Freiräume für kulturelles Schaffen und wissenschaftliches Forschen geraten in vielen Teilen der Welt massiv unter Druck. Im nationalen Raum wird Kultur immer diverser und muss alltäglich neu verhandelt werden. Auf diese Herausforderungen kultureller Vielfalt und wissenschaftlicher Freiheit muss die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik (AKBP) neue Antworten finden. Es genügt nicht mehr, auf das eigene kulturelle Leitbild zu verweisen, gewachsene Strukturen einer ausufernden Vielfalt von Zuwendungsempfängern und föderalen Koordinationsinstanzen werden den Herausforderungen nicht gerecht. Neue (digitale) Räume für die kulturgeleitete Verhandlung von Werten und Normen, für Verständigung und Zusammenleben sind notwendig. Erforderlich sind auch ein neues politisches Mandat, eine bessere Zuordnung von Aufgaben und die Nutzung der Chancen, die die Kreativindustrie bietet. Darauf sollte sich Deutschland mit einer politischen und institutionellen Neuaufstellung vorbereiten. Dabei sollten die internationalen Kulturbeziehungen in den Vordergrund gestellt und alte Muster nationalen kulturpolitischen Handelns überwunden werden.
Obwohl die Einordnung der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik (AKBP) als »dritte Säule« der deutschen Außenpolitik – neben den politischen und wirtschaftlichen Beziehungen – breite Akzeptanz findet, konnte sich die AKBP bislang nicht von den anderen beiden Säulen emanzipieren. Sie ist eine marginale Handlungslinie geblieben und gerät immer wieder – in Abhängigkeit von politischen Konjunkturen – unter den Druck der normativen Vorgaben außenpolitischen Regierungshandelns. Von der Heimatpflege über den interkulturellen Dialog, von Standortpolitik bis zu Konfliktprävention und dem heute propagierten Wettbewerb der Narrative – all das sind bereits politische Vorgaben der auswärtigen Kulturpolitik gewesen, deren Resultate indes gemischt waren. Auf diese Anforderungen wurde mit Sonderprogrammen und Schwerpunktsetzungen reagiert, die Bündelung von Aufgaben und die Koordination zwischen den verschiedenen Zuwendungsempfängern wurden verbessert.
Gleichwohl möchte die Politik Kultur als außenpolitische Handlungsressource eingesetzt sehen: Sie gilt als eine Form von Politik, die Vertrauen schaffen soll und zur Gestaltung weltweiter Partnerschaften wertvolle Türöffner-Dienste zu leisten vermag oder, wie die Bundesregierung betont: »damit gewinnen unsere Gesellschaft, Wirtschaft und Politik wichtige und verlässliche Partner«. Trotz dieser weitreichenden Bedeutung der AKBP im politischen Diskurs hat sie tatsächlich einen untergeordneten politischen Stellenwert, ja, Kultur insgesamt bleibt im außenpolitischen Denken und Handeln marginal. Auch wenn die großen Kulturmittler wie das Goethe-Institut ihre Arbeit als »Außenpolitik der Zivilgesellschaften« verstehen – »im Sinne eines Verständigungs- und Regelwerks für einen verantwortungsbewussten Dialog, bei dem Bildung und Kultur eine fundamentale Bedeutung haben« –, ist die Einbindung der AKBP in den außenpolitischen staatlichen Rahmen eines ihrer konstitutiven Merkmale.
Zu klären ist, ob eine Beschreibung der AKBP-Aufgaben als Kultur »im Dienste der Diplomatie« heute noch eine angemessene Leitlinie darstellt und nicht eher an einer Neufassung gearbeitet werden sollte, die den Anspruch internationaler Kulturbeziehungen erfüllt. Das ginge indes über die schon lange geforderte bessere Koordinierung der innerstaatlichen mit der auswärtigen Kulturpolitik hinaus, denn heute muss der Verschmelzung von Innen und Außen Rechnung getragen werden.
