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Politischer Umbruch in Sri Lanka

Innen- und außenpolitische Folgen der Parlamentswahl vom 5. August 2020

SWP-Aktuell 2020/A 69, 04.09.2020, 4 Seiten

doi:10.18449/2020A69

Forschungsgebiete

Die Ergebnisse der 16. Parlamentswahl in Sri Lanka bedeuten in mehrfacher Hinsicht einen politischen Umbruch. Erstens verfügt die 2016 gegründete Sri Lanka Podujana Peramuna (SLPP) mit ihren Verbündeten nun über eine Zweidrittelmehrheit im Par­lament. Premierminister Mahinda Rajapakse und sein Bruder, Präsident Gotabaya Rajapakse, haben daher freie Hand, eine neue Verfassung durchzusetzen. Diese wird ihre Machtfülle und die Privilegien der buddhistischen Bevölkerungsmehrheit stär­ken. Zweitens ist das schwache Abschneiden etablierter Parteien – etwa der United National Party (UNP) und Sri Lanka Freedom Party (SLFP), die seit der Unabhängigkeit 1948 die politische Entwicklung geprägt haben – Ausdruck eines Elitenwandels. Drit­tens schwächt die Fragmentierung der tamilischen Parteien deren traditionelle For­derung nach größerer regionaler Autonomie. Sollten die Rajapakse-Brüder wie in der letzten, 2015 beendeten Amtszeit Mahindas erneut einen autoritären Kurs ein­schlagen, wird die gesellschaftliche Polarisierung sowohl innerhalb der singhale­sischen Mehrheit als auch bei den Minderheiten erneut zunehmen.

Der Ausgang der Wahl 2020 wird in der Rückschau vielleicht als ein noch tieferer Um­bruch erscheinen als jener der Wahl 1956. Mit dem damaligen Sieg der neu gegründeten SLFP über die UNP erhielt der buddhistische Nationalismus ein Sprachrohr, seine Verfechter verschärften in der Folge den Konflikt mit der tamilischen Min­derheit. Regierung und Opposition werden nach der Parlamentswahl 2020 von zwei Parteien gestellt, die erstmals bei einer na­tionalen Wahl antraten. SLPP und Samagi Jana Balawegaya (SJB) samt ihrer politischen Führer sind beide erfolgreich aus parteiinter­nen Auseinandersetzungen hervorgegangen, in denen sie ihre einstigen Mutterparteien SLFP und UNP und deren Eliten ins poli­tische Abseits gedrängt haben.

Der Wandel im Parteienspektrum

Innerhalb der UNP setzte sich im Herbst 2019 Sajith Premadasa, der Sohn des 1993 von den Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) ermordeten Präsidenten R. Premadasa, als Spitzenkandidat für die Präsidentschafts­wahl gegen Premierminister Ranil Wickremesinghe durch. Im Frühjahr 2020 gründete Premadasa die SJB, der sich weitere Parteien anschlossen, unter anderem Jathika Hela Urumaya (JHU), Sri Lanka Muslim Congress (SLMC) und die Tamil Progressive Alliance (TPA). Im Mai kam es zum Bruch mit der UNP, die als eigene Partei bei der Wahl antrat.

Mahinda Rajapakse begann seine poli­tische Karriere in der SLFP und war 2004/05 zunächst Premierminister, bevor er im November 2005 als Kandidat der United People’s Freedom Alliance (UPFA) zum Präsidenten gewählt wurden. Nach partei­internen Auseinandersetzungen unterlag er bei der Präsidentenwahl im Januar 2015 überraschend seinem ehemaligen Gesund­heitsminister M. Sirisena, der sich gegen die diktatorischen Tendenzen der Rajapakse-Familie stellte. Die SLPP, die erst 2016 von früheren Anhängern der SLFP und UPFA gegründet worden war, entwickelte sich rasch zur neuen politischen Plattform für die Rajapakse-Familie. Basil Rajapakse, der jüngste Bruder Mahindas, war ein maßgeblicher Faktor für den Erfolg der SLPP bei den Lokalwahlen 2018.

Tabelle

Ergebnisse der Parlamentswahl in Sri Lanka vom 5. August 2020

Partei

Gewonnene Sitze

Sitze durch Nationale Liste

Gesamtanzahl
Sitze im Parlament

Stimmen­anteil (in %)

Sri Lanka Podujana Peramuna (SLPP)

128

17

145

59,09

Samagi Jana Balawegaya (SJB)

47

7

54

23,90

Ilankai Tamil Arasu Kadchi (ITAK)

9

1

10

2,82

Jathika Jana Balawegaya (JJB)

2

1

3

3,84

Ahila Ilankai Thamil Congress (AITC)

1

1

2

0,58

Eelam People’s Democratic Party (EPDP)

2

0

2

0,53

Thamil Makkal Viduthalai Pulikal (TMVP)

1

0

1

0,58

Sri Lanka Freedom Party (SLFP)

1

0

1

0,57

All Ceylon Makkal Congress (ACMC)

1

0

1

0,37

National Congress (NC)

1

0

1

0,34

Sri Lanka Muslim Congress (SLMC)

1

0

1

0,30

Andere Parteien

2

2

4

3,43

Gesamtzahl

196

29

225

100,00

Quelle: Election Commission of Sri Lanka: <http://elections.gov.lk/en/elections/PE_RESULTS_2020_E.html> (Zugriff am 14.8.2020).

