Die regelbasierte internationale Ordnung ist in der Krise und mit ihr die nukleare Ordnung, die im Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV), im umfassenden Testverbotsvertrag (CTBT) und in den bilateralen Rüstungskontrollverträgen zwischen den USA und Russland zur Begrenzung strategischer Waffensysteme verankert ist. Während die nukleare und konventionelle Rüstungskontrolle erodiert, beschleunigt sich der qualitative Rüstungswettlauf. Neue Waffensysteme und Szenarien nuklearer Kriegsführung stellen die strategische Stabilität in Frage, die im New-START-Vertrag definiert wurde. Seine Verlängerung ist dringlich, um eine weitere Destabilisierung zu verhindern und Zeit für Neuverhandlungen zu gewinnen. Ein Folgeabkommen muss neue technologische und politische Entwicklungen berücksichtigen, um das strategische Gleichgewicht zu sichern und die Glaubwürdigkeit des Abrüstungsgebots des NVV zu erhalten. Der Sitz im Sicherheitsrat bietet Deutschland die Chance, dazu die Initiative zu ergreifen.
Der Abbau der konventionellen und nuklearen Rüstungskontrolle, der schon seit 2002 zu beobachten ist, hat sich beschleunigt. Im August 2019 ist der Vertrag zwischen den USA, Russland und weiteren Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion über die Abschaffung landgestützter Mittelstreckensysteme (INF, 1987) außer Kraft getreten. Bereits 2002 hatten sich die USA aus dem bilateralen Vertrag über die Begrenzung der Raketenabwehr (ABM, 1972) zurückgezogen. Nun ist der New-START-Vertrag von 2010 über die Begrenzung strategischer Nuklearwaffen bedroht. Seine Laufzeit endet in neun Monaten. Sie ließe sich verlängern, doch Washington zeigt sich skeptisch. Der multilaterale Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE, 1990) ist unwirksam, sein Anpassungsabkommen (AKSE, 1999) nicht in Kraft getreten. Zudem ist das Atomabkommen der fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder und Deutschlands mit dem Iran (JCPOA) in Gefahr, und die Trump-Administration erwägt nun auch, den multilateralen Vertrag über den Offenen Himmel (Open Skies) zu kündigen.
Diese Entwicklung demonstriert, dass die Bereitschaft zur präventiven Risikoeinhegung deutlich abnimmt. Somit fehlen Transparenz, Begrenzungen und Verifikation militärischer Potentiale und Aktivitäten als Stabilitätsanker in der Krise.
New-START-Vertrag, ABM-Vertrag und strategisches Gleichgewicht
Am 5. Februar 2021 endet die zehnjährige Laufzeit des New-START-Vertrags. Er begrenzt das strategische Kernwaffenpotential der USA und Russlands auf je 1 550 Sprengköpfe auf je 700 dislozierten Trägersystemen mit interkontinentaler Reichweite. Hinzu kommen 100 Trägersysteme als strategische Reserve. Sie können auch für konventionelle Einsätze verwendet werden. Allerdings gelten die Obergrenzen nur für jene Sprengköpfe, die für die aktiven Trägersysteme gefechtsbereit gehalten werden. Dabei werden strategische Bomber nur wie ein einziger Sprengkopf gezählt, obwohl sie bis zu 20 Schwerkraftbomben oder Marschflugkörper mitführen können. Nicht erfasst werden die nicht gefechtsbereiten Reserve- und Lagerbestände, außer Dienst gestellte Sprengköpfe und solche, die für substrategische Systeme vorgesehen sind.
Die Gesamtzahlen an Kernwaffen betrugen im Juni 2019 um die 6 490 in den russischen und etwa 6 185 in den amerikanischen Beständen. Im September 2019 hatten die USA 1 376 Sprengköpfe auf 668 strategischen Trägersystemen (800 mit Reserve) disloziert, Russland 1 426 Sprengköpfe auf 513 Trägersystemen (757 mit Reserve).
Falls die beiden dominierenden Atommächte, die gemeinsam über etwa 91% der rund 14 000 Kernwaffen weltweit verfügen, sich bis zum Februar 2021 nicht auf eine Verlängerung einigen, wäre auch der New-START-Vertrag Geschichte. Erstmals seit 1972 wären dann strategische Nuklearwaffen weder vertragsrechtlichen Begrenzungen noch der Verifikation unterworfen.
