Dr. Daniel Voelsen ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Globale Fragen
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Eine Reihe von Unternehmen aus den USA und China planen den Aufbau von Netzwerken aus mehreren Tausend Satelliten, um an jedem Ort der Erde den Zugang zum Internet per Satellitenverbindung zu ermöglichen. Die Satelliten dafür sollen in erdnaher Umlaufbahn stationiert werden.
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Werden diese Pläne realisiert, wird die globale Internet-Infrastruktur um eine gänzlich neue Dimension ergänzt, mit weitreichenden Folgen für den Zugang zum Internet, für die Sicherheit und die Resilienz der Internet-Infrastruktur und nicht zuletzt für die Machtbeziehungen in der globalen Internet-Governance.
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Für die Staaten, aus denen die führenden Unternehmen kommen – allen voran die USA, gefolgt von China –, würden sich umfassende Möglichkeiten der politischen Einflussnahme ergeben. Sie könnten auf der Ebene der globalen Internet-Infrastruktur kontrollieren, ob und unter welchen Bedingungen weltweit Informationen ausgetauscht werden.
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Um das Spektrum möglicher Entwicklungen und die damit verbundenen Handlungsmöglichkeiten zu verdeutlichen, werden in dieser Studie zwei Szenarien entworfen: eines beschreibt die Herausbildung globaler Oligopole, das andere eine Form politisch regulierten globalen Wettbewerbs.
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Die deutsche und die europäische Politik sollten durch regulatorische Maßnahmen und öffentliche Förderung darauf hinwirken, dass die Internet-Infrastruktur der Zukunft durch technologische Redundanz und Diversität sicher und zuverlässig ist. In einem angemessenen Technologie-Mix können auch die neuen Satellitenkonstellationen eine wichtige Ergänzung bilden.
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Für Europa wäre der Aufbau einer eigenen Konstellation sowohl unter politischen wie wirtschaftlichen Gesichtspunkten erstrebenswert.
Inhaltsverzeichnis
1 Problemstellung und Empfehlungen
2 Zur politischen Bedeutung globaler Kommunikationsinfrastrukturen
2.1 Die strategischen Interessen der Staaten
2.2 Die Rolle privater Unternehmen
3.2 Die wichtigsten Unternehmen
3.2.1 Die Marktführer aus den USA, Großbritannien und Kanada
3.2.2 Chinesische Staatsunternehmen
3.3 Politische Gestaltungsmöglichkeiten
3.3.3 Öffentliche Förderung für Forschung und Entwicklung
3.3.4 Entwicklung von Standards und Protokollen
4 Mögliche Zukünfte: das globale Internet im Jahr 2035
4.1 Szenario 1: Globale Oligopole
4.1.2 Sicherheit und Resilienz
4.1.3 Macht in der globalen Internet-Governance
4.2 Szenario 2: Regulierter Wettbewerb
4.2.2 Sicherheit und Resilienz
4.2.3 Macht in der globalen Internet-Governance
5 Empfehlungen für Deutschland und die Europäische Union
5.1 Technologische Redundanz und Diversität fördern
5.2 Gestaltungsspielraum schaffen durch eine europäische Konstellation
5.3 Strategische Partnerschaften vertiefen
5.4 Multilaterale Institutionen schützen
Problemstellung und Empfehlungen
Es mag wie Science-Fiction klingen, könnte aber schon bald Realität werden: Eine Reihe von Unternehmen wenden erhebliche Ressourcen auf, um an jedem Ort der Erde den Zugang zum Internet per Satellitenverbindung zu ermöglichen. Dafür sollen Satelliten in erdnaher Umlaufbahn genutzt werden, also in vergleichsweiser geringer Entfernung zur Erdoberfläche. Ein weltumspannendes Netz Tausender solcher Satelliten soll schnelle Datenverbindungen und die Übertragung großer Datenmengen möglich machen. Am weitesten ist die Firma Starlink aus den USA, die bereits die ersten Satelliten für ein geplantes Netzwerk, eine sogenannte »Konstellation«, aus mehreren Zehntausend Satelliten stationiert hat. Daneben gibt es eine Reihe weiterer Firmen aus den USA, die – mit Unterstützung durch die US-Regierung – ähnliche Pläne verfolgen. Konkurrenz kommt aus China: Die großen chinesischen Staatsunternehmen im Bereich der Weltraumtechnik haben angekündigt, eigene Konstellationen aufzubauen.
In den Plänen für die neuen Satellitennetzwerke spiegeln sich die gestiegenen Anforderungen an die globale Internet-Infrastruktur – und das zunehmende Bewusstsein um die politische Bedeutung ebendieser Infrastruktur. Der Zugang zum globalen Internet ist ökonomisch von immer größerer Bedeutung; er hat aber auch eine politische Dimension: Eine wachsende Zahl von Staaten versucht, die Kontrolle über die Internet-Infrastruktur und über Informationsflüsse auszuweiten. Wie schon beim Aufbau der ersten Telegraphennetze ab dem späten 19. Jahrhundert geht es ihnen darum, die eigenen Kommunikationsmöglichkeiten zu erweitern – und an der Schnittstelle von Technik und Politik Einfluss darauf zu nehmen, unter welchen Bedingungen weltweit Informationen ausgetauscht werden.
Ob sich die höchst ambitionierten Pläne für die Satellitenkonstellationen werden realisieren lassen, ist heute noch offen. Alle beteiligten Unternehmen sehen sich mit einer Vielzahl technischer wie ökonomischer Herausforderungen konfrontiert. Sollte es jedoch gelingen, diese Herausforderungen zu überwinden, so hätte dies weitreichende Folgen für den Zugang zum Internet, für die Sicherheit und Resilienz der Internet-Infrastruktur und nicht zuletzt für die Machtbeziehungen in der globalen Internet-Governance.
Um das Spektrum möglicher Entwicklungen auszuleuchten und die entsprechenden Handlungsmöglichkeiten zu verdeutlichen, werden in dieser Studie zwei Szenarien durchgespielt. Im ersten Szenario mit dem Titel »Globale Oligopole« kommt es zum Aufbau von drei Satellitenkonstellationen, zwei davon unter amerikanisch-britischer Führung, eine als chinesisches Projekt im Rahmen der »Belt and Road Initiative«. Die enorme Konzentration wirtschaftlicher Macht hat in diesem Szenario auch politische Folgen: Die Verfügbarkeit der Dienste orientiert sich an politischen Konfliktlinien. Im Ergebnis verstärkt sich der Trend zur Fragmentierung des Internets. Die Betreiber der Konstellationen und die dahinterstehenden Staaten können genau steuern, wie Daten innerhalb der jeweiligen Systeme und zwischen diesen ausgetauscht werden. Die Staaten Europas, und damit auch Deutschland, sind in diesem Szenario kaum noch in der Lage, die Nutzung digitaler Infrastrukturen an eigenen politischen Interessen und Ordnungsvorstellungen auszurichten.
Im zweiten Szenario mit dem Titel »Regulierter Wettbewerb« werden die neuen Satellitenkonstellationen regulatorisch so eingehegt, dass ein gewisses Maß an Wettbewerb entstehen kann. Insbesondere regeln neue Vereinbarungen im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO, dass die Betreiber der Konstellationen in der Regel nicht zugleich selbst Dienstleistungen für Endverbraucher auf der Erde anbieten dürfen, sondern hierfür mit lokalen Unternehmen kooperieren müssen. Durch eine gezielte öffentliche Förderung und eine enge technologische Partnerschaft mit Japan gelingt es zudem, eine europäische Konstellation aufzubauen. Für Europa selbst, aber auch für viele andere Staaten der Welt, entsteht so eine Alternative zu den Systemen aus den USA und China. Auf Basis einer engen Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und der Afrikanischen Union wird einer großen Zahl von Menschen in Entwicklungsländern erstmals ein kostengünstiger und zuverlässiger Zugang zum Internet ermöglicht. Zwar werden auch in diesem Szenario die Konstellationen teilweise zum Mittel geopolitischer Interessenpolitik, doch wird das gemeinsame globale Fundament des Internets bewahrt.
Es ist nicht davon auszugehen, dass eines dieser zwei Szenarien in Reinform Realität werden wird. Der Zweck des Denkens in solchen Szenarien ist allerdings auch nicht die Prognose einer wahrscheinlichen Zukunft. Vielmehr soll verdeutlicht werden, welche potentiell weitreichenden politischen Folgen die Entwicklungen im Bereich der Internetsatelliten haben könnten – und welche Möglichkeiten es gibt, diese Entwicklungen politisch zu gestalten.
In den letzten Jahren haben sich die Bundesregierung und der Bundestag wiederholt zu dem Ziel eines offenen, freien und tatsächlich globalen Internets bekannt. Die Pläne für neue Konstellationen von Internetsatelliten sind mit Blick auf dieses Ziel eine Chance, aber auch eine Herausforderung. Sie bieten die Aussicht auf ein leistungsfähigeres und sehr viel inklusiveres Internet. Zugleich besteht die Gefahr einer enormen Konzentration wirtschaftlicher und in der Konsequenz auch politischer Macht.
Um dieser Herausforderung zu begegnen, sollte die deutsche und europäische Politik durch gezielte regulatorische Maßnahmen und öffentliche Förderung darauf hinwirken, dass die europäische wie auch die globale Internet-Infrastruktur durch technologische Redundanz und Diversität sicher und zuverlässig gestaltet werden. In einem ausgewogenen Technologie-Mix können die neuen Satellitenkonstellationen eine wichtige Ergänzung digitaler Infrastrukturen sein, ohne politische Abhängigkeiten zu schaffen.
Zudem sollte Europa den Aufbau einer eigenen europäischen Konstellation anstreben, um wirtschaftlich und politisch unabhängig zu bleiben und um sich auf diese Weise mit einem konkreten technologischen Alternativangebot an der Debatte über die Zukunft des globalen Internets zu beteiligen. Dafür ist es wichtig, strategische Partnerschaften zu vertiefen, die relevanten multilateralen Institutionen wie die WTO und die International Telecommunication Union (ITU) zu stärken und die Strukturen der Internet-Governance vor allem dort zu erhalten, wo sie am produktivsten sind, also vor allem in den etablierten Formen freiwilliger Kooperation bei der Entwicklung offener Standards.
Noch ist Zeit, um die Entwicklungen im Bereich der Internetsatelliten im »aufgeklärten Eigeninteresse« (Tocqueville) Deutschlands und Europas mitzugestalten. Und selbst wenn sich die heutigen Pläne nicht realisieren lassen, wäre ein proaktiveres Vorgehen ein wichtiger Beitrag zu den Auseinandersetzungen über die Zukunft der globalen Internet-Infrastruktur, die unabhängig von einzelnen Technologien in den nächsten Jahren anstehen werden.
Zur politischen Bedeutung globaler Kommunikationsinfrastrukturen
Bei den projektierten Mega-Konstellationen von Internetsatelliten werden technologisch in vielerlei Hinsicht neue Wege beschritten. Die mit den Planungen und den Zielen einhergehende politische Dynamik hingegen ist nicht neu. Um sie zu verstehen, hilft es, sich noch einmal die Geschichte weltumspannender Kommunikationssysteme in Erinnerung zu rufen, von den ersten Telegraphenverbindungen im 19. Jahrhundert bis zur globalen Ausbreitung des Internets seit dem späten 20. Jahrhundert.
Die strategischen Interessen der Staaten
Die Einführung neuer Kommunikationstechnologien bereitet oft auch ganz neuen Formen gesellschaftlicher Interaktion den Weg. Wie die sozialwissenschaftliche Technologieforschung betont, ist die Stoßrichtung der Transformation jedoch offen: Viel hängt davon ab, wie sich eine Gesellschaft neue Technologien zunutze macht.1 Im Falle internationaler Kommunikationssysteme kommt hinzu, dass technologische Entwicklungen in diesem Bereich nicht nur einzelne Gesellschaften verändern können, sondern auch die Machtverhältnisse zwischen den Staaten.
Dies erklärt auch das strategische Interesse der Staaten an technologischen Innovationen. Erstens bietet der Zugang zu einem globalen Kommunikationssystem Regierungen die Möglichkeit, die eigenen administrativen und militärischen Handlungsspielräume zu erweitern. So war etwa der Aufbau der ersten weltweiten Telegraphennetze wesentlich getrieben von dem Bestreben kolonialer Verwaltungsapparate, möglichst zeitnah über Entwicklungen in den Kolonien informiert zu werden und auf diese reagieren zu können.2 Wie schon damals so ist auch heute noch die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Kommunikationssysteme für die militärische und diplomatische Nachrichtenübermittlung (bisweilen immer noch als »Kabelberichte« bezeichnet) von größter Bedeutung. Den militärischen Stellenwert veranschaulicht besonders eindrücklich die Tatsache, dass bei Beginn des Ersten Weltkriegs eine der ersten Handlungen des britischen Oberkommandos darin bestand, den Großteil der internationalen Kabelverbindungen Deutschlands zu kappen. In jüngerer Zeit haben die Veröffentlichungen von Depeschen des U.S. State Department durch WikiLeaks im Jahr 2010 gezeigt, was bei der Sicherheit diplomatischer Kommunikation auf dem Spiel steht.
Zweitens hat der Zugang zu globalen Kommunikationsnetzwerken große wirtschaftliche Bedeutung. Zwar konnte das erste transatlantische Kabel zwischen Großbritannien und den USA von heute aus betrachtet nur eine äußerst geringe Menge an Informationen übermitteln; doch schon basale Daten und Nachrichten zur Entwicklung der Preise für Handelswaren und zum Geschehen auf den Finanzmärken waren für die Unternehmen zur damaligen Zeit von großem Wert.3 Dies erklärt, warum sich die Kommunikationssysteme schon in jener Periode an den Strukturen des globalen Handelssystems, und das hieß in vielen Fällen an den Interessen kolonialer Herrschaft orientierte.
Die Digital Divide teilt die Welt in jene, die das Internet nutzen können, und jene rund 3,6 Milliarden Menschen, die noch immer keinen Zugang zum Internet haben.
Das Internet fügt dieser Geschichte ein neues Kapitel hinzu: Informationen in Form digitaler Güter und Dienstleistungen sind hier selbst zu einem wirtschaftlichen Produkt geworden. Dem ökonomischen Erfolg des Internets steht dabei eine fundamentale globale Ungleichheit gegenüber. Die Digital Divide teilt die Welt in jene, die von den vielfältigen Möglichkeiten des Internets Gebrauch machen können, und jene rund 3,6 Milliarden Menschen, die noch immer keinerlei Zugang zum Internet haben. Es ist eine traurige Pointe der Geschichte, dass dies zu einem großen Teil jene Gesellschaften betrifft, die einst unter dem Kolonialismus leiden mussten. Waren sie damals für die Zwecke kolonialer Herrschaft in globale Kommunikationssysteme eingebunden, so fehlt ihnen nun ebendieser Zugang als immer wichtigere Grundlage für eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung.
