Im Koalitionsvertrag 2021–2025 sprechen sich die Ampel-Parteien für eine »Feminist Foreign Policy« aus. Das Auswärtige Amt (AA) hat sich einer »feministischen Außenpolitik« (FAP) verschrieben und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) will eine »feministische Entwicklungspolitik« verfolgen. Auch im Erstellungsprozess der »Nationalen Sicherheitsstrategie« soll über FAP diskutiert werden. Damit schließt sich Deutschland einem Trend an: Immer mehr Regierungen schreiben sich eine FAP auf die Fahnen oder wollen Elemente davon umsetzen. So deutlich diese Entwicklung sich auch zeigt, bleibt dennoch unklar bzw. umstritten, was der feministische außenpolitische Ansatz konzeptionell wie materiell genau bedeutet – welche Voraussetzungen er benötigt, in welchen Zusammenhängen er sich bewegt und welche Implikationen er mit sich bringt. Diese Offenheit gibt Anlass zur Debatte, an der sich Stimmen aus Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft beteiligen. Zwar finden feministische Ansprüche nur begrenzt in den nationalen Implementierungsvarianten der FAP ihren Niederschlag. Aber schon der offizielle Bezug auf Feminismus fordert tradierte Denk- und Politikmuster heraus, drängt zur Überprüfung politischer Priorisierung und Kohärenz und kann Politikinnovation fördern.
Beginnend mit Schweden im Jahr 2014 haben immer mehr Staaten aus verschiedenen Regionen die Einführung einer »feministischen Außenpolitik« bzw. einer »feministischen Entwicklungszusammenarbeit« oder »feministischen Diplomatie« verkündet, darunter Kanada (2017), Frankreich (2018), Luxemburg (2019), Mexiko (2020), Spanien (2021) und Libyen (2021) – zuletzt auch Deutschland (2021).
Vor diesem Hintergrund dreht sich die Debatte um FAP hauptsächlich um zwei Fragen: Was ist FAP (und Feminismus bzw. feministisch), was sollte sie sein? Wie ist die von den Regierungen implementierte FAP, gemessen an der eigenen Zielsetzung, aber auch aus feministischen Perspektiven, zu bewerten? Der politischen Praxis folgen akademische Bemühungen um Konzeptklärung und Theoriebildung, die sich aus feministischen Ansätzen verschiedener Disziplinen speisen.
Wachsendes Gender-Bewusstsein auf internationaler Ebene
FAP ist zwar ein Phänomen jüngeren Datums; sie kann aber ebenso als Produkt eines kontinuierlich wachsenden Gender-Bewusstseins in der internationalen Politik betrachtet werden (Aggestam et al. 2020). Ein genealogischer Blick offenbart, dass der Fokus sich ständig erweitert: Ausgehend von der Entwicklungspolitik über die Felder Menschenrechte sowie Konflikte und Sicherheit, erfasst das Gender-Bewusstsein nun auch die Außenpolitik (Thomson 2022).
Den Auftakt machten die drei Weltfrauenkonferenzen im Rahmen der United Nations Decade for Women in Mexiko Stadt (1975), Kopenhagen (1980) und Nairobi (1985). Im Jahr 1979 hat die Vollversammlung der Vereinten Nationen (VN) das »Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau« (CEDAW) verabschiedet, das 1981 in Kraft trat. Deutschland hat es 1985 ratifiziert. Ergebnis der vierten Weltfrauenkonferenz in Peking (1995) war die »Pekinger Erklärung und Aktionsplattform«.
Die Gleichstellung der Geschlechter fand zudem Eingang sowohl in die Millenniums-Entwicklungsziele (MDG 2000–2015, Ziel 3) als auch – als Geschlechtergleichheit – in die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG 2016–2030, Ziel 5). Im Jahr 2000 hat der VN-Sicherheitsrat die Resolution 1325 »Frauen, Frieden und Sicherheit« (WPS) auf Anregung von Netumbo Nandi-Ndaitwah, damals Frauenministerin Namibias, beschlossen. Es folgten neun weitere Resolutionen zu genderbezogenen Themen (WPS-Agenda), unter anderem die Resolution 2467 zu sexualisierter Gewalt, die Deutschland 2019 als nichtständiges Mitglied in den VN-Sicherheitsrat einbrachte. Seit 2005 haben rund 100 Staaten, darunter auch Deutschland, einen Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Sicherheitsrats-Resolution 1325 aufgelegt.