Bestandsaufnahme: Eine fragmentierte kulturpolitische Landschaft
Das liegt nicht zuletzt an der Konstruktion der kulturpolitischen Landschaft in Deutschland. Kernbestand des Grundgesetzes ist der Kulturföderalismus: Die Länder und mittelbar auch die Kommunen sind hier in erster Linie verantwortlich, der Bund ist nur für die Kulturpolitik im Ausland zuständig. Die Bundesländer verfügen mit der Kulturstiftung der Länder zwar über ein gemeinsames Instrument, haben aber dennoch erstmals im Jahr 2019 auf politischer Ebene eine Kulturminister-Konferenz einberufen, um ein Gegengewicht gegen den Bund und seinen stetig wachsenden kulturpolitischen Einfluss zu setzen.
Doch auch innerhalb des Bundeskompetenzen ist eine erhebliche Fragmentierung festzustellen: Die Kompetenzen reichen von Aktivitäten des Auswärtigen Amtes und seiner Mittlerorganisationen über die Projekte des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und seine Durchführungsorganisationen, die Zuständigkeiten des Beauftragten für Kultur und Medien (BKM) im Kanzleramt mit den internationalen Programmen der Kulturstiftung des Bundes und der Deutschen Welle bis zu den internationalen Aktivitäten des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) in der Wissenschaftskooperation. Aus dieser überlappenden Struktur von Zuständigkeiten und Förderinstrumenten ergibt sich im besten Fall ein unklares Nebeneinander und hoher Koordinationsaufwand, im schlimmsten Fall sind unnötige Reibereien und Streitigkeiten die Folge.
So ist für die Kulturarbeit auf allen staatlichen Ebenen eine »additive Kulturlandschaft« entstanden, deren Vielgestaltigkeit sich aufgrund ihrer institutionellen Zersplitterung nur mit zusätzlichen finanziellen Mitteln über Schwerpunktsetzungen steuern lässt und von individueller Förderpolitik getragen wird. Zunehmend wird an Brückeneinrichtungen gearbeitet, um die erkennbaren Spannungen durch unterschiedliche Kompetenzzuordnungen und variierende Mittelausstattung zu kontrollieren, sei es in Gestalt der Verbindungsstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten oder in der angestrebten Agentur für Museumskooperation auf operativer Ebene. Politisch soll ein Abstimmungsprozess zwischen Bund und Ländern etabliert werden, konkret zwischen einem Ressortkreis des Bundes unter Leitung des Auswärtigen Amtes und der Kulturminister-Konferenz als Vertretung der Länder. Dabei soll auch über Zuwendungen und gemeinsame Programme ein neues Feld für den kooperativen Föderalismus erschlossen werden, das sich über das Zusammenwirken zweier Partner (Bund und Länder) zu einem Netzwerk gemeinsamen Entscheidens ausgestalten ließe.
Restitutionsfragen oder Abkommen mit Drittstaaten führen unvermeidlich staatliche Stellen oder Museen in öffentlicher Hand zusammen, die verschiedene Träger haben. Diese Politikverflechtung im kulturellen Feld könnte jedoch getrieben sein von der Ausrichtung auf die Ausgabenpolitik, um alle an den Entscheidungen Beteiligten zufriedenzustellen – auf Kosten der kulturellen Innovation, der Diversität und Pluralität der vielgestaltigen Träger von Kulturarbeit. Zu ihnen gehören auch private Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen, die sich nicht an staatliche Aufgabenzuweisungen gebunden fühlen.
Gewandelte internationale Herausforderungen für Kulturarbeit und ‑austausch
Doch nicht nur die Aufstellung in der deutschen Kulturpolitik hat sich im letzten Jahrzehnt verschoben, auch die Ausrichtung der AKBP ist verändert worden: Die Werbung für Deutschland wurde intensiviert, das Thema Werte in der Auswärtigen Kulturpolitik in den Vordergrund gerückt – nicht nur im Sinne der Darstellung Deutschlands als Verkörperung der Werte einer freien, demokratischen Gesellschaft, es wurde auch hervorgehoben, welche Bedeutung diese Werte haben, um Konflikten vorzubeugen oder diese zu bearbeiten. Dafür ausschlaggebend sind die zunehmende Bedeutung von Identitätspolitik, die Konstruktion neuer Feindbilder und Bedrohungsszenarien im internationalen Kontext, sich ausweitende Pluralisierungsdebatten auch im Innern (Stichworte: Migration, Diversität) sowie die sich verschärfende Konkurrenz auf dem internationalen »Kultur(en)markt«.
