Der Ausbau von Infrastrukturen hat in den Ländern Ostmittel- und Südosteuropas hohe Priorität. Trotz erheblicher Investitionen in Verkehrswege, den Energiesektor und digitale Technologien bestehen aber große Netzwerklücken und Erneuerungsbedarfe. Während die Europäische Union wichtige Beiträge zur Ertüchtigung von Infrastrukturen leistet, treten im Ostteil der EU nun verstärkt externe Akteure auf den Plan. Für die USA, Russland oder China ist Infrastrukturpolitik nicht nur Innovation und Modernisierung, sondern auch Außen- und Sicherheitspolitik. Unterdessen hat sich eine regionale Plattform von EU-Staaten gegründet, die Drei-Meere-Initiative. Sie möchte die Konnektivität verbessern und so Entwicklung und Zusammenhalt fördern. All diese Aktivitäten haben auch europapolitische und geostrategische Konsequenzen, deren sich Deutschland als bedeutender Partner der Länder im Ostteil der EU bewusst sein sollte.
Die Existenz umfassender, funktionierender und international eingebundener Infrastrukturnetzwerke ist eine Voraussetzung für Prosperität und Sicherheit. Jenseits ihrer Funktion als Unterbau für Wohlfahrt und Modernisierung haben Infrastrukturen aber eine strategische Dimension. Netzwerke und Verbindungsachsen strukturieren, ja kreieren Regionen und politische Räume. Und sie können Staaten dazu dienen, Einfluss auszuüben oder denjenigen anderer zu reduzieren. All das gilt auch für die Länder im Ostteil der EU, wo der Bau von Infrastrukturen seit 1989 bzw. dem Beitritt des jeweiligen Landes zur Gemeinschaft stets hohe Priorität genoss. Mittlerweile spielt die außen- und geopolitische Komponente von Konnektivität dort eine immer wichtigere Rolle. Gründe dafür sind eine Reihe von Spezifika in diesem Raum.
So besteht in allen Ländern großer Nachholbedarf an Infrastrukturinvestitionen. Daher wurde etwa der Ausbau von Verkehrsinfrastrukturen energisch vorangetrieben. Der Anteil an Investitionen in diesem Bereich in den östlichen EU-Ländern lag meist deutlich über dem Niveau Westeuropas. Laut OECD betrugen die Werte, vor allem nach dem Beitritt dieser Staaten zur EU, vielfach über 2% des Bruttoinlandsprodukts. Verglichen mit den alten EU-Mitgliedsländern wurde überproportional in Verkehr und Versorgungsinfrastrukturen investiert. Doch nach wie vor gibt es Defizite bei Dichte und Qualität von Infrastrukturen. Nach einem Bericht, den die polnische Entwicklungsbank BGK in Auftrag gab, müssen bis 2030 für den Ausbau von Netzinfrastrukturen in den EU-Staaten Ostmittel- und Südosteuropas 530 Mrd. Euro aufgewandt werden.
Der östliche Teil der EU ist auch Transitregion für den Gütertransport, vor allem von Ost nach West. Durch Ostmitteleuropa verlaufen zum Beispiel klassische Transportmagistralen für Erdöl und Erdgas von Russland nach Mittel- und Westeuropa. Bahnfracht aus China gelangt bisher vornehmlich über Polen auf EU-Gebiet. Das Volumen ist aber noch sehr gering. Die Dominanz der Ost-West-Transportstränge ist über Jahrzehnte gewachsen. Sie resultiert aus der geographischen Lage Ostmitteleuropas zwischen den wirtschaftlichen Kraftzentren im Westen und in der Mitte Europas einerseits und Gebieten in Osteuropa und Asien andererseits. In der kommunistischen Ära wurde diese Basisstruktur vielfach verstärkt, hatten doch Verbindungen zur Zentrale Moskau Vorrang. Zwar bestehen auch in Nord-Süd-Richtung Verkehrs- oder Energieverbindungen zwischen einigen Ländern der Region, etwa den baltischen Staaten, sind aber oft lückenhaft oder erneuerungsbedürftig.
