Beim Stichwort Gesundheitsrisiken in Entwicklungsländern denken viele an Ereignisse wie die Ebolafieber-Epidemie 2014 und 2015 in Westafrika. Dagegen sind die Auswirkungen des Handels mit gefälschten und minderwertigen Medikamenten weit weniger bekannt. Davon besonders betroffen sind Entwicklungsländer. Weil dort Regulierung und Kontrollen meist ebenso unzureichend sind wie die Gesundheitsversorgung, sind sie einfache Ziele für den illegalen Handel – mit massiven gesundheitlichen und (sozio)ökonomischen Folgen. Kriminelle Netzwerke erzielen hohe Profite, meist ohne nennenswerte Bestrafung fürchten zu müssen. Die deutsche Bundesregierung kann sich dafür einsetzen, dass dem Thema bei der Generalversammlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Mai 2019 mehr Gewicht gegeben wird. Das deutsche bilaterale Engagement sollte Entwicklungsländer vor allem dabei unterstützen, Arzneimittel-Lieferketten sicherer zu machen.
Laut Daten der WHO von 2017 ist in Ländern mit mittlerem oder geringem Einkommen ungefähr jedes zehnte Medikament minderwertig oder gefälscht. Nach der WHO-Definition handelt es sich bei diesen Medikamenten um bewusste Fälschungen, sie sind für den Absatzmarkt nicht zugelassen oder entsprechen trotz Zulassung nicht den Qualitätsstandards. Nur wenige Fälle finden einen solchen medialen Widerhall wie die illegale Herstellung der leistungssteigernden Substanz Captagon im Nahen Osten, das angeblich systematisch an Kämpfer des »Islamischen Staates« ausgegeben wurde. Meist bleiben illegale Geschäfte mit Arzneimitteln im Verborgenen. Zwischen 2013 und 2017 stammten allein 42 Prozent aller weltweit an das »WHO Global Surveillance and Monitoring System« übermittelten Berichte über minderwertige und gefälschte Medikamente aus Afrika. Insgesamt werden Mängel am häufigsten bei Medikamenten zur Behandlung von Malaria und bei Antibiotika berichtet. Damit ist auch das Erreichen jenes Ziels für nachhaltige Entwicklung (SDGs) gefährdet, das den Zugang zu allgemeiner Gesundheitsversorgung und qualitativ hochwertigen, sicheren, wirksamen und bezahlbaren Medikamenten betrifft (SDG 3.8). Die Folgeschäden, die minderwertige oder gefälschte Medikamente anrichten, sind jedoch viel weitreichender.
Risiken und Folgen gefälschter und minderwertiger Medikamente
Laut einer Studie der WHO verursachen minderwertige und gefälschte Antimalariamittel jährlich schätzungsweise 116 000 Todesfälle in Subsahara-Afrika. Der Fokus in den zugrundeliegenden Berichten liegt häufig auf Medikamenten, die mit betrügerischer Absicht gefälscht wurden. Diese gefährden die Gesundheit von Patienten vorsätzlich, indem sie keinerlei oder falsche Wirkstoffe enthalten. Insbesondere minderwertige Medikamente tragen zu antimikrobiellen Resistenzen bei. Die Auswirkungen treffen vor allem Personen, die begrenzten Zugang zu Gesundheitsversorgung haben oder über einen längeren Zeitraum auf eine medikamentöse Therapie angewiesen sind.
Außerdem entsteht ein finanzieller Schaden für die Patienten, aber auch für Firmen und die gesamte Volkswirtschaft. Im Fall der Malariamittel in Subsahara-Afrika belaufen sich die Kosten für Patienten und für das Gesundheitswesen aufgrund zusätzlicher Nachsorge auf jährlich schätzungsweise 38,5 Millionen US-Dollar. Gefälschten Medikamenten zugefügte Ersatzstoffe wiederum können Gesundheitsrisiken bergen, die weitere Behandlungen erfordern. Skandale um gefälschte Medikamente und um wirkungslose und gesundheitsschädigende Therapien unterminieren auch das Vertrauen in das Gesundheitssystem. Betroffene werden dessen Dienste möglicherweise seltener oder erst sehr spät in Anspruch nehmen.