Bei den Institutionen der Europäischen Union (EU) steigt die Gendersensibilität ebenfalls. So bekräftigte der Rat der Europäischen Union 2015, wie wichtig die »Förderung der Rechte von Frauen und Mädchen, der Gleichstellung der Geschlechter und der Stärkung der Rolle von Frauen und Mädchen« in der Entwicklungspolitik sei. Die EU-Kommission steckte mit der Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter 2016–2019, die später für den Zeitraum 2020–2025 aktualisiert wurde, den Rahmen ab für ihre Arbeit auf diesem Gebiet. Im Jahr 2020 hat sie den »Gender-Aktionsplan III« (Aktionsplan für die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung der Rolle der Frau im auswärtigen Handeln 2021–2025) ins Leben gerufen, um die Genderperspektive in den EU-Außenbeziehungen zu fördern, 2022 hat sie eine »Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt« vorgeschlagen.
Dieser multilaterale Rahmen, auf den sich nationale FAP beziehen, ist in erster Linie als Errungenschaft transnationaler, zivilgesellschaftlicher feministischer Bewegungen zu sehen (Cheung et al. 2021). Am 1. Juli 2021 lancierten sieben Regierungen, die sich einer FAP verschrieben haben, zusammen mit zwölf zivilgesellschaftlichen Organisationen das »Global Partner Network for Feminist Foreign Policy« (Thompson et al. 2021). Sein Ziel ist, Politikinnovation, gemeinsame Lernprozesse und Politikkonvergenz zu fördern – Letzteres indem ein gemeinsamer Rahmen für FAP sowie Kriterien für deren Operationalisierung entwickelt werden.
Transformativer Anspruch mit Genderperspektive
Ob FAP nun als junges Phänomen oder als Produkt eines jahrzehntelangen Prozesses angesehen wird – in jedem Fall handelt es sich um ein neues Branding: Zum ersten Mal wird ein spezifisches Politikfeld (von Regierungen offiziell) als feministisch bezeichnet. Außenpolitik ist ein Politikbereich, dessen Strukturen in besonderem Maße männlich dominiert sind und daher die Perspektive, die Ideen und die Erfahrungswelt von Männern privilegieren. In der Folge reproduziert eine Außenpolitik, die sich als »genderneutral« versteht, die geschlechtsbezogene Ungerechtigkeit, weil sie die verschiedenen genderspezifischen Perspektiven nicht oder nur unzureichend bedenkt. Sie zementiert den Status quo. Denn in einer asymmetrischen Geschlechterordnung machen Männer und Frauen unterschiedliche Erfahrungen; sie erleben die bestehenden Machtstrukturen unterschiedlich aufgrund ihrer unterschiedlichen Positionen und Rollen in der Gesellschaft. Beispielsweise sind Frauen und Männer (hinsichtlich Wahrscheinlichkeit und Qualität) von Armut, Konflikten und Krieg unterschiedlich betroffen und ihre Beiträge zu Entwicklung und Frieden divergieren.
Für Gendergerechtigkeit wird sowohl normativ als auch pragmatisch argumentiert: Zum einen wird das Ziel Gendergerechtigkeit intrinsisch begründet, also im Sinne eines Wertes an sich, bisweilen mit Bezug auf die Menschenrechte und das Diskriminierungsverbot. Zum anderen spielen aber auch Erkenntnisse über die Effekte von Gendergerechtigkeit eine Rolle – sie werden als extrinsische Argumente herangezogen, wenn für eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen plädiert wird. Empirische Evidenz attestiert einen positiven Zusammenhang zwischen Gendergerechtigkeit auf der einen und Wohlstand und Frieden auf der anderen Seite. Eine Verbesserung der Situation und der Chancen von Frauen käme also nicht nur dieser Gruppe, sondern der ganzen Gesellschaft bzw. dem internationalen System zugute.
