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Gesundheitsgovernance und Geopolitik

Wie Deutschland trotz wachsender geopolitischer Spannungen zu einer neuen Gesundheitsarchitektur nach Covid-19 beitragen kann

SWP-Aktuell 2023/A 62, 07.12.2023, 4 Seiten

doi:10.18449/2023A62

Forschungsgebiete

Im Aufbau einer neuen globalen Gesundheitsarchitektur nach der Covid-19-Pandemie stehen wichtige Weichenstellungen an, insbesondere bei der Verhandlung des Pande­mie­abkommens und der Schaffung robuster Lieferketten. Vor dem Hintergrund ihrer systemischen Rivalität betrachten die USA und China globale Gesundheitspolitik als Feld geopolitischer Konkurrenz. Das gefährdet die Umsetzung der Lehren aus der Covid-19-Pandemie und den Schutz menschlicher Gesundheit. Für Deutschland stellt sich die Frage, inwieweit es seinen multilateralen Ansatz in der globalen Gesundheits­politik anpassen muss, um auf die zunehmenden geopolitischen Spannun­gen zu ant­worten. Dazu empfiehlt es sich, unabhängige Gestaltungsmacht zu ent­wickeln und gleichzeitig ein verlässlicher, multilateraler Partner zu sein.

Die laufenden Verhandlungen zur Ver­abschiedung eines Abkommens zur Prä­ven­tion, Vorsorge und Bekämpfung von Pan­demien (»Pandemieabkommen«) und zur Reform der Internationalen Gesund­heits­vorschriften (IGV) sind Ausdruck der inter­nationalen Bemühungen, eine robus­te internationale Gesund­heitsarchitektur zu erschaffen. Deren Hauptziel ist die effektive Bekämpfung von Gesundheitsgefahren mittels schneller und transparenter Kom­munikation sowie funktionierender Ko­operation zwischen Staaten. Angesichts wachsender geopolitischer Spannungen wird eine solche offene Koopera­tion – insbesondere im Krisenfall – im Vergleich zu 2021, als die Verhandlungen zum Pandemieabkommen begannen, zunehmend unwahrscheinlicher.

»Geopolitische Spannungen« meint in diesem Kontext die Zunahme zwischenstaatlicher Kon­flikte, die sich aus konkurrierenden Machtansprüchen und Ein­fluss­zonen ergeben. Geopolitisches Han­deln ist gekennzeichnet durch den Einsatz von Ressourcen mit dem Ziel, nationale Eigen­inter­essen durchzusetzen und den eigenen poli­tischen Einfluss auszuweiten.

Dergleichen ist bereits in den Verhandlun­gen zum Pandemieabkom­men zu be­ob­ach­ten: China und Russland, aber auch die USA lehnen es ab, dass das Abkommen Trans­parenz- und Berichtspflichten gegen­über der Welt­gesund­heits­organisa­tion (WHO) und anderen Vertragsparteien ent­hält, sowohl zu Krankheitsausbrüchen als auch zu öffent­lichen Investitio­nen in nötige medizinische Güter sowie zu deren Beschaffung.

Geopolitische Komponenten lassen sich ebenfalls im Handel mit medi­zi­nischen Gütern und im Umgang mit medizinischen Lieferketten ausmachen. Schon während der Covid-19-Pande­mie hat zum Beispiel China den Handel mit Medizinprodukten genutzt, um natio­nale Interessen in ande­ren Politik­feldern zu verfolgen und seine Einflusssphäre zu vergrößern. Gerade im Bereich Gesundheit kann ein solches Vor­gehen weit­reichende und negative Kon­sequenzen für die globale Bevölkerung haben. Es ist daher nicht überraschend, dass das Thema globale Gesundheit lange aus geopolitischen Riva­litäten ausgeklammert wurde und sogar die USA und die Sowjetunion auf diesem Gebiet kooperierten.

Für die deutsche Außenpolitik stellt sich angesichts dieser Entwicklungen die Frage, wie sie auf die geopolitischen Auswüchse globaler Gesund­heitsgovernance und bei medi­zinischen Liefer­ketten reagieren und sie mit dem deut­schen Ansatz des multi­lateralen Handelns ver­einbaren kann. Ein Gelingen ist möglich, wenn Deutschland erstens ver­meidet, die Gesundheits­gover­nance uni­lateral zu instrumentalisieren, um eigene geopolitische Ziele zu erreichen, und zwei­tens das geopolitische und unilate­rale Han­deln anderer Staaten anti­zipiert.

