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Ein Präsidialsystem »türkischer Art«

Konzentration der Macht auf Kosten politischer Gestaltungskraft

SWP-Studie 2019/S 04, 21.03.2019, 37 Seiten

doi:10.18449/2019S04

Forschungsgebiete

Dr. Günter Seufert ist Senior Fellow in der SWP-Forschungsgruppe EU / Europa.

Das neue Präsidialsystem in der Türkei ist für seine Verfechter der Schlüssel, um alle Probleme des Landes zu lösen – ob es um die endgültige Überwindung bürokratischer Vormundschaft über die gewählte Regierung geht oder um eine Verkürzung der Entscheidungswege, die eine effektive Wirtschaftspolitik ermöglichen soll. Doch bietet das System tatsächlich die Grundlage dafür, dass die Türkei innenpolitisch zur Ruhe kommt? Garantiert es wirk­lich mehr Stabilität, und eröffnet es so die Chance, allmählich zu demo­kratischen Reformen zurückzukehren? Schafft es vielleicht sogar die Bedin­gungen dafür, den EU-Beitrittsprozess des Landes wieder aufzunehmen, wie es die türkische Regierung in den letzten Wochen und Monaten verkündet hat? Pragmatiker hoffen darauf, dass Präsident Erdoğan sich bereits nach den nächsten Wahlen seiner Macht vollkommen sicher sein und deshalb zu einer gemäßigten Politik zurückkehren werde. Denn nach den Kommunalwahlen, die für den 31. März 2019 angesetzt sind, habe die türkische Regierung fast fünf Jahre ohne Urnengänge vor sich und könne deshalb erneut Reformpolitik betreiben.

Doch wie ist es um die Reformfähigkeit der Türkei bestellt, wenn die Konzentration aller Macht in den Händen des Staatspräsidenten dessen politischen Spielraum gar nicht erweitert, sondern im Gegenteil beschränkt? Wenn die Sicherung der eigenen Kontrolle mit dem Verlust politischer Gestaltungskraft erkauft wird? Wenn nur der Schulterschluss mit Kräften, die jegliche Reformagenda ablehnen, das Monopol der Macht erhält? Vieles spricht dafür, dass genau damit die heutige Situation in der Türkei umschrieben ist.

Problemstellung

Am 24. Juni 2018 gewann Recep Tayyip Erdoğan zum zweiten Mal nach 2014 die Wahl zum türkischen Staatspräsidenten. In den allgemeinen Wahlen, die zeitgleich stattfanden, erreichte das Bündnis zwi­schen seiner Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) und der rechtsextremen Partei der Natio­nalistischen Bewegung (MHP) die absolute Mehrheit im Parlament. Außerdem wurde an diesem Tag offi­ziell der Übergang vom parlamentarischen System zu einem Präsidialsystem »türkischer Prägung« voll­zogen. Damit scheint die Herrschaft Erdoğans lang­fristig gesichert. Bei seinen Wählern erfreut er sich eines starken und stabilen Rückhalts. Das neue System macht ihn nicht nur in der Exekutive zum allein entscheidenden Faktor, sondern gewährt ihm auch weitreichende Möglichkeiten, den Gang der Dinge in Legislative und Judikative zu bestimmen.

Was hat die AKP dazu bewogen, ihrem Vorsitzenden den Weg zur faktischen Alleinherrschaft zu ebnen? Zwar regiert die Partei das Land seit 2002, doch war sie in dieser Zeit wiederholt mit Interventionen der hohen Gerichtsbarkeit bis hin zu einem Verbotsverfahren konfrontiert, ebenso mit Drohungen des Militärs, in die Politik einzugreifen. Aus AKP-Sicht galt es deshalb, die »Vormundschaft« einer juris­tischen, militärischen und bürokratischen Oligarchie über das Parlament und die von ihm gewählte Regie­rung zu beseitigen. Dass die Partei ursprünglich die absolute Mehrheit im Parlament besaß und die Regie­rung stellte, schien zu jener Zeit dafür nicht auszureichen. Die Macht sollte deshalb zusätzlich über eine exekutive Präsidentschaft abgesichert werden, die tief in Bürokratie und Justiz hineinwirken kann und auch das Militär unter Kontrolle hat. Ideologisch versteht sich die AKP als muslimisch-konservative Partei, die die Identität und die Intentionen einer frommen Nation verkörpert – einer Nation, der eine säkulare bürokratische Oligarchie gegenübersteht. Von dieser Vor­stellung eines muslimisch-konservativen Charak­ters der Nation ist es nur ein kleiner Schritt hin zu einer Religions-, Kultur- und Bildungspolitik, die explizit anstrebt, eine »gläubige und fromme Jugend« heran­zuziehen. Die AKP hält es erklärtermaßen für ein zentrales Manko, dass es ihr auch nach 16 Jahren an der Regierung noch nicht gelungen sei, die gesell­schaftliche Sphäre vollständig zu dominieren.

Aus dieser Sicht gilt es, mit Hilfe des neuen Systems die säkular-kemalistische Weltanschauung zurück­zudrängen, ja die gesamte Bevölkerung der Türkei in ein konservatives Korsett zu zwängen. Auch in ihrer Wirtschaftspolitik sah sich die AKP-Regierung ein­geschränkt. Neben Berufsverbänden und Gerichten identifizierte sie die Bürokratie als eine Vetomacht, die gegen Privatisierungen, Private-Public-Partnership-Projekte, die Zuteilung von Staatsland an private Investoren und die Lockerung von Umweltschutz­vorschriften opponiert. Der direkte Zugriff des in sei­ner Rolle gestärkten Präsidenten auf alle staatlichen Institutionen soll die Bürokratie verschlanken, Ent­scheidungsprozesse und Befehlsketten verkürzen und so staatliches Handeln effektiver machen. Ein vom Parlament unabhängiger exekutiver Staatspräsident soll außerdem verhindern, dass – wie vor der Regie­rungszeit der AKP – Koalitionen und damit unterschiedliche Parteiinteressen die Regierung lähmen.

Für seine Verfechter war und ist das Präsidial­system der Schlüssel, um alle Probleme des Landes zu lösen – die in dieser Perspektive auf engste mit­einander verwoben sind. Doch bietet das neue System tatsächlich die Grundlage dafür, dass die Türkei innenpolitisch zur Ruhe kommt, trotz anhaltender Säuberungen und eines weiteren Verfalls der Rechts­staatlichkeit, trotz aktueller Wirtschaftskrise und militärischer Interventionen Ankaras in Syrien und im Irak? Garantiert das System wirklich mehr Stabi­lität, und eröffnet es so die Chance, allmählich zu demokratischen Reformen zurückzukehren? Schafft es vielleicht gar die Bedingungen dafür, den EU-Beitrittsprozess des Landes wieder aufzunehmen, wie es die türkische Regierung in den letzten Wochen und Monaten verkündet hat?

Regierungsnahe Kreise in der Türkei reduzieren alle aktuellen Schwierigkeiten auf eine Krise des Übergangs vom alten System zum neuen. Sie sagen eine baldige Stabilisierung voraus – zunächst poli­tisch, dann auch wirtschaftlich –, die den Weg für neue Initiativen in Richtung Europa frei machen werde. Pragmatiker hoffen darauf, dass Erdoğan sich bereits nach den nächsten Wahlen seiner Macht voll­kommen sicher sein und deshalb zu einer gemäßigten Politik zurückkehren werde. Denn nach den Kom­munalwahlen, die für den 31. März 2019 angesetzt sind, habe die türkische Regierung fast fünf Jahre ohne Urnengänge vor sich und könne deshalb erneut Reformpolitik betreiben.

Doch wie ist es um die Reformfähigkeit der Türkei bestellt, wenn die Konzentration aller Macht in den Händen des Staatspräsidenten dessen politischen Spielraum gar nicht erweitert, sondern im Gegenteil beschränkt? Wenn die Sicherung der eigenen Kon­trolle mit dem Verlust politischer Gestaltungskraft erkauft wird? Wenn nur der Schulterschluss mit Kräften, die jegliche Reformagenda ablehnen, das Monopol der Macht erhält? Es spricht vieles dafür, dass genau damit die heutige Situation in der Türkei umschrieben ist.

Für die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten ist es wichtig, diese Fragen zu klären. Ihre Politik der Türkei gegenüber befindet sich seit geraumer Zeit in einer Art Niemandsland – zwischen dem An­spruch, zur Demokratisierung des Landes beizutragen, und dem Bewusstsein, sicherheitspolitisch auf die Zusam­menarbeit mit Ankara angewiesen zu sein. Der EU-Beitrittsprozess der Türkei ist faktisch zum Stillstand gekommen, und Brüssel hat damit sein wirkungsvollstes Instrument, Einfluss auf das Land auszuüben, aus der Hand gegeben. Gleichzeitig haben die Kon­flikte und Kriege im Nahen Osten die Relevanz der Türkei für Europas Sicherheit erhöht, weshalb man auf die Kooperation mit Ankara nicht verzichten will, in der Flüchtlingsfrage ebenso wenig wie im Anti­terrorkampf. Weder der heutige Zustand der EU noch die Lage in der Türkei lässt erwarten, dass der Bei­trittsprozess wiederbelebt wird, doch halten beide Seiten fast krampfhaft daran fest. Die EU fürchtet ein weiteres Abdriften der Türkei in Richtung Russland. Ankara nutzt seinen nur noch formalen Kandidatenstatus, um Verhandlungen zur Ausweitung der be­stehenden Zollunion sowie Visumfreiheit für seine Staatsbürger im Schengen-Raum zu fordern. Auch wirtschaftlich braucht die Türkei Europa.

So spielen beide Seiten auf Zeit. Sie nehmen damit in Kauf, dass die ungelöste Problematik, in welchem Rahmen sich das türkisch-europäische Verhältnis künftig bewegen soll, in der EU wie auch in der Türkei instrumentalisiert wird, um antieuropäische Ressentiments zu befördern. Deshalb wird sich die Frage – »Wie weiter im Verhältnis zur Türkei?« – erneut stellen, spätes­tens nach den Wahlen zum Europaparlament im Mai 2019. Die Antwort wird zum einen vom politischen Klima in der EU abhängen, zum anderen von der Einschätzung, wohin sich die Türkei künftig ent­wickeln wird.

Das Präsidialsystem: Gestalt, politischer Charakter und erste Auswirkungen

Am 16. April 2017 erreichte die AKP-Regierung in einem Referendum ihr Ziel, durch eine Verfassungsänderung ein Präsidialsystem »türkischer Art«1 zu errichten, allerdings mit der denkbar knappen Mehr­heit von 51,4 zu 48,6 Prozent. Die Abstimmung war in einem Klima der Drangsalierung und Einschüchterung abgehalten worden. Erstmals seit den 1950er Jahren, als die Türkei freie und geheime Wahlen durchzuführen begann, hatten Behinderung, Wahl­fälschung und Manipulation ein solches Ausmaß erreicht, dass die Rechtmäßigkeit eines Ergebnisses in Zweifel gezogen werden musste.2

Politische und ideologische Hintergründe der Verfassungsänderung

Das Referendum bildete den vorläufigen Schlusspunkt einer Verfassungsdiskussion, die seit 1982 immer wieder aufgeflammt war. In jenem Jahr wurde die damals neue Verfassung unter Ägide der Putschis­ten von 1980 ausgearbeitet; 1982 wurde sie noch unter der Militärregierung in einer Volksabstimmung angenommen. Das Dokument verpflichtete Nation und Staat auf ein ethnisch definiertes Türkentum. Es privilegierte den sunnitischen Islam gegenüber anderen Konfessionen und Religionen, zwang der Bevölkerung aber zugleich eine säkulare Lebens­führung auf. Diese Zangenbewegung verengte den Spiel­raum für legales politisches Handeln erheblich und legitimierte außerparlamentarische Vetomächte, allen voran das Militär. In den 90er Jahren wurde die Verfassung zu einem zentralen Hindernis für weitere Demokratisierung.

In ihrer Kampagne für die Einführung des Präsi­dialsystems griffen Regierung und Regierungspartei die Kritik an der Verfassung von 1982 auf. Sie stellten die von ihnen vorgeschlagenen Verfassungsänderungen als notwendigen Schritt dar, um die vom Volk gewählte Legislative und Exekutive aus der Vormundschaft der militärischen, bürokratischen und juris­tischen Eliten zu befreien. Tatsächlich lässt sich nicht bestreiten, dass diese Eliten seit Einführung des Mehr­parteiensystems 1950 immer wieder in den politischen Prozess eingegriffen haben. So richteten sich die drei Staatsstreiche des Militärs 1960, 1971 und 1980 allesamt gegen Regierungen konservativer Par­teien. 1997 wurde der islamistische Ministerpräsident Necmettin Erbakan vom Militär zum Rücktritt ge­zwungen, und noch 2008 entging die alleinregierende AKP nur um Haaresbreite einem Verbot durch das Verfassungsgericht. Vor diesem Hintergrund präsen­tierte Erdoğan seine Pläne für das Präsidialsystem als Mittel zur Demokratisierung des Landes. Es gelte, das Parlament gegenüber der Militärbürokratie und der mit ihr verbündeten Justiz zu stärken. Doch zeigte sich schnell, dass Demokratisierung für ihn nicht heißt, den Raum für politische Partizipation auszu­weiten, den Rechtsstaat zu stärken und die Gewaltenteilung zu sichern. Schon in der Propaganda der Regierungspartei blieben die autoritären Vorgaben der Verfassung von 1982 außen vor, und sie wurden auch durch die Verfassungsänderung nicht angetastet.3

Mehr Demokratie bedeutet für Erdoğan und seine Partei vielmehr, dass Verfassung, Staat und Regierung – das gesamte politische System – die kulturellen, sittlich-moralischen und religiösen Werte des großen konservativen Teils der Bevölkerung repräsentieren. Weil die bisherigen Verfassungen, so Erdoğan, alle­samt (vom Westen) »exportiert« worden und »nicht auf diesem [einheimischen] Boden gewachsen« seien, verkörperten sie nicht »die Werte der Nation«.4 Die türkische Nation wird von Erdoğan und der AKP stark in religiös-konservativen Parametern gedacht – es geht um eine türkisch-muslimische Religionsnation (Millet).

Grafik 1 Interventionen der Staatselite in den politischen Prozess

Die Forderung nach einer kulturell authentischen Verfassung hat weitreichende politische Implikationen. So soll sich die Authentizität der neuen Ver­fassung auch daran festmachen, dass sie ein System begründet, welches »auf unserer altbewährten Herr­schaftstradition ruht«.5 Diese Formulierung kann sich nur auf das osmanische Imperium beziehen, in dessen Blütezeit die Handlungsfreiheit der Regierung weder durch ein Parlament noch durch die Justiz begrenzt wurde. Des Weiteren sollen alle politischen Gewalten – also Exekutive, Legislative, Judikative – die Identität und die Intentionen der Nation widerspiegeln. Sie dürfen daher nicht in Konflikt zueinander geraten, was einem Plädoyer für die Aufhebung der Gewaltenteilung gleichkommt. Tatsächlich sagte Erdoğan während seiner Kampagne für das Präsidialsystem, die bisherige Verfassung gehe nicht von »einem harmonischen, sondern von einem konflikthaften Verhältnis der politischen Gewalten« zuein­ander aus. Grund dafür sei das Bestreben der alten Eliten, den Volkswillen – repräsentiert von der gewählten Regierung – zu beschneiden, indem die Gerichtsbarkeit dem Handeln der Regierung enge Grenzen setze. Die Lösung liegt demnach in ideologischer und politischer Gleichschaltung: »Wenn die neue Verfassung nicht mehr im Geiste des Konflikts, sondern im Geiste der Harmonie und der Balance gestaltet wird und wenn sich die politischen Gewal­ten nicht mehr gegenseitig schwächen, sondern sich gegenseitig ergänzen, löst sich das Problem von selbst.«6

Doch nicht nur der alten Verfassung und dem alten politischen System fehlt es an kultureller Authentizität, sondern auch den bestehenden Geset­zen. Auch sie entsprechen nicht immer dem Volks­willen und können deshalb keine absolute Gültigkeit haben. »Wenn wir uns bei der Neugestaltung der Türkei wie Paragraphenreiter verhalten hätten, wären wir verloren gewesen«, so Erdoğan. »Was wir erreicht haben, haben wir erreicht, weil wir die Gesetze in unserem Sinne ausgelegt und ihre Gültigkeit nicht anerkannt haben. Denn sonst wäre die bürokratische Oligarchie gekommen, hätte uns auf die Gesetze hingewiesen, und uns wären die Hände gebunden gewesen.«7

Als Ecksteine von Erdoğans Ideologie lassen sich somit identifizieren: Erstens das Leitbild einer kul­turell homogenen und deshalb konfliktfreien Nation, für deren Identität die islamische Religion eine zent­rale Rolle spielt und die deshalb als »Religionsnation« bezeichnet werden kann. Die so bestimmte Nation ist die Trägerin der Kultur des Landes, sie macht sein Wesen aus und gestaltet sein Schicksal. Zweitens das Postulat eines alle anderen Fragen überragenden politischen Konflikts zwischen der Religionsnation und einer der eigenen Kultur entfremdeten Elite, die die Religionsnation bisher gewaltsam unterdrückt hat. Drittens die Feststellung, eine Reihe der bestehenden Gesetze diene primär dazu, diese Unterdrückung aufrechtzuerhalten, und habe deshalb keine Gültigkeit. Dies gilt, viertens, auch für die Gewaltenteilung, deren Existenzgrund in der Perpetuierung des Konflikts zwischen Volk und Elite liegt. Überwinden lässt sich dieser Konflikt, fünftens, nur dadurch, dass die Herrschaft in die Hände einer Person gelegt wird, die die Identität und die Intentionen der Religionsnation ungebrochen verkörpert und ihnen zum Durchbruch verhilft und die – weil direkt vom Volk gewählt – die Macht mit niemanden teilen muss.8

Die Verfassungsänderung bewegt sich ganz in Richtung dieser Ideologie. Sie bündelt die Exekutive in einer Person, sie schwächt die Kontrolle der Exe­kutive durch das Parlament, sie macht den Präsidenten zum Zentrum einer konkurrierenden Gesetz­gebung, und sie erhöht drastisch den Einfluss der Exekutive auf die Judikative.9

Das Verhältnis der Gewalten zueinander

Die Bündelung der Exekutive in einer Person erfolgt dadurch, dass der Präsident die Befugnisse des Pre­mierministers und des Ministerrates (des Kabinetts) übernimmt. Diese beiden Institutionen entfallen. Die Minister kommen fortan nicht mehr aus den Reihen der Abgeordneten. Sie werden von außerhalb des Par­laments und ohne dessen Zustimmung vom Präsidenten ernannt bzw. entlassen und damit auf den Status von politischen Beamten reduziert. Der Präsident kann des Weiteren – und wiederum allein – seinen Stellvertreter bestimmen. Er ernennt außerdem die leitenden Beamten aller Ministerien. Somit kontrolliert er die Bürokratie direkt und ohne Beteiligung eines Kabinetts.

Das Parlament muss die Regierung nicht mehr bestätigen. Es kann keine Vertrauensfrage mehr stellen und nicht mehr aus politischen Erwägungen die Regierung entlassen. Parlamentarische Anfragen werden an den stellvertretenden Präsidenten sowie die Minister gerichtet und schriftlich erledigt. Kein Minister muss dem Parlament mehr Rede und Ant­wort stehen, und bei Nichtbeantwortung von Anfra­gen sind keine Sanktionen vorgesehen. Das Parlament hat lediglich die Möglichkeit, im Falle strafrechtlicher Verfehlungen des Staatspräsidenten Ermittlungen gegen ihn einzuleiten. Es benötigt dafür jedoch eine Mehrheit von drei Fünfteln der Abgeordneten. Die Aufnahme des strafrechtlichen Verfahrens gegen den Präsidenten setzt ein Votum von zwei Dritteln der Abgeordneten voraus.10

Ansonsten kann das Parlament nur dadurch vor­gezogene Neuwahlen für das Amt des Staatspräsidenten erzwingen, dass es mit einer Mehrheit von drei Fünfteln der Abgeordneten seine eigene Auflösung beschließt. Neuwahlen des Staatspräsidenten und des Parlaments finden immer gleichzeitig statt.

