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Allianz auf hoher See?

Chinas und Russlands gemeinsame Marinemanöver

SWP-Aktuell 2019/A 24, 23.04.2019, 8 Seiten

doi:10.18449/2019A24

Forschungsgebiete

Anlässlich des 70. Gründungsjubiläums der nationalen Marine findet am 23. April 2019 vor der Küste von Qingdao eine Flottenparade mit mehr als dreißig chinesischen Schiffen statt. Chinas Marine hat sich – auch dank jahrzehntelanger russischer Rüs­tungshilfe – zur größten Asiens entwickelt; Moskau hat »den Drachen gefüttert«. Aus Sicht Pekings haben die chinesischen Streitkräfte aber ein schwerwiegendes Manko: mangelnde Einsatzerfahrung. Auch hier unterstützt der Kreml. Seit dem ersten gemein­samen Manöver im Jahr 2005 hat die Zusammenarbeit auf vielen Ebenen zugenommen. Sino-russische Seemanöver dienen inzwischen auch als Drohkulisse für Chinas Besitzansprüche im Südchinesischen Meer oder bei den sino-japanischen Streitig­keiten im Ostchinesischen Meer. Moskau und Peking nutzen die gemeinsamen Marine­übungen, um geopolitische Signale zu setzen. Allem Misstrauen zum Trotz scheint die Kooperation auf einem relativ stabilen Fundament partnerschaftlicher Beziehungen zu ruhen. Aber handelt es sich deshalb schon um eine Allianz?

Gemeinsame Übungen nützen China in ver­schiedener Hinsicht. Vorrangig will das Land seine Seewege sichern, weil seine kommerziellen Interessen weltweit zunehmen. Über 90 Prozent des globalen Ferngüterhandels werden über den Seeweg abgewickelt, zu­dem ist China der weltweit größte Rohöl­importeur. Daher soll seine Marine die Han­dels- und Energielieferungen absichern. Auch hat sie großen Nachholbedarf, wenn es darum geht, in Meeren jenseits der eige­nen Küstenregion zu operieren. China be­teiligt sich seit 2008 an Anti-Piraterie-Ope­ratio­nen am Horn von Afrika, aber davon abgesehen hat die Marine wenig Erfahrung mit Ein­sätzen außerhalb Asiens. Die mari­time Koopera­tion mit Russland hilft China, seine maritime Strategie umzusetzen und Fähigkeiten für »küstenferne Operationen« zu entwickeln.

Chinesische und russische Streitkräfte haben mittlerweile mehr als 25 bilaterale, zusehends komplexere militärische Übun­gen mit teilstreitkraftübergreifenden Opera­tionen durchgeführt. Gemeinsame Übungen auf See begannen 2012. Die militärische Zusammenarbeit signalisiert, dass beide ähnliche geopolitische Ambitionen hegen, und fördert die Umsetzung dafür notwendiger maritimer Strategien. Zudem ermög­lichen bilaterale Übungen einen Prozess des gemeinsamen Lernens und des Austauschs operativer und strategischer Konzepte. Dabei kann sowohl Einsatzbereitschaft demon­striert als auch Einsatzerfahrung vermittelt werden, wie der russische Ver­teidigungsminister Sergei Schoigu 2015 erklärte. Geografisch erstreckten sich die Übungen auf unterschiedliche Seeräume, wobei jedes Land in verschiedenen Gewäs­sern als Gastgeber fungierte.

Chinesisch-russische Marineübungen seit 2012

Jahr

Datum

Gastgeber – Einsatzgebiet

Umfang

2012

22.–27. April

China – Gelbes Meer

China: 18 Kriegsschiffe (inkl. 2 U-Boote), 13 Flugzeuge, 5 Hubschrauber
Russland: 7 Kriegsschiffe (inkl. 3 Versorger), 4 Hub­schrauber

2013

5.–12. Juli

Russland – Japanisches Meer

China: 9 Kriegsschiffe (inkl. 2 U-Boote, 1 Versorger), 3 Hubschrauber
Russland: 13 Kriegsschiffe (inkl. U‑Boot), 3 Flugzeuge, 2 Hubschrauber

