Grad-Schwelle auf der einen und den erklärten Emissionsreduktionszielen und den dazu angekündigten Maßnahmen der Vertragsstaaten auf der anderen Seite; mit sehr wenigen Ausnahmen sind die NDCs nicht mit diesem Ziel kompatibel.14 Die aktuellen Reduzierungsankündigungen würden, sofern sie umgesetzt werden, zu einer erwarteten Erwärmung von 2,7°°C führen.15 Nach technischen Konsultationen soll der politische Teil des im Pariser Abkommen verankerten Prozesses für die globale Bestandsaufnahme in den Bereichen Klimaschutz, Klimafolgenanpassung und Finanzierung (Global Stocktake)16 bei der COP 28 in Dubai Ende 2023 abgeschlossen werden; gefolgt von einer neuen Runde an NDC-Ankündigungen. Sollten die im Pledge-and-Review-Verfahren rechtlich festgeschriebenen Verschärfungen der Emissionsreduktionsziele in dieser Runde nicht ausreichen, um die Erfüllungslücke zu schließen, würde die Bedeutung des multilateralen Prozesses als treibende Kraft bei der globalen Emissionsreduktion weiter in Frage gestellt.17 Nach aktuellem Stand ist nicht damit zu rechnen, dass der UN-Prozess in Sachen internationaler Klimaschutz in naher Zukunft entscheidende Impulse setzen wird. Der Schwerpunkt dafür hat sich – nicht zuletzt auch ganz im Sinne des Pariser Abkommens – auf nationale und plurilaterale Ebenen verschoben.
Vertrauen und Glaubwürdigkeit im multilateralen Prozess
Zusätzlich zu den ohnehin komplexen Herausforderungen im multilateralen Prozess war das Vertrauen vor allem auf Seiten der Länder des Globalen Südens durch nicht eingehaltene Zusagen zuletzt stark strapaziert. Das ist an sich keine neue Problematik; in den letzten Jahren hat sich allerdings ein besonders hohes Maß an Frustration angestaut. So wurde das oben genannte Versprechen der Industrieländer, bis 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar an internationaler Klimafinanzierung zu mobilisieren, um 16,7 Milliarden US-Dollar verfehlt und soll nun 2023 erreicht werden.18 Vor allem mit Blick auf die Kosten für die Anpassung an die Folgen des Klimawandels besteht allerdings nach wie vor eine beträchtliche Finanzierungslücke.19 Überdies war auf der COP 26 in Glasgow ein neues Dialogformat gestartet worden mit dem Ziel, einen Rahmen für die finanzielle Unterstützung bei Schäden und Verlusten (Loss and Damage) zu schaffen.20 Die Bundesregierung zeigte einerseits durchaus Sensibilität für die Interessen der Staaten, die besonders vom Klimawandel betroffen sind. Im Vorfeld zur COP 27 im November 2022 wurde in diplomatischen Kreisen explizit von der Notwendigkeit gesprochen, Vertrauen zurückzugewinnen. So reiste die deutsche Außenministerin eigens nach Palau, um vulnerablen Ländern wie kleinen Inselstaaten Solidarität beim Thema Schäden und Verluste zuzusichern. Andererseits geschah dies aber erst, nachdem Verhandlungen dazu in Bonn im Sommer 2022 nicht vorangekommen waren. Viele Industriestaaten favorisierten andere Ansätze und waren zudem darauf bedacht, dass sich aus Zusagen keine zukünftigen rechtlichen Haftungsansprüche ableiten lassen. Die Bedeutung, die ein eigener Fonds für Schäden und Verluste aus Sicht der Entwicklungsländer21 haben würde, wurde unterschätzt. Die Einigung dazu gelang in Scharm El-Scheich erst spät, als die EU ihre Zustimmung signalisierte.22
Nachdem immer wieder Zusagen gemacht worden sind, kommt es aus der Perspektive der Entwicklungsländer nun in erster Linie auf deren Erfüllung an. Wie der Premierminister der Bahamas, Philip Davis, es im Vorlauf zur COP 27 ausdrückte: »We are commitment-fatigued and we are pledge-fatigued.«23 Vor dem Hintergrund des mangelnden Vertrauens und der verminderten Glaubwürdigkeit des multilateralen Forums erscheinen plurilaterale Formate als gangbare Alternative, in der recht einfach Fortschritte gemacht werden können, ohne Komplikationen durch die politisch schwierigen UNFCCC-Prozesse.
Multiple Krisenlage
In Bezug auf die Potentiale plurilateraler Klimakooperation ist zuletzt in der Debatte auch viel auf akute Krisen und die weltpolitische Gesamtlage verwiesen worden. Dabei waren Anfang 2022 die Vorzeichen für eine ambitionierte Klimapolitik noch günstig. Unter Präsident Biden waren die USA zum Pariser Abkommen zurückgekehrt. Die Europäische Union hatte mit dem Europäischen Klimagesetz die Umsetzung ihres Green Deal vorangebracht.24 Die Bundesregierung hatte sich unter dem Schlagwort Klimaaußenpolitik das Ziel gesetzt, eine kohärentere und strategischere Herangehensweise in der internationalen Klimapolitik zu entwickeln.25 Der Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 hat nun die Bedingungen für klimapolitische Kooperation erschwert. Zwar ist der Nexus zwischen Klima und Sicherheit kein neuer Problembereich.26 Kurzfristig drängende energie- und sicherheitspolitische Fragen wirken sich nun allerdings spürbarer als zuvor auf die Ebene der internationalen Verhandlungen aus.27 Auch belasten die Inflation und die fiskalischen Nachwehen der Corona-Pandemie den politischen Gestaltungsspielraum.
Die Voraussetzungen für Klimakooperation drohen durch eine zunehmende Fragmentierung im internationalen System schlechter zu werden.
Die Voraussetzungen für Klimakooperation drohen insgesamt durch eine zunehmende Fragmentierung im internationalen System schlechter zu werden,28 auch zwischen Schlüsselakteuren wie den USA und China. Nachdem es im Zuge der Klimakonferenz in Glasgow 2021 (COP 26) noch positive Signale in diese Richtung gegeben hat,29 wirken sich die aktuell belasteten Beziehungen auch auf die potentielle klimapolitische Zusammenarbeit beider Länder aus.30 Zwar gibt es die Hoffnung, dass sich etwa nationale industriepolitische Instrumente mit Klimaschutzbezug – wie insbesondere etwa das Inflationsreduktionsgesetz (Inflation Reduction Act) in den USA – gegenseitig verstärken. Die direkte Kooperation auf höchster Ebene, wie sie sich zum Beispiel noch im Rahmen der U.S.-China Joint Glasgow Declaration on Enhancing Climate Action in the 2020s31 manifestierte, ist angesichts jüngerer Spannungen, etwa wegen der Taiwan-Frage32, derzeit allerdings faktisch ausgesetzt.
