Seit 2020 die Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung veröffentlicht wurden, hat die deutsche Politik wichtige Fortschritte dabei erzielt, die Beziehungen mit bestehenden und neuen Partnern in der indopazifischen Region zu vertiefen. Der diesjährige Fortschrittsbericht zu den Leitlinien nimmt erstmals eine geostrategische Perspektive ein, denn er verknüpft gegenwärtige außen- und sicherheitspolitische Entwicklungen mit den deutschen Zielen in der Region. Nun gilt es, diesen geostrategischen Ansatz weiter zu verfolgen. Die Bundesregierung sollte die künftige Umsetzung der Leitlinien in Einklang mit der von ihr angekündigten China-Strategie bringen und sich zudem mit einschlägigen regionalen Partnern abstimmen.
Ein wichtiger Wegweiser, um die gegenwärtige Asien- (und China-)Politik der Bundesregierung zu verstehen, ist der Fortschrittsbericht zur Umsetzung der deutschen Indo-Pazifik-Leitlinien. Er ist nunmehr zum zweiten Mal erschienen, seit die Leitlinien im September 2020 vorgelegt wurden. Der jährliche Fortschrittsbericht soll im Kern beantworten, wie die Leitlinien bislang umgesetzt wurden. Diesmal widmet sich der Report allerdings auch der Frage, wohin Deutschland in der Region strebt.
Im aktuellen Fortschrittsbericht findet sich anders als 2021 ein Vorwort. Es enthält eine Bestandsaufnahme der Herausforderungen für die regelbasierte Weltordnung, wie sie durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine entstanden sind. Neu ist auch, dass in dem Papier betont wird, »dass in der Straße von Taiwan eine Veränderung des Status quo nur friedlich und im gegenseitigen Einvernehmen erfolgen kann«. In den Leitlinien selbst (und auch im ersten Fortschrittsbericht) wurde Taiwan nicht erwähnt, anders als in der Indo-Pazifik-Strategie der EU von September 2021. Schließlich benennt der jetzige Bericht auch Ozeanien – den »blauen Kontinent« – erstmals als eigenes Gebiet.
Erkennbar ist das Dokument darauf angelegt, eine geostrategische Perspektive einzunehmen, was ebenfalls innovativ ist. Das Papier verknüpft gegenwärtige außen- und sicherheitspolitische Entwicklungen mit den deutschen Zielen im Indo-Pazifik. Die Berliner Regierungsparteien hatten im Koalitionsvertrag von Ende 2021 nicht nur das Engagement der Bundesrepublik in dieser Region betont, sondern auch angekündigt, erstmals eine deutsche China-Strategie ausarbeiten zu wollen. Diese dürfte wohl vor Jahresmitte 2023 veröffentlicht werden. Daher stellt sich die Frage, welche Folgerungen sich für die Leitlinien aus der Strategie zur Volksrepublik ergeben werden. Die zweite zentrale Frage gilt dem künftigen Handeln der Bundesregierung gegenüber anderen indopazifischen Partnern.
Chinas Rolle in den Leitlinien
Die Indo-Pazifik-Leitlinien bleiben vage, was die Rolle Chinas in der Region angeht. Sie sprechen von »Inklusivität« im Sinne von inklusiver regionaler Zusammenarbeit. Dies entspricht etwa auch dem offiziellen Selbstbild von ASEAN. Der Verband Südostasiatischer Nationen betont den Vorrang von Inklusivität und Kooperation gegenüber Rivalität und grenzt sich bewusst ab vom US-Narrativ, das sich gegen Chinas hegemoniale Ansprüche in Asien richtet. Dessen ungeachtet war es die deutsche Wahrnehmung, dass sich Chinas Außen- und Sicherheitspolitik verändere, die noch während der Kanzlerschaft Angela Merkels den Anstoß zur Formulierung einer Indo-Pazifik-Strategie gab. Der Aufstieg der Volksrepublik unter Staats- und Parteichef Xi Jinping wurde zum Katalysator für geopolitische Spannungen, die zunehmend die regelbasierte internationale Ordnung und die regionale Sicherheit in Frage stellen. In diesem Kontext galten aus Berliner Sicht auch deutsche Interessen im Indo-Pazifik als gefährdet. Die neue Bundesregierung teilt diese Einschätzung. Da sie immer weniger Einwirkungsmöglichkeiten in Peking selbst zu haben scheint, prüft sie nun, wie das Umfeld Chinas stärker beeinflusst werden könnte.
