Die internationale Klimapolitik strebt an, den Temperaturanstieg auf 1,5 bis 2 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Dem steht nach wie vor ein steigender Ausstoß von Treibhausgasen gegenüber. In den Szenarien des Weltklimarats (IPCC) spielen deshalb neben der klassischen Emissionsreduktion zunehmend auch Ansätze eine Rolle, mit denen der Atmosphäre Kohlendioxid (CO2) entzogen werden kann. Hingegen wird die Option einer gezielten Beeinflussung der Sonneneinstrahlung in solchen Szenarien bislang nicht berücksichtigt, vor allem wegen geophysikalischer wie geopolitischer Risiken. Für 2020 ist ein Feldexperiment zur Einbringung reflektierender Partikel in die Stratosphäre geplant – es könnte die Frage nach angemessenen Normen, Prinzipien, Institutionen und Regularien für Solares Strahlungsmanagement auf die politische Agenda bringen. Weil diese Technologie sich noch in einer frühen Entwicklungsphase befindet und die Präferenzen der meisten Regierungen noch unklar sind, sollten Governance-Bemühungen einem vorausschauenden Ansatz folgen, der auf künftige Entwicklungen flexibel reagieren kann. Dabei liegt es im Interesse der Europäischen Union (EU), eine solche Debatte im Umwelt- und Klimaregime der Vereinten Nationen (VN) zu verankern.
Auch mehr als 25 Jahre nach der Verabschiedung der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) nehmen die weltweiten Treibhausgasemissionen weiter zu. Während das Pariser Abkommen von 2015 darauf abzielt, den durchschnittlichen Temperaturanstieg auf deutlich unter 2 Grad Celsius und vorzugsweise sogar auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu limitieren, gehen die aktuellen Prognosen von einer 3 bis 3,5 Grad Celsius wärmeren Welt bis 2100 aus. Da sich die globale Durchschnittstemperatur seit dem vorindustriellen Niveau bereits um 1 Grad Celsius erhöht hat, steht die internationale Klimapolitik unter großem Handlungsdruck. Der jüngste Sonderbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) stellte 2018 fest, dass das 1,5-Grad-Ziel nur dann mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eingehalten werden kann, wenn die Emissionen von Kohlendioxid bis 2030 um 50 Prozent reduziert werden und spätestens zur Mitte des Jahrhunderts weltweit ein Ausgleich zwischen Emissionen und Senken erreicht wird (»Netto-Null«).
Gezielte Eingriffe ins Klimasystem?
Angesichts des Widerspruchs zwischen ehrgeizigen Temperaturzielen und weiter steigenden Emissionen werden in der Klimaforschung seit mehr als zehn Jahren auch Optionen für gezielte großskalige Eingriffe in das Klimasystem erwogen und häufig unter dem Oberbegriff »Geoengineering« (oder »Climate Engineering«) zusammengefasst. Dem liegt die Erwartung zugrunde, dass sich mit solchen Interventionen ein zwischenzeitliches Überschreiten des angestrebten Temperaturniveaus (overshoot) begrenzen oder ausgleichen ließe.
Dabei kann man grundsätzlich zwei Herangehensweisen unterscheiden. Mit Methoden zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre (Carbon Dioxide Removal, CDR) könnten langfristig weltweit netto negative Emissionen erlangt werden. Die entsprechenden Ansätze lassen sich als Erweiterung klassischer Klimaschutzanstrengungen einstufen. Sie reichen von großflächigen Aufforstungsprogrammen über die Erzeugung von Pflanzenkohle bis hin zur geologischen Speicherung von aus der Luft gefiltertem CO2. Allerdings erscheinen die in den Emissionsszenarien des IPCC angenommenen Mengen an CO2, die auf diesem Weg reduziert werden könnten, unrealistisch hoch.