Andererseits legt der UNFCCC-Prozess eine gewisse Resilienz an den Tag. Zwar prägt das weltpolitische Geschehen zweifelsfrei auch den Kontext der jährlichen Klimaverhandlungen. So hat die Weltfinanzkrise 2008 die Prioritäten bei den Verhandlungen auf dem Gipfel in Kopenhagen 2009 (COP 15) nicht unwesentlich mitbestimmt. Allerdings sind die technischen Verhandlungen über spezifische Einzelthemen nicht in gleichem Maße globalpolitischen Störfaktoren ausgesetzt. Verhandlungsstränge ziehen sich häufig über mehrere Jahre in kleineren Gruppen von Diplomaten hin, die über die Zeit untereinander Beziehungen aufgebaut haben. Die Langwierigkeit der UNFCCC-Prozesse hat daher – bei allen Schwierigkeiten – den Vorteil, dass sie die Bildung eines Vertrauens unter den Verhandlungsparteien ermöglicht, das auf mehr als nur formalen Einhaltungsmechanismen beruht.33 Russlands Angriff auf die Ukraine hat sich auch hier zweifelsohne niedergeschlagen, allerdings eher mittelbar, indem einige Länder die energiepolitische Reaktion von Industrieländern wie Deutschland als Inkohärenz aufgefasst haben, was die wahrgenommene Glaubwürdigkeitslücke bei der Emissionsreduktion weiter aufgerissen und das Vertrauen der Entwicklungsländer wieder verstärkt herausgefordert hat.34 Auch angesichts dieser Probleme werden plurilaterale Kooperationsformate als Möglichkeit gesehen, zusammen mit ausgewählten Partnerländern die Implementierung des Pariser Abkommens einfacher voranzutreiben.
Die Logik plurilateraler Klimakooperation: Hoffnungen und Fallstricke
Plurilaterale Kooperation ist kein neues Format in der internationalen Klimapolitik. In den aktuellen Debatten wird nun wieder verstärkt die Hoffnung laut, damit bestehende Widerstände überwinden und die Implementierung der Pariser Klimaschutzziele effektiv vorantreiben zu können. Im Folgenden wird auf die umfassende wissenschaftliche und Policy-Literatur zu dem Thema zurückgegriffen, um diese Erwartungen kritisch zu prüfen und die mit plurilateralen Prozessen verbundenen Fallstricke aufzuzeigen. Ausgewählte aktuelle und historische Beispiele dienen dazu, die Bandbreite solcher Initiativen zu illustrieren und zu diskutieren, inwieweit sich die Versprechungen in der Praxis verwirklichen.
Verhandlungsprozess und Einigungsfähigkeit
Zu den zentralen Hoffnungen, die sich an plurilaterale Initiativen knüpfen, gehört, dass sie den Einigungsprozess vereinfachen und somit höhere Kooperationschancen bieten.35 Da die Anzahl der teilnehmenden Akteure per Definition begrenzt ist, sind weniger divergierende Interessen übereinzubringen.36 Zudem lässt die Bereitschaft der beteiligten Regierungen, bei der Gründung einer klimapolitischen Initiative mitzuwirken, auf eine verhältnismäßig hohe Interessenhomogenität schließen, fast wie in einer Koalition der Willigen37, während in den multilateralen UN-Verhandlungen die Interessen aller Vertragsparteien gegeneinanderstehen. Die Gefahr, dass einzelne Länder oder Ländergruppen das Fortschreiten bestimmter Prozesse wie innerhalb der UNFCCC-Verhandlungen38 blockieren, ist vor diesem Hintergrund verringert.
Darüber hinaus ermöglichen plurilaterale Klimakooperationsinitiativen eine thematische Fokussierung und bieten – jedenfalls in der Entstehungsphase – ein hohes Maß an Flexibilität mit Blick auf die zu vereinbarenden Ziele und Instrumente.39 Globale Abkommen sollen ihre potentielle Durchsetzungsfähigkeit ex ante entwickeln. Sie decken dabei Interessen und Prioritäten zu einer Vielzahl von Materien ab, die sich über die gesamte Bandbreite der internationalen Klimapolitik erstrecken. Das schließt Emissionsreduktion, Klimafolgenanpassung sowie seit neuerem auch Schäden und Verluste und CO2-Entnahme ein. Dabei werden unterschiedliche Themen mitunter aus taktischen Erwägungen in den Verhandlungen gegeneinander ausgespielt – gerade in den politisch wichtigen Rahmenentscheidungen (Cover Decisions).40 Uneinigkeiten in einzelnen Themengebieten gefährden somit die gesamte Vereinbarung.
Plurilaterale Initiativen sind hingegen in der Regel auf bestimmte Politikbereiche oder Wirtschaftssektoren fokussiert.41 Das ermöglicht es, die Herausforderung der Emissionsreduktion in einzelne Aspekte aufzuspalten, innerhalb deren sich die beteiligten Akteure leichter wiederfinden.42 Je höher die technische und rechtliche Komplexität einer konkreten Kooperationsinitiative ist, desto lohnenswerter kann es somit sein, die Aushandlung in einen begrenzteren Kreis von Mitwirkenden auszulagern, die sich auf wenige Teilaspekte beschränken.43 Damit stellt sich einer der zentralen Nachteile plurilateraler Kooperationsformate gegenüber multilateralen Abkommen – nämlich der geringe Universalitätsgrad aufgrund einer kleineren Mitgliederzahl – als Stärke dar.
Plurilaterale Foren an sich stellen keine prinzipielle Lösung für bestehende politische Differenzen dar.
Auch in plurilateralen Prozessen werden jedoch häufig strittige Punkte durch vage Formulierungen im Vereinbarungsdokument ausgeklammert (Constructive Ambiguity). Das erleichtert zunächst die Einigung; wichtige Details sind damit allerdings erst noch auszuhandeln. Es schließen sich nachgeschaltete Verhandlungen an, die für die letztendliche Ausgestaltung der Kooperation entscheidend und somit nicht minder politisch aufgeladen sind. Plurilaterale Foren können prinzipiell den Verhandlungsprozess vereinfachen. Sie selbst stellen damit aber noch keine prinzipielle Lösung für bestehende politische Differenzen dar.
Implementierungsdynamik und Strahlkraft
Bei vielen plurilateralen Initiativen steht ein bestimmtes klimapolitisches Ziel im Mittelpunkt, dem sich die mitwirkenden Akteure verschreiben. So haben Dänemark und Costa Rica etwa auf der COP 26 in Glasgow die Beyond Oil and Gas Alliance ins Leben gerufen, der sich Staaten anschließen, die ihre Bereitschaft zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen bekunden wollen.44 Eine solche normative Bekräftigung der gemeinsamen Ambitionen und die Bereitstellung eines Rahmens, in dem über spezifische Instrumente konferiert wird, ist für sich genommen bereits eine wichtige Funktion plurilateraler Initiativen.45 Wird die Intention einer kritischen Masse einflussreicher Akteure glaubhaft signalisiert, kann das auf die Agenda auch im multilateralen Kontext zurückwirken. Plurilaterale Initiativen erfüllen zudem eine Koordinierungsfunktion, indem die Teilnehmer etwa eine engere Kooperation bei der Entwicklung, Implementierung und Finanzierung von Schlüsseltechnologien vereinbaren.46 Sie bieten so ein Forum zum Aushandeln spezifischer Policy-Lösungen und erlauben es, deren Tragfähigkeit praktisch zu demonstrieren.47 Sofern ökonomisch starke Staaten in der Initiative vertreten sind, lässt sich darüber hinaus auf positive Spillover-Effekte hoffen, indem andere Staaten diese Politiken übernehmen, vergleichbar mit dem Brüssel-Effekt.48
Das hauptsächliche Versprechen plurilateraler Formate besteht allerdings darin, dass in ihrem Rahmen nicht einfach neue Ziele vereinbart werden, sondern den beschlossenen Maßnahmen ein höheres Maß an Stringenz eigen ist, als es unter den Bedingungen multilateraler Verhandlungen realistischerweise erwartet werden könnte. Nicht unerheblich zur Debatte über diesen Aspekt beigetragen hat ein Aufsatz von William Nordhaus.49 Darin schlägt der US-amerikanische Ökonom vor, der Herausforderung kollektiven Handelns im Hinblick auf den Klimawandel durch die Einrichtung eines Clubs aus Vorreiterstaaten zu begegnen. Die Mitglieder würden dort gemeinsame Klimaschutzziele und entsprechende Maßnahmen zu deren Verwirklichung vereinbaren, insbesondere ein gemeinsames Emissionshandelssystem. Ein Grenzausgleichsmechanismus beim Handel mit Drittstaaten würde dann verhindern, das CO2-intensive Produkte substitutiv aus Ländern außerhalb des Clubs importiert werden.50 Gleichzeitig setzt dieser Mechanismus Anreize für nicht-kooperierende Staaten, von der ansonsten dominanten Strategie der Verweigerung abzuweichen, und wirkt so dem Trittbrettfahrerproblem in der internationalen Klimapolitik entgegen, also dem Problem, dass auch nicht-mitwirkende Akteure von den Klimaschutzmaßnahmen anderer profitieren.51 Im Idealfall entsteht durch die Anreize der Clubvorteile eine Positivsummenkaskade, in deren Verlauf sich immer mehr Länder der Initiative anschließen.52
Dabei stellen sich jedoch politisch heikle Fragen: Soll es Sanktionierungsmechanismen für den Fall der Nichterfüllung der Mitgliedsbedingungen geben? Wie wird die Differenzierung zwischen Mitgliedern entsprechend dem UNFCCC-Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten (Common But Differentiated Responsibilities, CBDR) gehandhabt? So sind in Bezug auf den Grenzausgleichsmechanismus des EU-Emissionshandelssystems (CBAM) beispielsweise Ausnahmen für Nicht-EU-Länder vorgesehen. Dabei wird kritisiert, dass wohlhabende Staaten darüber entscheiden, ob die Klimaschutzpolitik ärmerer Staaten für die Gewährung einer solchen Ausnahme hinreichend ist.53
Normative Initiativen, deren Mitglieder sich in der Hauptsache gemeinsamen Zielen verschreiben, sind politisch relativ einfach umsetzen.