Entsprechend argwöhnisch blickt China auf die neuen strategischen Ansätze der Bundesregierung. Ein deutliches Signal war etwa, dass Peking sich weigerte, die deutsche Fregatte »Bayern« in einem chinesischen Hafen anlegen zu lassen, als diese von August 2021 bis Februar 2022 den Indo-Pazifik durchquerte. Im chinesischen Diskurs, wie ihn Medien oder Thinktanks des Landes führen, sieht man die regionalen Ambitionen Deutschlands meist als Folge der von Washington angeführten Bestrebungen, Chinas Aufstieg einzudämmen.
Tatsächlich aber ist der Fokus der deutschen Politik gegenüber China noch undeutlich. Die Bundesregierung zeigt sich zwar immer besorgter wegen Pekings wachsendem Einfluss im Indo-Pazifik, doch zugleich betont sie stets, dass ihr zunehmendes Engagement in der Region nicht gegen China gerichtet sei. Deutschland vollführt erkennbar einen strategischen Balanceakt, insbesondere seit es auch militärisch Flagge an der Seite jener Partner zu zeigen versucht, die im indopazifischen Raum ihre Fähigkeiten zur Machtprojektion gegenüber China zielstrebig erhöhen. Nachdem die deutsche Marine mit der »Bayern« erstmals seit zwei Jahrzehnten eine Fregatte durch den Indo-Pazifik geschickt hatte, verlegte die deutsche Luftwaffe im August 2022 – als operative Premiere – 13 Militärflugzeuge in die Region. Die sogenannte »Rapid Pacific 2022«-Maßnahme hatte zum Ziel, die Maschinen innerhalb von 24 Stunden in den indopazifischen Raum zu bringen. In diesem Rahmen beteiligte sich die Luftwaffe im September mit Übungen an »Pitch Black«, dem größten Luftwaffenmanöver Australiens, an dem 16 weitere Staaten (darunter Indien, Indonesien, Japan, Südkorea, die USA und Frankreich) teilnahmen.
»Rapid Pacific 2022« hatte unzweideutig geostrategische Zielsetzungen, denn die Aktion signalisierte, dass Deutschland auch angesichts der sicherheitspolitischen Herausforderungen in Europa, die dem russischen Angriffskrieg geschuldet sind, im Indo-Pazifik militärisch schnell präsent sein kann. Zugleich ließ Deutschland erkennen, dass sich die Anwesenheit der Bundeswehr nicht gegen China richtete. So durchquerte weder die deutsche Marine noch die Luftwaffe vor Ort die Taiwan-Straße. Deutschland lässt in seiner Indo-Pazifik-Politik bislang also immer auch Rücksichtnahme auf chinesische Empfindlichkeiten – wie im Streit um die Insel – walten.
Für regionale Beobachter steht daher die Frage im Vordergrund, inwieweit die deutsche Politik bei ihrer Schwerpunktverlagerung in den Indo-Pazifik die eigenen Beziehungen zu Peking neu bewertet – und damit auch, was die Region von der Berliner China-Politik zu erwarten hat.
Die deutschen Leitlinien aus Sicht der Region
Dass die Bundesregierung den Austausch mit indopazifischen Partnern jenseits von China zu stärken sucht, wurde besonders von Staaten begrüßt, die schon Bündnisse institutionalisiert haben, um Pekings Expansionsstreben in der Region einzuhegen. Dies gilt etwa für Japan oder Australien (das mit den USA und Großbritannien den AUKUS-Pakt abgeschlossen hat). Auf seiner ersten Asienreise im April 2022 besuchte Bundeskanzler Olaf Scholz nicht China, sondern Japan, was als Signal einer stärkeren Hinwendung Berlins zu regionalen Wertepartnern verstanden wurde. In Tokio vereinbarte Scholz regelmäßige Regierungskonsultationen ab dem Jahr 2023 – ein Format, das Deutschland mit China bereits seit 2011 unterhält.
