Seit Dekaden ist die Situation in Kuba durch eine externe Wirtschafts- und interne Entscheidungsblockade gekennzeichnet. Viele Erwartungen an ein höheres Tempo bei der wirtschaftlichen Liberalisierung und an größere Freiheiten für die Bevölkerung haben sich nicht erfüllt. Der Antagonismus mit den USA während der Trump-Administration und die Furcht der kommunistischen Parteiführung vor einem Kontrollverlust bremsen den notwendigen Wandel. Gleichzeitig nehmen der Problemdruck und die Versorgungsschwierigkeiten zu. Der Rückzug Raúl Castros aus seinen Parteiämtern und die eingeleitete Währungsreform schaffen eine neue komplexe Lage, die für die USA und Europa mit neuen Anforderungen verbunden ist. Wie schnell und in welcher Form sich der Wandel vollzieht, wird entscheidend von der Kuba-Politik der Regierung Biden abhängen. Doch Voraussetzung für jedweden Reformprozess sind Berechenbarkeit und belastbares Vertrauen auf beiden Seiten. Um dabei Stolpersteine aus dem Weg zu räumen, ist auch Europa gefragt.
Das Jahr 2021 könnte zu einem Schlüsseljahr für Kuba werden. Im April findet der 8. Kongress der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) statt, bei dem Raúl Castro den Posten des Ersten Sekretärs abgeben wird. Nachdem er 2018 schon das Amt des Präsidenten an Miguel Díaz-Canel weitergereicht hat, wird es nun also auch einen Generationenwechsel in der Parteiführung geben. Die neuen Führungspersönlichkeiten treten jetzt endgültig aus dem Schatten der alten Revolutionsgarde, die postrevolutionäre Phase wird damit definitiv eingeleitet.
Zugleich steht das Land mitten in einem Prozess von Wirtschaftsreformen mit weitreichenden sozialen und ökonomischen Folgen. Auch politisch rumort es im Lande. Viele Akteure wollen der bisherigen Spielregel der politischen Vorgaben von oben nicht mehr folgen. Wie diese internen Prozesse zusammenwirken, wie schnell und in welcher Form sie ablaufen, dafür wird die Kuba-Politik Präsident Bidens mit ausschlaggebend sein.
Lange Warteschlangen vor den Geschäften sind wieder zur alltäglichen Realität in Kuba geworden, in einem Land, das mehr als die Hälfte der auf der Insel verbrauchten Lebensmittel, Brennstoffe, Medikamente und anderen lebenswichtigen Ressourcen importiert. Dass sich das Ende des Castrismus in Kuba (siehe SWP-Aktuell 4/2017) in den vergangenen Jahren seit dem Rücktritt Raúl Castros vom Präsidentenamt im Jahr 2018 abzeichnete, hat die Geschwindigkeit des politischen und wirtschaftlichen Wandels nicht erhöht. Die Erwartungen an eine größere Offenheit, die sich an seinen Nachfolger Miguel Díaz-Canel knüpften, haben sich nicht erfüllt: Mutige Schritte bei der Restrukturierung der kubanischen Wirtschaft sind ausgeblieben, und auch die Bereitschaft zum Dialog mit der Gesellschaft ist nach der Verkündung der neuen Verfassung im Jahr 2019 nicht größer geworden. Wenn es Reformschritte gab, so sind sie nur sehr vorsichtig vorgenommen worden. Die Befürchtungen vor sozialen und politischen Verwerfungen und einer daraus resultierenden Anfechtung der PCC bremsen das Tempo. Jedoch hat sich mit dem Zuwarten und angesichts des während der Trump-Präsidentschaft gewachsenen Antagonismus mit den USA der Problemdruck weiter erhöht. Und damit sind auch die Kosten einer Umsetzung der überfälligen Schritte für die politische Führung und die Bevölkerung noch einmal gestiegen.