Die erforderliche Kooperationstiefe, die eine solche Anreizdynamik überhaupt erst in Gang setzen kann, wirkt darüber hinaus auf die Einigungsfähigkeit zurück. Häufig sind Policy-Koordination und Policy-Wandel in einem Umfang erforderlich, der auch in kleineren Formaten keineswegs einfach zu bewältigen ist.54 Der Grund dafür kann zum Beispiel in den spezifischen sozioökonomischen Implikationen liegen, die die beschlossenen Vereinbarungen für die betroffenen Länder hätten;55 oder auch darin, dass die entsprechenden Mechanismen allein durch die Art ihres Zustandekommens in einem plurilateralen Forum auf eine geringere Akzeptanz in der Bevölkerung treffen.56 Normative Initiativen, deren Mitglieder sich in der Hauptsache gemeinsamen Zielen verschreiben, sind politisch relativ einfach umsetzen. Je mehr die Initiative jedoch transformativen Charakter entfalten soll, desto schwieriger wird die Einigung, auch unter vermeintlich gleichgesinnten Partnerländern.57 Dann droht, dass die Präzisierung der Details, die zur tatsächlichen Umsetzung des Vorhabens notwendig sind, aufgeschoben wird. Im Prozess der Aushandlung der Details müssen in solchen Fällen auch in kleineren Gruppen Kompromisse geschlossen werden, die im ungünstigen Fall den Zweck der Initiative verwässern – das heißt, sie reduzieren das angestrebte Ambitions- und Stringenzniveau, um die Einigungsfähigkeit zu erhalten. Die Notwendigkeit für Kompromisse beim Klimaschutz zu verringern, ist jedoch gerade die Kernidee plurilateraler Kooperation. Deren Ziel besteht in der Erweiterung des Möglichkeitenraums für ambitionierten Klimaschutz durch eine höhere Interessenhomogenität und eine geringere Anzahl an Vetoparteien.
Beispiele
Die Potentiale und Fallstricke plurilateraler Kooperation lassen sich anhand ausgewählter aktueller und historischer Beispiele verdeutlichen. Diese zeigen, welche Lehren sich für die klimadiplomatische Praxis insbesondere vor dem Hintergrund der gegenwärtigen politischen Herausforderungen ziehen lassen.
Global Methane Pledge
Methan (CH4) ist ein besonders potentes Treibhausgas, das vom Menschen vor allem bei der Gewinnung fossiler Brennstoffe sowie in der Land- und Abfallwirtschaft freigesetzt wird.58 Der Global Methane Pledge wurde von den USA und der Europäischen Union im Rahmen des Treffens des Major Economies Forum im September 2021 angekündigt und auf der COP 26 im November des Jahres in Glasgow ins Leben gerufen. Der Pakt hat das Ziel, den globalen Methanausstoß bis 2030 um mindestens 30 Prozent gegenüber 2020 zu senken.59
Am Global Methane Pledge zeigt sich die potentielle Niedrigschwelligkeit plurilateraler Kooperationsinitiativen. Als rein normativer Club60 setzt die Mitgliedschaft zunächst lediglich die Erklärung einer Regierung voraus, sich dem gemeinsamen Ziel zu verschreiben. Den Teilnehmern werden weder besondere Vorteile geboten, noch sind handfeste Sanktionen im Falle der Nichteinhaltung irgendwelcher Vorgaben vorgesehen. Aktuell sind 150 Länder dem Global Methane Pledge beigetreten.61 Einerseits lässt dies einen Mangel an potentieller Implementierungsdynamik vermuten; die Initiative erkauft ihre Strahlkraft im Sinne eines hohen Universalitätsgrads mit der Freiwilligkeit der Zielverpflichtung. Andererseits kann eben diese hohe Mitgliederzahl im Erfolgsfall auch den Kooperationsdruck auf andere Staaten erhöhen. China etwa hat noch auf der COP 15 in Kopenhagen 2009, aber auch darüber hinaus stets seinen Anspruch auf wirtschaftliche Entwicklung betont. Inzwischen ist es aber zunehmend bestrebt, sich in den internationalen Klimaschutzbemühungen als verantwortungsvoller Akteur zu zeigen.62 Vor diesem Hintergrund hat die hohe Mitgliederzahl des Global Methane Pledge, auch wenn China ihm nicht angehört, den Druck auf das Land erhöht, das Treibhausgas Methan in die Gemeinsame Erklärung mit den USA zum Glasgower Klimagipfel aufzunehmen.63
Eine Reihe weiterer Initiativen, die ebenfalls 2021 in Glasgow gestartet wurden, haben einen ähnlichen, vornehmlich normativen Charakter, wie etwa die Glasgow Declaration on Forests and Land Use64 oder die International Aviation Climate Ambition Coalition.65 Bei Initiativen dieser Art besteht grundsätzlich das Problem, dass es bei der normativen Zielvereinbarung bleibt und keine konkreten Einhaltungsanreize geschaffen werden. Sollten die ausgerufenen Ziele verfehlt werden und es im Wesentlichen bei Lippenbekenntnissen bleiben, würde das die ohnehin belastete Glaubwürdigkeit der internationalen Klimakooperation weiter verringern und die potentielle Signalwirkung, die mit solchen gemeinsamen Ambitionen verbunden sein könnte, ins Leere gehen lassen.