Überrascht hat die regionalen Partner, dass Außenministerin Annalena Baerbock im Juli 2022 den südpazifischen Inselstaat Palau besuchte. Ihre Reise dorthin trat sie zwischen dem G20-Außenministertreffen in Indonesien und einem Besuch in Japan an. In Palau stellte die Ministerin thematisch die Gefahren der Klimakrise in den Vordergrund, zugleich ebnete sie den Weg für eine künftige Zusammenarbeit mit pazifischen Inselstaaten. Deutschland betritt Neuland mit diesem Aufschlag im Südpazifik und setzt dafür auch neue Ressourcen ein. Baerbock ernannte eine Sonderbotschafterin für die Region; sogar die Errichtung diplomatischer Vertretungen ist denkbar, wenn wohl auch nicht in näherer Zukunft. Mit diesen Weichenstellungen allein wird die Bundesrepublik zwar noch nicht als gewichtiger Akteur im Südpazifik wahrgenommen werden. Dass sich Baerbock um neue Partnerschaften in der Region bemühte, wurde jedoch sehr wohl als politisches Signal verstanden. Deutschland hatte 2018 zusammen mit dem Pazifikstaat Nauru bei den Vereinten Nationen die Freundesgruppe »Klima und Sicherheit« begründet. Mit inzwischen mehreren Dutzend Mitgliedstaaten soll sie dazu beitragen, die sicherheitspolitischen Auswirkungen des Klimawandels stärker als Thema auf der Agenda des VN-Sicherheitsrates zu verankern. Zudem kann Deutschland möglicherweise auf die Mitglieder der Freundesgruppe zählen, wenn es sich um einen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat für die Periode 2027/28 bewirbt.
Was die Erwartungen an Berlin als militärpolitischen Akteur betrifft, so sind auch sie noch bescheiden. Schließlich ist Deutschland aufgrund geringer militärischer Kapazitäten, geographischer Distanz und fehlender historischer Verbundenheit weit entfernt davon, die Rolle eines Sicherheitsgaranten in der Region übernehmen zu können. Militärische Aktionen wie die Fregattenfahrt und »Rapid Response 2022« werden von den Partnern vor Ort begrüßt, dabei jedoch als bloße sicherheitspolitische Symbolik verstanden. In diesem Kontext ist auch die erstmalige Erwähnung der Taiwan-Straße in einem Dokument zur deutschen Indo-Pazifik-Politik zu sehen. Sie mag von einigen außen- und sicherheitspolitischen Beobachtern vor allem in den USA, aber auch in Australien oder Japan als überfällig betrachtet werden. Denn schließlich sind Sicherheit und Stabilität der Region, an denen Deutschland großes Interesse hat, zunehmend vom Risiko einer Eskalation um Taiwan bedroht. Dass die Insel im jetzigen Fortschrittsbericht stärker berücksichtigt wird, begrüßen daher vor allem Staaten, die wie etwa Japan ihrerseits mit wachsender Sorge auf die Spannungen in der Taiwan-Straße blicken.
Schlussfolgerungen für die Umsetzung der Leitlinien
In der Umsetzung der Leitlinien verfolgt die Bundesrepublik weiterhin einen inklusiven Ansatz, was in der Region durchaus Akzeptanz findet. Es ist wichtig, China auf diese Weise den Willen zur Fortsetzung der bisherigen Kooperation zu signalisieren. Allerdings sollte immer betont werden, dass eine effektive Zusammenarbeit nur möglich ist, wenn die Rahmenbedingungen auch im EU-Interesse gestaltet werden. Dies bedeutet, China so weit wie möglich vom Vorteil eines regelgebundenen Verhaltens zu überzeugen, das dem internationalen Verständnis der regionalen wie auch weltweiten Ordnung folgt.
