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G7: Inklusiver, selektiver und voraus­schauender Multilateralismus

Ideen für die deutsche Präsidentschaft

SWP-Aktuell 2021/A 83, 20.12.2021, 5 Seiten

doi:10.18449/2021A83

Forschungsgebiete

Am 1. Januar 2022 übernimmt Deutschland die G7-Präsidentschaft. Der 1975 ins Leben gerufene Zusammenschluss von sieben führenden demokratischen Industrienationen hat wieder an Bedeutung gewonnen, seit Donald Trump nicht mehr US‑Präsident ist. Von der Biden-Administration kommen wichtige Impulse wie die »Foreign Policy for the Middle Class«. Dieser Ansatz basiert auf einer klaren Prämisse: Ohne breite Unterstützung aus der Mitte der Gesellschaft sind auch etablierte Demo­kratien wie die USA nicht davor geschützt, von populistischen Bewegungen unter­miniert zu werden. Die Regierung in Washington folgert daraus, dass Innen- wie Außenpolitik künftig stärker an den Interessen der Mittelklasse auszurichten sind. Dies gilt auch mit Blick auf die zahlreichen Krisen, die die G7-Staaten bewältigen müssen, von der Corona-Pandemie über den Klimawandel bis zu geopolitischen Her­ausforderungen durch autoritäre Regime wie China und Russland. Die deutsche Präsidentschaft könnte dazu einen spezifischen Beitrag leisten – mit einer Initiative für strategische Vorausschau im multilateralen Rahmen der G7.

Ihre Neuorientierung hat die G7 bereits im Juni 2021 auf dem Gipfel im briti­schen Car­bis Bay verdeutlicht. Dort wurde der soge­nannte Cornwall Consensus vor­gestellt, der die Rolle des Staates gegenüber dem Markt betont. Eine wichtige Aufgabe staatlichen Handelns ist demnach, die sozi­ale Kluft in den G7-Ländern nicht weiter anwachsen zu lassen. Der Cornwall Con­sensus wird auch als Ablösung des lange dominierenden Wa­shington Consensus interpretiert. Letzterer verkörperte das seit den 1980er Jahren in der internationalen Handels- und Finanzpolitik dominierende Credo vom deregulierten Markt, der nicht nur für Wirtschaftswachstum und Ent­wicklung sorgen, son­dern auch den Wohl­stand mehren sollte.

Die ökonomischen, ökologischen und politischen Krisen der letzten Jahre haben jedoch die Grenzen dieses Governance-Modells aufgezeigt. Weder die globale Finanz- und Wirtschaftskrise noch die Turbulenzen in der Eurozone konnten ver­hindert werden. In der Corona-Pandemie wurde sichtbar, wie anfällig weltweit integrierte Produktions- und Lieferketten sind. Und das gesellschaftliche Vertrauen darauf, dass Marktinstrumente den Klima­wandel bändigen könnten, ist drastisch gesunken. Der Cornwall Consensus setzt daher auf den Staat als investierenden, rahmengebenden und regeldurchsetzenden Akteur, der im Interesse des Gemeinwohls wie auch zum Schutz globaler Güter korri­gierend eingreift und proaktiv handelt.

Soziale Ungleichheit gefährdet die Demokratie

Die multilaterale Politik, die auf Basis des Washington Consensus betrieben wurde, führte zwar zu Wirtschaftswachstum und ließ Einkommen wie Vermögen steigen. Doch waren die Wohlfahrtseffekte höchst ungleich verteilt. Zu den Gewinnern zähl­ten die mobilen Funktionseliten in Europa und Nordamerika sowie die Mittel- und Oberschichten in einigen Schwellenländern, allen voran China. Dagegen verloren große Teile der Mittelklasse in den G7-Staaten nach und nach den Anschluss.

Die politischen Folgen der wachsenden sozialen Ungleichheit zeigten sich auf bei­den Seiten des Atlantiks. So war der Auf­schwung populistischer Bewegungen in den USA und Großbritannien, aber auch in Frankreich und Italien eng mit der grassie­renden Unzufriedenheit in der Mittelklasse verknüpft. Etablierte Parteien verloren an Zuspruch, während links- wie rechtspopulistische Bewegungen stärker wurden, vom Movimento 5 Stelle in Italien über die Brexit-Vertreter in Großbritannien bis zu den Tea-Party-Republikanern in den USA.