Der internationale Wettbewerb in der Auswärtigen Kulturpolitik betrifft nicht nur Partnerstaaten der Europäischen Union, die international untereinander als Konkurrenten auftreten, sondern vor allem auch Staaten außerhalb der Union: An ihm beteiligen sich mit zunehmendem Erfolg China, Südkorea und Japan. Gleiches gilt aber auch für die Türkei und Russland. Ein Indikator dafür ist der internationale Medienmarkt, vor allem das Auslandsfernsehen, wo es beispielsweise einen markanten Wettstreit um die Deutungshoheit über internationale Nachrichten etwa mit arabischen Sendern gibt. Außerdem hat auch die (Des)Information durch Sender wie Russia Today eine neue Dimension in der internationalen Medienpräsenz angenommen.
Nicht überall wird dabei Kultur als öffentliches Gut angesehen, das mit Freiheit von Forschung, Meinung und künstlerischem Ausdruck verbunden ist. Privatisierung und staatliche Kontrolle von Kultur und ihrer Aneignungsmodalitäten greifen mehr und mehr um sich. Dabei wachsen die Zweifel an dem angestrebten Ideal, dass die aus einem Wechselspiel kultureller Perspektiven entstehende »Vielzahl der Orte, Akteure und Formen« kultureller Debatten und wechselseitiger Aneignung zu einem Testfeld für friedliche Kommunikation und für Verständnis werden könnte.
Nicht zuletzt könnte dazu auch die Corona-Krise beigetragen haben, die trotz ihres transnationalen und weltumspannenden Charakters massiv von nationalen Egoismen (Impf-Nationalismus, Grenzschließungen etc.) geprägt ist. Möglicherweise muss sich damit auch die Kulturpolitik neu positionieren, insoweit gerade in Krisenzeiten Räume der gesellschaftlichen Selbstvergewisserung gefragt sind, ohne dass in diesen auf eine unmittelbare internationale Öffnung gedrängt würde. Andererseits haben sich im Kontext der Corona-Pandemie durch die Digitalisierung neue Dynamiken ergeben, die sowohl die Formen der kulturellen Kommunikation wie auch die Reichweite von Angeboten und die Beteiligung daran verändert haben.
Kulturpolitik muss sich daher vorbereiten auf Turbulenzen in der Verständigung zwischen Nationen, Regionen, Religionen und Kulturen; sie muss auch Verschiebungen bei bestimmten Themen des kulturellen Selbstverständnisses aufgreifen, die sowohl den »Binnenraum« von Kultur, etwa die dynamische Entwicklung in der Kultur- und Kreativindustrie, wie auch das »Außenverhältnis« zu Nation und Politik betreffen.
»The Power of Culture«: AKBP und ihre politische und kulturelle Verankerung
Stabile internationale Beziehungen ruhen auf einem Fundament breiter kultureller Austauschbeziehungen – so jedenfalls das Standardnarrativ, wenn es um die Bestimmung des Verhältnisses von AKBP und außenpolitischem Handeln geht. Doch dieses Beziehungsmuster hat sich verändert: Die Kreativwirtschaft hat sich weitgehend aus nationalen Bezügen gelöst, Religionsgemeinschaften stellen heute die größten transnationalen Akteure dar, und der Kulturgüterschutz ist ohne internationale Regelungen und weltweite Zusammenarbeit von Archäologen, Kunsthändlern und Provenienzforschung nicht vorstellbar.