Schon 2001 hatte die Bush-Administration den Vertrag über die Begrenzung strategischer Abwehrraketen (ABM-Vertrag) gekündigt; seit 2002 ist er außer Kraft. Er sollte verhindern, dass eine erweiterte Raketenabwehr die strategische Zweitschlagfähigkeit unterminiert, auf der die gegenseitige nukleare Abschreckung beruht. Die Sorge vor einer erweiterten strategischen Raketenabwehr der USA, aber auch vor der Einführung präziser konventioneller Angriffswaffen mit globaler strategischer Wirkung (prompt global strike) hat russische und chinesische Rüstungsprojekte befeuert. Deren erklärtes Ziel ist es, die Zweitschlagfähigkeit abzusichern. So hat der russische Präsident Putin in seiner Jahresansprache am 1. März 2018 betont, die neuentwickelten russischen Systeme Avangard, Burevestnik, Poseidon und andere seien in der Lage, einen erweiterten US-Raketenabwehrgürtel zu durchdringen oder zu umgehen.
Aber auch die Einführung von kleineren Kernwaffen mit geringerer Sprengkraft (low yield), Hyperschallgleitern, Antisatellitenwaffen, moderner U-Boot-Abwehr und Cyberangriffspotentialen stellt die New-START-Definition von strategischer Stabilität in Frage. In der Nuclear Posture Review von 2018 haben die USA erklärt, dass sie in diesem Rüstungswettlauf einen entscheidenden technologischen Vorsprung wahren wollen. Mehr Präzision und Geschwindigkeit, verbunden mit der Störung von Aufklärung, Frühwarnung, Kommunikation und Führung reduzieren die Stabilität in der Krise. Dazu trägt auch bei, dass die Rolle von Atomwaffen in den Militärdoktrinen wieder aufgewertet wird und die nukleare Rhetorik sich verschärft. Optionen selektiver, regional begrenzter Nukleareinsätze werden nicht mehr ausgeschlossen.
Daher ist die strategisch-nukleare Rüstungskontrolle dringend zu erneuern. Zunächst kommt es darauf an, den New-START-Vertrag zu verlängern, um Zeit für das Aushandeln eines Folgevertrags zu gewinnen. Darin wird der Begriff strategische Stabilität neu definiert und der Regulierungsrahmen erweitert werden müssen. Wegen geostrategischer Asymmetrien sollte er zudem Flexibilität für die Wahl strategischer und substrategischer Waffen gewähren. All das ist in der restlichen Vertragslaufzeit nicht zu bewältigen.
Eine Verlängerung um maximal fünf Jahre ist nach Artikel XIV des Vertrags möglich. Dazu bedarf es administrativer Akte der Präsidenten, in Russland auch der Befassung der Duma und des Föderationsrats. Deren Plazet kann zwar als sicher gelten, da sich der Kreml bereits für die Verlängerung ausgesprochen hat, aber auch dieses Verfahren kann Monate dauern. Daher ist ein positives Signal aus Washington dringlich.
Washington befürchtet jedoch Vorteile für Moskau, sollte der Vertrag verlängert werden, ohne neue russische Waffen einzubeziehen. Zudem erwägt es, den New-START-Vertrag nur dann fortzusetzen, wenn China sich an ihm beteilige. Diese Position ist gegenwärtig unrealistisch. Mit rund 290 Atomsprengköpfen verfügt das Land über ein Potential ähnlich dem Frankreichs (300) und Großbritanniens (200). Gleiches gilt für Chinas Interkontinentalwaffen. Peking lehnt die Multilateralisierung von New START ab, solange die Kernwaffenarsenale der beiden atomaren Supermächte das eigene um jeweils das Zwanzigfache übersteigen. Diese Position unterscheidet sich nicht wesentlich von der Haltung Frankreichs und Großbritanniens. Keinesfalls würde die Restlaufzeit von neun Monaten ausreichen, um sich auf eine substantielle Agenda für multilaterale Verhandlungen zu einigen, geschweige denn, diese erfolgreich abzuschließen.