Drittens schließlich sehen zumindest einige Staaten in der Kontrolle über globale Kommunikationsinfrastrukturen einen Hebel, um über ihre Grenzen hinaus Macht auszuüben. In ihrem Buch News from Germany zeichnet Heidi Tworek nach, wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Reihe von Staaten dieses politische Potential der Beherrschung und Überwachung der Informationsflüsse für sich entdeckten, darunter auch Deutschland. Schon damals war diesen Staaten bewusst, dass diese Art von Kontrolle es ihnen erlauben würde, die Verbreitung bestimmter Informationen im Dienste der eigenen politischen und wirtschaftlichen Zwecke zu priorisieren, andere Informationen hingegen zu manipulieren oder gar komplett zu unterdrücken.4 Ebenfalls war schon seinerzeit klar, dass es hier einer gewissen internationalen Koordinierung bedarf – und dass die Bedingungen und Details dieser Koordinierung wiederum selbst politisch bedeutsam sein können. Vor dem Hintergrund der damaligen strategischen Überlegungen in Deutschland ist es daher wohl kein Zufall gewesen, dass das Deutsche Reich 1906 die erste »Weltfunkkonferenz« in Berlin ausrichtete.5
Die Rolle privater Unternehmen
Große Teile der globalen Internet-Infrastruktur sind im Besitz privater Unternehmen und werden auch von diesen unterhalten. So sind heute etwa 95 Prozent aller Unterseekabel für Internetverbindungen in privater Hand.6 Auch die Mehrzahl der Internet Exchange Points (IXPs) wird von Unternehmen betrieben, darunter nahezu alle der größten IXPs.7 Historisch betrachtet ist auch dies wiederum nicht überraschend: Schon die ersten Telegraphenkabel wurden von privaten Firmen verlegt und unterhalten; auch die ersten weltumspannenden Telegraphennetzwerke einige Jahrzehnte später gehörten privaten Eigentümern.8
Schon damals war der Betrieb der globalen Kommunikationsnetze von komplizierten Beziehungen zwischen Staaten, Unternehmen und der breiteren Öffentlichkeit begleitet. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Die Staaten neigen dazu, die jeweiligen »nationalen« Wirtschaftsakteure als Erweiterung bzw. Verlängerung ihrer Macht zu sehen. Die privaten Firmen befeuern diese Wahrnehmung dort, wo sie sich in öffentlicher Unterstützung für ihre Aktivitäten auszahlt; zugleich verfolgen sie ihre eigenen kommerziellen Ziele und sind dabei oft nicht willens, sich von engen Vorgaben nationaler Interessenpolitik einschränken zu lassen. Die breitere Öffentlichkeit soll den offiziellen Verlautbarungen zufolge der Nutznießer staatlichen und privatwirtschaftlichen Handelns sein; ob sich die angebotenen Dienstleistungen mit dem tatsächlichen gesellschaftlichen Bedarf decken, ist jedoch oft umstritten.
Der Aufbau und Betrieb globaler Kommunikationsinfrastrukturen lässt sich als wirtschaftlich eigenständiges Unterfangen verstehen. Für viele Unternehmen geht es aber daneben oft auch darum, ein größeres Maß an Kontrolle über die Prozesse zur Herstellung von Gütern und Bereitstellung von Dienstleistungen zu gewinnen. Diese Sicht scheint sich zunehmend auch auf Unternehmen auszuweiten, die bisher nicht zu den »üblichen Verdächtigen« in dieser Branche gehörten. Einige der größten Firmen, die heute digitale Güter und Dienstleistungen anbieten – Google, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft, kurz: GAFAM – gehen immer mehr dazu über, ihre eigenen Infrastrukturen zu betreiben. Sie investieren dafür massiv in den Aufbau von Datenzentren in allen Weltregionen und in neue Unterseekabel, die den stetig wachsenden Bedarf dieser Firmen an Kapazitäten zur Datenübertragung decken sollen (siehe Grafik 1).
Ziele deutscher Politik
Auch in Deutschland steigt das Bewusstsein für die strategische Bedeutung der Internet-Infrastruktur. Viel Aufmerksamkeit erfuhr zum Beispiel die Diskussion über die Beteiligung des chinesischen Unternehmens Huawei am Aufbau des 5G-Netzes in Deutschland. Die Schärfe der Auseinandersetzung und nicht zuletzt das robuste Auftreten der US-Administration unter Donald Trump zeigten deutlich auf, wie sehr scheinbar technische Fragen digitaler Infrastrukturen mit geopolitischen Auseinandersetzungen um politischen und wirtschaftlichen Einfluss verbunden sind.
Der Bundestag und die Bundesregierung haben im Jahr 2019 die Rolle Deutschlands als Gastgeber des Internet Governance Forum (IGF) genutzt, um die eigenen Prioritäten in Bezug auf die globale Internet-Governance deutlich zu machen. So unterstrich etwa Bundeskanzlerin Merkel in ihrer Eröffnungsrede beim IGF explizit den Wert der globalen Internet-Infrastruktur: »Diese gemeinsame Internet-Infrastruktur ist ein Herzstück der globalen Wirtschaft geworden.«9
Die Bundeskanzlerin warnt vor einer Zersplitterung des Internets. Es gelte, »den Kern des Internets als globales öffentliches Gut zu schützen«.
Auch der Bundestag hat im Vorfeld des IGF in einem Beschluss das Ziel eines freien und genuin globalen Internets betont und sich ausdrücklich gegen eine politische Fragmentierung des Internets gewandt. An der entsprechenden Stelle heißt es: »Besonders einer Abspaltung von Staaten oder sogar ganzen Regionen von der zentralen Infrastruktur des gemeinsamen Adresssystem (DNS) muss entgegengewirkt werden«.10 In ihrer Rede beim IGF warnte auch die Bundeskanzlerin davor, dass eine Zersplitterung des Internets die Stabilität der globalen Infrastruktur gefährde und Überwachung und Zensur erleichtere. Um dies zu verhindern, so Merkel, gelte es, »den Kern des Internets als globales öffentliches Gut zu schützen«.11
In den letzten Jahren hat sich vor allem die deutsche Bundesregierung zudem immer häufiger die Idee der »Digitalen Souveränität« zu eigen gemacht. Der umkämpfte Begriff wird zumeist dazu genutzt, um eine Reihe von Anliegen miteinander zu verbinden: Diese reichen von einer proaktiven Industriepolitik über Maßnahmen zum Aufbau digitaler Kompetenzen in der öffentlichen Verwaltung bis hin zu individueller Datensouveränität. In ihrer Rede beim IGF 2019 grenzte Bundeskanzlerin Merkel die Souveränität im Sinne demokratischer Selbstbestimmung gegen protektionistische und nationalistische Vorstellungen von Souveränität im Sinne einer Abschottung ab. So überrascht nicht, dass auch im Programm des deutschen EU-Ratsvorsitzes in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 dem Begriff der Digitalen Souveränität zentrale Bedeutung zugemessen wurde.12
Internet per Satellit
Eine Reihe von Unternehmen verfolgt Pläne, schnellen und flächendeckenden Zugang zum Internet über Satelliten in erdnaher Umlaufbahn bereitzustellen. Ein dichtes Netz solcher Satelliten soll es ermöglichen, dass die Sonden bei ihrem Lauf um die Erde die gesamte Erdoberfläche abdecken können. Gelingt es den beteiligten Unternehmen, ihre Projekte umzusetzen und die Satellitenkonstellationen in Betrieb zu nehmen, so würde eine gänzlich neue Dimension der globalen Internet-Infrastruktur entstehen.
Die Technik
Seit die Sowjetunion 1957 mit Sputnik die erste Sonde ins Weltall schickte, hat die Bedeutung von Satelliten erheblich zugenommen. Satelliten werden heute im Wesentlichen für drei Zwecke genutzt: Für Ortungssysteme auf der Erde wie das US-amerikanische Global Positioning System (GPS) oder das in der Schifffahrt genutzte Automatic Identification System (AIS); für die Beobachtung der Erde zu zivilen Zwecken wie der Wetter- und Umweltforschung und zu militärischen Zwecken der satellitenbildgestützten Aufklärung; und schließlich für Kommunikationszwecke und für das Satellitenfernsehen.
Grob unterscheiden lässt sich dabei zwischen Satelliten in geostationärer Umlaufbahn (Geostationary Earth Orbit, GEO) und solchen in erdnaher Umlaufbahn (Lower Earth Orbit, LEO). GEO-Satelliten befinden sich auf Höhe des Äquators in einer Entfernung von 35 786 Kilometern zur Erde und bewegen sich dort mit der Geschwindigkeit der Erdrotation. Von der Erde aus betrachtet scheinen sie daher fix am Himmel zu stehen. LEO-Satelliten kreisen hingegen in vergleichsweise geringer Distanz zur Erdoberfläche von 160 bis 2 000 Kilometern um den Globus. Sie bewegen sich schneller als die Erdrotation und sind darum von einem fixen Ort an der Erde immer nur für begrenzte Zeit erreichbar (siehe Grafik 2, S. 12).
GEO-Satelliten sind für Internetverbindungen bisher nur eingeschränkt nutzbar. Die größere Entfernung zur Erde bedeutet, dass der Datentransfer länger dauert. Während dies für den Aufruf von Websites kaum ein spürbares Problem darstellt, macht sich diese Verzögerung vor allem bei Echtzeitanwendungen wie Videotelefonie bemerkbar.
Was wir heute über die Datentransfer-Kapazitäten von LEO-Satelliten wissen Vertreter von Starlink haben gegenüber den Medien angegeben, dass die Starlink-Satelliten einen Datendurchsatz von 17 Gigabit pro Sekunde (Gbit/s) ermöglichen sollen. Stationiert Starlink 10 000 Satelliten, so würde dies theoretisch bedeuten, dass die Konstellation insgesamt eine Datenübertragungskapazität von 170 000 Gbit/s hätte, oder 170 Terabit pro Sekunde (Tbit/s). Sollte es zu dem öffentlich angekündigten Ausbau der Konstellation auf 48 000 Satelliten kommen, würde die Kapazität auf 816 Tbit/s steigen. Zwei Vergleiche können dabei helfen, die Dimension dieses Vorhabens zu veranschaulichen: Das von Facebook geplante neue Unterseekabel »2Africa« soll den gesamten afrikanischen Kontinent mit Europa verbinden und dabei eine Datenübertragungskapazität von 180 Tbit/s haben. Im März 2020, zu Beginn der Covid-19-Krise, meldete der Internet Exchange Point (IXP) in Frankfurt, DE-CIX, mit 9 Tbit/s einen neuen Weltrekord für den Datenumsatz eines einzelnen IXPS.a a Eric Ralph, »SpaceX Says Upgraded Starlink Satellites Have Better Bandwidth, Beams, and More«, Teslarati (online), 12.11.2019, <https://www.teslarati.com/spacex-starlink-satellite-upgrade-more-bandwidth-more-beams/>; Bernd Mewes, »23 Länder, 37.000 Kilometer: Neues Unterseekabel für stabiles Internet in Afrika«, heise online, 16.5.2020, <www.heise.de/newsticker/meldung/23-Laender-37-000-Kilometer-Neues-Unterseekabel-fuer-stabiles-Internet-in-Afrika-4722687.html>; »DE-CIX mit neuem Weltrekord: Mehr als 9 Terabit pro Sekunde Datendurchsatz am Frankfurter Internetknoten«, de-cix.net, 27.7.2020, <https://www.de-cix.net/de/about-de-cix/media-center/press-releases/de-cix-sets-a-new-world-record> (Zugriff jeweils am 27.7.2020). |
Die geringere Verzögerung (Latenz) beim Datenaustausch, die sich beim Einsatz von LEO-Satelliten ergibt, ist einer der wesentlichen Gründe für die Pläne, Konstellationen von Satelliten in erdnaher Umlaufbahn zu errichten. Hierbei aber stellt sich die Herausforderung, dass LEO-Satelliten wie beschrieben kontinuierlich um die Erde kreisen und darum von jedem Punkt an der Erde aus immer nur für kurze Zeit erreichbar sind. Um dauerhaft zuverlässige Internetverbindungen zu ermöglichen, sehen die Planungen daher vor, flächendeckende Netze von LEO-Satelliten aufzubauen. Trotz der permanenten Bewegung der Satelliten soll so jederzeit die Verbindung zu mindestens einem Satelliten verfügbar sein.
Die Designs der geplanten Konstellationen unterscheiden sich erheblich. Einige Unternehmen wollen Netze von mehreren Zehntausend Satelliten errichten, während andere »nur« mit einigen Hundert Satelliten planen.
Viele der Firmen, die neu in den Markt für satellitengestützte Kommunikation eintreten – zum Beispiel SpaceX und Amazon, aber auch einige Unternehmen aus China – haben das Ziel ausgegeben, den Nutzern eine direkte Verbindung zu den Satelliten anzubieten. Mit Hilfe von Antennen, die speziell zu diesem Zweck entworfen wurden (sogenannte »phased array antennas«), sollen sich die Nutzer direkt mit den Satelliten verbinden können. Diese Antennen haben derzeit etwa die Größe eines Pizzakartons und sind dafür gedacht, auf Gebäuden und auf beweglichen Objekten wie Autos, Zügen oder Booten befestigt zu werden. Andere Firmen wie zum Beispiel AST & Science wollen einen direkten Zugang zu den Satelliten über Standard-Mobilfunktechnologie möglich machen. Wie auch immer der Konnex technisch hergestellt wird: Klar ist, dass eine große Zahl von Satelliten gebraucht wird, um einer großen Zahl von Nutzern eine schnelle und zuverlässige Internetverbindung anbieten zu können. Entsprechend planen diese Unternehmen mit Konstellationen von mehreren Zehntausend Satelliten.
Das Unternehmen TeleSat hingegen steht für einen gänzlich anderen Zugang: TeleSat plant, eine vergleichsweise kleine Konstellation aufzubauen, um als Backbone-Provider für lokale Internet Service Provider (ISP) zu fungieren. Die ursprünglichen Überlegungen sahen 300 Satelliten vor, mittlerweile kalkuliert das Unternehmen mit bis zu 1 671 Satelliten. Das Geschäftsmodell ist im Grunde ähnlich wie bei den heutigen Unterseekabeln: Die Endverbraucher nutzen die derzeit übliche Technologie, um sich mit ihrem lokalen ISP zu verbinden, und dieser nutzt spezielles Equipment, um eine Anbindung an das globale Internet zu ermöglichen – in diesem Fall per Satellit. Da die lokalen ISPs sehr viel leistungsfähigere Antennen nutzen können als jene, die etwa SpaceX für die Endverbraucher vorsieht, und dabei die Anfragen der Endnutzer bündeln, kann ein solches System im Prinzip mit einer sehr viel geringeren Zahl an Satelliten auskommen.13
Um via Satellit Internetzugang anbieten zu können, müssen die Satellitensysteme nicht nur mit den Endverbrauchern verbunden sein, sondern auch mit der physischen Internet-Infrastruktur auf der Erde. Im Moment laufen die meisten Pläne der Unternehmen darauf hinaus, dass sich nicht jeder LEO-Satellit eigens mit diesen Bodenstationen (ground stations) verbindet; vielmehr sollen sie untereinander ein Netz bilden, über das Daten direkt zwischen den Satelliten übermittelt werden können, so dass es ausreicht, wenn einzelne Einheiten dieses Netzwerks mit den ground stations kommunizieren.
Um den Austausch von Daten zwischen den Satelliten zu ermöglichen, arbeiten eine Reihe von Firmen an technischen Lösungen, die auf Laserstrahlen basieren; die Rede ist hier von Inter-Satellite Laser Links (ISLLs). Im Prinzip birgt diese Technologie das Potential, mit Lichtgeschwindigkeit Daten übertragen zu können. Anders als bei den heute genutzten Kabeln an Land und im Meer braucht es dafür keine aufwendige und störungsanfällige »Verkabelung«. Zudem gibt es Ansätze dazu, die Lasertechnik auch für die Verbindungen der Satelliten zur Erde zu nutzen. Hieran arbeitet unter anderem die Firma Mynaric aus Bayern. Für wie bedeutsam diese Technologie gehalten wird, zeigt sich an der im Juli 2020 bekanntgewordenen Entscheidung der Bundesregierung, Mynaric die Ausfuhr seiner Produkte nach China zu untersagen.14
Fortschritte in der Raketen- und Satellitentechnik haben den Aufbau von Mega-Konstellationen zu einem wirtschaftlich tragfähigen Projekt werden lassen.