Kuba steht wirtschaftlich mitten im Wandel und in der Krise
Zum 1. Januar 2021 schaffte Kuba nach mehr als einem Vierteljahrhundert sein Doppelwährungssystem ab, in dem neben dem kubanischen Peso (CUP) der konvertible Peso (CUC) als Zahlungsmittel galt. Seither gibt es nur noch eine einzige Währungseinheit: den Peso. Die Änderung wurde seit langem erwartet und als notwendig erachtet, um Reformen in der stagnierenden, nach wie vor zentral geplanten Wirtschaft anzustoßen, die nach 2010 eine durchschnittliche Wachstumsrate von 2,0 Prozent verzeichnete. Aber die Vereinheitlichung der Währung wurde – inmitten der Covid-Pandemie und einer geschätzten Schrumpfung der Wirtschaftsleistung von 11 Prozent im Jahr 2020 – in einer schwierigen Situation verkündet, die zusätzliche Belastungen für die Bevölkerung mit sich bringen wird. Zuvor waren importierte Güter durch die Anwendung eines 1:1-Wechselkurses, also eine künstliche Überbewertung des kubanischen Peso gegenüber dem US-Dollar, im öffentlichen Sektor scheinbar billig im Vergleich zu jenen Waren, die im Inland produziert wurden. Staatliche Firmen hatten also einen Anreiz, importierte Waren zu kaufen, weil sie daraus eher rechnerisch einen Gewinn verbuchen und als profitable Firma erscheinen konnten. Daher war es ihnen auch möglich, zusätzlich Boni an die Mitarbeiter auszuschütten.
Doch jenseits des Produktionssektors ist auch die Bevölkerung massiv von der Währungsreform betroffen: Die Kubanerinnen und Kubaner werden innerhalb der nächsten sechs Monate ihre CUCs zum gleichen Wechselkurs umtauschen müssen wie in den letzten 15 Jahren: 24 Pesos für jeden CUC, auf dem Schwarzmarkt liegt die Umtauschquote bereits doppelt so hoch. Die Folge waren Schlangen vor den Wechselstuben, weil die Leute ihre CUCs loswerden oder sich Bestände in Dollars zulegen wollten. Die bisherigen Dollar-Zuflüsse sind wegen der Beschränkungen für Überweisungen aus den USA, die unter Trump erlassen wurden, und wegen des massiven Einbruchs im Tourismusmussektor, der auf die Corona-Krise und die Sanktionen zurückzuführen ist, immer dünner geworden. In den ersten beiden Monaten der Umstellung sollen 57 Prozent der CUC-Geldmenge umgetauscht worden sein. Es ist zu erwarten, dass aufgrund der Abwertung alle Preise anziehen werden. Die Regierung hat bereits angekündigt, dass die Preise und Tarife für öffentliche Dienstleistungen und Waren, die von staatlichen Einrichtungen verkauft werden, steigen werden – von den Versorgungsbetrieben bis hin zu allen Gütern, die über die Rationierungskarte bezogen werden. Vorsorglich und zur sozialen Abfederung wurde der monatliche Mindestlohn für Staatsbedienstete (zwei Drittel aller Beschäftigten) um 525 Prozent von 400 CUP (17 $) auf 2.100 CUP (88 $) heraufgesetzt. Das neue Maximum, basierend auf den geleisteten Arbeitsstunden und ohne zusätzliche Zahlungen, beträgt 9.510 CUP (396 $). Die minimale Alters- oder Invalidenrente wurde um 450 Prozent auf 1.528 CUP (64 $) angehoben. Diese Erhöhungen sollen Preissteigerungen auffangen, die sich nach Ansicht von Experten auf durchschnittlich 160 Prozent für staatlich kontrollierte Preise und 300 Prozent für privatwirtschaftlich festgelegte Preise belaufen werden. Für bestimmte Produktgruppen sollen die Preise nach einem komplizierten Verfahren kontrolliert werden. Auf lange Sicht werden die Vorteile der Gehaltserhöhung jedoch aufgezehrt, nämlich dann, wenn die Verknappung der Güter zu einer Inflationsspirale führt. Trotz der Gewährung von Übergangskrediten an Unternehmen ist davon auszugehen, dass die Arbeitslosigkeit angesichts der fehlenden Produktivität vieler Betriebe auf 30 Prozent ansteigen könnte, auch wenn ein Teil davon in der Selbständigkeit oder im informellen Sektor absorbiert werden kann. Ziel der Maßnahmen ist ein Systemwechsel: Die Regierung will von einer Subventionierung von Preisen zu einer Unterstützung vulnerabler Personen übergehen, um so die relativen Preise stärker den realen Verhältnissen anzupassen.
