Die globale digitale Ordnung ist seit vielen Jahren Gegenstand der Beratungen der G7. Das Themenspektrum reicht von der Digitalwirtschaft über Cybersecurity bis hin zu Künstlicher Intelligenz. Unter britischem Vorsitz wurden 2021 die Aktivitäten in diesem Feld noch einmal intensiviert. Für die neue Bundesregierung bietet sich die Chance, diesen Faden aufzugreifen und dabei eigene Akzente zu setzen: Denn der Anspruch einer liberalen Ausgestaltung der globalen digitalen Ordnung gerät zunehmend unter Druck und sollte daher proaktiv verteidigt werden. Einen konkreten Ansatzpunkt bildet die Internet Governance als zentrales Element der globalen digitalen Ordnung. Hier wird technisch das Fundament für eine offene und inklusive Digitalisierung gelegt – und bietet sich politisch eine Gelegenheit, neue Partner zu gewinnen.
Die neue Bundesregierung wird Anfang 2022 gleich nach ihrem Amtsantritt für ein Jahr den Vorsitz in der Gruppe der G7 übernehmen. Diese Aufgabe birgt das politische Potenzial, Digitalisierung nicht nur als innenpolitisches Thema anzugehen, sondern explizit in den Blick zu nehmen, wie auf globaler Ebene politisch über die Rahmenbedingungen der Digitalisierung verhandelt wird.
Die Auseinandersetzungen um die globale digitale Ordnung
Die Ursprünge des Internets liegen zum großen Teil in den USA. Entsprechend war das Internet in der Phase seiner globalen Ausweitung ab den 1990er Jahren von liberalen Werten US-amerikanischer Provenienz geprägt. Sichtbar wurde dies etwa beim Umgang mit Fragen der Meinungsfreiheit oder der schon früh sehr starken Rolle privater Unternehmen, die Folge einer bewussten Privatisierungspolitik war.
Mittlerweile hat das Internet in einem Maße an Bedeutung gewonnen, dass viele gesellschaftliche Bereiche – von Politik und Wirtschaft bis hin zum Privatleben – kaum noch ohne den konstanten Zugriff auf das Internet funktionieren. Technisch im Zentrum steht hierbei noch immer die IP-basierte Übertragung von Datenpaketen. In den letzten Jahrzehnten jedoch hat sich die technische Grundlage erweitert, etwa durch die mobile Internet-Nutzung, das Cloud-Computing oder das »Internet der Dinge«; zudem sind in vielen gesellschaftlichen Bereichen formale Regelungen und informelle Verhaltensnormen hinzugekommen. Das Gesamt dieser technischen Vorrichtungen und sozialen Praktiken lässt sich im Weltmaßstab als globale digitale Ordnung verstehen.
Je mehr Bedeutung die globale digitale Ordnung erlangt, desto häufiger wird sie zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen. Zum Teil geht dies auf innere Spannungen liberaler Ordnungsvorstellungen zurück. Die umfangreichen Abhörmaßnahmen der US-Regierung haben auch unter Verbündeten und nicht zuletzt in Europa Gegenreaktionen hervorgerufen. Auch die historisch gewachsene enorme Marktmacht US-amerikanischer Technologie-Konzerne bereitet zusehends Sorgen. Die deutsche Diskussion über »digitale Souveränität« wie auch die europäische Debatte über mehr »strategische Autonomie« gerade auch bei digitaler Technologie lässt sich als eine wenn auch etwas verzögerte Folgewirkung dieser Skepsis gegenüber den USA verstehen.
An Schärfe gewinnt die Diskussion noch dadurch, dass einflussreiche Staaten wie China und Russland seit einigen Jahren mit Nachdruck ein Modell der globalen digitalen Ordnung zu etablieren versuchen, das stark autoritäre Züge trägt. Im Kern geht es darum, das wirtschaftliche Potenzial digitaler Technologien zu nutzen, gleichzeitig aber die politisch-emanzipative Dimension dieser Technologien einzuschränken oder diese gar als neues Instrument autoritärer Herrschaft einzusetzen. Dieses Modell findet den Zuspruch einer wachsenden Zahl von Staaten.