2014

20.–26. Mai

China – Ostchinesisches Meer

China: 8 Kriegsschiffe (inkl. 2 U-Boote), 7 Flugzeuge, 4 Hubschrauber
Russland: 6 Kriegsschiffe, 2 Flugzeuge

2015

11.–21. Mai

Russland – Mittelmeer

China: 2 Fregatten und 1 Versorgungsschiff
Russland: 2 Kriegsschiffe

20.–28. August

Russland – Japanisches Meer

China: 7 Kriegsschiffe, 5 Flugzeuge, 6 Hubschrauber, 21 Amphibienfahrzeuge
Russland: 18 Kriegsschiffe (inkl. 2 U-Boote), 3 Flug­zeuge, 9 Amphibienfahrzeuge

2016

12.–20. September

China – Südchinesisches Meer

China: 12 Kriegsschiffe (inkl. 2 U-Boote), 11 Flugzeuge, 8 Hubschrauber
Russland: 5 Kriegsschiffe (inkl. 2 Versorger), 2 Hub­schrauber und Amphibienfahrzeuge

2017

21.–28. Juli

Russland – Ostsee

Insgesamt 13 Kriegsschiffe mit Hubschraubern (Ka‑27) und Bombern (Su‑24)

18.–25. September

Russland – Japanisches Meer und Ochotskisches Meer

Insgesamt 13 Kriegsschiffe (inkl. 2 U-Boote), 4 Bord­hubschrauber und 4 Flugzeuge zur U-Boot-Bekämp­fung (ASW)

2018

11.–17. September

Russland

Großmanöver »Wostok 2018« mit taktischen Marine­übungen

Drei der Übungen fanden in der chine­sischen Heimatregion statt, im Gelben Meer (2012), im Ostchinesischen Meer (2014) und im Südchinesischen Meer (2016). Vier Übun­gen wurden in russischen Einsatzgebieten durch­geführt, im Mittelmeer (2015), in der Ostsee (2017) und im Ochotskischen Meer (2017). Mehrere chinesisch-russische Manö­ver wurden auch in einem Gebiet abgehalten, in dem beide strategische Interessen haben, nämlich im Japanischen Meer (2013, 2015, 2017).

Die gemeinsamen Seemanöver sollten nach offizieller Verlautbarung 2018 im Gel­ben Meer fortgesetzt werden. Damit wäre der 2012 begonnene Zyklus wiederaufgenommen worden. Doch im Juni 2018 kehr­ten drei russische Schiffe der Pazifikflotte nach einer russischen Anti-Terror-Übung im Ostchinesischen Meer zurück in den Heimathafen Wladiwostok, ohne dass ge­meinsame Manöver weiter erwähnt wurden. Nach dem Großmanöver »Wostok 2018«, bei dem taktische maritime Übungen statt­fanden, erklärte das chinesische Verteidigungsministerium im August, gemeinsame Übungen seien für später im Jahr 2018 vor­gesehen. Offenbar hatte das Großmanöver aber zu viele Ressourcen beansprucht. Schließlich waren die Übungen bis zu jenem Zeitpunkt in mehrfacher Hinsicht erfolgreich: Moskau und Peking hatten maritimen Großmachtanspruch und Partnerschaft auf hoher See demonstriert sowie der chi­nesischen Marine Einsatzerfahrung und operative Kenntnisse verschafft.

Seemanöver in der chinesischen Heimatregion

Die gemeinsamen Übungen begannen im April 2012 im Gelben Meer, einem großteils von China und der Koreanischen Halbinsel um­gebenen Randmeer des Pazifischen Oze­ans. Der Golf von Bohai gehört zum Gelben Meer und bildet den seeseitigen Zugang nach Peking, im Süden schließt sich das Ostchinesische Meer an. Die USA setzen regelmäßig Schiffe in diesen Gewässern ein und führten jahrzehntelang alljährlich Übungen mit Südkorea durch, bis Präsident Trump sie 2018 aussetzte. Diese Manö­ver, immer wieder von China kritisiert, bildeten den Anlass für die sino-russischen Übungen 2012. China und Russland demonstrierten mit 25 Kriegsschiffen ihre Stärke im geo­strategischen Wettbewerb mit den USA im asiatisch-pazifischen Raum, auch vor dem Hintergrund des Nordkorea-Konflikts.