Doch die Reform des Währungssystems allein wird nicht ausreichen, um die kubanische Wirtschaft aus der Produktivitäts- und Versorgungskrise zu führen. Notwendig sind strukturelle Entscheidungen, die dem Wettbewerbsprinzip mehr Raum verschaffen. Zwar hat die kubanische Regierung 28 Maßnahmen beschlossen, die staatlichen Unternehmen größere Entscheidungsfreiheit einräumen, aber behördliche Kontrollmaßnahmen sind nach wie vor existent. Gleiches gilt für die Landwirtschaft, wo es weiterhin zu wenig Flexibilität bei den Bodenbesitz- und Anbauregeln gibt; und auch die Öffnung weiterer Tätigkeiten für Selbständige bleibt ein Desiderat. Folgt man jüngsten Umfragen zur Akzeptanz des Anpassungspakets, einer Erhebung, über die in den Staatsmedien nur unzureichend berichtet wurde, sind die Belastungen für die Bevölkerung deutlich spürbar. Unabsehbar ist jedoch, wann und wie die staatlichen Organe darauf reagieren werden. Der bevorstehende Parteitag wird erste Hinweise darauf geben, ob sich eine pragmatische Linie durchsetzen kann, die die Nöte der Bevölkerung aufnimmt und innere Blockaden löst. Für die Parteiführung verdichtet sich in diesem Geschehen die Grundsatzfrage der Entwicklung in Kuba: Wie lassen sich unter der Maxime der Erhaltung des Sozialismus marktorientierte und marktgesteuerte Mechanismen implementieren, die das soziale Gleichgewicht nicht gefährden und sich nicht der Kontrolle durch die zentralen Lenkungsgremien des Regimes entziehen? Auf diese Frage hat die kubanische Führung immer nur situativ Antworten gefunden, in wirtschaftlichen Notlagen, die durch Engpässe bei der Lebensmittel- und Energieversorgung oder der Devisenverfügbarkeit ausgelöst wurden. Sie hat damit eine Politik des »Stop and Go« praktiziert, die keine klaren Perspektiven für eine Verbesserung der Lage eröffnete. So sind Entscheidungen, die eine strukturelle Weichenstellung bedeutet hätten, immer wieder aufgeschoben worden.
Unzufriedenheit mit den politischen Spielregeln
Ob dieses Schema in den anbrechenden postrevolutionären Zeiten überwunden werden kann, wird davon abhängen, ob die Parteihierarchie gegenüber den verstreut agierenden Pragmatikern weiterhin mit dem Argument die Oberhand behält, die Position der kommunistischen Partei gerate in Gefahr. Gerne verweist die Führung dann auf die »Opposition«, die – vom Ausland gesteuert – das Regime unterminieren wolle. Die friedliche Demonstration von circa 300 Kulturschaffenden und Sympathisanten, die am 27. November 2020 vor den Toren des kubanischen Kulturministeriums stattfand, hat die Autoritäten massiv beunruhigt. Auslöser für den über das Internet und die sozialen Medien multiplizierten Aufruf war die gewaltsame Räumung eines Hauses in Alt-Havanna, in dem eine Gruppe von dissidenten Künstlern und Aktivisten der sogenannten San-Isidro-Bewegung (MSI) gegen die Verurteilung eines Rappers protestierte. Im Januar 2021 versammelten sich erneut junge Menschen vor allem aus dem Kulturbereich und forderten mehr Meinungsfreiheit, politische Toleranz und ein Ende der Schikanen gegen Andersdenkende. Zunächst zeigten sich die Funktionäre des Kulturministeriums dialogbereit, doch die Hoffnung auf einen anderen Umgang mit Kritik trog erneut – die angesetzte Diskussion über die kulturelle Freiheit und die Politik in Kuba kam nicht zustande. Die Staatsführung und die Regierungsmedien griffen erneut auf die traditionellen Schablonen zurück und bezeichneten die Protestierenden als »Konterrevolutionäre« und »vom Imperium bezahlte Söldner«, um sich gegen deren Kritik zu immunisieren und den Dialog zu verweigern. Festnahmen von Wortführern, Verhöre und Hungerstreiks festgesetzter Demonstranten prägen seither wieder das Bild.