Mission Innovation
Die Mission Innovation ist eine der zahlreichen Initiativen, die ab 2015 im Fahrwasser des Pariser Abkommens entstanden sind. Sie umfasst mittlerweile 24 Mitglieder (23 Staaten und die Europäische Union), zu denen sowohl Industrie- als auch Entwicklungsländer zählen.66 Die Teilnehmer hatten sich in der ersten Runde der Initiative dem Ziel verschrieben, ihre Investitionen in die Erforschung und Entwicklung von Technologien zur klimafreundlichen Energieerzeugung bis 2020 zu verdoppeln. Anschließend trat Mission Innovation in eine zweite Phase. Insgesamt sollten in der ersten Runde die zur Verfügung gestellten Investitionen von circa 15 Milliarden US-Dollar im Jahre 2015 auf circa 30 Milliarden US-Dollar steigen.67 Dieses gesetzte Ziel wurde nicht erreicht, wobei es jedoch bedeutende Unterschiede zwischen den einzelnen Teilnehmern gab. Während die Mehrzahl der Mitgliedstaaten ihre Investitionen um 40 bis 60 Prozent erhöht haben, hat China seine Investitionen im vereinbarten Zeitraum von rund 4 auf etwa 8 Milliarden US-Dollar in der Tat verdoppelt.68
Die Mission Innovation zeichnet sich durch eine klare thematische Fokussierung und eine eindeutige, quantifizierte Zielvorgabe aus, die den Fortschritt unmittelbar sichtbar und überprüfbar macht. Allerdings verfügt sie, ganz ähnlich wie die Vielzahl der im Zuge der Glasgower Klimakonferenz entstandenen Initiativen, über keinerlei Compliance-Mechanismen, die die Einhaltung der gemachten Zusagen sicherstellen könnten.69 Gerade vor dem Hintergrund der Unterschiede in der Erfüllung der Vereinbarungen erscheint es daher fragwürdig, dass allein das freiwillige Bekenntnis zu den Zielen und der damit verbundene normative Druck auf die beteiligten Staaten die tatsächlich getätigten Investitionen erklären. Diese Zweifel verstärkt das Beispiel Chinas, zu dessen Mehrinvestitionen im fraglichen Zeitraum ganz gewiss auch das Wirtschaftswachstum und die industrie- und energiepolitische Bedeutung der Solaranlagenproduktion in der Volksrepublik70 beigetragen haben. Obschon kontrafaktisch, ist es nicht abwegig, dass sich Chinas beachtliche Investitionen in Technologien für Erneuerbare Energie auch ohne die Mitgliedschaft in der Mission Innovation ähnlich entwickelt hätten.
Diese, zugegeben nicht geringfügige, Einschränkung sollte jedoch nicht so verstanden werden, dass die Initiative als Fehlschlag zu betrachten ist. Das Beispiel der Mission Innovation verdeutlicht vielmehr auch die potentiellen positiven Nebeneffekte plurilateraler Initiativen, die zwar hinter dem Setzen ökonomischer Anreize zurückbleiben, dennoch aber deutlich über bloße Zielsetzung hinausgehen. Der Nutzen dabei besteht zwar – neben der Signalisierung klimapolitischen Ehrgeizes – in erster Linie in Koordination. Allerdings wurde diese Funktion gerade im Kontext der Mission Innovation als durchaus positiv wahrgenommen.71 Der regelmäßige Austausch zwischen verschiedenen Ländern, der hier stattfand, ermöglicht es, Lehren zu ziehen; etwa darüber, wie ein effektives institutionelles Design für Forschungsförderung aussehen muss oder welche Bedingungen für eine erfolgreiche Anstoßfinanzierung zur Mobilisierung privaten Kapitals gegeben sein müssen.72 Auf der anderen Seite ist die Mission Innovation wegen der fehlenden Durchsetzungsmechanismen eben nicht vor den Auswirkungen politischer Umwälzungen gefeit. So gab der vorübergehende Rückzug der USA aus der internationalen Klimakooperation unter Präsident Trump ab 2017 Beobachtern auch im Zusammenhang mit der Mission Innovation Anlass zur Sorge.73 Die Hoffnung, dass plurilaterale Formate derlei politische Dynamiken abzufedern vermögen, kann sich in einem reinem Koordinationsforum nicht erfüllen.
4 per 1000
Dass Koordinierung, Evaluation und Austausch im Rahmen plurilateraler Kooperationsinitiativen nicht zwangsläufig ein Nebenprodukt sind, veranschaulicht das Beispiel der Initiative 4 per 1000. Auch hierbei handelt es sich um eines der zahlreichen Formate, die 2015 im Zuge der COP 21 in Paris entstanden sind. Initiiert von der französischen Regierung, besteht der Zweck darin, die Kohlenstoffbindung in Böden (Soil Carbon Sequestration, SCS) vor allem durch Umstellungen in der landwirtschaftlichen Praxis um jährlich 0,4 Prozent (4‰, daher 4 per 1000) zu steigern, um so einen Teil des menschengemachten CO2-Ausstoßes zu kompensieren.74
Die Implementierung und insbesondere die Evaluierung des Fortschritts stellen zwar eine Herausforderung dar; zu diesem Zweck wurden eigens wissenschaftliche und technische Beratungsgremien eingerichtet.75 Grundsätzlich gereicht der Initiative aber eben ihre fokussierte Ausrichtung auf nur einen Teilaspekt negativer Emission zum Vorteil. Vom Anspruch her soll nicht mehr oder weniger geleistet werden, als Mandat und Design es erlauben.
Allerdings schränkt der technische Fokus auch die Reproduzierbarkeit des Profils dieser Initiative in anderen klimapolitischen Kooperationsformaten ein. Die Ziele von 4 per 1000 sind technisch ohne grundsätzliche Schwierigkeiten umsetzbar und der Einsatz dafür bringt für die teilnehmenden Staaten keine signifikanten ökonomischen Nachteile oder Risiken mit sich.76 Innerhalb der Initiative entwickelte Umsetzungs- und Evaluierungsmethoden haben also durchaus Strahlkraftpotential. Dem sehr grundsätzlichen Problem in der internationalen Klimakooperation, dass es in der Regel keine technischen, sondern politische Faktoren sind, die ambitionierterem Klimaschutz im Wege stehen, begegnen Initiativen wie 4 per 1000 aber nicht unmittelbar. Wo es Probleme auf Policy-Ebene gibt, die sich durch technischen Austausch und Koordination mildern lassen, können solche Initiativen helfen. Wo divergierende politische Interessen berührt werden, können sie von sich aus nicht signifikant zur Lösung beitragen.
G7-Klimaclub
Der Mitte 2022 im Rahmen der deutschen G7-Präsidentschaft beschlossene Klimaclub stellte ursprünglich den Versuch dar, eine plurilaterale Klimakooperation zu starten, die explizit über gemeinsame Zielerklärungen und Koordinierung hinausgeht. Eine Skizze dazu hatte die Bundesregierung schon 2021 veröffentlicht.77 Obschon die Kernideen in diesem ursprünglichen Entwurf nicht im Detail ausgearbeitet waren, ließen sich drei Prioritäten erkennen: Erstens war ein gemeinsamer Mindest-CO2-Preis vorgesehen. Zweitens sollten im Sinne des Nordhaus’schen Clubgedankens durch einen Grenzausgleichsmechanismus substitutive Importe aus Ländern ohne vergleichbaren CO2-Preis reduziert werden, um die bloße Verschiebung der Emissionen zu verhindern (Carbon Leakage), die Clubmitglieder vor Wettbewerbsnachteilen zu schützen und Kooperationsanreize für Nicht-Mitglieder zu setzen. Drittens sollten potentielle Partnerländer bei der Erfüllung der Mitgliedsbedingungen unterstützt werden.
