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Der Streit um die Domain .org

Spiegelbild der Konflikte um die Legitimität von ICANN

SWP-Aktuell 2020/A 08, 10.02.2020, 4 Seiten

doi:10.18449/2020A08

Forschungsgebiete

Seit 2003 wurde die Web-Domain .org von der Non-Profit-Organisation Public Internet Registry (PIR) verwaltet. Nun soll die PIR an die private Investmentfirma Ethos Capital verkauft werden. Viele zivilgesellschaftliche Organisationen nutzen .org-Domains. Sie fürchten Preissteigerungen, politische Einschränkungen und Sicherheitsrisiken. Mit seinem diplomatischen Gewicht sollte Deutschland diesen Sorgen bei der Entschei­dung über .org Geltung verschaffen. Der Streit um .org hat aber noch eine zweite Dimension: Ein weiteres Mal zeigt sich, dass die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) nicht über die Legitimität verfügt, strittige politische Fragen zu entscheiden. Dieses strukturelle Problem wird sich so bald nicht lösen las­sen. Deutschland sollte sich daher um diplomatische Schadensbegrenzung bemühen, auch in kritischer Auseinandersetzung mit dem ICANN-Vorstand. Die diesjährige Jah­res­hauptversammlung von ICANN in Hamburg bietet dafür eine gute Gelegenheit.

Im vergangenen Jahr war Deutschland Gast­geber der Jahresversammlung des Internet Governance Forum (IGF) der Vereinten Nationen. Im Einklang mit dem IGF-Motto »One World. One Vision. One Net« haben Bundesregierung wie Bundestag sich hier­bei als Verfechter eines freien, offenen und wirklich globalen Internets präsentiert. Be­tont wurde zudem die Bedeutung von Multi­stakeholder-Institutionen wie dem IGF.

Die Auseinandersetzungen um die Zu­kunft der Domain .org sind eine Gelegenheit, den Anspruch deutscher Politik auf eine aktive Rolle in der Internet-Governance praktisch wirksam werden zu lassen. Im konkreten Streit um .org sollte sich Deutsch­land dafür einsetzen, dass die an die Do­main .org geknüpften Interessen der Zivil­gesellschaft berücksichtigt werden. Über­dies gilt es aber auch, auf die tieferliegenden Konflikte um die Legitimität von ICANN durch proaktives diplomatisches Handeln einzuwirken.

Der Streit um den Verkauf der Registry für die Domain .org

Jedes mit dem Internet verbundene Gerät verfügt über eine eindeutige numerische IP‑Adresse. Weil IP-Adressen für Menschen schwer zu handhaben sind, gibt es Domain-Namen. Deren Leserichtung geht von rechts nach links: Die »Top Level Domains« (TLD) (zum Beispiel .org oder .de) befinden sich am Ende einer Internet-Adresse. Als Näch­stes folgen die »second level domains« (zum Beispiel swp-berlin.org), denen wiederum Subdomains zugewiesen werden können (zum Beispiel www.swp-berlin.org).

An der Vergabe von Domains sind heute verschiedene Institutionen beteiligt: ICANN entscheidet, welche TLD neu angelegt wer­den und an welche Institutionen die Ver­waltung neuer und bereits bestehender Domains vergeben wird. Diese Institutionen werden als Registries bezeichnet. Eine Regis­try wiederum arbeitet in der Regel mit diver­sen, als Registrars bezeichneten Firmen zu­sammen, bei denen Endkunden »second level domains« kaufen können.

Seit 2003 ist die Public Internet Registry (PIR) die zuständige Registry für die Top-Level-Domain .org. Sie regelt die Vergabe von Subdomains mit der Endung .org, die insbesondere zivilgesellschaftliche Akteure gerne nutzen. Im Bereich der Domain .org sind aktuell mehr als 10 Millionen »second level domains« registriert. Tatsächlich gehört die Domain .org zu den überhaupt ersten TLD, die 1985 eingerichtet worden sind. Bis 1992 wurden alle Domains über das Stanford Research Institute – Network Information Center verwaltet. Von da an übernahm die Firma Network Solutions Inc. (NSI) die Verwaltung; NSI wurde später von der Firma Verisign aufgekauft. Zum 1. Ja­nuar 2003 wurde auf Basis einer Entschei­dung von ICANN (in Abstimmung mit dem US Department of Commerce) die Verwaltung der TLD .org von Verisign an die PIR übertragen.