Allerdings sollte jetzt das Fundament dafür gelegt werden, dass nach weiteren Reduzierungen bei US-amerikanischen und russischen Kernwaffen auch die anderen Kernwaffenstaaten an multilateralen Gesprächen über strategische Stabilität teilnehmen. Dies betrifft die im NVV anerkannten Kernwaffenstaaten ebenso wie jene außerhalb des NVV, wie Indien, Pakistan und Israel. In solchen Unterredungen könnten Nukleardoktrinen und Abschreckungskonzepte besprochen sowie Transparenzmaßnahmen vereinbart werden. Zudem könnte man Leitlinien erörtern, um zu klären, unter welchen Bedingungen und wann sich die übrigen Kernwaffenstaaten an einem Nachfolgevertrag beteiligen. Die Initiative dazu ließe sich im Sicherheitsrat und im Ersten Ausschuss der VN-Generalversammlung ergreifen.
Mittelstreckenwaffen, INF-Vertrag und regionale Gleichgewichte
Mit dem Ende des Vertrags über nuklearfähige landgestützte Mittestreckenwaffen (INF-Vertrag) im August 2019 haben beide Seiten hohe Risiken in Kauf genommen. Der Vertrag von 1987 untersagte Produktion, Besitz, Stationierung und Test von landgestützten ballistischen Raketen und Marschflugkörpern mit Reichweiten zwischen 500 und 5 500 km. Er beendete das Wettrüsten in dieser Waffenkategorie, das seit den späten 1970er Jahren die Sicherheit Europas bedrohte, aus russischer Sicht aber auch eine Komponente enthielt, die sich gegen China richtete.
Seit 2014 haben die USA Russland öffentlich vorgeworfen, mit dem Test und der Einführung von Marschflugkörpern des Typs 9M729 (im Nato-Sprachgebrauch SSC-8) den INF-Vertrag zu brechen, weil die Waffe mit einer Reichweite von über 2 000 km im verbotenen Reichweitenspektrum liege. Die Beweisführung beruht auf Erkenntnissen nationaler Nachrichtengewinnung der USA, die sie den Alliierten im Herbst 2018 zur Kenntnis gaben. Eine kooperative Verifikation fand nicht statt. Das INF-Verifikationsregime war im Mai 2001 vertragsgemäß beendet worden, seine Wiedereinführung ist politisch gescheitert. Die USA kündigten den Vertrag am 2. Februar 2019 mit Billigung der Alliierten, worauf Russland seinerseits mit Kündigung reagierte. Seit dem 2. August 2019 ist er außer Kraft.
Seit Russland 2018/19 SSC-8-Marschflugkörper stationiert hat und die USA im Herbst 2018 ihre Kündigungsabsicht bekanntgaben, diskutiert die Allianz über die Gefahr »nuklearer Abkoppelung« und über Gegenmaßnahmen. Nur 16 Tage nach dem Ende des INF-Vertrags testeten die USA einen landbeweglichen Marschflugkörper im verbotenen Reichweitenspektrum. Dazu nutzten sie das Mk-41 Vertical Launch System, das auf Aegis-Schiffen für den Start von seegestützten Marschflugkörpern (SLCM) des Typs Tomahawk oder Abwehrraketen vom Typ SM-3 in Dienst gestellt ist. In einer modifizierten Version wird dieses Startgerät auch für Aegis-ashore-Systeme zur Raketenabwehr in Europa verwendet. Russland wertet dies seit Jahren als Vertragsbruch, da der INF-Vertrag auch bodengestützte Startgeräte für Mittelstreckensysteme verbietet. Es wurde versäumt, die gegenseitigen Vorwürfe reziprok zu verifizieren und, falls nötig, über technische Zusatzprotokolle vertragskonforme Standardversionen für neue Systeme zu vereinbaren. Damit wurde die Chance vertan, die Krise kooperativ und gesichtswahrend beizulegen.
Zwar weisen Erklärungen der US-Administration über künftige Stationierungsorte darauf hin, dass sie sich auf China konzentriert, doch hat der Nato-Generalsekretär die Stationierung konventioneller INF in Europa nicht ausgeschlossen. Nun kommt es darauf an, einen neuen regionalen Stationierungswettlauf bei landgestützten Mittelstreckenwaffen zu verhindern. Geprüft werden sollte, unter welchen Bedingungen die russischen und französischen Initiativen zu einem Moratorium dazu beitragen können. Solange nicht kooperativ vereinbart und verifiziert werden kann, dass das Standarddesign der SSC-8-Systeme die 500-km-Vertragsgrenze nicht überschreitet, sollte ihr verifizierbarer Rückzug hinter den Ural angestrebt werden. Dann könnten sich die Europäer an der Verifikation durch Vor-Ort-Inspektionen und Beobachtungsflüge gemäß dem Vertrag über den Offenen Himmel beteiligen. Allerdings will das Weiße Haus auch diesen Vertrag kündigen.
