Im Rat der EU wird derzeit der Vorschlag einer Europäischen Gesundheitsunion diskutiert. Dabei ist vorgesehen, das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) zu stärken und sein Mandat auszuweiten. Vor diesem Hintergrund können sich das ECDC und die EU-Mitgliedstaaten für eine neue Rolle des ECDC starkmachen. Während das politische Gewicht der Mitgliedstaaten nötig ist, kann das ECDC seine regionalen und bilateralen Partnerschaften ausbauen, um über entwicklungspolitische Projekte Gesundheitssystemstärkung zu fördern. Dadurch böte sich dem ECDC die Möglichkeit, einen entscheidenden Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung und zur Agenda 2030 zu leisten.
Mitte November kündigte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides den Aufbau einer Europäischen Gesundheitsunion an. Dafür unterbreitete die Kommission Vorschläge, die neben einem Beschluss zur Begegnung grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren legislative Neuerungen für die Europäische Agentur für Arzneimittel als auch für das ECDC vorsehen.
Das ECDC als ein Kernstück der geplanten Gesundheitsunion hat bislang nur ein begrenztes Mandat, Mitgliedstaaten bei der Überwachung, Früherkennung und Analyse von Gesundheitskrisen zu unterstützen. Dabei ist es primär auf Europa ausgerichtet und spielte international eine eher unbedeutende Rolle.
Laut Kommissionvorschlag soll sich dies ändern: Das ECDC soll global eine Führungsrolle einnehmen, indem es internationale Netzwerke sowie eine EU Health Taskforce aufbaut. Letztere soll in der EU und in Drittstaaten bei Infektionsausbrüchen eingesetzt werden. Das Potential des ECDC, weltweit Gesundheitssysteme zu stärken, wird zwar erkannt, aber nicht ausgeschöpft. Der Vorschlag lässt überdies entwicklungspolitische Perspektiven vermissen.
In den kommenden Monaten werden die Details in den Vorbereitungsgremien des Rates der EU und im Europäischen Parlament diskutiert. Der deutsche Gesundheitsminister hat als Verfechter einer globalen Rolle des ECDC unter den europäischen Partnern noch Überzeugungsarbeit zu leisten, denn Akteure wie Frankreich stehen noch nicht hinter dem Vorhaben. Gleichzeitig fehlen entwicklungspolitische Stimmen in der Debatte.
Warum das ECDC eine globale Ausrichtung braucht
Die Covid-19-Pandemie verdeutlicht die gemeinsame Verwundbarkeit von Ländern und ihren Gesundheitssystemen. Trotz eigener Betroffenheit ist Europa verantwortlich und in der Lage, andere Staaten und Organisationen bei der Eindämmung der Pandemie zu unterstützen. Das Motto der EU Global Strategy von 2016 lautet denn auch: »My neighbour’s and my partner’s weaknesses are my own weaknesses«. So ließe sich das ECDC mit einem Mandat ausstatten, das nicht nur auf internationalen Infektionsschutz beschränkt ist. Die Agentur kann durch Stärkung von Gesundheitssystemen dazu beitragen, dass das für die Gesundheit und das Wohlbefinden aller Menschen weltweit geltende Ziel nachhaltiger Entwicklung (SDG3) erreicht wird.
Ein verstärktes Engagement in globaler Gesundheit würde das ECDC und die EU als Partner für multilaterale Zusammenarbeit anschlussfähiger machen. Die USA, lange Hauptakteur in globaler Gesundheit, verabschiedeten sich inmitten der Pandemie von der internationalen Bühne. Auch wenn der designierte Präsident Joe Biden ankündigte, die USA würden ihre Führungsrolle in globaler Gesundheit wieder aufnehmen, werden sie zunächst damit beschäftigt sein, die Pandemie im eigenen Land zu bewältigen und internationales Vertrauen zurückzugewinnen. Damit wachsen Erwartungen an die EU, globale Gesundheit proaktiv zu gestalten.