Nachdem Gotabaya Rajapakse bei der Präsidentschaftswahl im November 2019 gegen Sajith Premadasa gewonnen hatte, ernannte er ein Interimskabinett und seinen Bruder Mahinda zum Premierminister. Mahinda Rajapakse war bereits von 2005 bis 2015 Präsident gewesen. Sein Bruder Gotabaya war als Verteidigungs­minister im Mai 2009 für den militärischen Erfolg über die LTTE verantwortlich.

Im März 2020 löste Präsident Rajapakse das Parlament auf. Als Folge des Ausbruchs der Covid-19-Pandemie musste die Wahl auf den 5. August verschoben werden. Der Wahlkampf war geprägt von der wirtschaftlichen Krise, der Sicherheitslage nach den verheerenden Anschlägen am Ostersonntag 2019, den wachsenden Spannungen zwi­schen der buddhistischen Mehrheit und der muslimischen Minderheit sowie vom Um­gang mit der Pandemie. Trotz der pandemie­bedingten Einschränkungen lag die Wahl­beteiligung bei 71 Prozent.

Der Sieg der SLPP fiel mit knapp 60 Pro­zent deutlich höher aus als erwartet. Mit den sechs Sitzen ihrer Verbündeten EPDP, TMVP, SLFP, NC und ACMC gewann sie insgesamt 151 Sitze und damit eine Zwei­drit­telmehrheit im Parlament.

Die Veränderungen in der singhalesischen Parteienlandschaft wirkten sich auch auf die Minderheiten aus. Die Zersplitterung der tamilischen Parteien schwächt die For­derung etablierter Kräfte wie ITAK und AITC nach größerer regionaler Autonomie. Dage­gen arbeiten Parteien wie EPDP oder TMVP, die einstmals aus der Gegnerschaft zur LTTE entstanden, eng mit der Regierung in Co­lom­bo zusammen. Wie attraktiv Rajapakses Wahlversprechen wirkten, zum Beispiel eine bessere wirtschaftliche Entwicklung, zeigte sich auch daran, dass SLPP-Abgeord­nete in 21 von 22 Wahldistrikten gewählt wurden, also auch in tamilischen Gebieten.

Innenpolitische Herausforderungen

In der neuen Regierung von Premierminister Mahinda Rajapakse sind fünf Mitglieder seiner Familie vertreten. 2014 kontrollierten die Rajapakses mit den von ihnen gelei­teten Ressorts bereits ca. 70 Prozent des Staatshaushalts. Verfassungsrechtlich um­stritten ist, dass Präsident Gotabaya zu­gleich als Verteidigungsminister amtiert.

Die größte Herausforderung ist die Wie­derbelebung der Wirtschaft. Bereits vor der Covid-19-Pandemie befand sich das Land in einer Wirtschaftskrise. Im regionalen Ver­gleich hat Sri Lanka die Pandemie relativ gut bewältigt. Bis Mitte August gab es weni­ger als 3 000 Infizierte und nur 11 Tote. Allerdings hat der Einbruch beim Tourismus und bei den Rücküberweisungen die wirt­schaftliche Lage nochmals verschärft.

Dank ihrer Zweidrittelmehrheit im Parlament kann die SLPP eines ihrer Wahl­versprechen, eine neue Verfassung, vermut­lich ohne größere Widerstände einlösen. Premierminister Rajapakse hat bereits an­gekündigt, die Beschneidung der Vollmachten des Präsidenten wieder rückgängig zu machen, die in der 19. Verfassungsände­rung vollzogen wurde.

Im Juni 2020 richtete Präsident Rajapakse zwei Task Forces ein, die vermutlich die künftige Ausrichtung der Verfassung und damit auch neue innenpolitische Konflikt­linien anzeigen. Die erste Task Force soll das buddhistische Erbe in der Ostprovinz fördern. Die Rajapakse-Familie genießt große Unterstützung beim buddhistisch-nationalistischen Klerus, der in der neuen Verfassung weitere Rechte für das »heilige Land des Buddhismus« beanspruchen wird. Die Wiedererrichtung buddhistischer Tem­pel in der Ostprovinz wird den seit Jahr­zehnten schwelenden Konflikt zwischen der tamilischen Minderheit und der singha­lesischen Mehrheit in neuem Gewand aufleben lassen. Davon könnte auch die muslimische Minderheit betroffen sein, deren Hauptsiedlungsgebiet in dieser Pro­vinz liegt. In den letzten Jahren haben die Spannungen zwischen Buddhisten und Muslimen zugenommen. Die Vorbehalte gegen die Muslime haben sich weiter ver­stärkt, nachdem ein lokaler Ableger des »Islamischen Staates« (IS), dessen Anführer aus der Ostprovinz kamen, am Ostersonn­tag 2019 Anschläge verübten, bei denen mehr als 250 Menschen zu Tode kamen.

