Ferdinand (genannt »Bongbong«) Marcos junior gewann am 9. Mai mit einem Erdrutschsieg die Präsidentschaftswahlen der Philippinen und wurde am 30. Juni offiziell vereidigt. Während des Wahlkampfs war der Sohn des 1986 gestürzten philippinischen Diktators Ferdinand Marcos senior in außen- und sicherheitspolitischen Fragen äußerst vage geblieben. Einige Beobachter spekulierten zunächst über eine Fortführung der unter Amtsvorgänger Rodrigo Duterte vollzogenen außenpolitischen Hinwendung zur Volksrepublik China. Mittlerweile zeigt sich jedoch bereits ein deutlich nuancierteres Bild der zu erwartenden Außenpolitik unter Marcos jr. Der neugewählte Präsident dürfte in stärkerem Maße als sein Vorgänger eine Balance im Verhältnis zu China und den USA suchen. Er tritt damit in die außenpolitischen Fußstapfen seines Vaters. Ein solcher Kurs könnte Deutschland und der EU neue Kooperationsmöglichkeiten eröffnen – sofern die Zusammenarbeit den in erster Linie innenpolitisch motivierten Zielsetzungen der neuen Marcos-Regierung entspricht.
In Südostasien werden mögliche Veränderungen in der philippinischen Außenpolitik genau beobachtet. Denn die Philippinen befinden sich aufgrund einer Reihe von Faktoren im Zentrum der sino-amerikanischen Rivalität um die Vorherrschaft im indopazifischen Raum. Zunächst wäre Manila wegen des seit 1951 bestehenden Verteidigungsbündnisses mit den USA im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Peking und Washington direkt in diese involviert. Auf den Philippinen befinden sich zudem Militärbasen, die für die amerikanische Gegenmachtbildung von hoher strategischer Bedeutung sind. Auch aufgrund seiner geographischen Lage als Teil der »first island chain« und der Nähe zu Taiwan ist der Inselstaat strategisch wichtig. Zudem gibt es zwischen der VR China und den Philippinen Auseinandersetzungen wegen konkurrierender Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer, die bei einer Eskalation die USA als Alliierten Manilas auf den Plan rufen könnten. Tatsächlich erklärte US-Außenminister Antony Blinken erst im August 2022 bei seinem Besuch in Manila, dass jedweder bewaffnete Angriff auf die philippinischen Streitkräfte, Schiffe oder Flugzeuge die Beistandsverpflichtungen der USA im Rahmen des bilateralen Verteidigungsabkommens auslösen würde.
Die Amtszeit von Präsident Rodrigo Duterte war jedoch geprägt von offener Kritik und scharfer Rhetorik gegenüber den USA. Zwar gab es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Höhen und Tiefen im Verhältnis zwischen Manila und Washington, dennoch galt die Kooperation im außen- und sicherheitspolitischen Bereich als Konstante in den Beziehungen beider Nationen. Über unterschiedliche Regierungen hinweg wurde in Manila die Bindung an die USA in den letzten beiden Dekaden als unverzichtbarer Eckpfeiler der eigenen Außen- und Sicherheitspolitik angesehen. Duterte jedoch stellte die Zukunft der Allianz offensiv in Frage und suchte in den ersten Jahren seiner Amtszeit demonstrativ die Nähe zu China.
Auch die Beziehungen zur EU waren unter Marcos’ Vorgänger auf einem Tiefpunkt. Kritik aus Brüssel an den massiven Menschenrechtsverletzungen, die die Duterte-Administration im Zuge des »Krieges gegen die Drogen« zu verantworten hatte, wies der vormalige Präsident als westliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Philippinen brüsk zurück. In der Folge drohte Duterte mit der Ausweisung europäischer Diplomaten und einem Abbruch aller Kooperationsprojekte mit der EU. Auch die Implementierung des Partnership and Cooperation Agreement (PCA) liegt seitdem auf Eis.