Einige Beispiele: Eine größere Präsenz von Frauen im Parlament (deskriptive Repräsentation) wirkt sich auf die Gesetzgebung dergestalt positiv aus (substantielle Repräsentation), dass der Schutz von Menschenrechten gestärkt wird (IPU). Ein verbesserter Zugang von Frauen zu Produktionsmitteln wie Agrarflächen und zu Finanzdienstleistungen hat einen ungleich stärker lindernden Effekt auf Hunger und Armut, als wenn lediglich der Zugang von Männern ausgebaut würde (Brot für die Welt). Die Beteiligung von Frauen an Friedensprozessen fördert die Umsetzung und Nachhaltigkeit der Vereinbarungen (cfr; UNWOMEN).
Richtete sich die Forderung nach gleichberechtigter Teilhabe der Frauen zunächst auf binnenstaatliche Angelegenheiten, erfasst sie nun in Form der FAP ebenfalls die internationalen Beziehungen. In einem breiteren Verständnis gehören neben Diplomatie und Entwicklungspolitik auch Handel und Verteidigung zur Außenpolitik.
Unabhängig von der Reichweite des Außenpolitikbegriffs soll das Adjektiv feministisch die Absicht verdeutlichen, sich nicht nur um Gleichstellung zu bemühen, sondern darüber hinauszugehen, nicht einfach reformistisch innerhalb vorhandener Strukturen zu sein, sondern vielmehr strukturell disruptiv und transformativ. Darüber, unter welchen Voraussetzungen der transformative Wandel im Sinne (verschiedener Spielarten) des Feminismus gelingen kann, herrscht allerdings keine Einigkeit, ebenso wenig über seine Reichweite und seine Implikationen.
Verständnisse von Feminismus
Es ist umstritten, was »Feminismus« bedeutet bzw. was er beinhaltet, denn er umfasst vielfältige Strömungen. Das ursprünglich westlich geprägte Konzept wurde (und wird) kritisch reflektiert und stetig erweitert, so dass sich verschiedene Verständnisse von Feminismus entwickelt haben. Dies haben unter anderem die Beiträge von Schwarzen Frauen, Frauen aus dem Globalen Süden und Transpersonen möglich gemacht.
Feministische Positionen westlich-liberaler Prägung nehmen ihren Anfang in der Erkenntnis, dass ein sozial konstruiertes, also nicht naturgegebenes Herrschaftsverhältnis zwischen den Geschlechtern besteht (männliche Dominanz = Patriarchat) und dass damit eine ungleiche Verteilung von Rechten, Privilegien, Ressourcen, Chancen und dergleichen zwischen den Geschlechtern einhergeht. Dabei dekonstruiert der Feminismus für »natürlich« gehaltene Machtstrukturen, das heißt, er macht sie sichtbar und deckt ihren nichtnotwendigen Charakter auf. Normativ bewerten diese feministischen Positionen die strukturelle Machtasymmetrie als ungerecht, diskriminierend und unterdrückend. Daher fordern sie die Überwindung des Patriarchats und die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern in allen Bereichen der Gesellschaft.
Das emanzipatorische Ziel im Feminismus ist, jegliche Form von Herrschaftsverhältnis zwischen den Geschlechtern abzuschaffen (und nicht das bestehende umzukehren). Nach marxistisch-feministischen Ansätzen setzt dieses Ziel die Abschaffung des Kapitalismus voraus. Einige Auffassungen des Feminismus stellen in Frage, dass eine umfassende Emanzipation mit nationaler Politik bzw. mit der Existenz des Staates vereinbar sei, da dieser als patriarchaler Unterdrückungsapparat gesehen wird.
Queerfeministische Positionen streben an, Heteronormativität (Heterosexualität als die Norm in der Gesellschaft) und Zweigeschlechtlichkeit (die gesellschaftliche Anerkennung von nur zwei Geschlechtern, einem weiblichen und einem männlichen) als gesellschaftliche Ordnungsprinzipien für Sexualität und Geschlecht zu überwinden. Damit wird die binäre Zentrierung auf cisgeschlechtliche Männer und Frauen aufgebrochen, deren Geschlechtsidentität dem Geschlecht entspricht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. In einem inklusiv verstandenen Feminismus finden auch weitere Identitäten Beachtung, wie LGBTQIA+ (lesbisch, schwul, bisexuell, trans, queer, intersexuell und asexuell).