Auf den ersten Blick erscheint die G7 ein erfolgversprechender Inkubator für ein solches Vorhaben zu sein, umfasst sie doch eine kleine, relativ homogene Gruppe wirtschaftsstarker Staaten. Dass ein expliziter CO2-Preis, etwa mittels eines Emissionshandelssystems, mit Ländern wie den USA78 oder Japan nicht zu vereinbaren sein würde, war jedoch von Beginn an abzusehen.79 Trotz solcher offensichtlichen Hindernisse und offenen Fragen hat das Kanzleramt die – bereits in der vergangenen Legislaturperiode durch das Bundesfinanzministerium initiierte – Clubidee politisch stark forciert und unbeirrt weiterverfolgt. Zwar signalisierten die G7-Partnerländer grundsätzlich Interesse an einer gemeinsamen klimapolitischen Plattform. Allerdings zeichnete sich schon auf den Ministerialtreffen im Vorfeld des G7-Gipfels im Juni 2022 auf Schloss Elmau ab, dass der Entwurf in dieser Fassung keinen breiten Rückhalt finden würde.80 Die Abstimmung mit den G7-Partnerländern in der Vorbereitung des Gipfels erwies sich also als unzureichend, und die Betitelung der Initiative als Club löste ebenfalls einige Irritationen aus.
Die Erweiterung des Mitgliederkreises ist zwar erklärtes Ziel des Clubs; genau dieser Punkt warf aber auch Fragen bezüglich der Clubvorteile und Mitgliedschaftsbedingungen auf. Der Club ging von einer Gruppe der weltweit reichsten Länder aus, und viele Entwicklungs- und Schwellenländer sehen CO2-Bepreisung grundsätzlich kritisch.81 Zudem ergibt sich aus der Offenheit ein konzeptionelles Dilemma: Ein Club bietet seinen Mitgliedern per Definition exklusive Vorteile. Will er gleichzeitig inklusiv und für alle offen zugänglich sein, läuft er Gefahr, seine inhärenten Vorzüge zu verlieren und somit die Attraktivität einer Mitgliedschaft.
Der Aushandlungsprozess im Vorlauf zum G7-Gipfel in Elmau hat zwar dank thematischer Flexibilität zu einer Einigung geführt; der Club besteht nunmehr aus drei Säulen: Policy-Koordination, industrielle Dekarbonisierung und Kooperation mit Drittländern (Outreach). Essentielle Details der Ausgestaltung dieser Säulen bleiben jedoch weiterhin ungeklärt. Über sie wird weiterhin beraten. Im Resultat ist der G7-Klimaclub, der ursprünglich als ambitionierte Transformationsinitiative konzipiert war, nun als »forum for discussion«82 in erster Linie ein Verhandlungsformat, dessen Potential für den Klimaschutz letztendlich offen ist. Ein hohes Maß an Flexibilität gehört zwar zu den Vorzügen plurilateraler Kooperation und kann positive Auswirkungen auf die Ownership der beteiligten Staaten haben. So kann die Ergebnisoffenheit für unentschlossene Länder die Schwelle zum Beitritt senken. Im Spektrum zwischen kleinen, aber ambitionierten Initiativen und größeren, aber klimapolitisch weniger umsetzungsstarken Initiativen verortet sich der Club allerdings mehr und mehr im Bereich der letzteren. Mit der frühen Aufnahme weiterer Mitglieder über die G7 hinaus hat sich der Club den Prozess seiner Präzisierung weiter erschwert. Dies nun mit einer größeren Zahl an Staaten aushandeln zu müssen, läuft dem Kerngedanken plurilateraler Initiativen zuwider, dass sich im kleinen Kreis leichter eine Einigung finden lässt.
Der G7-Klimaclub bleibt hinter den selbst viel zu hoch gesteckten Erwartungen zurück und hat dabei politisches Kapital in Anspruch genommen.
Die Einigung auf die Clubgründung als solche hat also Kompromisse zu Lasten des angepeilten Stringenzniveaus erfordert. Zwar könnte die inzwischen vorgesehene Koordination gemeinsamer Industriestandards angesichts der Wirtschaftskraft der G7-Staaten gegebenenfalls durchaus Strahlkraft auch über die Clubmitglieder hinaus entfalten. Jedoch bleibt die Initiative insgesamt hinter den selbst viel zu hoch gesteckten Erwartungen zurück und hat dabei politisches Kapital in Anspruch genommen. Die G7 ist darüber hinaus grundsätzlich ein Forum für den politischen Austausch; die institutionelle Verstetigung des Clubs stand also von Beginn an als Herausforderung im Raum. Nicht unbedeutend war dabei die Frage, inwieweit Japan, das 2023 die G7-Präsidentschaft von Deutschland übernahm, das Projekt Klimaclub weiterführen würde. In Anbetracht dieser Unsicherheit wurden die Rahmenvorgaben (Terms of Reference) eng aufbauend auf der Elmauer Erklärung vom Juli 2022 noch eilig im folgenden Dezember beschlossen.83 Auch dabei waren wiederum Verwässerungsprozesse zu erkennen. So war die Outreach-Säule, innerhalb deren der Club mit Drittstaaten kooperieren soll, gegenüber der Elmauer Erklärung von einem deutlich geringeren Grad an Verbindlichkeit gekennzeichnet.84 Tatsächlich hat Japan das Projekt nicht entschieden weitergetrieben, so dass die Bundesregierung die Fäden im Wesentlichen weiter in der Hand hält.
Club der Energiewendestaaten
Der Rückblick auf den Club der Energiewendestaaten zeigt, wie weit die Idee für solche Formate nicht nur in der akademischen Debatte, sondern auch in der politischen Praxis zurückreicht. Beim Energiewendeclub zeigen sich eine Reihe von Parallelen zum knapp zehn Jahre später gegründeten G7-Klimaclub. Beide sind aus einer Initiative Deutschlands hervorgegangen, waren Clubs nur im Sinne des Zusammenschlusses einer kleinen Gruppe (ohne dass den Mitgliedern unmittelbare Clubvorteile geboten würden) und sind in ihrem Profil (bislang) unscharf geblieben. Auch in Bezug auf den Energiewendeclub stand von Anfang an die Frage im Raum, inwieweit die Initiative im Vergleich zu bereits bestehenden Formaten einen Zusatznutzen bieten könnte.85
Der Club der Energiewendestaaten entstand 2013, ausgehend vom deutschen Bundesumweltministerium, das damals für multilaterale Klimaverhandlungen federführend war. Er sollte eine Plattform für die internationale Energiewende bieten, die in Deutschland auf nationaler Ebene bereits angestrebt wurde. Gegründet wurde der Energiewendeclub unter Teilnahme der EU-Mitglieder Dänemark, Frankreich, Deutschland und Vereinigtes Königreich; jenseits der EU traten ihm China, Indien, Marokko, Südafrika, Tonga und die Vereinigten Arabischen Emirate bei.86
Die vereinbarten Ziele des Clubs waren durchgehend vage.87 Konkrete Instrumente oder Clubvorteile wurden nicht spezifiziert. Auch die institutionelle Verankerung des Clubs war offen. Entsprechend bestand für China, Indien und Südafrika die Attraktivität der Mitgliedschaft vorrangig in der wirtschaftlichen Bedeutung der beteiligten EU-Staaten.88 Trotz zahlreicher Debattenbeiträge, in denen auf die Wichtigkeit einer ambitionierten Präzisierung des Designs der Initiative hingewiesen wurde,89 ist der Club nicht in einer Weise mit Leben gefüllt worden, die ihm nennenswerte und bleibende Bedeutung in der internationalen Klimakooperation eingebracht hätte. Ähnlich wie aktuell beim G7-Klimaclub hätte die Substanz des Clubs weiter geschärft und mit Inhalt gefüllt werden müssen, um es nicht bei einer vagen Absichtserklärung zu belassen.