Mit der Verfassungsänderung wird außerdem das Gesetzgebungsmonopol des Parlaments aufgeweicht. Dies geschieht zum einen über ein erweitertes Veto­recht des Präsidenten. Die Abgeordneten können ein präsidiales Veto gegen ein vom Parlament beschlossenes Gesetz nicht mehr wie bisher mit einfacher Mehrheit der anwesenden Mitglieder des Hauses über­stimmen, sondern nur noch mit absoluter Mehrheit der Sitze.11 Zum anderen ist der Präsident befugt, Prä­sidialverordnungen erlassen, die nicht mehr – wie frühere Verordnungen des Ministerrats mit Gesetzeskraft – von jedem betroffenen Staatsbürger vor dem Staatsrat, dem höchsten Verwaltungsgericht, ange­fochten werden können.12 Klagen gegen Präsidialverordnungen sind jetzt den beiden größten Parlamentsfraktionen oder Gruppen von Abgeordneten vorbehalten, deren Zahl einem Fünftel der Parlamentssitze entsprechen muss. Die Einsprüche sind beim Verfas­sungsgericht einzureichen.13 In normalen Zeiten kann der Präsident durch Präsidialverordnungen nur Dinge regeln, die nicht per Gesetz geregelt sind. Dies ändert sich, sobald der Präsident – und er kann dies jetzt alleine – den Ausnahmezustand ausruft. Die möglichen Gründe dafür sind extrem weit gefasst. Unter dem Recht des Ausnahmezustands entfällt die inhaltliche Begrenzung für Präsidialverordnungen, gegen die dann auch das Verfassungsgericht nicht mehr angerufen werden kann. Die Präsidialverordnungen treten ohne vorherige Zustimmung des Parlaments unverzüglich in Kraft. Um sie auszuhebeln, muss das Parlament nachträglich tätig werden. Doch ist es im neuen System äußerst fraglich, ob eine parlamentarische Mehrheit gegen präsidiale Entschei­dungen zustande kommen kann.

Denn der erwünschte politische Gleichklang von Exekutive und Legislative soll auch dadurch erreicht werden, dass die Wahl des Staatspräsidenten und die Wahl des Parlaments, wie erwähnt, künftig immer zusammen stattfinden. Somit wird an diesem einen Wahltag die Machtfrage in fast absoluter Form ge­stellt. Wie schon bei den beiden zuletzt abgehaltenen Wahlen dürfte die Regierung den Urnengang stets zum Schicksalsmoment für Nation und Staat stilisie­ren. Angesichts der überaus starken Polarisierung der türkischen Gesellschaft wird dies dazu führen, dass der Kandidat des konservativen Blocks nahezu auto­matisch ins Präsidentenamt gewählt wird. Die neue Verfassung gestattet dem Präsidenten, Mitglied einer Partei zu sein. Erdoğan hat gleich nach dem Referendum erneut den Vorsitz der AKP übernommen, wes­halb er heute nicht nur die Exekutive, sondern auch die größte Partei im Parlament unter seiner Kontrolle hat.

Es ist diese Kombination, die es dem Präsidenten und seiner Partei ermöglicht, weitreichenden Einfluss auf die Justiz auszuüben. Das zeigt sich an der Beset­zung des Rates für Richter und Staatsanwälte, der die Richter und Staatsanwälte von Gerichten erster und zweiter Instanz ernennt. Zwei der 13 Mitglieder dieses Rates sind der vom Präsidenten ernannte Justizminister und sein Staatssekretär. Der Präsident beruft außerdem noch vier weitere Angehörige des Gremi­ums. Das Parlament wählt sieben Mitglieder. Weil das – wenn keine Einigung zustande kommt – auch mit einfacher Mehrheit möglich ist, kann die Regierungspartei (oder eine die Regierung tragende Gruppe an Parteien) letztlich alle vom Parlament zu ernennenden Mitglieder des Rates bestimmen.14 Ähnliches gilt für die Zusammensetzung des Verfassungsgerichts. 14 seiner 17 Mitglieder ernennt der Präsident, drei das Parlament, notfalls mit einfacher Mehrheit.15

Ausbau und Struktur der Exekutive

In seiner Rede zur Eröffnung des Parlaments nach der Sommerpause stellte Erdoğan am 1. Oktober 2018 explizit fest, dass nunmehr er allein die Exekutive innehabe und sämtliche Vetomächte ausgeschaltet seien.16 Tatsächlich ist die Machtfülle des Präsidenten gewaltig. Er besetzt nicht nur allein die Ministerriege und die Posten der hohen Bürokratie aller Ressorts. Ihm direkt unterstehen auch alle Institutionen, meist »Präsidien« (Baskanlik) genannt, die zentral sind für die unmittelbare Kontrolle von Bürokratie, Militär, Wirtschaft, Medien und Zivilgesellschaft, aber auch des öffentlichen religiösen Lebens. Es handelt sich um Institutionen wie den Staatlichen Kontrollrat (DDK), dessen Inspektoren zuständig sind für Ermitt­lungen im gesamten bürokratischen Apparat ein­schließlich des Militärs. Das Generalsekretariat des Nationalen Sicherheitsrats (MGKGS) koordiniert die Beförderungen innerhalb der Streitkräfte. Das Prä­sidium der Nationalen Verteidigungsindustrie (MSSB) entscheidet über Rüstungsprojekte, und das Präsi­dium für Stra­tegie und Haushalt (SBB) entwirft das Staatsbudget. Der im August 2016 etablierte Türkische Staatsfonds (TVF) bündelt die Anlagevermögen großer Staatsunternehmen und macht den Präsidenten zum ent­scheidenden Faktor bei Investitions­entscheidungen. Das Präsidium für Religiöse An­ge­legenheiten (DIB) formuliert im Innern die offizielle Ver­sion des Islam, kontrolliert nichtstaatliche reli­giöse Vereinigungen und bildet außenpolitisch die religiöse Flanke der türkischen Diplomatie.17

Grafik 2

 Der Präsident als alleiniges Zentrum des Staates

Quellen: <https://www.ensonhaber.com/dosyalar/DhroagNX0AEEdvz.jpg>; Dsmurat, <https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Emblem_of_the_President_
of_Turkey.svg
>, »Emblem of the President of Turkey«, Farben/Proportionen geändert von SWP, <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5/legalcode>.

Der Staatspräsident steht außerdem vier sogenannten »Büros« (Ofis) vor, die sich ministerienübergreifend um Querschnittsthemen wie Digitalisierung, Investitionen, Finanzen und Personal kümmern sollen. Sie bilden zusammen mit den genannten »Präsidien« eine Art Parallelverwaltung gegenüber den Ministerien und kontrollieren diese zugleich.18 Der Präsident hat nicht nur einen ausgedehnten Beraterstab, sondern umgibt sich zudem mit neuen »Räten« (Kurul).19 Dabei handelt es sich um institutionalisierte Zusammenkünfte von Vertretern der Wirt­schaft, der Wissenschaft, der Politik und der Zivil­gesellschaft. Die Räte sollen für nahezu alle Politikfelder »langfristige Visionen und Strategien« ent­wickeln, die Amtsführung der Ministerien verfolgen und »Fortschrittsberichte« erstellen sowie »Politikempfehlungen« abgeben. Sie übernehmen damit Funktionen, die üblicherweise den politischen Partei­en und dem Parlament zufallen. Dabei dienen sie jedoch nicht der politischen Öffentlichkeit, sondern allein dem Staatspräsidenten.

Der Präsident hat außerdem den Geheimdienst unter seine Fittiche genommen – ein Instrument, das in den letzten Jahren beständig aufgewertet wur­de. Bereits 2014 führte eine Änderung des Geheimdienstgesetzes dazu, dass der Nationale Geheimdienst (MIT) auch operative Aufgaben erhielt, seine Zugriffs­rechte für Dokumente und Ressourcen anderer Be­hörden immens zunahmen und die strafrechtliche Immunität seiner Beamten massiv verstärkt wurde.20 Die Rechtsverordnung mit Gesetzeskraft Nr. 694 vom 15. August 201721 erweiterte die Kompetenzen des Dienstes erneut und stellte ihn unter alleinige Kon­trolle des Staatspräsidenten. Wurde der Chef der Behörde bislang »nach Beratungen im Nationalen Sicherheitsrat auf Vorschlag des Ministerpräsidenten« vom Präsidenten ernannt, so hat Letzterer nun das Recht, allein über die Personalie zu entscheiden, ebenso über die Besetzung der zweiten und sogar dritten Führungsriege.

Der Geheimdienst dürfte künftig eine zentrale Rolle spielen – Erdoğan nutzt ihn sogar, um die eigene Partei zu kontrollieren.

Ein Hinweis darauf, wie wichtig dem Präsidenten die Verfügungsgewalt über den MIT war, ist der Zeit­punkt, zu dem dieser Transfer vorgenommen wurde. Die Vorlage zur Verfassungsänderung, über die beim Referendum vom 16. April 2017 abgestimmt wurde, hatte vorgesehen, dem Präsidenten den Dienst am Tag nach den nächsten Parlaments- und Präsidentschafts­wahlen zu übergeben. Diese waren ursprünglich für November 2019 angesetzt, wurden dann aber auf den 24. Juni 2018 vorgezogen. Als eine beim Minister­präsidenten angesiedelte Behörde wäre der MIT zu diesem Termin ohnehin unter die Regie des Staatspräsidenten gelangt.22 Dass dieser Schritt schon im August 2017 erfolgte – also 26 Monate vor dem zu­nächst geplanten Datum –, lässt nur die Deutung zu, dass der Staatspräsident während der Übergangszeit nicht auf die informationellen und operativen Möglichkeiten des Dienstes verzichten wollte.23

Vielsagend ist auch, welches Instrument die Regierung für den Transfer des Geheimdienstes vom Minis­terpräsidenten zum Staatspräsidenten nutzte. Die Implementierung von Verfassungsänderungen, also die Anpassung oder Neufassung von Gesetzen an die geänderte Verfassung, ist originäre Aufgabe des Parla­ments, und die in der Volksabstimmung angenommene Vorlage zur Verfassungsänderung sah exakt einen solchen Prozess vor.24 Dadurch jedoch, dass die Regierung die zur Diskussion stehende Änderung per Rechtsverordnung nach dem Notstandsgesetz vor­nahm, setzte sie sich über die Vorschriften der nach ihren eigenen Vorstellungen geänderten Verfassung hinweg – ein zusätzlicher Hinweis darauf, welch zentrale Rolle der Geheimdienst künftig spielen dürfte.

Ein weiterer Punkt betrifft die erhöhte Signifikanz des Geheimdienstes in der Machtbalance zwischen den verschiedenen Institutionen des Sicherheits­apparates. Paragraph 41 der genannten Verordnung überträgt dem Dienst die Kompetenz, auch innerhalb der Streitkräfte tätig zu werden und Aufklärung hin­sichtlich des militärischen wie zivilen Personals des Verteidigungsministeriums zu betreiben. Dies war dem Geheimdienst bis dahin verwehrt – ein Ergebnis des früheren institutionellen Eigenlebens des mili­tä­rischen Komplexes und seines daraus resultierenden starken politischen Einflusses in der »alten Tür­kei«, die nun überwunden ist.

Heute spielt der Dienst nicht nur in der »Terror­bekämpfung« und bei Überwachung der Bürokratie eine zentrale Rolle. Der Staatspräsident nutzt ihn offensichtlich auch dazu, die eigene Partei unter Kon­trolle zu halten. So erklärte Erdoğan im Januar 2019 öffentlich, dass der Nationale Geheimdienst zusammen mit dem Geheimdienst der Polizei die AKP-Kandidaten für die Kommunalwahlen »von Kopf bis Fuß durchleuchtet«.25

Die Regierungspraxis unter dem Präsidialsystem

Wie wirkt sich die Bündelung der Exekutive in einer Person auf die Regierungspraxis aus? Eröffnet das neue System, trotz – oder gerade wegen – der ge­stärkten Stellung der Exekutive, die Chance zur Her­ausbildung eines neuen Konsensus für den Umgang der politischen Gewalten miteinander? Oder wird die Exekutive durch ihre Dominanz dazu verleitet, die bereits erweiterten Kompetenzen noch zu überschreiten? Produziert das System statt mehr Stabilität neue Unwägbarkeiten?

Die Schwächung des Parlaments

Im Einklang mit der Rhetorik, dass allein der Staats­präsident und seine Partei die Nation repräsentierten, verschärfte die Regierung nach den Wahlen vom 24. Juni 2018 erneut den Ton gegenüber der Oppo­sition. Sie beschuldigte nun auch die führende Oppositionskraft, die Republikanische Volkspartei (CHP), Terrororganisationen zu unterstützen.26 Auf dem Parlament lastet ohnehin die Kriminalisierung von Abgeordneten in der letzten Legislaturperiode. 20 Parlamentarier der prokurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP) waren zu Haftstrafen ver­urteilt worden; neun ihrer Abgeordneten hatte man das Mandat entzogen. Neun ehemalige Volksvertreter befinden sich noch immer in Haft, und 14 entgingen ihrer Festnahme nur durch Flucht ins Ausland.27 Neuerdings führen – unter offenem Bruch der Ver­fassung – selbst Reden vor dem Parlament zu straf­rechtlichen Ermittlungen, bei denen Strafnormen äußerst weit ausgelegt und Tatsachen bewusst ver­dreht werden.28

Zum politischen und strafrechtlichen Druck auf oppositionelle Abgeordnete kommt die Intervention der Exekutive gegen die verbliebenen Rechte des Parlaments. Die Große Nationalversammlung der Türkei – so die offizielle Bezeichnung – sieht sich einer schleichenden Aushöhlung ihres Legislativ­monopols gegenüber, weil von Erlassen mit Gesetzeskraft exzessiver Gebrauch gemacht wird. Diese Ent­wicklung begann im Sommer 2016 mit Notverordnungen während des Ausnahmezustands29 und setzt sich heute mit Erlassen des Staatspräsidenten fort. Daneben werden die Haushaltsrechte der Nationalversammlung in der Praxis weiter ausgedünnt. Dies geschieht zum einen durch zunehmende Intransparenz bei Gestaltung des Budgets. In den Haushalten der Zentralregierung von 2016 und 2017 waren je­weils fast 10 Prozent der Ausgaben nicht spezifiziert, sondern unter »Sonstige« eingetragen.30 Besonders groß war die Intransparenz in diesen beiden Jahren bei den Posten »Zahlungen an Bauunternehmen« (durchschnittlich 32,6 Prozent unspezifiziert), »Sozial­transfers« (99,8 Prozent), »Einkäufe von Sach- und Dienstleistungen im Rahmen der Produktion« (57,4 Prozent) sowie »Kurzfristige Konsumgüter« (97 Prozent).

Für das Jahr 2019 erstellte erstmals das Staatspräsidentenamt den Haushaltsentwurf. Darin sind nun Zahlungen, die für Infrastrukturprojekte im Rahmen der Private-Public-Partnership an Bauunternehmen geleistet werden, überhaupt nicht mehr aufgelistet, anders als noch im Haushalt 2018.31 Das ist deshalb von besonderem Belang, weil Projekte in diesem Rahmen Gegenstand von Korruptionsvorwürfen sind. Daneben schwächen auch die mittlerweile chronischen Überschreitungen der Etatposten durch die Exekutive, die ohne Nachtragshaushalt erfolgen, das Budgetrecht des Parlaments.32

Generell zeigt sich die Regierung wenig auskunftsfreudig. Bis Ende August 2018 blieben 435 von 440 Anfragen, die Parlamentarier an Ministerien oder das Staatspräsidentenamt gerichtet hatten, innerhalb der vorgesehenen Frist ohne Antwort.33 Zunehmend lehnt es die Regierung ab, Anfragen aus dem Parlament überhaupt anzunehmen – mit der Begründung, sie seien »grob« oder »verletzend« formuliert.34 Dabei geht es um Ausdrücke wie »Assimilation«, »Folter«, »diskriminierende Praktiken«, »kurdischer Teilstaat« (im Irak), »Verletzung der Rechte von Zivilisten« oder »sexuelle Gewalt«.35 Eine weitere Einschränkung parlamentarischer Informations- und Kontrollrechte besteht darin, dass die Exekutive relevante Informa­tionen zur Tätigkeit des neu eingerichteten Türkischen Staatsfonds (TVF) verweigert.36 All dies ge­schieht, obwohl das Parlament ohnehin von der AKP dominiert wird. Die Regierungspartei hat den Vorsitz sämtlicher Parlamentskommissionen inne,37 und gegen ihren Willen kann das Hohe Haus keine Initia­tive ergreifen.

Die Unterminierung der kommunalen Selbstverwaltung

Nicht nur das Parlament gerät zunehmend unter die Kontrolle des Staatspräsidenten, sondern auch die Kommunalverwaltungen. Der erste Schritt dazu er­folgte bereits, bevor die neue Regierungsform einge­führt wurde. Nach dem Putschversuch am 15. Juli 2016 wurde das Recht des Ausnahmezustands ge­nutzt, um 90 Bürgermeister in den kurdisch besiedelten Regionen des Amtes zu entheben. Die gewählten Rathauschefs wurden durch vom Innenminister ernannte »Treuhänder« ersetzt.38 Der zweite Schritt richtete sich gegen Vertreter von Erdoğans eigener Partei. Im Spätsommer 2017 drängte er sieben AKP-Bürgermeister zum Rücktritt und ließ an ihrer Stelle persönliche Gefolgsleute wählen.39 Betroffen waren unter anderem die Bürgermeister von Istanbul und Ankara – Metropolen, deren Einwohnerzahl im zweistelligen Millionenbereich liegt. Heute lebt rund die Hälfte der türkischen Bevölkerung unter nicht gewählten, sondern von der Staatsspitze eingesetzten Kommunalverwaltungen.40 Erdoğan ist fest entschlossen, seinen Zugriff auf diese Ebene noch zu verstärken. Im Oktober 2018 entließ das Innenministerium 259 ordentlich gewählte Ortsvorsteher.41 Die Begrün­dung lautete, es gebe Anhaltspunkte, dass sie mit »Strukturen in Verbindung stehen, die als Gefahr für die nationale Sicherheit gewertet werden«.42 Weder abgeschlossene Dienstaufsichtsverfahren noch Ge­richtsurteile waren den Amtsenthebungen voraus­gegangen.