Die Diskussion zur strategischen Balance in Europa darf aber auch die Existenz see- und luftgestützter Marschflugkörper (SLCM, ALCM) nicht außer Acht lassen, die vergleichbare Fähigkeiten besitzen, aber keiner vertragsrechtlichen Begrenzung unterliegen. Seit dreißig Jahren hat Washington diese Systeme wiederholt in konventioneller Rolle eingesetzt, vor allem im Nahen Osten. In ihrer Nuclear Posture Review von 2018 kündigten die USA an, SLCM wieder mit nuklearen Gefechtsköpfen auszustatten. Dem US-Hauptquartier in Europa sind vier Aegis-Zerstörer zugeteilt, die SLCM Tomahawk mit einer Reichweite von 2 200 km mitführen. Sie patrouillieren regelmäßig in den europäischen Randmeeren und können von dort aus den europäischen Teil Russlands weitgehend abdecken.
Amerikanische Aegis-Zerstörer attackierten 2017 und 2018 vom Mittelmeer aus syrische Ziele präzise mit SLCM und stellten so deren Leistungsfähigkeit unter Beweis. An diesen Angriffen beteiligten sich zuletzt auch französische Seestreitkräfte mit SLCM und britische Luftstreitkräfte mit ALCM. Mehrere Alliierte, darunter Deutschland, Polen und Finnland, verfügen ebenfalls über weitreichende (konventionelle) Abstandswaffen, die von Kampfflugzeugen abgefeuert werden können.
Russland begann seine Intervention in Syrien im Oktober 2015 gleichfalls mit dem Einsatz von SLCM, nämlich mit zwei Dutzend Kalibr, die von der Kaspischen Flottille gestartet wurden. Mit diesem präzisen Einsatz seegestützter Marschflugkörper über eine Entfernung von 1 600 km hat es bewiesen, dass es vom Kaspischen Meer aus in der Lage ist, die angrenzende südliche Peripherie mit Mittelstreckenwaffen abzudecken, ohne den INF-Vertrag zu brechen. Die russischen SLCM Kalibr und ALCM Kinshal können konventionell oder nuklear bestückt werden.
China, das wie Frankreich über knapp 300 Kernsprengköpfe verfügt, besitzt zwar etwa 1 600 landgestützte Mittelstreckenraketen, vorrangig für konventionelle Einsätze. Das Kerngebiet der USA können sie aber nicht erreichen. Gleichwohl erhöhen sie das Risiko für alliierte Stützpunkte an der Peripherie des Ost- und des Südchinesischen Meeres und beeinflussen so die regionale Kräftebalance. Sie sollen dazu beitragen, im Falle eines Konflikts um Taiwan die Meereszugänge gegen eine Intervention von US-Flugzeugträgergruppen abzuriegeln (A2/AD-Strategie). Für eine operative Bewertung des regionalen Gleichgewichts können allerdings see- und luftgestützte Waffensysteme nicht außer Betracht bleiben, auf denen die erweiterte Abschreckung der USA in der Region beruht.
Die öffentlichen Aufforderungen Präsident Trumps und seiner Sicherheitsberater an China, sich an einer INF-Regelung zu beteiligen, haben weder die regionalen Kräftedispositive noch die globale Unterlegenheit der chinesischen Kernwaffenarsenale berücksichtigt. Daher lehnt Peking es ab, sich in eine INF-Regelung oder den New-START-Vertrag einbinden zu lassen. Ein ernsthaftes Verhandlungsangebot liege nicht vor.
Die Debatte über Mittelstreckenwaffen zeigt, dass künftige Verträge über strategische Stabilität zwar bei den globalen strategischen Fähigkeiten der USA und Russlands ansetzen müssen, aber auch regionale Kontexte, geostrategische Disparitäten und neue Waffensysteme einzukalkulieren sind. Ein neuer New-START-Vertrag könnte diesen Zusammenhang konzeptionell erfassen und unterhalb künftiger Gesamtbegrenzungen Flexibilität für die Zusammensetzung einzelner Komponenten einräumen.