Die wichtigsten Unternehmen
Fortschritte in der Raketentechnik und bei der serienmäßigen Produktion von Satelliten haben dazu geführt, dass die zu erwartenden Kosten für den Aufbau von Mega-Konstellationen in erdnaher Umlaufbahn so weit gesunken sind, dass entsprechende Projekte wirtschaftlich vorstellbar werden. Mit wenigen Ausnahmen basierte das Geschäftsmodell satellitengestützter Kommunikationsdienstleistungen bisher darauf, wenige Sonden geostationär einzusetzen. Die Kosten für die Herstellung der Satelliten und für deren Stationierung sind dabei mit schätzungsweise 150 bis 500 Millionen US-Dollar pro Satellit sehr hoch.15
Für den Aufbau der nun geplanten LEO-Konstellationen hingegen sollen neue Trägerraketensysteme wie die von SpaceX genutzt werden. Ein entscheidender Faktor hierbei ist, dass es SpaceX gelungen ist, Trägersysteme zu entwickeln, bei denen die Raketen mehrfach benutzt werden können. Dies führt dazu, dass die Kosten für Raketenstarts erheblich gesenkt werden können. Der Chef von SpaceX, Elon Musk, hat der Presse gegenüber angegeben, dass die Kosten für die Fertigung und Entsendung der Satelliten aktuell bei 500 000 US-Dollar liegen.16 Legt man diese Zahlen zugrunde, so würde der Aufbau einer ersten Konstellation von 10 000 Satelliten insgesamt etwa 5 Milliarden US-Dollar kosten.
Die hohen Anfangsinvestitionen sind jedoch nur eine der wirtschaftlichen Herausforderungen, die bei der Umsetzung der Pläne für die neuen LEO-Konstellationen überwunden werden müssen.17 Urbane Zentren etwa sind einerseits ein attraktiver Markt, weil hier viele zahlungskräftige Kunden zu finden sind; andererseits ist auch gerade hier der Wettbewerb extrem hoch. Außerdem wäre es nur mit erheblichen zusätzlichen Investitionen möglich, via Satellit zuverlässige Verbindungen für viele Leute auf engem Raum anzubieten. Hinzu kommt die geringe Kaufkraft von Endkunden in Entwicklungsländern: Dass heute noch immer Milliarden von Menschen keinen Anschluss an das Internet haben, liegt nicht zuletzt daran, dass es für die Unternehmen der Telekommunikationsbranche bisher nicht lukrativ erscheint, ihnen einen solchen Zugang bereitzustellen. Wenn die Betreiber der Mega-Konstellationen ihre Dienste in Entwicklungsländern anbieten wollen, werden auch sie damit konfrontiert sein, dass die Kaufkraft ihrer potentiellen Kunden in diesen Ländern sehr gering ist.
Daten abrufbar unter http://bit.ly/SWP21Satellit Grafik 3 |
Im Fokus dieser Studie stehen jene Firmen, deren Ziel es ist, auf der Basis von LEO-Konstellationen Breitband-Internetverbindungen anzubieten (siehe Grafik 3). Neben den großen Playern, die Mega-Konstellationen planen, haben einige kleinere Unternehmen zudem ihre Absicht angekündigt, über LEO‑Konstellationen Breitband-Internetverbindungen für das »Internet der Dinge« bereitstellen zu wollen. Für breitbandige Internetverbindungen sollen dabei insbesondere Funkfrequenzen im Bereich der Ku- und Ka-Frequenzbänder genutzt werden, einige Anbieter ziehen bei ihren Plänen auch V- und Q-Band in Betracht.
Daneben gibt es Firmen, die auf Satellitenverbindungen mit geringer Übertragungskapazität setzen, wie schon Iridium Communications Ende der 1990er Jahre, und solche, die kleine Satellitenkonstellationen für spezialisierte Internet-of-Things-Anwendungen (IoT) über VHF und UHF aufbauen wollen, für die eine geringe Datenübertragungskapazität ausreicht.
Die Marktführer aus den USA, Großbritannien und Kanada
Die meiste Aufmerksamkeit erfahren aktuell die Projekte des Unternehmens Starlink. Dies ist zum einen dadurch begründet, dass Starlink in der Umsetzung seiner Pläne von allen Firmen in diesem Bereich bisher am weitesten vorangeschritten ist. Starlink hat Anfang 2021 bereits knapp über 1 000 Satelliten stationiert, weit mehr als alle anderen Mitbewerber. Das Unternehmen will schon ab Anfang 2021 im Süden Kanadas und im Norden der USA erste Dienstleistungen für Kunden anbieten. Die Aufmerksamkeit für diesen Satellitenbetreiber ist zum anderen damit zu erklären, dass Starlink eine Tochterfirma des von Elon Musk gegründeten Raumfahrtkonzerns SpaceX ist. Unabhängig von dem ambivalenten öffentlichen Auftreten der Person Elon Musk hat dies für Starlink den Vorzug, dass die Firma für den Aufbau der LEO-Konstellation zu vergünstigten Preisen die Trägerraketensysteme von SpaceX nutzen kann. SpaceX profitiert dabei seinerseits von dem erheblichen Wettbewerbsvorteil Starlinks gegenüber anderen Firmen und von den Einnahmen für die eigenen Trägerraketensysteme.
Neben Starlink gilt Project Kuiper, eine Tochterfirma von Amazon, als das vielversprechendste Unternehmen aus den USA. Wie im Falle von Starlink handelt es sich auch hier um einen Neueinsteiger auf dem Markt für Satellitenkommunikation. Derzeit plant Project Kuiper, eine Konstellation aus circa 3236 LEO-Satelliten aufzubauen.18 Wie im Falle von Starlink basieren die Vorhaben der Amazon-Tochter darauf, dass die Kosten für die Stationierung der Internetsatelliten in Zukunft sinken werden. Auch hat Project Kuiper erst im Juli 2020 die Autorisierung für den Betrieb einer Satellitenkonstellation über dem Gebiet der USA erhalten; in diesem Zusammenhang kündigte Amazon an, mindestens 10 Milliarden US-Dollar in das Projekt investieren zu wollen.19
Ein Vorteil, den Project Kuiper im Vergleich zu SpaceX besitzt, besteht darin, dass Project Kuiper beim Betrieb von Rechenzentren und Datenverbindungen auf die Erfahrungen von Amazon Web Services (AWS), eines weiteren Ablegers des Online-Versandhändlers, zurückgreifen kann. AWS ist einer der größten Cloud-Anbieter weltweit und verfügt über ein entsprechend umfangreiches Netz an Rechenzentren. Zudem ist Amazon in den letzten Jahren am Aufbau neuer Unterseekabel beteiligt gewesen (siehe Grafik 1, S. 9). Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass Amazon sich schon heute auch im Telekommunikationsbereich als Dienstleister positioniert.
Als dritter relevanter Akteur neben den beiden Unternehmen aus den USA wäre die britische Firma OneWeb zu nennen. Im Frühjahr 2020 musste OneWeb zwar Insolvenz anmelden, im Juli 2020 wurde das Unternehmen aber für die Summe von einer Milliarde US-Dollar an ein Konsortium verkauft, das aus der britischen Regierung und dem indischen Konzern Bharti Global besteht.20 Bisher hat OneWeb 74 Satelliten stationiert. Für die Produktion der benötigten Raumsonden hat OneWeb ein Joint Venture mit Airbus gegründet und Produktionsstätten in Europa und den USA errichtet.21
Aus Kanada schließlich kommt TeleSat als das einzige Unternehmen, das anders als die bisher genannten schon lange im Bereich der Satellitenkommunikation aktiv ist. 2018 hat TeleSat im Rahmen seines Projekts »TeleSat LEO« einen ersten LEO-Satelliten für Testzwecke stationiert. Ziel von »TeleSat LEO« ist es, mit einer vergleichsweise überschaubaren Zahl von Satelliten eine weltweite Abdeckung zu erlangen. Die TeleSat-Satelliten sollen dazu mit TeleSat-eigenen Bodenstationen verbunden werden. Alternativ bewirbt das kanadische Unternehmen sein System auch als Angebot für Betreiber von Mobilfunknetzen: Diese sollen ihre lokalen Netze über die TeleSat-Konstellation an das globale Internet anschließen können.22 TeleSat gibt an, schon 2022 in den flächendeckenden Betrieb einsteigen zu können. Für die Stationierung der Konstellation hat das Unternehmen einen Vertrag mit Jeff Bezos’ Firma Blue Origin abgeschlossen.23
Chinesische Staatsunternehmen
Medienberichten zufolge verfolgen auch Unternehmen aus China ambitionierte Ziele für den Aufbau von LEO-Konstellationen. Mit unterschiedlich starker Ausprägung ist dabei davon auszugehen, dass diese Aktivitäten vom chinesischen Staat gestützt, wenn nicht gar gesteuert werden.
Das staatliche Unternehmen China Aerospace Science and Industry Corporation (CASIC) verfolgt mit dem »Hongyun«-Projekt das Ziel, ein weltweites Netz aus 156 LEO-Satelliten zu bilden. Ein erster Satellit wurde im Dezember 2018 von China aus ins Weltall geschickt.24 Das fast namensgleiche staatliche Unternehmen China Aerospace Science and Technology Corporation (CASC) hat ebenfalls einen Satelliten stationiert, der Ausgangspunkt für eine LEO-Konstellation unter dem Projekttitel »Hongyan« sein soll. Ein weiteres chinesisches Unternehmen, Galaxy Space, hat im Januar 2020 einen ersten Satelliten stationiert. Über die nächsten Jahre sollen daraus 144 Satelliten werden, die Internetzugang per 5G ermöglichen.25 Ob die Satellitenkonstellation eine direkte Verbindung von 5G-Endgeräten erlauben oder aber zur Anbindung von 5G-Bodenstationen dienen soll, ist den öffentlich zugänglichen Informationen nicht zu entnehmen. Ende 2020 kamen zudem Berichte über eine weitere chinesische LEO-Konstellation unter dem Namen »GW« auf, die knapp 13 000 Satelliten umfassen soll.26
Europäische Zulieferer
Weitet man den Blick über den institutionellen Rahmen der EU hinaus, so kommt mit OneWeb immerhin eines der relevanten Unternehmen aus Europa. Einen interessanten Sonderfall stellt zudem die Münchner Firma KLEO Connect dar: Laut eigener Auskunft ist es das Ziel des Start-ups, eine Konstellation von bis zu 300 Satelliten aufzubauen, um Datenanbindungen für vernetzte Geräte anzubieten (Internet of Things, IoT).27 Medienberichten zufolge ist mittlerweile allerdings ein chinesisches Unternehmen als Hauptinvestor eingestiegen und auch an der operativen Geschäftsführung beteiligt.28
Entscheidender ist aus europäischer Sicht jedoch, dass einige Firmen sich als wichtige, ja geradezu unverzichtbare Zulieferer positionieren. An erster Stelle steht hier Airbus mit seiner serienmäßigen Produktion von Kommunikationssatelliten. Zudem gibt es einige Unternehmen, die einzelne Komponenten und Dienstleistungen anbieten. Ein Beispiel hierfür ist die Firma OHB aus Bremen, die als Hauptauftragnehmer die Satelliten für das europäische Satellitennavigationssystem Galileo entwickelt hat.29 Ein anderes Beispiel ist die bereits genannte Firma Mynaric aus München, die unter anderem an Systemen zur Kommunikation zwischen Satelliten per Laser arbeitet.
Politische Gestaltungsmöglichkeiten
Die zukünftige Entwicklung im Bereich der Internetsatelliten wird zu einem großen Teil davon abhängen, ob sich die noch offenen technischen Fragen lösen lassen und ob es den Unternehmen gelingt, tragfähige Geschäftsmodelle zu konzipieren. Dabei müssen Ereignisse miteinberechnet werden, die – wie beispielsweise die Covid-19-Pandemie im Jahr 2020 – nicht absehbar sind und den Fortgang der Internetsatellitenprojekte schlagartig verlangsamen, beenden – oder aber ihnen einen neuen Schub verleihen könnten.
Neben diesen Faktoren gibt es schließlich aber auch die Möglichkeit der gezielten Einflussnahme durch Staaten. Wie im ersten Kapitel beschrieben haben Staaten seit jeher versucht, die Entwicklung globaler Kommunikationsströme in ihrem Sinne zu prägen.
Den Rahmen hierfür bildet das Weltraumrecht als Teilgebiet des Völkerrechts.30 Das zentrale Dokument dieses Rechtsgebiets ist der »Vertrag über die Grundsätze zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper« von 1967 – oft schlicht als »Weltraumvertrag« bezeichnet.31 Der Vertrag wurde bisher von 107 Staaten ratifiziert, darunter auch von Deutschland. In grundlegender Weise regelt er Rechte und Pflichten der Staaten im Weltraum. Unter anderem enthält er in Artikel 6 eine Haftungsregel, wonach die Staaten für alle nationalen Aktivitäten im Weltraum verantwortlich sind, »gleichviel ob staatliche Stellen oder nichtstaatliche Rechtsträger dort tätig werden«. Diese Regelung insbesondere könnte in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen, wenn sich der Trend hin zu privatwirtschaftlichen Weltraumaktivitäten fortsetzt.
Frequenzvergabe
Seit 1959 hat die International Telecommunication Union (ITU) das Mandat, die Nutzung von Radiofrequenzen international zu koordinieren. Dies gilt auch für die Radiofrequenzen, die für die neuen Satellitenkonstellationen vorgesehen sind. Die ITU regelt zudem auch die Nutzung von Orbits. Zuständig dafür ist heute innerhalb der ITU der »Radiocommunication Sector« (ITU-R). Grundsätzliche Entscheidungen werden zudem im Rahmen der Weltrundfunkkonferenzen getroffen.
Die Koordinierungsfunktion von ITU-R bezüglich der Funkfrequenzen besteht dabei im Wesentlichen darin, im Rahmen eines recht aufwendigen Verfahrens festzustellen, ob ein berechtigtes Interesse an der Verwendung eines bestimmten Frequenzbereichs besteht.32 Das Grundprinzip dabei lautet, vereinfacht gesprochen: »first come, first serve«. Wer zuerst eine Nutzung anmeldet, hat Vorrang; alle Staaten und Unternehmen, die später gleiche oder naheliegende Frequenzbereiche verwenden wollen, müssen sich arrangieren.
Private Wirtschaftsakteure können in diesen Verfahren nicht selbst auftreten. Vielmehr melden die Staaten die Nutzung von Frequenzbereichen im Namen von Unternehmen an. Oft kommt es dabei auch vor, dass Staaten die Nutzung für Firmen aus anderen Staaten beantragen; Norwegen etwa hat schon 2015 für SpaceX 4 527 Satelliten und den entsprechenden Bedarf an Frequenzen registrieren lassen.33 Es scheint, dass es für die Unternehmen attraktiv ist, ihre Interessen bei der ITU über verschiedene Staaten anzumelden, weil sie so spezifische Vorgaben einzelner nationaler Regulierungsbehörden umgehen können. Viele Staaten wiederum wollen bewusst keinen Unterschied zwischen inländischen und ausländischen Firmen machen, freuen sich über die entsprechenden Gebührenzahlungen und erhoffen sich vertiefte wirtschaftliche Beziehungen zu den beantragenden Unternehmen.