Für Ende März 2019 sind Kommunalwahlen angesetzt. Im Vorfeld hat Erdoğan deutlich gemacht, dass er die AKP-Kandidaten für die Rathäuser ernennen und dabei einen Großteil des Personals auswechseln werde.43 Mit Blick auf die kurdisch besiedelten Regio­nen kündigte er an, Kandidaten der HDP, die »in Abstimmung mit der Terrororganisation« – gemeint ist die PKK – aufgestellt würden, die Kandidatur zu verweigern. Damit erklärte er sich für Entscheidungen zuständig, die eigentlich dem Hohen Wahlrat (YSK) obliegen, einer dem Gesetz nach unabhängigen Institution. Notfalls, so der Präsident weiter, würden solche Personen nach der Wahl erneut durch »Treu­händer« ersetzt.44 Zur Rechtfertigung dient stets ein Diskurs aktueller Bedrohung von Volk und Vaterland, in dem es als direkte Gefährdung der nationalen Sicherheit dargestellt wird, sollte die Regierungspartei den Zugriff auf die Rathäuser verlieren. So sagte Dev­let Bahçeli, Vorsitzender der mit der AKP verbündeten MHP, es müsse mit allen Mitteln verhindert werden, dass die Opposition bei den Kommunalwahlen in den Kurdengebieten erfolgreich sei. Übernähmen dort Kandidaten der HDP erneut die Kommunen, würde dies als »Plebiszit« der Kurden gegen die Regierung in Ankara ausgeschlachtet. Und gewänne die säkulare Opposition im Westen der Türkei, würde die »Legiti­mität des Präsidialsystems untergraben«.45

Zunehmende Funktionsunfähigkeit der Justiz

Auch die Justiz kann sich der geballten Macht des Staatspräsidenten nicht entziehen. Im Februar 2016 wies Erdoğan als erster Präsident des Landes öffentlich ein Urteil des türkischen Verfassungsgerichts zurück.46 Seine damalige Schelte bereitete den Boden dafür, dass im Januar 2018 die 26. Strafkammer Istan­bul ein Urteil des Verfassungsgerichts ignorierte, wonach inhaftierte Schriftsteller und Journalisten freizusetzen waren. Stattdessen ordnete die Strafkammer an, die Haft fortzuführen. Weder der Justiz­minister noch der amtliche Rat der Richter und Staatsanwälte wandten sich dagegen, dass damit die Hierarchie der Gerichte umgestoßen und jeglicher Rechtssicherheit der Boden entzogen wurde.47

Die starke Stellung des Staatspräsidenten gegenüber der Justiz zeigt sich auch in der Gestaltung offizieller Zeremonien. Seit zwei Jahren findet die feierliche Eröffnung des Justizjahres nicht wie bis dahin am Kassationsgerichtshof, sondern im Präsi­dentenpalast statt. Beim letzten Mal wurde dort nicht mehr auf die Grundlegung säkularen Rechts zu Be­ginn der Republik oder auf deren Begründer Mustafa Kemal Atatürk Bezug genommen, sondern auf Re­formbestrebungen osmanischer Sultane und Lehr­sprüche des Propheten.48 All dies spiegelt die Unter­ordnung der Rechtsprechung unter die Politik der Regierung wider. Deutlich wurde dieser Wandel nach dem gescheiterten Putschversuch auch bei den Säuberungen in der Bürokratie. Im Sommer 2018 war die Staatsanwaltschaft bereit, gegen alle zu ermitteln, die sich kritisch zur wirtschaftlichen Lage äußerten.49

Die jüngsten Umbrüche stellen die Verlässlichkeit der Justiz in Frage – nur jeder vierte vertraut ihr noch.

Doch die türkische Justiz hat nicht nur mit ihrer politischen Instrumentalisierung zu kämpfen. Die jüngsten Umbrüche stellen eine verlässliche Funk­tionsweise der Gerichte ganz allgemein in Frage. Rund 4000 Richter und Staatsanwälte sind seit dem Putschversuch entlassen worden, gut ein Drittel aller Inhaber solcher Ämter. Mehr als 7000 wurden neu eingestellt, darunter viele Berufsanfänger.50 Selbst an den höheren Gerichten arbeiten zahlreiche Richter ohne ausreichende Erfahrung.51 Die türkische Justiz war bereits vorher chronisch überlastet, und die Qua­lität der Rechtsprechung sinkt rapide. Kaum mehr als ein Viertel der Bevölkerung vertraut der Justiz noch,52 und wenn es zum eigenen Vorteil ist, ignorieren selbst staatliche Behörde zunehmend deren Urteile.53

Eine weithin gelähmte Bürokratie

Seit ihrem Machtantritt 2002 klagt die AKP über eine »schwerfällige« und »wenig effektive« Bürokratie, die die Regierung daran hindere, ihre ehrgeizigen Pläne umzusetzen.54 Die Einführung des Präsidialsystems sollte auch dazu dienen, mit diesem Missstand auf­zuräumen, die Bürokratie auf Trab zu bringen und den Staat zu verschlanken.55 Doch bisher ist die Büro­kratie unter der AKP-Regierung gewachsen. Zwischen 2003 und 2018 stieg die Zahl der öffentlichen Be­diensteten pro 100 Personen der Bevölkerung von 2,7 auf 4,2.56 Dass der jüngste Schwenk zum Präsidial­system die Effektivität der Bürokratie erhöhen wird, ist nach den Erfahrungen der letzten Monate nicht zu erwarten. Im Gegenteil, die Verwaltung wirkt lahm­gelegt, und dafür gibt es Gründe.

Da sind, erstens, die Säuberungen des öffentlichen Dienstes von tatsächlichen oder vermeintlichen An­hängern des Predigers Fethullah Gülen, den die Regie­rung für den gescheiterten Putschversuch von 2016 verantwortlich macht, und die anschließende Neu­besetzung der frei gewordenen Stellen. Das Ausmaß dieser Umschichtung ist gewaltig, wurden doch ins­gesamt etwa 150 000 Entlassungen vorgenommen.57 Dabei ist dieser Prozess keineswegs abgeschlossen, denn noch immer kommt es nahezu wöchentlich in größerer Zahl zu Festnahmen, und noch immer wer­den Beamte aus dem Dienst entfernt.

Unterdessen werden, zweitens, die zentralen Schaltstellen der Exekutive umgebaut. Das Ministerpräsidentenamt wurde aufgelöst. An seiner Stelle füllen sich die über tausend Büros des Präsidenten­palastes mit Beamten, die in neu geschaffenen Insti­tutionen Posten beziehen. Gleichzeitig wurde, um – wie es hieß – die Entscheidungswege zu verkürzen, die Zahl der Ministerien durch Schließung und Zu­sammenlegung von 26 auf 16 verringert, was eben­falls große Personalverschiebungen sowie Kompetenz­gerangel zur Folge hat.

Mittlerweile macht sich, drittens, Unmut unter den Beamten breit. Die zentrale Personalverwaltung ist heillos überfordert. Eine hohe Zahl an Beamten sieht sich ihrer früheren Funktion entledigt, ist aber noch keiner neuen Einheit zugeteilt worden und sitzt ge­wissermaßen zwischen den Stühlen.58 Es sind primär AKP-Abgeordnete, an die sich verzweifelte Beamte wenden und die jetzt davor warnen, dass der Frust über die Schwierigkeiten des Übergangs in offene Ablehnung des neuen Systems umzuschlagen drohe.59 Dies gilt umso mehr, als die Begründung für die fundamentale Umgestaltung des Systems wenig glaubwürdig ist. Denn nach 16 Jahren AKP-Allein­regierung – in denen die Partei die Rekrutierung für die Verwaltung maßgeblich bestimmte – wurde behauptet, die »Vormundschaft der Bürokratie über die gewählte Regierung« lasse sich nur durch Ein­führung des Präsidialsystems und einen radikalen Umbau der Institutionen überwinden.

Ein vierter Faktor, der die Arbeit der staatlichen Institutionen negativ beeinflusst, ist die extrem politisierte Atmosphäre, in welcher der Umbau vor sich geht. Die Säuberungen erfolgen oft – so ein Bericht des US-Außenministeriums – aufgrund »wenig stichhaltiger Beweise«.60 Sie tragen deshalb stark willkürlichen und politischen Charakter und haben in der Bürokratie zu einem Klima allgemeiner Verunsicherung geführt. Auch geben bei den Neu­einstellungen in der Regel nicht Eignung und Quali­fikation den Ausschlag, sondern die Mitgliedschaft in religiösen Netzwerken oder politischen Parteien und eine davon abgeleitete sachfremde Loyalität. Nach Übernahme der Regierung hatte die AKP, die selbst nur über eine begrenzte Zahl gut ausgebildeten Personals verfügte, ab 2003 Anhängern Fethullah Gülens und Absolventen seiner Schulen den Weg in den Staatsdienst geebnet. Dies betraf vor allem Polizei, Justiz, Geheimdienst und Militär.61 Seit dem misslungenen Putschversuch gelangen nun Angehörige extrem konservativer religiöser Orden62 und Mitglieder der MHP in großer Zahl auf frei werdende Posten. Tatsächlich gilt die Öffnung der Bürokratie für Vertreter der MHP – besonders bei Polizei und Geheimdienst – als Geschäftsgrundlage für das Bündnis, das die AKP mit dieser Partei eingegangen ist.63 Entsprechend gering ist die Qualität der neu rekrutierten Kader, deren institutionelles Handeln wenig objektiv und regelbasiert ausfällt. Dies wird heute selbst von Anhängern der AKP offen zur Spra­che gebracht. Zwar sei die Bürokratie in der Türkei stets auf Seiten der regierenden Partei ge­wesen, doch habe sie sich immer primär für den Staat verantwortlich gesehen, schreibt die AKP-nahe, aber Erdoğan-kritische Journalistin Elif Çakır. »Niemals war die Ver­waltung so politisiert wie heute, war ihre Praxis so einseitig und verhielten sich Beamte mehr wie Partei­mitglieder als wie die Träger eines öffentlichen Amtes.«64

Diese Klage verweist auf eine weitere Dimension des Personalaustauschs. Ausgegrenzt werden nicht nur vermutete Anhänger der Gülen-Bewegung sowie liberale und säkulare Kräfte, sondern auch AKP-Kader, die nicht den Eindruck bedingungsloser Loya­lität zur Person des Staatspräsidenten vermitteln. Auf diesen Punkt verweist etwa Kemal Öztürk, ein früherer Berater Erdoğans und ehemaliger Aufsichtsratschef der staatlichen Nachrichtenagentur AA. »Wo sind die Kinder der stillen Revolution?«, fragte Öztürk, der heute für die Erdoğan-nahe Tageszeitung Yeni Şafak schreibt.65 Hunderte Beamte des aufgelösten Ministerpräsidentenamtes, die maßgeblichen Anteil am Umbau des kemalistischen Staates in den 90er und frühen 2000er Jahren gehabt und sich damals zu Spitzenkräften entwickelt hätten, seien auf bedeutungslose Positionen abgeschoben worden. An ihre Stelle seien Leute ohne Vision und Initiative getreten. In den Institutionen herrsche eine lähmende Mischung aus Unlust und Unruhe. Nur wenig ver­hüllt kritisiert Öztürk den Präsidenten: Es gehe nicht an, die Loyalität von Leuten zu bezweifeln, die sich über ein Jahrzehnt nach besten Kräften für das Land und den Staat eingesetzt hätten.66 Die Gefolgschaftstreue zur Person des Präsidenten und jene zu den ursprünglichen Zielen der AKP fallen nicht mehr zusammen. Dies erklärt das scheinbare Paradox, dass »reformorientierte und meist AKP-freundliche kon­servative Elemente in der Bürokratie weitgehend entfernt, eingeschüchtert oder ausgegrenzt wurden, während die höheren Ebenen der Bürokratie wieder mit nationalistisch-säkularistischen Elementen aus der Zeit vor 2010 besetzt wurden, die die Säuberungen nach dem 15. Juli als zweite Chance sahen, ihren Machtanspruch zu erneuern«.67

Ein solches von machtpolitischen Überlegungen, Parteienproporz, tiefem Misstrauen und absoluten Loyalitätserwartungen geprägtes Klima lässt es nicht zu, tatsächlich qualifiziertes Personal zu rekrutieren. Es erstickt die Initiative der Beamten und führt dazu, dass Verfahrensregeln, Erlasse und Gesetze in einem Maße parteiisch ausgelegt und angewendet werden, dass vorhersehbares und damit verlässliches institu­tionelles Handeln unmöglich ist.68

Schon bevor im Juni 2018 das Präsidialsystem offiziell eingeführt wurde, beklagten in Ankara selbst AKP-nahe Bürokratievertreter eine »Schwächung«, ja einen »Zerfall« der Institutionen.69 Ein »Dreieck« aus Staatspräsidentenamt, Innen- und Justizministerium bestimme das gesamte Regierungshandeln und ver­schließe sich der Einflussnahme aller übrigen politi­schen Akteure. Auch formal unabhängige Regulierungsinstitutionen für die Wirtschaft und den Finanz­sektor wie das Kartellamt (RK), die Zentralbank (TCMB), die Energiemarktbehörde (EPDK), die Banken­aufsicht (BDDK) und die Kapitalmarktaufsicht (SPK) konnten bereits damals schwerlich gegen Anweisungen des Präsidenten handeln.70

Beispiele für den Qualitätsverfall institutionellen Handelns

Immer wieder gelangen Beispiele an die Öffentlichkeit, wie Institutionen ihres objektiven und unparteiischen Charakters verlustig gehen und wie die ver­lässliche Arbeit von Institutionen ausgehebelt wird. Die einzelnen Fälle reichen von der Staatsspitze bis hinunter zur Lokalverwaltung.

So hat sich Erdoğan im September 2018 per Erlass des Staatspräsidentenamtes selbst zum Vorsitzenden des Aufsichtsrats des Türkischen Staatsfonds ernannt. Seinen Schwiegersohn Berat Albayrak machte er zum Stellvertreter. Der Präsident kümmerte sich dabei nicht um mögliche Interessenkonflikte zwischen seinen beiden Ämtern – schließlich wurde der Staatschef zum Vorstandsvorsitzenden eines privat­rechtlichen Unternehmens. Ebenso wenig hat Erdo­ğan versucht, den Eindruck zu vermeiden, dass große Wirtschaftsvermögen des Staates unter die politische und finanzielle Kontrolle von Angehörigen seiner Familie gelangen.

Die Bürger von AKP-regierten Städten klagen über Vor­teilsgewährung, Kaderbildung und Korruption.

Im Oktober 2018 wurde bekannt, dass der Präsident den Teilhaber einer Firma, die ihre Aufträge unter anderem vom staatseigenem Stromerzeuger EAÜS AG bekommt, zum Generaldirektor ebendieses Unternehmens ernannt hat. Damit kann der neue Generaldirektor nun seiner eigenen Privatfirma öffentliche Aufträge erteilen.71 Im selben Monat musste der Leiter der Abteilung zur Ermittlung der Inflationsrate im Statistischen Amt seinen Hut nehmen, nachdem er die neuesten Preissteigerungszahlen bekanntgegeben hatte. Die Werte lagen weit über den Projektionen von Finanzminister Albayrak, dem Schwiegersohn des Staatspräsidenten. Ersetzt wurde der Beamte durch einen engen Mitarbeiter des Ministers.72

Anfang November 2018 trat der stellvertretende Leiter der Kontrollabteilung des Rechnungshofes »auf eigenen Wunsch« zurück. Im Vormonat hatten Berichte des Rechnungshofes die Presse beschäftigt, in denen Verschwendung im Palast des Staatspräsidenten und weitverbreitete Korruption bei Regierungsbehörden thematisiert wurden.73 Transparency International rief die türkische Justiz auf, die Anga­ben des Rechnungshofes zum Ausgangspunkt für strafrechtliche Ermittlungen zu machen.

Den staatlichen Universitäten wurde im Oktober 2016 per Notverordnung das ohnehin schon eingeschränkte Recht, ihre Rektoren selbst zu wählen, vollständig entzogen. Die diesbezügliche Befugnis ging in die Hände des Staatspräsidenten über.74 Seit­dem mehren sich Fälle, in denen Universitätsrektoren wie AKP-Repräsentanten oder gar wie persönliche Beauftragte des Präsidenten agieren.75

In den Lokalverwaltungen hatte die AKP während der 90er Jahre ihren Ruf als effektiv arbeitende und nicht korrumpierbare Partei erworben. Doch auch hier kann heute von einer ordentlichen und integren Amtsführung kaum mehr die Rede sein. Die Bürger der AKP-regierten Städte klagen unisono über Vor­teilsgewährung, Kaderbildung und Korruption.76 Nach dem Erdbeben von 1999 waren in Istanbul 493 Sammelplätze zur Aufnahme und Versorgung von Katastrophenopfern ausgewiesen worden, weil man für die Zukunft noch verheerendere Beben erwartete. Heute sind mehr als 400 dieser Flächen mit lukrativen Einkaufszentren, Bürotürmen und Wohnanlagen zugebaut – was nur damit zu erklären ist, dass Privatinteressen durchgesetzt wurden.77 Das Vertrauen der Bevölkerung in die Institutionen ist denn auch rapide gesunken, wie selbst Abdülkadir Selvi beklagt, ein Journalist und Meinungsführer, der für seine guten Verbindungen zur AKP und zum Staatspräsidenten bekannt ist. Nur noch etwas mehr als ein Viertel der Bevölkerung vertraue dem Staatspräsidentenamt, nur 12 Prozent dem Militär und weniger als 10 Prozent der Polizei.78 Auch das persönliche An­sehen Erdoğans hat Schaden genommen. Die Rate derer, die seine Politik als »ohne Einschränkung erfolgreich« bewerten, sank von 42,2 Prozent 2017 auf 18,4 Prozent 2018.79

Kapitalflucht und Auswanderung

In dieses Bild geschwundenen Vertrauens gegenüber Regierung und Institutionen passt die »Abstimmung mit den Füßen«, die in der Türkei eingesetzt hat. Von 2016 auf 2017 erhöhte sich die Zahl der Auswanderer – türkische Staatsbürger und Ausländer ohne Flücht­lingsstatus – um 42,5 Prozent auf nahezu 254 000.80 Die Zahl der türkischen Bürger allein, die ihre Koffer packen, stieg im selben Zeitraum gar um über 61 Pro­zent.81 Dabei stellen die produktivsten Altersgruppen zwischen 20 und 34 Jahren die höchsten Anteile unter den Auswanderern. Seit dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 steigt die Zahl türkischer Asyl­bewerber kontinuierlich. Insgesamt haben seit diesem Tag mehr als 35 000 Türken in Ländern der EU Asyl be­antragt.82 Mancher sucht nicht gleich das Weite, son­dern bereitet seine Auswanderung gründlich vor. So haben 2016 und 2017 rund 2000 Türken jüdischen Glaubens als Eintrittskarte für EU-Länder die portu­giesische Staatsbürgerschaft erworben.83 Nach Chine­sen und Russen stellen heute Türken die dritt­größte Gruppe derer, die sich in Griechenland durch Inves­titionen von mindestens 250 000 Euro eine Aufenthaltsgenehmigung für fünf Jahre erkaufen.84 Und von 2016 bis 2018 stieg die Zahl der Türken, die in den USA um eine Green Card nachfragten, um 65 Prozent.85

Auch Kapital ist flüchtig. 2017 verlor die Türkei etwa 12 Prozent ihrer Millionäre. Dies war die höchs­te Rate unter den großen Wirtschaftsnationen. Nur aus Venezuela flüchtete ein noch größerer Anteil von Wohlhabenden.86 Allein im August und September 2018 wurden fast 20 Milliarden US-Dollar aus der Türkei abgezogen. Dies ist eine große Summe, wenn man bedenkt, dass der Eingang von jeweils rund 73 Milliarden US-Dollar in den Jahren 2012 und 2013 den absoluten Höhepunkt internationalen Kapital­zuflusses in das Land bildete.87 Ausländische Firmen halten sich mit Neuinvestitionen zurück, und viele planen, bestehende Produktion in südosteuropäische Nachbarländer der Türkei zu verlagern.

Das Schicksal der Regierungs­partei unter dem Präsidial­system

Kein politisches System kommt ohne Legitimation aus, und in Nationalstaaten beruft sich auch eine autoritäre Herrschaft auf den Willen der Nation. Elektoral ruht das neue Präsidialsystem auf einem Bündnis zwischen Erdoğans AKP und der rechts­extremen MHP als Juniorpartner. Die beiden Parteien haben vor dem Referendum zur Verfassungsänderung im Januar 2017 gemeinsam für das Präsidialsystem getrommelt und beim jüngsten Urnengang im Juni 2018 Stimmen für Erdoğans Wahl zum Staatsoberhaupt mobilisiert. Sie verankern das neue System in der Bevölkerung. Wie steht es um die Fähigkeit der beiden Parteien, auch in den nächsten Jahren Mehr­heiten zu beschaffen? Wie belastbar ist ihr Bündnis, und was bedeutet es für den Präsidenten, dass er – anders als erhofft – die Rechnung nun unter Ein­beziehung der MHP machen muss?