Vor allem die Entwicklung in den Verei­nigten Staaten erregte Besorgnis unter den G7-Demokratien. Es gab heftige Debatten, worauf Trumps unerwarteter Erfolg gegen Hillary Clinton bei den Präsidentschaftswahlen 2016 zurückzuführen war. Analy­sen aus dem Lager der Demokraten verdeut­lichten, dass die Unzufriedenheit der Mittel­klasse mit den Prioritäten amerikanischer Außenpolitik zum Wahlergebnis beigetragen hatte. Von breiten Wählerschichten missbilligt wurden etwa Handels- und Kapi­talliberalisierung, Washingtons militärisches Engagement in internationalen Kon­flikten und eine zu permissive Immigra­tionspolitik. Gerade im »Rust Belt«, dem aufgrund von Produktionsverlagerungen etwa nach China deindustrialisierten Mitt­leren Westen, holte Trump ent­schei­dende Stimmen. Insbesondere Fach­arbeits­kräfte ohne College-Abschluss wand­ten sich ent­täuscht von den Demokraten ab, obwohl sie einst zu deren Kernklientel gehört hatten.

In den Analysen wurde aber auch nach vorne geblickt. Die nächste von den Demo­kraten gestellte US-Regierung, so der dama­lige Tenor, müsse die Interessen der Mittel­klasse ins Zentrum rücken, und zwar auch und gerade mit Blick auf die amerikanische Politik in multilateralen Foren wie G7 oder G20. Deren gemeinsames Handeln solle künftig auf inklusives und nachhaltiges Wachstum ausgerichtet werden, um soziale Ungleichheit auf nationaler wie auch inter­nationaler Ebene einzudämmen. »Foreign Policy for the Middle Class« wurde zum prägenden Schlagwort für diesen Ansatz.

Aus Krisen lernen: Inklusive statt polarisierende Krisenbewältigung

Die Biden-Administration folgt diesen Emp­fehlungen und fokussiert ihre Politik auf die Anliegen der Mittelklasse. Innenpolitisch wird das durch die großen, mehrere Billionen Dollar umfassenden Investitions- und Unterstützungsprogramme deutlich, die vom Kongress verabschiedet wurden bzw. dort vorliegen. Sowohl das Infrastrukturpaket als auch erhebliche Teile des Pakets zur Erhöhung von Sozialausgaben zielen darauf, eine breit verstandene Mit­tel­schicht zu fördern. Die Belange von Fach­arbeitskräften sind dabei ebenso eingeschlossen wie die von Familien mit gerin­gem Einkommen oder prekär Beschäftigten.

Außenpolitisch schlägt sich die neue Strategie ebenfalls nieder. Der Cornwall Consensus sieht massive Investitionen der G7-Staaten vor, um die großen globalen Herausforderungen zu meistern, von der Pandemie-Bekämpfung über den Klimawandel bis zur globalen Digitalordnung und zu einer nachhaltigen Wirtschafts- und Entwicklungspolitik. Das Abschlusskommuniqué des Gipfels von Juni 2021 spricht aber auch die Notwendigkeit an, den sozia­len Zusammenhalt zu fördern (siehe Kasten).

Auszug aus dem Kommuniqué des G7-Gipfels von Carbis Bay, 13.6.2021 (Hervorhebung L.B.)

»[W]ir als G7 [haben] eine gemeinsame Agenda für globales Handeln vereinbart, um: […] unsere Volkswirtschaften neu zu beleben, indem wir Wiederaufbauprogramme voran­bringen, die auf Fördermitteln in Höhe von 12 Billionen US-Dollar aufbauen, die wir während der Pandemie bereitgestellt haben. Wir werden unsere Volkswirtschaften so lange wie nötig unterstützen und dabei den auf Krisenreaktionsmaßnahmen liegenden Schwerpunkt unserer Hilfe auf die Förderung von Wachstum in der Zukunft verlagern, mit Programmen, mit denen Arbeitsplätze ge­schaffen, Investitionen in Infrastruktur geför­dert, Innovationen vorangetrieben, Menschen unterstützt werden und insgesamt ein höhe­res Niveau erzielt wird, damit keine Region und keine Person, unabhängig von ihrem Alter, ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder ihres Geschlechts ins Hintertreffen gera­ten. Dies war in früheren globalen Krisen nicht der Fall, und wir sind entschlossen, diesmal für ein anderes Ergebnis zu sorgen.«