Aus der Kritik an einem »weißen Feminismus«, der etwa kolonial-rassistische Denkmuster und Strukturen reproduziere, entwickelten sich feministische Positionen, die sich dafür einsetzen, dass jegliche Diskriminierung und Unterdrückung entlang von Merkmalen wie Geschlecht, Geschlechterrolle, sexueller Orientierung, Hautfarbe, Behinderung, Religion oder Herkunft bekämpft wird. Intersektional nennt sich ein Feminismus, der sich kritisch mit sich überlappender Mehrfachdiskriminierung auseinandersetzt. Er geht der Frage nach, wie die Wechselwirkungen verschiedener Benachteiligungen das (soziale) Leben von Menschen bedingen.
Wird dieses inklusive, intersektionale Verständnis um zusätzliche Aspekte angereichert, lassen sich weitere feministische Stränge oder Ansätze identifizieren, die sich im Lauf der Zeit herausgebildet haben. Zu den zentralen Fragen, auf die innerhalb des Feminismus teilweise unterschiedliche Antworten gegeben werden, zählen:
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Biologie vs. Gesellschaft: die Frage nach der Existenz und Rolle einer biologischen Grundlage bei der geschlechtlichen Markierung in der Gesellschaft;
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Praxis vs. Theorie: das Verhältnis zwischen Feminismus als politischem Aktivismus bzw. advokatorischer Bewegung einerseits und Feminismus als akademischer Disziplin (etwa in Form der Gender Studies) bzw. als Typus von Theorien der Gesellschaftsanalyse andererseits;
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Reform vs. Transformation: die Einordnung und Bewertung von Korrekturen innerhalb patriarchaler Strukturen, die die Diskriminierung bzw. die Asymmetrien abmildern (etwa Genderquoten), jedoch die Schieflage nicht von Grund auf transformieren und die geschlechtliche Markierung womöglich sogar akzentuieren.
Theoretisch-normativer Rahmen
Vor dem Hintergrund feministischer Verständnisse wirft die Auseinandersetzung mit nationalen FAP-Varianten eine Reihe von Fragen auf: Geht FAP in ihrer Konzeption und Umsetzung über Gendermain-streaming hinaus? Wieviel Substanz steckt hinter der Rhetorik eines transformativen Strukturwandels? Worin besteht das emanzipatorische Moment? Es geht schließlich um die zentrale Frage, was an der Außenpolitik feministisch sein soll bzw. welche fundamentale Stoßrichtung der »feministische Faktor« der Außenpolitik geben soll.
Die nationalen FAP-Initiativen haben akademische Bemühungen um Konzeptklärung nach sich gezogen. Diese gehen teils empirisch vor, vergleichen und systematisieren nationale Dokumente, um gemeinsame Kernelemente zu identifizieren (Thompson 2020). Teils sind sie theoretisch angelegt und greifen auf feministische Ansätze zurück, etwa der Politikwissenschaft, der internationalen Beziehungen sowie der Friedens- und Konfliktforschung.
In diesem Sinne schlagen Thompson et al. (2020) eine umfassende normative Definition von FAP vor: »Feministische Außenpolitik ist die Politik eines Staates, der seine Interaktionen mit anderen Staaten sowie mit Bewegungen und anderen nichtstaatlichen Akteuren so gestaltet, dass Frieden, Gleichberechtigung der Geschlechter und ökologische Integrität Vorrang haben, die Menschenrechte aller geachtet, gefördert und geschützt werden, koloniale, rassistische, patriarchale und männerdominierte Machtstrukturen aufgebrochen und erhebliche Ressourcen, einschließlich für Forschung, zur Verwirklichung dieser Vision bereitgestellt werden. Feministische Außenpolitik ist kohärent in ihrem Ansatz über alle ihre Einflussmöglichkeiten hinweg und dadurch verankert, dass diese Werte im eigenen Land gelebt werden. Sie wird gemeinsam mit feministischen Aktivistinnen, Gruppen und Bewegungen im In- und Ausland entwickelt.« (Übers. d. Autorin).