Der Streit um die zukünftige Gestaltung der globalen digitalen Ordnung birgt die Gefahr einer Fragmentierung. Zu befürchten ist eine Spaltung der Welt in verschiedene digitale Einflusssphären, in denen je unterschiedliche technische und politische Vorgaben gelten. In einigen Bereichen ist diese Spaltung schon jetzt zu beobachten; sollte sie weiter fortschreiten, würde dies aller Voraussicht nach den globalen digitalen Handel erschweren und zu einer verschärften politischen Konfrontation führen.
Digitalpolitik als Thema der G7
Gemessen an den umfangreichen Aktivitäten einzelner Staaten wie den USA, Russlands oder Chinas haben sich die G7/G8 erst spät digitalpolitischen Fragen zugewandt. So finden sich dazu in den Gipfel-Dokumenten bis 2015 (Garmisch-Partenkirchen) keine vertieften Aussagen.
Unter dem G7-Vorsitz Japans wurden 2016 im Rahmen eines Treffens der Digitalminister drei einschlägige Dokumente verabschiedet: die »Charter for the Digitally Connected World«, eine »Joint Declaration by G7 ICT Ministers« sowie ein Dokument zu »Opportunities for Collaboration«. Auch die Abschlusserklärung enthält einen Abschnitt zum Thema »Cyber«. Zudem wurden »G7 Principles and Actions on Cyber« veröffentlicht. Unter anderem verpflichten sich die G7 in diesem Dokument, relevante Informationen zu Bedrohungen auszutauschen, mit einem besonderen Augenmerk auf kritische Infrastrukturen. Auch findet sich hier ein Verweis auf die sogenannte Budapest-Konvention über Cybercrime des Europarats.
Im Jahr 2017 folgte unter italienischem Vorsitz eine Erklärung der Digital- und Handelsminister mit dem Titel »Making the Next Production Revolution Inclusive, Open and Secure«, inklusive eines Annex zum Thema »G7 Actions for Enhancing Cybersecurity for Businesses«. Zudem wurde hier über das Format einer Multistakeholder-Konferenz insbesondere das Thema Künstliche Intelligenz (KI) aufgegriffen.
KI wurde 2018 vom kanadischen Vorsitz erneut thematisiert. Das Abschlussdokument enthält einen Abschnitt zu »Preparing for Jobs of the Future« und verweist auf die »Charlevoix Common Vision for the Future of Artificial Intelligence« (AI). Dieses Dokument enthält die Selbstverpflichtung auf eine Reihe von (recht allgemein gehaltenen) Prinzipien zum Umgang mit KI unter dem Leitbild eines »human-centric approach to AI«.
Unter französischem Vorsitz gewann die Digitalpolitik 2019 weiter an Bedeutung. Auf Ebene der Regierungschefs wurde die »Biarritz Strategy for an Open, Free and Secure Digital Transformation« vereinbart, zudem enthält die »Biarritz Declaration for a G7 & Africa Partnership« einen Annex mit dem Titel »Digital Transformation in Africa« und nimmt damit erstmals im Rahmen der G7 umfassender den Nexus von Digitalisierung und Entwicklungszusammenarbeit in den Blick.
2020 kamen unter US-Vorsitz und den Bedingungen der Pandemie keine neuen Dokumente zum Themenfeld zustande.
Der britische G7-Vorsitz 2021
Der britische Vorsitz 2021 hingegen hat das Thema wieder prominent und in umfassender Weise aufgegriffen. Die Aktivitäten in diesem Jahr und die entsprechenden Dokumente spiegeln dabei auch die aktuellen Prioritäten der G7 bei der globalen digitalen Ordnung.