Angeführt vom Flaggschiff der russischen Pazifikflotte, lief am 18. Mai 2014 ein Konvoi in das Ostchinesische Meer ein. Die Schiffe machten im Marinehafen Wusung bei Schanghai fest. Dies bildete den Auftakt zu einem gemeinsamen Flottenmanöver. Dabei unterstrich die Anwesenheit der Prä­si­denten Putin und Xi den hohen Stellenwert der Übungen. Zuvor hatte Peking erklärt, Russ­lands Haltung in der Ukraine-Krise zu unterstützen; Moskau hatte Rück­halt für strittige chinesische Ansprüche zugesichert. Letztere beziehen sich auf die von Japan kontrollierten Senkaku-Inseln, die China als Diaoyu-Inseln reklamiert. Die Einsätze der chinesischen Marine in den Gewässern um die Senkaku/Diaoyu-Inseln nehmen zu, seitdem Japan aus chinesischer Sicht den Status quo verletzt und die Inseln unter eigene Verwaltung gestellt hat.

Im Jahr 2012 passierten sieben chi­nesi­sche Kriegsschiffe die Miyako-Straße. Damit gab China Japan zu verstehen, dass seine Marine ihre Streitkräfte auf den Pazifik ausdehnen werde, um Außenhandels- und Ölrouten »defensiv zu schützen«, wie der chinesische Admiral Yin Zhuo erklärte. Die 2013 von China proklamierte Zone inten­­sivierter Luftraumüberwachung war ein weiteres Zeichen dafür, dass Peking seine Ho­heits­gewalt im Ostchinesischen Meer etablieren wollte. Außerdem fand im April 2014 an Koreas südöstlicher Küste das bis­lang größte amphibische Manöver der USA mit Süd­korea statt. Die chine­sisch-russi­schen Manöver demonstrierten Fähig­keit und Bereitschaft beider Seemächte, ihre Positionen in Ostasien zu wahren. Mit ge­misch­ten Schiffsverbänden wurden Kampf­handlungen auf hoher See geübt, da­runter Raketen- und Artillerieschläge gegen See­ziele aus verschiedenen Entfernungen und die Abwehr von U-Boot-Angriffen.

Im Südchinesischen Meer wurden im Jahr 2016 gemeinsame Seemanöver mit dem Schwerpunkt amphibische Operationen zur Inseleroberung abgehalten. China beansprucht 90 Prozent des Südchinesischen Meeres. Dazu gehören die Paracel-Inseln (von China seit 1974 besetzt, von Vietnam beansprucht) und die Spratly-Inseln (einige davon besetzt von China, aber strittig mit Malaysia, Philippinen, Taiwan und Vietnam sowie hinsichtlich der Territorialgewässer strittig mit Brunei und Indonesien). Die Marinemanöver im September 2016 fanden zwei Monate nach der Entscheidung des Schiedsgerichts in Den Haag statt, mit der es Chinas Ansprüche zurückgewiesen hatte. Aus Sicht des Gerichts begründeten die von China deklarierten »historischen« Rechte keine territorialen Ansprüche, und keine der maritimen Erhebungen wiesen Land­merkmale echter Inseln gemäß dem See­recht auf. Zudem hatte das Gericht die Schaffung künstlicher Inseln kritisiert. Der russische Präsident Putin erklärte vor Beginn der Übung, Russland unterstütze Chinas Position, das Urteil aus Den Haag nicht an­zuerkennen. Die Errichtung und Militarisierung künstlicher Außenposten durch China hatte international Protest erregt. Mit seiner Bereitschaft zu gemeinsamen Militärmanövern in dem Gebiet stärkte Russland China den Rücken. Die »Demonstration der Einig­keit« wies eine besondere Qualität auf, da sie amphibische Operationen einschloss, also Anrainerstaaten wie Vietnam vor einer Rückeroberung der Inseln abschrecken soll­te. China entsandte das größte Kontingent, darunter modernste Kriegsschiffe (Zerstörer vom Typ 052C und 052B sowie drei Fregat­ten vom Typ 054A). Russland schickte zwei der größten, aber ältesten Zerstörer der Pazifikflotte. Die beiden Marinen kommunizierten zum ersten Mal über ein gemein­sames Führungsinformationssystem.