Die zweite Task Force, die vor allem aus Mitgliedern von Armee, Polizei und Geheim­diensten besteht, soll sich dem Aufbau eines »sicheren Landes, einer disziplinierten, tugendhaften und gerechten Gesellschaft« widmen. Präsident Gotabaya Rajapakse, frü­herer Verteidigungsminister, besetzte hohe Verwaltungspositionen bereits mit einer Reihe ehemaliger Militärs. Damit droht eine »Versicherheitlichung« der srilankischen Demokratie und eine Neuauflage der autori­tären Tendenzen, die in der letzten, bis 2015 dauernden Amtszeit Mahinda Rajapakses und seiner Brüder zu beobachten waren.

Außenpolitische Herausforderungen

Außenpolitisch wird die Rajapakse-Regie­rung weiterhin versuchen, einen Ausgleich in seinen Beziehungen zu China und zu Indien zu finden. China war 2019 zusammen mit der Asiatischen Entwicklungsbank mit jeweils 14 Prozent der größte Gläubiger Sri Lankas. 2017 musste die damalige Regie­rung den Hafen von Hambantota im Süden des Landes für 99 Jahre an China verpach­ten, um Schulden auszugleichen. Der gleich­namige Distrikt ist die politische Heimatprovinz der Rajapakse-Familie. Im Frühjahr 2020 erhielt Sri Lanka ein weiteres Dar­lehen Chinas in Höhe von 500 Millionen US-Dollar zur Bekämpfung der Pandemiefolgen.

Indien engagiert sich vor allem beim Wiederaufbau der tamilischen Gebiete, die im 2009 beendeten Bürgerkrieg gelitten haben. Die Erklärung von Präsident Raja­pakse, nicht politische Dezentralisierung, sondern wirtschaftliche Entwicklung sei die Lösung für die Probleme der Tamilen, war auch ein Rückschlag für Neu-Delhi. Die 1987 von Indien im Rahmen seiner Bemü­hungen um die Beilegung des Bürgerkriegs mitinitiierte 13. Verfassungsänderung ist noch immer die politische Grundlage für eine größere Selbstbestimmung der Tamilen.

Die Förderung des Buddhismus in der Ostprovinz könnte im Zusammenhang mit der indisch-chinesischen Rivalität auch dem Tamilen-Konflikt eine neue geopolitische Dimension verleihen: etwa wenn chine­sische Infrastrukturprojekte oder von China unterstützte Ausgrabungen buddhistischer Anlagen zu Lasten tamilischer Kleinbauern oder hinduistischer Tempel gehen. Ein solches Szenario wäre für Indien besonders herausfordernd, inszeniert sich der indische Premierminister Narendra Modi doch gerne auch als Patron des Buddhismus.

Die neuen politischen Konstellationen werden auch der Diskussion über die Auf­arbeitung von Kriegsverbrechen in der End­phase des Bürgerkriegs im Frühjahr 2009 ein Ende setzen. Ein Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen (VN) dokumentierte 2011 eine Reihe von Kriegs­verbrechen, die sowohl von den LTTE als auch von der srilankischen Armee began­gen wurden. Damals war der jetzige Präsi­dent Gotabaya Rajapakse als Verteidigungs­minister für das militärische Vorgehen der Streitkräfte verantwortlich, das sich auch gegen die Zivilbevölkerung richtete. Im Frühjahr 2020 kündigte die damalige Regie­rung die weitere Zusammenarbeit mit dem Menschenrechtsrat der VN, der diese Fragen wiederholt erörtert hatte.

Ausblick

Das klare demokratische Mandat und die Schwäche der Opposition ebnen vermutlich den Weg für eine Neuauflage der autoritären Herrschaft der Rajapakse-Familie, die schon von 2005 bis 2015 zu beobachten war. Selten zuvor in der demokratischen Entwicklung Sri Lankas haben die persön­lichen und politischen Konflikte der singha­lesischen Parteien so sehr die politischen Kon­stellationen innerhalb der beiden größ­ten Minderheiten beeinflusst. Deshalb dürfte die innenpolitische Polarisierung eher zu- als abnehmen: zwischen den singhalesischen Parteien, zwischen der singhalesischen Mehr­heit und den Minderheiten sowie innerhalb der tamilischen und muslimischen Minder­heit.

Außenpolitisch wird die neue Regierung zwischen Indien und China balancieren, um den Wiederaufbau und die wirtschaft­liche Entwicklung Sri Lankas wieder in Gang zu bringen. Angesichts der geopolitischen Rivalitäten ist es für deutsche und euro­päische Politik schwierig, Einfluss auf die innenpolitische Entwicklung zu nehmen. Einen Hebel bietet die regelmäßige Über­prüfung der Handelsprivilegien, die Sri Lanka im Rahmen des General System of Preferences Plus (GSP Plus) genießt. Deren Gewährung ist unter anderem an die Ein­haltung von Standards bei Menschenrechten und Regierungsführung gebunden. Die innenpolitische Entwicklung in Sri Lanka wird deshalb auch in Berlin und Brüssel weiterhin große Beachtung finden müssen.

Dr. habil. Christian Wagner ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Asien.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2020

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