Im Gegensatz zu den CDR-Verfahrensweisen setzt Solares Strahlungsmanagement (Solar Radiation Management, SRM) nicht an den Ursachen der Erderwärmung an, also an der zu hohen Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre. Stattdessen sind die SRM-Methoden darauf gerichtet, den Strahlungshaushalt der Erde so zu verändern, dass der Temperaturanstieg zumindest verlangsamt würde: zum Beispiel durch die Injektion reflektierender Aerosole in die Stratosphäre, durch die Aufhellung von Meereswolken oder durch die Erhöhung der Reflexion von Land- und Meeresoberflächen. Diese Beeinflussung des Strahlungshaushalts würde das Ausmaß der Klimawandelfolgen von der Treibhausgaskonzentration teilweise entkoppeln. Grafik 1 gibt einen schematischen Überblick. Die mit dem ungeminderten Emissionsverlauf verbundenen Klimawandelfolgen können durch eine ambitionierte Emissionsreduktion und eine zusätzliche CO2-Entnahme aus der Atmosphäre verringert werden. Solares Strahlungsmanagement könnte temporär eingesetzt werden und bewirken, dass die Erwärmung zu einem früheren Zeitpunkt abgebremst würde, als dies klassische Klimaschutzmaßnahmen und CDR allein erreichen könnten.
Bei der bekanntesten und wirksamsten SRM-Methode werden kontinuierlich reflektierende Partikel in die untere Stratosphäre injiziert. Damit lässt sich die Menge der einfallenden Sonnenstrahlung minimal (um 1–2 Prozent) und relativ rasch reduzieren, ein Effekt, der auch bei großen Vulkaneruptionen eintritt.
Der IPCC bezieht den Einsatz von SRM-Methoden bislang nicht in seine Szenarien ein. Einerseits gibt es ethische und politische Bedenken, andererseits sind diese Verfahren noch weit von einem anwendungsreifen Stadium entfernt. Die Potentiale und Risiken entsprechender Eingriffe werden dennoch seit geraumer Zeit erforscht.
Mit der stratosphärischen Aerosolinjektion gehen erhebliche geopolitische und geophysikalische Risiken einher, da eine Koalition aus wenigen großen Staaten sie potentiell durchführen könnte. Außerdem könnte sie die globale Mitteltemperatur viel schneller verändern als jede andere klimapolitische Maßnahme. Abhängig von der konkreten Implementierung können sich unter anderem negative Auswirkungen auf regionale Niederschlagsmuster, das Pflanzenwachstum oder die Ozonschicht ergeben. Angesichts der natürlichen Variabilität des Klimasystems wäre die eindeutige geophysikalische Zuordnung negativer Effekte sehr schwierig, was neue geopolitische Herausforderungen nach sich zöge. Wenn nämlich extreme Wetterereignisse nicht mehr nur als unvermeidliche Konsequenz eines jahrzehntelangen kollektiven Versagens in der globalen Klimapolitik wahrgenommen werden, sondern als direkte Folge des Handelns eines Landes oder einer Staatenkoalition, dann dürfte dies bestehende internationale Konflikte verschärfen – wenn nicht gar neue hervorbringen. Nutzen und Risiken von SRM sind regional ungleich verteilt. Dies führt zu der Frage, wie man eine legitime Entscheidung darüber treffen könnte, welche Durchschnittstemperatur mithilfe von SRM angezielt werden sollte.
Die Debatte über geeignete Governance-Ansätze für Solares Strahlungsmanagement entstand bereits zu Beginn der naturwissenschaftlichen SRM-Forschung. Verschiedenste multilaterale Abkommen decken lediglich einzelne Aspekte ab, die für SRM relevant sind. Dies liegt zum Teil daran, dass sich SRM noch in einem frühen Stadium der Forschung und Entwicklung befindet, aber auch daran, dass sich die diversen Methoden hinsichtlich potentieller Gefahren und Nutzen deutlich voneinander unterscheiden und folglich sehr verschiedene Anforderungen an ihre Governance stellen. Zurzeit verhalten sich nationale Regierungen und Verhandler in multilateralen Foren noch eher abwartend. Dass das erste Feldexperiment in der Stratosphäre die Wahrnehmung von SRM weltweit verändern wird, ist jedoch sehr wahrscheinlich. Für 2020 ist in den USA ein Versuch geplant, bei dem Partikel in 20 km Höhe freigesetzt werden. Dieses Experiment – bzw. die mediale Berichterstattung darüber – könnte den Druck, Governance-Mechanismen für SRM zu entwickeln, stark erhöhen. Zum einen dürfte die Befürchtung laut werden, unregulierte Forschungsaktivitäten könnten hohe Risiken mit sich bringen. Zum anderen könnte bald die Frage im Raum stehen, wie sich verhindern lässt, dass kleinere Gruppen von Staaten und Unternehmen vorpreschen und mit dem Verweis auf einen regionalen »Klimanotstand« eigenmächtig damit beginnen, SRM-Methoden einzusetzen, deren Effekte grenzüberschreitend oder gar global wirksam sein werden.