Seemanöver in der russischen Heimatregion

Nachdem zuvor alle Übungen im Pazifik stattgefunden hatten, signalisierte China mit dem Einsatz seiner Schiffe im Mittelmeer und ihrem Besuch der russischen Schwarz­meerküste im Mai 2015, dass es das russi­sche Vorgehen von 2014 unterstützte, ob­wohl die Krim selbst nicht angelaufen wurde. Deren Annexion hatte international Protest und Sanktionen ausgelöst und Russ­land isoliert. Indem sie ankündigten, 2016 ge­meinsame Übungen im Südchinesischen Meer abzuhalten, verknüpften Peking und Moskau im Sinne gegenseitiger Unter­stützung die beiden völkerrechtlich stritti­gen Vorgänge.

Russland kehrte 2015 im Mittelmeer als maritime Großmacht zurück. Dazu gehörte nicht nur die Reaktivierung des traditionellen Stützpunkts in Sewastopol an der Süd­westspitze der Krim, sondern auch der rus­sischen Marinebasis in der syrischen Hafen­stadt Tartus. Dort befindet sich der einzige Marinestützpunkt für russische Kriegsschiffe im Mittelmeer und die einzige Militär­basis der Russischen Föderation im »fernen Ausland«. In die Übung sandte Russland größ­tenteils Schiffe der Schwarzmeerflotte, die im Mittelmeer wie früher die Kaiser­liche Russische Marine traditionell vom Stützpunkt Sewastopol aus operiert.

China demonstrierte seinerseits Hochseefähigkeit und aufkommende eigene Inter­essen im Mittelmeer. In der »Belt and Road Initiative« (BRI) als multidimensionalem außen- und wirtschaftspolitischem Instru­ment Chinas hat der griechische Hafen Piräus geopolitische Bedeutung. 2016 über­nahm die staatliche chinesische Ree­derei COSCO 51 Prozent der Hafengesellschaft und will 2021 weitere 16 Prozent der An­teile erwerben. Schließlich soll Piräus als logistischer Brückenkopf für Chinas En­gagement in Europa dienen.

Überraschend nahe kam China im Juli 2017 einer der unruhigsten Bruchlinien im Ost-West-Verhältnis. Damals absolvierte ein chinesischer Schiffsverband erstmals in der Ostsee mehrtägige Manöver, und zwar mit 18 russi­schen Schiffen der Baltischen Flotte. Die Kriegsschiffe trafen sich in den Gewäs­sern vor der Enklave Kali­ningrad. Danach fuh­ren die chinesischen Schiffe weiter nach St. Peters­burg. Beobachter sprachen von einem Sig­nal Pekings, das als Seemacht wahrgenommen werden wolle, und von einer Geste der Unterstützung für das vom Westen isolierte Russland. Andere erkann­ten darin eine Antwort Pekings auf die zu­nehmende Präsenz britischer und französischer Schiffe im eigenen maritimen Hinter­hof, dem Südchinesischen Meer.

Die Seemanöver fanden im zweiten Halb­jahr 2017 eine Fortsetzung im Japanischen Meer. Anschließend wurden sie nach Norden in das Ochotskische Meer ausgedehnt, das zwischen den Kurilen und der Halbinsel Kamtschatka im Nordpazifik liegt. Vom rus­sischen Standpunkt aus unterstützen solche Manöver den hoheitlichen Anspruch auf das Ochotskische Meer, das Moskau 2014 aufgrund einer Entscheidung der UN-Kom­mission für das Seerechtsübereinkommen 2014 für ausländische Schifffahrt und Fischerei geschlossen hat. Dadurch könnten chinesische Bestrebungen im Südchinesi­schen Meer gestärkt werden, seine eigene Auslegung des Seerechts für dieses Meer zu verfolgen.