Ernüchterung in den Reihen der AKP

Staatspräsident Erdoğan hat seine Herrschaft zwar weiter ausgebaut als jeder zivile türkische Politiker vor ihm. Doch lässt sich schwerlich behaupten, dass er darüber hinausgehende politische Ziele erreicht hätte. Heute ist die Frage, welche inhaltlichen oder gestalterischen Anliegen er verfolgt, vollkommen hinter den Kampf um Machterhalt zurückgetreten.

Die ursprünglich verkündete Transformations-Agenda der AKP existiert nicht mehr. Das gilt keines­wegs nur für die Demokratisierung des Landes und die angestrebte Mitgliedschaft in der Europäischen Union – Themen, von denen Kritiker Erdoğans meinen, sie hätten für ihn von Anbeginn nur eine taktische Rolle gespielt. Auch politische Ziele, die sich nahtlos mit der muslimisch-konservativen Identität der Partei und mit ihrer heutigen nationalistischen Ausrichtung decken, wurden nicht erreicht. So ist von der Vision, die Türkei als bestimmende Macht im Nahen Osten zu etablieren,88 ebenso wenig übrig geblieben wie von der Hoffnung, der Konflikt mit den Kurden ließe sich lösen, indem sie in eine stärker muslimisch geprägte türkische Nation eingebunden werden.89 Gleichfalls gescheitert ist die Strategie, in Ägypten und Syrien mit der AKP geistesverwandte Strömungen der Muslimbruderschaft an die Regierung zu bringen.

Von einer türkischen Politik, die weit in den Nahen Osten ausgreift, ist Ankara heute wieder – wie zu Hochzeiten kemalistischer Herrschaft – auf das eng begrenzte Ziel zurückgeworfen, eine kurdi­sche Selbstverwaltung in den Nachbarstaaten zu ver­hindern. Darüber hinaus bewirkt die aktuelle Wirt­schaftskrise, dass sich die Türkei auch 2023, zum hundertsten Jahrestag der Republikgründung, nicht unter den zehn führenden Industrienationen der Welt befinden wird. Erfolglos blieb auch der Versuch, die Bevölkerung des Landes durchweg in eine fromme muslimische Nation zu überführen – trotz allen staatlichen Drucks auf die säkularen Teile der Gesell­schaft. Für die konservative AKP-Wählerschaft ist besonders bitter, wie wenig sich die Erwartung erfüllt hat, dass Korruption und Nepotismus von selbst ver­schwinden, wenn nur gläubige Muslime die Regie­rung übernehmen und das Handeln der Institutionen bestimmen. So verwundert es wenig, dass unter Wäh­lern der AKP, aber auch in der Partei selbst eine große Ernüchterung eingesetzt und ihre Dynamik stark nachgelassen hat.

Grafik 3

 Aufstieg und beginnender Niedergang der AKP

Schleichende Abwanderung der Wählerschaft

Bei den Präsidentschaftswahlen am 24. Juni 2018 setzte sich Erdoğan bereits im ersten Wahlgang mit der absoluten Mehrheit von 52,6 Prozent der Stim­men gegen seine vier Mitbewerber durch. Er übertraf damit sogar das Ergebnis von 2014, als er sich erst­mals direkt ins Amt des Präsidenten wählen ließ, um nahezu einen Prozentpunkt. Doch anders als bei jener Wahl war Erdoğan nun auf die Stimmen der nationalistischen MHP angewiesen, die das Präsidialsystem vor vier Jahren noch strikt abgelehnt und ihre Anhänger zur Wahl eines Gegenkandidaten aufgerufen hatte. 2018 wäre die Unterstützung durch seine eigene Partei allein nicht mehr ausreichend gewesen, um Erdoğan im Amt zu bestätigen. Denn bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen kam die AKP nur auf 42,6 Prozent, und wie Wählerbefragungen zeigten, war etwa jede fünfte Stimme für den Präsidenten der MHP geschuldet. So ist die AKP zwar noch immer unangefochten die stärkste Kraft im Land, doch mehren sich die Zeichen dafür, dass sie im Niedergang begriffen ist.

Es ist gut sieben Jahre her, dass die AKP den Zenit ihres Zuspruchs erreichte. Bei den Parlamentswahlen im Juni 2011 konnte sie fast jeden zweiten Wähler für sich gewinnen. Mit 21,3 Millionen Stimmen er­hielt sie ein Ergebnis von 49,8 Prozent.90 Seitdem erfährt die Partei bei Urnengängen im Wechsel deut­liche Einbußen oder Stagnation. Bei den Kommunalwahlen im März 2014 sackte sie auf 45,6 Prozent ab. Bei den Parlamentswahlen im Juni 2015 erzielte sie nur noch 40,9 Prozent, und bei den letzten Parlamentswahlen 2018 kam sie über die genannten 42,6 Prozent nicht hinaus.

Aus diesem Trend schert nur die Parlamentswahl von November 2015 aus, bei der die AKP auf 49,5 Pro­zent der Stimmen kam. Doch diese Wahl fand unter besonderen Umständen statt, weshalb sie nicht als Barometer taugt. Nur fünf Monate zuvor hatte die AKP erstmals seit ihrem Regierungsantritt 2002 die absolute Mehrheit im Parlament verloren, weshalb sie zur Regierungsbildung auf einen Partner angewiesen war. Gleichzeitig hatte die prokurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) zum ersten Mal den Ein­zug ins Parlament geschafft. In den darauffolgenden Wochen verhinderte der Staatspräsident die Bildung einer Koalition und beendete die Verhandlungen der Regierung mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Als Letztere wieder begann, Anschläge zu verüben, nutzte Erdoğan dies für großangelegte Militäropera­tionen. Zugleich machte er sich einen unnachgiebigen nationalistischen Ton zu Eigen.91 Er stach damit seinen heutigen Partner, die rechtsextreme MHP, auf deren eigenen Felde aus und konnte große Teile ihrer Wählerschaft an sich ziehen.92 Doch diese Strategie hat sich erschöpft. Beim jüngsten Urnengang verlor die AKP fast jeden zehnten ihrer Wähler an die MHP.93 Die extreme Rechte hat sich ihre Anhänger zurückgeholt. Gleichzeitig fungiert sie heute als Bündnispartner der Regierung, ist Zünglein an der Waage und hat deshalb großen Einfluss. Ihr Erfolg ist der primäre Grund, weshalb die AKP bei den letzten Wahlen 2018 schlecht abgeschnitten hat. Aktuelle Umfragen bestätigen den kontinuierlichen Abwärtstrend der Partei, von dem nicht die Opposition, son­dern vor allem die MHP profitiert.94 Für die Kommunalwahlen, die Ende März 2019 anstehen, wird dem Bündnis von AKP und MHP ein Wahlsieg in Istanbul, dagegen eine Niederlage in Ankara und Izmir prog­nostiziert.

Konservative Kritik an der Politik der letzten Jahre

Der Unzufriedenheit, die sich im Umfeld der AKP, aber auch in ihren Gremien und Gliederungen auf­gestaut hat, ist stärker, als der noch immer große Zuspruch der Wähler vermuten lässt. Ein Anzeichen dafür war bereits, dass im April 2015 die Tageszeitung Karar gegründet wurde, die so etwas wie solidarische Kritik an der Partei und ihrer Führung übt.95 Die Mehrzahl der Kolumnisten des Blattes sah sich zuvor in der regierungstreuen Presse an den Rand gedrängt oder war dort bereits vor die Tür gesetzt worden. Karar positionierte sich anfangs stark für den Minis­terpräsidenten (und früheren Außenminister) Ahmet Davutoğlu. Seit dieser im Mai 2016 von Erdoğan zum Rücktritt gezwungen wurde, steht die Zeitung unter einem inoffiziellen Anzeigenboykott. Firmen, die Annoncen schalten, werden von der Regierung unter Druck gesetzt und müssen wirtschaftliche Nachteile befürchten.96

Kolumnisten wenden sich regelmäßig dagegen, mit dem Islam eine autoritäre Regierungsführung zu legitimieren.

Die Zeitung wird nicht müde, die AKP an die Re­formpolitik ihrer ersten beiden Regierungsperioden zu erinnern. Damals habe sich die Türkei, so einer der Kolumnisten des Blattes im September 2018, durch den Ausbau von Rechtsstaatlichkeit und Demo­kratie, durch wirtschaftliche Reformen und durch »kollektive Entscheidungsfindung« – sprich: nicht durch Alleinherrschaft einer Person – zu einem Land entwickelt, das von der »demokratischen Welt« als Modell für die gesamte Region gepriesen worden sei.97 Heute, so ein anderer Kolumnist der Zeitung im November 2018, wisse jeder, »dass der Kampf gegen FETÖ98 aus dem Ruder gelaufen ist und auch viele Unschuldige Nachteile erlitten haben, dass Notverordnungen auch böswillig angewendet werden, dass wer immer auch nur die leiseste Kritik übt, mit straf­rechtlichen oder privatrechtlichen Konsequenzen rechnen muss. Es besteht kein Zweifel daran, dass [die Regierung] deswegen von Abertausenden verwünscht wird. Und es ist offensichtlich, dass niemand in der AKP Entscheidungen des Führers hinterfragen kann und dass die Prinzipien gemeinsamen Nachdenkens und gemeinsamer Entscheidungen mit Füßen getre­ten werden.«99 Autoren von Karar, darunter Theologen, wenden sich auch regelmäßig dagegen, den Islam als Grundlage für ein politisches Programm anzusehen und ihn zur Legitimation einer autoritären Regierungsführung zu nutzen.100

Aber auch am islamistischen Ende des muslimischen Spektrums macht sich Unmut breit. So kriti­siert Abdurrahman Dilipak, Chefideologe der radika­len Zeitung Yeni Akit, dass Erdoğan glaube, alles allein entscheiden zu können, und gerade deshalb Fehler mache. Dilipak geißelt die Jagd nach Reich­tümern und die Verschwendungssucht, die in der AKP Einzug gehalten habe. Als Rezept dagegen emp­fiehlt er die Lektüre klassischer Ratgeber für Sultane und Kalifen, in denen diese zu einem gemäßigten und toleranten Auftreten, zu selbstlosen Entscheidungen und zu bescheidener Lebensführung an­gehalten würden.101 Die schärfste Kritik aus dem religiös-konservativen Lager formulierte Anfang November 2018 Cihangir Islam, ein Parlamentsabgeordneter der konservativen Glückseligkeitspartei (SP). Er beschuldigte die AKP, den Staat und seine Büro­kratie in illegaler Weise zunächst mit der Gefolgschaft des Predigers Gülen aufgeteilt zu haben. Die Partei müsse dafür Rechenschaft ablegen. Heute nutze die AKP den Kampf gegen FETÖ dazu, jegliche Opposition mundtot zu machen.102

Degradierung der AKP zur Wahlkampfmaschine des Präsidenten

Von Parteivertretern selbst kann solche Kritik längst nicht mehr öffentlich geäußert werden. Auf dem 6. Ordentlichen Parteitag der AKP im August 2018 gab es keine Diskussion über die innen- und außenpolitischen Herausforderungen für das Land. Ebenso wenig zu beobachten waren Flügelkämpfe oder eine Kon­kurrenz um innerparteiliche Führungspositionen. Denn alle Fragen werden von einem engen Kreis um Erdoğan entschieden. In die Zuständigkeit dieses Zirkels fällt auch das Schicksal der Bürgermeister von AKP-regierten Kommunen.103 Ein klares Bild der Machtverhältnisse bot die »Wahl« des Erweiterten Parteivorstandes (MKYK). Sie erfolgte auf diesem Par­teitag erstmals über eine einzige Liste, die die Füh­rung vorgelegt hatte.104 Auf diese Weise wurden ohne Diskussion rund 60 Prozent der Vorstandsmitglieder ausgewechselt.105 Um Kandidaten für die Parlaments­wahl zu nominieren, ist dagegen keine demokratische Bemäntelung nötig, denn die Bewerber werden ganz offiziell von der Parteiführung auf die Listen gehievt. Dies ist nicht nur bei der AKP, sondern auch bei den meisten Konkurrenzparteien der Fall. Doch dass eine Parteiführung auf innerparteiliches Gleich­gewicht überhaupt keine Rücksicht nehmen muss, dieses vielmehr nach Belieben verändern und – wie vor der letzten Wahl – rund die Hälfte ihrer Kandi­daten für das Parlament austauschen kann, ist selbst in der Türkei ungewöhnlich.

Die politische Ausrichtung dieses Revirements sagt viel über den aktuellen Zustand der AKP und ihre künftige Orientierung. Nicht mehr auf der Kandidatenliste fanden sich der ehemalige Außen- und Wirt­schaftsminister Ali Babacan, der frühere Minister­präsident Ahmet Davutoğlu und Ex-Innenminister Besir Atalay – alles Politiker, denen eine Nähe zum ehemaligen Staatspräsidenten Abdullah Gül nach­gesagt wird. Von Letzterem hatten weite Kreise erwar­tet, dass er als Kandidat für das Staatspräsidentenamt gegen Erdoğan antreten würde.106 Außen vor blieben zudem Abgeordnete, die im Ruf stehen, früher Kon­takte zur Gefolgschaft Gülens unterhalten zu haben, interessanterweise aber auch die beiden Vorsitzenden und vier Mitglieder der Parlamentskommission zur Untersuchung des Putschversuchs von 2016, den die Regierung eben den Gülenisten zuschreibt. Es scheint, dass jede weitere innerparteiliche Diskussion über dieses Thema unterbunden werden soll. Nicht wieder aufgestellt wurden außerdem kurdische Ab­geordnete, die sich ausdrücklich mit dem Anliegen, zur Lösung der Kurdenfrage beizutragen, in der AKP engagiert hatten, darunter Mehmet Metiner, Orhan Miroğlu und Galip Ensarioğlu. Unter den neu hin­zu­gekommenen Kandidaten sind dagegen zwei pro­minente Sportler und ein beliebter Schlagersänger.

Bereits nach seiner ersten Wahl zum Staatspräsidenten im August 2014 hatte sich Erdoğan von fast jeglichem Einfluss der AKP auf seine Politik gelöst.107 Allerdings musste er damals auch seinen Zugriff auf die Partei lockern. Heute bestimmt er als Vorsitzender wieder die Geschicke der AKP, von der er sich selbst und seine Regierung jedoch vollkommen abgekoppelt hat. Nur vier der von ihm ernannten 16 Minister hat­ten zuvor eine Funktion in der Partei, der Rest kommt aus Verwaltung, Privatwirtschaft oder Universitäten. Von den vier Ministern mit AKP-Vergangenheit ge­hört wiederum nur einer dem Parteivorstand (MYK) an. Die anderen drei Minister sind zwar Mitglied der Partei, nehmen aber nicht an den Sitzungen des Vor­stands teil.108 Aus umgekehrter Perspektive wird der Parteivorstand eindeutig von früheren Ministern dominiert, was den Einfluss des Präsidenten auf die AKP weiter absichert. So wird die Partei zu dessen Wahl­kampfinstrument. Sie verliert dabei ihre Funktion als Kanal für politi­sche Beteiligung, was sich unweigerlich auf ihre Dynamik auswirkt.

Ein neuer Machtfaktor: Die Partei der Nationalisti­schen Bewegung (MHP)

Seit Oktober 2016 ziehen die AKP und die extremistische Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) an einem Strang. Sie sind jedoch auch Konkurrenten, und in der Zusammenarbeit hat sich der kleinere Partner als cleverer Akteur erwiesen.

Der türkische Nationalismus war stets ein wich­tiger Bestandteil im Selbstverständnis der pro-islami­schen Parteien109 des Landes, die deshalb seit jeher in ideologischer Konkurrenz zur MHP standen, jedoch auch immer wieder punktuell mit ihr kooperierten. So beteiligte sich eine Vorgängerin der AKP, die Natio­nale Heilspartei (MSP), in der zweiten Hälfte der 70er Jahre zusammen mit der MHP an den Regierungen der Nationalistischen Front (MÇ), die unter Füh­rung der konservativen Gerechtigkeitspartei (AP) stan­den. Und bei der Parlamentswahl 1991 taten sich die Vor­vorgängerin der AKP, die Wohlfahrtspartei (RP), und die MHP zusammen, um die 10‑Prozent-Hürde für den Einzug einer Partei ins Parlament überwinden zu können. In jüngster Zeit waren AKP und MHP die erste Adresse für Wechselwähler, die sich von der jeweils anderen Partei enttäuscht sahen.110

Vorherrschend war jedoch trotz allem die politische Konkurrenz zwischen den beiden Parteien. Sie steigerte sich zu offener Feindschaft, als die AKP-Regierung mit der kurdischen PKK verhandelte (2013–2015) und Erdoğan einen ersten Vorstoß unternahm, um das Präsidialsystem einzuführen. In jener Phase beschuldigte MHP-Chef Devlet Bahçeli den AKP-Vorsitzenden, er wolle unbeschränkt herr­schen, um den Kurden Autonomie gewähren zu können. Dies laufe auf eine Teilung der Türkei und damit auf Landesverrat hinaus.111 Folgerichtig schmie­dete die MHP für die Präsidentschaftswahlen von August 2014 ein Bündnis mit der säkularistischen Republikanischen Volkspartei (CHP), das sich gegen die AKP richtete. CHP und MHP nominierten damals einen gemeinsamen Kandidaten, der freilich mit mageren 38,5 Prozent der Stimmen weit hinter den Erwartungen zurückblieb und Erdoğans Aufstieg ins Präsidentenamt nicht verhindern konnte.

Vom Gegner zum Ermöglicher des Präsidialsystems

Es kam daher für viele überraschend, als der MHP-Vorsitzende im Oktober 2016 – wenige Monate nach dem Putschversuch – Erdoğan vorschlug, das Parla­ment solle über den Verfassungsentwurf der AKP zur Ein­führung des Präsidialsystems abstimmen. Die MHP sei bereit, die Nation entscheiden zu lassen, so Bahçeli. Er machte damit deutlich, dass seine Partei den Entwurf im Parlament unterstützen würde, um so den Weg zur Volksabstimmung über die Verfassungsänderung freizumachen.112 Nur drei Monate später, im Januar 2017, verabschiedete die Große Nationalversammlung mit den Stimmen beider Par­teien die Vorlage zur Verfassungsänderung. Diese wurde wiederum drei Monate später, im April 2017, per Referendum mit 51,4 Prozent der Stimmen von den Bürgern angenommen. AKP und MHP hatten ge­meinsam für den Entwurf geworben. Bahçelis Bei­stand für Erdoğan war damit jedoch nicht erschöpft. Im Januar 2018 griff er dem Präsidenten erneut unter die Arme. Er erklärte, die MHP werde für die kom­menden Präsidentschaftswahlen keinen eigenen Kan­didaten nominieren, sondern dazu aufrufen, Erdoğan die Stimme zu geben. Im Gegenzug schloss die AKP mit der MHP ein Wahlbündnis113, das der kleineren Partei den Wiedereinzug in die Nationalversammlung garantierte. Am 24. Juni 2018 errang das Bündnis dann eine absolute Mehrheit von 53,7 Prozent der Stimmen.

Wenn der Präsident sich nicht an die Verfassung halte, müsse sie eben geändert werden – so der MHP-Chef.