Substrategische Kernwaffen
Künftige Rüstungskontrollvereinbarungen sollten auch substrategische Kernwaffen und Dual-use-Einsatzsysteme einschließen, die nicht in den INF-Definitionsrahmen fallen und keinen Begrenzungen oder Transparenzregimen unterliegen. Dabei könnten die Erklärungen der Präsidenten der USA und Russlands von 1991/92 (Presidential Nuclear Initiatives) wieder aufgegriffen werden. Sie hatten einen freiwilligen und deutlichen Abbau dieser Systeme sowie ihren weitgehenden Rückzug aus europäischen Stationierungsländern zur Folge.
Es handelte sich dabei um Artilleriegranaten, Luftabwehrraketen, landbewegliche taktische ballistische Raketen mit einer Reichweite unterhalb 500 km sowie um Abstandswaffen und Schwerkraftbomben, die von Dual-capable-Kampfflugzeugen (DCA) aus verwendet werden können. Auch heute noch verfügen vorwärts stationierte DCA der USA und – im Rahmen der nuklearen Teilhabe – DCA von vier Nato-Partnern in Europa über die Fähigkeit, US-Freifallbomben einzusetzen. Die Voraussetzung dafür wäre, dass der Präsident der USA in einem bewaffneten Konflikt zur Verteidigung des Bündnisgebietes auf Vorschlag von Nato-Gremien ihre Freigabe anordnet. Neben den F-16-Jagdbombern Belgiens und der Niederlande kommen dafür auch deutsche und italienische Tornado-Kampfflugzeuge in Betracht.
Die in Europa gelagerten etwa 150 amerikanischen Freifallbomben des Typs B61-3/4 werden derzeit auf die modernere Version B61-12 umgerüstet. Sie verfügen jetzt neben einer variablen Sprengkraft (0,3 bis 50 Kilotonnen) auch über eine Lenkzusatzausstattung, die eine mehrfach erhöhte Abwurfpräzision und eine begrenzte Abstandsfähigkeit ermöglicht. Mit der Einführung des US-Stealth-Kampfbombers F-35, der die gegnerische Luftabwehr unerkannt überwinden soll, wird sich die Eindringfähigkeit der Nato-Kampfbomber weiter verbessern. Eine deutsche Entscheidung über ein nuklearfähiges Tornado-Nachfolgemodell steht noch aus. Das geplante deutsch-französisch-spanische Future Air Combat System wird nicht vor 2040 zur Verfügung stehen. Als Interimslösung schlägt das Bundesministerium der Verteidigung vor, amerikanische F-18-Kampfflugzeuge zu kaufen.
Bei der Schwerkraftbombe B61-12 handelt es sich nicht um eine spezifische substrategische Waffe; sie gehört künftig auch zur Standardbewaffnung strategischer Bomber. Die USA verfügen über mehrere Hundert B61-Bomben. Für SLCM beschaffen sie neue Kernsprengköpfe. Dennoch geht die Nato davon aus, dass Russlands 2 000 »taktische« Kernwaffen den substrategischen Beständen der Allianz in Europa quantitativ deutlich überlegen sind, zumal in den europäischen Nato-Staaten keine landbeweglichen Kurzstreckensysteme wie der russische Iskander-Marschflugkörper in Dienst gestellt sind. Seit 2010 hat die Nato daher eine mögliche Reduzierung eigener substrategischer Bestände davon abhängig gemacht, dass die russische Überlegenheit in dieser Kategorie berücksichtigt wird und dass Russland seine taktischen Kernwaffen aus der geographischen Schlagdistanz zu den europäischen Verbündeten wegverlegt.
Dagegen argumentiert Russland, seine etwa 1 820 taktischen Kernwaffen seien zentral gelagert und verteilten sich auf die Luft- und Raketenabwehr (390), maritime Komponenten (820), die Luftstreitkräfte (530) und landbewegliche Kurzstreckensysteme (rund 80). Nur zwei Drittel seien in Europa stationiert, ein Drittel in Asien. Zudem müsse Russland 500 französische und britische Kernwaffen mitberechnen, die keiner Rüstungskontrolle unterliegen.
