Der islamistische Terror breitet sich nicht nur in Mali weiter aus, sondern hat auch die Nachbarländer erfasst. Für die internationale Gemeinschaft besteht das Dilemma darin, dass die regionalen Sicherheitskräfte zumindest Teil des Problems sind – aber ohne sie geht es nicht. Die Corona-Pandemie erhöht den Druck auf die schwachen staatlichen Strukturen in der Region, während sie die Terror-Milizen kaum beeinträchtigt. Als Folge steigt die Terrorgefahr in einem Gebiet von der Größe Europas, direkt in unserer Nachbarschaft, mit schwer absehbaren Auswirkungen auch auf Fluchtbewegungen. Die Bewältigung der Corona-Krise wird vorübergehend alles andere in den Hintergrund drängen. Was bedeutet das für die Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA)? Das Bundeswehr-Mandat für MINUSMA läuft Ende Mai 2020 aus, das der Vereinten Nationen (VN) einen Monat später. Beide Mandate müssen an die neuen Herausforderungen durch Covid‑19 angepasst werden. Die VN sollten Länder wie Burkina Faso und Niger einbeziehen und alle Missionen besser verknüpfen. Das Hauptaugenmerk sollte vorerst auf zivilen und medizinischen Projekten liegen, weniger auf militärischen Fähigkeiten.
Ein Blick zurück: Im Januar 2013 drängte Frankreich mit der »Opération Serval« die Islamisten in Mali zurück, auf Bitten der in Bedrängnis geratenen malischen Regierung. Ende Februar 2013 mandatierte der Deutsche Bundestag zwei Einsätze der Bundeswehr in Mali, zum einen im Rahmen der EU-geführten Ausbildungsmission (EUTM), die das malische Militär befähigen soll, die Sicherheit im Lande selbst wiederherzustellen, zum anderen logistische Hilfe für die Internationale Unterstützungsmission in Mali unter afrikanischer Führung (AFISMA). Als deren Nachfolgemission MINUSMA gemäß der Resolution 2100 (2013) des VN-Sicherheitsrates eingerichtet wurde, passte der Deutsche Bundestag das Mandat der Bundeswehr Ende Juni 2013 entsprechend an. Die aktuelle Resolution 2480 (2019) läuft am 30. Juni 2020 aus und umfasst den Einsatz von bis zu 13 289 Militärs und bis zu 1 920 Polizeikräften, das deutsche MINUSMA-Mandat umfasst bis zu 1 100 Soldatinnen und Soldaten und endet bereits am 31. Mai 2020.
Zweck von MINUSMA ist es unter anderem, die Umsetzung des Friedensabkommens zwischen der malischen Regierung und den bewaffneten Gruppen im Land zu unterstützen. Bestandteil des Mandats ist die Zusammenarbeit mit der EUTM Mali und der EU Capacity Building Mission in Mali (EUCAP Sahel Mali) sowie mit der G5-Sahel-Initiative und der französischen Nachfolgemission »Opération Barkhane«. Das robuste Mandat lässt im Rahmen der Selbstverteidigung und zum Schutz der Zivilbevölkerung einen angemessenen militärischen Handlungsspielraum zu. Die direkte Bekämpfung terroristischer Gruppen ist dabei nur bei unmittelbarer Gefahr vorgesehen.
Prekäre Sicherheitslage
Die französische »Opération Serval« hat die Möglichkeiten und Grenzen einer militärischen Operation aufgezeigt: Solange die Angreifer wie eine Armee auf die malische Hauptstadt Bamako vorrückten, konnten die Franzosen sie wirkungsvoll zurückdrängen. Diese Überlegenheit verschwand unmittelbar, als die Rebellen übergingen in die asymmetrische Kriegsführung in Form von Anschlägen und Überfällen, sowohl gegen militärische als auch – bzw. sogar überwiegend – gegen »softe« zivile Ziele. Weder die malischen Streitkräfte noch die französischen Truppen oder MINUSMA waren (und sind) in der Lage, die Zivilbevölkerung flächendeckend gegen diese Taktik der Nadelstiche zu schützen.