Was bewog den MHP-Chef zur Kehrtwende? Er selbst sagte bei seinem ersten Vorstoß im Oktober 2016 – Erdoğan war bereits Staatspräsident, aber das Präsidialsystem lag noch in weiter Ferne –, er bange um den Rechtsstaat. Denn obwohl das Amt des Staats­präsidenten seinen Inhaber Erdoğan zu Neutralität und Zurückhaltung verpflichte, regiere er das Land weiterhin so, als sei er noch Ministerpräsident, und obwohl er sein Parteiamt niedergelegt habe, agiere er nach wie vor wie der Führer der AKP.114 Wenn es nicht möglich sei, so Bahçeli, dem Präsidenten die Grenzen seiner Kompetenzen aufzuzeigen und ihn zu zwingen, sein Handeln an der Verfassung auszurichten, dann müsse eben Letztere geändert werden. So absurd dieser Gedankengang unter der Prämisse wäre, der Rechtsstaat müsse wiederhergestellt werden, so echt war die Sorge, die Bahçeli, wenn auch erneut verklausuliert, direkt im Anschluss äußerte. Er sagte, der ständige Verfassungsbruch bringe die politische Führung und die Verfassungsordnung gegeneinander in Stellung. Dies schwäche den Staat, mache so das Land angreifbar und setze die Türkei größten Risiken aus.

Tatsächlich ist es die Sorge um die Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung, die Bahçeli umtreibt. Es geht ihm nicht um den Rechtsstaat, sondern um die Bewahrung der Staates in den gegebenen Para­metern einer (ethnisch und kulturell) türkischen Republik, die nichtstaatliche religiöse Akteure unter Kontrolle hält und kulturelle oder politische Zuge­ständnisse an die Kurden ausschließt. Schon im Oktober 2016 sprach Bahçeli davon, dass die Türkei nach dem Putschversuch »um ihre bloße Existenz kämpft«.115 Und vor der Volksabstimmung zur Ver­fassungsänderung am 16. April 2017 brachte er die Sache auf den Punkt: Die MHP sei dafür, weil es »um die Nation, um den Staat und um das Türkentum« gehe.116

Die Bedrohungswahrnehmung

Aus dieser Perspektive ist der Putschversuch vom 15. Juli 2016 ein tiefer Einschnitt in der Geschichte der Türkei. Bahçeli drückte dies mit den Worten aus, dass nichts mehr so sein werde wie am 14. Juli jenes Jahres.117

Denn der fehlgeschlagene Staatsstreich war eine unübersehbare Schrift an der Wand, die von der Gefahr kündete, dass die Staatsbürokratie durch eine religiöse Geheimgesellschaft unterwandert würde. Diese Gruppierung war nicht nur in schwer durchschaubarer Weise international vernetzt. Sie war darüber hinaus eng mit der AKP verbündet, die aus Bahçelis Sicht noch vor kurzem Dynamit an die Fundamente des Staates gelegt hatte. Hatte sie doch Verhandlungen mit der PKK zur Lösung der Kurdenfrage geführt, die drohten, den unitären Charakter des Staates und seiner Nation in Frage zu stellen. Große Teile des Militärs, des Sicherheitsapparates und der Bürokratie teilen diese Wahrnehmung, darunter auch zahlenmäßig kleine, aber in manchen Verwaltungssektoren gut verankerte nationalistisch-säkula­ristische Gruppen mit antiwestlicher Einstellung. In dieser Perspektive sind es gleichermaßen die AKP-Politik und die Präsenz von Gülens Gefolgschaft, die den Staat bedrohen. Es gilt demnach, die Sicherungen wieder einzubauen, mit denen eine eigenständige Staatsbürokratie gefährlichen Experimenten der Regierung begegnen kann.118

Der Moment dafür war günstig. Denn der Putschversuch schwächte die AKP und ihre Führung. Er verschaffte der MHP unerwarteten Spielraum und bot ihr die Chance, die Politik der Regierungspartei nach­haltig zu beeinflussen. Denn der Umsturzversuch löste in der Bürokratie zwangsläufig eine Säuberungs­welle aus, mit der sich die Regierungspartei gleich in zwei Bereichen selbst unter Druck setzte. Der Raus­wurf unzähliger Beamter schuf ein Vakuum, in das Parteigänger der MHP vorstoßen konnten. Und weil die Wähler der AKP und Gülens Gefolgschaft aus demselben gesellschaftlichen Umfeld stammen, muss­ten sich die Säuberungen in der Bürokratie früher oder später nachteilig auf den Zuspruch für die Regierungspartei auswirken.

Vor diesem Hintergrund ergibt Bahçelis politische 180-Grad-Wende in jeder Hinsicht Sinn. Dass die MHP das neue System unterstützte, öffnete ihren Kadern den Weg in die Staatsbürokratie, wo sie zusammen mit antiwestlich-kemalistischen Kräften und Mitglie­dern religiöser Orden die entstandenen Leerstellen füllen. Die MHP gewinnt dadurch einen politischen Einfluss, der weit über ihre zahlenmäßig eher geringe Repräsentation im Parlament hinausgeht. Denn in der Bürokratie sind die MHP-Kader leicht anschlussfähig gegenüber der dort noch immer wirkungsvollen autoritären Staatstradition. Im Parlament ist die Par­tei fortan das Zünglein an der Waage, und bei Wah­len hängt die absolute Mehrheit für Erdoğan und seine AKP vom Bündnis mit der MHP ab.

Weil es dergestalt um die Rettung des Staates geht, reicht das »Republikanische Bündnis« der beiden Parteien weit über eine punktuelle Zusammenarbeit hinaus, die nur einem begrenzten politischen Ziel oder dem Erfolg bei einer bestimmten Wahl dienen würde.119 Das Bündnis ist auch nicht auf die beiden Parteien beschränkt. In seiner grundsätzlichen Orientierung, den autoritären Staat zu restaurieren, schließt es weite Teile der militärischen und der nichtmilitärischen Sicherheitsbürokratie mit ein. Die ihm zugrundeliegende Bedrohungsperzeption wird nicht nur von großen gesellschaftlichen Gruppen geteilt, sondern auch von der Führung der oppositionellen Guten Partei (İyiP) und der Mehrzahl von Wählern und Funktionären der CHP. Der politische Streit zwischen Opposition und Regierungsbündnis spielt sich jenseits dieser weitgehend geteilten Be­drohungswahrnehmung ab. Er dreht sich um die Person des Staatspräsidenten, um Wirtschaftspolitik und Korruption, um Religions- und Kulturpolitik und damit um unterschiedliche Lebensstile, um den Zustand der Justiz sowie allgemein um die Einschrän­kung bürgerlicher Rechte.

Politisch-ideologisches Kräftemessen

Am 23. Oktober 2018 erklärte Bahçeli, die MHP kün­dige das Bündnis auf und werde, anders als vorgesehen, ohne Absprache mit der AKP und in Konkurrenz zu ihr an den Kommunalwahlen vom 31. März 2019 teilnehmen.120 Die MHP ist in keiner Provinzhauptstadt so stark, dass ihr Bürgermeisterposten sicher wären. Sie hatte deshalb von der AKP verlangt, in mindestens drei Provinzen auf die Aufstellung eige­ner Kandidaten zu verzichten und dort für die Kandi­daten der MHP zu werben – was Erdoğan zunächst rundheraus ablehnte. Doch weil die AKP angesichts ihrer derzeitigen Schwäche ohne MHP-Hilfe die Rat­häuser von Ankara und Istanbul zu verlieren droht, ruderte Erdoğan am 22. November zurück. Schließlich musste er der MHP sogar mehr Zugeständnisse machen als von ihr ursprünglich gefordert. Die Partei wird in den drei Metropolen Ankara, Istanbul und Izmir auf eigene Bürgermeisterkandidaten verzichten und stattdessen die Bewerber der AKP unterstützen. Im Gegenzug – so der Plan – überlässt die AKP der MHP die Bürgermeisterposten der Großstädte Adana, Mersin und Manisa sowie der Provinzhauptstadt Osmaniye.121 Mehr noch, damit die MHP nicht an der 10-Prozent-Hürde scheitert, die auch für Stadträte gilt, sollen überall dort, wo die beiden Parteien kooperieren, MHP-Kandidaten über die AKP-Listen in die Rat­häuser gelangen. Gleichzeitig wird sich der Anteil von MHP-Parteigängern in der Bürokratie weiter erhöhen.122

Bahçeli gewann in dem kurzen Scharmützel mit der AKP also viel mehr als nur die ursprünglich ge­forderten drei Bürgermeisterposten von Großstädten. Und er konnte seinem großen Partner erneut deutlich machen, wie abhängig dieser mittlerweile von ihm und seiner Partei ist. Denn Ziel des MHP-Vorsitzenden ist es, die künftige Ausrichtung der Politik zu bestim­men. Er will die Handlungsfreiheit Erdoğans ein­schränken und die AKP stärker auf eine türkisch-nationale Linie zwingen, die sich besser mit der staatszentrierten Ausrichtung der MHP, des Militärs und Teilen der neuen Bürokratie verträgt.

Der Streit über den Schulschwur offenbart die tiefen ideologischen Differenzen zwischen AKP und MHP.

In der ersten Oktoberhälfte 2018, kurz bevor Bahçeli das Ende der Zusammenarbeit verkündete, waren zwischen beiden Parteien erneut ideologische Differenzen hervorgetreten, die man bis dahin sorg­sam unter den Teppich gekehrt hatte. Der Streit ent­zündete sich an einem Urteil des Staatsrats, des höchsten Verwaltungsgerichts des Landes, das am 22. des Vormonats ergangen war. 2013 hatte die AKP-Regierung den nationalen Schulschwur abgeschafft, den Grundschüler bis dahin jeden Morgen kollektiv ablegen mussten. Die Streichung erfolgte im Rahmen des EU-Beitrittsprozesses, da der Wortlaut des Schwurs alle Staatsbürger auf eine ethnisch-türkische Identität verpflichtet.123 Eine säkular-nationalistische Lehrer­gewerkschaft reichte Klage gegen den Schritt ein. Der Staatsrat gab dieser nun statt und verlangte die Wiedereinführung des Eids.

Die MHP begrüßte, wie auch die İyiP, das Urteil freudig. Erdoğan und führende AKP-Politiker jedoch sahen darin den Versuch, die von ihnen vielbeklagte »Vormundschaft« einer säkularistischen Justiz über das Volk und die vom ihm gewählte Regierung zu erneuern.124 Erdoğan drohte gar mit seinem Rücktritt, sollte es so weit kommen, dass er für politische Entscheidungen die Erlaubnis der Justiz einholen müsse.125 Justizminister Abdülhamit Gül beschuldigte das Gericht, seine Kompetenzen zu überschreiten. Numan Kurtulmus, einer der stellvertretenden AKP-Vorsitzenden, erinnerte an frühere Urteile der hohen Justiz, die sich – wie das Verbot des Kopftuchs an Universitäten – direkt gegen die Politik der AKP-Regierungen gerichtet hatten.126

Der Streit ist viel mehr als nur eine beliebige Aus­einandersetzung über ein bildungspolitisches Detail. Er trifft ins Mark der gegensätzlichen Vorstellungen, die die beiden Bündnispartner von der Identität der türkischen Nation haben. Die Presse machte das Urteil sofort zum Topthema. Säkulare Nationalisten feierten den Richterspruch frenetisch. Die Tageszeitung Yeniçag pries dabei das Türkentum als »Essenz vieltausendjähriger Existenz« und als den »Teig«, der die Bevölkerung des Landes zusammenhalte.127 Im Unterschied dazu schrieb die AKP-nahe Zeitung Yeni Şafak, der Islam sei »die Seele der Türken«, »der Exis­tenzgrund dieses Landes« und das, was die Bevölkerung vereine. »Wäre die Gesellschaft nicht muslimisch, sie wäre längst zerfallen.«128 Die Führer beider Parteien zeigten sich in der Sache kompromisslos. Erdoğan verglich die Einführung des Schulschwurs im Jahr 1933 mit dem Vorgehen Hitlers und Stalins, die alle Bürger ihrer Staaten unterschiedslos in eine Identität gepresst hätten.129 Bahçeli erwiderte: »Wer seine Nation nicht kennt, für den ist Nationalismus gleich Faschismus.«130 Beide Seiten attestierten ein­ander, die Axt an die Wurzeln der Nation zu legen. Erdoğans pro-islamische Gefolgschaft beschuldigte die Kontrahenten, die muslimische Nation der Türkei entlang ethnischer Linien gespalten und so die kurdi­sche PKK erst hervorgebracht zu haben.131 Die Ver­teidiger des Schwurs hielten dagegen, gerade die Verhandlungen der AKP mit der PKK hätten Letztere stark gemacht. Mehr noch, um die türkische Nation zu schwächen, lasse die AKP heute in großer Zahl syrische Flüchtlinge ins Land. Die Demographie der Türkei solle verändert werden.132

Der lange Schatten Atatürks

Erstmals seit langem sahen sich Erdoğan und seine Partei in der Defensive. Das Urteil signalisierte der AKP wie auch der säkularen Opposition, dass die Regierung den Justizapparat noch nicht wieder voll­ständig kontrollierte. Tatsächlich hatten sich ultra-nationalistische und säkularistische Kräfte bereits im Juni 2018 damit gebrüstet, erneut Einfluss in der Justiz erlangt zu haben.133 Verstärkt wird ein solcher Eindruck durch den Umstand, dass im Spätsommer und im Herbst 2018 die Zahl von Anklagen und Ver­haftungen wegen Beleidigung des Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk rasant gestiegen ist.134 Der Beifall Bahçelis und seiner MHP für den Staatsrat wirkte auf alle jene mobilisierend, denen nicht nur die Alleinherrschaft des Präsidenten schlaflose Nächte bereitet, sondern auch die gezielte Förderung religiö­ser Gemeinschaften, der Ausbau der Religionsbürokratie und die stetige Zunahme religiöser Inhalte im Bildungssystem.

Für die nationalistisch-säkularen Kräfte hätte der Zeitpunkt des Streits nicht besser gewählt sein kön­nen. Dem Höhepunkt der öffentlichen Auseinandersetzung folgten am 29. Oktober die Feierlichkeiten zum Jahrestag der Republikgründung durch Atatürk, und am 10. November wurde wie jedes Jahr dessen Todestag begangen. Beide Ereignisse brachten deut­lich mehr Bürger auf die Straße als in den Jahren davor. Zugleich kam es in den sozialen Medien zu einer Welle der Verehrung für den »Vater der Türken«.135 Akademikern und Journalisten, die sich mit Kritik an der Regierung zurückhalten (müssen), bieten Bezugnahmen auf das politische Handeln des Republikgründers einen relativ ungefährlichen Weg, um ihre Sicht der Dinge zu verdeutlichen. Ganz offensichtlich wird die Person Atatürks erneut zum gemeinsamen Nenner einer Opposition gegen Staats­präsident Erdoğan und seine Partei – einer Opposi­tion freilich, die die pro-kurdische Partei ausschließt und extrem nationalistische, antieuropäische Grup­pen miteinschließt.

Nachhaltige Wirkung hat diese Entwicklung auf die AKP und mehr noch auf Kreise, die dem Staatspräsidenten unmittelbar ergeben sind. In moderaten wie auch radikaleren Zeitungen sprechen AKP-nahe Journalisten von der Notwendigkeit, dass die From­men und Konservativen ihren Frieden mit den grund­legenden Parametern des kemalistischen Staates machen müssten, weil nur so der innergesellschaft­liche Frieden zu bewahren sei.136

Erdoğan hat damit zwar eine überbordende Machtfülle, doch sind seine Gestaltungsmöglichkeiten deut­lich beschnitten. Es ist ihm heute praktisch unmöglich, die außen- und innenpolitischen Ziele aufrechtzuerhalten, die er früher als Vision für die Türkei formulierte. Mehr noch – die Fundamente seiner Macht selbst werden offenbar porös. Die AKP verliert an Dynamik und Wählerzuspruch. Jenseits von Straf­verfolgung, Kontrolle und Geheimdienstoperationen scheint die Bürokratie gelähmt und wenig effizient. Dies ist auch deshalb der Fall, weil sich in ihr – wie in der Justiz – erneut informelle Loyalitätsnetzwerke bilden, die von der Staatsspitze nur schwer zu durch­schauen und zu kontrollieren sind.

Zugleich findet die politische Gesellschaft des Landes jenseits der AKP in der Person Atatürks und den von ihm gelegten Fundamenten des Staates zu­sammen. So eröffnet sich ihr zumindest die Chance, zu einem ebenbürtigen Gegner zu werden. Das ge­schieht bislang freilich auf Kosten jeglicher Ansätze für konkrete Reformen, die individuelle Rechte und Freiheiten zum Ziel hätten und damit auch eine Lösung der Kurdenfrage. Diese Entwicklung wird, so­lange sie sich in den jetzigen Grenzen fortsetzt, die Türkei auch nicht zu einem leichteren Partner in der Außenpolitik machen. Denn treibende Kraft ist kein Diskurs über demokratische Werte, prinzipielle Gleichheit oder gesellschaftlich-kulturelle Pluralität, sondern eine konkurrierende Vision nationaler und kultureller Homogenität. Unter den heutigen Bedin­gungen türkischer Politik liegt indes genau darin ihre Stärke.

Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Legt man die hohen Erwartungen an die Verfassungsänderung zugrunde, die deren Befürworter ursprünglich weckten, so haben sich Erdoğan und seine Partei mit der Einführung des Präsidialsystems weidlich vergaloppiert. Sich ihrer dominanten Stellung beim Wähler allzu gewiss, haben sie ohne Not zu einer Situation beigetragen, in der sie nunmehr auf die Zusammenarbeit mit einer weiteren Partei, der MHP, angewiesen sind. Im parlamentarischen System konn­te sich die AKP noch sicher sein, dass sie auf abseh­bare Zeit die Zügel fest in der Hand halten würde – dank des Mehrheitswahlrechts auch mit nur relativer Mehrheit bei den Wählern. Zu groß war ihr Vorsprung vor allen anderen Parteien, und zu tief waren die ideologischen Gräben innerhalb der Opposition, als dass die Alleinregierung der AKP wirklich zur Disposition gestanden hätte. Doch der Übergang zum Präsidialsystem und die damit verbundene Aussicht auf die Alleinherrschaft einer Person boten der zer­strittenen Opposition einen gemeinsamen Gegner – Recep Tayyip Erdoğan – und ein gemeinsames An­liegen: die Ablehnung des neuen Systems.

So wurde die rechtsextreme Gute Partei (İyiP) im Oktober 2017 von ehemaligen MHP-Kadern gegründet. Sie wandten sich dagegen, dass ihre bisherige Partei einen Kurswechsel um 180 Grad vollzog und Erdoğan nun dabei unterstützte, das Präsidialsystem einzuführen. Und es war ausschließlich dem Wider­stand gegen dessen personale Herrschaft geschuldet, dass die İyiP, die säkular-nationale Republikanische Volkspartei (CHP) und die islamistische Glückseligkeitspartei (SP) ein Wahlbündnis gegen die AKP (und die MHP) schlossen. Da die Opposition – freilich ohne die pro-kurdische HDP – nunmehr in der Ab­lehnung des Systems vereint war, bedurfte die AKP bei der Wahl vom 24. Juni 2018 der Unterstützung der MHP, wie schon zuvor bei der Volksabstimmung über die Verfassungsänderung im Januar 2017. Die MHP wurde so zum Zünglein an der Waage; dies gilt für das nationale Parlament ebenso wie für die Ende März 2019 anstehenden Kommunalwahlen.

Aus dieser Position heraus konnte und kann die MHP von der AKP einen hohen Preis für ihre Unter­stützung verlangen. Nach dem fehlgeschlagenen Putschversuch von 2016 musste sich die AKP den Beistand der MHP erkaufen, indem sie die Bürokratie großzügig für Kader der Partei öffnete.137 Das gilt primär für Geheimdienst und Polizei, aber auch für die Justiz. Erneut wird die Verwaltung damit zur Brutstätte für Kader konkurrierender Loyalitäten. Die Anzeichen mehren sich, dass die AKP weit davon entfernt ist, die Sicherheitsbürokratie vollständig zu kontrollieren.