Energiewendepartnerschaften
An den derzeit vieldiskutierten Partnerschaften für eine sozial gerechte Energiewende ( Just Energy Transition Partnerships, JETPs) zeigt sich die Vielfalt plurilateraler Kooperationsansätze in der klimapolitischen Praxis. Allein wegen der inhärenten Asymmetrie unter den Mitgliedern nehmen sie eine besondere Rolle ein. Ausgewählte Partnerländer werden in diesem Format von reicheren Ländern finanziell unterstützt, um bei der Energieerzeugung die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, insbesondere Kohle, zu verringern. Gleichzeitig soll denjenigen, die von den dazu notwendigen wirtschaftlichen Umstrukturierungen unmittelbar betroffen sind, soziale Absicherung zukommen (Just Transition90). Aus Sicht der Empfängerländer, deren Energiewirtschaft in der Regel besonders kohleintensiv ist, sichert dieses Arrangement Unterstützung bei einer politischen Kraftanstrengung und eröffnet perspektivisch einen dekarbonisierten ökonomischen Entwicklungspfad.91 Den Geberländern hingegen ermöglicht die Partnerschaft, Emissionsreduzierung dort umzusetzen, wo es besonders effizient ist, und dabei – auch in Übereinstimmung mit dem Prinzip unterschiedlicher Verantwortung und Kapazitäten92 – dazu beizutragen, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung wichtiger Schwellenländer kompatibel zu den Zielen des Pariser Abkommens gestaltet.93
Bislang sind vier solcher Energiepartnerschaften ins Leben gerufen worden, alle mit deutscher Beteiligung. Die JETP mit Südafrika, in deren Rahmen 8,5 Milliarden US-Dollar mobilisiert werden sollen, war eines der besonders herausragenden Resultate des Klimagipfels 2021 im schottischen Glasgow (COP 26).94 Beteiligt haben sich daran – neben Deutschland – Frankreich, das Vereinigte Königreich, die Vereinigten Staaten und die Europäische Union. Es folgte eine Partnerschaft mit Indonesien (20 Mrd. US-Dollar), die auf dem parallel zur COP 27 stattfindenden G20-Gipfel auf Bali angekündigt wurde. Hier übernehmen die USA und Japan eine koordinierende Funktion, darüber hinaus wirken die übrigen G7-Staaten sowie Dänemark und Norwegen an der Kooperation mit.95 Später wurde eine weitere Partnerschaft derselben Länder mit Vietnam vereinbart (15,5 Mrd. US-Dollar).96 Mitte 2023 folgte schließlich die Ankündigung einer Partnerschaft zwischen Senegal und Frankreich, Deutschland, der Europäischen Union, dem Vereinigten Königreich und Kanada (2,5 Mrd. US-Dollar).97 Der anfänglichen finanziellen Unterstützung von Seiten der Geber sollen sich, so die Erwartung, private Investitionen anschließen, die die Dekarbonisierung auch über den ersten Anschub hinaus voranbringen.98 Auf diese Weise sollen die Energiewendepartnerschaften eine fortlaufende Implementierungsdynamik entfalten.
Allerdings ist eine Energiewende ein komplexes Unterfangen.99 Auch wenn sich JETPs als bedeutsames neues Format in der ergebnisorientierten Klimakooperation zu etablieren scheinen, hat die Partnerschaft mit Südafrika als erste ihrer Art bereits einige Probleme offenbart. So hat sich auf nationaler Ebene gezeigt, dass einige Anspruchsgruppen die Abkehr von Kohle in der Stromproduktion kritisch sehen, weil sie Einbrüche bei den öffentlichen Einnahmen und bei Arbeitsplätzen befürchten.100 Ebendieser Problematik soll das Prinzip Just Transition entgegenwirken, das ein Kernelement dieser Partnerschaften ist. Um dabei erfolgreich zu sein, müssen JETPs auf die Situation in den jeweiligen Partnerländern zugeschnitten sein und etwa die lokalen Wirtschaftsstrukturen oder die technischen und rechtlichen Partikularitäten des jeweiligen Energiesystems berücksichtigen.101 Diese Herausforderungen dürften sich im Falle einer Partnerschaft mit Indien, die als Möglichkeit im Raum steht, aufgrund der Größe des Landes und seiner föderalen Struktur potenzieren.
Auch spiegeln sich in den JETPs allgemeine strukturelle und prozessuale Schwierigkeiten und Hindernisse in der internationalen Klimapolitik wider. So sind sie zwar explizit als Kooperationspartnerschaften auf Augenhöhe deklariert. Doch Interessenasymmetrien zwischen Geber- und Empfängerländern, wie sie in den politischen Prozessen im Rahmen der internationalen Klimafinanzierung häufig vorkommen, zeigen sich auch hier. Konkret geht es dabei im Falle der Partnerschaft mit Südafrika vor allem um die vorzuziehenden Finanzierungsinstrumente – Beihilfen oder vergünstigte Kredite.102 Derlei Fragen waren zunächst ausgeklammert worden. Zwar war es somit möglich, die Partnerschaft mit Südafrika als zentralen Erfolg im Zuge der COP 26 in Glasgow zu präsentieren. Die damit verbundenen Punkte müssen jedoch noch geklärt werden, wenn die Partnerschaft tatsächlich umgesetzt werden soll.
Implikationen für die klimadiplomatische Praxis
Wie der Blick auf aktuelle und vergangene Phasen des Plurilateralismus in der internationalen Klimapolitik zeigt, bedeutet allein die Gründung einer entsprechenden Kooperationsinitiative noch lange nicht, dass sich die damit verbundenen Erwartungen auch verwirklichen. Aus den Erfahrungen insbesondere der jüngeren Initiativen ergeben sich einige Implikationen für die diplomatische Praxis, die ganz besonders vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen und Entwicklungen beachtet werden sollten, damit plurilaterale Kooperation effektiv genutzt werden kann.
Glaubwürdigkeit und Priorisierung
Staaten, die im Klimaschutz vorangehen wollen, bieten allein dadurch anderen noch keinen Kooperationsanreiz.103 Wie die obigen Beispiele zeigen, bauen sich im politischen Prozess zur Aushandlung solcher Anreize in der Regel beachtliche Hürden auf. Kompromisse, mit denen diese überwunden werden sollen, drohen erfahrungsgemäß zu einer Verwässerung der Ziele und Instrumente zu führen und somit den ursprünglichen Gedanken dahinter, überhaupt auf ein kleines Format zu setzen, zu untergraben. In der Folge bleiben plurilaterale Initiativen in Bezug auf die Umsetzungsdynamik, die tatsächlich von ihnen ausgeht, oft hinter den Erwartungen zurück. In der Praxis zeigt sich, dass ihr Nutzen letztendlich eher in einer koordinierenden Funktion besteht und kein unmittelbares Momentum für eine Emissionsreduktion erzeugt wird.104
Es ist jedoch gerade eine Grundannahme im Hinblick auf plurilaterale Klimainitiativen, dass sie mangelnden Fortschritt wettmachen und geeignet sind, Maßnahmen zum Klimaschutz effektiv voranzutreiben. Wenn nun also insbesondere prominente Initiativen wie der G7-Club oder die JETPs deutlich hinter den Erwartungen und Ankündigungen zurückbleiben, dürfte sich dies negativ auf die Glaubwürdigkeit der Industrieländer in der internationalen Klimapolitik auswirken. Parallel gilt allerdings auch für Entwicklungs- und Schwellenländer, dass auf nationaler Ebene die politischen Voraussetzungen geschaffen werden müssen, um internationale Partnerschaften erfolgreich zu implementieren, wie jüngst das oben besprochene Beispiel der JETP mit Südafrika zeigt.105
Die Gründung neuer plurilateraler Initiativen allein ist nicht unbedingt ein Gewinn für die internationale Klimazusammenarbeit.