Die Diskussion über die politische Bedeutung substrategischer Kernwaffen und eine Senkung der Einsatzschwellen lässt sich nicht von der Analyse konventioneller Verteidigungsoptionen trennen. Hierbei fallen Wahrnehmungen asymmetrischer Bedrohungen ins Auge. Wegen der geographischen Nähe russischer Streitkräfte sorgt sich die Nato um die subregionale Kräftebalance im Baltikum. Moskau hingegen rechnet mit der globalen konventionellen Überlegenheit der Nato und befürchtet, auch den technologischen Rüstungswettlauf um die strategische Balance zu verlieren.
Zwar weisen beide Seiten darauf hin, dass der Einsatz von Kernwaffen nur unter extremen und äußerst unwahrscheinlichen Umständen denkbar wäre, etwa wenn das nationale Überleben bedroht sei. Sowohl Washington als auch Moskau argwöhnen aber, dass der Kontrahent in einem regionalen Konflikt Low-yield-Kernwaffen selektiv und zu einem frühen Zeitpunkt einsetzen könnte, um konventionelle Schwächen auszugleichen und die Konfliktbeendigung zu erzwingen, sobald die strategischen Ziele erreicht sind. Die Einführung von Low-yield-Sprengköpfen in den USA und Russland nährt diese Befürchtung.
Zweck des Vertrags über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) von 1990 war es, konventionelle Angriffsoptionen zu eliminieren und so auch die militärische Notwendigkeit zum Einsatz von Nuklearwaffen zu reduzieren. Dazu vereinbarten die Staaten der Nato und des damaligen Warschauer Paktes ein militärisches Gleichgewicht für Europa und seine Subregionen. Spätestens seit der Nato-Osterweiterung von 1999 aber war das KSE-Gleichgewichtsmodell überholt. Daher unterzeichneten die KSE-Vertragsstaaten im selben Jahr ein Anpassungsabkommen (AKSE). Es sollte die bisherige Blockbalance durch nationale und territoriale Begrenzungen für jeden Vertragsstaat ablösen, um destabilisierende subregionale Kräftekonzentrationen zu verhindern.
Infolge des Drucks der Bush-Administration auf die Bündnispartner trat der AKSE nicht in Kraft, während die Nato-Erweiterung fortgesetzt wurde. Die baltischen Staaten sind auch nach ihrem Beitritt zur Nato nicht in den Anwendungsbereich des KSE-Vertrags zurückgekehrt. Russland hat zwar 2004 den AKSE ratifiziert, aber Ende 2007 den überholten KSE-Vertrag suspendiert. Dieser entfaltet deshalb in der Nato-Russland-Kontaktzone keine stabilisierende Wirkung. Das Wiener Dokument der OSZE kann ihn nicht ersetzen, weil es offensivfähige Waffen nicht begrenzt und militärische Aktivitäten nur unzureichend erfasst.
Daher kommt es darauf an, die konventionelle Rüstungskontrolle in Europa zu erneuern und vor allem in der Nato-Russland-Kontaktzone ein Stabilitätsregime zu errichten, um destabilisierende Streitkräftekonzentrationen zu verhindern, militärische Aktivitäten frühzeitig zu erkennen und so das Risiko militärischer Offensiven zu reduzieren. Solche Stabilitätsvereinbarungen könnten auf die Zurückhaltungsverpflichtungen der Nato-Russland-Grundakte zurückgreifen. Eine militärische Entspannung in der Region könnte auch dazu beitragen, die Diskussion über die Senkung der Atomschwellen zu beruhigen.
Vertrag über die Nichtverbreitung von Nuklearwaffen (NVV-Vertrag)
Die wachsende Bedeutung der nuklearen Abschreckung, die Wiederaufnahme des nuklearen Rüstungswettlaufs und die Erosion der Rüstungskontrolle werden die NVV-Überprüfungskonferenz negativ beeinflussen. Sie wurde wegen der Corona-Krise um ein Jahr auf April 2021 verschoben. Dort dürfte die bisher gezeigte Einigkeit der fünf anerkannten Kernwaffenstaaten gegenseitigen Schuldzuweisungen zum Opfer fallen. Das in den USA erwogene Vorgehen, die Atomwaffenpolitik der ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat (P5) nach den Kategorien »verantwortungsvoll« und »verantwortungslos« zu unterscheiden, wird die Mehrzahl der Nichtkernwaffenstaaten nicht überzeugen. Zu befürchten ist vielmehr, dass sich ihre Spaltung in zwei Lager vertieft. Das eine Lager wird seine Sicherheit auf die erweiterte Abschreckung durch die USA stützen, das andere, größere bezweifelt den politischen Willen der P5, die Abrüstungsverpflichtungen nach Artikel VI des NVV einzuhalten, und will den Vertrag über das Verbot von Nuklearwaffen (TPNW) von 2017 in Kraft setzen.