Die weitgehende außenpolitische Abkehr von westlichen Partnern war neben Dutertes persönlichem Antiamerikanismus auch innenpolitisch motiviert: So sollte zum Beispiel mit Hilfe chinesischer Investitionen die marode Infrastruktur des Landes modernisiert werden. Gemeinsam mit China wollte die Regierung Duterte die Öl- und Gasvorkommen im Südchinesischen Meer ausbeuten, um die heimische Wirtschaft anzukurbeln. Die Auseinandersetzungen zwischen Manila und Peking sollten im Zuge dieser Kooperationen beigelegt werden. Jedoch materialisierten sich weder die von Peking versprochenen Investitionen, noch ließ sich die Volksrepublik auf das von Duterte anvisierte Miteinander bei der Ausbeutung natürlicher Ressourcen im Südchinesischen Meer ein. Mehr noch, Peking verstärkte sogar in den letzten Jahren seine Drohgebärden in Gewässern, die von den Philippinen beansprucht werden. Seit Ende 2020 galt Dutertes »pivot to China« daher als gescheitert.
Die Rückkehr zu einem klaren Bekenntnis zur Partnerschaft mit den USA unter Marcos jr. wäre somit gewissermaßen eine Rückkehr zur Normalität in den philippinischen Außenbeziehungen. Einige Indizien für eine außenpolitische Kurskorrektur unter der neuen Regierung lassen sich bereits durch die Vergabe wichtiger Kabinettsposten erkennen. So erhielt Vizepräsidentin Sara Duterte, Tochter von Präsident Rodrigo Duterte, nicht den von ihr begehrten äußerst einflussreichen Posten der Verteidigungsministerin und wurde stattdessen Bildungsministerin. An ihrer Stelle ernannte der neue Regierungschef mit dem pensionierten General Jose Faustino jr. letztlich einen Vertreter des philippinischen Militärs, das als generell proamerikanisch eingestellt gilt, zum Verteidigungsminister. Dies wurde denn auch weithin als richtungweisende außenpolitische Entscheidung gedeutet, da die Berufung Dutertes ins Verteidigungsministerium aufgrund der kritischen Linie ihres Vaters und ihrer mangelnden militärischen Vernetzung womöglich sowohl in Washington als auch in philippinischen Sicherheitskreisen für Verstimmung gesorgt hätte.
Darüber hinaus berief Marcos jr. als erster Präsident seit fast zwanzig Jahren wieder einen erfahrenen Karrierediplomaten in das Amt des Außenministers. Den Posten des Chefdiplomaten übernahm Enrique Manalo, der zuletzt als philippinischer Botschafter bei den Vereinten Nationen (VN) gemeinsam mit dem regimekritischen Repräsentanten Myanmars als einziger Vertreter Südostasiens sämtliche Resolutionen gegen die russische Invasion in der Ukraine mitgetragen hat. Auch war Manalo in der Vergangenheit nicht nur Botschafter der Philippinen in Belgien und Repräsentant Manilas bei der EU, sondern auch Vertreter seines Landes in London. Während Kabinettsposten unter Duterte vor allem mit politischen Außenseitern, ehemaligen Weggefährten und Gefolgsleuten besetzt wurden, folgt die Ernennung Manalos eher dem Vorbild des früheren Präsidenten Marcos, der in seinem Kabinett auf langjährige Erfahrung setzte.
Beziehungen zu China und den USA
Während Duterte sich damit brüstete, in seiner gesamten Amtszeit kein einziges westliches Land besucht zu haben, hat Marcos jr., der unter anderem in den USA gelebt und in Oxford studiert hat, kein solch dezidiert negatives Verhältnis zum Westen.
In der Tat betonte er bereits während des Wahlkampfs, wie wichtig und von beiderseitigem Vorteil enge Beziehungen mit den USA seien. Anders als sein Vorgänger bekannte sich Marcos jr. klar zum militärischen Beistandspakt mit den USA.