Beschränkten sich die Anschläge anfangs auf den Norden Malis, haben sie sich nach und nach ausgeweitet auf die anderen Landesteile und benachbarte Länder. Mit militärischen Anpassungsmaßnahmen konnte diese Entwicklung bisher nicht gestoppt werden. Die malische Regierung hat versucht, von der Verantwortung der eigenen Sicherheits- und Polizeikräfte abzulenken, indem sie MINUSMA Versagen vorwarf. Wenn aber die Bevölkerung weder die malischen noch die internationalen Streitkräfte als vertrauenswürdigen Bereitsteller von Sicherheit (an)erkennt, gewinnen Schutzversprechen bewaffneter Gruppen an Gewicht.
Laut einem Bericht der VN vom Dezember 2019 verschlechtert sich die humanitäre Lage in Mali zusehends. Etwa 3,9 Millionen Malier benötigen humanitäre Unterstützung, das sind über 20 Prozent der Bevölkerung, Tendenz steigend. Die Anzahl Toter und Verletzter durch Anschläge nimmt signifikant zu, mehr als 1 000 Schulen wurden geschlossen. Die Bevölkerung kann keine Friedensdividende durch die VN-Mission feststellen, eine staatliche Präsenz außerhalb der Hauptstadt ist kaum vorhanden. Dabei geht es nicht nur um islamistischen Terror, sondern auch um Drogenschmuggel, organisierte und allgemeine Kriminalität.
Hinzu kommt, dass das Coronavirus Afrika erreicht hat. Selbst wenn die Folgen noch nicht abzusehen sind, lässt das Zusammentreffen von einem schwachen Gesundheitssystem, schlechter Wasserversorgung (Hygiene), ungenügender Staatlichkeit und einer äußerst fragilen Sicherheitslage nichts Gutes erwarten. Allerdings ist die Bevölkerung in Afrika deutlich jünger als in Europa, was die Anzahl schwerer Krankheitsverläufe in Grenzen halten könnte.
Internationalisierung des Konflikts
Die Sicherheitslage hat sich wegen der Ausbreitung des islamistischen Terrors nicht nur in Mali verschlechtert; die ganze Region ist betroffen. Burkina Faso galt lange als weitestgehend resistent, inzwischen sprechen manche Beobachter von »malischen oder gar syrischen Verhältnissen«. Der Schwerpunkt der Angriffe der Terrorgruppe Islamic State in the Greater Sahara (ISGS) liegt dort, wo Mali, Burkina Faso und Niger aneinandergrenzen, und reicht tief in die einzelnen Länder hinein. Damit entstehen Rückzugsorte, zu denen MINUSMA nicht gelangen kann. Zwar umfasst die G5-Sahel-Initiative mit den Ländern Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad diesen Bereich, ist aber völlig anders konzipiert als MINUSMA.
Die Sicherheitslage in den nördlichen Regionen Ghanas, Benins und Togos wie auch im Nordwesten Nigerias ist schon heute fragil. Sollte der islamistische Terror diese Gebiete erreichen, hätte das fatale Auswirkungen auf ganz Westafrika.
Ein weiteres Problem: Die Sicherheitslage ist hochgradig komplex und volatil. Geht es im Norden Malis in erster Linie darum, den islamistischen Terror einzudämmen, überlagern besonders im Zentrum des Landes ethnische und religiöse Aspekte die unterschiedlichsten Konflikte. Hinzu kommen im ganzen Land verschiedene Selbstverteidigungsgruppen, meist entlang einzelner Ethnien, die dem örtlichen Sicherheitsbedürfnis entspringen, die Gesamtproblematik jedoch verschärfen. Konflikte zwischen nomadisierenden Viehhirten und Bauern sowie der tägliche Kampf um Wasser sind in ganz Westafrika weit verbreitet und machen an den Ländergrenzen nicht Halt.