Überdies ist die Infrastruktursituation in vielen Ländern durch deren semiperiphere Position in der EU geprägt. Aufgrund politischer, wirtschaftsgeographischer oder topographischer Faktoren befinden sich etwa die baltischen Staaten sowie Rumänien und Bulgarien verkehrstechnisch »im Abseits«. Auch gibt es in etlichen Ländern ein Qualitätsgefälle bei der Infrastruktur. Das liegt unter anderem an der starken Ausrichtung auf hauptstädtische Zentren.
Schließlich geht es bei Infrastruktur im östlichen Teil der EU auch um Sicherheitspolitik. Bislang stand dabei der Bau von Energieinfrastrukturprojekten im Vordergrund. So wurden im litauischen Klaipeda und im polnischen Swinemünde Terminals für die Einfuhr von Flüssiggas (LNG) errichtet und zusätzliche Pipelines mit Schubumkehrfähigkeit verlegt. Neue Pipelines sollen alternative Importrouten für Erdgas sichern – so die Baltic Pipe nach Polen für die Einfuhr von Gas aus Norwegen – oder als Interkonnektoren isolierte nationale Märkte verbinden. Die Bemühungen der Nato, Verwundbarkeiten an ihrer »Ostflanke« zu reduzieren, erfordern ebenfalls eine solide Ausstattung mit zivilen wie militärischen Infrastrukturen.
Die neue Relevanz von Infrastrukturen im Ostteil der EU
Zu diesen Rahmenbedingungen treten jüngere Entwicklungen, durch die Infrastrukturen eine neue außen- und sicherheitspolitische Bedeutung erhalten. Zum einen sind mächtige externe Akteure, namentlich Russland, die USA und China, daran beteiligt, Infrastrukturen zu schaffen oder zu vereiteln, und betreiben auf diese Weise Infrastrukturaußenpolitik. Neben bilateralen Initiativen bestehen auch multilaterale Muster, in denen entsprechende Dialoge und Kooperationen verlaufen. China ist mit Ländern aus Ostmittel- und Südosteuropa (einschließlich Nicht-EU-Ländern des Westbalkans) im Format »17+1« im Kontakt. Die USA arbeiten zumindest sektoral mit der Drei-Meere-Initiative (3SI) zusammen, dem lockeren Zusammenschluss von 12 Ländern zwischen Ostsee, Schwarzem Meer und Adria. Sowohl 17+1 als auch 3SI streben an, Infrastrukturprojekte zu verwirklichen.
Zum anderen gibt es in der Region selbst Bestrebungen, auf geopolitische Herausforderungen und die Aktivitäten von Drittländern zu reagieren. So werden in Eigenregie neue Infrastrukturen errichtet und dabei verstärkt außen- und sicherheitspolitische Aspekte berücksichtigt. Die Drei-Meere-Initiative etwa ist ein entwicklungspolitisch definiertes Vernetzungsprojekt, das sich auch in strategischen Kategorien denken lässt.
Russland: Pipelines und Atomkraft
Russland und russische Firmen betreiben vorrangig Energieinfrastrukturpolitik. Dabei konzentrieren sie sich seit ungefähr zwei Jahrzehnten auf Routenpolitik, also die Umleitung des Transits von Erdgas und Erdöl. Hier spielen sowohl geopolitische als auch ökonomische Beweggründe eine Rolle. Mit den Pipelinesystemen Nord Stream und TurkStream will Russland die Ukraine als Transitland für Gas umgehen und direkte Anbindungen an die Verbrauchermärkte in Mittel- und Südosteuropa herstellen. Für den Erdöltransport wurden Terminals in Ust-Luga und Primorsk unweit St. Petersburg errichtet sowie weitere Pipelines verlegt, so das Baltische Pipelinesystem 2 als Abzweig der Druschba-Pipeline nach Ust-Luga. Damit schuf man neue Kapazitäten, um Erdöl per Tanker über die Ostsee zu verschiffen. Schon 2002 hatte der russische Konzern Transneft den Transport von Rohöl in die lettische Hafenstadt Ventspils beendet, indem er eine Pipeline außer Betrieb setzte. Allerdings dürfte die Nordroute der Druschba, die von Russland durch Belarus und Polen nach Deutschland führt, trotz russisch-belarussischer Reibereien nicht zur Disposition stehen.