Als wachsendes Problem zeichnet sich ab, dass die Koordinierungsfunktion der ITU ursprünglich für eine andere Praxis ausgelegt war. Die enorm aufwendigen Verfahren kommen aus einer Zeit, in der die Gesamtzahl der im Weltall stationierten Satelliten überschaubar war; immer neue Anträge für Mega-Konstellationen drohen dieses Vergabesystem zu überlasten. Auch die Dimensionen der aktuell geplanten Konstellationen stellen den Grundmechanismus der Frequenzzuweisung durch die ITU in Frage: Wenn finanzstarke Unternehmen mit Plänen für Mega-Konstellationen große Bereiche der für Datentransfers attraktiven Frequenzen beanspruchen, werden diese zu einem raren Gut. Das »first come, first serve«-Prinzip droht hier zu einer Hürde für Neueinsteiger zu werden. Wo bei wenigen Satelliten in früheren Zeiten eine freiwillige Einigung der beteiligten Parteien in der Regel gut möglich war, zeichnen sich daher nun echte Verteilungskonflikte ab.
Auf der globalen Ebene wird die Nutzung von Funkfrequenzen im Weltall von der ITU koordiniert. Es ist jedoch den Staaten vorbehalten, den Gebrauch von Funkfrequenzen auf ihrem Territorium – und in dem dazugehörigen Luftraum – zu regulieren. Hier können Sicherheitserwägungen zum Tragen kommen, aber auch das Bestreben, bestehende Nutzungsformen vor Störungen zu schützen. In Deutschland ist hierfür die Bundesnetzagentur zuständig.
Marktzugang
Die Aktivitäten kommerzieller Satellitenbetreiber fallen des Weiteren unter das Regelwerk der Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO). Der regulatorische Rahmen des General Agreement on Trade in Services (GATS) erstreckt sich auch auf den Bereich der Telekommunikationsdienstleistungen, inklusive der sogenannten »cross-border transmission of telecoms services«.34 Gegenwärtig haben sich 108 WTO-Mitgliedstaaten zum Abbau von Handelshemmnissen in diesem Bereich verpflichtet.
Die weit gefasste WTO-Definition von Telekommunikationsdienstleistungen schließt auch Satellitenkommunikation und somit zumindest im Prinzip auch die neu geplanten LEO-Konstellationen mit ein. Das bedeutet, dass alle Staaten, die im Rahmen der WTO entsprechende Verpflichtungen übernommen haben, den Betreibern der neuen Konstellationen Zugang zu ihren Märkten ermöglichen müssten.
Vorstellbar wäre allerdings auch, im Rahmen des WTO-Regelwerks neue Vereinbarungen für diese Art von Telekommunikationsdiensten zu treffen. Zum Beispiel könnten die Staaten die Anbieter verpflichten, keine Diskriminierungen bei den Datenströmen in ihren Netzen vorzunehmen. Eine Möglichkeit wäre, den Betreibern das Prinzip der Netzneutralität vorzuschreiben, also die grundsätzliche Gleichbehandlung aller Daten unabhängig von Inhalt und Sender / Empfänger.35
Im Rahmen der WTO steht es Staaten zudem frei, bestimmte Dienstleistungen national zu regulieren. Die Voraussetzung dafür ist lediglich, dass die gleichen Vorgaben für inländische wie für ausländische Unternehmen gelten. Innerhalb Europas ist es die EU, die den Großteil dieser Regulierungen festsetzt. Die bestehenden Vorgaben für Telekommunikationsdienstleister – etwa in puncto Datenschutz oder Netzneutralität – wären auch mit Blick auf die geplanten LEO-Konstellationen relevant.
Schließlich lässt das WTO-Regelwerk den Staaten eine »Trumpfkarte«, nämlich den Verweis auf Fragen der nationalen Sicherheit. So gab es Medienberichten zufolge im Laufe des Jahres 2018 Pläne von OneWeb, ein Joint Venture mit der russischen Weltraumorganisation Roscosmos zu bilden. Diese sollen durch eine Intervention des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB gestoppt worden sein, der in der angestrebten Kooperation eine Bedrohung für die nationale Sicherheit zu erkennen glaubte.36
Öffentliche Förderung für Forschung und Entwicklung
Nahezu alle Firmen, die aktuell Pläne für LEO-Megakonstellation verfolgen, geben an, mit ihren Systemen all jenen 3,6 Milliarden Menschen einen Zugang zum Internet zu ermöglichen, die sich bisher auf der falschen Seite der globalen Digital Divide wiederfinden und keinerlei Zugang zum Internet haben. Bisher ist aber nicht davon auszugehen, dass diese potentiellen neuen Kunden den Unternehmen jene Einnahmen bescheren können, die für Aufbau und Betrieb der Konstellationen notwendig sind.
Voraussichtlich werden die Satellitenfirmen versuchen, finanzielle Unterstützung aus den Budgets der Entwicklungszusammenarbeit zu erhalten.
Es ist daher damit zu rechnen, dass die Firmen versuchen werden, finanzielle Unterstützung aus den Budgets der Entwicklungszusammenarbeit zu erhalten. So haben etwa UNICEF und ITU gemeinsam die Initiative GIGA gegründet, deren Ziel es unter anderem ist, jeder Schule auf der Welt Zugang zum Internet zu verschaffen.37 Generalsekretär António Guterres erwähnte die Initiative unter anderem explizit bei seiner Eröffnungsrede zum Internet Governance Forum 2019.38 Zwar betonen die Initiatoren der GIGA-Kampagne, dass diese einen technologieneutralen Ansatz verfolge, doch ist stark davon auszugehen, dass zumindest einige Firmen aus der Internetsatellitenbranche versuchen werden, sich an der anstehenden Ausschreibung zu beteiligen.
Neben dem Engagement in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit unterstützen einige Staaten gezielt Unternehmen aus dem eigenen Land beim Aufbau von LEO-Konstellationen. Offensichtlich, wenn auch im Detail von außen schwer durchschaubar ist dies im Fall chinesischer Staatsunternehmen. Die Abschlusserklärung von 2019 der World Internet Conference, die jährlich im chinesischen Wuzhen stattfindet, jedenfalls macht deutlich, dass sich die chinesische Führung der globalen Bedeutung von Kommunikationsinfrastrukturen im Weltraum bewusst ist. So heißt es hier: »Die Staaten sollten gemeinsame Anstrengungen unternehmen, um die Verlegung grenzüberschreitender und internationaler Unterseekabel mit optischen Leitungen voranzutreiben und die Informationsinfrastruktur im Weltraum zu verbessern.«39
Einen anderen Weg wählen die USA und Kanada: Hier tritt der Staat als Kunde auf, der den Unternehmen so für eine gewisse Zeit Umsätze garantiert, und als Förderer von Forschung und Entwicklung. Letzteres läuft in den USA bisher vielfach über Projekte des Militärs, aber auch über zivile Programme zur Förderung des Zugangs zum Internet in dünnbesiedelten Regionen des Landes.40 In Kanada unterstützt die Regierung die Firma TeleSat durch Fördergelder beim Aufbau einer LEO-Konstellation.41
Entwicklung von Standards und Protokollen
Die Übertragung von Daten in Konstellationen von mehreren Zehntausend Satelliten, die permanent in Bewegung sind, und die Übertragung der Daten zwischen den Konstellationen und den Nutzern auf der Erde wird vollkommen neue Software-Protokolle bzw. die Anpassung bestehender Protokolle notwendig machen. Bisher sind es Institutionen wie das Institute of Electrical and Electronic Engineers (IEEE), die Internet Engineering Task Force (IETF) und für bestimmte Bereiche auch die ITU, die solche Protokolle und Standards entwickeln.42
Tatsächlich gibt es hierzu bereits erste Diskussionen im Rahmen der IETF.43 In der ITU hat China Ende 2019 den Vorschlag eingebracht, ein gänzlich neues Internet-Protokoll mit dem Namen »NewIP« zu entwickeln. Zwar hat es dieses Vorhaben in Reaktion auf massive Kritik mittlerweile zumindest in seiner ursprünglichen Form aufgegeben; interessant ist aber unter anderem, dass auch hier die Chinesen ihren Vorstoß mit den Plänen für neue LEO-Megakonstellationen in Zusammenhang gebracht haben.44
Mögliche Zukünfte: das globale Internet im Jahr 2035
Die zukünftige Entwicklung im Bereich der Internetsatelliten lässt sich nicht mit Gewissheit vorhersagen. Sehr wohl jedoch lässt sich systematisch das Spektrum denkbarer und plausibler zukünftiger Szenarien beschreiben. Ein solches durchaus plausibles Szenario ist, dass es keinem der beteiligten Unternehmen gelingt, eine LEO-Megakonstellation von Internetsatelliten aufzubauen. Die technologischen, ökonomischen und auch politischen Hindernisse sind enorm und könnten sich letztlich sogar für die ambitioniertesten Akteure in diesem Bereich als unüberwindbar erweisen.
Im Folgenden jedoch möchte ich in zwei Szenarien genauer in den Blick nehmen, wie sich die Dinge entwickeln könnten, wenn diese Hindernisse überwunden werden können (siehe Grafik 4). Für beide Szenarien untersuche ich, was dies für drei zentrale Dimensionen der globalen Internet-Governance bedeuten würde: für den Zugang zum Internet, für die Sicherheit und Resilienz der globalen Internet-Infrastruktur sowie für die Machtverhältnisse in der globalen Internet-Governance. Damit verwandte Fragen der Weltraum-Governance – von notwendigen Veränderungen im Weltraumrecht bis zu den Sorgen vor einer Zunahme von Weltraumschrott – können an dieser Stelle nicht aufgegriffen werden.
Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass die tatsächliche Entwicklung genau einem der zwei im Folgenden ausgeführten Szenarien entspricht.
Um die Bandbreite möglicher Entwicklungen zu strukturieren, verorte ich diese auf einem Spektrum, in dem der Grad an Wettbewerb der maßgebliche Faktor ist. Dieser Faktor wiederum hat zwei Komponenten (siehe Tabelle): Erstens umfasst er, wie viele Betreiber von Mega-Konstellationen auf dem Markt für Breitband-Internetkonnektivität im Wettbewerb miteinander stehen. Zweitens geht es um den Grad der vertikalen Integration, also darum, wie viele Elemente der Dienstleistung Internetkonnektivität ein Anbieter in sich vereint. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass die tatsächliche Entwicklung genau einem der zwei im Folgenden ausgeführten Szenarien entsprechen wird. Der Zweck dieser Art von Analyse liegt vielmehr darin, das Bewusstsein für das Spektrum möglicher Verläufe zu schärfen – und insbesondere für die damit verbundenen politischen Implikationen.
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Dank eines solchen heuristischen Vorgehens lassen sich auch die anstehenden politischen Entscheidungen besser stützen. Vereinfacht ausgedrückt: Im Lichte der selbst gesetzten Ziele deutscher Politik im Bereich der globalen Internet Governance (siehe Kapitel 1) lässt sich das erste Szenario als worst case verstehen, den es zu vermeiden gilt. Auch im zweiten Szenario ist die Entwicklung nicht ausschließlich positiv; immerhin wird hier jedoch praktisch vorstellbar, was die Bausteine und Voraussetzungen einer aus Sicht deutscher Politik erstrebenswerten Entwicklung wären.
Um ein lebendiges Bild dieser zwei möglichen Zukünfte zu zeichnen, verwende ich die Namen konkreter Unternehmen und Staaten. Wenngleich dabei die Ergebnisse der Analyse aus den vorherigen Abschnitten in die Szenarien einfließen, ist gerade bei diesem Punkt zu betonen, dass es sich hier um fiktive Erzählungen handelt.
Szenario 1: Globale Oligopole
Mit etwas Verspätung gelingt es Starlink Ende 2021, eine LEO-Konstellation von etwa 3 000 Satelliten in Betrieb zu nehmen, mit der 60 Prozent der Menschheit erreicht werden können. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Regionen in der nördlichen Hemisphäre, insbesondere auf den USA und Kanada. Etwa zur gleichen Zeit bilden die Amazon-Tochterfirma Project Kuiper und OneWeb ein Joint Venture mit dem Namen KuiperOne. 2022 nimmt KuiperOne den regelmäßigen Betrieb seiner Satellitenkonstellation auf. Starlink und KuiperOne bieten »Backbone-Services«, also die leistungsstarken Hintergrundnetzwerke, für lokale Internet-Service-Provider und Rechenzentren. Sie ermöglichen aber auch eine direkte Verbindung für Endverbraucher. In den ländlichen Regionen der USA kooperieren sie dabei mit Verizon und AT&T: Kunden dieser Unternehmen können auf die Satellitenverbindungen ausweichen, wenn die lokalen Netze nicht ausreichen. Zudem richten sich Starlink und KuiperOne aber auch direkt an Endverbraucher: Für einen Preis von anfangs 99 US Dollar können Kunden ein Datenpaket von 100 Gigabyte (GB) monatlich buchen, bei dem sie sich direkt mit den Satellitenkonstellationen verbinden. Die hierfür notwendigen Spezialantennen wecken aufgrund ihrer unhandlichen Größe Erinnerungen an die ersten Mobilfunktelefone.
Im Inland unterstützt die US-Regierung Starlink und KuiperOne, indem sie die beiden Unternehmen im Rahmen eines Programms zum Ausbau des Breitband-Internetzugangs im ländlichen Raum und von Forschungsprojekten des Verteidigungsministeriums finanziell fördert. Bei ihren internationalen Aktivitäten profitieren die Firmen von Programmen, mit denen die US-Behörde für Entwicklungszusammenarbeit (United States Agency for International Development, USAID) den Aufbau von Internet-Infrastrukturen in Entwicklungsländern unterstützt. Auch außenpolitisch erhalten die Unternehmen Rückendeckung: Auf Initiative des State Department unterzeichnen die vier weiteren Mitglieder der Nachrichtendienstallianz Five Eyes – Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland – ein Memorandum mit dem Titel »Internet Satellites and National Security«, in dem sie sich darauf verpflichten, die Aktivitäten von Starlink und Blue Origin wohlwollend zu begleiten. In der Folge übernehmen weitere Staaten diese Selbstverpflichtung, unter anderem Polen und die baltischen Länder.
Die chinesische Regierung orchestriert zur gleichen Zeit den Aufbau einer eigenen Mega-Konstellation planetarer Reichweite. Wie in den USA gibt es anfangs einen politisch gewollten Wettbewerb einer Reihe von Unternehmen. Im Sommer 2021 aber führt Peking diese verschiedenen Initiativen zusammen: Das neu gegründete Unternehmen AliLink bündelt alle bisherigen Aktivitäten und nimmt 2022 den Betrieb seiner Konstellation auf, die Kommunistische Partei Chinas richtet ein neues Unterkomitee ein, das die Entwicklungen in diesem Bereich beaufsichtigen soll. Bis 2025 verfolgt auch die russische Regierung eigene Pläne für eine Mega-Konstellation. Im Lichte der sich verschärfenden wirtschaftlichen Situation im Land vereinbart Präsident Wladimir Putin 2025 jedoch eine strategische Partnerschaft mit China. Die bisherigen Aktivitäten auf russischer Seite werden in das System von AliLink integriert, das von nun an auch in Russland verfügbar ist.