Cheung et al. (2021) betrachten FAP als ethische Politik, bei deren Formulierung und Implementierung »fünf Kernwerte« handlungsleitend sein und zu besseren Entscheidungen und inkrementellem Wandel führen sollten: (1) Intersektionalität, (2) empathische Reflexivität (Selbstkritik bezüglich der eigenen Position und Beachtung der Bedürfnisse anderer), (3) substantielle Repräsentation und Partizipation, (4) Rechenschaftspflicht und (5) aktives Friedensengagement.
Auf einer niedrigeren Abstraktionsebene wird aus feministischer (advokatorischer wie theoretischer) Perspektive im Sinne einer FAP häufig für Demilitarisierung plädiert sowie dafür, Frieden gegenüber Sicherheit zu priorisieren, Inklusion gegenüber Exklusion, Mediation gegenüber Sanktion, Solidarität gegenüber Konkurrenz, Kooperation gegenüber Herrschaft. Damit wird ein normativer Denk- und Handlungsrahmen gesetzt, innerhalb dessen konkrete Positionen und Lösungsansätze immer wieder ausgehandelt werden müssen.
Schweden als Vorreiter der FAP
Unter den national eingeführten Varianten von FAP weist Schweden das älteste und umfassendste Konzept auf (Thompson et al. 2021). Dabei gilt Schweden als Vorreiter und Vorbild, ein Phänomen, das in den internationalen Beziehungen als Normdiffusion bezeichnet wird (Aggestam et al. 2019a). Schweden hat sich traditionell innen- wie außenpolitisch für Gendergerechtigkeit engagiert, so dass viele Staaten ihm große normative Legitimität (Reputation und Anerkennung) attestieren (Rosén Sundström et al. 2021). Das Land führte 1994 per Gesetz Gendermainstreaming als Regierungsstrategie ein.
Unter Außenministerin Margot Wallström, die von 2010 bis 2012 VN-Sonderbeauftragte für das Thema sexuelle Gewalt in Konflikten gewesen war, erklärte Schweden 2014 offiziell, es betreibe eine feministische Außenpolitik. Damit entschied sich die schwedische Regierung, die sich selbst als »feministisch« bezeichnete, nach eigener Auskunft dafür, die Genderperspektive systematisch in ihre außenpolitische Agenda zu integrieren. Diese umfasst drei Bereiche: Außen- und Sicherheitspolitik, Entwicklungszusammenarbeit sowie Handel und Außenwirtschaftsförderung. Nach eigenen Angaben verfolgt Schweden mit FAP das transformative Ziel, Strukturen zu verändern und die Sichtbarkeit von Frauen und Mädchen als Akteurinnen zu erhöhen. Dabei kennzeichnet die Regierung ihren FAP-Ansatz als intersektional.
Die Formel der »3R« (siehe Aufzählung unten), mit der Schweden seine FAP zu Beginn zusammenfasste, hat Modellcharakter erlangt bzw. wurde zum Ausgangspunkt für jene Regierungen, die – wie Deutschland – einen ähnlichen Weg einschlagen wollen. Laut dem Handbuch der schwedischen FAP (2019) geht es dabei mit Fokus auf Frauen und Mädchen darum, folgende Aspekte zu stärken:
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Rechte: Bekämpfung jeglicher Form von Gewalt und Diskriminierung, die ihren Handlungsspielraum einschränken;
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Repräsentation: ihre Beteiligung an Entscheidungsprozessen sowie Einflussnahme auf allen Ebenen und in allen Bereichen;
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Ressourcen: Mitteleinsatz, um Gendergerechtigkeit und Chancengleichheit zu fördern, sowie Verbesserung ihres Zugangs zu Ressourcen.
Die Beachtung der Realität, in der Frauen und Mädchen leben, begründete die Einführung eines vierten »R«, dem zufolge Kontextsensibilität gefordert wird.
Darüber hinaus definiert Schweden mit Blick auf die Situation von Frauen und Mädchen sechs langfristige Schwerpunkte seiner auswärtigen Politik: (1) Umsetzung und Achtung der Menschenrechte; (2) Schutz vor physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt; (3) Beteiligung an Konfliktprävention und -lösung; (4) politische Beteiligung und Einflussnahme in allen Gesellschaftsbereichen; (5) ökonomische Rechte und Empowerment sowie (6) sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte.