Mit der Erklärung der Digitalminister vom April 2021 wurde erstmals explizit der Umgang mit Standards für digitale Technologien thematisiert. Verbunden wurde dies mit einem Bekenntnis zu Multistakeholder-Formaten und einem offenen, nicht fragmentierten Internet (vgl. Box). Diese Stellungnahme lässt sich als klare Positionierung in der oben beschriebenen Auseinandersetzung um die globale digitale Ordnung verstehen. Annex 1 der Ministererklärung, »Framework for G7 Collaboration on Digital Technical Standards«, enthält weitere Hinweise auf die Zusammenarbeit der G7 mit Blick auf den politischen Umgang mit technischen Standards. Auch in der Erklärung der Handelsminister zu »Digital Trade Principles« finden sich solche Hinweise.
Eine geplante abgestimmte Stellungnahme der G7-Außen- und Entwicklungsminister wird diese Überlegungen voraussichtlich ergänzen und insbesondere Bezug auf die einschlägigen Prozesse in den Vereinten Nationen (VN) nehmen.
Einen weiteren Schwerpunkt bildet der grenzüberschreitende Datenaustausch, dem die G7 ein erhebliches wirtschaftliches Potenzial zuschreibt. Diesem entgegen steht jedoch der Anspruch vieler Staaten, inklusive der G7, den Umgang mit Daten immer stärker rechtlich zu regulieren. Im Ergebnis nimmt die Inkompatibilität der verschiedenen nationalen Rechtsregime zu. Annex 2 der Ministererklärung von 2021, »G7 Roadmap for Cooperation on Data Free Flow with Trust«, verweist hierbei auf die detaillierten Arbeiten der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD) wie auch des Internet and Jurisdiction Policy Network. Allerdings lässt sich schon aus dieser Roadmap erkennen, dass es bei diesem Thema keine einfachen Lösungen geben wird.
Auszug aus der Erklärung der Digitalminister der G7 vom 28. April 2021 »We commit to international collaboration within the G7 and with like-minded partners in relevant fora to ensure that the development of digital technical standards supports our core values. We will work with stakeholders to ensure inclusive digital technical standards development processes for areas such as the Internet, telecommunications and emerging digital technologies. In particular, we will work with stakeholders towards the more inclusive development of Internet protocols that contribute to and protect the continuing evolution of an open, interoperable, reliable and secure internet, one that is unfragmented, supports freedom, innovation and trust, and empowers people. We firmly state our opposition to any government-imposed approaches that fundamentally seek to reshape the digital technical standards ecosystem.« |
Der Schutz der Menschenrechte auch im Kontext der Digitalisierung wird in verschiedenen der genannten Dokumente als Ziel oder Grundprinzip der G7 genannt. Sehr explizit ist hier Annex 3 »G7 Internet Safety Principles« der Ministererklärung von 2021: »We COMMIT to promoting and protecting the exercise of all human rights online […]«.
Aufgaben für den deutschen G7‑Vorsitz
Deutschland kann als G7-Vorsitz an diese umfassenden Aktivitäten der britischen Regierung anknüpfen und davon ausgehend eigene Akzente setzen. Die beschriebenen Auseinandersetzungen um die globale digitale Ordnung stellen dabei für die G7 – und damit auch für den deutschen G7-Vorsitz – eine zweifache Herausforderung dar:
Zunächst gilt es, innerhalb der G7 das gemeinsame Verständnis für die strategische Bedeutung der globalen digitalen Ordnung zu schärfen. Das ist die Grundlage dafür, in diesem Punkt in noch höherem Maße koordiniert zu agieren. Diese Aufgabe wird allerdings dadurch erschwert, dass es wie bereits angedeutet auch zwischen liberalen Staaten zusehends politische Differenzen über diese Fragen gibt. Der grundsätzliche Konsens, wie er etwa auch 2016 in der »Charter for the Digitally Connected World« der G7 formuliert wurde, steht dabei im Kontrast zu immer schärfer ausgetragenen Konflikten, die sich an neuen technologischen Entwicklungen oder konkreten Regulierungsvorhaben entzünden.