Gesundheitsstrategie der USA

Mit Ausnahme der Zeit unter Präsident Trump, als sie sich von der WHO abkehrten, waren die USA stets führender Akteur in der glo­balen Gesundheitspolitik. Dies zeigt auch die Nationale Sicherheitsstrategie der Biden-Administration, indem sie Bezüge zur glo­balen Gesundheitspolitik herstellt. Die Sicherheitsstrategie betont die Zusammenarbeit mit »like-minded part­ners« in Gesund­heitsfragen und kritisiert Chinas Verhalten während der Covid‑19-Pandemie. Zudem unterstreicht sie die Rolle der USA als Geld­geber für die WHO und den Pan­demic Fund sowie als Träger des 2003 initi­ierten U.S. President’s Emergency Plan for AIDS Relief (PEPFAR). All dies ist Ausdruck des aus­geprägten US-Gestaltungs­willens.

Bekräftigt wird er durch die im August 2023 erfolgte Zusammenführung verschiedener bestehender Stellen im Bureau of Global Health Security and Diplo­macy (»das Büro«), das im Außen­ministerium angesiedelt ist. Der Leiter dieses Büros bezeichnet globale Gesundheits­sicherheitGlobal Health Security«) als »Schlüssel­element« ame­rikanischer Außen­politik. Schwerpunkt­mäßig mit Gesundheits­diplo­matie beschäf­tigen sich außer­dem zwei neue Abteilungen: das Office of Health Diplo­macy and Capacity Development und das Office of Regional and Multi­lateral Diplo­macy, die beide dem Büro angegliedert sind. Ge­sund­heits­diplo­matie wird also als notwendig angesehen, um neue Allian­zen in der Gesundheitsgovernance zu schaffen.

Mit einem Volumen von fast 7 Milliar­den US-Dollar im Jahr 2023 ist PEPFAR das um­fangreichste Programm des Büros. In der Debatte um die Verlängerung des Programms wird unter anderem hervorgehoben, dass es »Soft Power«-Implikationen habe und eine wich­tige Rolle auf dem afrika­nischen Konti­nent spiele, zumal China dort über Gesund­heits­diplomatie seinen Ein­fluss ausbaue. Der­zeit ist jedoch fraglich, ob das Büro die nöti­gen finanziellen Mittel für die kom­men­den Jahre erhalten wird. Dies gilt umso mehr, als eine erneute republika­nische Prä­si­dent­schaft die globale Gesund­heits­poli­tik wahr­scheinlich verändern würde. Viele kon­ser­va­tive Republika­ner plä­die­ren dafür, Kon­di­tio­nali­täten bei der Finanzierung von PEPFAR einzuführen und Einrichtungen aus­zu­schlie­ßen, die zu Abtrei­bungen bera­ten oder diese vornehmen. Somit wird das Thema Gesund­heit nicht nur aufgrund sys­te­mi­scher Riva­lität auf globaler Ebene politisiert, sondern auch innenpolitisch instru­mentalisiert.

Fazit: Obwohl die Bemühungen der USA zunehmend durch innenpolitische Kon­flikte und damit einhergehende Kondi­tio­na­litäten geprägt sind, wird eines deutlich: Die USA nutzen die globale Gesundheits­politik, um ihre geo­politische Einflusssphäre etwa in Kon­kur­renz mit China auszuweiten und auf diplo­matischem Weg Allianzen zu schmie­den, um Gesundheits­gefahren ge­mein­sam zu bekämpfen.

Chinas globale Rolle

Bereits vor der Covid-19-Pandemie hat China im Rahmen der »Belt and Road Initia­tive« (BRI) in Gesundheitsfragen mit Län­dern des glo­balen Südens zusammengearbeitet. Diese Kooperation wurde während der Pan­demie im Rahmen der Masken- und Impf­stoff­diplomatie intensiviert. Der Ansatz der chinesischen Regierung unter­scheidet sich insofern von dem der USA, als die Ach­tung der nationalen Souveränität als Eck­pfeiler in der chinesischen Initiative zur Globalen Sicherheit verankert wurde. Das bedeutet, ausländische Regierungen, die Hilfe aus China erhalten, bleiben ver­ant­wort­lich für Entscheidungen über ihre Gesundheitspolitik. Daher sind Kon­ditio­nali­täten in Chinas Globaler Sicher­heits­initia­tive ebenso wie in seiner Gesund­heits­diplo­matie nicht ge­geben.