Wechselwirkung zwischen Zielen und Instrumenten
Bislang hat es nur wenig Versuche gegeben, auf der Ebene der Vereinten Nationen eine spezifische Geoengineering-Governance zu entwickeln. Ein in politischen Debatten häufig angeführtes »De-facto-Moratorium« für Geoengineering im Rahmen der VN-Biodiversitätskonvention (CBD) besteht aus völkerrechtlich nicht bindenden Entscheidungen der Vertragsstaatenkonferenzen. Ein im März 2019 von der Schweiz bei der VN-Umweltversammlung (UNEA) eingereichter Antrag auf eine Expertenbewertung des Geoengineerings sowie seiner Regulierung hatte keinen Erfolg. Angesichts der Tatsache, dass die meisten Regierungen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Klimaforscher bisher eine detaillierte Diskussion über SRM vermieden haben, konnte die Ablehnung des schweizerischen Vorschlags nicht überraschen. Die Gründe für eine Zurückhaltung oder ein striktes Nein sind sehr unterschiedlich. Befürworter einer ambitionierten Klimapolitik und Klimawissenschaftler befürchten in der Regel, eine offene Debatte über SRM könnte dessen »Normalisierung« nach sich ziehen: Wenn SRM-Methoden als legitimer Bestandteil eines künftigen Policy-Mixes erschienen, könnte dies die laufenden Klimaschutzbemühungen untergraben. Sie sehen vor allem bei der als besonders wirksam eingeschätzten Injektion von Aerosolen in die Stratosphäre die Gefahr, dass sie als Ersatz für eine drastische Reduzierung von Treibhausgasemissionen betrachtet werden würde. Regierungen wiederum, die sich grundsätzlich gegen massive Emissionsreduktionen aussprechen, würden bei einer ernsthaften Debatte über SRM zumindest implizit die Bedrohung durch den Klimawandel anerkennen. Schließlich könnte eine Governance-Debatte zu einer frühzeitigen Festlegung von Regeln führen, noch bevor einzelne Staaten Klarheit über die potentiellen strategischen Vor- und Nachteile entsprechender Technologien gewonnen haben.
Das Weltklima wird sich möglicherweise um mehr als 3 Grad Celsius bis zum Ende dieses Jahrhunderts erwärmen und bereits heute sind Auswirkungen des Klimawandels sichtbar. Deshalb werden sich die klimapolitischen Akteure früher oder später mit dem Zielkonflikt zwischen ehrgeizigen Temperaturzielen und den geophysikalischen wie geopolitischen Risiken von SRM auseinandersetzen müssen. Die konzeptionelle Idee des Solaren Strahlungsmanagements wird hauptsächlich in den USA, China, Australien und der EU beforscht und in Anbetracht des steigenden Handlungsdrucks auch nicht einfach wieder verschwinden. Dies bedeutet keineswegs, dass bei einer wahrscheinlichen Überschreitung des 1,5-bis-2-Grad-Celsius-Zielkorridors und bei sich beschleunigenden Klimawandelfolgen SRM eingesetzt werden wird. Vielmehr werden Regierungen verschiedene Arten von Risiken abwägen und sich dem zugrunde liegenden Normkonflikt zwischen Vorsorgeprinzip und Schadensminimierung stellen müssen. Selbst wenn sie sich für ein temporäres Moratorium oder ein dauerhaftes Verbot von SRM-Technologien entscheiden sollten, braucht es hierfür eine grundlegende und nachvollziehbare Begründung.
Vorausschauende Governance
Die Nutzung von SRM ist nach wie vor ein hypothetisches Konzept. Zwar lassen sich dessen Erfolgsaussichten aus beobachteten Effekten auf die Temperatur nach größeren Vulkanausbrüchen (etwa Mount Pinatubo, 1991) ableiten, ebenso geben globale Klimamodelle Aufschlüsse. Es ist aber unklar, ob der bewusste Einsatz von SRM ingenieurtechnisch beherrschbar ist und in der Anwendung so effektiv wäre wie bislang angenommen, und falls ja, welche geophysikalischen und geopolitischen Nebenwirkungen dabei zu erwarten sind. Solche erst im Entstehen begriffenen und potentiell disruptiven Technologien können nicht schon im Voraus durch umfassende institutionelle Strukturen reguliert werden. Diese würden sich im Nachhinein entweder als zu großzügig oder zu restriktiv und angesichts der Vielfalt an Methoden als zu wenig spezifisch erweisen.