Besonders deutlich wird dies in den Auseinandersetzungen zwischen den USA und der EU, zum Beispiel über Fragen der Regulierung dominanter »Plattformen« oder Anwendungen im Bereich Künstlicher Intelligenz sowie schon lange bei übergreifenden Belangen des Datenschutzes. Der neu eingesetzte »EU-US Trade and Technology Council« (TTC) bietet eine Chance, diese Konflikte im Detail zu bearbeiten. Gelingen hier Fortschritte, könnten sich die Beratungen im Rahmen der G7 künftig auf die Vorarbeiten stützen und diese dabei um eine noch umfassender globale Perspektive ergänzen: So bedeutsam die transatlantischen Differenzen in der Sache sind, sollte doch allen Beteiligten klar sein, dass eine Einigung unter den westlich-liberalen Demokratien zwingend notwendig ist, um in der Kontroverse über die globale digitale Ordnung gemeinsam Einfluss nehmen zu können.
Hinzu kommt als zweite Aufgabe, proaktiv neue Kooperationen über den Kreis der G7-Länder und ihrer engsten Verbündeten hinaus zu fördern. Staaten wie China und Russland verwenden erhebliche Ressourcen darauf, ihre Vision von einer autoritären Umgestaltung der digitalen Ordnung zu verbreiten. Unterstützt werden sie dabei von Staaten wie Saudi-Arabien, Kuba oder Venezuela. Gerade für viele Entwicklungsländer ist dieses Angebot attraktiv; sei es, weil sie sich davon unmittelbare Vorteile beim Zugang zu digitalen Technologien versprechen, oder auch, weil sie das propagierte politische Ordnungsmodell einer umfassend staatlich kontrollierten digitalen Ordnung übernehmen wollen.
Die liberalen Demokratien sind in dieser Auseinandersetzung gegenwärtig in der Defensive. Um sich aus dieser Position zu befreien, gilt es wiederum zunächst, den eigenen Blick zu verändern. Lange Zeit war die digitale Entwicklung auch im globalen Maßstab stark von westlichen Staaten und Unternehmen geprägt. Ohne oder gar gegen sie ließ sich kaum etwas durchsetzen. Mittlerweile aber gibt es technologisch, wirtschaftlich und eben auch politisch Alternativen, der prominenteste, nicht aber der einzige Anbieter ist China. Wo Staaten im nationalen Rahmen das Projekt einer autoritären Umgestaltung der digitalen Ordnung verfolgen, verfügt der Westen mithin anders als in der Vergangenheit kaum noch über Möglichkeiten, sie zu beeinflussen. Den verschiedenen Aktivitäten der russischen Regierung etwa, die auf die Schaffung eines »souveränen Internets« gerichtet sind, können sich liberale Staaten, und auch westliche Unternehmen, nicht wirksam entgegenstellen.
Notwendig ist daher, aktiv für neue Kooperationen zu werben und sich dabei auch und gerade an Staaten zu wenden, deren politische Ziele allenfalls teilweise mit liberalen Ordnungsvorstellungen vereinbar sind. In einer Studie von 2018 hat die New America Foundation eine Gruppe von Staaten ausgemacht, die sie als »Digital Deciders« beschreibt. Hierzu zählen zum Beispiel Indonesien und Indien (vgl. SWP-Aktuell 62/2021), die 2022 bzw. 2023 den G20-Vorsitz innehaben werden; oder auch Brasilien, das 2024 den G20-Vorsitz übernehmen wird. Mit Brasilien als traditionell in der Internet Governance sehr aktiven Staat hat Deutschland bereits in der Vergangenheit zusammengearbeitet, um dem Recht auf Privatsphäre im digitalen Raum Geltung zu verschaffen. Im Verhältnis zu diesen Staaten gilt es für die G7, ein gemeinsames Verständnis von Kompromissen zu entwickeln, die akzeptabel sind. Möglicherweise können hier die Erfahrungen der USA und der EU aus den Bemühungen um eine Kompromissfindung im Rahmen des TTC in Zukunft hilfreiche Hinweise liefern — sofern es den USA und der EU gelingt, hier zu tragfähigen Kompromissen zu kommen.