Dass der Wunsch, zu einer Normalität in den bilateralen Beziehungen zurückzukehren, auch auf der anderen Seite des Pazifiks besteht, brachte US-Präsident Joe Biden zum Ausdruck, indem er seinem neugewählten Amtskollegen als erster ausländischer Staatschef noch vor der finalen Bekanntgabe des Wahlergebnisses gratulierte. Biden sprach sich während des gemeinsamen Telefonats für eine Stärkung der bilateralen Partnerschaft aus. Mit seiner Wahl zum Präsidenten wurde Marcos jr. gleichzeitig diplomatische Immunität in den USA gewährt, eine unabdingbare Voraussetzung für die Normalisierung der Beziehungen, da er und seine Mutter Imelda 1995 von einem US-Zivilgericht wegen Verstößen gegen die Menschenrechte während der Marcos-senior-Diktatur zu einer hohen Geldstrafe verurteilt worden waren. Ohne die Zusicherung hätte er bei der Einreise juristisch belangt werden können.
Auch wenn damit der Weg für eine fruchtbare Partnerschaft mit den USA und dem Westen insgesamt geebnet scheint, ist die Kurskorrektur in Manila jedoch keinesfalls gleichbedeutend mit einer Abkehr von der Volksrepublik China. Ganz im Gegenteil: Marcos jr. führte nach seinem Wahlerfolg ein langes Telefongespräch mit Xi Jinping, in dem sich beide Seiten darauf verständigten, in den bilateralen Beziehungen »einen Gang höher zu schalten«.
Derlei Äußerungen sind wenig überraschend, denn der philippinische Präsident verfügt über hervorragende Kontakte ins Reich der Mitte. Unter seinem Vater nahmen die Philippinen 1975 erstmals offizielle diplomatische Beziehungen mit der Volksrepublik auf und die Marcos-Familie profitierte in der Folge finanziell enorm vom ökonomischen Aufstieg Chinas und ist nach wie vor eng mit Peking verbunden. So befindet sich eines von insgesamt nur drei chinesischen Konsulaten in den Philippinen in der lediglich 110.000 Einwohner zählenden Stadt Laoag City, in der Heimatprovinz der Marcos-Familie, Ilocos Norte. Hier amtierte Marcos jr. unter anderem zweimal als Gouverneur.
Die Erfahrungen der Duterte-Ära, an deren Ende Manila trotz zahlreicher Anbiederungen und Zugeständnisse an China vor allem in Bezug auf den Konflikt im Südchinesischen Meer letztlich mit (fast) leeren Händen dastand, dürften Marcos jr. jedoch auch eine Warnung sein, dass eine zu enge Anbindung an Peking Risiken birgt. Tatsächlich wies er auch bereits im Juli sein Transportministerium an, mehrere chinesische Kredite für große Eisenbahnprojekte im Gesamtvolumen von 4,9 Milliarden US-Dollar, die unter der Vorgängerregierung im Rahmen der Belt ans Road Initiative (BRI) vereinbart worden waren, neu zu verhandeln, weil die Umsetzung der Vorhaben weit hinter den Erwartungen zurückblieb. Damit setzte er ein deutliches Zeichen, dass er sich im Gegensatz zu Duterte nicht mit Versprechungen zufriedengeben würde, ohne entsprechende Resultate zu erhalten.
Unterm Strich ist unter Marcos jr. weder eine klare Hinwendung nach China noch eine deutliche Abwendung von dem großen Nachbarn zu erwarten. Stattdessen hat der neue Präsident bereits zu verstehen gegeben, dass er eine unabhängige Außenpolitik für unabdingbar halte. Statt in geopolitischen Einflusssphären wie zur Zeit des Kalten Krieges zu denken, intendiere er, gute Beziehungen mit allen Seiten zu pflegen.