Die Debatte verlagerte sich daraufhin in die sozialen Netzwerke, wo Künstler, Aktivisten und Vordenker den Dialog mit der Regierung bzw. der PCC-Führung einforderten. In der Folge entwickelte sich im Internet wochenlang eine nie dagewesene Kontroverse, die auch die Grenzen der staatlichen Kontrolle über abweichende Meinungen und deren Debatte sichtbar machte. Anlass für den Protest der Kulturschaffenden war deren Ablehnung des Dekrets 349, das die künstlerische Tätigkeit regelt und darauf abzielt, staatlicherseits zu definieren, was Kunst ist. Unter dem Motto »Patria y Vida« – das den Titel eines bekannten Songs der kubanischen Rapper Eliecer Márquez und Maykel »Osorbo« Castillo aufnimmt –hat die San-Isidro-Bewegung auf ihrer Website eine Plattform eingerichtet, auf dem sie zu einem nationalen Dialog einlädt, wobei sie insbesondere auch die Regierung zur Teilnahme aufgerufen hat. Sie appelliert unmissverständlich an einen innerkubanischen Austausch und bezieht die exil-kubanische Gemeinschaft nicht mit ein. Das ist ein wichtiges Signal, mit dem sie verhindert, dass die Gespräche von vornherein unnötig belastet werden.
Kuba und seine Entwicklung sind in den letzten 60 Jahren immer wieder für innenpolitische Auseinandersetzungen in den USA instrumentalisiert worden. Die Dämonisierung der Castro-Brüder und die Darstellung des kommunistischen Regimes als Bedrohung waren und sind in den USA eine oft verwendete Wahlkampfmunition. Diesem Muster ist nicht zuletzt auch die Regierung von Präsident Donald Trump gefolgt. Es zu überwinden, wird für die Regierung Biden eine große Herausforderung sein. Sie hat bisher erkennen lassen, dass die Neuausrichtung der Kuba-Politik nicht ganz oben auf der Liste ihrer außenpolitischen Prioritäten steht, nicht zuletzt wohl auch aus der Überlegung heraus, sich eine unnötige innenpolitische Auseinandersetzung während der Bewältigung der Covid-19-Krise zu ersparen.
Das Erbe der Kuba-Politik Trumps: Kuba als »Hort des Terrorismus«
Durch die Entscheidung der Trump-Administration vom 11. Januar 2021, Kuba wieder auf die Liste der »State Sponsors of Terrorism« (SSOT) des US-Außenministeriums zu setzen, ist die Außenpolitik der neuen Biden-Administration gegenüber Havanna zunächst gelähmt worden. Ziel dieser letzten, neun Tage vor Toresschluss getroffenen Entscheidung Donald Trumps dürfte es auch gewesen sein, dem Ex-Präsidenten an seinem neuen Wohnsitz Florida die Bühne für die nächste Präsidentschaftswahl zu bereiten, und dabei gleichzeitig zu einer weiteren Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft beim Thema Kuba beizutragen. Die Trump-Administration hatte in den vier Jahren zuvor mehr als 200 Vorstöße zur Verschärfung des jahrzehntealten US-Handelsembargos gegen Kuba unternommen. Sie begründete diese Initiativen stets mit der Besorgnis über den Mangel an Demokratie in Kuba und Havannas Unterstützung für die sozialistische Regierung Venezuelas. Nicht einmal in Bereichen, in denen Kooperation in beiderseitigem Interesse ist, wie Gesundheit und Sicherheit, blieb die diplomatische Zusammenarbeit erhalten. Hinzu kam die Reduzierung des Personals der US-Botschaft in Havanna auf ein Minimum. Grund dafür waren die unter Trump immer noch ungeklärten gesundheitlichen Beschwerden, von denen dort tätige US-Diplomaten betroffen waren.