Angesichts dieser zweifachen Aufgabe der deutschen Bundesregierung bietet es sich an, bei Themen wie dem grenzüberschreitenden Datenfluss, der Koordinierung in Standardsetzungsgremien, dem Schutz der Menschenrechte unter Bedingungen der Digitalisierung oder auch der Cybersecurity an die Aktivitäten des britischen Vorsitzes anzuknüpfen. Ziel sollte hier sein, Lösungen auch für einige der komplizierteren Detailfragen zu finden. In Frage kämen dabei etwa Belange des digitalen Handels und der damit verbundenen grenzüberschreitenden Datenflüsse.
Im Kontext des Themas Cybersecurity liegt es zudem nahe, als G7 Probleme des Umgangs mit Cyber-Kriminalität zu thematisieren. 2016 hatten sich die G7 zur »Convention on Cybercrime« des Europarats bekannt, geläufig auch unter dem Namen Budapest-Konvention. Seit 2018 gerät diese durch eine Initiative der russischen Regierung im Rahmen der Vereinten Nationen unter Druck. Russland strebt eine neue Konvention an und war bis jetzt sehr erfolgreich darin, hierfür Mehrheiten unter den VN-Mitgliedstaaten zu bilden. Zu befürchten ist, dass eine solche neue Konvention die menschenrechtlichen Schutzmechanismen der Budapest-Konvention aushöhlen würde. Ab Januar 2022 sollen Verhandlungen über den russischen Konventionsentwurf beginnen. Für die G7 bietet sich hier konkret die Gelegenheit, ihr Vorgehen unter den Mitgliedern abzustimmen und gemeinsam auf weitere Staaten zuzugehen.
Neue Akzente in der globalen Internet Governance
Abgesehen von der fortgesetzten Behandlung der Themen des britischen G7-Vorsitzes könnte die Bundesregierung ihren Vorsitz aber auch nutzen, um eigene, neue Akzente zu setzen.
Besonders vielversprechend ist hier das Feld der globalen Internet Governance. Gemeint sind damit die technischen und politischen Entwicklungen bei den globalen Internet-Infrastrukturen, von Software-Protokollen und Standards bis hin zu physischen Infrastrukturen wie Unterseekabeln oder Rechenzentren. Die beschriebene Auseinandersetzung um die globale digitale Ordnung geht über diese globalen Infrastrukturen hinaus. Technisch aber bleibt die globale Internet-Infrastruktur das Fundament für die weiteren Entwicklungen bei der Digitalisierung.
Keineswegs Zufall ist, dass einflussreiche Staaten wie China, Russland und die USA seit jeher um die strategische Bedeutung dieser Infrastrukturen wissen und ihnen in den letzten Jahren noch einmal verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt haben – und hierüber immer wieder auch in Konflikte geraten. Diese Konflikte werden in verschiedenen Institutionen und Zusammenhängen ausgetragen: von der Generalversammlung der Vereinten Nationen über Gremien, die technische Standards entwickeln, und über Multistakeholder-Formate bis hin zu bilateralen Beziehungen.
Die globale Internet Governance ist somit ein zentrales Element der Auseinandersetzung um die Zukunft der globalen digitalen Ordnung; schon aus diesem Grund sollte die G7 ihr Aufmerksamkeit widmen. Hinzu kommt bei diesem Thema eine Akteurskonstellation, die mit Blick auf die beschriebene zweifache Aufgabe der G7 vergleichsweise günstig erscheint. Anders als bei vielen anderen Themen der Digitalpolitik gibt es darüber zwischen den G7-Mitgliedern keine grundsätzlichen Differenzen. Die zitierte Ministererklärung von 2021 etwa bringt noch einmal recht detailliert auf den Punkt, was hierbei die Zielvorgaben der G7 im Sinne eines offenen und freien Internets sind. Auch unter den weiteren EU-Mitgliedstaaten treffen diese Vorgaben bisher weithin auf Zustimmung.