Abgesehen von den Auswirkungen auf die Gesundheit von Bevölkerungsgruppen generieren vor allem kriminelle Netzwerke mit dem illegalen Arzneimittelhandel hohe Profite. Für die öffentliche Sicherheit hat dieser Handel oft keine sichtbaren Folgen. Insofern werden die mit ihm verbundenen Gefahren häufig unterschätzt.
Illegaler Handel und Arzneimittelkriminalität
Minderwertige Medikamente entstehen häufig, wenn es bei ihrer Herstellung an Sorgfalt mangelt. Sie können an unterschiedlichen Stellen in die legalen Lieferketten gelangen, die oft durch diverse Staaten und Kontinente führen. Mit solchen Medikamenten wird aber auch illegal gehandelt. Dagegen werden Fälschungen gezielt hergestellt – teilweise versteckt, aber auch von offiziell registrierten pharmazeutischen Unternehmen, die lediglich als Fassade dienen. Als Hauptherkunftsländer werden üblicherweise China und Indien genannt, wobei hier die Fälschung die Wirkstoffe, aber auch die Verpackung oder Beschriftung betreffen kann. Damit die Produkte bei einfachen Labortests nicht auffallen, sind teilweise Wirkstoffe vorhanden, selten aber in der erforderlichen Menge. Auch sie gelangen letztlich über illegale Vertriebswege an den Endabnehmer oder werden in die legale Lieferkette eingeschleust.
Laut einem Interpol-Bericht von 2014 ist an diesem Handel in begrenztem Umfang traditionelle Organisierte Kriminalität beteiligt. Soweit bekannt, dominieren aber informelle internationale Netzwerke, die in ihrer Struktur legalen Unternehmen ähneln. Außer einer kleinen Steuerungsgruppe kennen sich deren Mitglieder allerdings meist nicht. Der Wert des Handels mit gefälschten Medikamenten, der zunehmend online stattfindet, wird auf 70 bis 200 Milliarden US-Dollar jährlich geschätzt.
Die Arzneimittelkriminalität ist regional sehr unterschiedlich ausgeprägt. Als Zielmärkte für Fälschungen sind vor allem Entwicklungsländer in Afrika und Südostasien interessant. Schwache Gesundheitssysteme kombiniert mit Bedarfsplanungsfehlern bieten dort günstige Bedingungen. Zwar wird in Entwicklungsländern für Pharmazeutika insgesamt weniger ausgegeben, gleichzeitig sind die Regulierungsinstrumente bei steigender Nachfrage aber schwach. Dort haben nach wie vor große Bevölkerungsteile keinen Zugang zu ausreichender und qualitativ hochwertiger Gesundheitsversorgung.
Der illegale Vertrieb über Online-Apotheken hat dabei geringere Bedeutung als etwa in Europa. Denn der Marktzugang für die überwiegend importierten Medikamente ist in vielen Entwicklungsländern kaum reguliert. Arzneien werden auch im Straßenverkauf oder in wenig kontrollierten Läden angeboten. Zudem lassen sich Arzneimittel insbesondere über den Containerfrachtverkehr leicht einschleusen. Geschmuggelte Produkte werden auch missbräuchlich genutzt, etwa das Schmerzmittel Tramadol in Westafrika. Hier verursachen die illegal gehandelten Medikamente als Substitut für Heroin weitere Gesundheitsprobleme.