PIR, eine Non-Profit-Organisation nach US-Recht, befindet sich im alleinigen Besitz der Internet Society (ISOC), ebenfalls eine Non-Profit-Organisation in den USA. ISOC, das von einigen der frühen Begründer des Internets ins Leben gerufen wurde, hat sich zum Ziel gesetzt, die technische Fort­entwicklung des Internets zu fördern. Unter anderem finanziert die ISOC maßgeblich die Treffen der Internet Engineering Task Force (IETF).

Im November 2019 erklärte ISOC über­raschend die Absicht, die PIR – und damit die Kontrolle über die Domain .org – an die US Investmentfirma Ethos Capital LLC zu verkaufen. Als Kaufpreis wurde die Summe von 1,135 Milliarden US-Dollar genannt. Erklärtes Ziel von ISOC ist es, damit eine nachhaltige wirtschaftliche Grundlage für die eigenen Aktivitäten zu schaffen.

ICANN muss den Verkauf allerdings zu­vor bestätigen. Wie beschrieben delegiert ICANN die Verwaltung von TLD. Ändert sich der Eigentümer der Institution, der ICANN diese Aufgabe zugewiesen hat, kann ICANN dem widersprechen. Im Extremfall könnte ICANN die Verwaltung der Domain einer anderen Organisation übertragen. Eine Ent­scheidung hierzu hat ICANN für den 17. Fe­bruar angekündigt.

Die Kritik an den Verkaufsplänen

Als die Pläne zum Verkauf der Registry von .org bekannt wurden, riefen sie erhebliche Kritik zivilgesellschaftlicher Gruppen her­vor. Diese haben sich mittlerweile unter dem Slogan #SaveDotOrg organisiert. Vier US-Senatoren (darunter Elizabeth Warren) und zwei Kongressabgeordnete der Demo­kraten haben sich der Kritik angeschlossen und ICANN aufgefordert, den Verkauf zu stoppen. Die Kritiker bemängeln, dass der geplante Verkauf gerade zivilgesellschaft­liche Gruppen in besonderer Weise belas­ten, einschränken und gefährden würde:

Erstens argumentieren sie, dass in der Folge des Verkaufs der Registry die Preise für .org-Subdomains steigen werden. Ak­tuell liegt der Preis, den Endverbraucher für eine noch nicht vergebene .org-Domain zu zahlen haben, bei etwa 10–25 Euro im Jahr. Befürchtet wird, dass diese bei Do­mains übliche jährliche Gebühr angehoben wird und zudem möglicherweise höhere Gebühren für die erstmalige Registrierung und für Vertragsverlängerungen eingeführt werden könnten. Nur so sei der hohe Kauf­preis für ein profitorientiertes Unternehmen wie Ethos Capital annehmbar. Käme es zu den ver­muteten Preiserhöhungen, würde dies wahrscheinlich einzelne Betrei­ber von .org-Domains nicht allzu stark belasten. Angesichts von 10 Millionen .org-Domains würde die Zivilgesellschaft in der Summe aber durchaus erhebliche Beträge an eine private Investment-Firma zahlen müssen.

Zweitens haben einige Äußerungen von Ethos Capital die Sorge genährt, der neue Eigentümer könne – gewissermaßen als Service für Unternehmen und autoritäre Staaten – politische Einschränkungen bei der Nutzung der Domain .org einführen. So könnte die Firma etwa Vorgaben machen, für welche Art von Inhalten .org-Domains genutzt werden dürfen.

Drittens wird befürchtet, dass Ethos Capi­tal um der Steigerung des Profits willen an Sicherheitsvorkehrungen sparen könnte. Dies betrifft den Schutz der Daten der Do­main-Inhaber vor unbefugtem Zugriff, aber auch den Schutz jener technischen Infra­struktur vor Sabotage und Manipulation, die der Verknüpfung von Domains und IP-Adressen dient.