Zudem bietet sich bei diesem Thema die Möglichkeit, über den Kreis der G7 hinaus neue Kooperationspartner zu finden. Der Zugang und die sichere, zuverlässige Ausgestaltung der globalen Internet-Infrastruktur liegen gleichermaßen im Interesse der G7 wie auch von Entwicklungsländern. Die Aufgabe für die G7 ist es, diese Länder für die eigenen politischen Vorstellungen zu gewinnen. Eine wichtige Gelegenheit bildet dabei die »Plenipotentiary Conference« der International Telecommunication Union (ITU), die 2022 in Rumänien stattfinden soll. Wirklich zugkräftig würde das Werben der G7 allerdings erst dann, wenn es mit konkreten Angeboten für den Aus- bzw. Ausbau digitaler Infrastrukturen verbunden wird. Angebote dieser Art machte bis vor kurzem nahezu ausschließlich China im Rahmen der sogenannten »digitalen Seidenstraße« als Teil seiner »Belt and Road Initiative« (BRI). In den letzten Jahren haben die USA und insbesondere auch Europa begonnen, zur Volksrepublik aufzuschließen. Die Beratungen im Rahmen der G7 können dazu dienen, entsprechende Maßnahmen zu begleiten und in größerem Rahmen zu koordinieren; auch hierzu finden sich in den Aktivitäten des britischen G7-Vorsitzes wichtige Anknüpfungspunkte.
Schließlich hat Deutschland sich in den letzten Jahren verstärkt als Akteur in der globalen Internet Governance in Stellung gebracht. Seit langem schon gehört es zu den größten Beitragszahlern in der ITU und ist aktives Mitglied im »Governmental Advisory Committee« der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN). Im Jahr 2019 war Deutschland zudem Gastgeber des Internet Governance Forum (IGF) der Vereinten Nationen, eines der zentralen Multistakeholder-Formate in der Internet Governance. Nicht nur die Bundesregierung kümmerte sich um das Thema, sondern auch der Bundestag; Grundlage dafür war ein Antrag der Regierungskoalition sowie ein weiterer Antrag der FDP.
Wenngleich in der Folge die internationale Politik sehr bald weitgehend von der Covid-19-Pandemie bestimmt war, wird Deutschland seitdem auch international verstärkt als Akteur in diesem Feld wahrgenommen. Die Setzung entsprechender Akzente im Rahmen des G7-Vorsitzes könnte hieran anknüpfen. Nicht zuletzt würde es sich für Deutschland als aktiven Unterstützer des IGF anbieten, das IGF durch eine Anbindung an die Beratungen der G7 aufzuwerten. Dies wäre auch ganz praktisch ein Beitrag zur aktuellen Debatte über das künftige Verhältnis von Multistakeholder-Formaten und klassisch-multilateralen Zusammenschlüssen im Bereich der globalen Internet Governance (vgl. SWP-Aktuell 59/2019).
Literaturhinweise
Robert Morgus / Jocelyn Woolbright / Justin Sherman, The Digital Deciders, 2018, <https://www.newamerica.org/cybersecurity-initiative/reports/digital-deciders/>
Daniel Voelsen, Risse im Fundament des Internets. Die Zukunft der Netz-Infrastruktur und die globale Internet Governance, Berlin: SWP, Mai 2019 (SWP-Studie 12/2019)
Dr. Daniel Voelsen ist Leiter der Forschungsgruppe Globale Fragen.
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ISSN (Online) 2747-5018
doi: 10.18449/2021A71