Viele der europäischen Zulieferer werden im Rahmen dieser Konsolidierungsprozesse von einem der drei großen Betreiber aufgekauft. Nur wenigen von ihnen gelingt es, mit Unterstützung ihrer jeweiligen Heimatregierungen, ihre Unabhängigkeit zu wahren und sich in einer Nische des globalen Marktes zu behaupten.
Das Jahr 2026 markiert einen Durchbruch in der Internetsatellitentechnologie, weil die ersten mobilen Geräte für Endverbraucher erscheinen, die »satellite-ready« sind. Es sind keine speziellen Antennen mehr nötig, um diese Geräte mit Satelliten zu verbinden. Handys und die mittlerweile weit verbreiteten Digitalbrillen (»smart glasses«) können sich nun direkt mit den Satelliten kurzschließen. Sie nutzen dabei bestehende Mobilfunkprotokolle und neue Protokolle, die speziell auf die Anforderungen von Satellitenkommunikation zugeschnitten sind. Da die drei großen Satellitenbetreiber unterschiedliche Frequenzen nutzen und auch darüber hinaus technisch nicht miteinander kompatibel sind, braucht es allerdings jeweils spezifische Hardware-Module in den Endgeräten, um sich mit den verschiedenen Satellitenkonstellationen zu verbinden. Diese Hardware-Module werden von den drei Betreibern lizensiert. Mit Verweis auf Bedrohungen für die nationale Sicherheit untersagen die USA und viele Verbündete den Verkauf und die Nutzung des chinesischen Moduls; in gleicher Weise verbieten China und Russland die westlichen Module.
Der Datenaustausch zwischen den drei Konstellationen findet an Planetary Exchange Points (PXPs) statt.
Seit 2024 werden Daten innerhalb der drei Konstellationen über Inter-Satellite Laser Links (ISLLs) ausgetauscht. Eine wachsende Zahl an Satelliten wird dabei als verteilte Datenzentren genutzt. Wie frühere erdgebundene Content Delivery Networks (CDNs) halten diese jene Daten vor, die von den Nutzern besonders häufig angefragt werden, wie zum Beispiel Videostreams.
Der Datenaustausch zwischen den drei Konstellationen findet an Planetary Exchange Points (PXPs) statt. In einer Anfangsphase befinden sich diese auf der Erde. Die USA und China einigen sich informell darauf, dass jeweils etwa die Hälfte der PXPs an Orten stationiert sind, die von einem der beiden Staaten kontrolliert werden. Im Jahr 2030 kündigen die USA und China an, die PXPs in den Weltraum zu verlagern. Sie erklären, auf diese Weise problematische Abhängigkeiten von Staaten auf der Erde vermeiden zu wollen, auf deren Territorien die PXPs bisher stationiert waren.
Der stetige Ausbau der drei Konstellationen lässt deren Betreiber zunehmend zu direkten Konkurrenten lokaler Internet Service Provider (ISPs) werden. Versuche einiger europäischer Staaten, dieses hohe Maß an vertikaler Integration der von den Satellitenbetreibern angebotenen Dienste durch neue WTO-Regeln zu verhindern, sind gescheitert. In ländlichen und dünnbesiedelten Regionen zeichnet sich immer mehr ab, dass lokale ISPs nicht mit den Anbietern der satellitengestützten Dienste konkurrieren können. In dicht besiedelten urbanen Räumen benutzen die Satellitenbetreiber lokale Relay-Stationen, die vielen Endverbrauchern den Zugang über 6G und WIFI6 ermöglichen und sich aufgrund ihrer besonders starken Antennen mit mehreren Satelliten gleichzeitig verbinden können. Auch im urbanen Raum werden die Satellitenbetreiber so zunehmend zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz für lokale ISPs.
Im Ergebnis gibt es im Jahr 2035 drei voll betriebsfähige Mega-Konstellationen. Zwei davon – Starlink und KuiperOne – sind im Besitz privater Unternehmen, die der Jurisdiktion der USA und ihrer engsten Verbündeten unterstehen. Die dritte Konstellation AliLink wird von einem chinesischen Staatsunternehmen betrieben und aktiv von der russischen Regierung unterstützt. Die zwei westlichen Konstellationen verfügen jeweils über 10 000 Satelliten, die chinesische Konstellation über 14 000. Nahezu 60 Prozent des weltweiten Internet-Datenverkehrs werden durch die drei Konstellationen geleitet und etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung nutzen die Konstellationen regelmäßig als Zugang zum Internet. Die Verteilung ist allerdings ungleich: Während im ländlichen Raum fast nur noch Satelliten-Internet genutzt wird, setzen viele Städte verstärkt auf Glasfaserverbindungen. Was bedeutet all dies für die globale Internet-Governance im Jahr 2025?
Die Konstellation von AliLink ist aus China und Russland erreichbar sowie aus allen Staaten der »Belt and Road Initiative«.
Zugang
Im Prinzip können alle drei Systeme so konfiguriert werden, dass sie jeden Ort auf der Erde erreichen können. Angesichts der Kontroversen zwischen den Staaten, in denen die Satellitenbetreiber beheimatet sind, richtet sich die tatsächliche Abdeckung jedoch stark nach politischen Kriterien. Die zwei westlichen Konstellationen decken prioritär Nord- und Südamerika ab, zudem die Gebiete alliierter Staaten in Europa und im Pazifik und Teile des afrikanischen Kontinents. Die Konstellation von AliLink ist aus China und Russland erreichbar sowie aus allen Staaten der »Belt and Road Initiative« (BRI). Seit 2025 haben sich nach und nach auch Ungarn, die Türkei, Indien und eine Reihe afrikanischer Staaten der BRI angeschlossen. Wie von den Betreibern versprochen, können die Konstellationen Internetkonnektivität in vielen ländlichen Räumen anbieten, die noch in den 2010er Jahren keinerlei Zugang zum Internet hatten.
Bis 2035 erlangen so eine Milliarde Menschen in Entwicklungsländern Zugang zum Internet. 70 Prozent aller Schulen auf dem afrikanischen Kontinent sind mit dem Internet verbunden. Durch Förderprogramme und Kredite haben die Weltbank, die Asian Development Bank und einzelne Geberländer die Expansion der Satellitenkonstellationen in der südlichen Hemisphäre unterstützt. In den ersten Jahren jedoch waren die hohen Preise für die spezialisierten Antennen und die immer noch vergleichsweise hohen Gebühren für die Nutzung der Satellitenverbindung ein erhebliches Hindernis. Der Durchbruch kam hier, als Ende der 2020er Jahre die ersten kostengünstigen Mobilfunktelefone mit integrierten Hardware-Modulen zur Verbindung mit den Satellitenkonstellationen auf den Markt kamen.
Zu Beginn des Aufbaus der Mega-Konstellationen war vermutet worden, dass die Entwicklungsländer einen ähnlichen Prozess durchmachen würden wie die westlichen Staaten, die seit den 1990er Jahren den Anschluss an das Internet gefunden hatten. Anders als damals waren die Regierungen aber Anfang der 2020er Jahre vorbereitet, so dass die Nutzung des Internets von Beginn an politischen Vorgaben im jeweiligen Land folgte. Viele westliche Unternehmen stürzten sich ab Mitte der 2020er Jahre auf den afrikanischen Markt, angezogen von Millionen neuer Kunden. Einigen Staaten wie Ghana gelang es jedoch auch, die eigene Digitalwirtschaft zu fördern.
Sicherheit und Resilienz
Weil nahezu alle wesentlichen Netzwerkelemente in den Händen der drei großen Betreiber liegen, haben diese mehr Kontrolle über das Geschehen in den Netzwerken und können so zum Beispiel sicherheitsrelevante Updates von Protokollen und einzelnen Software-Komponenten schnell einspielen.
Auch die Regierungen der USA und Chinas werten diese zentralisierte Struktur als sicherheitspolitischen Zugewinn. Über spezielle Schnittstellen der jeweiligen Betreiber können sie die Datenströme in den Netzwerken umfassend überwachen und zudem an den PXPs sehr genau steuern, welche Daten in »ihre« Netze gelangen oder diese verlassen. Nicht zuletzt reservieren die beiden Regierungen für sich und ihre engsten Verbündeten bestimmte Kapazitäten in den Konstellationen für militärische Belange. Zwar verfügen bis 2035 viele Staaten über eigene Satellitennetzwerke für Zwecke des »network centric warfare«, es gilt jedoch als erheblicher strategischer Vorteil, neben den eigenen Netzen auch auf die riesigen zivilen Konstellationen zurückgreifen zu können.
Bald zeichnet sich allerdings auch ein bisher nicht gekanntes Problem ab: Weil die Konstellationen technologisch immer stärker eigene Wege gehen, wird es möglich, gezielt einzelne Konstellationen anzugreifen, ohne unbeabsichtigte Folgen für die anderen Konstellationen befürchten zu müssen.
Ursprünglich hatten einige Beobachter gehofft, dass die Mega-Konstellationen das Netz der Unterseekabel ergänzen und so durch mehr Redundanz die Resilienz des Gesamtsystems erhöhen würden. Schon nach wenigen Jahren jedoch führen die Fortschritte bei der Datenübertragung im Weltraum per ISLL dazu, dass die Investoren sich von Plänen für neue Unterseekabel zurückziehen. Während 2025 noch 90 Prozent des interkontinentalen Datenverkehrs über solche Unterseekabel geleitet wurden, sind es 2035 nur noch 20 Prozent.
Die Risiken, die mit der wachsenden Abhängigkeit von den Satellitenkonstellationen einhergehen, wurden durch einen großflächigen Blackout im Jahr 2031 sichtbar. Bei diesem Vorfall kam es zu Störungen bei einer Vielzahl von Satelliten der Starlink-Konstellation mit der Folge, dass weite Teile Südamerikas keinen Zugang mehr zu dem System und damit zum Internet hatten. Die wenigen noch aktiven Unterseekabel konnten diesen Ausfall nicht ausgleichen. Schnell wurde deutlich, dass die Störung von Raumsonden ausging, die zu den ersten zwei Generationen von Satelliten gehörten. Auf diesen hatte man einige Monate zuvor ein umfangreiches Update einspielen müssen, das einen Fehler enthielt, der am 28. Juni 2031 ausgelöst wurde. Mit Unterstützung von KuiperOne konnte innerhalb weniger Tage eine basale Internetverbindung wiederaufgebaut werden, die jedoch zunächst öffentlichen Institutionen und Unternehmen von strategischer Bedeutung vorbehalten war. Nach zwei Wochen fand Starlink den Fehler und konnte die betroffenen Satelliten aktualisieren. Sobald der Internetzugang in Südamerika wiederhergestellt war, füllten sich die sozialen Medien mit massiver Kritik an Starlink und den Regierungen des lateinamerikanischen Kontinents. Als Antwort auf diese Proteste vereinbarten die drei großen Satellitenbetreiber Anfang 2032 eine »Charter of Trust« mit Maßnahmen zur Verhinderung derartiger Ausfälle.
Im Jahr 2035 vereinen die Betreiber der drei Satellitenkonstellationen fast alle Elemente der Internet-Infrastruktur.
Macht in der globalen Internet-Governance
Der Betrieb der Internet-Infrastruktur auf der Erde, wie sie sich seit den 1990er Jahren weltweit entwickelt hatte, lag in den Händen vieler Akteure. Vor allem gab es eine große Zahl von privaten Unternehmen, die die verschiedenen Teile der Infrastruktur managten – von den Unterseekabeln über die IXPs bis hin zu den lokalen ISPs. Im Gegensatz dazu zeichnen sich die Betreiber der drei Satellitenkonstellationen im Jahr 2035 durch ein hohes Maß an vertikaler Integration aus: Sie vereinen in sich fast alle Elemente der Internet-Infrastruktur.
Dass der Kreis der beteiligten Akteure so überschaubar ist, erleichtert die Koordination zwischen diesen erheblich. Die drei Unternehmen Starlink, KuiperOne und AliLink arbeiten gemeinsam an den Standards, die für den Datenaustausch an den PXPs notwendig sind. Um ihre Zusammenarbeit zu formalisieren, gründen sie die Planetary Connectivity Organization (PCO).
In den ersten Jahren hatten die Betreiber, wenn sie sich über die Nutzung der benötigten Funkfrequenzen abstimmten, noch das Verfahren der International Telecommunication Union (ITU) durchlaufen. Bald jedoch wurde immer deutlicher, dass der ITU-Vergabeprozess für solch enorm große Konstellationen nicht geeignet war. Mit Zustimmung ihrer Heimatregierungen entschieden die drei Unternehmen daher 2025, die Frequenzen fortan im Rahmen der PCO zu verteilen. Zwar existieren die Verfahren der ITU auch 2035 noch, im Wesentlichen ist die Organisation aber nun darauf reduziert, sich mit den Entscheidungen der PCO zu arrangieren.
Kurz darauf, im Jahr 2026, entschied die US-Regierung unter Präsidentin Kamala Harris, Starlink die Aufgabe zu übergeben, das globale Domain Name System (DNS) zu verwalten. Die Regierung erklärte, dies sei der logische nächste Schritt in dem Prozess, der mit der Übergabe dieser Verantwortung an die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) im Jahr 2016 begonnen hatte. Als Antwort hierauf beschlossen China und Russland, ein eigenes »souveränes DNS« aufzubauen, das ab 2027 von AliLink betrieben wurde. Manche Beobachter waren der Ansicht, es entbehre nicht einer gewissen Ironie, dass das Aufkommen der ersten tatsächlich globalen Kommunikationssysteme von der lang befürchteten politisch motivierten Fragmentierung des Internets begleitet wird. Im Rahmen der PCO einigten sich die drei großen Satellitenfirmen schnell auf Standards, um trotz zweier getrennter DNS den Austausch zwischen den Konstellationen zu ermöglichen. Da deren Betreiber nun auch das jeweilige DNS kontrollieren, verfügen sie über eine weitere Möglichkeit, die Datenströme zwischen den Konstellationen zu steuern. Sehr schnell erlaubte etwa das chinesische System keinen Zugriff mehr auf die in den westlichen Systemen weiter verwendete taiwanesische Top-Level-Domain .tw; auch nutzen alle drei Systeme das DNS, um kriminelle Handlungen zu unterbinden.
Alle drei Betreiber halten regelmäßig Multistakeholder-Konferenzen ab, um über die zukünftige Entwicklung ihrer Systeme zu diskutieren. Auch die PCO hat ein Multistakeholder Advisory Board (MAB), das sich aus Vertretern von Regierungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammensetzt. Im Jahr 2029 erklärte eine Gruppe westlicher Nichtregierungsorganisationen, sich nicht länger an den Treffen des MAB beteiligen zu wollen, da die Meetings nur als legitimatorische Fassade für die nach eigenem Ermessen getroffenen Entscheidungen der drei Konstellationsbetreiber dienten.
Mit Ausnahme der USA, China und ihrer jeweiligen engsten Verbündeten ist der Einfluss einzelner Staaten auf den Betrieb und die Weiterentwicklung der Konstellationen äußerst gering. Alle drei Unternehmen bieten aber spezielle Dienste an, mit deren Hilfe Regierungen die Bereitstellung des Internetzugangs entsprechend ihrer jeweiligen Regulierungen anpassen können (»Governance as a Service«). Viele Regierungen nutzen diese Möglichkeiten, obwohl einige von ihnen bemängeln, dass für sie nicht nachvollziehbar sei, wie genau die Betreiber ihre Vorgaben technisch umsetzten.