Viertens werden all diese Sorgen durch Unklarheiten verstärkt, die Ethos Capitals Firmenstruktur betreffen. Die Firma exis­tiert erst seit einem Jahr und hat keinerlei einschlägige Erfahrungen mit der Verwaltung von TLD vorzuweisen. Für den Kauf von PIR ist zudem eine vielfach verschach­telte vertragliche Konstruktion zwischen den beteiligten Unter­nehmen geplant.

Warum sich Deutschland gegen den Verkauf stellen sollte

ISOC und PIR haben inzwischen auf die Kritiker geantwortet und angeboten, unter anderem die jährlichen Preiserhöhungen für .org-Subdomains freiwillig auf 10 % zu beschränken. Doch die Lage wird weiter verkompliziert: Eine Gruppe von Personen, zu denen neben anderen die Geschäfts­führerin von Wikimedia gehört, hat mitt­lerweile angeboten, eine Genossenschaft nach US-Recht zu bilden, um die Domain .org im Interesse der Zivilgesellschaft zu übernehmen.

Da ISOC bisher nicht von seinen Verkaufsplänen abrückt, liegt die Entscheidung aktuell bei ICANN. Ob der Vorstand von ICANN allerdings wie angekündigt am 17. Februar eine endgültige Entscheidung treffen wird, bleibt abzuwarten. Angesichts des Umgangs von ICANN mit politisch ähn­lich kontroversen Fällen ist nicht ausgeschlossen, dass die Entscheidung noch ein­mal vertagt wird.

Deutschland sollte auf diplomatischem Wege dafür eintreten, dass bei dieser Ent­scheidung die Interessen der Zivilgesellschaft berücksichtigt werden, und das in transparent nachvollziehbarer Weise. Nach gegenwärtigem Sachstand bedeutet dies, dass Deutschland sich gegen den Verkauf der Registry an Ethos Capital in der jetzt geplanten Form aussprechen sollte.

Die bisherige Annahme war, dass sich die PIR als Non-Profit-Organisation und Tochter der gemeinnützigen ISOC den Interessen der Zivilgesellschaft verpflichtet fühle. Wie zutreffend diese Annahme in der Vergangenheit gewesen ist, sei dahin­gestellt. Mit dem geplanten Verkauf an eine profitorientierte Investmentfirma ist jeden­falls klar, dass ein solcher Vertrauens­vorschuss nicht mehr angemessen ist.

Deutschland sollte insofern darauf drän­gen, dass im Rahmen der künftigen Dele­gation der Domain .org rechtlich tragfähige Schutzmechanismen eingeführt werden, die den Interessen der Zivilgesellschaft gerecht werden. Dies sollte unabhängig da­von geschehen, welche Institution letztlich als Registry fungieren wird – wobei in Kauf zu nehmen, letztlich sogar in gewis­sem Sinne wünschenswert wäre, dass ent­sprechende Vorgaben den Marktwert der Registry senken würden. In einem noch weitergehenden Schritt wäre denkbar, die Domain .org zu einem globalen öffent­lichen Gut zu erklären und davon abgeleitet etwa vorzugeben, dass die Registry Gebüh­ren für die Vergabe von Domains nur in dem Maße erheben darf, wie dies für den Betrieb der technischen Infrastruktur notwendig ist.

Diesen Überlegungen steht der Wunsch von ISOC entgegen, »ihre« Domain gewinn­bringend zu veräußern. Dabei gilt es jedoch zu bedenken, dass die Domain eben nicht ISOC gehört. ICANN delegiert die Verwaltung von TLD an Organisationen, ohne ihnen damit das Eigentum an den Domains zu übertragen. ISOC hat darum nicht das Recht, mit der Domain nach eigenem Gut­dünken zu verfahren.

Der strukturelle Konflikt um die Legitimität von ICANN

Während sich die Kritik am Verkauf der Registry für .org zunächst gegen ISOC rich­tete, gerät zunehmend auch ICANN in Bedrängnis. Im Kern lautet der Vorwurf, dass ICANN bei seinen Entscheidungen die Interessen der Zivilgesellschaft nicht hin­reichend berücksichtige.