Ein zweiter Bereich ist der Bau von Kernkraftwerken. In den Ländern der Region, die Atomkraftwerke betreiben oder den Einstieg planen, hegt man (meist politische) Vorbehalte gegen eine Zusammenarbeit mit Russland und bevorzugt die Kooperation mit Partnern aus Frankreich, den USA, Südkorea oder Japan. Eine Ausnahme bildet der geplante Bau zweier neuer Reaktorblöcke im ungarischen Paks durch die russische Firma Rossatom. Das auf ein Volumen von 12,5 Mrd. Euro geschätzte Vorhaben wird durch einen Kredit aus Russland in Höhe von 10 Mrd. Euro mitfinanziert.
In unmittelbarer Nähe zu Litauen wird im belarussischen Ostrovets ebenfalls ein Kernkraftwerk mit russischer Finanzierung und Technologie errichtet. Litauen sieht in dem Projekt erhebliche Sicherheitsmängel und hält das Kraftwerk für ein geopolitisches Instrument, um Belarus noch abhängiger von Russland zu machen. Befürchtet wird, dass Strom aus Ostrovets etwa über Lettland auf regionale Strommärkte in den baltischen Staaten gelangt. Das würde die strikte Abnabelung von Energieimporten aus Belarus und Russland konterkarieren, die Litauen anstrebt.
Bei anderen Infrastrukturen treibt Russland keine größeren Vorhaben in der Region voran. Offenbar haben russische Akteure dafür zu wenig finanzielle Möglichkeiten oder sind mit umfangreichen Infrastrukturprojekten in der Russischen Föderation ausgelastet. Daran dürfte auch wenig ändern, dass die Internationale Investitionsbank (IIB), die aus der Comecon-Bank hervorging, ihren Sitz 2019 von Moskau nach Budapest verlagerte. Dieser symbolische Schritt ließ vermuten, dass die IIB mehr Projekte in der Region unterstützen soll. Doch die Bank, an der die EU-Staaten Ungarn, Tschechische Republik, Slowakei, Bulgarien und Rumänien beteiligt sind, verfügt nur über geringe finanzielle Kapazitäten. Das Eigenkapital liegt bei 350 Mio. Euro, während es bei der Europäischen Investitionsbank (EIB) 243 Mrd. Euro beträgt.
USA: Verhinderungspolitik, Energie und Militär
Die Infrastrukturpolitik der USA im östlichen Europa konzentriert sich auf drei Bereiche, nämlich den Energiesektor sowie digitale und militärische Infrastrukturen. Sie orientiert sich an der Funktion, die Washington der Region in einer globalen Situation von Großmachtkonkurrenz und damit verbundenen Interessenkonflikten zuweist: Auch in diesem Raum soll russischer und chinesischer Einfluss zurückgedrängt werden.
In diesem Sinne sind die USA zunächst einmal bestrebt, den Aufbau von Infrastrukturen zu verhindern. Ausdruck dieser Politik sind etwa Sanktionen gegen Akteure, die am Bau der Pipeline Nord Stream 2 beteiligt sind. Dieselbe Stoßrichtung verfolgt Washington mit seinem Versuch, Länder in der Region bei der Modernisierung ihrer digitalen Infrastrukturen davon abzuhalten, den chinesischen Konzern Huawei zum Zug kommen zu lassen. Anfang September 2019 unterschrieben US-Vizepräsident Pence und der polnische Ministerpräsident Morawiecki eine gemeinsame Erklärung zum Thema 5G. Darin betonten beide Seiten ihren Willen, auf diesem Feld enger zusammenzuarbeiten und sicherheitsrelevante Faktoren bei der Auswahl von Bietern für die Erstellung der neuen Netze zu berücksichtigen. Ähnliche Erklärungen wurden unterzeichnet, als der rumänische Präsident Iohannis im August 2019 seinen Amtskollegen Trump besuchte und als der estnische Ministerpräsident Ratas im November 2019 Vizepräsident Pence traf. Zwar haben Rumänien und Estland nicht ausdrücklich bestätigt, Huawei formell vom Bieterverfahren auszuschließen. Wie andere proamerikanisch orientierte Nato-Mitglieder aus der Region dürften sie allerdings bei ihrer Entscheidung empfänglich für Druck aus Washington sein. Amerikanisches Drängen war wohl auch ein Grund dafür, dass die rumänische Regierung Anfang 2020 beschloss, aus einer Übereinkunft mit dem Konzern China General Nuclear Power (CGN) auszusteigen, die den Bau zweier neuer Reaktorblöcke für das Kernkraftwerk Cernavoda vorsah. Schon 2019 hatten die USA und Rumänien Zusammenarbeit bei der Nutzung ziviler Kernenergie vereinbart.