Um die FAP zu implementieren, wurden verschiedene Stellen und Programme ins Leben gerufen, darunter der Aktionsplan des Außenministeriums. Dieser beinhaltet seit 2017 ebenfalls eine ressortinterne Dimension, die auf die Umsetzung der »3R« innerhalb des Außenministeriums abzielt. Eine Botschafterin für die Gleichberechtigung der Geschlechter wurde ernannt, die die FAP koordiniert. Sie steht einem Team vor, das den FAP-Aktionsplan erarbeitet und mit der Abteilung für die Gleichberechtigung der Geschlechter im Arbeitsministerium kooperiert. Letztere fördert und überwacht die Genderpolitik der Regierung in allen Politikfeldern. In den verschiedenen Referaten des Außenministeriums wurden Focal Points für FAP eingerichtet. Die 2018 gegründete nationale Agentur für Gendergerechtigkeit soll die Gleichstellungspolitik der Regierung unterstützen.
Kriterien und Kritik
Bei der Bewertung der schwedischen FAP sowie dem Vergleich mit anderen nationalen Varianten (Thompson et al. 2021) kommen aus advokatorischer wie akademischer Perspektive Gesichtspunkte zum Tragen, die zentrale Aspekte der Debatte um FAP widerspiegeln: Der schwedische FAP-Ansatz gilt in seiner Reichweite als umfassend insofern, als er – dem Konzept nach – mehrere auswärtige Politikbereiche einschließt, aber auch eine starke innenpolitische Komponente hat. Enger gefasst sind etwa der kanadische und der französische Ansatz: Ersterer besteht bisher in einer »feministischen Entwicklungszusammenarbeit«, Letzterer bezieht sich lediglich auf eine »feministische Diplomatie«.
Die schwedische FAP zeichnet sich durch eine hohe Institutionalisierung aus, da sie sich in verschiedenen Organisationseinheiten und Zielvorgaben niederschlägt. Weniger ausformuliert und institutionalisiert ist zum Beispiel die feministische Diplomatie Frankreichs. In Schweden fallen allerdings Monitoring und (unabhängige) Evaluierung sowie Wirkungsanalyse – ähnlich wie in Kanada – schwach aus. Daher wird die Einführung von weiteren »R« für Research, Reporting und Reach empfohlen (Thompson et al. 2021).
Aus der Perspektive eines inklusiven Feminismus stellt sich der schwedische Fokus auf Frauen und Mädchen als eng, binär und cisgenderzentriert dar. Im Gegensatz dazu hat Luxemburg ein breiteres Konzept. Und auch das AA stellt klar, dass FAP »keine Politik von Frauen für Frauen« sei; es bringt sie auf die Formel »3R+D«, wobei »D« für die Förderung von Diversität steht. Ähnlich weitreichende Vorstellungen hat das BMZ. Bemängelt wird im Falle Schwedens zudem, dass der deklarierte intersektionale Anspruch weder konzeptionell noch operativ übersetzt werde. Doch bei den auf Frauen und Mädchen bezogenen »3R« schneide Schweden hinsichtlich des Umsetzungsgrades relativ gut ab, also bei der Implementierungskohärenz (Diskurs vs. Handeln), wobei auch die Finanzierung von Programmen mit einer starken Genderperspektive (Budgeting) berücksichtigt wird (Thompson et al. 2021).
Heftig kritisiert wird allerdings eine fehlende horizontale Kohärenz, vor allem zwischen Schwedens FAP und seiner Rüstungsexportpolitik (Aggestam et al. 2019b). Obwohl seit dem Gesetz von 2017 »der demokratische Status des Empfängerlandes eine zentrale Voraussetzung für die Beurteilung der Frage ist, ob eine Genehmigung erteilt wird oder nicht« (Übers. d. Autorin), werden schwedische Waffen weiterhin auch an repressive Regime geliefert, die Menschen- und Frauenrechte massiv verletzen. So werden sie nach Saudi-Arabien verkauft und im Jemen eingesetzt – ein vielzitiertes Beispiel.