Die meisten Sanktionen, die durch die SSOT-Entscheidung ausgelöst werden, waren zu diesem Zeitpunkt bereits in den Bundesgesetzen kodifiziert, die das US-Embargo regeln, so dass der Beschluss kaum neue Auswirkungen hat und als teilweise symbolisch gelten kann. Insbesondere die primären Beschränkungen für Investitionen, Handel und Finanztransaktionen und die Bestimmungen zur Blockierung aller Vermögenswerte, an denen Kuba oder ein kubanischer Staatsangehöriger beteiligt ist, sind schon seit langem Teil des »Wirtschaftsembargos gegen Kuba«, das durch den Helms-Burton Act von 1996 Gesetz wurde. Nichtsdestotrotz wird die SSOT-Klassifizierung die Lage auf der Insel verschlimmern, und dies in einer Phase, in der ohnehin die Folgen einer ansteigenden Zahl von Covid-19-Fällen, einer tiefen Wirtschaftskrise und lähmender US-Sanktionen im Alltag massiv spürbar sind. Nun, wo Kuba auf der SSOT-Liste steht, wird die Bandbreite der erlaubten Exporte aus den Vereinigten Staaten nach Kuba weiter eingeschränkt, so etwa für Software-Produkte und Technologietransfer. Es wird auch ein Gesetz des Staates Florida aktiviert, das es staatlichen Universitäten verbietet, öffentliche Mittel zur Finanzierung von Reisen in SSOT-gelistete Länder oder für Forschungsaktivitäten dort zu verwenden. Ähnliche Auswirkungen sind für den kommerziellen Reiseverkehr zu erwarten, da Banken, die im Auftrag von Fluggesellschaften auf der ganzen Welt Transaktionen abwickeln, interne Richtlinien haben, die ihnen Geschäfte mit Ländern, die auf der SSOT-Liste stehen, verbieten. Solche Finanzinstitute könnten sich dazu entschließen, sich aus lizenzierten Aktivitäten, die einen Bezug zu Kuba haben, zurückzuziehen.
Es dürfte Monate dauern, bis die neue Biden-Administration den SSOT-Beschluss rückgängig machen kann, da das Außenministerium zunächst eine Überprüfung der Anweisung anordnen und dann dem US-Kongress einen Bericht vorlegen muss, der eine Entscheidung zur Aufhebung mindestens 45 Tage vor deren avisiertem Inkrafttreten rechtfertigt. Doch die Biden-Administration könnte dem Muster der bisherigen Kuba-Politik der USA folgen und durch neue Anordnungen die Politik der Vorgängerregierung revidieren und dadurch ein Zeichen setzen, dass sie diese Anweisung überprüfen und alle von der Trump-Administration erlassenen Durchführungsverordnungen rückgängig machen wird. Solche Schritte könnten sich auch auf eine Erleichterung von Dollar-Überweisungen und eine Lockerung der Beschränkungen für Familienreisen beziehen. Beides sind Maßnahmen, die von vielen Biden-Unterstützern erwartet werden. Damit würde aber das Hin und Her in der Kuba-Politik der USA, das mit jedem Regierungswechsel einhergeht, fortgesetzt. Die kubanische Seite könnte dies kaum als ein Zeichen der Verlässlichkeit und Berechenbarkeit ihres Gegenübers interpretieren. Insofern wäre es ratsam, wenn sich die Regierung Biden zu einer legislativen Absicherung ihrer Kuba-Politik entschließen würde. Mit einer Reform der auf Kuba bezogenen Teile des Trade Sanctions and Export Enhancement Act (TSRA) aus dem Jahr 2000 könnten Reiserestriktionen aufgehoben und die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden für eine Kreditfinanzierung landwirtschaftlicher Exporte nach Kuba und eine Entwicklungszusammenarbeit im Dienste der Energiewende und des Klimaschutzes.
Ein Reset der US-Kuba-Beziehungen – Rückkehr zum Castro-Obama-Deal?