In einem multilateralen Format haben die USA die Partnerschaft für transatlantische Energiekooperation (PTEC) mit den Ländern der Drei-Meere-Initiative lanciert. Dieses Vorhaben, das der damalige US-Energieminister Perry beim Gipfel der 3SI im Herbst 2018 in Bukarest anstieß, soll »Investitionen in Schlüsselinfrastrukturen für einen Nord-Süd-Energiekorridor beschleunigen«. Die Partnerschaft hat rasch Form angenommen, es fanden zwei Ministertreffen statt, und vier Arbeitsgruppen wurden eingerichtet. Diese beschäftigen sich mit Energieeffizienz und erneuerbaren Energien, Atomkraft, Versorgungssicherheit bei Brennstoffen sowie dem Schutz kritischer Infrastrukturen. Letzteres ist auch Schwerpunkt bilateraler Vereinbarungen im Energiebereich mit Polen sowie den drei baltischen Staaten. Das schließt Fragen der Cybersicherheit ebenso ein wie die Desynchronisierung von Estlands, Lettlands und Litauens Stromnetzen, die bisher zum russisch-belarussischen Verbund gehörten.
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2020 stellte US-Außenminister Pompeo eine Milliarde Dollar für die Länder der Drei-Meere-Initiative in Aussicht. Die Mittel werden von der International Development Finance Corporation (DFC) bereitgestellt und sollen vorrangig für den Ausbau von Infrastrukturprojekten im Energiesektor verwendet werden. Auf diese Weise wollen die USA dazu beitragen, die energiewirtschaftliche Abhängigkeit der 3SI-Länder von Russland zu verringern. Überdies hoffen die USA, dass neue Energieinfrastrukturen amerikanischen Geschäftsinteressen dienen, und zwar beim Export von Flüssiggas in die Region. Über das polnische LNG-Terminal in Swinemünde werden die USA in den nächsten Jahren große Mengen für den polnischen Markt bereitstellen. Es gab bereits erste Lieferungen über Polen in die Ukraine.
Gleichzeitig unterstützen die USA den Ausbau militärischer Infrastruktur. Amerikanische Truppen sind im Rahmen der Nato-Initiative Enhanced Forward Presence (eFP) vor Ort, aber auch gemäß bilateralen Vereinbarungen. Die Europäische Abschreckungsinitiative (EDI), von den USA wegen des Krieges zwischen Russland und der Ukraine geschaffen, sowie andere Maßnahmen Washingtons enthalten auch Komponenten für militärische Bauvorhaben, die erforderlich sind, um Verlegefähigkeiten zu verbessern oder Gerät einzulagern. Allein in der EDI wurden in den Haushaltsjahren 2018 bis 2020 für Infrastrukturmaßnahmen pro Jahr zwischen 338 und 827 Mio. Dollar angesetzt. Nicht alle dieser Mittel flossen ins östliche Europa.
Ob sich die USA künftig stärker bei anderen Infrastrukturprojekten, etwa im Verkehrswesen, einbringen werden, bleibt abzuwarten. Im Zuge einer Reform der amerikanischen Außenwirtschaftshilfe auf Basis des sogenannten BUILD-Act vom Herbst 2018 wurde die DFC als neue Entwicklungsagentur geschaffen. Sie hat nun 60 Mrd. Dollar zur Verfügung, doppelt so viel wie ihre Vorgängerorganisation, und besitzt außerdem neue Finanzierungsinstrumente. Aufgabe der global tätigen DFC ist es auch, die US-Außenpolitik zu unterstützen, indem sie »dem wachsenden Einfluss autoritärer Regimes« entgegenwirkt.