Aus postkolonial-feministischer Perspektive wird darüber hinaus analysiert, wie Schweden FAP als strategisches Narrativ einsetzt (Zhukova 2021) bzw. wie Schweden und andere Staaten sich mittels FAP in den globalen Hierarchien zu positionieren versuchen (Achilleos-Sarll 2018). Mitunter wird FAP als »neuer Normexport« des Globalen Nordens angesehen, der auf einem liberalen Feminismus bzw. einem feministischen Universalismus basiere und daher der Vielfalt kultureller Kontexte nicht gerecht werde. Die Außenpolitik von Staaten, die Frauen (im Globalen Süden) zu »retten« suchen, wird auch als »feministischer Imperialismus« bewertet.
Trotz seines erklärten transformativen Anspruchs zeigt sich der schwedische Ansatz insgesamt eher reformistisch – er bleibt in der bestehenden Wirtschaftsordnung verhaftet (Thomson 2020). Sein nichtradikaler Charakter dürfte zu seiner internationalen Verbreitung beigetragen bzw. diese erst möglich gemacht haben. Während Spanien und Mexiko sich ebenfalls für einen Strukturwandel aussprechen, sehen andere Länder wie Kanada von einem disruptiven Versprechen in ihren FAP-Dokumenten ab.
Dekonstruktion und Denkanstöße
Im Mittelpunkt der kritischen Auseinandersetzung mit FAP steht die Problematisierung erstens der Kluft zwischen Rhetorik und Praxis, zweitens des Spannungsverhältnisses zwischen FAP und anderen Politikfeldern, drittens der Diskrepanzen zwischen den heterogenen Anforderungen verschiedener feministischer Perspektiven.
Die offizielle Einführung einer FAP gibt Anlass, Regierungshandeln beim Wort zu nehmen und Rechenschaft einzufordern. Aktivistinnen und Forschende wenden ihr Instrumentarium an, überprüfen und analysieren die nationalen FAP-Varianten. Denn die feministischen Bewegungen und Theorien blicken auf eine viel längere Geschichte zurück als der feminist turn in der Außenpolitik.
Regierungen mögen sich mit FAP progressiv geben und dabei dünne, gebrauchstaugliche Versionen von Feminismus propagieren. Damit führen sie aber zugleich den Begriff »Feminismus« in den politischen Diskurs ein; damit wird Feminismus »staatsfähig«. FAP drängt die Regierungen dazu, ihre Außenpolitik nicht nur auf Staaten, sondern auch (stärker) auf (benachteiligte) Personengruppen auszurichten, sie gegenüber der Zivilgesellschaft und dem Aktivismus – etwa über Konsultationen – (weiter) zu öffnen und sie mit anderen Ressorts (besser) abzustimmen.
Eine FAP, die nicht systemisch verstanden wird und sich darin erschöpft, eine Agenda zur Förderung von Frauenrechten in den Bereichen Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit zu sein, bleibt – gemessen am Anspruch eines auf Transformation statt auf Reform zielenden Feminismus – sicherlich zu eng und greift zu kurz. Trotz dieser Einschränkung kann FAP in ihren schmalen, nationalen Versionen den multilateralen, normativen Rahmen (CEDAW, WPS, SDG etc.) stärken, indem diese dessen Normen internalisieren. Es bleibt abzuwarten, wo FAP Regierungs- und Machtwechsel übersteht bzw. ob sie im Lauf der Zeit als Ansatz vertieft und erweitert wird.
Es dürfte kein Zufall sein, dass in den meisten Ländern, in denen eine feministische Außen- bzw. Entwicklungspolitik eingeführt wurde, Frauen den entsprechenden Ressorts vorstanden – so auch in Deutschland. Doch nicht überall, wo Frauen sind, setzen sich feministische Inhalte durch. Zwar sind dominante Gruppen die Hauptträger herrschender Ordnungen; marginalisierte Gruppen stützen sie aber durch angepasstes, ordnungskonformes Verhalten. Zudem erschweren patriarchale Strukturen die Übersetzung deskriptiver in substantielle Repräsentation benachteiligter Gruppen. Und schließlich ist der Feminismus – politisch wie theoretisch – pluralistisch zu verstehen, so dass hinsichtlich vieler Problemzusammenhänge unterschiedliche (feministische) Einschätzungen möglich sind.