Selbstkritisch wird in dem Dokument eingestanden, es sei in vergangenen Krisen nicht genug darauf geachtet worden, die zur Problembewältigung vorgesehenen Mit­tel so zu verwenden, dass wachsende sozia­le Ungleichheit vermieden wird. Nun­mehr verpflichten sich die Staats- und Regierungs­­chefs darauf, beim Einsatz der Mittel, mit denen die Corona-Pandemie gemeistert wer­den soll, gesellschaftliche Schieflagen nicht zu verstärken. Anders als bei frühe­ren Krisen soll soziale Ausgewogenheit künftig ein integraler Bestandteil der Pla­nung und Umsetzung von Hilfsmaßnahmen sein.

War die Orientierung an der Mittelklasse zunächst eine konkurrenzpolitische Strate­gie der Biden-Administration, um wichtige Wechselwählergruppen von den Repub­likanern zurückzuholen und wieder an die Demokraten zu binden, so ist daraus in ihrem ersten Amtsjahr eine demokratie­politische Notwendigkeit geworden. Denn inzwischen gilt der Bestand der amerikanischen Demokratie als gefährdet. Bis heute hat Trump das Ergebnis der Wahlen von 2020 nicht anerkannt. Drei Viertel der republikanischen Anhängerschaft stimmen der Aussage zu, dass Bidens Sieg nicht legi­tim gewesen sei – mehr als ein Jahr nach den Präsidentschaftswahlen. Die Grundlage demokratischer Legitimität, nämlich freie und faire Abstimmungen, steht in vielen von Republikanern kontrollierten Bundesstaaten unter erheblichem Druck. Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass knappe und umstrittene Ergebnisse bei den nächsten Wahlen zu anhaltenden Konflikten darüber führen, welche Partei die Kongressmehrheit hat und wer ins Weiße Haus einzieht.

Ein politisch selektiver Multilateralismus

In seiner ersten programmatischen Rede nach Amtsantritt erklärte US-Außen­minis­ter Antony Blinken, dass die Prioritäten der amerikanischen Außenpolitik danach defi­niert würden, wie sich ihre Umsetzung auf »American workers and their families« auswirke. Dabei stellte er unter anderem drei Politikbereiche auf den Prüfstand: die Verstrickung der USA in die sogenannten »endless wars« (also in Kriege und inter­nationale Konflikte, an denen Washington teils seit Jahrzehnten beteiligt ist), die Zuwanderungsproblematik und eine auf Handelsliberalisierung gerichtete Wirtschaftspolitik, deren ungleichheitsverstärkenden Effekte unterschätzt worden seien.

In der operativen Außenpolitik beherzigt die Biden-Administration auf allen drei Feldern die »Foreign Policy for the Middle Class«. Der Abzug der US-Truppen aus Afghanistan ist ein Element davon, ebenso ein bereits unter Trump geschlossenes Ab­kommen mit Mexiko, das Migrationswillige dort halten soll – es wurde auf gerichtliche Verfügung wieder in Kraft gesetzt, von der Biden-Administration allerdings noch zu­sätzlich verschärft, wie Kritiker monieren. Auch die Einigung auf eine globale Min­deststeuer für multinationale Unternehmen, die im Rahmen von G7, G20 und OECD erfolgte, steht in diesem Kontext. Sollten sich dadurch wie erhofft die Staats­einnahmen erhöhen, gäbe es größere Spiel­räume für Investitionsmaßnahmen, die in den Programmen der US-Regierung für Infrastrukturmodernisierung und zur Ab­fe­derung pandemiebedingter Notlagen ange­legt sind. Nicht zuletzt »American workers and their families« würden von neuen Jobs und Transferleistungen profitieren.