Karikaturen, Zeitschriften, Musik, Kunst, Literatur, Werbespots, Symbole und ihre Wirkung, Zirkulation von Wissen, Fernsehsendungen, Touristenströme sowie »Sport«, »Kultur« und »Freizeit«-Rubriken in den Zeitungen entziehen sich weitgehend nationalstaatlicher Gestaltung. Der Verweis auf internationale Beziehungen ist prägnanter geworden; mit engen außenpolitischen Bindungen lassen sich die neuen Dynamiken nur unzureichend beschreiben. Es geht immer weniger um Goethes Sicht der Welt als um die Frage, wie Goethe heute in und von der Welt gesehen wird. Kultur kann den Hintergrund beleuchten, den Inhalt oder die Besonderheiten von Macht oder Wirtschaftsinteressen begleiten, ihnen widersprechen oder helfen, sie zu erklären. Sie ist aber nicht notwendigerweise der Hauptakteur in dem Prozess, der zur Außenpolitik führt.
Es gehört zum Standardtopos der Debatte über AKBP, die Frage aufzuwerfen, in welchem Verhältnis Kulturarbeit und politische Öffentlichkeitsarbeit stehen, wie sich also kultureller Austausch und nationale Repräsentation miteinander vertragen. Dahinter steht jeweils der Verdacht, dass die Kultur für (außen)politische Zwecke instrumentalisiert und funktionalisiert wird, was dem Gedanken der Autonomie kulturellen Schaffens und der »Staatsferne« der international agierenden Mittlerorganisationen zuwiderläuft. Dass die strategische Kommunikation und das »nation branding« der deutschen Außenpolitik zu Aufgaben der Kulturabteilung im Auswärtigen Amt geworden sind, unterstreicht das Bemühen, unterschiedliche politische Motivationen organisatorisch »zusammenzuzwingen«.
Heute dürfte unbestritten sein, dass die »Selbsterzählung Deutschlands« auch unter den gegenwärtigen Bedingungen zusehends intensiver geführter identitätspolitisch geprägter Debatten nur mehr illustrativen Charakter haben kann, wenn es darum geht, Initiativen zur Erhaltung und Erneuerung der nationalen Kulturlandschaft sichtbar zu machen. Beiträge von Künsten, aus Bildung und kollektiver Erinnerungsarbeit, die als Zeugen zur Beglaubigung deutscher Kulturleistung in Stellung gebracht werden, müssen gleichzeitig auch Konflikt- und Bruchlinien erkennbar werden lassen. Das gilt jedenfalls dann, wenn sie bei der Beantwortung von Zukunftsfragen, die sich in unterschiedlichen Kontexten stellen, Anschluss halten sollen. Die Folgen der Covid-19-Krise werfen noch weiterreichende Fragen auf nach Kriterien für die Förderungswürdigkeit von Kunst und Kultur in ihren traditionellen Formen, wenn digitale Formate eine deutlich niedrigere Zutrittsschwelle haben.
Doch jenseits der Formen und Formate steht auch eine Umsortierung bisheriger Ordnungen des Wissens und Erinnerns auf der Tagesordnung, die den notwendigen Perspektivwechsel mitvollziehen muss, soll das Spannungsverhältnis zwischen lokaler, nationaler und globaler Ebene fruchtbar gestaltet werden. Die »Macht der Kultur« wird dabei in einem anderen Sinne verhandelt: Hier geht es um ganz konkrete Fragen, auf die die deutsche AKBP in ihrer jetzigen Aufstellung nur unzureichende Antworten zu geben vermag. Dies gilt in zentraler Weise für den Umgang mit dem Kulturerbe, ein kontroverses Thema, das im Kontext des Projektes Humboldt Forum eine Debatte über den angemessenen Umgang mit kulturellen Artefakten ausgelöst hat, die durch kolonialistische Praktiken in die Berliner Sammlungen gelangt sind. Hinzu kommen die Renaissance des Nationalismus, homophobe Tendenzen in vielen Weltregionen und die Notwendigkeit, den Stellenwert des liberalen Wertekanons neu zu definieren angesichts der Neigung zu kulturell oder religiös begründeter Abschottung in der internationalen Politik.