Die Bundesregierung steht dem TPNW skeptisch gegenüber, weil er keine realistischen Schritte zur Reduzierung von Kernwaffen vorsehe und die NVV-Staaten spalte. Der Verbotsvertrag ächtet nicht nur den Einsatz und die Weitergabe von Atomwaffen, sondern auch ihren Besitz, ihre Produktion und ihre Lagerung. Er untersagt die Zusammenarbeit mit Kernwaffenstaaten und diskriminiert somit sie und ihre Verbündeten. Ausdrücklich verbietet er die nukleare Teilhabe und die Mitgliedschaft in einem Bündnis, das Nuklearwaffen als vorläufig unverzichtbaren Teil seiner kollektiven Sicherheitsstrategie definiert.
Gleichwohl versucht Deutschland, positive Signale zu setzen. Der Ansatz, mit »kleinen Schritten« die Voraussetzungen für nukleare Abrüstung, etwa die Verifikation, zu erörtern, soll Brücken bilden, einen Minimalkonsens ermöglichen und so die Einheit der NVV-Staaten wahren. Mit dieser Zielsetzung versuchen mehrere Nichtkernwaffenstaaten, die sich inner- und außerhalb nuklearer Bündnisgarantien positionieren, realisierbare Schritte zu definieren, um künftig weitere Abrüstungsmaßnahmen zu ermöglichen, etwa in der Non-Proliferation and Disarmament Initiative (NPDI).
Die 16 Mitgliedstaaten der Stockholm-Initiative haben am 25. Februar 2020 in Berlin eine Agenda aus Anlass des 50-jährigen Bestehens des NVV verabschiedet, um den NVV-Prozess positiv zu gestalten.
Von den USA ins Leben gerufen wurde die International Partnership for Nuclear Disarmament Verification (IPNDV). Sie erörtert Verifikationsverfahren für den gesamten Kernwaffenkreislauf, von der Produktion von Spaltmaterial über Bau, Montage, Lagerung und Stationierung von Kernwaffen bis zu Demontage, Trennung der Komponenten, Zerstörung und Entsorgung nuklearen Abfalls. 2019 fand in Deutschland eine Übung zur Verifikation der Zerstörung eines Atomsprengkopfes statt. Frankreich hat diese Probe maßgeblich mitgestaltet.
Neben der Diskussion über die Erprobung von Verifikationsverfahren geht es darum, Fortschritte bei der Umsetzung der Verpflichtungen zu erzielen, die in den NVV-Überprüfungskonferenzen 2000 und 2010 (64-Punkte-Aktionsplan) vereinbart wurden. Sie umfassen
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den weiteren Abbau der Atomwaffen,
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die Transparenz der Kernwaffenarsenale,
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den Dialog über Nukleardoktrinen und die Verringerung des Gewichts von Atomwaffen in den Militärstrategien,
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die Verhinderung von Atomkriegen und die Risikoreduktion durch niedrigere Bereitschaftsgrade von Atomstreitkräften und bessere Krisenkommunikation,
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Verhandlungen über ein Produktionsverbot für waffenfähiges Spaltmaterial (FMCT),
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die Achtung des Teststoppmoratoriums und das Inkrafttreten des Vertrags über das umfassende Verbot von Atomtests (CTBT),
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die Stärkung kernwaffenfreier Zonen (KWFZ) und negativer Sicherheitsgarantien (NSA),
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die Einrichtung einer massenvernichtungswaffenfreien Zone im Nahen Osten,
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die Stärkung von multilateralen Verifikationsmechanismen und Sicherungsvereinbarungen mit der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) und
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die Universalisierung des NVV.
Schon ein Bekenntnis der Vertragsstaaten zu diesen Vereinbarungen und ein Dialog über Kernwaffendoktrinen, den die P5 angeboten haben, wären ein bescheidener Erfolg. Überzeugender allerdings wären konkrete Schritte, wie die Verlängerung des New-START-Vertrags, ein INF-Moratorium oder die Inkraftsetzung des Vertrags über das umfassende Verbot von Atomtests.