Im Rahmen der zehntätigen Operation ACIM (Action against Counterfeit and Illicit Medicines), die 16 afrikanische Zollverwaltungen im Jahr 2016 durchführten, wurden Medikamente im Wert von etwa 52 Millionen Euro beschlagnahmt. Doch solche international unterstützten Operationen bleiben punktuell. Grundsätzlich fehlt es an Technologien, die Produktsicherheit gewährleisten und eine Rückverfolgung ermöglichen. In der Praxis mangelt es besonders an Laboren zur Qualitätskontrolle und an einer wirkungsvollen Strafverfolgung. Zudem ist die Reichweite internationaler Kooperation begrenzt. Unter den Mitgliedern des operativ ausgerichteten Permanent Forum On International Pharmaceutical Crime beispielsweise ist mit Südafrika nur ein Entwicklungsland vertreten. Die Profite krimineller Netzwerke sind entsprechend hoch, bei gleichzeitig geringem Risiko, entdeckt und bestraft zu werden. Darüber hinaus braucht es Ansätze bei den Märkten und Lieferketten, die Entwicklungsländern angemessene Lösungen bieten.
Lieferketten sicherer machen
Bislang gibt es kein Regelwerk zum illegalen Handel mit Medikamenten, das globale Reichweite hätte. Die Medicrime-Konvention des Europarats ist zwar ein bindendes internationales Instrument, das auch von Nicht-Mitgliedstaaten ratifiziert werden kann. Bislang haben davon aber nur drei afrikanische Länder Gebrauch gemacht. Umso wichtiger ist es, regionale und nationale Maßnahmen zu unterstützen, die es Entwicklungsländern ermöglichen, Arzneimittel minderer Qualität von ihren Märkten fernzuhalten. Diese sollten im Sinne des WHO-Monitoring Systems (prevent, detect, respond) aber nicht nur reaktiv sein und die Lieferkette bis zum Endverbraucher in den Blick nehmen.
Dabei ist erstens die Einfuhr von besonderer Bedeutung. Denn Entwicklungsländer importieren Medikamente in der Regel größtenteils oder erhalten sie von Hilfsorganisationen. Wo jedoch die eigene Produktion steigt, sollten Maßnahmen zur Sicherstellung der Arzneimittelqualität auch die Produktion einbeziehen. Wenn nämlich die Produktion schlecht kontrolliert wird, bei gleichzeitig besserer Überwachung in Ländern wie China, kann dies verstärkte Fälschungsaktivitäten zur Folge haben.
Zweitens geht es um eine gezieltere Regulierung. Die Anzahl der offiziell zugelassenen Einfuhrstellen für Medizinprodukte lässt sich reduzieren, wobei die flächendeckende Weiterverteilung der Produkte bis zum Endabnehmer sicherzustellen ist. Zusammen mit einer stärkeren Vernetzung von Gesundheitsakteuren, Arzneimittelaufsichtsbehörden sowie Zoll und Strafverfolgung kann dies – wie seit 2003 in Nigeria – dazu beitragen, dass die Überwachung deutlich verbessert wird. In vielen Ländern gibt es zudem keine spezifischen Gesetze zu Arzneimittelkriminalität, sie behandeln entsprechende Fälle vielmehr als Betrug oder Verstoß gegen Rechte an geistigem Eigentum. Bei Gesetzesvorhaben sollte unterschieden werden zwischen Fälschungen in betrügerischer Absicht und solchen Verstößen gegen geistige Eigentumsrechte, bei denen Zusammensetzung und Wirkung der Medikamente nicht zu beanstanden sind. Sonst würden die Behörden mit der Verfolgung minder schwerer Vergehen überfrachtet.
Drittens bestehen bei der Kontrolle des Zugangs die Schwierigkeiten vor allem darin, Arzneimittel minderer Qualität rasch zu erkennen und vollständig aus den Vertriebswegen zu entfernen. Warnungen vor betroffenen Medikamenten sollten unter den Behörden weitergegeben und diese gegebenenfalls zurückgerufen werden. Idealerweise sollten nach der Sicherstellung von Medikamenten die Verantwortlichen ermittelt werden, die hinter dem illegalen Handel stehen.