Das ECDC kann auch die Umsetzung der wertorientierten Außenpolitik der EU unterstützen. Ein zentraler Wert der globalen Gesundheitspolitik der EU ist dabei das Recht auf Gesundheit. Ihm kann das ECDC in der internationalen Zusammenarbeit Geltung verschaffen, indem es sich für resiliente Gesundheitssysteme engagiert. Sein originärer Fokus auf Krankheitsprävention und Überwachung schafft außerdem die Basis für Bemühungen, außereuropäische Gesundheitssysteme bei Krisenprävention und Gesundheitsschutz zu unterstützen und Erfahrungen auszutauschen. Beispielhaft ist das Centers for Disease Control and Prevention (CDC) der USA, das sich als Entwicklungsakteur unter anderem für globalen Gesundheitsschutz und die Eindämmung von HIV und Tuberkulose einsetzt. Das ECDC kann auf eigene Stärken aufbauen und einen europäischen Ansatz für die Stärkung von Gesundheitssystemen und Infektionsschutz beisteuern.
Ein globales Mandat
Die Gründungsverordnung verleiht der Agentur das Mandat, global zu agieren, wenn Ausbrüche von Infektionskrankheiten die Gesundheit von EU-Bürgerinnen und ‑Bürgern bedrohen. Dafür soll das ECDC mit Drittstaaten und ihren Behörden (Artikel 3) sowie mit internationalen Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zusammenarbeiten (Artikel 9).
Die globale Handlungsfähigkeit lässt sich aus zwei Prinzipien ableiten, die für das Engagement der EU in diesem Feld gelten: dem Menschenrecht auf Gesundheit und dem Gesundheitsschutz. Zurzeit werden weltweite Aktivitäten des Zentrums vorrangig mit dem Infektionsschutz der europäischen Bevölkerung begründet und beschränken sich mehrheitlich auf Projekte in Europas Nachbarschaft; der Kommissionsvorschlag und die International Relations Policy des ECDC von 2018 gehen in dieselbe Richtung.
Künftig könnte das ECDC verstärkt mit dem Menschenrecht auf Gesundheit und dessen Durchsetzung als Beitrag zum SDG3 argumentieren und Projekte über die Nachbarschaft hinaus anvisieren.
Bisheriges internationales Engagement
In Anlehnung an die International Relations Policy 2014–2020 ist das ECDC global darum bemüht, Krankheitsausbrüchen vorzubeugen, auf sie zu reagieren und die Gesundheitssysteme von Partnerländern an EU-Standards anzugleichen, bis hin zu deren Integration in EU-Systeme zum Infektionsschutz (siehe Grafik).
Trotz internationalen Engagements fehlt aber der globale Blick. So wurden Beziehungen zu den afrikanischen Zentren für Krankheitskontrolle und Prävention (Africa CDC) erst kürzlich und zu WHO-Regionalbüros außerhalb Europas noch gar nicht formalisiert.
Projekte des ECDC fokussieren sich bislang auf die Nachbarschaft, nicht aber auf Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen, deren gesundheitliche Situation bedeutsam ist für die globale Gesundheit. Dabei bezeichnete die EU-Kommission Afrika ausdrücklich als einen »natürlichen Partner und Nachbarn der EU«.
Gesundheitssystemstärkung als Aktionsfeld
Laut WHO EURO bestehen Gesundheitssysteme aus zehn Kernbereichen, den Essential Public Health Operations (EPHO). Dieses Rahmenwerk lässt sich nutzen, um Verhalten zu motivieren und/oder die Ressourcennutzung im Gesundheitssystem zu optimieren. Ziel ist, dadurch dessen Leistungsfähigkeit und Dienstleistungen zu verbessern. Die Arbeit des ECDC kann in vier EPHOs verortet werden:
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Überwachung der Gesundheit und des Wohlbefindens von Menschen (EPHO 1);
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Monitoring und Reaktion bei Gesundheitsrisiken und Notfällen (EPHO 2);
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Krankheitsprävention inklusive Frühwarnsysteme (EPHO 5);
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Sicherstellung von kompetentem Gesundheitspersonal (EPHO 7).
So kann das ECDC seine Arbeit als Teil von Gesundheitssystemstärkung begreifen, ausbauen und als handlungsweisenden Überbau für externe Politiken nutzen. Zentral ist es, Bezüge zu entwicklungspolitischen Projekten anderer EU-Institutionen und -Staaten herzustellen oder sie als Gemeinschaftsprojekte aufzusetzen, um Doppelungen zu vermeiden und Expertise zu bündeln. Ferner gilt es zu prüfen, welche weiteren Bereiche von Gesundheitssystemen das ECDC stützen könnte: So kann es etwa als Informationskanal, technischer Kooperationspartner und Umsetzer eine gesundheitssystemstärkende Rolle spielen.