China: großes Potential, überschaubare Resultate
Für China ist der östliche Teil der EU eine unabdingbare Transitzone für chinesische Güter, die auf dem Landweg nach Mittel- und Westeuropa gelangen (sollen). Die Entwicklung der landgebundenen Seidenstraße erfordert zuverlässige und moderne Transportachsen in diesem Teil des Kontinents. Für den direkten Austausch mit Staaten aus Ostmittel- und Südosteuropa sowie seit 2019 auch Griechenland hat China eine multilaterale Gesprächs- und Kooperationsinitiative (16+1/17+1) aufgebaut. Zu den selbstgesetzten Schwerpunkten des 17+1-Rahmens gehören auch Konnektivität und Infrastrukturbau. Beim 17+1-Treffen im April 2019 in Dubrovnik wurden Richtlinien für die Zusammenarbeit festgelegt. Darin betonten die Teilnehmer abermals die hohe Relevanz von Infrastrukturprojekten, Eisenbahnverbindungen und Logistikzentren. Am Rande des Treffens in Dubrovnik hat ein Zusammenschluss von Entwicklungsbanken aus der Region und China (China-CEEC Inter-Bank Association) eine Initiative zur Finanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen im 17+1-Kontext gegründet. Darüber hinaus hat die China Development Bank (CDB), Teil des Zusammenschlusses, bilaterale Vereinbarungen mit den EU-Ländern Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Kroatien getroffen. Sie räumt ihnen Kreditlinien zwischen 100 und 300 Millionen Euro ein.
Schaut man auf bislang Erreichtes, bleiben die Resultate chinesischer Aktivitäten in der Region insgesamt und gerade im Infrastruktursektor überschaubar. Dies wundert wenig, denn verglichen mit den Ländern im Westen und Süden der EU bleiben Ostmittel- und Südosteuropa beim chinesischen Investitionsaufkommen weit zurück. Die kumulierten Investitionen von 2000 bis 2018 dort machen weniger als 2% des Gesamtvolumens in der EU aus. Bisher lagen die Schwerpunkte offenbar auf der Zusammenarbeit mit Staaten des Westbalkans, die nicht der EU angehören und darum keinen Zugriff auf Mittel der EU-Strukturpolitik haben, und die zudem teils politisch wie ökonomisch schwächeln. Dorthin flossen rund 70% der Investitionen, die China bis 2019 im 17+1-Format tätigte.
In den EU-Ländern Ostmittel- und Südosteuropas sind indes bisher nur wenige Projekte umgesetzt worden. Zu den Ausnahmen gehören der Kauf von Mehrheitsanteilen am Hafen in Piräus durch die chinesische Reederei COSCO sowie die Sanierung der Bahnverbindung zwischen Budapest und Belgrad. Letztere soll vorrangig durch Kredite der chinesischen Exim Bank finanziert werden. Der ungarische Streckenabschnitt soll von ungarisch-chinesischen Joint Ventures gebaut und betrieben werden. Beide Vorhaben sind Teil der geplanten China-Europe Land-Sea Express Line. Über sie sollen Waren, die per Schiff nach Piräus gelangen, auf dem Landweg bis nach Mitteleuropa transportiert werden.
Jenseits dieser wenigen Flaggschiffprojekte mit chinesischer Mitwirkung lassen sich einige neuere Entwicklungen im östlichen Teil der EU ausmachen. So möchten sich chinesische Firmen verstärkt am Bau neuer Straßen und Eisenbahnen beteiligen. Ein Großvorhaben, bei dem dies gelang, ist die Pelješac-Brücke in Kroatien, die zu 85% von der EU finanziert wird. Errichtet wird sie von der China Road and Bridge Corporation. Chinesische Baufirmen versuchen auch in anderen Ländern der Region Fuß zu fassen. Sichtbar ist zudem ein anhaltendes Interesse an Hafenanlagen und damit verbundenen Logistikterminals sowie die Fortentwicklung von Hinterlandverkehren zur Anbindung an große städtische Zentren. Neben Piräus sind Triest und Rijeka in der Nordadria Beispiele hierfür. Wenngleich die Bahnnetze noch unzureichend sind, könnten die beiden Städte als Anlandepunkte für den Güterverkehr nach Mitteleuropa dienen. Auch am litauischen Klaipeda sind chinesische Investoren interessiert. Neue Varianten für die Transportwege der Eisernen Seidenstraße (Silk Railroad) werden in einigen Ländern gleichzeitig geprüft. Damit sollen Engpässe auf der bisherigen Hauptroute über die Verladestation Małaszewicze an der polnisch-belarussischen Grenze vermieden werden. Über sie werden 90% der Fracht transportiert, die auf dem Landweg von China in die EU gelangt. Beispiele für Alternativen sind die künftige Nutzung bestehender Breitspurverbindungen ins polnische Sławków oder ins slowakische Kaschau. Anfang 2020 erreichte der erste Zug aus China das Logistikzentrum in Sławków.