Im Vorfeld der Kommunalwahlen musste die AKP Ende 2018 allen Forderungen des kleineren Partners nachgeben. Sie willigte ein, der MHP drei Großstadtverwaltungen, das Rathaus einer Provinzhauptstadt und eine ganze Reihe von Stadtteilverwaltungen zu überlassen. An all diesen Orten wird die AKP keine eigenen Kandidaten ins Rennen schicken, sondern die Bewerber der MHP unterstützen, die auf sich allein gestellt nur in sehr wenigen Fällen eine Chance hätten, den Sieg davonzutragen.

So gestärkt ist die MHP zunehmend in der Lage, die Politik des Staatspräsidenten (mit) zu bestimmen. Dies engt den Spielraum Erdoğans und seiner AKP gehörig ein. Hat die MHP doch eine fundamental andere Sicht auf den türkischen Staat und die türkische Nation, als es die AKP ursprünglich für sich formulierte. Denn die AKP sah sich als Vertreterin eines vom Staatsappa-

rat ausgegrenzten muslimischen Volkes. Die MHP dagegen versteht sich als Beschützerin des türkischen Staates. War die AKP angetreten, den autoritären Staat zu transformieren, arbeitet die MHP an seiner Restauration. In ihrem aktuellen Bündnis mit der AKP setzt sie primär darauf, traditionelle Bedrohungs­wahrnehmungen des türkischen Staates zu reaktivieren, besonders in der Kurdenfrage. Hier überlappen sich die Positionen der MHP und jener Kräfte in der Militär- und Sicherheitsbürokratie, welche die frühe­ren Zugeständnisse der AKP gegenüber kurdischen Forderungen im kulturellen Bereich (Sprache und Bildung) und die Verhandlungen der Regierung mit der PKK von 2013 bis 2015 prinzipiell ablehnten. Die Übereinstimmung mit diesen Kräften im Staatsapparat erlaubt es der MHP, ihren großen Bündnispartner politisch unter Druck zu setzen und rhetorisch in die Defensive zu drängen.138 So konnte MHP-Chef Bahçeli im Oktober 2018 die Verhandlungen der AKP-Regie­rung mit der PKK als »Schritt zur Desintegration« der Türkei bezeichnen, ohne dass Erdoğan in der Lage gewesen wäre, ihn zurechtzuweisen.139 Die Partei­zeitung der MHP verunglimpfte derweil führende Politiker der AKP als »Krypto-Gülenisten«, »kurdische Nationalisten« und »Feinde der Türken«.140 Erdoğan dagegen sieht sich genötigt, seiner Partei jegliche Kritik an den MHP-Kandidaten für die Kommunalwahlen zu verbieten.141

Die starke Stellung der MHP schwächt den Einfluss, den die AKP als Partei im neuen System noch aus­üben kann. Sie sieht sich ohnehin zum Wahlverein des Präsidenten degradiert. Schon haben Engagement und innere Dynamik spürbar nachgelassen, und besonders bei der Jugend schwindet die Zustimmung zur Partei.142

Einen Aufschwung erfährt dagegen exakt jene Ideologie, die die AKP ursprünglich zurückdrängen wollte: der republikanische Kemalismus. Die Feiern zum Jahrestag der Ausrufung der Republik am 29. Oktober und der Todestag von Republikgründer Kemal Atatürk am 10. November haben 2018 weit größere Teilnahme hervorgerufen als in den voran­gegangenen Jahren. Und die Zahl der Bürger, die alljährlich zum Mausoleum Atatürks strömen, hat sich seit dem Regierungsantritt der AKP mehr als verdreifacht.143 Urteile des obersten Verwaltungs­gerichts, kemalistische Symbole in der offiziellen Sphäre wiederzuverwenden, fanden im Oktober 2018 große öffentliche Zustimmung.144 In den Reihen der AKP führten sie zu Diskussionen, ob die Regierung abermals unter juristisch-bürokratische Vormundschaft gestellt worden sei. Die Rückkehr des Kemalismus schlägt sich dabei nicht in Stimmenzuwächsen für die oppositionelle CHP nieder, sondern in einem Zulauf zur MHP – der einzigen Partei, die seit den Wahlen vom 24. Juni 2018 bei Umfragen in der Wäh­lergunst dazugewinnen konnte.145 Hat der Kemalismus doch neben dem Säkularismus auch eine deut­lich ethnisch-türkische Komponente.

Selbst bei dem scheinbar apolitischen Vorhaben, eine effektivere Bürokratie aufzubauen, brachte das neue Regierungssystem für die AKP alles andere als ermutigende Ergebnisse. Nach den großangelegten Säuberungen, die tatsächliche und vermeintliche Anhänger des Predigers Gülen trafen, erscheint die Verwaltung keineswegs weniger politisiert als zuvor. Die Gefahr neuer Kaderbildung ist nicht gebannt. Bei den Neueinstellungen waren in aller Regel nicht Qualifikation und Eignung entscheidend, sondern die Zugehörigkeit zu religiösen Netzwerken oder politi­schen Parteien. Selbst AKP-Mitglieder beklagen, alt­gediente Kader der Partei seien aus Führungspositionen gedrängt worden, weil unbedingte Loyalität zum Staatspräsidenten verlangt werde.

Mit dem Präsidialsystem findet eine lange Reformperiode ihren Abschluss – der für die Türkei und die EU gleichermaßen unglücklich ist.

So hat der Übergang zum Präsidialsystem zwar vorläufig die Herrschaft Erdoğans gefestigt, seine politische Gestaltungskraft aber reduziert. Das neue System ist ganz auf ihn ausgerichtet und verstärkt den Personenkult, schwächt jedoch die Dynamik der Regierungspartei und den gesellschaftlichen Rückhalt für sie. Das ist der Grund dafür, weshalb der Präsident heute die allgegenwärtige Bedrohung von Staat und Nation beschwört – eine Weise, die früher die alte Elite immer dann angestimmt hat, wenn sie innen- oder außenpolitisch mit Forderungen nach mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit konfrontiert war.

Erdoğan begann im Januar 2016 mit der Propaganda für das Präsidialsystem, nachdem er sich bereits im Sommer des Vorjahres von einer friedlichen Lösung der Kurdenfrage verabschiedet und so das letzte noch verbliebene Reformprojekt seiner Partei beerdigt hatte. Der Putschversuch von Sommer 2016 verlieh dann der Tendenz, ein autoritäres Regime zu errich­ten, zusätzlichen Schub. Die Einführung des neuen Regierungssystems markiert das vorläufige Ende einer mehrjährigen Entwicklung und insofern einen Wendepunkt in der Geschichte der Türkei. Damit findet eine lange Reformperiode ihren für die Türkei und die EU gleichermaßen unglücklichen Abschluss.

Reaktionen von europäischen Institutio­nen und EU-Staaten

Die europäischen Institutionen und einzelne EU-Staaten reagierten sehr unterschiedlich auf den Ab­bau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei. 2016 forderte das Europaparlament die Euro­päische Kommission auf, wegen der repressiven Maßnahmen unter dem Ausnahmezustandsrecht die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei vorübergehend einzufrieren.146 Im April 2017 entschied die Parlamentarische Versammlung des Europarats, die Türkei erneut unter Monitoring zu stellen – so lange, bis dort Maßnahmen ergriffen würden, die die Sorge des Rats um Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in zufriedenstellender Weise aufnähmen.147 Nur drei Monate später, im Juli 2017, ver­schärfte das Europaparlament seinen Ton. Es rief die Kommission wie auch die Mitgliedstaaten der EU dazu auf, die Beitrittsverhandlungen mit Ankara für den Fall offiziell auszusetzen, dass die geplante Vor­lage zur Verfassungsreform unverändert umgesetzt würde.148 Zwar schrecken die Regierungen der Mit­gliedstaaten bislang vor diesem Schritt zurück. Doch am 26. Juni 2018, zwei Tage nach offizieller Einführung des Präsidialsystems, stellte der Europäische Rat fest, dass sich die Türkei weiter von der EU entfernt habe und die Beitrittsverhandlungen faktisch zum Stillstand gekommen seien. Weder könnten Beitrittskapitel eröffnet oder geschlossen werden, noch sei vorgesehen, Verhandlungen über die Modernisierung der europäisch-türkischen Zollunion aufzunehmen.149

Die europäischen Institutionen machten es so von konkreten Bedingungen abhängig, ob die Beziehungen mit Ankara verbessert würden. Dagegen zeigten sich die Regierungen der Mitgliedstaaten eher bereit, auf Offerten der Türkei einzugehen, die auf eine Normalisierung der Beziehungen zielten. Im Januar 2018 war Erdoğan in Paris zu Besuch. Dort sah man zwar keine Chancen mehr für eine EU-Mitgliedschaft der Türkei, schlug dem Land aber eine strategische Partnerschaft vor. Im Februar des Jahres wurde Erdo­ğan in London empfangen, ohne dass die britische Regierung die innenpolitische Lage in der Türkei öffentlich kritisiert hätte. Er konnte im Rahmen des Arbeitsbesuchs sogar der Queen seine Aufwartung machen, obwohl diese Ehre sonst Staatsgästen vor­behalten ist. Im Juni 2018 war der ungarische Minis­terpräsident Viktor Orbán als einziger Regierungschef eines EU-Staates in Ankara zu Gast, als Erdoğan er­neut ins Amt eingeführt wurde. Und im September war Letzterer auf Staatsbesuch in Berlin, wo man – ähnlich wie in Österreich – daran inter­essiert ist, die bilateralen Beziehungen zu verbessern. Seither hofft die Türkei, dass die Bundesregierung ihren Widerstand gegen Verhandlungen zur Modernisierung der Zollunion aufgibt und ein neues Kapitel in den bila­teralen Beziehungen aufgeschlagen werden kann. Auf europäischer Ebene fordert die Türkei nach wie vor Visumfreiheit für ihre Bürger im Schengen-Raum, und Europa sieht sich in der Migrations- und Anti­terrorpolitik auf die Kooperation Ankaras angewiesen.

Kaum Grundlagen für eine Politik jenseits von Transaktionalismus

In der Bevölkerung wichtiger EU-Mitgliedsländer besteht eine kritische Haltung gegenüber der Türkei. Daher werden vieldiskutierte Schritte wie die Auf­nahme von Verhandlungen zur Modernisierung der Zollunion – wenn überhaupt – wohl erst nach den Europawahlen im Mai 2019 möglich sein.

Denn Schritte der türkischen Regierung zurück zu mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit oder gar Reformen im Rahmen des Beitrittsprozesses sind für die nächsten Jahre schwerlich zu erwarten. Etwaigen Bemühungen dieser Art stehen gleich zwei große Hindernisse gegenüber. Auf der einen Seite weigern sich Erdoğan und sein Zirkel, europäischen Ermahnungen zu Liberalisierung und Rechtsstaatlichkeit Gehör zu schenken und der Opposition größeren Spielraum zuzugestehen. Auf der anderen Seite steht die Bedrohungswahrnehmung der MHP und weiter Kreise der Bürokratie liberalen Reformen im Wege. Die beiden letztgenannten Akteure setzen – in Ein­klang mit der schon überwunden geglaubten autori­tären Staatstradition des Landes – die Gewährung demokratischer Freiheiten und politischer Rechte, ja schon die Anerkennung kultureller Pluralität um­standslos mit der Unterminierung der Fundamente gleich, auf denen der Staat ruht. Mehr noch, die Kon­kurrenz und die latente Spannung zwischen beiden Teilen des Regierungslagers (Erdoğan/AKP und MHP) lassen erwarten, dass die gegenwärtig bewusst be­triebene Polarisierung sowie die Beschwörung immer neuer ausländischer Bedrohungen anhalten und der stark antiwestliche Ton in der türkischen Politik sich verstetigt.

Die parlamentarische Opposition ist zurzeit kein Faktor, der eine Änderung der türkischen Politik bewirken könnte. Selbst wenn bei den anstehenden Kommunalwahlen der Zuspruch für die AKP deutlich sinken und die Partei einige Rathäuser verlieren sollte, blieben die Machtverhältnisse für die nächsten Jahre unangetastet. Das sind schlechte Aussichten für eine europäische Politik, die es von Fortschritten bei der Demokratisierung abhängig macht, ob die Koope­ration mit dem Land vertieft wird – eine Haltung, die sich ohnehin zunehmend in Rhetorik erschöpft. Die EU kann die Türkei nicht zu Reformen zwingen. Erforderlich für eine Demokratisierung wären ein entsprechendes Klima und einschlägige politische Strömungen im Land. Beide Elemente sind derzeit nur schwach ausgeprägt.

Der EU und ihren Mitgliedstaaten bleibt deshalb im Umgang mit der Türkei wenig anderes übrig, als kurzfristig die Kooperation mit Ankara zu nutzen, um gemeinsame wirtschafts- und sicherheitspolitische Interessen zu verfolgen. Da Europa nicht an einer ökonomisch und politisch instabilen Türkei gelegen sein kann, gilt es mittel- und langfristig die wirtschaftlichen Beziehungen zu sichern und den Zugang des Landes zum Binnenmarkt auch weiterhin zu garantieren.

Die EU ist außerdem gefordert, sich grundsätzlich Gedanken zu machen, ob und wie der Beitrittsprozess der Türkei weitergeführt werden soll. Zwar verschafft der Kandidatenstatus der europäischen Seite die Legi­timität, von Ankara bestimmte Standards hinsichtlich Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzufordern und die türkische Zivilgesellschaft zu unterstützen. Auch heißt es immer wieder, er sichere »die Anbindung« der Türkei an Europa. Doch der stockende Beitrittsprozess ist längst zu einem Dialog zwischen Tauben geworden, in dem europäische Erwartungen von Ankara regelmäßig als Einmischung in innere Ange­legenheiten zurückgewiesen werden. So ver­stärkt der Beitrittsprozess antieuropäische Ressentiments in der Türkei, während er in Europa die Illu­sion auf­recht­erhält, Brüssel könne das Verfahren blockieren und es gleichzeitig als Anreiz für Reformen einsetzen. Und auch wenn ein türkischer EU-Beitritt unwahrscheinlich ist, verhindert dies nicht, dass das Thema von populistischen Bewegungen aus­geschlachtet wird – wie etwa 2016 die Kampagne im Vorfeld des Brexit-Referendums gezeigt hat. Das türkisch-europäische Verhältnis wird so weiter vergiftet.

Es ist deshalb an der Zeit, darüber nachzudenken, wie Ankara dazu bewogen werden könnte, den kon­fliktträchtigen Kandidatenstatus durch einen alter­nativen Rahmen für seine Beziehungen zu Euro­pa zu ersetzen. Eine erweiterte und modernisierte Zoll­union würde den für die Türkei lebenswichtigen Zugang zum europäischen Binnenmarkt auf eine neue Grundlage stellen. Und nichts würde anti­europäisches Sentiment in der Türkei wirksamer be­kämpfen als ein deutliches Entgegenkommen der Schengen-Staaten in der Visumfrage.

Abkürzungsverzeichnis

AA Anadolu Ajansı (Staatliche Nachrichtenagentur Anadolu)

AKP Adalet ve Kalkınma Partisi (Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei)

AP Adalet Partisi (Gerechtigkeitspartei)

BDDK Bankacılık Düzenleme ve Denetleme Kurulu (Bankenaufsicht)

CHP Cumhuriyet Halk Partisi (Republikanische Volkspartei)

DDK  Devlet Denetleme Kurulu (Staatlicher Kontrollrat)

DIB Diyanet İşleri Baskanlığı (Präsidium für Religiöse Angelegenheiten)

EPDK Enerji Piyasası Denetleme Kurulu (Energiemarkt‑Regulierungsbehörde)

EU Europäische Union

HDP Halklarin Demokratik Partisi (Demokratische Partei der Völker)

İyiP İyi Parti (Gute Partei)

KHK  Kanun Hükmünde Kararname (Regierungserlass mit Gesetzeskraft)

 Milliyetçi Cephe (Regierungen der Nationalen Front)

MGKGS Milli Güvenlik Kutulu Genel Sekreterligi (Generalsekretariat des Nationalen Sicherheitsrats)

MHP Milliyetçi Hareket Partisi (Partei der Nationalistischen Bewegung)

MIT Milli İstihbarat Teskilati (Nationaler Geheimdienst)

MKYK Merkez Karar ve Yönetim Kurulu (Erweiterter Parteivorstand)

MSP Milli Selamet Partisi (Nationale Heilspartei)

MSSB Milli Savunma Sanayi Baskanlığı (Präsidium der Nationalen Verteidigungsindustrie)

MYK Merkez Yürütme Kurulu (Parteivorstand)

PKK Partiye Karkeren Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans)

RK Rekabet Kurulu (Kartellamt)

RP Refah Partisi (Wohlfahrtspartei)

SBB Strateji ve Bütçe Baskanlığı (Präsidium für Strategie und Haushalt)

SP Saadet Partisi (Glückseligkeitspartei)

SPK Sermaye Piyasa Kurulu (Kapitalmarkt-Aufsichtsbehörde)

TCMB Türkiye Cumhuriyeti Merkez Bankasi (Zentralbank der Republik Türkei)

TVF Türkiye Varlık Fonu (Türkischer Staatsfonds)

YSK Yüksek Seçim Kuru (Hoher Wahlrat)

Literaturhinweise

Can Kasapoğlu

Why and How NATO Should Adapt to a New Mediterranean Security Environment

SWP Comment 15/2019, März 2019

Salim Cevik

Erdoğan’s Comprehensive Religious Policy.

Management of the Religious Realm in Turkey

SWP Comment 12/2019, März 2019

Guido Steinberg/Aljoscha Albrecht

Kurden unter Druck: Die Folgen des USTruppenabzugs für den PKK-Ableger in Syrien

SWP-Aktuell 4/2019, Januar 2019

Günter Seufert

Die Türkei nach den Wahlen: Alles wie gehabt und doch tiefgreifend anders

SWP-Aktuell 38/2018, Juli 2018

Rayk Hähnlein/Günter Seufert

Der Einmarsch der Türkei in Afrin. Grenzüberschreitender »Kampf gegen die PKK« zur militärischen Lösung der eigenen Kurdenfrage

SWP-Aktuell 21/2018, März 2018

Endnoten

1

 So affirmativ Staatspräsident Erdoğan: »Ein Verfassungsmodell türkischer Art: Die Nation ist bereit« (türk.), Hürriyet (online), 29.1.2016, <http://www.hurriyet.com.tr/turk-tipi-anayasa-modeli-millet-hazir-40046600> (Zugriff bei allen zitierten Medienbeiträgen jeweils am Tag der Veröffent­lichung).

2

 »Turkish Referendum: Up to 2.5 Million Votes Have Been Manipulated, Says Foreign Observer«, in: The Independent, 19.4.2017, <http://www.independent.co.uk/news/world/ europe/turkish-referendum-million-votes-manipulated-recep-tayyip-Erdoğan-council-of-europe-observer-a7690181.html>.

3

 Osman Can, »Die Grundlinien der [autoritären] Verfassungsordnung bleiben unverändert« (türk.), Karar (liberal-konservative Zeitung, online), 16.1.2017, <http://www. karar.com/gorusler/prof-dr-osman-can-yazdi-anayasal-duzenin-temel-tercihlerine-dokunulmuyor-372515>.

4

 Erdoğan nach Hürriyet, 29.1.2016 [wie Fn. 1].

5

 Ebd.

6

 Ebd.

7

 Ebd. Mit Verweis auf »Paragraphenreiterei« hatte Erdoğan schon zuvor die Missachtung von Gesetzen bagatellisiert, vgl. Nilgün Tunccan Ongan, »Der Paragraphenreiter« (türk.), in: Evrensel (linke Zeitung, online), 26.6.2015, <http://www. evrensel.net/yazi/74345/mevzuat-amca>.