Vor allem im Bereich Impfstoffe gegen Covid-19 ist China damit in eine Lücke gestoßen, die Länder des globalen Nordens durch »Impfnationalismus« gerissen haben. Des Weiteren etabliert sich China in den Verhandlungen zum Pandemieabkommen zum Fürsprecher von Ländern des globalen Südens, insbesondere wenn es um Patent­rechte und einen gerechten Vorteilsausgleich für das Teilen genetischer Ressourcen von Pathogenen geht. Es steht zu vermuten, dass China im Gegen­zug darauf hofft, dass diese Länder es bei der Durchsetzung seiner Interessen unterstützen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich auch in der chinesischen Gesund­heitspolitik das geopolitische Streben des Landes ausdrückt. Einerseits vergrößert China durch den Han­del mit medizinischen Gütern seine Einflusssphäre, andererseits geht es neue Allianzen mit Ländern des globalen Südens ein.

Deutschlands Ansatz

Die Aufnahme des Themas Prävention und Be­kämp­fung von Pandemien in die Natio­nale Sicherheitsstrategie zeigt, dass die Bundes­regierung die Bedeutung globaler Gesundheitspolitik für die nationale Sicher­heit erkannt hat und darüber hinaus als sicherheitspolitische Aufgabe betrachtet.

Unter geopolitischen Gesichtspunkten thematisiert die Sicherheitsstrategie aller­dings aus­schließlich Importabhängigkeiten bei medi­zinischen Produkten. Der Fokus liegt hier auf der Diversifizierung von Liefer­ketten im Sinne eines »de-risk­ing«. Es fehlen weitergehende Überlegungen zu einer möglichen bi- und multilateralen dip­lomatischen Einwir­kung auf Staaten, die den deutschen Ein­fluss stärken sowie Ko­ope­ration und Trans­parenz in der Früh­erkennung und Präven­tion von Gesundheits­gefahren verbessern dürfte. Die Not­wen­dig­keit solcher Ansätze wird indes nur zu deut­lich, denkt man an die mangelnde Trans­parenz Chinas in allen Phasen der Covid-19-Pandemie.

Die China-Strategie der Bundesregierung benennt das Problem mangelnder Kooperation konkret, indem sie die grundsätzlichen Transparenzpflichten von WHO-Mitglied­staaten betont. Dies bezieht sich klar auf die Intransparenz Chinas im Um­gang mit Covid-19. Explizit behandelt werden zudem die wirtschaftlichen Ver­flechtungen bei medizinischen Gütern. Dies korrespondiert mit dem in der Sicher­heits­strategie erwähn­ten »de-risking«.

Obwohl die China-Strategie der Bundesregierung China auch als Rivalen versteht und Gesund­heitsthemen in diesen Kontext stellt, dominiert in dem Dokument nach wie vor der multi­laterale Ansatz deutscher Außen- und Sicher­heitspolitik. Die gene­relle Stoß­richtung der Nationalen Sicherheits- wie der China-Strategie sind Kooperation und Koordination, auch mit »schwie­rigen« Partnern. Beide Strategien gehen jedoch nicht darauf ein, wie die Bun­des­regierung damit um­gehen will, wenn Staa­ten wie China, Indien oder Russland in Gesundheitsfragen uni­lateral agieren oder den Handel mit medizinischen Gütern so­wie die globale Gesundheitspolitik dafür nut­zen, ihre geopolitischen Interessen zu ver­folgen.

Aufgrund der Erfahrungen aus der Covid-19-Pandemie und mit Blick auf die aktuelle geopolitische Lage sollte Deutsch­land allerdings damit rechnen, dass andere Staaten globale Gesundheitspolitik zuneh­mend als Feld geopolitischer Konkurrenz ansehen und als außenpolitisches Instru­ment einsetzen.