Die Drei-Meere-Initiative
Die Drei-Meere-Initiative ist ein lockerer Zusammenschluss von 12 EU-Staaten zwischen Ostsee, Adria und Schwarzem Meer. Ihr Ziel lautet, die Konnektivität zwischen den Mitgliedsländern zu verbessern und die wirtschaftliche Konvergenz mit dem Westteil der Union voranzubringen. Gegründet 2016 auf einem Gipfeltreffen im kroatischen Dubrovnik, will die 3SI die Kooperation im Energiesektor, im Verkehrswesen, bei digitaler Kommunikation und in Wirtschaftsfragen vertiefen. Auf diese Weise möchte sie den östlichen Teil der EU sicherer und wettbewerbsfähiger machen und damit einen Beitrag zur Festigung des Binnenmarkts sowie zur Einheit der EU und ihrer Resilienz leisten. Besonderen Wert legt sie darauf, Nord-Süd-Verbindungen zu schaffen.
Die Mitglieder haben sich bisher auf 48 multilaterale, bilaterale und nationale Projekte in den Bereichen Verkehr, Energie und Digitales geeinigt. Zum ersten Bereich gehören beispielsweise Fracht- und Verkehrskorridore. Schienen- und Straßenbauprojekte wie Rail Baltica und Via Baltica sollen Nordosteuropa besser mit Mitteleuropa verbinden, Via Carpatia wiederum die Ostsee mit dem Schwarzen Meer und der Ägäis. Im zweiten Bereich geht es um Energieinfrastrukturen. Über den Nördlichen Gaskorridor soll Gas aus Norwegen via Dänemark nach Polen und weiter gelangen. Das Gaspipelineprojekt BRUA soll Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Österreich vernetzen. Und auf der kroatischen Insel Krk wird ein LNG-Terminal gebaut. Projekte im dritten, nämlich digitalen Bereich schließlich sind etwa eine Drei-Meere-Datenautobahn und ein Smart City Forum.
Viele der Projekte existierten schon vorher und wurden später mit dem 3SI-Etikett versehen. Die 3SI betont, dass ihre Projekte in die EU und deren Instrumente eingebettet sind. Vorhaben wie der Baltisch-Adriatische Korridor oder der Verkehrskorridor E65 von Schweden nach Griechenland sind Bestandteile des TEN-T-Netzwerks der EU. Andere Projekte sind bereits durch EU-Mittel finanziert oder sollen es künftig werden.
Die Initiative hat sich seit ihrer Gründung konsolidiert und konkretisiert. Nicht nur wurden Arbeitsgruppen gebildet und Fortschrittsberichte zu einzelnen Projekten erstellt. Mit einem Business Forum und einem Netzwerk von Handelskammern wurde auch versucht, wirtschaftliche Akteure in die Initiative einzubeziehen. Im Mai 2019 wurde ein Investitionsfonds für die 3SI geschaffen, um Vorhaben nach kommerziellen Grundsätzen zu unterstützen. Ursprünglich von der polnischen BGK und der rumänischen EximBank gegründet, verfügt der Fonds über 500 Mio. Euro eingezahltes Kapital. Die angestrebte Zielmarke von 3 bis 5 Mrd. Euro Eigenkapital und die ambitionierte Hebelung auf Finanzierungskapazitäten von bis zu 100 Mrd. Euro werden aber nicht einfach zu erreichen sein.
Die 3SI wird besonders von Polen vorangetrieben und ist ihrem Selbstverständnis nach komplett frei von geopolitischen Motiven. Letzteres wird mit dem Projektcharakter sowie der Akzentuierung von Wirtschaft und Konnektivität begründet. Dennoch sind geostrategische Kalküle nicht zu übersehen. Das gilt in erster Linie für Polen, denn es betreibt die Anbindung der USA an die Initiative. Ein deutliches Signal hierfür war die Teilnahme von US-Präsident Trump am 3SI-Gipfel in Warschau im Juli 2017. Zumindest potentiell ist die 3SI also ein geopolitischer Faktor in Europa. Vor allem Polen und proamerikanisch ausgerichtete Länder in der Region können sie nutzen, um die Bindungen zu den USA zu stärken. Vielleicht wird in Zukunft auch eine sicherheitspolitische Dimension der 3SI entwickelt.