In dieser Hinsicht gibt es eindeutige Parallelen zur Politik seines Vaters, der ebenfalls großen Wert auf außenpolitische Unabhängigkeit der Philippinen legte und enge Beziehungen sowohl zur Sowjetunion und China als auch zu den USA unterhielt. Der leitende Gedanke hinter diesem Ansatz war und ist, die konkurrierenden geopolitischen und geoökonomischen Interessen der Großmächte zum eigenen Vorteil zu nutzen, um sich selbst einen maximalen Handlungsspielraum zu sichern. So will die philippinische Regierung unter anderem aus den US-amerikanischen Sicherheitsinteressen in der Region dahingehend Kapital schlagen, dass sie über die von Washington erhaltenen Schutzgarantien hinaus modernstes militärisches Gerät aus den USA bezieht, um die Wehrhaftigkeit und das Abschreckungspotential der eigenen Streitkräfte zu erhöhen.
Gleichzeitig will Manila die ökonomische Kooperation mit der Volksrepublik fortführen und sich China als Investor beim heimischen Infrastrukturausbau erhalten. Die Philippinen werfen hier ihre wichtige strategische Position in Südostasien in die Waagschale, die sich vor allem aus der geographischen Lage am Südchinesischen Meer, der Allianz mit den USA und der ASEAN-Mitgliedschaft ergibt.
Das Südchinesische Meer als zentrale Herausforderung
Der Versuch des neuen Präsidenten, zugleich ein gutes Verhältnis mit Peking als auch mit Washington aufrechtzuerhalten und den Großmächtekonflikt in Südostasien zu seinem Vorteil zu nutzen, dürfte jedoch kein einfaches Unterfangen werden. Die Verschärfung des sino-amerikanischen Wettbewerbs und die daraus resultierende Polarisierung zwischen beiden Lagern, insbesondere vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine und der jüngsten Spannungen um Taiwan, könnte dieses Vorhaben zu einem Drahtseilakt werden lassen.
Dieser Drahtseilakt könnte sich vor allem über dem Südchinesischen Meer abspielen. Manila ist hier nicht nur Zaungast, sondern neben Vietnam Hauptkontrahent Chinas. Wegen der zunehmenden Militarisierung des Südchinesischen Meers erhöht sich in diesem Raum das Eskalationspotential.
Während Rodrigo Duterte im Wahlkampf 2016 noch vollmundig erklärt hatte, er würde mit einem Jet-Ski zu den umstrittenen Inseln fahren, die philippinische Flagge hissen und China zu einem Duell herausfordern, veränderte sich seine Rhetorik in der Angelegenheit nach seinem Amtsantritt völlig: Das Urteil des Ständigen Schiedsgerichtshofs in Den Haag von 2016, das die historischen Gebietsansprüche Pekings als unbegründet zurückgewiesen hatte, bezeichnete er als wertloses Stück Papier. Stattdessen betonte er, dass eine Eskalation des Konflikts mit China um jeden Preis vermieden werden müsse.
In eine ähnliche Kerbe schlug zunächst auch Marcos jr. während der frühen Phase des Wahlkampfs, als er den realpolitischen Wert des Schiedsspruchs in Frage stellte und jedwede gewaltsame Lösung des Konflikts ausschloss. Im Anschluss an die Wahl änderte er jedoch seinen Kurs. Marcos jr. hob die Bedeutung des Urteils für die Ansprüche der Philippinen im Südchinesischen Meer hervor und kündigte an, keinen Millimeter philippinischen Territoriums preiszugeben. Außenminister Manalo betonte zudem die generelle Relevanz des internationalen Rechts, insbesondere der United Nations Convention on the Law of the Sea (UNCLOS), für die Politik Manilas im Südchinesischen Meer.