Empfehlungen für eine strategische Neuausrichtung
Eine Stärkung des ECDC scheiterte bisher an Souveränitätsvorbehalten der Mitgliedstaaten im Gesundheitssektor. Eine globale Ausrichtung hat das Potential, mehr Rückhalt bei EU-Staaten zu finden, wenn klar wird, dass damit Aufgaben international geteilt werden, was europäische Staaten nicht verdrängt, sondern ihre Politiken ergänzt.
Frankreich und Deutschland haben Ratsschlussfolgerungen zur WHO durch ein Non-Paper initiiert und mit einer bilateralen Initiative für Corona-Wiederaufbau die Idee aufgebracht, im ECDC eine Health Task Force zu bilden. Doch das Duo wird bei einem globalen Ausbau des ECDC nicht leicht zusammenkommen, da Frankreich mit weiteren EU-Staaten eigene Ziele in globaler Gesundheit bekundet. Gleichzeitig wurde im Zuge des Brexits und der Pandemie ein Quartett aus Italien, Spanien, Deutschland und Frankreich möglich, das sich mit der nötigen Überzeugungsarbeit auch dafür nutzen lässt, dass das ECDC eine globale Rolle spielen kann. So könnten sich über derzeit gute deutsche Beziehungen zu Italien weitere Verbündete finden, um in Schlüsselbereichen Impulse zu geben:
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Nachhaltige Ausrichtung: Ein erweitertes Mandat und eine neue Strategie des ECDC für internationale Politik sollten globale Aktivitäten verstärkt mit dem Menschenrecht auf Gesundheit begründen und in der Agenda 2030 verorten.
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Entwicklungspolitische Akteure: Die fehlende entwicklungspolitische Sicht in Kommissionsvorschlägen zur Gesundheitsunion ist insofern nicht verwunderlich, als sie von der Gesundheitskommissarin konzipiert wurden und unter EU-Gesundheitsministerinnen und ‑minister diskutiert werden. Nötig ist das Engagement der Entwicklungsakteure; die Gruppe Entwicklungszusammenarbeit im Rat könnte sich mit dem Anliegen befassen.
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Intensivierung und Aufnahme internationaler Partnerschaften: Für das ECDC ist es ratsam, stärker mit WHO-Regional- und Länderbüros sowie Public Health-Instituten zu kooperieren. Der Anstoß zu einer Partnerschaft mit dem Africa CDC ist ein wichtiger Schritt, der unter der Entwicklungszusammenarbeit der EU läuft. Nun geht es um die Ausgestaltung durch gesundheitssystemstärkende Initiativen, die sich nicht nur auf Gesundheitsschutz konzentrieren.
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Entwicklungspolitische Projekte: Von zentraler Bedeutung ist, für die Langfristigkeit, Nachhaltigkeit und finanzielle Absicherung von Projekten zur Stärkung von Gesundheitssystemen einzutreten. Ein Fonds zur Finanzierung des globalen ECDC-Engagements wäre ein möglicher Weg.
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Robuste Rahmenbedingungen: Politisch braucht es Initiativen von Entwicklungsakteuren, das ECDC prominenter in globaler Gesundheit zu platzieren. Finanziell ist nicht nur eine Erhöhung der Gelder notwendig, sondern auch die Möglichkeit, sie flexibel einzusetzen, damit Projekte nachhaltiger werden. Nicht zuletzt sind mehr Personalstellen im ECDC und Kontaktstellen in internationalen Partnerorganisationen zu schaffen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat für 2021 einen Global Health Summit angekündigt. Globale Gesundheit dürfte also weiterhin auf der europäischen Agenda bleiben. Will die EU sich langfristig in einer diversifizierten Landschaft von Akteuren behaupten, die sich für globale Gesundheit engagieren – gegenüber China, der Afrikanischen Union und Indien, die an Gewicht gewinnen, und gegenüber den USA, die wieder eine Rolle spielen werden –, ist das ECDC stärker global einzubinden. EU-Staaten können über das ECDC eigene Prioritäten bei der Stärkung von Gesundheitssystemen setzen. Das ECDC würde damit auch zu einem Pfeiler der externen Dimension einer künftigen Europäischen Gesundheitsunion.
Susan Bergner ist Wissenschaftlerin und Isabell Kump ist Forschungsassistentin in der Forschungsgruppe Globale Fragen. Sie arbeiten im Projekt »Globale Gesundheit«, das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert wird.
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doi: 10.18449/2020A102