Im konkreten Fall wird ICANN vorgewor­fen, mit einer Entscheidung im Frühjahr 2019 die Grundlage für den Verkauf der Registry von .org geschaffen zu haben. Damals hatte ICANN – gegen erheblichen Widerstand – entschieden, die Beschränkungen für Preiserhöhungen aufzuheben, die für Subdomains im Bereich von .org galten. Bis dahin durften die Preise nur um bis zu 10 % jährlich erhöht werden. Mit der Aufhebung dieser Beschränkung ist die Marge möglicher Einnahmen aus der Ver­waltung von .org erheblich größer gewor­den. Ohne diese Änderung hätte die Regis­try wohl keinesfalls einen Verkaufspreis von über einer Milliarde US-Dollar erzielt.

Erschwerend kommt hinzu, dass ein früherer ICANN-Geschäftsführer, Fadi Chehade, den geplanten Verkauf an Ethos als Berater begleitet hat. Einige Kritiker führen dies als Beleg dafür an, dass sich in diesem Fall einflussreiche »Insider« auf Kos­ten der Zivilgesellschaft bereichern.

Letztlich offenbart sich hier eine grundsätzliche Legitimitätslücke: ICANN ist für seine Leistungen bei der technischen Koor­dinierung des globalen Domain Name Sys­tems (DNS) weithin anerkannt. Ihre im Kern funktional begründete Legitimität reicht je­doch nicht aus, um in politisch umstrittenen Fragen eine Entscheidung zu treffen, die von den Beteiligten als hinreichend legitim betrachtet würde (vgl. SWP-Studie 12/2019).

Der Streit um .org ist insofern vergleichbar mit der Kontroverse um die Domain .amazon, bei der sich das US-Unternehmen Amazon und die Anrainerstaaten des Ama­zonas gegenüberstehen.

Das Problem der begrenzten Legitimität von ICANN ließe sich nur im Zuge um­fassender Reformen des gesamten Institu­tionengefüges in der globalen Internet-Governance lösen. Da diese nicht zu erwar­ten sind und zugleich der Druck auf die bestehenden Institutionen seitens autoritärer Staaten zunimmt, bleibt für Deutschland vorläufig nur, sich diplomatisch um Schadensbegrenzung zu bemühen.

Zum einen sollte die Bundesregierung den Vorstand von ICANN dazu bewegen, bei seinen Entscheidungen in transparent nachvollziehbarer Weise die Interessen der verschiedenen Stakeholder zu berücksichtigen. Weil die Entscheidungen von ICANN in Fällen wie diesen im Ergebnis immer kontrovers bleiben werden, rückt die Legi­timität der Verfahren in den Fokus. Das bis­herige Agieren des Vorstands von ICANN im Streit um .org war hier kontraproduktiv. Dringend gilt es zu verhindern, dass der Ein­druck aufkommt, ICANN stelle die Inter­essen der Unternehmen über die Interessen der Zivilgesellschaft.

Zum anderen sollte die Bundesregierung ihr diplomatisches Gewicht und die Erfah­rungen in der Konfliktmediation einsetzen, damit Konflikte wie die um .org oder .amazon im Einvernehmen zwischen den Parteien gelöst werden. Ziel sollte es sein, eine Entwicklung dieser Konflikte zu ver­meiden, die für die Institution ICANN – und damit auch für das Modell der Multi­stakeholder-Governance – zu einer Gefähr­dung werden könnte. Will die deutsche Politik dieses Modell verteidigen, gilt es, auf den ersten Blick scheinbar geringfügigen Konflikten wie dem Streit um einen Domain-Namen mit einer pro-aktiven Diplomatie zu begegnen. Dafür bietet sich im Oktober eine günstige Gelegenheit, wenn die Jahreshauptversammlung von ICANN in Hamburg stattfinden wird.

Dr. Daniel Voelsen ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Globale Fragen.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2020

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ISSN 1611-6364