Viertens braucht es wirkungsvolle Ansätze, um die Qualität von Medikamenten im Vertrieb und beim Verkauf an den Endabnehmer zu kontrollieren. In EU-Staaten prüfen Hersteller, Händler und Apotheken die Echtheit verschreibungspflichtiger Arzneimittel anhand von Sicherheitsmerkmalen der Verpackung und führen Daten über die Vertriebswege in einem europäischen Arzneimittel-Verifizierungssystem zusammen. Mittelfristig braucht es auch in Entwicklungsländern lückenlose Verfahren; nach Möglichkeit regional koordiniert. Solange es jedoch keine umfassenden »track and trace«-Systeme gibt, können lokale Organisationen auch mit kostengünstigen Schnelltests Arzneimittel überwachen – ein Vorgehen, das sich durch Forschungsprojekte begleiten lässt. Länder wie Ghana behelfen sich mit Apps, mit deren Hilfe die Codes auf Verpackungen kontrolliert und gemeldet werden können. Allerdings wird die Kontrolle dabei auf den Verbraucher verlagert. Die Sensibilisierung der Bevölkerung ist in diesem Kontext dringend geboten.
Ansatzpunkte für multi- und bilaterales Engagement
Bei der Weltgesundheitsversammlung im Mai bieten sich Deutschland mehrere Ansatzpunkte, das an der Schnittstelle von Gesundheit und Sicherheit zu verortende Thema aufzugreifen. Die international agierende pharmazeutische Industrie könnte dazu verpflichtet werden, ein gemeinsames Monitoringsystem für gefälschte und minderwertige Medikamente nach europäischem Vorbild zu entwickeln. So ließen sich Auffälligkeiten innerhalb, aber auch außerhalb der Unternehmen frühzeitig erkennen; vor allem wenn diese Meldungen auch an das »WHO Global Surveillance and Monitoring System« gehen. So würden Fälschungsmeldungen nicht einem einzelnen Unternehmen schaden, sondern die Lieferkette insgesamt sicherer machen. Wichtig sind auch die Aktivitäten der Arbeitsgruppen, die unter dem WHO-Mechanismus für gefälschte und minderwertige Arzneimittel stattfinden. Deutschland könnte hier sein Engagement verstärken. Allerdings haben nur Vertreter von 53 der insgesamt 194 WHO-Mitgliedstaaten an dem letzten Treffen im November 2018 teilgenommen, was zeigt, dass viele Staaten nicht aktiv beteiligt sind. Es wäre wichtig, den Austausch zwischen Entwicklungsländern über einzelne Regionalkonferenzen hinaus zu fördern. Nicht zuletzt bleibt die bilaterale Unterstützung weiterhin unabdingbar. Dabei sind zwei grundsätzliche Aspekte zu beachten:
Erstens muss technische Unterstützung im Gesundheits- wie im Sicherheitssektor die Integrität beteiligter Akteure systematisch berücksichtigen. Von der Arzneimittelbeschaffung bis zur Verfolgung schwerwiegender Formen von Arzneimittelkriminalität gilt es die Anfälligkeit für Korruption zu reduzieren. Es kommt nicht allein auf Know-how und Kompetenzen an, sondern auch auf Kontrollmechanismen und »checks and balances« innerhalb und zwischen Behörden. Zur Beschaffung sicherer Arzneimittel, besonders im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit, tragen auch Zertifizierungen sowie Trainings bei, die unter anderem die WHO anbietet.
Zweitens muss der Zugang zu sicheren, wirksamen und bezahlbaren Medikamenten insgesamt verbessert werden. Ansonsten wird es weiterhin eine hohe Nachfrage nach günstigen, aber häufig unzuverlässigen Medikamenten geben, die informell verkauft werden. Dabei sollten von Deutschland finanzierte Programme zur Stärkung von Gesundheitssystemen die Überwachung und Kontrolle der Lieferketten als Teil der allgemeinen Gesundheitsversorgung einbeziehen.
Dr. Judith Vorrath ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik.
Maike Voss ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen und leitet das Forschungsvorhaben »Globale Gesundheit«, das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert wird.
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ISSN 1611-6364
doi: 10.18449/2019A30