Viele der gegenwärtigen technologischen, ökologischen und politischen Annahmen über die Folgen von SRM könnten sich in Zukunft als falsch herausstellen; so zum Beispiel die verbreitete Vorstellung, SRM liege im Interesse der Industrieländer, nicht aber des Globalen Südens. Es ist durchaus denkbar, dass Regierungen aus den verwundbarsten Regionen der Welt wegen immer drastischerer Klimawandelfolgen in den 2030er-Jahren den Einsatz von SRM fordern. Ebenso könnte sich die von vielen geteilte Ansicht, stratosphärische Aerosolinjektionen seien vergleichsweise kostengünstig, als zu optimistisch erweisen, sei es aufgrund unerwarteter technischer Schwierigkeiten oder der Kosten, die mit begleitenden Haftungsregelungen verbunden sind. Bestehende Rechtssysteme (wie nationales Schadenersatzrecht oder das Prinzip staatlicher Verantwortung im Rahmen des Völkergewohnheitsrechts) sowie Versicherungsregime für SRM-Tests oder die SRM-Anwendung würden den erwarteten Herausforderungen wohl nicht gerecht.
Dementsprechend sollten sich die internationale Staatengemeinschaft, die organisierte Zivilgesellschaft und die Forschungscommunity um eine Regulierung bemühen, und zwar parallel zur Entwicklung der jeweiligen SRM-Technologien – mit dem Ziel, gegenüber Erforschung, Entwicklung, Demonstration und etwaiger Anwendung mindestens einen Schritt voraus zu sein. Ein solcher Ansatz wird notwendigerweise nicht zu einer allumfassenden Neuregulierung führen, sondern sowohl auf bestehende Foren und Regeln zurückgreifen als auch darauf abzielen, neue, besser geeignete zu kreieren.
Rolle des UNFCCC-Regimes stärken
Um einen regelmäßigen Austausch über die Governance-Optionen für Geoengineering-Methoden zu ermöglichen, müssten diese Methoden zunächst als legitimer Verhandlungsgegenstand im Rahmen der UNFCCC anerkannt werden. Bislang betrachten die verhandelnden Parteien insbesondere SRM mit Misstrauen, bisweilen fordern sie auch ein vollständiges Verbot, selbst für die Forschung. Andererseits könnten Ereignisse wie das stratosphärische Feldexperiment SCoPEx (Stratospheric Controlled Perturbation Experiment), dessen Durchführung von einem Forscherteam der Harvard-Universität für 2020 geplant ist, nicht nur die öffentliche Wahrnehmung von SRM signifikant verändern. Wichtige Akteure des globalen Klimaregimes, wie China oder die EU, könnten sich dadurch gezwungen sehen, darauf zu reagieren und über die Notwendigkeit von Governance-Strukturen für SRM zu verhandeln.
Eine UNFCCC-Debatte über SRM-Methoden könnte sich fürs Erste auf zwei Aspekte konzentrieren: Einordnung ins Klimaregime und Kontrolle. Hinsichtlich der Bedeutung von SRM als einer möglichen Maßnahme, um die Folgen des Klimawandels abzuschwächen, sollten die Vertragsparteien einen größtmöglichen Konsens darüber anstreben, dass SRM kein Ersatz für die Reduktion von Emissionen sein kann. Klimaschutz ist Teil des genetischen Codes der UNFCCC und ein grundlegender Umweltschutzanspruch. Je mehr global mit klassischen Klimaschutzmaßnahmen sowie der Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre erreicht werden kann, desto geringer die potentielle Rolle von SRM. Darüber hinaus dient das Klimaregime seinen Vertragsparteien zur Klärung einer Vielzahl von strittigen Fragen (Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, Finanzierung, Verluste und Schäden) auf der Grundlage des Multilateralismus und des Interessenausgleichs. Sollten einzelne Staaten SRM in Zukunft ernsthaft in Betracht ziehen – zum Beispiel als möglichen »Notfallansatz« –, hätte eine baldige Ausweitung der Verhandlungsagenda einen entscheidenden Vorteil: Diese Staaten wären bereits in den internationalen klimapolitischen Beratungsprozess über SRM eingebunden und könnten die UNFCCC nicht einfach umgehen.