Möglicher deutscher Weg

Deutschland sollte angesichts der sich ver­ändernden geopolitischen Lage globale Gesundheit stärker als außen- und sicher­heitspolitisches Themenfeld begreifen. Hier­bei ist zu berücksichtigen, dass es nicht zu einem »de-coupling« von anderen Staa­ten kom­men darf. Dieses würde die multi­late­rale Bekämpfung von Gesundheits­gefahren erheblich erschweren und der Schaffung einer robusten globalen Gesund­heitsarchi­tektur zuwider­laufen.

Ungeachtet dessen gefährden geo­poli­ti­sche Rivalitäten zunehmend die Verbesserung der globalen Gesund­heits­architektur. Während also die Bundes­regierung um multilaterales Handeln bemüht sein muss, wird Deutschland es nicht vermeiden kön­nen, dass manche Akteure etwa die Liefe­rung von Impfstoffen an Länder des glo­ba­len Südens als außenpolitisches Werk­zeug gebrauchen oder in der Bekämpfung von Krankheitsaus­brüchen nicht transparent zusammen­arbeiten.

Ein möglicher deutscher Weg wäre, die bei medizinischen Liefer­ketten bereits an­gewandte »de-risking«-Strategie auf weitere Bereiche globaler Gesundheits­politik zu übertragen. Auf diese Weise könnte Deutsch­land unabhängige Gestaltungs­macht ent­wickeln. Die Bundesregierung sollte daher Strategien für den Fall erarbeiten, dass sich Staaten bei der gemeinsamen Bekämpfung von Gesundheitsbedrohungen unkooperativ zeigen oder ihre globalen Bemühungen besonders für unilaterale Zwecke instru­mentalisieren bzw. zur Verfolgung geo­poli­tischer Interessen nutzen.

Konkret kann das multilaterale Handeln Deutschlands um drei Aspekte erweitert wer­den: Erstens ist zu empfehlen, das Pandemie­abkom­men und die IGV-Reform (die beide 2024 abgeschlossen werden sollen) sowie eine an den US-Ansatz ange­lehnte Gesundheits­diplomatie dazu zu verwenden, eine breite Allianz von Staaten zu etablieren. Diese Allianz sollte sich auf ein geteil­tes Verständnis von globaler Gesundheitsgover­nance gründen und viele Staaten aus dem globalen Süden um­fassen. Zweitens wäre wünschenswert, dass Deutsch­land keine oder nur wenige Bedin­gungen an inter­natio­nale Gesundheitsprogramme knüpft und in der »Global Gate­way«-Initia­tive der Europäischen Union (EU) auf den Verzicht solcher Kondi­tionen hin­wirkt. Indem es beim Export medi­zi­ni­scher Güter Länder wie Äthiopien, Kambodscha oder Mosambik bevorzugt behandelt, könnte Deutschland dem chine­sischen Einfluss entgegentreten. Drittens sollte Deutschland, wenn es medi­zini­sche Güter exportiert oder Pro­gramme initiiert, zwar das geopolitische Han­deln anderer Akteure im Blick haben und prakti­kable Alternativen bieten, die seinen Part­nern mehr Vorteile bringen als die­jenigen anderer Akteure. Trotz­dem gilt es, geopoli­tische Spannungen von den Bemü­hungen, eine neue glo­bale Gesundheitsarchitektur aufzubauen, fern­zuhalten – wie es in der Ver­gangenheit und vor allem auch zu Be­ginn der Verhandlungen gelang.

Nicht zuletzt kommt der EU große Bedeu­tung zu, die in der »Global Health Strategy« ihre außen­politische Gesundheits­agenda formuliert hat. Diese berücksichtigt geo­poli­tische Aspekte bisher ebenfalls (zu) wenig. Die Ausnahme bilden auch hier pharmazeutische Import­abhängig­keiten. Die EU sucht sie durch Pro­duktionsverlage­rung in die EU sowie durch Bevorratung anzugehen. Entsprechend den Ausführungen in der deutschen Sicherheits­stra­tegie sollte aber ebenso auf EU-Ebene eine Diver­sifi­zie­rung von Lieferketten das Ziel sein.

Dr. Michael Bayerlein ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe EU / Europa. Dr. Pedro A. Villarreal ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Globale Fragen. Sie arbeiten im Projekt »Die globale und europäische Gesundheitsgovernance in der Krise«, das vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) gefördert wird.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2023

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