Grundsätzlich ist diese Ausrichtung amerikanischer Politik kompatibel mit den deutschen Vorstellungen über die Zukunft internationaler Zusammenarbeit. Das im Mai 2021 erschienene »Weißbuch Multilateralismus« der Bundesregierung drückt es bereits im Titel aus: »Gemeinsam für die Menschen« – was an die Mittelklasseorientierung der Biden-Administration erinnert. Denn nicht nur die USA sind mit dem Problem wachsender Unzufriedenheit über soziale Ungleichheit konfrontiert. Spiegelbildlich zur Erosion demokratischer Nor­men und Verfahren in Kernländern der G7 ist auch international ein Rückgang der Demokratie festzustellen. Autoritäre Re­gime wie China und Russland verfolgen ihre Interessen energischer als in den letz­ten Jahrzehnten. Peking münzt wirtschaftliche Stärke in geopolitische Einflussnahme um, etwa gegenüber Taiwan oder im Süd­chine­sischen Meer. Moskau versucht, mit aggres­sivem Gebaren nach außen die wirt­schaft­lichen, demographischen und sozia­len Probleme im eigenen Land zu verdecken.

Insbesondere die G7-Mitglieder sollten sich angesichts der gemeinsamen Herausforderung durch autoritäre Regime besser koordinieren. Gleichzeitig wird man die großen globalen Aufgaben des Anthropozän kaum bewältigen können, ohne auch mit politischen Widersachern zusammenzuarbeiten. Der Ausweg aus diesem Dilem­ma könnte in einem differenzierten Multi­lateralismus bestehen. Demnach erfolgt ungeachtet ideologischer Unterschiede dort eine Kooperation, wo sie zur Problemlösung unabdingbar ist. Das gilt etwa für den Klimawandel, den Schutz der Biodiversität oder die Pandemiebekämpfung (coopera­tion out of necessity). Davon abzugrenzen wäre eine intensivierte Kooperation unter gleichgesinnten Partnern, die eine hohe Interessenkonvergenz in ideologischer, öko­nomischer sowie staats- und gesellschaftspolitischer Hinsicht aufweisen. Merkmale dieser verstärkten Kooperation wären weitergehende wirtschaftliche Integrationsangebote, aber auch die Förderung von grenzüberschreitender Mobilität, von Perso­nenfreizügigkeit sowie gesellschaftlichem, wissenschaftlichem und kulturellem Aus­tausch (cooperation out of choice). Kurz: Demokratien sollten reziproke Anreize set­zen, dass demokratisches Verhalten belohnt und dadurch selbststabilisierend wird.

Das Weißbuch der Bundesregierung scheint prinzipiell offen für einen politi­sch selektiven Multilateralismus. Im Ausblick heißt es dort, das entscheidende Kriterium zur Weiterentwicklung der multilateralen Ordnung bestehe in grö­ßerer Effektivität und ihrer Vereinbarkeit mit Menschenrechten, Demokratie und Nach­haltigkeit. Als Kerngruppe dieses »akti­ven Multilateralismus« werden die EU, die USA und die Nato genannt. Dies schließt bereits sechs der sieben G7-Mitglieder ein. Erwei­tert werden könnte die intensivierte Koope­ration durch einen multisektoralen Multi­lateralismus, der Akteure ungeachtet ihres völkerrecht­lichen Status einbezieht, also auch die orga­nisierte Wirtschaft und Gesell­schaft sowie Philanthropie, Wissenschaft und Kultur. Demokratien haben hier einen komparativen Vorteil gegenüber autoritären Regimen, ist es für sie doch ein vertrau­tes Phänomen, dass mit kritischen Partnern – wie sie vor allem aus der Zivilgesellschaft kommen – zusammengearbeitet wird.

Vorausschauender regieren

Bei der Eröffnung der 76. UN-General­versammlung im September 2021 sprach UN-Generalsekretär António Guterres an­gesichts der Vielzahl globaler Problemlagen von einer »Krisenkaskade«, die Ungleichheit, Polari­sierung und Misstrauen in der Staaten­gemeinschaft befördert habe. Das multilate­rale System sei zu sehr auf kurz­fristige Herausforderungen fixiert und nehme zu wenig die Zukunft in den Blick.