Eine der Hauptsorgen der UNFCCC-Vertragsstaaten dürfte darin bestehen, dass die Kontrolle über die Parameter des Klimasystems in die Hände nur weniger Länder fällt. Dieser Befürchtung könnte man nur durch eine Mischung aus Vertrauensbildung und Überwachung begegnen, sowohl auf politischer als auch auf technologischer Ebene. Die künftige Einbettung von SRM in die Verhandlungsagenden unter dem Klimaregime würde dafür sorgen, dass die mächtigsten Akteure (Staaten mit den Mitteln und dem Willen, SRM einzusetzen oder dem SRM-Einsatz durch andere entgegenzuwirken) nicht ohne Rückkopplung mit anderen Verhandlungsparteien agieren können. Entscheidungen für oder gegen den Einsatz von SRM würden immer auch andere Bereiche der VN-Klimapolitik direkt beeinflussen.
In der gegenwärtigen institutionellen Landschaft wäre es vorzuziehen, wenn die UNFCCC – unterstützt von eng verbundenen Institutionen wie dem IPCC, dem VN-Umweltprogramm (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) – zum zentralen politischen Ort und Informationszentrum für SRM und dessen Regulierung würde. Dies könnte am besten sicherstellen, dass die politische Debatte wie auch Forschung und Entwicklung in das multilaterale Klimaregime eingebettet sind.
Risiko von Alleingängen
Es ist jedoch unklar, ob die Vertragsstaaten der UNFCCC bereit oder in der Lage sein werden, mit SRM offen umzugehen. Da Beschlüsse im Rahmen der UNFCCC konsensual getroffen werden, könnte eine Minderheit von Regierungen jede sinnvolle Diskussion blockieren. Selbst wenn es zu einer solchen Debatte käme, könnten daraus zu restriktive oder zu schwache Leitlinien hervorgehen. Ein wie auch immer gearteter Konsens im Rahmen der UNFCCC würde wahrscheinlich nicht verhindern, dass einzelne Akteure – seien es Nationalstaaten, Privatunternehmen oder Wissenschaftler – mit der Erforschung, Entwicklung, Demonstration oder sogar dem Einsatz von SRM-Technologien voranschreiten. Ihre Interessen und Motive müssen dabei nicht zwingend klimapolitischer Natur sein. Derzeit verbietet das Völkerrecht SRM nicht, obwohl einige Bestimmungen bestehender Vereinbarungen durchaus Anwendung finden, etwa aus dem Montrealer Protokoll zum Schutz der Ozonschicht, dem Übereinkommen über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung (CLRTAP), dem VN-Seerechtsübereinkommen (UNCLOS) oder dem Umweltkriegsübereinkommen (ENMOD).
Potentiell disruptive Technologien wie die stratosphärische Aerosolinjektion, die sich nicht nur abstrakt auf das Klima, sondern auch konkret auf die internationale Sicherheit oder auf landwirtschaftliche Erträge auswirken könnten, dürften von einer ganzen Bandbreite politischer Akteure und Interessengruppen in Betracht gezogen werden. Somit reichen Diskussionen über eine geeignete Governance weit über die VN-Klima- und ‑Umweltpolitik hinaus. Entscheidungen über den Einsatz solcher Technologien würden letztlich in den Händen von Staats- und Regierungschefs liegen. Dadurch könnten Überlegungen ins Spiel kommen, die in der bisherigen Debatte über eine SRM-Governance zu kurz kommen, zum Beispiel der Wunsch, politische oder technologische Führungsstärke zu zeigen, und die Option, in Zeiten einer (wahrgenommenen) Krise Handlungsfähigkeit zu beweisen.
Um dem Risiko zu begegnen, dass ein einzelner Staat oder eine kleine Koalition einen SRM-Einsatz als (vorgebliche) »Notfallmaßnahme« vorantreibt, ist es notwendig, hochrangige internationale Foren zu etablieren. Diese müssen einerseits einen intensiven Dialog über Normen, Prinzipien, Institutionen und Regularien für Solares Strahlungsmanagement ermöglichen, andererseits potentiell auch in der Lage sein, die nächsten praktischen Schritte zu veranlassen und sowohl national wie international relevante Akteure aus benachbarten Politikfeldern einzubeziehen. Da sich die SRM-Forschung noch in einem frühen Stadium befindet, werden etwa die Vereinigten Staaten und China nur ungern ihre Möglichkeiten einschränken wollen, indem sie sich in absehbarer Zeit auf ein detailliertes Regelwerk einigen. Gleichzeitig würden sie es ablehnen, dass eine konkurrierende Macht unreguliert oder ohne externe Kontrolle handelt. Anders ausgedrückt: Solange eine große Unsicherheit darüber besteht, was durch unilaterales Handeln zu gewinnen oder zu verlieren wäre, gibt es offensichtlich wenig Interesse an einer globalen Governance-Lösung.