Deutschlands Engagement in der Initiative ist insgesamt durchaus sinnvoll. Als Partnerland hat sich Deutschland mit hochrangigen Vertretern an den 3SI-Gipfeln in Bukarest und Ljubljana beteiligt. Berlin strebt überdies die Mitgliedschaft in der Initiative an. Hierfür spricht nicht nur die starke wirtschaftliche Verflechtung mit der Region, sondern auch die Möglichkeit, einer künftigen geostrategischen Drift des Zusammenschlusses entgegenzuwirken.
Ein »infrastructural turn« in der Region?
In der Zusammenschau greifen mehrere Entwicklungen im östlichen Teil der EU ineinander. Großmächte und Akteure außerhalb der Region verstärken ihr Engagement bei Infrastrukturen. Zunehmende Vernetzung, etwa im Verkehrsbereich oder durch Diversifizierung im Energiesektor, trifft auf Formen der »Entnetzung«, so Russlands Politik der Transitumleitung und Versuche anderer Länder, sich von Russland abzunabeln. Zweifellos spielen hier wirtschaftliche Interessen eine wichtige Rolle: Ob im Energiesektor, bei Digitaltechnologien oder im Transportwesen, überall geht es den Akteuren auch darum, ökonomische Chancen zu nutzen. Zwar besaßen Infrastrukturprojekte latent immer eine außenpolitische Komponente, doch werden sie in der Region nun stärker im Lichte von Einflussnahme und Einflussverhinderung betrachtet. Die in Ostmittel- und Südosteuropa traditionell verankerten geopolitischen Vorstellungen werden durch geoökonomische Erwägungen revitalisiert und ergänzt. Pipelines, Häfen, Straßen und Digitaltechnologien genießen dabei hohen Stellenwert. Freilich bedeutet das nicht gleich einen »infrastructural turn«, also eine neue Vorrangstellung von Infrastrukturen, Konnektivität und Mobilität für Innen- und Außenpolitik. Gleichwohl ist die wachsende Relevanz von Infrastrukturen ein Indiz für die Rückkehr von Raumkonzepten, die Reterritorialisierung von Politik und eine größere Sensibilität für Raum (»sense of space«) in der Region. Ostmittel- und Südosteuropa sind hierbei keine Ausnahme, sondern Beispiel für eine globale Entwicklung.
Für externe Mächte bildet der Ostteil der EU ein Gebiet mit zahlreichen Möglichkeiten, Einfluss auszuüben und sich Zugang zur Gemeinschaft zu verschaffen. Auch weist er bedeutende infrastrukturelle Scharniere zu instabilen Nachbarregionen wie Osteuropa oder den Westbalkan auf. Die Länder der Region selbst hingegen befinden sich in einer zwiespältigen Situation. Einerseits möchten sie nicht zum Spielball äußerer Mächte oder zum Austragungsgebiet für deren Interessenkonflikte werden. Andererseits wollen sie sich die Präsenz von Mächten wie USA, Russland oder China zunutze machen: Enge Anbindungen an diese können auch dazu dienen, die Abhängigkeit von anderen Externen zu reduzieren oder Gegenmacht in der EU zu bilden.
Bei alldem sind die Relationen zu beachten. Auch muss verdeutlicht werden, was bislang nicht geschah: Anders als im Westbalkan ist kein Staat der EU durch externe Projektfinanzierung in eine Schuldenfalle getappt. Hauptgrund ist, dass die EU weitaus mehr Instrumente für Infrastrukturfinanzierung hat als andere Akteure. Zu nennen sind hier der Strukturfonds, die Connecting Europe Facility, der Europäische Fonds für strategische Investitionen, das Programm für ein Digitales Europa oder die EIB. Dennoch gilt es, die Entwicklungen in der Region aufmerksam zu beobachten. So wäre darauf zu achten, ob wie in Griechenland infrastrukturelle Brückenköpfe entstehen, die für einzelne Länder ökonomisch äußerst wichtig sind. Im Auge behalten sollte man auch die Folgen der Präsenz externer Akteure im Bereich der »soft infrastructure«, also bei Planung, Bau, Betrieb, Finanzierung sowie Standard- und Regelsetzung. Von Belang können künftig Felder sein, in denen sich die EU aus der Finanzierung zurückzieht. Die Umorientierung der Strukturpolitik sowie der EIB-Förderkriterien weg von klimaschädlichen Infrastrukturen könnte zur Folge haben, dass Länder in der Region sich zur Finanzierung von Infrastruktur an Externe wenden.