Als weiteren Spezialdienst bieten alle drei Satellitennetzwerke »Global Citizen«-Programme an. Diese machen es möglich, für Endverbraucher die rechtlichen Vorgaben ihres Heimatstaats unabhängig davon anzuwenden, wo sie sich auf der Erde befinden. Wenn Bürger reisen, verbleibt ihre digitale Kommunikation damit in der rechtlichen Zuständigkeit ihres Herkunftslands. 2035 nutzen zwei Drittel aller Staaten dieses Programm. Allerdings hat dieses System auch Grenzen. Um die Freiheit des Internets zu wahren, verlangt die US-Regierung von Starlink und KuiperOne, im Rahmen des »Global Citizen«-Programms keine Beschränkungen der Meinungsfreiheit oder Bestimmungen zum Datenschutz durchzusetzen, die restriktiver sind als die Regelungen, die in den USA gelten. In ähnlicher Weise verpflichtet die chinesische Regierung AliLink darauf, sich bei Fragen der Meinungsfreiheit an die Vorgaben der Abschlusserklärung der »World Internet Conference« 2028 in Wuzhen zu halten. Nach intensiven Debatten entschied die EU – anknüpfend an die Erfahrungen mit dem »Privacy Shield« – im Jahr 2030, im europäischen Recht entsprechende Ausnahmen für die Betreiber der Satellitenkonstellationen zu verankern, damit diese weiter rechtssicher ihre Dienste in der EU anbieten können.
Szenario 2: Regulierter Wettbewerb
Ende 2021 überraschen Elon Musk und Jeff Bezos die Öffentlichkeit mit einer Erklärung, wonach sie fortan ihre Aktivitäten beim Aufbau einer globalen LEO-Konstellation unter dem Namen BlueStar zusammenführen werden. Kurz darauf schließt sich auch OneWeb dem neuen Unternehmen an, das zum Jahreswechsel 2022/23 offiziell eine Konstellation in Betrieb nimmt, deren Satelliten die gesamte nördliche Hemisphäre abdecken sowie Südamerika und Teile Afrikas.
Um mit BlueStar konkurrieren zu können, entscheidet die chinesische Regierung Anfang 2022, ebenfalls alle bisherigen Initiativen in einer LEO-Konstellation mit dem Namen FreeStars zusammenzuführen. 2023 verkünden China und Russland, ihre Weltraumaktivitäten künftig im Rahmen einer strategischen Partnerschaft eng miteinander zu koordinieren. Russland gibt in der Folge seine Pläne für eine eigene LEO-Konstellation auf und schließt sich FreeStars an. Die Konstellation ist ab Ende 2024 in Betrieb und deckt mit ihren Satelliten ganz Asien, Russland, Osteuropa sowie große Teile Afrikas und Indiens ab.
Ebenfalls bereits Ende 2021 einigt sich der Europäische Rat darauf, den Aufbau einer europäischen LEO-Konstellation durch ein spezielles Förderprogramm zu unterstützen. Die Befürworter dieses Plans hatten dabei auf die Erfahrungen mit dem Satellitennavigationssystem Galileo sowie das in Jahrzehnten gereifte Know-how von Arianespace im Umgang mit Trägerraketen verwiesen. Die EU-Pläne stoßen in Washington auf Widerstand. Präsidentin Harris kritisiert, dass das EU-Projekt das westliche-liberale Lager unnötig spalte. Noch schärfere Töne kommen aus dem Kongress: Dort heißt es, die Europäer sollten erst einmal ihren Nato-Verpflichtungen nachkommen, anstatt durch illegale Subventionen amerikanischen Firmen zu schaden. Die EU jedoch lässt sich hiervon nicht beeindrucken und hält an ihren Plänen fest. Bereits 2022 kommt es zu einem neuen Abkommen mit Japan, das die Kooperation im Bereich digitaler Technologien intensiviert und insbesondere die Weichen stellt für eine engere Zusammenarbeit bei der Satellitenkommunikation.
Im Jahr 2023 bilden europäische Unternehmen ein Joint Venture mit dem Namen »Cassini«, dessen Ziel es ist, eine eigenständige europäische LEO-Konstellation aufzubauen.
Im Folgejahr bilden europäische Unternehmen ein Joint Venture mit dem Namen »Cassini«, dessen Ziel es ist, eine eigenständige europäische LEO-Konstellation aufzubauen. Die EU-Kommission unterstützt Cassini mit finanziellen Mitteln für Forschung und Entwicklung. Zudem verpflichten sich eine Reihe von EU-Mitgliedstaaten, das System zur Anbindung öffentlicher Institutionen in dünnbesiedelten Regionen zu nutzen. Schnell zeigt sich, dass Cassini erheblich von dem Netz europäischer Zulieferer für Weltraumtechnologie profitieren kann. Einen weiteren Schub erfährt das Joint Venture, als es Arianespace 2026 gelingt, ein Trägerraketensystem zu produzieren, das wie die Systeme von SpaceX auf der Erde landen und entsprechend mehrfach genutzt werden kann. Die Konstellation Cassini nimmt im Sommer 2028 den Betrieb auf. Als Nachzügler muss sich Cassini bei der Nutzung von Funkfrequenzen mit den bereits bestehenden Konstellationen arrangieren. Für den Bereich Europas selbst ist dies kein Problem, allerdings kann Cassini in einigen anderen Weltregionen nur einen eingeschränkten Dienst anbieten. Zudem verbieten die USA, China und Russland 2025 mit Verweis auf Belange der nationalen Sicherheit den Betrieb des Systems über ihrem Territorium. Präsidentin Harris drückt ihr Bedauern darüber aus, diesen Schritt unternehmen zu müssen; nach Erkenntnissen der NSA jedoch sei das Cassini-System nicht hinreichend sicher, um für den Betrieb in den USA zugelassen zu werden.
Anfangs bieten BlueStar, FreeStars und Cassini sowohl Backbone-Services für lokale ISPs als auch einen Service für Endverbraucher an. Gegen eine Gebühr von durchschnittlich 100 US-Dollar können sich die Nutzer dabei direkt mit der Konstellation verbinden. Ab 2024 jedoch verändern neue WTO-Regeln die Marktdynamik: Zum einen vereinbaren die WTO-Mitgliedstaaten, dass Konstellationsbetreiber nur noch Backbone-Services anbieten dürfen. Einige Staaten hatten in der Debatte vorgebracht, dass sich ähnliche Regeln auf dem Strommarkt als sehr wirksam erwiesen hätten. Zum anderen bekräftigen die neuen WTO-Bestimmungen, dass das GATS-Regelwerk auch auf die Satellitendienste Anwendung findet. Und sie betonen die Verpflichtung der Staaten, beim Zugang zu ihren nationalen Märkten nicht zwischen Unternehmen aus dem In- und Ausland zu unterscheiden.
Die WTO-Regularien sehen dabei zwei Ausnahmen vor: In Regionen, in denen kein lokaler ISP Internet-Zugangsdienste anbietet, dürfen die Konstellationsbetreiber eine Lizenz beantragen, die es ihnen erlaubt, selbst als lokaler ISP aufzutreten. Vor allem in Entwicklungsländern machen alle drei Satellitenbetreiber von dieser Möglichkeit Gebrauch. FreeStars hat schon 2028 in 50 Staaten über Tochterfirmen lokale ISPs aufgebaut, BlueStar ist in 40 Staaten vertreten, Cassini lediglich in 12. Als zweite Ausnahme gestatten die WTO-Regularien, dass die Konstellationsbetreiber bestimmten Nutzern mit besonderem Bedarf als »special service« direkten Zugang zu ihrer Konstellation anbieten dürfen. Anfangs ist dieser Service in vielen Ländern auf Flugzeuge und Schiffe begrenzt. Schon bald jedoch fangen einige Staaten damit an, den Kreis der Special-Service-Berechtigten auf Amtsträger und Strafverfolgungsbehörden auszuweiten. Singapur führt zudem eine Ausnahme für »international business agents« ein.
Bis 2035 entstehen so drei LEO-Konstellationen: BlueStar hat 13 000 Satelliten in Betrieb, FreeStars 12 000 und Cassini 6 000. Etwa 50 Prozent des weltweiten Internetverkehrs wird über die Konstellationen geleitet, wobei etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung über diese Systeme auf das Internet zugreifen. Vor allem in ländlichen Regionen und in Entwicklungsländern bilden diese Systeme oft den wichtigsten Zugang zum Internet; in dichtbesiedelten urbanen Wirtschaftszentren hingegen werden weiterhin Glasfaserverbindungen sehr stark genutzt.
Im Jahr 2035 sind große Teile der Welt in zwei weitgehend voneinander getrennte digitale Sphären geteilt.
Zugang
Alle drei Systeme sind technisch im Prinzip in der Lage, Internetzugang an jedem Ort der Erde zu ermöglichen. Wie beschrieben haben sich BlueStar und FreeStars allerdings die für hohe Datenübertragungen attraktivsten Funkfrequenzen gesichert. In einigen Regionen ist darum eine Verbindung mit Cassini nur eingeschränkt möglich. Die Erlaubnis zum Betrieb der Systeme in einzelnen Ländern hängt zudem stark von politischen Faktoren ab, weshalb sich die Konfiguration der Konstellationen über die Jahre hinweg zunehmend an politischen Konfliktlinien orientiert. So verbieten wie schon erläutert die USA, China und Russland auf ihrem Territorium Satellitennetzwerke, die nicht von Unternehmen aus dem eigenen Staat betrieben oder mitbetrieben werden. Die USA wie auch China bemühen sich zudem mit Nachdruck darum, ihre jeweiligen Verbündeten zu einer ähnlichen Politik zu bewegen. Im Ergebnis sind 2035 große Teile der Welt in zwei weitgehend voneinander getrennte digitale Sphären geteilt, in denen das Internet jeweils nur über eine der zwei Konstellationen genutzt werden kann.
Die EU hingegen führt eine Gruppe von Staaten an, die sich weiterhin zu den neuen WTO-Regeln von 2024 bekennen und dementsprechend allen drei Konstellationen gleichen Zugang zu ihren Märkten erlauben. Innerhalb der EU hatte die Entscheidung der USA, China und Russlands, Cassini den Marktzugang zu verbieten, zu einer hitzigen Debatte über Vergeltungsmaßnahmen geführt. Letztlich jedoch entschied sich die Union, an ihrer Unterstützung für das multilaterale Handelssystem und ihrem Bekenntnis zu freier Kommunikation festzuhalten. Zugleich verschärfte Brüssel 2025 die entsprechenden Regeln zum Datenschutz mit einer weiteren Reform der ePrivacy-Verordnung: Lokale ISPs, die eine der zwei nicht-europäischen Satellitenkonstellationen für Backbone-Services nutzen, müssen die Daten ihrer Kunden seither in besonderer Weise schützen, etwa durch geeignete Formen der Verschlüsselung und Pseudonymisierung oder durch das informierte Einverständnis des Anwenders zur Datenverarbeitung außerhalb der EU. Zudem untersagte die EU bereits 2024 den Betrieb der Satellitenkonstellationen in der Nähe von strategisch relevanten Orten wie Militärbasen und Kraftwerken; um dieses Verbot durchzusetzen, werden seit 2026 an den entsprechenden Orten Störsender eingesetzt.
Ebenfalls im Jahr 2024 veranstalten die EU und die Afrikanische Union (AU) einen Digitalgipfel unter dem Motto »#Digital4All«. Das Abschlussdokument enthält eine Reihe von Vorgaben, die Betreiber von Satellitenkonstellationen erfüllen müssen, um auf Fördermittel aus der Entwicklungszusammenarbeit zugreifen zu können. Hierzu gehört etwa, dass die Betreiber öffentlich zugängliche Informationen über die tatsächliche Verfügbarkeit ihrer Systeme in Entwicklungsländern und über die Kosten für Endverbraucher und für lokale ISPs bereitstellen müssen. Auch sollen Fördermittel daran gebunden sein, dass ein Betreiber in Regionen, für deren Abdeckung er finanzielle Zuschüsse erhält, allen Schulen einen kostenlosen Zugang ermöglichen muss. Eine Reihe großer Geberstaaten übernehmen diese Richtlinien in den folgenden Jahren, auch die UN-Generalsekretärin befürwortet sie öffentlich.
Zudem unterstützt die EU die AU mit technischer Expertise bei dem Vorhaben, bei der ITU für das gesamte Gebiet des afrikanischen Kontinents die Nutzung von Funkfrequenzen zu beantragen, die für Breitbandverbindungen geeignet sind. Ziel ist es sicherzustellen, dass auch afrikanische Unternehmen zu einem späteren Zeitpunkt die Chance haben, in den Markt einzutreten. Viele demokratische Regierungen in Afrika entscheiden sich, in der Zwischenzeit das europäische System Cassini zu nutzen, um öffentliche Institutionen in entlegenen Regionen mit dem Internet zu verbinden.
Im Ergebnis haben 2035 alle Entwicklungsstaaten Anschluss an mindestens eine der drei Konstellationen. Auf Druck der USA und Chinas haben jedoch nur wenige Entwicklungsstaaten Zugang zu allen drei Systemen. Die flächendeckende Verfügbarkeit macht dabei aber auch ein Problem deutlich, auf das bereits beim AU-EU-Gipfel 2024 hingewiesen wurde: Damit die neuen Satellitenkonstellationen genutzt werden können, bedarf es in vielen Regionen zunächst weiterer Investitionen in die Stromversorgung – sowohl für die notwendige Infrastruktur auf der Erde wie auch für den Betrieb der Endgeräte.
Sicherheit und Resilienz
Um den Transfer großer Datenmengen in Netzen aus Zehntausenden Satelliten zu ermöglichen, die sich zudem die ganze Zeit bei höchsten Geschwindigkeiten auf verschiedenen Orbits bewegen, entwickelten die Betreiber der Konstellationen neue Protokolle sowohl für die Steuerung der Datenflüsse (das »routing«) als auch für das Adressieren von Endgeräten im Netzwerk. Die hier eingeführten Neuerungen wurden in der Folge zu großen Teilen auch für die Internet-Infrastruktur auf der Erde übernommen. Bei der Entwicklung dieser Protokolle konnten die Konstellationsbetreiber einige Schwachstellen der bis dahin weit verbreiten Protokolle beheben. Zugleich wurde durch die Veröffentlichung interner Unterlagen im Jahr 2028 deutlich, dass sowohl BlueStar als auch FreeStars neue, nicht öffentlich dokumentierte Schnittstellen für den Zugriff staatlicher Strafverfolgungsbehörden (»lawful access«) implementiert hatten. Für die Behörden in den USA, China und Russland bestehen seither umfangreiche Möglichkeiten, die Datenströme in den drei Konstellationen zu überwachen.
Die Einführung der neuen Protokolle für die Satellitenkonstellationen führte zunächst zu einem leichten Rückgang von Cyber-Angriffen. Ab etwa 2026 jedoch nahmen die Attacken wieder zu. Anscheinend hatten die Angreifer in der Zwischenzeit auch in den neuen Protokollen Schwachstellen ausfindig gemacht. Obschon es hierfür noch keine Bestätigung gibt, wird außerdem befürchtet, dass es einigen Hacker-Gruppen gelungen ist, die Schnittstellen für den Zugang der staatlichen Strafverfolgungsbehörden auszunutzen.