Angesichts einer solchen Konstellation könnte ein hochrangiges repräsentatives Konsultationsgremium ein geeigneter Einstiegspunkt für eine globale SRM-Governance sein. In Frage käme zum Beispiel eine »Weltkommission für SRM« (oder für gezielte Eingriffe in das Klimasystem), nach dem Vorbild der von den Vereinten Nationen mandatierten Weltkommission für Umwelt und Entwicklung unter Gro Harlem Brundtland (1983–87), die die grundlegenden Zusammenhänge für eine nachhaltige Entwicklung ausarbeitete. Praktische Ergebnisse eines solchen Prozesses, der eine breite Beteiligung über die nationalen Regierungen hinaus erfordern würde, könnten Arbeitsprogramme sein. Sie sollten bestehende internationale Vereinbarungen über SRM stärken, die Kapazitäten für regionale Kooperation und Konfliktlösung ausbauen sowie Überwachungssysteme entwickeln, mit denen sich der etwaige Einsatz von SRM oder die Weitergabe von Technologiekomponenten kontrollieren ließen. Mithilfe einer transparenten Zusammenführung und Bewertung des global verfügbaren Wissens über Solares Strahlungsmanagement könnten sich nationale Interessen im Rahmen einer umfassenden internationalen Debatte herauskristallisieren. Ein solcher Prozess könnte die Vorteile eines globalen Governance-Ansatzes für SRM für alle Beteiligten deutlich werden lassen und wäre zugleich ein erster Schritt in diese Richtung.
Regulierung der Forschung
Planungen für Feldexperimente zur Injektion reflektierender Aerosole in die Stratosphäre oder zur Aufhellung von Meereswolken konkretisieren sich derzeit in den USA, solche zur Erhöhung der Reflexion von Meeresoberflächen in Australien. Das Interesse an SRM-Feldexperimenten lässt sich darauf zurückführen, dass seit über zehn Jahren mit Simulationen in Klima- und Erdsystemmodellen versucht wird, die Auswirkungen verschiedener SRM-Interventionen zu bewerten. Hinzu kommt eine vergleichsweise umfangreiche sozialwissenschaftliche Begleitforschung, etwa zu ethischen Fragen, Mustern der öffentlichen Wahrnehmung sowie dem Aufbau einer SRM-spezifischen Governance.
Feldexperimente können das Verständnis für physikalische und chemische Prozesse verbessern, gleichzeitig wird die technische Ausrüstung getestet, die für SRM eingesetzt werden kann. Sie könnten aber auch Belege dafür liefern, dass die bislang in SRM gesetzten Erwartungen nicht erfüllbar sind. Versuche könnten insofern dazu beitragen, gefährliche Wetten auf spekulative technologische Eingriffe zur Eindämmung der globalen Erwärmung einzuhegen. Dadurch würde die Gefahr gemindert, dass das Wissen um SRM-Methoden zu Lasten des Engagements für Emissionsreduzierungen gehen würde.
Die Erforschung von SRM, insbesondere durch Feldexperimente, erfordert Leitlinien und Verfahren, die im Laufe der Zeit bottom‑up zu sich gegenseitig befruchtenden Lernprozessen führen und in Normen und Regularien für die globale SRM-Governance einfließen können.
Frühere SRM-Experimente, wie das öffentlich umstrittene und vorzeitig abgebrochene Projekt SPICE (Stratospheric Particle Injection for Climate Engineering) im Vereinigten Königreich, haben eines gezeigt: Transparenz und Rechenschaftspflicht der Forschung sind wichtige Bestandteile solcher Projekte, einschließlich der Offenheit über Forschungsziele, ‑methoden und ‑ergebnisse sowie über mögliche Interessenskonflikte, etwa bei Patenten. Dies könnte man durch Verhaltenskodizes für verantwortungsvolle SRM-Forschung erreichen, die von Projektförderern oder nationalen Wissenschaftsorganisationen durchgesetzt werden könnten. Einige dieser Akteure haben bereits damit begonnen, SRM-Forschungsagenden auszuarbeiten, etwa die US-amerikanische Dachorganisation National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine (NASEM). Für das SCoPEx-Experiment werden Governance-Mechanismen erarbeitet, die über die rechtlichen Vorgaben in den USA deutlich hinausgehen.