Etwaige Zugeständnisse an China im Südchinesischen Meer wären innenpolitisch derzeit auch nur schwer vermittelbar. Denn trotz Dutertes Annäherung an Peking setzte China die Militarisierung des Südchinesischen Meeres fort und auch die Gewaltakte und Schikanen gegen philippinische Fischer und Seeleute von Seiten der chinesischen Küstenwache und chinesischer Fischerbootbesatzungen, die als De-facto-Milizen im Verbund mit der Küstenwache in philippinischen Gewässern operieren, hielten an. Umfragen zufolge fordern große Teile der Bevölkerung zunehmend ein härteres Durchgreifen gegen die chinesische Präsenz in Gewässern, die die Philippinen beanspruchen. Die Vorfälle befeuern damit eine ohnehin existierende chinakritische Stimmung in der philippinischen Gesellschaft. Auch das einflussreiche Militär der Philippinen betrachtete Dutertes Annäherung an China äußerst skeptisch und sieht nach wie vor in den USA und den US-Alliierten in der Region wie Japan und Australien die präferierten Sicherheitspartner des Inselstaats.
Entsprechend hoch dürfte der interne Druck sowohl aus der Bevölkerung als auch aus Sicherheitskreisen auf Marcos jr. sein, den bereits in Dutertes letzten Monaten vollzogenen Kurswechsel hin zu einem schärferen Ton gegenüber China nicht zu revidieren. Die Neuverhandlung der Eisenbahnkredite lässt sich somit sicherlich auch als ein Zeichen nach innen deuten, mit dem der neue Präsident Handlungsbereitschaft gegenüber Peking signalisieren will.
Ähnlich lassen sich Aussagen in der Rede zur Lage der Nation interpretieren. Der neue Regierungschef bezeichnete bei dieser Gelegenheit sowohl die Erhaltung der territorialen Integrität als auch der nationalen Souveränität wiederholt als sakrosankt und kündigte eine weitere Modernisierung der philippinischen Streitkräfte an.
Das Primat der Innenpolitik
Es ist jetzt schon zu erkennen, dass Marcos jr. sehr viel stärker als sein Vorgänger den Balanceakt zwischen den USA und China suchen wird und keine ausgeprägt prochinesische Außenpolitik betreiben will. Im Sinne einer unabhängigeren Außenpolitik der Philippinen sollen Möglichkeiten der Kooperation mit den USA, mit China und auch anderen regionalen Akteuren sondiert werden. Allerdings zeichnet sich mindestens eine Kontinuität zur Duterte-Ära ab: Die Außenpolitik des Landes dürfte auch unter dem neuen Präsidenten stark innenpolitischen Prämissen folgen. Denn im Zentrum der politischen Agenda der Marcos-Administration steht eindeutig der ökonomische Wiederaufbau in dem von der Pandemie stark gebeutelten Inselstaat. Der wirtschaftliche Aufschwung ist der Parameter, an dem die Bevölkerung den Erfolg bzw. Misserfolg seiner Präsidentschaft messen dürfte.
In diesem Zusammenhang ist es wahrscheinlich, dass Marcos jr. die weitere Rehabilitierung seines Familiennamens anstreben wird, da die Verklärung der Herrschaft seines Vaters als goldene Ära des ökonomischen Fortschritts der Philippinen, zu der es zurückzukehren gilt, schon eines der Hauptmotive seiner Wahlkampagne war. Marcos hat bereits angekündigt, das unter Duterte begonnene massive Infrastruktur- und Konnektivitätsprogramm »Build! Build! Build!« unter dem Motto »Build Better More!« weiterzuführen. Dabei ist eine enge ökonomische Kooperation mit China, das in viele der bereits laufenden Projekte involviert ist, im Prinzip unumgänglich, auch wenn man sich parallel um eine Diversifizierung der Handelspartner und Investoren bemühen wird, um eine zu große Abhängigkeit von Peking zu vermeiden. So ist davon auszugehen, dass Manila vermehrt sowohl auf regionale Akteure wie die Asian Development Bank (ADB), Japan, Australien oder die ASEAN-Staaten als auch auf externe Akteure wie die USA oder auch die EU und deren Mitgliedstaaten zugehen wird, um Investitionen ins Land zu ziehen.