Als der damalige US-Präsident Obama am 20. März 2016 als erst zweiter US-Präsident in 88 Jahren in Kuba eintraf, war dies das sichtbare Zeichen eines Spurwechsels in der amerikanischen Kuba-Politik: Nach einer 15 Monate dauernden Phase der Entspannung der Beziehungen schien der Moment für eine langsame Annäherung zwischen beiden Nationen gekommen: Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen im Dezember 2014, erste Vereinbarungen zur Kooperation in Umweltfragen, im Bereich der maritimen Sicherheit und der Landwirtschaft wurden möglich, nachdem Präsident Obama die Auslegung einiger Vorgaben der Blockadegesetzgebung modifiziert hatte. Erst dadurch wurde der Weg frei für Handelsvereinbarungen innerhalb des nach wie vor geltenden restriktiven Rahmens. Weitere Kooperationen wurden angebahnt, im Bereich der Telekommunikation, bei der Beschaffung von Medikamenten, medizinischem Material und Ausrüstung für die Energieerzeugung und den Umweltschutz. Insgesamt unterzeichneten beide Länder zwischen Dezember 2014 und Januar 2017 23 Vereinbarungen. Es schien zumindest denkbar, dass die rechtlich nur schwer zu beendende Blockade durch praktische Zusammenarbeit überwunden werden könnte. Denn einer vollständigen Beseitigung stehen gesetzliche Regelungen im Wege wie der Foreign Assistance Act von 1961, der die ursprüngliche Ermächtigung für das Embargo lieferte; der Cuban Democracy Act von 1992; und der Helms-Burton Act von 1996, der das Embargo gesetzlich festschrieb. Weitere Hürden sind die Differenzen bei Menschenrechten und beim Thema Demokratie – Hürden, die im kubanischen Herrschaftssystem eingeschrieben sind.
Die unter Obama aufkeimende Erwartung, ein neues Kapitel der amerikanisch-kubanischen Beziehungen sei aufgeschlagen worden, erwies sich trotz einer Rekordzahl von beinahe 640 000 US-Touristen, die im Jahr 2018 Kuba besuchten, als Täuschung. Unter Präsident Trump kam es zu einem Roll-back: Trump erließ Beschränkungen für die Überweisungen von Exilanten, verbot das Anlegen von Kreuzfahrtschiffen im Hafen von Havanna, reduzierte den Flugverkehr nach Kuba drastisch, untersagte US-Investitionen auf der Insel, belegte Unternehmen, die den Handel mit Kuba unterstützten, mit Geldstrafen und drückte den kulturellen und akademischen Austausch auf fast null. Besonders die Liste der »Cuba Prohibited Accommodations«, das heißt all jener Hotels und Beherbergungsbetriebe, die US-Bürger in Kuba nicht nutzen dürfen, ist Ausdruck einer Sanktionspolitik, die das bilaterale Verhältnis massiv beeinträchtigt hat und den direkten Austausch zwischen den Bürgern beider Nationen behindert.
Für Biden dürfte eine Wiederherstellung der Beziehungen in den Stand zu Zeiten des Castro-Obama-Deals schwierig sein: Welchen starken innenpolitischen Einfluss die über 2 Millionen umfassende kubanisch-amerikanische Gemeinschaft besitzt, ist im US-Wahlkampf 2020 erneut deutlich geworden. Die Community erwies sich neben der exil-venezolanischen Wählergruppe als entscheidend für den Wahlerfolg Trumps in traditionell republikanisch geprägten Bundesstaaten – nicht nur in Florida. Konservativen Republikanern gelang es erneut, mit der kommunistischen Bedrohung durch Castro und Maduro als Schreckgespenst im ganzen Land Wähler zu mobilisieren. Dies macht es Präsident Biden schwer, eine von vielen Beobachtern geforderte schnelle Rückkehr zur Obama-Politik gegenüber Kuba einzuleiten. Damit würden viele politische Frontstellungen erneut vertieft, die Biden zu überwinden gedenkt. Zunächst hat die neue Regierung in Washington ohnehin andere Prioritäten.