Deutschland und die Infrastrukturpolitik im EU-Ostteil
Deutschland ist politisch und wirtschaftlich eng mit den Ländern in Ostmittel- und Südosteuropa verwoben. Die Infrastrukturpolitik in diesem Teil der EU betrifft daher unmittelbar politische und wirtschaftliche Interessen Deutschlands. Wirtschaftspolitisch ist es daran interessiert, dass Infrastrukturverbindungen mit den Ländern der Region sowie zwischen und in ihnen ausgebaut und modernisiert werden. Schon Handelsaustausch und Lieferketten allein erfordern moderne und diversifizierte Verkehrsinfrastrukturen. Gleiches gilt für die Transitfunktion der Region im Warenhandel mit Asien. Allerdings können neue Transportrouten bewirken, dass das Frachtaufkommen in deutschen Häfen sinkt.
Europapolitisch ist Infrastrukturpolitik ein wichtiges Instrument für den Zusammenhalt. Der Ausbau von Infrastruktur in Richtung Ostmittel- und Südosteuropa unterstützt auch politisch die Vertäuung Deutschlands mit Nachbarn und Partnern. Infrastrukturpolitik ist daher auch Element deutscher Mitteleuropa- und Randstaatenpolitik in der EU. Nachdem das Pipelineprojekt Nord Stream 2 erhebliche Differenzen zeitigte, ist Deutschlands kooperatives Engagement bei Infrastrukturvorhaben umso mehr gefragt. Ansatzpunkte dafür bietet die Drei-Meere-Initiative.
Außenpolitisch geht es Deutschland darum, die EU strategisch und vor allem geoökonomisch gegenüber externen Akteuren zu stärken und keine neuen Abhängigkeiten durch Infrastrukturen entstehen zu lassen. Deutschland sollte daher in der EU darauf hinarbeiten, dass europäische Infrastrukturpolitik einem »Strategiecheck« unterworfen wird. Resilienzfördernden Projekten sollte demgemäß zusätzliche Unterstützung zuteil werden.
Im Einzelnen könnten folgende Schritte erwogen werden:
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Deutschland könnte prüfen, ob es sich in Finanzierungskonstrukte für die Region einbringt. So könnte die Förderbank KfW in den Fonds der Drei-Meere-Initiative einzahlen. Denkbar wären auch projektbezogene Beteiligungen.
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Zu den Schwerpunkten deutschen Engagements könnte gehören, Energieinfrastrukturen im Kontext des Green Deal der EU zu unterstützen oder anzustoßen. Dies gilt gerade auch mit Blick auf die 3SI. Während die Länder der Region Fortschritte im Bereich konventioneller Energien machen, hinkt der Ausbau erneuerbarer Energien und entsprechender Netzinfrastrukturen vielfach hinterher.
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Deutschland könnte mit ostmittel- oder südosteuropäischen Ländern bi- oder multilaterale Arbeitsgruppen zu digitalen Infrastrukturen einrichten. Im Mittelpunkt sollten 5G-Technologie, Cybersicherheit und Netzresilienz stehen. Besetzt werden sollten diese Gruppen mit Vertretern aus einschlägigen Ministerien, Wirtschaft und Wissenschaft.
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Die Länder der 3SI, aber auch die Visegrád-Gruppe, die baltischen Staaten oder einzelne andere Länder könnten ressortübergreifende Konnektivitäts- und Infrastrukturdialoge mit den Ländern in Ostmittel- und Südosteuropa initiieren. Hierbei könnten Planungsschwerpunkte, wirtschaftlicher Nutzen, aber auch sicherheitspolitische Implikationen von Infrastrukturvorhaben reflektiert und gemeinsame Projektprioritäten ermittelt werden. Beteiligt werden könnten Außen-, Wirtschafts-, Verteidigungs- und Umweltministerien, Förderbanken, Bundesländer oder Regionen sowie einschlägige Unternehmen.
Dr. Kai-Olaf Lang ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe EU / Europa.
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ISSN 1611-6364
doi: 10.18449/2020A17