Wenn es darum geht, die Umsetzung der Leitlinien mit der künftigen China-Strategie in Einklang zu bringen, wäre etwa daran zu denken, den Austausch mit indopazifischen Partnern in der Taiwan-Frage zu suchen. Dabei sollte gemeinsam eingeschätzt werden, wie hoch das Risiko einer Eskalation ist und wie man einen bewaffneten Konflikt um die Insel verhindern könnte. Deutschlands Taiwan-Politik ist gerade wegen ihrer Volatilität ein besonders augenfälliges Beispiel für die Notwendigkeit, sich mit den in den Leitlinien genannten Partnern abzustimmen. Hier gilt es unbedingt zu erkunden, welche Erwartungen und Interessen die indopazifische Seite im Fall des deutschen Engagements gegenüber der Volksrepublik und Taiwan hegt. Die Staaten der Region haben schon durch ihre geographische Nachbarschaft lang etablierte Wirtschafts- und Kulturbeziehungen zu Taiwan (ohne dabei die Schwelle zur staatlichen Anerkennung zu überschreiten).
Darüber hinaus könnte es lohnen, die Kooperation mit Taiwan selbst zu verstärken. Ein mögliches Modell dafür wäre etwa die Präsenz Deutschlands im Bereich der Abwehr ausländischer Einflussnahme und Fehlinformation. Im August 2021 hat die Bundesrepublik ein »Regionales Deutschlandzentrum« in Singapur eröffnet. Es hat die Aufgabe, gezielter Desinformation mit Fakten über die außen- und sicherheitspolitischen Entwicklungen im indopazifischen Raum entgegenzuwirken. Hier würde sich auch eine Zusammenarbeit mit Taiwan anbieten, das sich häufig mit absichtsvollen Falschmeldungen der Volksrepublik auseinandersetzen muss. Ansprechpartner für die deutsche Seite wäre etwa das Doublethink Lab – eine zivilgesellschaftliche Organisation, die seit 2019 versucht, die taiwanische Demokratie durch eine bessere digitale Verteidigung zu stärken.
Deutschland hat angekündigt, in geographischer wie thematischer Breite die Kooperation mit seinen indopazifischen Partnern zu festigen. In diesem Sinne sollte die Bundesregierung ihre Ressourcen zunächst dahingehend investieren, die außen- und sicherheitspolitischen Beziehungen zu traditionellen Partnern zu vertiefen, die wie Japan oder Australien ihrerseits einen stärkeren Austausch mit Deutschland (und der EU) wünschen.
Um dem Anspruch gerecht zu werden, zum Erhalt der regelbasierten internationalen Ordnung und des internationalen Rechts beizutragen, ist generell erheblich mehr an Engagement und Ressourceneinsatz nötig als der bloße Aufbau von Sicherheitskapazitäten. Glaubwürdig ist das deutsche Handeln, wenn dabei weiter auch in zivile Ansätze investiert wird. Deutschland hat im Indo-Pazifik viele Initiativen ins Leben gerufen und muss diese nun vorantreiben. Beispiele sind Projekte zur Bekämpfung des Klimawandels, etwa durch Kooperation bei der Entwicklung grüner Wasserstofftechnologien (unter anderem mit Australien) oder Vorhaben, die darauf zielen, die regionale Infrastruktur nach qualitativ hohen internationalen Standards zu fördern, wie durch die »Global Gateway«-Initiative der EU.
Für die deutsche Indo-Pazifik-Politik liegt die Aufgabe und zugleich Chance darin, auf einen effektiven Einsatz außen- und sicherheitspolitischer Ressourcen hinzuwirken. Gelingt dies, so kann die Bundesrepublik auch in einer Zeit, in der sie die Sicherheit und Stabilität Europas stärken muss, mit ihrem Engagement im indopazifischen Raum glaubwürdig bleiben.
Dr. Angela Stanzel ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Asien.
Clara Hörning war Praktikantin in der Forschungsgruppe Asien.
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