Die wachsenden Spannungen um das nordkoreanische Atomprogramm und die verschärfte Auseinandersetzung zwischen den USA und dem Iran weisen jedoch in eine andere Richtung. Der Rückzug der USA aus dem gemeinsamen und umfassenden Aktionsprogramm (JCPOA), das den Iran vom Bau einer Atombombe abhält, und ihre Politik des »maximalen Drucks« haben eine weitere Eskalation am Golf hervorgerufen. Washingtons Drohung mit Sekundärsanktionen gegen Verbündete hat auch das transatlantische Verhältnis beschädigt.
Die iranische Führung hat erklärt, sie fühle sich nicht mehr an die Verpflichtungen des JCPOA gebunden, da die USA nicht zur Vertragstreue zurückgekehrt seien. Zudem seien die Europäer (E3) unfähig, die amerikanischen Wirtschaftssanktionen zu umgehen. Die Schwelle für die Urananreicherung von 3,67%, welche die Produktion waffenfähigen Materials verhindern soll, hat Teheran auf 4,5% angehoben. Dennoch hat es die Überwachung seiner Atomanlagen durch die IAEO bisher nicht eingeschränkt. Ob die Auslösung des Schlichtungsmechanismus durch die E3 zur Deeskalation beitragen wird, bleibt fraglich. Sollte der Vorgang schließlich dem Sicherheitsrat vorgelegt werden, wäre das Ende des JCPOA besiegelt und die Gefahr einer weiteren Eskalation wüchse. Eine essentielle Aufgabe bleibt daher, den Handel mit dem Iran wieder in Gang zu setzen, auch wenn die E3 die regionale Rolle des Landes kritisieren.
Schlussfolgerungen
Die aktuellen Krisen sollten nicht von der Dringlichkeit der nuklearen Abrüstung ablenken. Für die Abrüstungsverpflichtung nach Artikel VI NVV gibt es keine Bedingung, die da lautete, zuerst müssten alle Konflikte bereinigt werden und bis dahin habe die Sicherheit einer Staatenminderheit Vorrang vor der Sicherheit der NVV-Staatenmehrheit. Zwar muss eine Spaltung vermieden werden, doch darf der »Ansatz der kleinen Schritte« nicht als Vorwand herhalten, um effektive Abrüstung weiter zu konditionieren, zu verzögern oder gar zu verhindern. Die Erneuerung der Rüstungskontrolle und substantielle Abrüstungsschritte sind dringend geboten. Andernfalls dürfte die Rüstungskontrollarchitektur weiter erodieren, der NVV ernsthaften Schaden nehmen und die Instabilität in Krisen wachsen.
Um dies zu verhindern, bleibt die Bundesregierung sowohl in einer politisch moderierenden als auch in einer konzeptionellen Rolle gefordert. Ihr politisches Gewicht sollte sie nachdrücklich und gemeinsam mit europäischen Partnern in bilateralen Konsultationen, im Bündnisrahmen und im NVV-Kontext einbringen. Der deutsche Sitz im Sicherheitsrat bietet Gelegenheit, die Initiative zu ergreifen. Es geht nun darum,
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den New-START-Vertrag zu verlängern,
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Verhandlungen über einen Nachfolgevertrag zu beginnen, der auch neue militärische Fähigkeiten erfasst,
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dazu Gespräche über die künftige strategische Stabilität zu initiieren und relevante Akteure einzubeziehen,
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den militärischen Fachdialog über Abschreckungsdoktrinen im Nato-Russland-Rat wiederaufzunehmen,
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dabei auch die Bedingungen zu erörtern, unter denen ein Stationierungswettlauf mit landgestützten Mittelstreckensystemen in Europa verhindert werden kann,
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und durch ein verifizierbares Stabilitätsregime in den Nato-Russland-Kontaktzonen zur Deeskalation beizutragen.
Deutungen, nach denen regional begrenzte Kriege mit Low-yield-Waffen denkbar seien, dürfen in den Militärdoktrinen und Streitkräftedispositiven keinen Platz haben. Ein erneutes Bekenntnis zum gemeinsamen Statement der Präsidenten Gorbatschow und Reagan, dass nukleare Kriege nicht gewonnen werden können und niemals geführt werden dürfen, wäre ein wichtiges politisches Signal.
Wolfgang Richter ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik.
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doi: 10.18449/2020A34