Anforderungen und Grenzen einer Politik der internationalen Kulturbeziehungen
Bei der Suche nach Antworten ist in der Debatte über eine »transnationale auswärtige Kulturpolitik« die Einlösung eines umfassenden Kongruenzanspruchs gefordert worden: Demnach wird es als zentral für die (internationale) Glaubwürdigkeit Deutschlands angesehen, dass die Werte, die durch die AKBP international projiziert werden, auch der gelebten gesellschaftlichen Realität in Deutschland entsprechen müssten. Doch verkennt diese Forderung, dass sich auswärtiges Handeln in anderen Macht- und Partnerbezügen vollzieht, als dies für die Innenpolitik gilt. Gleichwohl wird aus dem Kongruenzanspruch abgeleitet, Deutschland brauche »ein umfassendes Programm zur sozialen Integration für die gespaltene Gesellschaft im Innern als Voraussetzung für die Akzeptanz, Glaubwürdigkeit und Kohärenz einer erfolgreichen und zukunftsweisenden auswärtigen Kulturpolitik«. So die Literaturwissenschaftlerin Sigrid Weigel. Damit würde die AKBP zum übergreifenden politischen Richtlinienprogramm und läge nicht mehr in der Fachzuständigkeit des Auswärtigen Amtes. Zwar ist es sinnvoll, wenn gefolgert wird, die AKBP wolle und müsse »weit mehr sein als die kommunikative Agentur der deutschen Außenpolitik«, allerdings weist der Vorschlag in der institutionellen Konsequenz den Weg in ein völlig neues Funktionsverständnis der Mittlerorganisationen wie etwa des Goethe-Instituts.
Das Flaggschiff der deutschen AKBP fordert in der Folge eine Ausweitung seines institutionellen Mandats, damit das Goethe-Institut auch in Deutschland wirksam werden und seine inländischen Aktivitäten ausbauen kann. Dabei soll die Reichweite transkultureller Begegnungen und internationaler kultureller Bildungsarbeit auch auf Einrichtungen in der Kulturlandschaft Deutschlands ausgedehnt werden, bis an Orte in der Peripherie. Diese Mandatserweiterung würde umfassende Umbauarbeiten in der Kulturpolitik erfordern und liefe damit Gefahr, dass dieses Programm auf das Interesse an institutioneller Expansion verkürzt werden könnte. Das Goethe-Institut würde zum Dienstleister kultureller Daseinsvorsorge und zur zentralen Kulturagentur – eine Vorstellung, die nicht zuletzt am Selbstverständnis kratzt, das auf Subsidiarität und föderale Selbstbestimmung abhebt, und die der Akteursvielfalt zuwiderliefe, weil das Institut als zentrale »Verteilerstation« fungieren würde. Zudem fehlen dem Goethe-Institut Kenntnisse über Bedarfe kulturpolitischer Strukturen und Zugänge zu ihnen auf lokaler und regionaler Ebene.
Dieser institutionelle Weg führt daher am Ziel vorbei, nationale Kultur von Beginn an international zu denken und entsprechend politisch anzulegen.
Kultur, Wissenschaft und Bildung als internationale Plattformen
Künstlerische und wissenschaftliche Erforschung neuer Weltsichten, spartenübergreifende Ansätze und die Freiheit, künstlerische Prozesse ergebnisoffen anzugehen, das sind heute die zentralen Achsen des Kulturaustauschs. Kultur(erbe) konstituiert sich sowohl unter dem emanzipativen Druck postkolonialer Aufarbeitung möglicherweise künftig ganz neu und supranational als Polyphonie von Stimmen, oftmals jenseits etablierter Kanons und Bewertungsinstanzen. Dabei ist eine zentrale Voraussetzung und Bedingung die Offenheit, die sich dem Interesse an der Manipulation und Verweigerung von Dialogen widersetzt, ohne den Eindruck illegitimer und verdeckter Einflussnahme hervorzurufen. Der ungehinderte Zugang zu Kultur-, Wissens- und Informationsgütern muss zum Grundprinzip kultureller Beziehungen werden. Kulturelle Sicherheit oder Sicherheit in der Kultur ist angesichts zunehmender Heterogenitäten in den Gesellschaften der Gegenwart immer schwieriger zu erringen. Kultur findet auf einer Vielzahl von Plattformen statt, auf denen Menschen sich austauschen. Dieser Qualität muss sich eine Kulturpolitik öffnen, die die Unterscheidung von Innen und Außen überwinden und auch digitale Formen der Verständigung, der Konfrontation und des Austarierens von Differenzen und Gegensätzen aufnehmen will. Das erfordert oftmals Moderation, sollte sich darauf aber nicht beschränken – die Formulierung eigener Positionen ist unabdingbar für einen fruchtbaren Austausch.