Bidens neue Kuba-Politik und ihr katalytisches Potential
Doch Präsident Biden könnte schneller als gedacht zum Handeln gezwungen sein, wenn sich die Krise in Kuba verschärft und der Migrationsdruck zunimmt. Bald könnte den USA mit einem geänderten Politikansatz eine Katalysator-Rolle zuwachsen. Denn die Vereinigten Staaten könnten durchaus einen positiven Einfluss auf den Verlauf des Wandels haben, aber nur dann, wenn sie sich engagieren. Die Politik der Vergangenheit fortzusetzen oder diese nur marginal zu modifizieren, würde mit dem Risiko verbunden sein, dass die USA gegenüber der wachsenden Präsenz Chinas und Russlands in Kuba ins Abseits geschoben werden. So ist etwa der chinesische Huawei-Konzern in führender Rolle am Ausbau der Internet-Infrastruktur in Kuba beteiligt. In der Phase der Postrevolution wird »konstruktive Diplomatie« gefragt sein, die zunächst einmal eine Dialogfähigkeit mit Kuba wiederherstellt, nicht zuletzt mit Blick auf den 9. Amerika-Gipfel im Herbst 2021, dessen Ausrichter die USA sein werden. Mit der wachsenden Bedeutung des nichtstaatlichen wirtschaftlichen Sektors in Kuba öffnet sich ein neues bilaterales Kooperationsfeld, das unter geeigneten rechtlichen Rahmenbedingungen Ansatzpunkte für Handel und wirtschaftliche Partnerschaften bieten könnte. Eine solche Entwicklung würde voraussetzen, dass die kubanische Führung die rechtliche Anerkennung des Sektors selbständiger Tätigkeiten erweitert, so dass dieser Zugang zu Krediten und Devisen für Auslandsgeschäfte erhalten könnte. Hier erscheinen auch Joint-Venture-Formate denkbar, in denen Europa und die USA gemeinsam auftreten könnten, um kubanischen Partnern eine Diversifizierung ihrer Außenbeziehungen zu erlauben und sie nicht dem Vorwurf auszusetzen, sie gingen einseitige Abhängigkeiten ein.
Stolperstein: Venezuela
Insbesondere die Ungewissheit, wie sich die Krise in Venezuela entwickelt, steht einer Neuaufstellung der US-amerikanischen Kuba-Politik im Wege. Kuba unterstützt das Maduro-Regime durch medizinische Dienstleistungen und sichert über seine nachrichtendienstliche Zusammenarbeit und seinen Einfluss im venezolanischen Militär- und Parteiapparat Nicolás Maduro ganz direkt ab. Im Gegenzug erhält Kuba Lieferungen venezolanischen Öls, die trotz der US-Sanktionen immer wieder die Insel erreichen, dort eine Energieversorgung auf niedrigem Niveau ermöglichen und Kuba durch Weiterverkauf prekäre Deviseneinnahmen verschaffen. Für viele Beobachter liegt ein Schlüssel für den Beginn einer Lösung der venezolanischen Machtfrage in Havanna. Bislang zeigt jedoch die kubanische Führung keine Bereitschaft, an einem Transitionsszenario in Venezuela mitzuwirken. Für Präsident Biden würde sich aber eine substanzielle Öffnung gegenüber Kuba wohl nur begründen lassen, wenn Havanna und Caracas Zugeständnisse für einen Wandel in Venezuela durch freie Wahlen machen. Gegenwärtig klammern sich beide jedoch noch an diese Allianz, die sie als unverzichtbar ansehen, da ihnen keine alternativen Zugänge zu Versorgungsgütern angeboten werden. Hier könnten Optionen entwickelt werden, die allerdings mit hohen politischen Risiken für beide Seiten verbunden sind und ohne gegenseitiges Vertrauen nur schwerlich Realität werden können. Eine Abstimmung der europäischen und US-amerikanischen Ansätze, die auf eine Aufweichung der starren Fronten hinsichtlich der Zukunft Venezuelas gerichtet sind, wäre ein wichtiger Schritt nach vorne.
Europäische Optionen der Kuba‑Politik
Doch nicht nur in den USA ist die Kuba-Politik innenpolitisch stark umstritten, auch Europa tritt gegenwärtig in dieser Frage wieder gespalten in Erscheinung. Erkennbar wird dies an der jüngsten Auseinandersetzung um den Vertreter der EU in Havanna: 40 Abgeordnete des Europäischen Parlaments (EP) kritisierten, dass dieser einen offenen Brief von 790 kubanischen Wissenschaftlern, Künstlern und Intellektuellen unterzeichnet habe, in dem der US‑Präsident aufgefordert wird, persönlich »Maßnahmen zu ergreifen«, um Geschäfts- und Reisebeschränkungen gegen Kuba aufzuheben. Der Brief verlangt von den USA, »aufzuhören, ein feindlicher Nachbar« für Kuba zu sein, und »sich nicht mehr in unsere inneren Angelegenheiten einzumischen«. Die EP-Abgeordneten forderten den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell auf, den Diplomaten zu entlassen. Gleichzeitig bildete sich im EP eine andere Gruppe von 25 Abgeordneten, die die Position des Botschafters als vereinbar mit der Politik der EU stützten. Letztlich konnte der Vertreter, der zum Rapport nach Brüssel zitiert worden war, auf seinen Posten in Havanna zurückkehren und darf seine Amtszeit, die im Sommer 2021 ausläuft, dort erfüllen.