Nach nunmehr über zwei Monaten im Amt, deutet insgesamt vieles darauf hin, dass Marcos jr. zwar einige Aspekte von Dutertes Außenpolitik beibehalten wird, allein aber durch die veränderte Politik gegenüber China wohl kaum von einer Duterte-2.0-Regierung ausgegangen werden kann. Stattdessen erscheint es zunehmend wahrscheinlich, dass Marcos jr. in die außenpolitischen Fußstapfen seines Vaters treten und versuchen wird, seinem Land eine größtmögliche Unabhängigkeit und einen weiten Handlungsspielraum zu sichern, um aus der geopolitischen Situation Profit zu schlagen. Dies dürfte externen Akteuren– auch Deutschland und der EU – weitaus mehr Möglichkeiten für eine Kooperation mit Manila eröffnen, als dies unter der Duterte-Präsidentschaft der Fall gewesen ist.
Dies gilt für eine Reihe von Bereichen: Erstens könnte eine Implementierung des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens (PCA) in den Blick genommen werden. Das PCA umfasst ein breites Spektrum von Politikfeldern wie Handel, Good Governance, Migration und Menschenrechte. Zweitens ergeben sich möglicherweise Chancen auf eine Revitalisierung der 2015 begonnenen Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Manila. Ein drittes Feld, auf dem künftig wieder mehr Zusammenarbeit denkbar ist, umfasst den Konflikt im Südchinesischen Meer. Auch hinsichtlich dieses Problems zeigen sich bereits jetzt unter der Marcos-Administration größere Schnittmengen zwischen Brüssel und Manila. Hier sollte die EU ausloten, ob und in welcher Form sie den Inselstaat beim Ausbau seiner Kapazitäten im Bereich der maritimen »domain awareness«, bei Anti-Piraterie-Operationen oder auch auf juristischer Ebene bei der Durchsetzung seiner Ansprüche gemäß dem Seevölkerrecht (insbesondere UNCLOS) unterstützen kann.
Da eines der größten Nickelvorkommen der Welt auf den Philippinen liegt, könnten viertens Optionen einer zukünftigen Rohstoffpartnerschaft mit Manila sondiert werden. Nickel ist eine wichtige Komponente bei der Nutzung von sogenanntem grünem Wasserstoff im Kontext der Energiewende. Entsprechende Bemühungen deckten sich mit dem Ziel, die Nickel-Importe zu diversifizieren, die zu einem beherrschenden Anteil bisher aus Russland kommen. Fünftens wäre auch eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit der ASEAN im Rahmen der Indo-Pazifik-Strategie der EU zu erwägen. Die ASEAN ist in diesem Dokument als zentraler Partner der EU im Indo-Pazifik bezeichnet worden. Die Philippinen sind dabei wegen ihrer Funktion als »Country Coordinator« für den Dialog zwischen der ASEAN und der EU im Zeitraum 2021–2024 von besonderer Bedeutung. Hier könnte es sich als hilfreich erweisen, dass der neue philippinische Außenminister die EU und Europa kennt – er war, wie schon erwähnt, zuvor als Botschafter in Brüssel und an der Vertretung seines Landes in London tätig. Sofern deutsche und europäische Kooperationsangebote der stark von innenpolitischen Zielsetzungen geprägten außenpolitischen Agenda der Regierung unter Marcos jr. Rechnung tragen, ist somit eine Intensivierung der Beziehungen der EU und ihrer Mitgliedstaaten zu den Philippinen – nach Jahren der Eiszeit unter Duterte – durchaus realistisch.
Dr. Felix Heiduk ist Leiter der Forschungsgruppe Asien.
Tom Wilms war Praktikant in der Forschungsgruppe Asien.
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