Ein besonders schädlicher Angriff fand 2029 statt. Innerhalb weniger Tage verbreitete sich ein Virus in allen drei Konstellationen. Der Virus war speziell auf die Cassini-Konstellation zugeschnitten. Durch die Manipulation einer Standardeinstellung im Transferprotokoll brachte er den gesamten Datentransfer innerhalb der Konstellation zum Stillstand. Viele Nutzer konnten glücklicherweise vorübergehend auf die anderen zwei Konstellationen oder erdgebundene Netzwerke ausweichen oder auf die Notfall-Mobilfunknetze zurückgreifen, die in vielen europäischen Städten seit 2027 eingerichtet worden waren. Nach einer Woche gelang es Experten von Cassini, die Satelliten mit einem Update wieder in Betrieb zu nehmen und vor einem weiteren Angriff dieser Art zu schützen. Der Vorfall führte indes zu einer hitzigen Debatte. Es gab viele Gerüchte zu der Frage, welche Akteure ein Interesse haben könnten, speziell das europäische Satellitennetzwerk zu schädigen. Seither befürchten alle drei Konstellationsbetreiber, dass es zu weiteren, gezielt gegen eines der drei Netzwerke gerichteten Attacken kommen könnte.
Das neue Bewusstsein für die Verwundbarkeit der Satellitenkonstellationen wirkte sich zudem auf den Umgang mit dem Netz der Unterseekabel aus. Mit der Inbetriebnahme der Konstellationen und den technischen Fortschritten bei Inter-Satellite Laser Links (ISLLs) hatte sich der interkontinentale Datenverkehr immer mehr in den Weltraum verlagert. Dementsprechend wurden auch Pläne für den Bau neuer Unterseekabel gestoppt. Nach dem Angriff auf Cassini 2029 kam es jedoch zu einem Umdenken. So organisierte die EU 2030 einen »Weltkabelgipfel« und hoffte, die Privatwirtschaft mit Förderprogrammen zu neuen Investitionen in Unterseekabel anregen zu können. Diese Initiativen erwiesen sich jedoch als unzureichend, so dass bis 2035 keine neuen Kabelprojekte in Angriff genommen wurden.
Vor diesem Hintergrund musste die EU-Kommission nach anderen Wegen suchen, um die Resilienz der Internet-Infrastruktur zu erhöhen. Im Jahr 2027 startete sie eine Public Private Partnership, im Rahmen deren Regierungen und Unternehmen aus Europa und Afrika seither gemeinsam an Notfall-Mobilfunknetzen arbeiten. Unter anderem wurden dafür Ansätze des von der US-amerikanischen Holding Alphabet 2021 eingestellten »Project Loon« übernommen. Wie beim »Loon«-Project ist die grundlegende Idee, Netzwerke aus Heißluftballons zu schaffen, die in nur wenigen Kilometern Höhe wie klassische Mobilfunknetze funktionieren. Im Falle von lokalen Ausfällen der erdgebundenen Netze oder auch der Satellitenkonstellationen können diese mobilen Notfallnetzwerke innerhalb weniger Stunden jeden Ort in Europa und Afrika erreichen. Seit 2028 sind jederzeit fünf solcher Netzwerke im Stand-by-Modus und können innerhalb von zwei Stunden in Betrieb genommen werden.
Schließlich profitieren die EU-Mitgliedstaaten von den massiven Investitionen in Glasfaserverbindungen, die die Europäische Union als Teil der Maßnahmen zur Bewältigung der Covid-19-Krise beschlossen hatte. Mit dem Aufstieg der Satellitenkonstellationen waren diese Bemühungen zunächst belächelt worden. 2035 jedoch gelten sie als wesentlicher Grund für die Resilienz der europäischen Internet-Infrastruktur. So ist Europa die einzige Weltregion, die flächendeckenden Zugang zu allen drei Konstellationen hat und zugleich über ein umfassendes Glasfasernetz verfügt, an das 80 Prozent aller Haushalte Anschluss haben.
Macht in der globalen Internet-Governance
Die Existenz dreier eigenständiger Konstellationen und die WTO-Regeln von 2024 machen es auch unter den veränderten Bedingungen 2035 weiterhin notwendig, dass sich die internationale Gemeinschaft auch über Standards im Bereich Datentransfer über die verschiedenen Netzwerke hinweg verständigt. 2026 war es zu einem Eklat zwischen BlueStar und FreeStars gekommen, weil BlueStar angekündigt hatte, im Alleingang Änderungen an den globalen Protokollen vornehmen zu wollen. Als Reaktion darauf machte damals die Internet Engineering Task Force (IETF) gemeinsam mit den an Cassini beteiligten europäischen Wissenschaftlern einen Vermittlungsvorschlag. Dieser fand schnell politische Rückendeckung in der EU und der AU. In der Folge erklären sowohl BlueStar als auch FreeStars sich bereit, die Entwicklung der notwendigen Standards und Protokolle auch weiterhin in offenen Foren wie der IETF stattfinden zu lassen.
Die neuen WTO-Regeln, wonach die Satellitenkonstellationen grundsätzlich auf die Bereitstellung von Backbone-Services beschränkt sein sollen und deren Betreiber nur ausnahmsweise eine Lizenz als lokaler ISP beantragen können, stärken in gewissem Maße die Position der Staaten. In der Tat war für viele Regierungen ein wesentlicher Grund für die Zustimmung zu den neuen WTO-Regelungen, dass sie damit mehr Möglichkeiten zur Durchsetzung nationalen Rechts erhalten. In Regionen, die nur Zugang zu BlueStar oder FreeStars haben, zeigt sich jedoch bald, dass der Einfluss der Staaten auf die Betreiber begrenzt ist. So stellt etwa BlueStar lokalen ISPs seine Backbone-Services nur zur Verfügung, wenn diese ihren Nutzern den Zugang zu digitalen Diensten aus den USA erlauben, die in der EU aus datenschutzrechtlichen Gründen eigentlich verboten sind. Die chinesische Konstellation FreeStars hingegen blockiert sehr weitgehend den Zugang zu Nachrichtenquellen, die sich kritisch gegenüber der Regierung in Peking äußern.
Noch 2025 hatten sich BlueStar, FreeStars und Cassini gemeinsam dafür ausgesprochen, an dem System der Verwaltung des globalen DNS durch ICANN festzuhalten. Zur gleichen Zeit jedoch begannen alle drei, innerhalb ihrer Konstellationen weithin eigenständige DNS aufzubauen. Bis 2035 hat sich so der Charakter des globalen DNS fundamental verändert: Es verlinkt nun nicht mehr selbst zu den Registries einzelner Top-Level-Domains (TLD), sondern verweist nur noch auf die Systeme der drei Satellitenkonstellationen. Diese stimmen sich untereinander über die Nutzung von TLD ab, behalten sich aber auch jeweils vor, bestimmte TLD in ihren Systemen zu blockieren.
Dies ist jedoch nicht die einzige Möglichkeit der Konstellationsbetreiber, die Datenströme in und zwischen ihren Netzwerken zu kontrollieren. Für den Austausch von Daten zwischen den Konstellationen wurden Planetary Exchange Points (PXPs) eingerichtet, die in Europa, China, Russland und den USA angesiedelt sind – sowie im Weltraum selbst. Vor allem an diesen PXPs können die drei Betreiber sehr detailgenau steuern, welche Informationen ihr Netzwerk verlassen oder in dieses hineingelangen können.
Empfehlungen für Deutschland und die Europäische Union
Ob sich die höchst ambitionierten Pläne für die Bereitstellung von Internetkonnektivität über LEO-Satellitenkonstellationen werden realisieren lassen, ist derzeit noch offen. Kommt es dazu, so ist damit zu rechnen, dass sich dies in massiver Weise auf die Sicherheit und Resilienz der globalen Internet-Infrastruktur auswirken wird, auf den Zugang zu dieser Infrastruktur – und auf die Machtbeziehungen in der globalen Internet-Governance. Es droht eine nie dagewesene Konzentration wirtschaftlicher Macht und damit auch ein bisher unbekanntes Maß politischer Kontrolle über die globalen Kommunikationsnetze.
Staaten wie Deutschland droht eine Situation, in der die selbstbestimmt-demokratische Kontrolle über die eigenen digitalen Infrastrukturen immer weiter begrenzt wird.
In der Folge wäre mit einer Verschärfung des Trends zur Fragmentierung des Internets zu rechnen. Der Aufbau einer neuen weltumspannenden Internet-Infrastruktur in der Hand weniger Unternehmen und der dahinterstehenden Staaten würde es erlauben, das Internet entlang einer politischen Konfliktlinie in zwei weithin voneinander getrennte Sphären aufzuspalten. Ein Austausch über die Grenzen dieser zwei Sphären hinweg wäre dann nur noch möglich, wenn und soweit dies von den Betreibern dieser neuen Infrastruktur zugelassen wird; zu befürchten wären erhebliche Einschränkungen des Rechts auf Meinungsfreiheit wie auch des Rechts auf Privatsphäre. Damit droht Staaten wie Deutschland eine Situation, in der die selbstbestimmt-demokratische Kontrolle über die eigenen digitalen Infrastrukturen – demokratische Souveränität also auch im Technologiebereich – immer weiter begrenzt wird. Auch der Anspruch, sich gleichberechtigt an der globalen Debatte über die Zukunft des Internets zu beteiligen, würde in einem solchen Szenario ins Leere laufen.
Diesen Risiken steht zugleich die technisch und gesellschaftlich faszinierende Aussicht gegenüber, über den »Umweg« des Weltalls allen Menschen auf der Erde einen Zugang zum vielfältigen Potential digitaler Kommunikation zu ermöglichen – und das gemeinsame Fundament des globalen Internets durch eine neue Dimension der Internet-Infrastruktur zu stärken.
Mit Blick auf diese potentiell weitreichenden Folgen ist es politisch geboten, sich auf ein solches Szenario vorzubereiten. Die Zeit dafür ist jetzt: Auch wenn die Bemühungen um den Aufbau der geplanten Mega-Konstellationen noch am Anfang stehen, braucht auch eine proaktive Politik des Umgangs mit diesen Entwicklungen Vorlauf.
Eine solche proaktive Politik ist zudem auch für den Fall angeraten, dass die Pläne für die neuen Mega-Konstellationen scheitern. Die Frage, wie die physische Infrastruktur des Internets an neue Anforderungen angepasst werden kann, wird weiterhin nach einer Lösung verlangen, auch wenn eine spezifische Technologie sich als unzureichend erweisen sollte.
Technologische Redundanz und Diversität fördern
Es gilt schon fast als Gemeinplatz, dass sich die Sicherheit und Resilienz digitaler Infrastrukturen durch Redundanz erhöhen lässt. Gemeint ist damit, dass bewusst Überkapazitäten geschaffen werden, die gewährleisten, dass Störungen einzelner Einheiten nicht zum Zusammenbruch des Gesamtsystems führen. So ist etwa das globale Internet mit seiner dezentralen Struktur von Anbeginn an darauf ausgelegt gewesen, Resilienz durch Redundanz zu erzeugen. Fallen Teilnetze des Internets aus, so sorgen die Basisprotokolle des Internets dafür, dass die Datenströme einen anderen Weg finden.
So elegant diese adaptiven Mechanismen auf der Ebene der Software-Protokolle sind – sie kommen wegen der physischen Infrastruktur des Internets an ihre Grenzen. Wo diese Infrastruktur nicht oder nur unzureichend zur Verfügung steht, hilft auch der klügste Algorithmus nicht weiter. Je mehr unsere Abhängigkeit vom Internet zunimmt, desto wichtiger wird es daher, auch auf dieser physischen Ebene ein ausreichendes Maß an Redundanz sicherzustellen.
Dabei kann Redundanz auch einen Mehrwert an Sicherheit bringen, wenn sie mit technologischer Diversität kombiniert wird. Technologische Monokulturen lassen sich einfacher hacken, weil alle Ressourcen der Angreifer auf ein System konzentriert werden können. Ferner sind Monokulturen meist gleichbedeutend mit wirtschaftlichen Abhängigkeiten, die als Hebel für (geo-)politische Einflussnahme genutzt werden können.45
Diese Überlegungen legen im Hinblick auf Europas eigene Internet-Infrastruktur und seine Anbindung an das globale Internet nahe, zu starke und zu einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden. Innerhalb Europas sollte dementsprechend der flächendeckende Ausbau von Glasfaserverbindungen weiter vorangetrieben werden, sowohl zum direkten Anschluss von Endverbrauchern wie auch als Grundlage für zukünftige Mobilfunknetze. Zudem sollte Europa dafür Sorge tragen, dass strategisch wichtige Unterseekabel – etwa über den Atlantik, nach Afrika oder nach Asien – funktional weiterentwickelt werden. So gilt es, durch kontinuierliche technologische Erneuerungen die Übertragungskapazitäten auszuweiten, um dem wachsenden Bedarf gerecht zu werden, und die Sicherheit der Anlandepunkte zu erhöhen.46
Der mögliche Beitrag von Internetkonnektivität per LEO-Satelliten bestünde vor diesem Hintergrund nicht darin, diese terrestrischen Verbindungen zu ersetzen, sondern sie zu ergänzen. Das Ziel sollte dabei ein Technologie-Mix sein, der die Abhängigkeit von einer einzelnen Technologie – und den dahinterstehenden Unternehmen und Staaten – so weit reduziert, dass Europa seinen eigenen politischen Handlungsspielraum bewahren kann.
Dazu bedarf es auch entsprechender Regulierung. Die Betreiber der Satellitensysteme benötigen von den Staaten die Lizenz zur Nutzung der jeweiligen Frequenzbereiche auf dem staatlichen Territorium. Die Vergabe dieser Lizenzen kann mit Auflagen versehen werden. Erstrebenswert wäre hier ein europäisch abgestimmtes Vorgehen: Einerseits würde dies den Betreibern entgegenkommen, weil sie nicht auf vergleichsweise kleinem Gebiet mit vielen unterschiedlichen regulatorischen Vorgaben umgehen müssten. Andererseits würde es aber auch die Verhandlungsposition Europas stärken. Auch die großen Konzerne aus den USA und China haben ein Interesse am Zugang zum europäischen Markt. Daran sollte angesetzt werden, um europäische Vorgaben durchzusetzen.
Diese Vorgaben könnten dazu genutzt werden, eine Balance zwischen der Inanspruchnahme attraktiver Frequenzbereiche durch Satelliten einerseits und durch erdgebundene Funksysteme andererseits zu sichern.
Damit würde ein wichtiger Beitrag zu einem angemessenen Technologie-Mix geleistet. Daneben könnten die Vorgaben Mindestanforderungen für die Verfügbarkeit der Dienste beinhalten, für den Schutz personenbezogener Daten oder aber auch für die Sicherheit der Satellitenkommunikation.47
Gestaltungsspielraum schaffen durch eine europäische Konstellation
Wie beschrieben setzen die USA, China, aber auch Kanada gezielt staatliche Mittel ein, um den Aufbau von LEO-Satellitenkonstellationen voranzubringen. Auch für Europa scheint es ratsam, durch entsprechende öffentliche Investitionen europäische Unternehmen dazu anzuregen, eine eigene Konstellation aufzubauen. Das dafür notwendige Wissen ist in Europa vorhanden und bereits heute liefern europäische Firmen wichtige Komponenten für den Aufbau von LEO-Konstellationen. Europa könnte dabei an die Erfahrungen mit dem Satellitennavigationssystem Galileo und dem Satelliten-Erdbeobachtungssystem Copernicus anknüpfen, wie auch an die Arbeiten von Arianespace bei der Entwicklung von Trägerraketensystemen. Auch fördert die EU-Kommission heute schon den Ausbau von Breitband-Internetzugang in ländlichen Gebieten und in Regionen und Kommunen, die bereits für verschiedene Zwecke Daten von GEO-Satelliten nutzen.48
Der Blick auf andere Staaten macht jedoch deutlich, dass es für ein Infrastrukturprojekt dieser Größenordnung erheblicher öffentlicher Investitionen bedarf. Der zuständige EU-Kommissar Thierry Breton hat sich bereits im Sommer 2020 klar für eine solche Förderung durch die Union ausgesprochen, mittlerweile hat diese auch schon erste vorbereitende Schritte eingeleitet. Eine politische Grundsatzentscheidung für eine solche europäische Konstellation steht allerdings noch aus.49
Der Aufbau einer europäisch geprägten Konstellation könnte dabei einer Reihe von Zielen dienen: Erstens könnte sich Europa die Möglichkeiten satellitenbasierter Internetkonnektivität für eigene Zwecke zunutze machen. Zweitens könnte Europa auf diese Weise eine konkrete technische Alternative zu den Systemen aus den USA und China entwickeln. Dies würde es erlauben, nicht nur regulatorisch, sondern auch in der praktischen Umsetzung deutlich zu machen, wie die europäische Vision für die Zukunft des Internets aussieht. Damit könnte Europa einen wichtigen Impuls auch in der globalen Debatte setzen und sich ganz unmittelbar für die Erhaltung eines offenen Internets auf Basis eines geteilten globalen Fundaments einsetzen. Drittens würde Europa auf diesem Wege die eigene Expertise an der Schnittstelle von Weltraumtechnologie und digitalen Kommunikationsinfrastrukturen sichern und vertiefen.