Erneut wurde offenbar, welche Sprengkraft der Umgang mit Kuba in der Europäischen Union hat: Über zwei Dekaden hatte der »Gemeinsame Standpunkt des Europäischen Rates zu Kuba vom 2. Dezember 1996« die europäische Kuba-Politik dominiert. Darin hatte der Rat als Voraussetzung für eine Zusammenarbeit Fortschritte auf dem Weg zur Demokratie gefordert. Im Ergebnis waren die Beziehungen zu Kuba quasi eingefroren worden und interessierte Mitgliedstaaten unternahmen eigene Anstrengungen, um mit Havanna ins Gespräch zu kommen und Geschäftsbeziehungen anzubahnen. Andere Regierungen lehnten Kontakte grundsätzlich ab.
Im März 2016 wurde das »Abkommen über politischen Dialog und Kooperation mit Kuba« (PDCA) geschlossen, das seit November 2017 angewendet wird. Es markierte die Abkehr von der Isolierungspolitik und legte die EU auf eine Politik der Öffnung ohne Vorbedingungen im Umgang mit Havanna fest. Damit versuchte sich die EU mit einer von den USA unabhängigen und autonomen Kuba-Politik zu profilieren; gleichzeitig sollte das Abkommen der Ausgangspunkt sein, um den wirtschaftlichen und mittelbar auch den politischen Wandel in Kuba zu unterstützen. Das Dokument benennt vier Arbeitsfelder, in denen eine Vertiefung der Zusammenarbeit erreicht werden soll: politischer Dialog, Kooperation und sektorpolitischer Dialog sowie Handel und handelspolitische Kooperation. Die ins Auge gefassten Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit beziehen sich vor allem auf den Bereich der nachhaltigen Ernährungssicherheit, die angesichts dessen, dass Kuba 80 Prozent der auf der Insel benötigten Lebensmittel importieren muss, eine zentrale Herausforderung darstellt.
Die Bereiche Handel und Investitionen haben sich als jene Sektoren erwiesen, in denen ab 2017 dynamischere Impulse auf niedrigem Niveau zu verzeichnen waren. Die kubanisch-europäischen Beziehungen sind jedoch kaum vorangekommen, nicht zuletzt weil direkte Kontakte auf hoher politischer Ebene, bei denen über Menschenrechtspolitik, Handelsinteressen und Demokratieförderung im Paket gesprochen werden könnte, sehr selten sind. Zwar gelang es den Partnern in einer ersten prozessorientierten Phase nach Unterzeichnung des PDCA ihre Beziehungen wiederherzustellen, doch sollte nun eine stärker ergebnisgeleitete Politik Platz greifen, die auf eine Integration der verschiedenen Politikfelder gerichtet ist. Dies läuft zwar dem Interesse der kommunistischen Partei an der Sicherung ihrer Herrschaft zuwider, würde aber eine Reform der Wirtschaft des Landes begünstigen. Die Biden-Administration wie auch die EU könnten dazu ihren Beitrag leisten.
Ohne dass alle Seiten zunächst (wieder) einmal in Vertrauensbildung investieren, wird dieser Weg jedoch weiterhin nur sehr holprig verlaufen und wenig Fortschritte erbringen. Ohne neue politische Impulse im Bereich der regionalen Zusammenarbeit im lateinamerikanischen und karibischen Rahmen und auf globaler Ebene – sei es im Kontext des Amerika-Gipfels oder der EU-CELAC-Kooperation – dürfte eine Erweiterung des Austauschs mit Kuba kaum gelingen. Auf europäischer Seite gilt es, diese Herangehensweise im Rahmen des EU-Aktionsplans für Menschenrechte und Demokratie (2020–2024) in einem multidimensionalen Ansatz zu konkretisieren und in einem bilateralen Kooperationsplan mit Kuba zu verdichten.
Prof. Dr. Günther Maihold ist Stellvertretender Direktor der SWP.
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doi: 10.18449/2021A25