In Anbetracht dessen, dass Glaubwürdigkeit für den Erfolg plurilateraler Projekte essentiell ist, stellen sich Fragen hinsichtlich der Priorisierung klimadiplomatischer Bemühungen. Begrenzte institutionelle Kapazitäten werden üblicherweise als Problem ärmerer, vulnerabler Länder angesehen,106 etwa im Zusammenhang mit internationaler Klimafinanzierung.107 Aber auch in den Ministerien der Industrieländer sind Kapazitäten nicht unerschöpflich. Das gilt sowohl für die Koordination der Akteure, Institutionen und Prozesse auf nationaler Ebene als auch für die klimapolitischen Bemühungen auf diplomatischer Bühne. Delegationen bei den Klimaverhandlungen müssen – je nachdem wie sie personell ausgestattet sind und in welchem Umfang sie über die relevante technische Expertise verfügen – unter mehreren Themen und inhaltlichen Zuständigkeiten priorisieren.108 Neue plurilaterale Initiativen innerhalb der internationalen Klimakooperation lassen sich nicht verwirklichen, ohne auf ein hinreichendes Potential an solchen Kapazitäten zurückzugreifen. Ein Zuwachs an plurilateralen Initiativen ist somit an sich nicht automatisch ein Gewinn für die internationale Klimapolitik.
Bestehende Initiativen zu reformieren ist hingegen ein hochgradig politischer und langwieriger Prozess mit ungewissen Erfolgsaussichten.109 So gesehen mag vordergründig der Anreiz bestehen, eher ein neues plurilaterales Kooperationsprojekt zu gründen, anstatt ein bestehendes auszubauen und weiterzuentwickeln. Das Ausrufen einer neuen Initiative am Rande eines Klimagipfels, wie es insbesondere bei der COP 26 in Glasgow zu beobachten war, kann zudem als politischer Erfolg und als Beleg klimapolitischen Engagements dargestellt werden. Um gewährleisten zu können, dass neue Allianzen wirklich Bestand haben, muss allerdings bedacht werden, auf welchem institutionellen Gerüst sie aufbauen sollen und wie die erforderliche Ressourcenausstattung langfristig gesichert werden kann.
Vertrauen und Kommunikation
Vertrauen unter den kooperierenden Parteien, das über Verfahrenstransparenz und Compliance-Mechanismen hinausgeht, ist ein wichtiger Faktor in multilateralen Verhandlungsprozessen.110 Obschon die multilateralen UNFCCC-Verhandlungen träge und zäh sein können, haben sie den Vorzug, dass sie die Bildung von Vertrauen unter den beteiligten Akteuren erlauben, und zwar in einem Maß, das über formale Einhaltungsmechanismen hinausgeht.111 Dieses Vertrauen bringen neue Allianzen nicht per se mit sich. Um plurilateralen Initiativen zum Erfolg zu verhelfen und der drohenden Verschärfung des Glaubwürdigkeitsproblems zu begegnen, ist es darum essentiell, die Erwartungen von vornherein richtig zu bemessen und Partnerländern Angebote zu machen, die mit ihren Interessen und Prioritäten übereinstimmen.112 Dabei gilt es, auch die Wahrnehmung der eigenen Vorschläge auf Seiten der Partnerländer zu antizipieren. In der Skizze der Bundesregierung zum G7-Klimaclub etwa war der Ausgleich möglicher Wettbewerbsnachteile durch CO2-Bespreisung noch ein Kernelement (»Gewährleistung eines Level Playing Field«).113 Im Laufe des Prozesses wurde diese Formulierung allerdings gestrichen. Die Betonung der Vermeidung wirtschaftlicher Risiken für die G7-Staaten hätte in Anbetracht der erklärten klimapolitischen Ziele des Clubs aus Sicht von Drittländern stark eigennützig gewirkt.
Repräsentation und Legitimität
Die Einbeziehung und Berücksichtigung der Interessen der Entwicklungsländer ist essentiell für die Legitimität einer Führungsrolle in der internationalen Klimaschutzpolitik.114 Plurilaterale Initiativen müssen als komplementär zum multilateralen Prozess wahrgenommen werden, nicht als Konkurrenz dazu. Entwicklungsländer sind besonders stark vom Klimawandel betroffen. Sie haben mit Ausnahme großer Schwellenländer kumulativ aber nur wenig dazu beigetragen. Diese doppelte Ungleichheit mit inverser Verteilung von Risiko und Verantwortlichkeit115 wird noch dadurch verstärkt, dass ihre materielle Verhandlungsmasse relativ gering ist. Sie stehen damit vor dem grundsätzlichen Problem, als strukturell schwächere Partei mit stärkeren Parteien zu verhandeln.116 In der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass auch strukturell schwächere Verhandlungspartner die multilateralen UN-Klimaverhandlungen für sich nutzen können, indem sie beispielsweise Koalitionen formen oder gemeinsam Verhandlungskapazitäten aufbauen.117 Spielt nun der UNFCCC-Prozess angesichts der gestiegenen Bedeutung plurilateraler Initiativen künftig insbesondere in Fragen des Klimaschutzes (Mitigation) eine eher untergeordnete Rolle, bleiben vulnerablen Ländern die begrenzten, aber zumindest etablierten Teilhabemöglichkeiten dieses Prozesses ein Stück weit verwehrt. Ihre Interessen können sie nur in Formaten vertreten, denen sie auch angehören. Plurilaterale Initiativen können also, sofern sie zur Emissionsreduktion der größten Emittenten dienen, zwar einerseits dem UNFCCC-Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten (CBDR) Rechnung tragen. In dem Maße, in dem sich der Fokus in der internationalen Klimapolitik von den multilateralen Verhandlungen aber auf kleinere Zweckgemeinschaften verschiebt, drohen andererseits die Interessen besonders vulnerabler Länder weniger Aufmerksamkeit zu erhalten. Angedeutet hat sich die Problematik, dass Initiativen häufig von Ländern des globalen Nordens geprägt werden, bereits beim G7-Klimaclub118 und bei der Glasgow Breakthrough Agenda.119 Kernanliegen der vulnerablen Länder sind die Anpassung an Klimafolgen (Adaptation)120 und der Umgang mit Schäden und Verlusten (Loss and Damage),121 ein Thema, dem bei der COP 27 in Scharm El-Scheich eine Schlüsselrolle zukam.122 Entsprechend wird die Idee plurilateraler Initiativen unter Diplomaten mit Blick auf ihre Legitimität mitunter kritisch bewertet.123
Diese Legitimitätsproblematik droht, die oben diskutierte Frustration und den Vertrauensverlust auf Seiten vulnerabler Staaten noch zu verschärfen. Umso wichtiger ist es daher, das Verhältnis plurilateraler Initiativen zur Rahmenkonvention und den dort verankerten Prinzipien deutlich zu machen. Das Prinzip gemeinsamer aber unterschiedlicher Verantwortung und das Prinzip Country Ownership müssen gewahrt bleiben.124 Des Weiteren müssen Zusagen und Prozesse, die parallel zu den Bemühungen in der plurilateralen Klimadiplomatie im multilateralen Rahmen gemacht bzw. vereinbart worden sind, eingehalten werden. Das betrifft beispielsweise die Finanzierung im Bereich Schäden und Verluste (Loss and Damage Finance) oder die globale Bestandsaufnahme.125 Entscheidend ist, dass Kooperationsinitiativen aus dem globalen Norden nicht als exklusiv und konträr zu den Interessen von Ländern des globalen Südens angesehen werden.126
Fazit
Mit Blick auf die Entwicklungen in der internationalen Klimapolitik knüpft sich an plurilaterale Initiativen immer wieder die Hoffnung, dass mit ihnen bestehende Widerstände überwunden und die Implementierung der Pariser Klimaschutzziele effektiver vorangetrieben werden könnten. Zwar gibt es bei den Initiativen in der Praxis deutliche Unterschiede. In der Regel geht es aber um einen Dreischritt: Das kleinere Format aus Staaten, die im Klimaschutz vorangehen wollen, vereinfacht den Einigungsprozess gegenüber dem multilateralen Prozess deutlich. Diese günstigen Bedingungen erlauben es wiederum, ambitioniertere und stringentere Ziele und Maßnahmen zu vereinbaren. Im Idealfall entfalten sich so Anreize und Strahlkraft auch über die einzelne Initiative hinaus.