Die Ausbreitung von Covid‑19 in Afrika wird die Situation vor Ort radikal verändern und zuspitzen. In Burkina Faso steigt die Zahl der Infizierten momentan rasant; und das, obwohl in der ganzen Region nur sehr wenig getestet wird. In westlichen Ländern stützt sich die Strategie zur Eindämmung der Pandemie klar auf elementare staatliche Strukturen. In vielen afrikanischen Ländern wird das so nicht möglich sein. Abstandhalten ist aufgrund der gegebenen Verhältnisse in den meisten afrikanischen Städten nicht umsetzbar. Darüber hinaus hat die Wahrnehmung, das Virus hätten Ausländer eingeschleppt und das Ausland sei dafür verantwortlich, zu Schuldzuweisungen und sogar Übergriffen geführt, zum Beispiel in Kamerun – hochbrisant für das Engagement der internationalen Gemeinschaft.
Mandatsverlängerung MINUSMA
Bis Ende Mai muss der Bundestag über die Verlängerung des MINUSMA-Mandats der Bundeswehr entscheiden. Ohne Berücksichtigung der Virus-Pandemie ergeben sich für ein neues Mandat drei Handlungsoptionen: erstens der Abzug aller Truppen, zweitens die Fortsetzung des Mandats wie bisher, drittens die Aufstockung des Kontingents.
Zieht die Bundeswehr ihre Truppen aus Mali ab, hätte das eine Signalwirkung auf andere Nationen und würde die Truppenstärke der MINUSMA möglicherweise noch mehr reduzieren. Das würde ein Ordnungsvakuum erzeugen und die malischen Sicherheitskräfte in die Verantwortung zwingen. Man dürfte wohl nicht damit rechnen, dass sie sich gegen die islamistische Bedrohung durchsetzen könnten; eher würden sie sich weiter aus der Fläche zurückziehen und in wenigen Kasernen verschanzen. Somit bekämen andere Gewaltakteure zusätzlichen Raum, die Bevölkerung würde noch stärker leiden. Sie würde einen deutschen Rückzug nicht verstehen. Schließlich würde das Verhältnis zu Frankreich schwer belastet.
Die zweite Option, »weiter wie bisher«, wäre zwar ein Beweis der Durchhaltefähigkeit selbst unter zunehmend schwierigen Bedingungen, die Entwicklung der Sicherheitslage in der Region macht aber deutlich: Zeit allein wird das Problem nicht lösen. Der Aufwand für die Eigensicherung wird steigen, dadurch wiederum verringert sich die Schutzwirkung für die Zivilbevölkerung, die Sicherheitslage erodiert immer mehr.
Die dritte Option, eine Aufstockung des deutschen Anteils, könnte die Lage punktuell verbessern und ein positives Signal nicht nur an Frankreich senden. Eine flächendeckende Schutztruppe ist indes wegen der Größe des Gebiets nicht möglich; Mali ist gut dreimal so groß wie Deutschland. Ein paar Tausend zusätzliche Soldaten können die Situation nicht grundsätzlich ändern. Überdies würden die malischen Sicherheitskräfte noch mehr als bisher aus der Verantwortung entlassen.
Alle drei Optionen zeigen klar: Die reine Betrachtung der militärischen Komponenten hilft nicht bei der Bekämpfung des Terrors – und ignoriert die Corona-Pandemie.
Eine neue Strategie
Was also tun? Ein Ansatz wäre, die VN-Truppen der MINUSMA besser auszustatten. Oft wird zum Beispiel beklagt, dass es nicht genügend Hubschrauber gibt, um Einsatzkräfte zur Bekämpfung von Terroristen schnell verlegen zu können. Hubschrauber sind seit Jahren eine der am meisten nachgefragten Kapazitäten in allen Krisenregionen der Welt und gleichzeitig überall Mangelware.
Doch selbst Deutschland konnte von Anfang 2017 bis Mitte 2018 unter erheblichen Anstrengungen nur 8 Hubschrauber (4 Tiger, 4 NH90) zur Verfügung stellen. Es steht zu vermuten, dass auch die anderen großen VN-Truppensteller für MINUSMA, Bangladesch, Burkina Faso, Tschad, Ägypten, Niger, Senegal und Togo, das nicht stemmen könnten. Noch dazu verbietet sich der flächendeckende Einsatz von Hubschraubern aufgrund der Größe des Gebiets von selbst. Kurzum: Die militärischen Fähigkeiten der Mission scheinen weitestgehend ausgereizt.