8

 »Dieses Land hat einen Führer. Er macht die Politik. Es braucht dazu niemand anderen. Der Führer macht die Innen- und die Außenpolitik. Unser Bestreben und unsere Aufgabe kann es nur sein, den Führer zu unterstützen.« Erdoğans Berater Yigit Bulut im Staatsfernsehen, nach: Diken (liberale Nachrichtenwebsite), 15.6.2016, <http://www. diken.com.tr/basdanisman-yigit-bulut-siyaseti-erdogana-zimmetledi-baska-kimse-yapmasin/>.

9

 Vgl. dazu Christian Rumpf, »Die geplante Verfassungs­änderung«, RR Lex (Schriftenreihe des Honorarprofessors für türkisches Recht an der Universität Bamberg), 4.4.2017, S. 2–15.

10

 »Die 21 Paragraphen der Verfassungsänderung in der Beratung des Parlaments« (türk.), Diken, 10.12.2016, <http://www.diken.com.tr/21-maddelik-anayasa-metni-mecliste-guclu-yasama-guclu-yurutme-dedik>.

11

 Gründe dafür, warum eine solche Mehrheit äußerst unwahrscheinlich ist, siehe unten.

12

 Rumpf, »Die geplante Verfassungsänderung« [wie Fn. 9], S. 7.

13

Vgl. Artikel 150 der Vorlage zum Verfassungsreferendum auf der Website der türkischen Anwaltskammer, <http://anayasadegisikligi.barobirlik.org.tr/Anayasa_Degisikligi.aspx> (Zugriff 20.9.2018).

14

 Website des Rates für Richter und Staatsanwälte, <http://www.hsk.gov.tr/Hakkimizda.aspx> (Zugriff 15.9.2018).

15

 Website des türkischen Verfassungsgerichts, <https://www.anayasa.gov.tr/tr/mahkeme/yapisi/uyelerin-secimi> (Zugriff 19.3.2019).

16

 »Präsident Erdoğan im Parlament« (türk.), in: Takvim (regierungsnahe Tageszeitung), 1.10.2018, <https://www.takvim.com.tr/guncel/2018/10/01/baskan-Erdoğan-mecliste>.

17

 Vgl. zum DIB: Günter Seufert, Teilgutachten über das türkische Präsidium für religiöse Angelegenheiten, Website des hessischen Kultusministeriums, 15.4.2017, <https:// kultusministerium.hessen.de/sites/default/files/media/dr._
guenter_seufert_-_gutachten_diyanet_wegen_ditib_hessen_
fuer_hkm_2017.pdf
>.

18

 Dies und das Folgende nach: »Neue Ministerien im neuen System« (türk.), En son haber (regierungsnahe Website), 9.7.2018, <http://www.ensonhaber.com/yeni-sistemde-yeni-bakanliklar.html>.

19

 Die Räte tragen folgende Bezeichnungen: »Kommunalpolitik«, »Sozialpolitik«, »Gesundheits- und Lebensmittel­politik«, »Kultur- und Kunstpolitik«, »Rechtspolitik«, »Sicherheits- und Außenpolitik«, »Erziehungs- und Bildungspolitik« sowie »Wissenschafts-, Technologie- und Innovationspolitik«. Ebd.

20

 Gesetz Nr. 2937 vom 1.1.1984, nach: Juristenwebsite Lexpera, <https://www.lexpera.com.tr/mevzuat/kanunlar/ devlet-istihbarat-hizmetleri-ve-milli-istihbarat-teskilati-kanunu-2937> (Zugriff 18.3.2019).

21

 PDF des Dokuments auf der Website des türkischen Amtsblatts, <http://www.resmigazete.gov.tr/eskiler/2017/08/ 20170825-13.pdf> (Zugriff 18.3.2019).

22

 Vgl. die Absätze F und G des Übergangsartikels (geçici madde) 21 der Vorlage zum Verfassungsreferendum [wie Fn. 13].

23

 Vgl. Murat Yetkin, »Warum hat Erdoğan den Geheimdienst übernommen?« (türk.), in: Hürriyet, 26.8.2017, <http://www.hurriyet.com.tr/yazarlar/murat-yetkin/Erdoğan-miti-neden-kendisine-bagladi-40561888>.

24

 Vgl. Absatz B des genannten Übergangsartikels 21 [wie Fn. 13].

25

 Zitiert nach Orhan Uguroglu, »Davutoğlu, Geheimdienst, Polizei, Wahl« (türk.), in: Yeniçag (nationalistische Zeitung, online), 22.1.2019, <https://www. yenicaggazetesi. com.tr/davutoglu-mit-emniyet-secim-50497yy.htm>. Ein weiteres Betätigungsfeld des Dienstes ist die Auslese von Kandidaten für den öffentlichen Dienst. Im Februar 2019 war der Unmut in der Bevölkerung darüber, dass Lehramtskandidaten nach politischen und nicht nach fachlichen Kriterien ausgewählt werden, so groß, dass auch die regierungsnahe Presse das Thema aufgriff. Als Vorwand für eine parteiische Personalauswahl dienen die sogenannten »Sicherheitsüberprüfungen des Geheimdienstes«. Vgl. Sevilay Yilman, »Stimmen diese Behauptungen, Herr Minister?« (türk.), HaberTürk (Zeitung, online), 4.2.2019, <https://www.haberturk.com/yazarlar/sevilay-yilman-2383/2340100-kpss-mulakati-ile-ilgili-bu-iddialar-dogru-mu-sayin-bakan>, und Levent Gültekin, »Diskriminierung bei Interviews und Sicherheitsüberprüfung« (türk.), in: Diken, 4.2.2019, <http://www.diken.com.tr/mulakat-ve-guvenlik-sorusturmasi-ile-yapilan-ayrimcilik/>.

26

 Özgür Mumcu, »Was macht [Innenminister] Soylu?« (türk.), in: Cumhuriyet (oppositionelle Tageszeitung), 30.6.2018, <http://www.cumhuriyet.com.tr/koseyazisi/ 1013360/Soylu_ne_yapiyor_.html>.

27

 »Unsere verhafteten Abgeordneten sind Thema der IPU« (türk.), Website der HDP, 23.10.2018, <https://www.hdp. org.tr/tr/guncel/haberler/tutuklu-milletvekillerimiz-ipu-gundeminde-milletvekilleri-misilleme-korkusu-olmadan-ozgurce-konusabilmelidir/12480>.

28

 Vgl. die Reaktion auf die Rede des Abgeordneten Cihangir Islam von der religiös-konservativen Glückseligkeitspartei (SP) am 31.10.2018. Youtube, <https://www. youtube.com/watch?v=aXrE5oN8cfw> (Zugriff 19.3.2019).

29

 Mehmet Y. Yılmaz, »Der neue Staat, gegründet per Negation der Verfassung« (türk.), in: Hürriyet, 29.8.2017, <http://www.hurriyet.com.tr/yazarlar/mehmet-y-yilmaz/anayasasizlastirilarak-kurulan-yeni-devlet-40564290>.

30

 Vgl. dazu und zum Folgenden den Bericht des säkularen Unternehmerverbandes TÜSIAD, Beobachtungen zum Haushalt der Zentralverwaltung III (türk.), Istanbul 2018, S. 61–65, <https://tusiad.org/tr/yayinlar/raporlar/item/10113-merkezi-yonetim-butcesi-takip-raporu-iii-merkezi-yonetim-2018-mali-yili-birinci-yariyil-butce-uygulama-sonuclari>.

31

 Cigdem Toker, »Ein Haushalt wie ein Rätsel« (türk.), Sözcü (regierungskritische Zeitung, online), 2.11.2018, <https://www.sozcu.com.tr/2018/yazarlar/cigdem-toker/ butceyi-bulmaca-gibi-hazirlamak-2715180/>.

32

 Für 2017 lagen die ungenehmigten Überschreitungen bei 30 Milliarden Türkische Lira. TÜSIAD, Beobachtungen zum Haushalt der Zentralverwaltung der letzten sechs Jahre plus 2018 (türk.), Istanbul 2018, S. 14, <https://tusiad.org/tr/yayinlar/ raporlar/item/10053-tusiad-merkezi-yonetim-butcesi-takip-raporu> (Zugriff 23.11.2018).

33

 Toker, »Ein Haushalt wie ein Rätsel« [wie Fn. 31].

34

 Meral Danıs Bestas, »Der Umgang mit dem Parlament und dessen Funktion in der neuen Periode« (türk.), Duvar (liberale Nachrichtenwebsite), 27.10.2018, <https://www. gazeteduvar.com.tr/forum/2018/10/27/yeni-donem-parlamento-pratigi-ve-yasama-organinin-islevi/>.

35

 Ebd.

36

 »Bericht über den Staatsfonds liegt dem Parlament nur als Verschlusssache vor« (türk.), t24 (liberale Nachrichtenwebsite), 20.10.2018, <https://t24.com.tr/haber/turkiye-varlik-fonuyla-ilgili-denetim-raporu-gizli-damgasiyla-mecliste, 728168>.

37

 »Die Kommissionen des Parlaments«, Website des Parlaments, <https://komisyon.tbmm.gov.tr/> (Zugriff 23.11.2018).

38

 Fehim Tastekin, »Some 40 Million Turks Ruled by Appointed, Not Elected, Mayors«, Al Monitor, 12.3.2018, <https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2018/03/turkey-becoming-land-of-trustees.html>.

39

 Angeblich sollte dadurch die Stellung der Partei bei den für Juni 2018 angesetzten Parlaments- und Staatspräsidentenwahlen verbessert werden.

40

 Im Januar 2018 entließ der Innenminister außerdem die CHP-Bürgermeister der Istanbuler Bezirke Beşiktaş und Ataşehir.

41

 Türkisch »Muhtar« (»Bürgermeister« von Dörfern bzw. städtischen Quartieren).

42

 Akif Beki, »Haben die Ortsvorsteher kein Recht auf den Schutz ihres Amtes?« (türk.), in: Karar, 27.10.2019, <https://www.karar.com/yazarlar/akif-beki/gokceke-var-da-muhtarlara-yok-mu-8262#>.

43

 Abdülkadir Selvi (Erdoğan-naher Journalist), »Jetzt kommen die Bürgermeister an die Reihe« (türk.), in: Hürriyet, 20.8.2018, <https://www.hurriyet.com.tr/yazarlar/abdulkadir-selvi/degisim-sirasi-belediye-baskanlarinda-40933393>.

44

 Abdülkadir Selvi, »[MHP-Chef] hat die Formel für das [Parteien-] Bündnis« (türk.), in: Hürriyet, 17.9.2018, <http://www.hurriyet.com.tr/yazarlar/abdulkadir-selvi/ittifak-formulu-bahcelide-40958179>.

45

 So Bahçeli im Interview, siehe Ertugrul Özkök, »Devlet Bahçeli erklärt die [letzten] 28 Monate – Gestern, heute, morgen« (türk.), in: Hürriyet, 13.1.2018, <http://www.hurriyet. com.tr/yazarlar/ertugrul-ozkok/devlet-bahceli-28-ayi-anlatiyor-dun-bugun-yarin-40985454>.

46

 »Erdoğan: Ich habe keinen Respekt vor dem Urteil des Verfassungsgerichts« (türk.), in: BBC Türkçe, 28.2.2016, <https://www.bbc.com/turkce/haberler/2016/02/160228_ erdogan_dundar_aym>. Das Gericht hatte die Freilassung des Journalisten Can Dündar angeordnet, der dann tatsächlich auf freien Fuß kam. Seinem Einfluss auf die Justiz vertrauend, konnte Erdoğan bei einem Staatsbesuch in Berlin im Oktober 2018 behaupten, wäre Dündar noch in der Türkei, säße er im Gefängnis. Bislang gibt es kein entsprechendes Urteil eines türkischen Gerichts.

47

 »Rechtsanwalt [Ergin] Cinmen: Die Justiz gerät in die Hände von Eurasiern, diese Leute urteilen auch die Regierung ab« (türk.), in: Diken, 1.10.2018, <http://www.diken. com.tr/avukat-cinmen-avrasyacilar-yargiyi-ele-geciriyor-bunlar-hukumeti-de-yargilar/>.

48

 »Eröffnung des Justizjahres: Ohne Atatürk und ohne die Opposition, dafür mit Sprüchen des Propheten« (türk.), in: Cumhuriyet, 3.9.2018, <http://www.cumhuriyet.com.tr/haber/ turkiye/1072551/Ataturk_suz__muhalefetsiz__hadisli_ adli_yil_acilisi.html>.

49

 »Die Oberstaatsanwaltschaft wird aktiv« (türk.), Sabah (regierungsnahe Zeitung, online), 13.8.2018, <https:// www.sabah.com.tr/gundem/2018/08/13/bassavcilik-harekete-gecti-ekonomik-guvenligi-tehdit-edenlere-sorusturma>.

50

 Unter Berufung auf Justizminister Abdülhamit Gül: »Circa 4000 FETÖ-Richter und Staatsanwälte aus dem Dienst entfernt« (türk.), in: Dünya, 5.4.2018, <https://www.dunya. com/gundem/yaklasik-4-bin-fetocu-hakim-savci-meslekten-ihrac-edildi-haberi-410349>.

51

 »Eröffnung des Justizjahres« [wie Fn. 48].

52

 »Wird den Gerichten und den Richtern vertraut?« (türk.), Website der Meinungsforschungsfirma Konsensus, Januar 2018, <http://www.konsensus.com.tr/yargiya-mahkemelere-guven-duyuluyor-mu-yoksa-duyulmuyor-mu/> (Zugriff 15.1.2018).

53

 Der Präsident des Kassationsgerichtshofs in »Eröffnung des Justizjahres« [wie Fn. 48].

54

 So Erdoğan laut: »Neues Ziel der AKP: Die schwerfällige Bürokratie« (türk.), in: Vatan, 30.9.2004, <http://www. gazetevatan.com/akp-nin-yeni-mucadele-hedefi—hantal-burokrasi-37112-gundem/>.

55

 »Erdoğan: Trotz aller unserer Reformen in den letzten 15 Jahren ist die Bürokratie noch immer aufgebläht« (türk.), in: Milliyet, 24.10.2017, <http://www.milliyet.com.tr/Erdoğan-gectigimiz-15-yilda-yaptigimiz-ankara-yerelhaber-2357613/>.

56

 İbrahim Kahveci, »Prunksüchtig, pompös und auf­gebläht« (türk.), in Karar, 25.10.2017, <http://www.karar.com/ yazarlar/ibrahim-kahveci/sasaali-debdebeli-hatta-bir-de-obez-5278#>.

57

 Die aktuellste Zusammenstellung auf der Website Turkey-Purge, <https://turkeypurge.com/> (Zugriff 18.3.2019).

58

 »Chaos in der öffentlichen Verwaltung. Beamte ohne Vorgesetzte« (türk.), in: Duvar, 23.8.2018, <https://www. gazeteduvar.com.tr/politika/2018/08/23/duvar-arkasi-kamuda-karmasa-donemi-artik-amir-de-yok/>.

59

 Okkan Müderrisoglu, »Über McKinsey, den IWF und den Krisendiskurs« (türk.), in: Sabah, 9.10.2018, <https://www. sabah.com.tr/yazarlar/muderrisoglu/2018/10/09/mckinsey-imf-ve-kriz-soylemi-uzerine>.

60

 »Das Außenministerium der USA veröffentlicht seinen Terrorbericht« (türk.), in: Voice of America, 19.9.2018, <https://www.amerikaninsesi.com/a/abd-disisleri-bakanligi-teror-raporunu-acikladi/4578454.html>.

61

 Vgl. Bülent Aras/Emirhan Yorulmazlar, »State, Institutions and Reform in Turkey after July 15«, in: New Perspectives on Turkey, 59 (2018), S. 135–157 (142).

62

 Dies beklagt selbst ein langjähriger Weggefährte Erdo­ğans, der ihm schon als Bürgermeister von Istanbul nahestand, siehe Hüseyin Besli, »Um nicht zu sagen: Was geht mich das an!« (türk.), in: Aksam (regierungsnahe Zeitung), 10.11.2016, <https://www.aksam.com.tr/huseyin-besli/ yazarlar/bana-ne-demeden-c2/haber-565027>.

63

 So eine Erdoğan-nahe Journalistin, siehe Nagehan Alçı, »Was geschieht, wenn das Bündnis von AKP und MHP zer­bricht?« (türk.), in: HaberTürk, 26.10.2018, <https://www. haberturk.com/yazarlar/nagehan-alci/2192233-cumhur-ittifaki-biterse-ne-olur>. Siehe auch Pinar Tremblay, »Why Erdoğan Is Unhappy with Return of Nationalist Student Oath«, in: Al Monitor, 7.11.2018, <https://www.al-monitor. com/pulse/originals/2018/11/turkey-erdogan-fighting-in-the-student-oath-debate.html>. Mündliche Informationen ver­weisen auf ein ausgesprochen islamistisches Klima in den Spezialeinheiten der Gendarmerie.

64

 Elif Cakir, »Freunde, beruhigt Euch, es geht nur um eine Wahl!« (türk.), in: Karar, 6.6.2018, <http://www.karar.com/ yazarlar/elif-cakir/sakin-olun-arkadaslar-bu-sadece-bir-secim-7160>.

65

 Kemal Öztürk, »Wo sind die Kinder der stillen Revo­lution?« (türk.), in: Yeni Şafak, 1.11.2018, <https://www. yenisafak.com/yazarlar/kemalozturk/sessiz-devrimin-cocuklari-nerede-2047936>.

66

Ebd.

67

Aras/Yorulmazlar, »State, Institutions and Reform in Turkey after July 15« [wie Fn. 61], S. 145 (Übersetzung durch den Autor), als Ergebnis von Interviews mit Angehörigen der Bürokratie in Ankara.

68

 Entsprechende Klagen sind weit verbreitet und betreffen so unterschiedliche Bereiche wie den Außenhandel, die Investitionsförderung, die Diplomatie und die Praxis der Kommunalverwaltungen.

69

 Dies und das Folgende nach Aslı Aydıntasbas, »Wer ist das Regime?« (türk.), in: Cumhuriyet, 6.8.2017, <http://www. cumhuriyet.com.tr/koseyazisi/797155/Rejim_kim_ola_.html>.

70

 Aslı Aydıntasbas, »Was tun?« (türk.) in: Cumhuriyet, 24.5.2018, <http://www.cumhuriyet.com.tr/koseyazisi/ 981703/Ne_yapmali_.html>.

71

 »Er wird sich selbst Aufträge erteilen« (türk.), in: Cumhuriyet, 14.10.2018, <http://www.cumhuriyet.com.tr/haber/ ekonomi/1111485/Kendine_is_verecek.html>.

72

 Erdoğan Sözer, »Die Inflation kostet dem Bürokraten seinen Kopf« (türk.), in: Sözcü, 6.10.2018, <https://www. sozcu.com.tr/2018/ekonomi/enflasyon-canavari-burokratin-basini-yedi-2665149/>.

73

 »Der stellvertretende Chef des Rechnungshofs tritt zurück« (türk.), t24, 6.11.2018, <http://t24.com.tr/haber/ sayistay-baskan-yardimcisi-gorevinden-ayrildi,741019>.

74

 § 85 der Verordnung mit Gesetzeskraft (KHK) 676, siehe Amtsblatt <http://www.resmigazete.gov.tr/eskiler/2016/10/ 20161029-5.htm> (Zugriff 19.3.2019).

75

 Der Rektor der Universität Harran, der von Erdoğan ernannt worden war, erklärte Ende Oktober 2018 im Fern­sehen: »Dem Islam nach ist es eine unbedingte religiöse Pflicht, dem Staatspräsidenten zu gehorchen. Sich ihm ent­gegenzustellen ist eine Verfehlung, die der Fahnenflucht im Kriege gleichkommt.« Video des Fernsehauftritts auf You­tube, <https://www.youtube.com/watch?v= Y3VEhTfHcVE> (Zugriff 17.3.2019). Siehe für ähnlich partei­ische Auftritte: »Rektor wird, wer Gehorsam schwört« (türk.), in: BirGün (linksliberale Zeitung), 1.11.2018, <https://www. birgun.net/haber-detay/biat-eden-rektor-oluyor-235384. html>.