Daraus resultieren zentrale Anforderungen an eine auswärtige Kulturpolitik, die darauf abzielt, bestehende Fragmentierungen zu überwinden und sich zu einer Politik der internationalen Kulturbeziehungen weiterzuentwickeln:
1. Prämissen sichern: Kultur, Wissenschaft und Bildung können nur unter den strukturellen Bedingungen von Freiheit und Unabhängigkeit gedeihen. Nach dem neuen Academic Freedom Index leben 80 Prozent aller Menschen in Ländern, die Wissenschaftsfreiheit einschränken. Deutsche Politik sollte sich daher für Wissenschafts- und Kulturfreiheit einsetzen, weltweit, aber auch in Deutschland. Das wird nur mit einem Netzwerkansatz zu bewerkstelligen sein, der eine enge Kooperation von Mittlerinstanzen, Kulturschaffenden und Unternehmen der Kreativbranche zu stiften weiß.
2. Neufassung des kulturpolitischen Mandats: Seitdem die von der Großen Koalition angekündigte Konzeption 2020 der AKBP als »neues Grundsatzprogramm« versandet ist, besteht hier eine zentrale Herausforderung, der sich die neue Bundesregierung stellen muss. Kultur sollte dabei nicht auf das Abbild oder das Wunschbild der eigenen Gesellschaft beschränkt werden, sondern muss getragen sein von einem gemeinsamen Leitbild der Verständigung zwischen den verschiedensten kulturellen Positionen und Strömungen. Das erfordert, in Netzwerken zu denken, die sich an ganz unterschiedlichen Stellen zu Knoten verdichten (lassen). Voraussetzung dafür ist wiederum, dass entsprechende Zugänge eröffnet werden können, die den Austausch ermöglichen.
Dabei geht es um eine grundsätzliche Klärung der Rahmenbedingungen von Kulturpolitik im Sinne einer Verknüpfung von »Innen« und »Außen« und darum, die Grenzen zwischen unmittelbarem und mittelbarem staatlichen Handeln »im Rahmen« der Diplomatie zu bestimmen. Aus Rücksicht auf Ländervorbehalte sind im Innern und nach Außen Selbstdarstellung, Schwerpunktprogramme und strategische Kommunikation von jenen Aufgaben abzugrenzen, die eher auf internationalen Kulturaustausch und das Gespräch angelegt sind, das über Grenzen hinweg in »open communities« sowie offenen Netzwerken und (digitalen) Plattformen geführt wird.
3. Normative Sparsamkeit: Eine normative Aufladung von Kultur sollte sich vor allem auf die Grundprinzipien der Meinungs-, Kultur- und Wissenschaftsfreiheit beschränken. Eine generelle Politisierung der AKBP durch »Einstellung« von Wissenschaft und Kultur auf die Vorgaben außenpolitischer Zielkorridore könnte sich als kontraproduktiv erweisen, wenn gerade die Offenheit kulturellen Austauschs eine Eingangs- und Gestaltungsbedingung für den internationalen Kulturkontakt ist. Eine Indienstnahme von Kultur und Wissenschaft für die Durchsetzung außenpolitischer Interessen ist kurzsichtig und für den Austausch nicht tragfähig. Nicht zuletzt weil die möglichen normativen Bezüge letztlich schwer zu begrenzen sind: Sie reichen von nachhaltigem Frieden, Kampf gegen Armut, Hunger und Fluchtursachen, gegen die Zunahme von Nationalismus und Entdemokratisierung, den Verlust an Rechtsstaatlichkeit, die Folgen des Klimawandels und der schwindenden Biodiversität bis hin zu Geschlechtergerechtigkeit, Diversität, Inklusion und dem gesamten Katalog an »sustainable development goals«.