Mehr Frauen in den Streitkräften und ein Verteidigungsministerium unter weiblicher Leitung, während zugleich die Verteidigungsausgaben bzw. Rüstungsexporte steigen – ist das alles FAP-kompatibel? Ja oder nein zu Waffenlieferungen in Kriegsgebiete, damit (weibliche) Opfer sich gegen (sexualisierte) Gewalt wehren bzw. von Soldaten davor geschützt werden können – wie lautet eine feministische Antwort darauf? Gelangen wir zu alternativen Begriffen, Diagnosen, Bewältigungsstrategien und Lösungsansätzen, wenn wir etwa die »Systemkonkurrenz«, den »Handelskrieg« oder die »Migrationskrise« durch eine feministische Brille betrachten?
FAP lädt zweifelsohne zur Debatte über diese und weitere Fragen ein. Sie fordert tradierte Denk- und Politikmuster heraus. Das transformative Ziel von FAP regt zur kritischen Reflexion über Machtstrukturen an, die als »natürlich« angesehen werden, und über die eigene Position. Darüber hinaus bietet FAP einen Anlass, Prioritäten und Mittel zu überprüfen und sich ernsthaft um Kohärenz in der Politik zu bemühen. Sie führt zusätzliche Perspektiven in die Problemanalyse ein und hebt den normativen Maßstab für politische Entscheidungen und deren Begründung. Nicht zuletzt kann das disruptive Ideal von FAP den Impuls geben für alternative Betrachtungen, Quelle sein für Dekonstruktion und Denkanstöße. Auch darin liegt das Potential eines feministischen Blicks auf die Außenpolitik.
Zitierte Literatur
C. Achilleos-Sarll, »Reconceptualising Foreign Policy as Gendered, Sexualised and Racialised: Towards a Postcolonial Feminist Foreign Policy (Analysis)«, in: Journal of International Women’s Studies, 19 (2018) 1, S. 34–49.
K. Aggestam / J. True, »Gendering Foreign Policy: A Comparative Framework for Analysis«, in: Foreign Policy Analysis, 16 (2020) 2, S. 143–162.
K. Aggestam / A. Bergman Rosamond, »Feminist Foreign Policy 3.0: Advancing Ethics and Gender Equality in Global Politics«, in: SAIS Review of International Affairs, 39 (2019a) 1, S. 37–48.
K. Aggestam / A. Bergman Rosamond / A. Kronsell, »Theorising Feminist Foreign Policy«, in: International Relations, 33 (2019b) 1, S. 23–39.
J. Cheung / D. Gürsel / M. J. Kirchner / V. Scheyer, Practicing Feminist Foreign Policy in the Everyday: A Toolkit, Berlin: Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit Deutschland, November 2021.
M. Rosén Sundström / E. Zhukova / O. Elgström, »Spreading a Norm-Based Policy? Sweden’s Feminist Foreign Policy in International Media«, in: Contemporary Politics, 27 (2021) 4, S. 439–460.
L. Thompson, Feminist Foreign Policy: A Framework, Washington, D. C.: ICRW, 2020.
L. Thompson / S. Ahmed / T. Khokhar, Defining Feminist Foreign Policy: A 2021 Update, Washington, D. C.: ICRW, 2021.
L. Thompson / G. Patel / G. Kripke / M. O’Donnell, Toward a Feminist Foreign Policy in the United States, Washington, D. C.: ICRW, 2020.
J. Thomson, »Gender Norms, Global Hierarchies and the Evolution of Feminist Foreign Policy«, in: European Journal of Politics and Gender, 5 (2022) 2, S. 173–190.
J. Thomson, »What’s Feminist about Feminist Foreign Policy? Sweden’s and Canada’s Foreign Policy Agendas«, in: International Studies Perspectives, 21 (2020) 4, S. 424–437.
E. Zhukova, »Postcolonial Logic and Silences in Strategic Narratives: Sweden’s Feminist Foreign Policy in Conflict-Affected States«, in: Global Society, 10.12.2021 (online).
Dr. Claudia Zilla ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Amerika.
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