76

 Kemal Öztürk, »Der Wähler will andere Bürgermeister« (türk.), in: Yeni Şafak (AKP-nahe Zeitung), 5.9.2018, <https:// www.yenisafak.com/yazarlar/kemalozturk/secmen-artik-farkli-baskan-istiyor-2047162>.

77

 »Keine Zufluchtsorte mehr! Die meisten Sammelplätze wurden zu Einkaufszentren« (türk.), in: Diken, 7.10.2018, <http://www.diken.com.tr/gidecek-yerimiz-kalmadi-afet-toplanma-alanlarinin-cogu-avm/>.

78

 Abdülkadir Selvi, »Was förderte die Umfrage zutage?« (türk.), in: Hürriyet, 11.9.2018, <http://www.hurriyet.com.tr/ yazarlar/abdulkadir-selvi/anketten-ne-cikti-40952284>. In früheren Jahren lagen die Werte für das Vertrauen in Militär und Polizei regelmäßig weit über 50 Prozent.

79

 So die periodisch durchgeführte »Umfrage zu politischen und sozialen Tendenzen« des Center for Turkish Studies (CTRS) der Universität Kadir Has, Istanbul 2019, S. 29, abrufbar unter <http://www.khas.edu.tr/news/2074> (Zugriff 19.3.2019).

80

 »In einem Jahr verließen mehr als 253 000 Personen das Land« (türk.), in: BirGün (liberale Tageszeitung), 6.9.2018, <https://www.birgun.net/haber-detay/bir-yilda-253-binden-fazla-kisi-ulkeyi-terk-etti-229439.html>.

81

 »Wohin gehen die Türken?« (türk.), in: BirGün, 10.9.2018, <https://www.birgun.net/haber-detay/turkler-nereye-229897.html>.

82

 Ebd.

83

 Nimet Kirac, »Dramatic Demographic Changes Loom for Turkey, Experts Warn«, Al Monitor, 1.10.2018, <https:// www.al-monitor.com/pulse/originals/2018/09/turkey-dramatic-demographic-changes-loom.html>.

84

 »Türken an dritter Stelle derer, die über den Erwerb von Wohnungen Aufenthaltserlaubnisse bekommen« (türk.), in: Diken, 23.9.2018, <http://www.diken.com.tr/yunanistanda-ev-alip-oturma-izni-elde-edenler-turkler-ucuncu-sirada/>.

85

 »In den letzten beiden Jahren stieg die Zahl der Green-Card-Anträge bei den USA um 65 Prozent« (türk.), in: Diken, 28.8.2018, <http://www.diken.com.tr/son-iki-yilda-turkiyeden-abdye-yesil-kart-basvurusu-yuzde-65-artti/>.

86

 Sharma Ruchir, »The Millionaires Are Fleeing. Maybe You Should, Too«, in: New York Times (online), 2.6.2018, <https://www.nytimes.com/2018/06/02/opinion/sunday/millionaires-fleeing-migration.html>.

87

 İbrahim Kahveci, »Ausgleich über den Billiglohn« (türk.), in: Karar, 13.11.2018, <http://www.karar.com/yazarlar/ ibrahim-kahveci/ucuz-iscilik-dengesi-8395>.

88

 Vgl. dazu Günter Seufert, Außenpolitik und Selbstverständnis. Die gesellschaftliche Fundierung von Strategiewechseln in der Türkei, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Juni 2012 (SWP-Studie 11/2012).

89

 Vgl. dazu Günter Seufert, »Von der ›Lösung der Kurdenfrage‹ zum Umgang mit ›Kurdistan‹: Die Verhandlungen der türkischen Regierung mit der PKK«, in ders. (Hg.), Der Auf­schwung kurdischer Politik. Zur Lage der Kurden in Irak, Syrien und der Türkei, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Mai 2015 (SWP-Studie 10/2015), S. 47–60.

90

 Vgl. hierzu und zum Folgenden Sedat Ergin, »Analyse des 24. Juni« (türk.), zehntägige Artikelserie in Hürriyet, Teil 1, 26.6.2018, <http://www.hurriyet.com.tr/yazarlar/sedat-ergin/24-haziran-analizi-1-Erdoganin-mesaji-aldik-dedigi-tablo-neyi-gosteriyor-40877271>.

91

 Vgl. dazu Günter Seufert, The Return of the Kurdish Question. On the Situation of the Kurds in Iraq, Syria and Turkey, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, August 2015 (SWP Comments 38/2015).

92

 Vgl. Ergin, »Analyse des 24. Juni« [wie Fn. 90].

93

 Ein weiteres Zehntel ihrer Wähler verlor die AKP außer­dem an die Republikanische Volkspartei (CHP) bzw. die neugegründete Gute Partei (İyiP), siehe Ergin, »Analyse des 24. Juni« [wie Fn. 90], Teil 7, 4.7.2018, <http://www.hurriyet. com.tr/yazarlar/sedat-ergin/24-haziran-analizi-7-kim-kime-ne-kadar-oy-kaybetti-40885639>.

94

 »Die Umfrage von Area: Wie viele Stimmen für die Parteien, welche Partei erscheint den Wählern als zweite Alternative?« (türk.), t24, 12.2.2019, <https://t24.com.tr/foto-haber/area-nin-anketi-hangi-parti-yuzde-kac-oy-aliyor-secmenin-ikinci-parti-tercihi-ne,7087/2>.

95

 Website der Zeitung <http://www.karar.com>. Erst als Internetzeitung, ab März 2016 im Druck.

96

 Am 12.11.2018 wandte sich die Zeitung deswegen erst­mals an die Öffentlichkeit. »Eine notwendige Erklärung für die Öffentlichkeit und für unsere Leser« (türk.), in: Karar, 12.11.2018,<http://www.karar.com/guncel-haberler/ kamuoyuna-ve-okurlarimiza-zaruri-bir-aciklama-1027209>.

97

 Mehmet Ocaktan, »Warum keine neue Erfolgsgeschichte schreiben?« (türk.), in: Karar, 24.9.2018, <http://www.karar. com/yazarlar/mehmet-ocaktan/neden-yeniden-bir-basari-hikayesi-yazilmasin-ki-7995>.

98

 FETÖ = Terrororganisation Fethullah Gülen, heute die amtliche Bezeichnung für die Geheimgesellschaft des Predigers.

99

 Hakan Albayrak, »Die Worte Cihangir Islams« (türk.), in: Karar, 3.11.2018, <http://www.karar.com/yazarlar/hakan-albayrak/cihangir-islamin-sozleri-8311>.

100

 Vgl. dazu Aufsätze von Theologen wie Ali Bardakoğlu und Mustafa Çagrici sowie des Herausgebers der Zeitung, İbrahim Kiras.

101

 Vgl. die Beiträge Abdurrahman Dilipaks in Yeni Akit, 15.8.2018, 6.10.2018 und 8.10.2018.

102

 Onur Ermen, »Verletzen die Ermittlungen gegen den Abgeordneten der Tugendpartei Cihangir Islam die politische Immunität der Abgeordneten?« (türk.), in: BBC Türkçe, 2.11.2018, <https://www.bbc.com/turkce/haberler-dunya-46073105>.

103

 Kemal Can, »Gnadenherrschaft« (türk.), in: Cumhuriyet, 20.8.2018, <http://www.cumhuriyet.com.tr/koseyazisi/ 1060379/Lutuf_duzeni.html>.

104

 »Wahltag bei der AKP! Änderungen im Parteivorstand und im Erweiterten Parteivorstand« (türk.), in: Sabah, 18.8.2018, <https://www.sabah.com.tr/gundem/2018/08/ 18/ak-partide-secim-gunu-mkyk-ve-myk-degisiyor>.

105

 »Personenkarussell bei der AKP« (türk.), in: Cumhuriyet, 20.9.2018, <http://www.cumhuriyet.com.tr/haber/siyaset/ 1089186/AKP_li_baskanlar_gidici.html>.

106

 Dies und das Folgende nach »Wer ging, wer blieb?« (türk.), t24, 22.5.2018, <http://t24.com.tr/haber/kimler-geldi-kimler-gecti-iste-Erdoğanin-hazirladigi-akp-listesinde-dikkati-cekenler,634340>.

107

 Vgl. dazu Günter Seufert, Erdoğans »Neue Türkei«. Die Restauration des autoritären Staates im Namen der Demokratie, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Oktober 2014 (SWP-Aktuell 60/2014), <https://www.swp-berlin.org/file admin/contents/products/aktuell/2014A60_srt.pdf>.

108

 Dies und das Folgende nach Abdülkadir Selvi, »Beim Umbau [der Partei] sind jetzt die Bürgermeister an der Reihe« (türk.), in: Hürriyet, 20.8.2018, <http://www.hurriyet.com.tr/ yazarlar/abdulkadir-selvi/degisim-sirasi-belediye-baskanlarinda-40933393>.

109

 Dabei handelt es sich nicht um miteinander konkurrierende pro-islamische Parteien, sondern um eine historische Reihe von Parteien, die jeweils gegründet wurden, weil die Vorgängerorganisation verboten worden war.

110

 Vgl. Günter Seufert, Turkey, a Nation Stuck in Politicized Primordial Worldviews, Washington, D.C.: Center for American Progress, 20.2.2018, <https://www.americanprogress.org/ issues/security/news/2018/02/20/446774/turkey-nation-stuck-politicized-primordial-worldviews/>.

111

 Zudem wolle Erdoğan, so Bahçeli damals, eine dynastische Herrschaft seiner Familie einführen sowie Korruptionsermittlungen gegen sich und sein Umfeld ein für alle Mal unterbinden. Vgl. Video auf der Website der Zeitung Sözcü mit Äußerungen Bahçelis im Zeitraum 20.1.2015–5.1.2016, <https://www.sozcu.com.tr/2017/gundem/devlet-bahceli-baskanlik-sistemi-icin-neler-demisti-1613318/>.

112

 »Vorstoß Bahçelis für das Präsidialsystem« (türk.), NTV, 11.10.2016, <https://www.ntv.com.tr/turkiye/bahceliden-baskanlik-sistemi-cikisi,c1WeUw7SfUaRhJHd_4gJAQ?_ ref=infinite>.

113

 Das »Republikanische Bündnis« (Cumhur ittifaki), dem die Opposition ein »Nations-Bündnis« (Millet ittifaki) entgegenstellte.

114

 »Vorstoß Bahçelis für das Präsidialsystem« [wie Fn. 112].

115

 Ebd.

116

 »Wird Bahçeli ablehnen? Erklärung der MHP«, in: Hürriyet (online), 14.4.2017, <http://www.hurriyet.com.tr/ gundem/mhp-hesabindan-evet-paylasimi-40426856>.

117

 »Vorstoß Bahçelis für das Präsidialsystem« [wie Fn. 112].

118

 Vgl. Aras/Yorulmazlar, »State, Institutions and Reform in Turkey after July 15« [wie Fn. 61], S. 150.

119

 Vgl. dazu und zum Folgenden Ali Bayramoğlu, »Ein Schlüssel zur türkischen Politik« (türk.), in: Karar, 14.11.2018, <http://www.karar.com/yazarlar/ali-bayramoglu/turk-siyasetine-dair-bir-anahtar-8409>.

120

 Den überaus konfrontativen Charakter von Bahçelis damaliger Rede verdeutlicht die Videoaufzeichnung: <https://www.youtube.com/watch?v=Bq7RAO6UCWQ> (Zugriff 19.12.2018).

121

 »Die MHP steigert ihren Anteil im Bündnis auf 7 Pro­zent« (türk.), Diken, 3.2.2019, <http://www.diken.com.tr/ cumhur-ittifakinda-mhpnin-payi-yuzde-7-oldu/>.

122

 Vgl. Ihsan Caralan, »Wolfsgeschichten und Renditen im Schutz von schwarzer Propaganda« (türk.), in: Evrensel, 27.11.2018, <https://www.evrensel.net/yazi/82745/kurt-masallari-ve-kara-propagandanin-duldasinda-rant-ittifaki>.

123

 »Andımız«. Die letzten Zeilen des Schwurs lauten: »Ich weihe mich dem Türkentum. Glücklich, wer sagen kann: Ich bin ein Türke.«

124

 Vgl. dazu Kapitel 1: Politische und ideologische Hintergründe der Verfassungsänderung.

125

»Das Vorleben der Präsidentin des Staatsrats, die wegen des Schulschwurs mit Erdoğan über Kreuz liegt« (türk.), t24, 25.10.2018, <http://t24.com.tr/haber/cubbe-iliklemeden-cay-toplamaya-ve-kizinin-atamalarina-ogrenci-andi-konusunda-ters-dusen-cumhurbaskani-ve-danistay-baskaninin-gecmisi,732489>.

126

 »Kurtulmus von der AKP: ›Mit ihrem Urteil zum Schul­schwur hat die hohe Justiz der Politik Fesseln angelegt‹« (türk.), in: Diken, 20.10.2018, <http://www.diken.com.tr/akpli-kurtulmus-yuksek-yargi-andimiz-karariyla-siyaseti-imkansiz-kildi/>.

127

 Batuhan Çolak, »Ein Plan, den Türken ihren Staat zu nehmen« (türk.), in: Yeniçag, 23.10.2018, <https://www. yenicaggazetesi.com.tr/turkleri-devletsiz-birakma-projesi-49342yy.htm>.

128

 Yusuf Kaplan, »Staatsrat-Skandal Nr. 2: Versuch, das Vormundschaftsregime wiederzubeleben« (türk.), in: Yeni Şafak, 22.10.2018, <https://www.yenisafak.com/yazarlar/ yusufkaplan/ikinci-danistay-vakasi-vesayet-rejimini-hortlatma-cabasi-2047798>.

129

 »Erdoğan gibt bekannt, warum der Schulschwur abgeschafft wurde« (türk.), in: Milliyet, 8.10.218, <http:// www.milliyet.com.tr/Erdoğan-dan-partililere-gonderme-siyaset-1774517/>.

130

 Die Rede auf Youtube: <https://www.youtube.com/ watch?v=6uNRaoneDBk> (Zugriff 19.3.2019).

131

 Kaplan, »Staatsrat-Skandal Nr. 2« [wie Fn. 128].

132

 Çolak, »Ein Plan, den Türken ihren Staat zu nehmen« [wie Fn. 127].

133

 Vgl. Aras/Yorulmazlar, »State, Institutions and Reform in Turkey after July 15« [wie Fn. 61], S. 151.

134

 Von einer Kaderbildung sogenannter Eurasier in der Justiz sprechen auch Alçı, »Was geschieht, wenn das Bündnis von AKP und MHP zer­bricht?« [wie Fn. 63], Aslı Aydıntasbas, »Ist das die Staatsräson?« (türk.), in: Cumhuriyet, 26.8.2018, <http://www.cumhuriyet.com.tr/koseyazisi/ 1064668/Bu_mu_ devlet_akli_.html>, sowie »Die Justiz gerät in die Hände von Eurasiern« [wie Fn. 47].

135

 Vgl. Yıldıray Ogur, »Atatürk, der Chef der Haupt­oppositionspartei« (türk.), in: Karar, 12.11.2018, <http:// www.karar.com/yazarlar/yildiray-ogur/ana-muhalefet-lideri-ataturk-8388>.

136

 Hasan Öztürk, »Was sehen die islamistischen Kollegen, wenn ich ihnen den Spiegel vorhalte?« (türk.), in: Yeni Şafak, 18.11.2018, <https://www.yenisafak.com/yazarlar/hasan ozturk/bir-ezik-musluman-olarak-islamci-arkadaslara-ayna-tutsam-suret-olarak-ne-gorurler-acaba-2048161>, und Akif Beki, »Zeit für einen Friedensschluss mit [Ismet] Inönü« (türk.), in: Karar, 30.10.2018, <http://www.karar.com/ yazarlar/akif-beki/sira-inonuyle-de-barismakta-8287>.

137

 In einer Meinungsumfrage von Ende 2017 schätzten sich Sympathisanten der MHP häufiger als die Sympathisanten aller anderen Parteien als besonders chancenreich auf dem Arbeitsmarkt ein. Bilgi Üniveristesi, Untersuchung zum Ausmaß der Polarisierung in der Türkei (türk.), Februar 2018, S. 21, <https://goc.bilgi.edu.tr/media/uploads/2018/02/05/bilgi-goc-merkezi-kutuplasmanin-boyutlari-2017-sunum.pdf> (Zugriff 15.12.2019).

138

 Ebd.

139

 »Stellungnahme des MHP-Chefs Bahçeli zum Schulschwur« (türk.), in: HaberTürk, 20.10.2018, <https://www. haberturk.com/mhp-lideri-bahceli-den-andimiz-aciklamasi-2186593>. 2013 sprach Bahçeli in dieser Frage gar von »Verräterei«. Youtube, 1.12.2013, <https://www.youtube. com/watch?v=N_OmLnVXh2Y> (Zugriff 15.11.2018).

140

 Yıldıray Çiçek, »Die Krypto-Gülenisten [in der AKP] tanzen vor Freude« (türk.), in: Türkgün (Tageszeitung), 24.10.2018, <https://turkgun.com/kriptolar-mutlu-zil-takip-oynuyorlar/>.

141

 »[Erdoğan:] Keine Kommentare zu den Kandidaten der MHP!« (türk.), in: Türkiye (regierungsnahe Tageszeitung), 8.12.2018, <https://www.turkiyegazetesi.com.tr/politika/ 592411.aspx>.

142

 Vgl. Konda [Meinungsforschungsinstitut], Barometer Juni 2018 (türk.), S. 101, <http://konda.com.tr/wp-content/ uploads/2018/07/1807_KONDA_24HaziranSecimleriSandik Analizi.pdf>.

143

 »Nichtintendierte Folge: Die Jugend orientiert sich an Atatürk« (türk.), in: Cagdashareket (kemalistische Website), <http://www.cagdashareket.com/ters-tepti-genclik-ataturk-e-yoneliyor-iste-o-satirlar> (Zugriff 19.3.2019).

144

 Aufgefordert, die eigene kollektive Identität zu bestim­men, nannten Ende 2017 in einer Umfrage rund 30 Prozent »Türke«, 17 Prozent »Anhänger Atatürks« und 13 Prozent »gläubig/fromm«. Bilgi Üniversitesi, Untersuchung zum Ausmaß der Polarisierung in der Türkei [wie Fn. 137], S. 18.

145

 So eine Umfrage der CHP, siehe »Für die Wähler steht die Politik der Parteien im Vordergrund« (türk.), in: Milliyet, 9.12.2018, <http://www.milliyet.com.tr/secmenin-onceligi-parti-politikasi-siyaset-2791986/>.

146

 »European Parliament Resolution of 24 November 2016 on EU-Turkey Relations«, Website des Europaparlaments, 25.11.2016, <http://www.europarl.europa.eu/sides/
getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P8-TA-2016-0450+0+ DOC+XML+V0//EN&language=DE
> (Zugriff 19.3.2019), Punkt 1 der Entschließung.

147

 »PACE Reopens Monitoring Procedure in Respect of Turkey«, Website des Europarates, 25.4.2017, <http:// assembly.coe.int/nw/xml/News/News-View-EN.asp? newsid=6603&lang=2.>.

148

 »European Parliament Resolution of 6 July 2017 on the 2016 Commission Report on Turkey«, <http://www.europarl. europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P8-TA-2017-0306+0+DOC+XML+V0//EN> (Zugriff 19.3.2019).

149

 »Enlargement and Stabilisation and Association Process: Council Conclusions«, Website des Europäischen Rates, 26.6.2018, <https://www.consilium.europa.eu/media/ 35863/st10555-en18.pdf> (Zugriff 19.3.2019), Punkt 36 der Schlussfolgerung.

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