Verhaltenskodizes würden zunächst in verschiedenen Ländern parallel entwickelt. Ein Effekt wäre ein gegenseitiges Lernen über geeignete Verfahren zur Genehmigung und Durchführung von Forschungsprojekten, was die globale Normentwicklung für eine SRM-Governance befördern dürfte. Für den Fall, dass in den für die SRM-Forschung relevanten Ländern hohe Standards gesetzt werden, wäre es denkbar, eine internationale Clearingstelle für SRM-Forschung einzurichten, die beispielsweise von der UNFCCC oder der WMO betrieben werden könnte. Dies würde es den Regierungen ermöglichen, Forschungsprioritäten international zu koordinieren. Zugleich wäre ein hohes Maß an Transparenz über Forschungsaktivitäten und -ergebnisse gegeben als wesentliche Voraussetzung für eine breite und informierte öffentliche Debatte über Nutzen und Risiken von Solarem Strahlungsmanagement.
Fazit
Die Governance von Solarem Strahlungsmanagement befindet sich noch in einer frühen Phase. Doch spätestens mit dem ersten Feldexperiment in der Stratosphäre wird in vielen Staaten das Bewusstsein dafür wachsen, dass ein intensiver Dialog über Normen, Prinzipien, Institutionen und Regularien für SRM vonnöten ist – auch wenn man den Einsatz von SRM verhindern möchte. Es ist sinnvoll, eine SRM-spezifische Governance Schritt für Schritt aufzubauen. Denn die technischen und politischen Entwicklungen sind aktuell nicht vorhersehbar und die meisten Staaten sind sich über ihre Ziele im Umgang mit SRM noch gar nicht im Klaren. Eine solche Herangehensweise sollte Regierungen und Forschungseinrichtungen, Unternehmen und die Zivilgesellschaft einbeziehen.
Die EU stellt diese Situation politisch vor eine große Herausforderung. Sie nimmt bislang weder in der Forschung noch in der politischen Debatte über SRM eine maßgebliche Rolle ein. Sie wird einen Weg finden müssen, diese Debatte konstruktiv zu führen, aber dennoch in einer Weise, die ihre bisherige Vorreiterrolle in der internationalen Klimapolitik, die Emissionsreduktionen deutlich in den Mittelpunkt stellt, nicht unglaubwürdig werden lässt. Umso wichtiger wäre, dass die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten jetzt damit beginnen, ihre Strategie für die künftige Handhabung von SRM zu klären, um auf kommende Entwicklungen vorbereitet zu sein – seien es Governance-Initiativen Dritter, Feldexperimente oder Ankündigungen anderer Staaten, SRM ernsthaft zu erwägen oder gar einzusetzen. Der Schwerpunkt der europäischen Bemühungen sollte zweifelsohne darauf gerichtet sein, die Governance von SRM im Rahmen des VN-Umwelt- und Klimaregimes voranzubringen. Aufgrund der entwicklungs- und sicherheitspolitischen Dimensionen eines möglichen Einsatzes von stratosphärischen Aerosolinjektionen ist allerdings ein breiterer politischer Ansatz gefragt. Nur so können sich die EU und ihre Mitgliedstaaten in die Lage versetzen, in der bevorstehenden Auseinandersetzung über die Governance von Solarem Strahlungsmanagement eine wichtige internationale Vermittlungsposition einzunehmen, bei der es darauf ankommt, vorausschauend, flexibel und glaubwürdig zu agieren.
Dr. Oliver Geden ist Leiter der Forschungsgruppe EU / Europa und Leitautor für den 6. IPCC-Sachstandsbericht.
Dr. Susanne Dröge ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Globale Fragen.
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ISSN 1611-6364
doi: 10.18449/2019A36
Bei diesem SWP-Aktuell handelt es sich um eine übersetzte und erweiterte Fassung des Council of Councils Working Papers »The Anticipatory Governance of Solar Radiation Management«.