Vielleicht bietet gerade die Corona-Pandemie Möglichkeiten, eine neue Strategie für MINUSMA zu entwickeln. Die malische Regierung etwa könnte stärker in die Verantwortung genommen werden, denn die Krise verlangt eine zentrale Führung aus der Hauptstadt Bamako. Die Umsetzung vor Ort, die Verteilung von medizinischer Ausrüstung und die Durchführung der Tests erfordern dagegen dezentrale Maßnahmen. Um dies zu koordinieren, müssen die Zentralregierung sowie die Bezirke und Gemeinden Hand in Hand arbeiten. Damit bekäme man als wesentliches Schlüsselelement Staatlichkeit zurück in die Fläche.
Darüber hinaus sind weitere Budget- und Ausbildungshilfen zwingend nötig, ferner muss die Integration der einzelnen Kommunen, der religiösen Führer und der vielen Selbstverteidigungsgruppen vehement vorangetrieben werden. Andernfalls wird die Verteilung der wenigen medizinischen Güter in der Bevölkerung regional entlang der dominierenden Ethnien verlaufen.
Es ist davon auszugehen, dass die Virus-Pandemie alle anderen Bemühungen in den Hintergrund drängen und die staatlichen Strukturen in ganz Westafrika an den Rand des Zusammenbruchs bringen wird. Letztendlich muss sich MINUSMA mit Covid‑19 auf eine ganz neue Situation einstellen, obwohl sie selbst ebenso vom Virus betroffen und möglicherweise sogar gezwungen werden kann, das eigene Engagement vorübergehend zu verringern.
So wird es auch darauf ankommen, die bereits weltweit knappen medizinischen Hilfsgüter teilweise nach Afrika zu schaffen. MINUSMA wird nicht nur danach beurteilt werden, ob sie der Bevölkerung gegen den Terror, sondern auch gegen das Virus hilft. Dabei dürfen die Hilfsmaßnahmen nicht direkt und damit an der Regierung in Bamako vorbei erfolgen, sondern müssen die malische Regierung unterstützen.
Einerseits wäre die Umstellung von MINUSMA aufgrund der medizinischen Notlage angemessen; dies ist wegen der überall begrenzten Ressourcen indes nicht machbar. Andererseits kann der Terror mit der bislang üblichen Vorgehensweise nicht eingedämmt werden. MINUSMA und damit ebenso das Bundeswehr-Kontingent können bestenfalls versuchen, die Herausforderungen der Corona-Krise möglichst kreativ und flexibel anzunehmen, und zwar durch eine stärkere Konzentration auf zivile und medizinische Hilfestellung, aber mit den vorhandenen Kapazitäten. Daher sollte das Bundeswehr-Mandat unverändert verlängert werden. Die VN müssen hingegen Burkina Faso, Niger und weitere Länder in Westafrika sowohl beim Kampf gegen den Terror als auch gegen Covid‑19 besser integrieren. Dazu müssen sie die bestehenden Missionen weiterführen, regional ergänzen und enger verknüpfen.
Fazit
Selbst wenn die Gefahren durch den islamistischen Terror in Mali zunehmen werden, steht fürs Erste die Corona-Krise im Fokus und nicht der Kampf gegen den Terror. Da weltweit Ressourcen knapp sind, kann MINUSMA nicht primär in eine Hilfsmission gegen die Pandemie umgewandelt werden; das Mandat kann die aktuelle Entwicklung jedoch auch nicht ignorieren. Die örtliche Bevölkerung wird genau beobachten, welchen Nutzen die VN-Mission in der neuen Krise bringt, was sich auf die Attraktivität der verschiedenen Gewaltakteure auswirken wird. Also ist die Corona-Krise eng mit der steigenden terroristischen Bedrohung verwoben. Die VN sollten dem mit einer erweiterten Strategie für Westafrika begegnen.
Fregattenkapitän Wolf Kinzel ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Mittlerer / Naher Osten und Afrika.
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doi: 10.18449/2020A27