In Anbetracht der noch offenen technischen Probleme mag es als gewagt erscheinen, erhebliche Summen – nötig wären sicherlich mehrere Milliarden Euro – in die Förderung von LEO-Internetsatelliten zu investieren. Selbst wenn sich die Pläne für die Mega-Konstellationen nicht, wie heute geplant, realisieren lassen, ist jedoch damit zu rechnen, dass auf diesem Feld wichtige technologische Fortschritte gemacht werden – mit heute noch nicht absehbarem Ergebnis. Gemessen daran, was politisch und wirtschaftlich für Europa auf dem Spiel steht, scheinen entsprechende Investitionen daher gerechtfertigt.
Strategische Partnerschaften vertiefen
Um die eigene digitale Infrastruktur neuen Anforderungen anzupassen, vor allem aber auch um Einfluss auf die Gestaltung der globalen Internet-Infrastruktur zu nehmen, ist es für Deutschland und Europa von großer Bedeutung, strategische Partnerschaften zu vertiefen. Im engeren Sinne geht es dabei darum, die nötigen technologischen Kapazitäten aufzubauen; darüber hinaus wird es aber auch immer wichtiger sein, Verbündete für die politischen Auseinandersetzungen um die Infrastruktur des Internets zu suchen.
Mit Blick auf digitale Infrastrukturen im Allgemeinen und auf LEO-Megakonstellationen im Besonderen bietet es sich dabei an, in zwei Richtungen zu denken: Zum einen sollten Partnerschaften mit Staaten intensiviert werden, die sich als Partner für anspruchsvolle Technologiekooperationen anbieten. Neben Japan, das in Szenario 2 hier beispielhaft genannt wurde, wären in diesem Kontext etwa auch Südkorea oder Kanada in Betracht zu ziehen. Zum anderen sollten die seit Jahrzehnten bestehenden Kontakte im Rahmen der deutschen und europäischen Entwicklungszusammenarbeit genutzt werden. In den Entwicklungsländern gibt es ein ausgeprägtes Bewusstsein dafür, wie wichtig die Versorgung mit digitalen Infrastrukturen und der Anschluss an die globale Internet-Infrastruktur sind. Die Unternehmen, die aktuell LEO-Konstellationen planen, wissen um diese wachsende Nachfrage, und auch die neuen Unterseekabel-Projekte von Google und Facebook oder die vielfältigen Aktivitäten Chinas im Rahmen der »Belt and Road Initiative« sind ein Echo auf den steigenden Bedarf an digitaler Infrastruktur. Für Deutschland und Europa bietet sich hier aktuell noch die Gelegenheit, eine Alternative anzubieten – technologisch wie politisch.
Multilaterale Institutionen schützen
Die Vertiefung strategischer Partnerschaften bildet zudem die Grundlage dafür, mit Blick auf die geplanten Mega-Konstellationen die Stellung multilateraler Institutionen zu stärken.
Da die ITU nur eine koordinierende Rolle bezüglich der Nutzung von Frequenzen ausübt, scheint sie ungeeignet, um weiterreichende politische Ziele durchzusetzen. Die technisch anspruchsvollen und langwierigen Verfahren entziehen sich dem direkten politischen Zugriff. Nimmt man hinzu, dass diese Verfahren in der Vergangenheit in der Regel ihren Zweck erfüllt haben, sollten sie in der Tat auch nicht unnötig in politische Auseinandersetzungen hineingezogen werden. Sehr wohl aber gilt es, das strategische Verhalten der Staaten in diesem Kontext genau zu beobachten und auf seine politischen Implikationen hin zu überprüfen. Letztlich liegt es nicht nur an Deutschland und der EU, ob und in welcher Form politische Konflikte in der Abteilung Funkkommunikation der ITU ausgetragen werden. Im Detail zu prüfen wäre zudem, ob sich Deutschland und Europa für Reformen innerhalb der ITU einsetzen könnten, um die Organisation besser auf die Herausforderungen durch die neuen Mega-Konstellationen vorzubereiten. Andernfalls droht ein schleichendes Aushöhlen der an sich erstrebenswerten Koordinierungsfunktion der ITU.
Die WTO hingegen bietet im Prinzip den idealen Rahmen dafür, eine zu starke Konzentration wirtschaftlicher und politischer Macht zu vermeiden. Wie in dem zweiten Szenario ausgeführt, wäre es zum Beispiel denkbar, durch neue Regeln im Rahmen von GATS vorzugeben, dass die Betreiber der Satellitenkonstellationen nicht zugleich direkt Dienstleistungen für Endverbraucher anbieten dürfen.
Diesem Potential globaler Regulierung zugunsten von mehr Wettbewerb steht jedoch entgegen, dass multilaterale Institutionen wie die WTO selbst immer mehr unter Druck geraten. Die doppelte Aufgabe für die deutsche und die europäische Politik ist es mithin, innerhalb dieser Institutionen für neue Regelungen zum Umgang mit planetaren Kommunikationssystemen zu streiten und zugleich diese Institutionen selbst, ihre rechtlichen Grundlagen und Verfahren, zu bewahren.
Offene Standards unterstützen
Mit den aktuellen Plänen für LEO-Megakonstellationen droht eine bisher ungekannte Konzentration wirtschaftlicher Macht. Neben den genannten Maßnahmen zur Förderung technologischer Diversität sollten Deutschland und Europa sich vor diesem Hintergrund für das Festhalten an offenen Standards und Protokollen einsetzen. Dass das Internet bisher durch solche offenen Standards geprägt ist, wird gerne als Beleg für eine dem Internet vermeintlich inhärente liberale Ausrichtung genommen. Tatsächlich jedoch waren offene Standards und Protokolle zunächst ein vor allem technisches Erfordernis, um in heterogenen Netzwerken ein ausreichendes Maß an Interoperabilität zu bewahren. Diese funktionale Notwendigkeit offener Standards wird jedoch in dem Moment geringer, in dem die Internet-Infrastruktur eben diese Heterogenität einbüßt. Wenn die Infrastruktur zunehmend in den Händen weniger Akteure liegt, besteht zwischen diesen zwar weiter Koordinierungsbedarf; es ergibt sich daraus jedoch nicht unbedingt die Forderung nach offenen Standards. Positiv gewendet kann das Festhalten an offenen Standards und Protokollen jedoch auch selbst als Instrument verstanden werden, um die Möglichkeit diverser, heterogener Netze zu bewahren. Denn gerade offene Standards sind Grundlage für immer wieder neue Innovationen und »Disruptionen«, mithin für das Aufbrechen wirtschaftlicher Machtkonzentration.
Die Offenheit der Standards lässt sich dabei ganz konkret durch das eigene Handeln unterstützen, indem etwa die Staaten Europas selbst dafür eintreten und sie regulatorisch einfordern. Zudem sollte die deutsche und europäische Politik sich dafür einsetzen, die etablierten Prozesse der Standardentwicklung in Gremien wie der IETF gegen staatliche Vereinnahmungsprozesse zu schützen. Und nicht zuletzt zeigt sich gerade hier die Stärke von Multistakeholder-Formaten der globalen Internet-Governance, deren Förderung sich die deutsche Politik erklärtermaßen zum Ziel gesetzt hat. Institutionen wie das Internet Governance Forum (IGF) oder eben auch die IETF bieten die Chance, an der Schnittstelle von Technik und Politik in transparenten und vergleichsweise inklusiven Prozessen die Entwicklung offener Standards voranzutreiben.
Globale Kommunikationsnetze ermöglichen gesellschaftlichen Austausch in den verschiedensten Bereichen – von der Wirtschaft über die Wissenschaft bis hin zur Kultur. Schon seit den ersten Telegraphennetzen im 19. Jahrhundert gibt es immer wieder Staaten, die versuchen, Kontrolle über die zugrundeliegende Infrastruktur zu gewinnen. Deutschland und Europa sollten sich diesen Bestrebungen mit Blick auf die zu erwartenden Entwicklungen im Bereich der Internetsatelliten entgegenstellen. Eine proaktive und selbstbewusste Politik im Bereich der globalen Internet-Governance kann problematische Machtkonzentrationen verhindern und so dazu beitragen, das gemeinsame weltumspannende Fundament des Internets wie auch seinen pluralistischen Charakter zu erhalten. Wie die zwei Szenarien in dieser Studie gezeigt haben, ist die zukünftige Entwicklung noch offen – um sie politisch zu gestalten, muss jetzt gehandelt werden.
Abkürzungen
AIS |
Automatic Identification System |
AU |
Afrikanische Union |
AWS |
Amazon Web Services |
BBC |
British Broadcasting Corporation |
BRI |
Belt and Road Initiative |
CASC |
China Aerospace Science and Technology Corporation |
CASIC |
China Aerospace Science and Industry Corporation |
CDN |
Content Delivery Network |
DNS |
Domain Name Service |
EU |
Europäische Union |
FCC |
Federal Communications Commission (Washington, D.C.) |
GATS |
General Agreement on Trade in Services |
GB |
Gigabyte |
Gbit |
Gigabit |
GEO |
Geostationary Earth Orbit |
GPS |
Global Positioning System |
ICANN |
Internet Corporation for Assigned Names and Numbers |
IEEE |
Institute of Electrical and Electronic Engineers |
IETF |
Internet Engineering Task Force |
IGF |
Internet Governance Forum |
IoT |
Internet of Things |
ISLLs |
Inter-Satellite Laser Links |
ITU |
International Telecommunication Union |
ITU-R |
International Telecommunication Union, Radiocommunication Sector |
IXPs |
Internet Exchange Points |
LEO |
Lower Earth Orbit |
MAB |
Multistakeholder Advisory Board |
Nato |
North Atlantic Treaty Organization |
NSA |
National Security Agency |
PCO |
Planetary Connectivity Organization |
PXP |
Planetary Exchange Point |
Tbit |
Terabit |
UHF |
Ultra High Frequency |
UN |
United Nations |
UNICEF |
United Nations Children’s Fund |
USAID |
The United States Agency for International Development |
VHF |
Very High Frequency |
WTO |
World Trade Organization |
Weiterführende SWP-Literatur
Barbara Lippert / Volker Perthes (Hg.)
Strategische Rivalität zwischen USA und China. Worum es geht, was es für Europa (und andere) bedeutet
SWP-Studie 1/2020, Februar 2020, 57 Seiten
Daniel Voelsen
Risse im Fundament des Internets.
Die Zukunft der Netz-Infrastruktur und die globale Internet Governance
SWP-Studie 12/2019, Mai 2019, 36 Seiten
Marcel Dickow
Die Weltraumpolitik der EU.
Zivile Flaggschiffe und Optionen für die GSVP
SWP-Studie 26/2011, Oktober 2011, 36 Seiten
Endnoten
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Sandra K. Evans u.a., »Explicating Affordances: A Conceptual Framework for Understanding Affordances in Communication Research«, in: Journal of Computer-Mediated Communication, 22 (2017) 1, S. 35–52.
- 2
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Nicole Starosielski, The Undersea Network, Durham / London: Duke University Press, 2015, S. 31ff; Daya K. Thussu, International Communication. Continuity and Change, 3. Aufl., London: Bloomsbury Academic, 2019, S. 3–9.
- 3
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Heidi J. Tworek, News from Germany. The Competition to Control World Communications, 1900–1945, Cambridge: Harvard University Press, 2019, Kap. 4.
- 4
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Ebd.
- 5
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»International Radiotelegraph Conference (Berlin, 1906)«, International Telecommunication Union (online), <https://www.itu.int/en/history/Pages/RadioConferences.aspx?conf=4.36> (Zugriff am 11.12.2020).
- 6
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Douglas R. Burnett / Robert C. Beckman / Tara D. Davenport (Hg.), Submarine Cables: The Handbook of Law and Policy, Leiden: Martinus Nijhoff Publishers, 2013, S. 9.
- 7
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»Internet Exchange Directory«, Packet Clearing House (online), <www.pch.net/ixp/dir> (Zugriff am 11.12.2020).
- 8
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Dwayne Winseck, »The Geopolitical Economy of the Global Internet Infrastructure«, in: Journal of Information Policy, 7 (2017), S. 228–267 (232ff); Thomas Lenschau, Das Weltkabelnetz, Halle a. d. Saale: Gebauer-Schwetschke, 1903 (Angewandte Geographie, Ser. 1, Heft 1).
- 9
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Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Eröffnung des 14. Internet Governance Forums 26. November 2019 in Berlin, <www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/aktuelles/rede-von-bundeskanzlerin-angela-merkel-zur-eroeffnung-des-14-internet-governance-forums-26-november-2019-in-berlin-1698264> (Zugriff am 12.1.2021).
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Siehe zum Beispiel Internet Engineering Task Force / N. Kuhn / E. Lochin, »Network Coding and Satellites«, ietf.org, Juli 2018, <https://tools.ietf.org/html/draft-kuhn-nwcrg-network-coding-satellites-05> (Zugriff am 12.1.2021).
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Siehe ITU, Telecommunication Standardization Sector, »New IP, Shaping Future Network«: Propose to Initiate the Discussion of Strategy Transformation for ITU-T (
TSAG-C83), September 2019, verfügbar unter <https://datatracker.ietf.org/liaison/ 1653/> (Zugriff am 12.1.2021). - 45
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Matthias Schulze / Daniel Voelsen, »Einflusssphären der Digitalisierung«, in: Barbara Lippert / Volker Perthes (Hg.), Strategische Rivalität zwischen USA und China. Worum es geht, was es für Europa (und andere) bedeutet, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Februar 2020 (SWP-Studie 1/2020), S. 32–36.
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Voelsen, Risse im Fundament des Internets [wie Fn. 42].
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William Akoto, »Hackers Could Shut down Satellites – or Turn Them into Weapons«, Scientific American, 22.2.2020, <https://www.scientificamerican.com/article/hackers-could-shut-down-satellites-or-turn-them-into-weapons/> (Zugriff am 20.3.2020).
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Siehe »Network of European Regions Using Space Technologies« <https://www.nereus-regions.eu/>.
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Véronique Guillermard, »Thierry Breton: ›Il faut assurer la souveraineté numérique de l’Europe‹«, in: Le Figaro, 2.7.2020.
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doi: 10.18449/2021S02