Tatsächlich ist strategische Vorausschau typischerweise eine nationalstaatliche Angelegenheit. Zwar führen Planungsstäbe befreundeter Staaten gelegentlich gemeinsame Vorausschau-Übungen durch; doch eine strukturierte Zusammenarbeit, gar in multilateralem Rahmen, ist selten. Ansätze finden sich in der EU. Auch inter­nationale Organisationen wie UN oder OECD legen regelmäßig beachtenswerte Zukunftsanalysen vor. Aber exekutives Handeln zur Ab­wendung antizipierter Krisen oder zur Nutzung politischer Oppor­tunitäten basiert meist auf Informationen und Empfehlungen, die von nationalen Diensten stammen.

Weil nationale Perspektiven dominieren, haben die Zukunftsanalysen oft blinde Flecken. Die Zusammenarbeit mit Part­nern aus verschiedenen Regionen und Kulturkreisen kann dazu beitragen, das Bewusstsein für internationale und globale Ent­wicklungen zu schärfen. Die G7 wäre als Gruppe gegenwärtig Gleichgesinnter dafür prädestiniert. Um die Vielfalt der Perspek­tiven zu erhöhen, könnten nichtstaatliche Akteure als Informationsquelle einbezogen werden. Ein multilateral oder sogar multi­sektoral organisierter Vorausschau-Prozess würde Vertrauen aufbauen, ein gemeinsames Verständnis der verschiedenen Perzep­tionen, Interessen und Präfe­renzen unter­stützen und damit Multiperspektivität und kollektive strategische Empathie befördern.

Ein solcher Ansatz ließe sich im Rahmen der G7 unter deutscher Präsidentschaft erproben. Konkret sind zwei methodische Zugänge denkbar, die einander ergänzen. Zum einen wäre dies ein gemeinsamer Foresight-Prozess, der darauf angelegt ist, sich mit wünschenswerten wie auch un­er­wünschten Zukunftsszenarien für die G7-Mitglieder zu befassen. Ausgangspunkt da­für könnte eine von den außenpolitischen Planungsstäben gemeinsam vorgenommene Analyse von einzelstaatlich er­arbeiteten Szenarien sein, die bereits vor­liegen. Mit der Synthese – in Form einer begrenzten Anzahl geopolitischer Szenarien – würden sich dann die für internationale Politik zu­ständigen Fach­ministerinnen und ‑minister auseinandersetzen. Zusätz­licher Input könnte von einer oder mehre­ren der nicht­staatlichen »Enga­gement Groups« kommen, die die Interessenvertretung für Wirtschaft, Zivilgesellschaft oder Wissenschaft bei den G7 übernehmen.

Komplementär zu einem solchen Foresight-Prozess ließe sich eine Forecasting-Plattform schaffen, die kompetitiv einge­reichte Ereignisprognosen erhebt und auswertet. Vorbild dafür könnte der briti­sche Prototyp »Cosmic Bazaar« sein. Auf dieser Plattform geben Staatsbedienstete seit April 2020 Einschätzungen darüber ab, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein vor­definiertes geopolitisches Ereignis in einem bestimmten Zeitraum eintreffen wird. Die Teilnehmenden greifen dabei auf offen zugängliche Informationen zurück (open source intelligence).

Die Skalierung einer solchen Plattform auf die Ebene der G7-Mitglieder würde das Ziel geopolitischen Forecastings erheblich voranbringen: Personen zu identi­fizieren, die überdurchschnittlich häufig zutreffende Vorhersagen abgeben. Wie mehrjährige Forschungsprojekte zeigen, gibt es unter­schiedliche Optionen dafür, größere Treff­sicherheit bei konkreten Ereig­nisprognosen zu erzielen. Ebenso ist es möglich, die nöti­gen Fähigkeiten zu trainieren. Schließlich steigt die Vor­hersagepräzision weiter an, wenn Personen, die mit ihren Prognosen oft richtig lie­gen, in Teams ko­operieren. Wenn die G7-Staaten die Mög­lichkeiten zur Zu­kunftsanalyse und ‑prog­nose syste­matisch nutzen, wird es wahrscheinlicher, dass sich man­che unlieb­same Überraschung künftig frühzeitig er­kennen lässt. Mit Hilfe dieser methodischen An­sät­ze ließe sich die gän­gige politische Praxis des »Fahren auf Sicht« ein Stück weit über­winden.

Dr. Lars Brozus ist Stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Globale Fragen.

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