Sicherlich sollte die deutsche Kulturarbeit im Ausland (wie auch im Innern) durch den ihr zugrundliegenden Kanon an Werten (Liberalität, Toleranz, Pluralität, Diversität) erkennbar sein, sie sollte daraus aber nicht einen missionarischen Auftrag ableiten, der sich für einen offenen Kulturaustausch verbietet. Künstlerische Positionen definieren sich eben gerade oft als Grenzpositionen, die als solche Impulse in die Gesellschaft zu vermitteln vermögen, aber nicht »in den Dienst der Diplomatie« gestellt werden sollten. Die Positionen zur »science diplomacy«, die das Auswärtige Amt unter Einbeziehung von Vorgaben der strategischen Kommunikation entwickelt hat, gehen deutlich über jenes Grundverständnis der Außenwissenschaftspolitik hinaus, das sie auf die Potenzierung der deutschen »soft power«-Qualitäten beschränkt hatte.
Wissenschaft und Kultur für nationale außenpolitische Ziele dienstbar zu machen ist insbesondere in systemischen Wettbewerbsverhältnissen, wie sie sich heute abzeichnen, ein zweischneidiges Schwert. In dem Maße, in dem Kulturschaffende sich in restriktiven oder gar gefährlicheren Kontexten bewegen, sind eine starke Aufladung und Besetzung der kulturellen Freiräume durch politische Akteure und ihre Interessen meist eher kontraproduktiv.
4. Organisatorische Neuaufstellung: Die Forderung nach einem vollwertigen Kulturministerium, das die inzwischen als künstlich angesehene Trennung von Innen und Außen überwindet und die unnötige Doppelung der Aufgaben von je einer Kulturstaatsministerin im Bundeskanzleramt und im Auswärtigen Amt beendet, ist sicherlich berechtigt. Dabei sollte indes die Bezeichnung eher den internationalen Charakter von Kultur aufgreifen und das Ministerium als eines für (inter)nationale Kulturbeziehungen bzw. Kulturaustausch angelegt sein, um nicht den Vorwurf auf sich zu ziehen, auf eine einheitliche oder vereinheitlichte Bundeskultur abzuzielen. Damit würde die »Kultur« (unter Einbeziehung der internationalen Sport-Politik) endlich auch Kabinettsrang erhalten und nicht als nachgeordnete Aufgabe staatlichen Handelns begriffen. Ein solches Ministerium müsste mehr sein als ein erweitertes Amt für Kulturförderung und sich auch grundlegender rechtlicher Aufgaben annehmen, wie sie sich bei verschiedenen Themen stellen: bei der Aufarbeitung unserer kolonialen Vergangenheit und der längst überfälligen Rückgabe von Raubkunst oder bei internationalen Handelsabkommen mit ihren weitreichenden Wirkungen auf den gesamten Kulturbereich. Medien- und Bildungspolitik könnten so zusammengeführt werden, wie auch die Mittlerorganisationen für den Kultur- und Wissenschaftsaustausch. Dagegen würden die eher auf Selbstrepräsentation ausgerichteten Maßnahmen mit Blick auf strategische Kommunikation im engeren Bereich der Außenpolitik verbleiben.
5. Kultureller Praxis und Wissen zentralen Rang geben: Wenn Kultur heute sehr viel mehr als früher als Dialog zu verstehen ist und auf Verflechtungserfahrungen beruht, dann kann sich ein institutionelles Politikdesign der Durchdringung früher nationalstaatlich abgegrenzter Räume nicht mehr verschließen. Innen und Außen lassen sich sinnvoll nicht länger trennen, internationale Kulturbeziehungen sind konstitutives Element des Selbstgesprächs einer Gesellschaft geworden, um mit Komplexität auch kultureller Art umzugehen. Die Horizonte der kulturellen Praxis und des Wissens sind einander näher gerückt und bedürfen einer Zusammenschau, der sich bestimmte gesellschaftliche Gruppen zu entziehen versuchen. Dieser Verweigerung entgegenzuwirken ist Teil des neuen Mandats, dem die Kulturpolitik nach Innen und Außen verpflichtet sein muss, will sie dieses Politikfeld mit seinen Potentialen nutzen und entwickeln.
Prof. Dr. Günther Maihold ist Stellvertretender Direktor der SWP.
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doi: 10.18449/2021A51