Obschon plurilaterale Klimakooperationen einen diplomatisch gangbaren Weg zu bieten scheinen, erfüllen sich die Verheißungen solcher Formate nicht automatisch. Im Verlaufe des Aushandlungsprozesses erweist es sich auch in kleineren Allianzen oft als schwierig, ambitioniertere Vorgaben und stringentere Instrumente durchzusetzen, was wiederum Auswirkungen auf ihr Strahlkraftpotential hat. Plurilaterale Kooperationsinitiativen können ein wichtiges Element bei der Umsetzung des Pariser Abkommens sein. Sie haben – im richtigen Kontext – ein höheres politisches Einigungspotential; sie sind aber kein Wundermittel, mit dem sich die politischen Herausforderungen in der internationalen Klimakooperation bewältigen lassen. Für die erfolgreiche Umsetzung solcher Initiativen ist es darum entscheidend, die prozessualen Schwierigkeiten und Hindernisse im Auge zu behalten, die es zu überwinden gilt, damit auch im Hinblick auf diesen Punkt mit gleichgesinnten Partnern innerhalb der Initiative Einigung erzielt werden kann.
Dabei ist zunächst zu bedenken, dass plurilaterale Kooperation nicht per se einen Bedeutungsverlust für den multilateralen Prozess bedeuten muss. Im Entwurf für die Struktur ihrer Klimaaußenpolitikstrategie, deren Erarbeitung in der zweiten Jahreshälfte 2023 abgeschlossen werden soll, hebt die Bundesregierung das Ziel, den Multilateralismus zu stärken, ausdrücklich hervor. Weder ist der Bundesregierung daran gelegen, ihr Engagement im multilateralen UN-Prozess zu reduzieren, noch wäre das zu empfehlen. Vielmehr sollten plurilaterale Initiativen immer als ergänzende Komponente verstanden werden. Die Frage, wie die multilaterale Zusammenarbeit effektiver gestaltet werden kann, wird dabei im Zuge der verstärkten Aufmerksamkeit für plurilaterale Kooperationsformen an Bedeutung gewinnen. In diesem Zusammenhang ist es weiterhin essentiell, die Interessen von Partnerländern vor allem aus dem Globalen Süden im Blick zu behalten, auch derjenigen, mit denen man auf plurilateraler Ebene nicht gleichermaßen intensiv kooperiert. Damit sich neue Allianzen wie die Energiewendepartnerschaften als sowohl effektiver und gleichermaßen als politisch gangbarer Weg in der internationalen Klimakooperation etablieren können, kommt es darauf an, dass vulnerable Entwicklungsländer nicht den Eindruck gewinnen, sie erhielten mangels eines zu dekarbonisierenden kohlebasierten Energiesystems oder mangels ihrer globalstrategischen oder energiepolitischen Bedeutung keine weitergehende Unterstützung von Seiten der Industrieländer.
Die deutsche und europäische Klimadiplomatie sollte sich auf Initiativen konzentrieren, die thematisch fokussiert genug sind, um in ihrem spezifischen Rahmen die Vorzüge plurilateraler Kooperation verwirklichen zu können. Oft besteht im kleineren Format mit einer geringeren Anzahl an Mitgliedern eine größere Aussicht darauf, die Implementierung des Pariser Abkommens ein Stück weit losgelöst von den strukturellen und akuten Herausforderungen in der internationalen Klimapolitik vorantreiben zu können. Die bisherige Erfahrung mit dem G7-Klimaclub, aber auch die mit dem Club der Energiewendepartnerschaften leitet zu der Erkenntnis, dass Ambition und Stringenz einerseits und Offenheit und hohe Teilnehmerzahl andererseits einander zuwiderlaufen. Initiativen mit breiter Mitgliedschaft, wie der Global Methane Pledge oder die Mission Innovation, können mit gemeinsamen Zielerklärungen zwar durchaus eine wichtige Signalwirkung entfalten und im richtigen Kontext zur effektiveren Koordination zwischen den Mitgliedern beitragen. Diese Vorzüge werden allerdings unterminiert, wenn deutlich wird, dass die Ziele – ohne Konsequenzen für die Mitgliedstaaten – nicht eingehalten werden. Solche Entwicklungen würden die heraufziehende Glaubwürdigkeitskrise in der internationalen Klimapolitik vor dem Hintergrund der Erfüllungslücken bei der Emissionsreduktion noch weiter verstärken.
Abkürzungen
BMF Bundesministerium der Finanzen
BMU Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
CBAM Carbon Border Adjustment Mechanism
CBDR Common But Differentiated Responsibilities
COP Conference of the Parties
G7 Group of Seven
IDOS German Institute of Development and Sustainability
IPCC Intergovernmental Panel on Climate Change
JETP Just Energy Transition Partnership
NDCs Nationally Determined Contributions
OECD Organisation for Economic Co-operation and Development
SCS Soil Carbon Sequestration
UNEP United Nations Environment Programme
UNFCCC United Nations Framework Convention on Climate Change
WBGU Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen
Endnoten
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In der Literatur seinerzeit diskutiert unter Schlagwörtern wie Bausteinansatz (Falkner u.a., »International Climate Policy after Copenhagen« [wie Fn. 2]), Regime-Komplex (Keohane / Victor, »The Regime Complex for Climate Change« [wie Fn. 1]), Minilateralismus (Eckersley, »Moving Forward in the Climate Negotiations« [wie Fn. 2) oder, insbesondere in der Literatur zu globaler Nachhaltigkeitspolitik, Polyzentrismus (Victor Galaz u.a., »Polycentric Systems and Interacting Planetary Boundaries — Emerging Governance of Climate Change–Ocean Acidification–Marine Biodiversity«, in: Ecological Economics, 81 (2012), S. 21–32).
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Auch wenn die Differenzierung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern die Heterogenität innerhalb dieser Ländergruppen mit Blick auf Wirtschaftskraft und Treibhausgasemissionen keinesfalls abbildet, ist sie nicht nur nach wie vor institutionell in der UN-Klimarahmenkonvention verankert, was sich zum Beispiel in der Besetzung von Gremien widerspiegelt, sondern bestimmt auch häufig die zentralen Konfliktlinien.
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