Ein ähnliches gemeinsames Interesse zeigte sich bei den Übungen im Japanischen Meer, das zwischen dem japanischen Archi­pel, der russischen Insel Sachalin und der koreanischen Halbinsel liegt. Geostrategisch ist dieser Seeraum für China ebenso wichtig wie für Russland, das in Wladiwostok den Heimathafen der russischen Pazifikflotte unterhält. Abzulesen ist dies daran, dass von 2013 bis 2017 drei Übungen in dem Gebiet stattfanden. Mit ihren Manövern im Japanischen Meer senden Russland und China eine klare Botschaft an Japan, vor allem nach der Übung 2013, als fünf chi­nesische Schiffe zum ersten Mal die Soya-Straße zwischen Hokkaido im Norden Japans und der russischen Insel Sachalin durchfuhren. Die Übungen 2015 umfassten amphibische Operationen, ebenfalls ein unmissverständliches Zeichen an Tokio im Kontext der Inselstreitigkeiten mit Peking und Moskau. Solche komplexen Operationen demonstrieren auch den hohen Ent­wicklungsstand der Zusammenarbeit.

Chinas und Russlands maritime Fähigkeitsprofile: Ungleiche Partner

Die chinesische Marine entwickelt zuneh­mend Fähigkeiten für »küstenferne Opera­tionen«, also Einsätze auf hoher See. Zwei Seiten einer Medaille sind dabei die Siche­rung maritimer Interessen (der Schutz von Seewegen, die Verwirklichung territorialer Ansprüche in der maritimen Peripherie und die Vorherrschaft im Westpazifik) und die Sicherheit des kommunistischen Regimes. General Liu Huaqing nutzte als Befehls­haber der Marine (1982–1987) das natio­nale Interesse an maritimen Ressourcen, um es als Argument für den Aufbau einer modernen, starken und hochseefähigen Marine zu verwenden. Das nationale Ziel der Rück­gewinnung »verlorener Terri­tori­en« im Südchinesischen Meer diente damals auch dazu, den Über­gang in der Doktrin von der Küstenverteidigung zur »aktiven Ver­teidigung« zu begründen. Weiter voran­getrieben wurde die Entwicklung der mari­timen Strategie durch die Erfahrung der 1990er Jahre, als die Führung in Peking die Schwächen des eigenen Militärs erkennen musste. Während der Krise in der Taiwanstraße 1995/96 etwa entging den chinesi­schen Streitkräften, dass sich Flugzeugträger­gruppen der USA näherten. Mittlerweile hat China die größte Kriegsmarine in Asien. Zwar ist die Zahl der Schiffe oder die Ge­samttonnage nützlich, um die Fähigkeiten einer Flotte im Verhältnis zu ihren Auf­gaben zu bewerten. Sie reicht aber nicht aus, um ihre Fähigkeiten mit denen einer anderen Marine wie jener der USA zu ver­gleichen. Die chinesische Marine verfügt heute über mehr als 300 Kriegsschiffe, wäh­rend die Zahl der US-Schiffe mit weltweiten Einsatzaufgaben in den letzten Jahren zwi­schen 270 und 290 lag. Nun will China seine Streitkräfte rascher für küstenferne Einsät­ze ausrüsten, moderne U-Boote, Zerstörer und Fregatten bauen und die Marine zu Einsätzen auf hoher See befähigen. Schon in den 2030er Jahren könne, so ein US-Ex­perte, die chinesische Marine der amerikanischen sowohl quantitativ als auch quali­tativ ebenbürtig werden, wenn Aufrüstung, Ausbildung und Übungsbetrieb wie bisher fortgesetzt werden. Dies mag unter Berück­sichtigung chinesischer Abhaltefähigkeiten (A2/AD) in heimatnahen Gewässern zu­treffen. Aber erst nach Ende der Modernisierungsvorhaben dürften die Fähigkeiten von Chinas Marine auf hoher See und im kom­plexen Betrieb von Flugzeugträgergruppen denen der USA gleichkommen.

Russland verfügt nach der Militärreform über effiziente, kampferprobte Streitkräfte mit Nuklearwaffen, musste aber einen Niedergang als Seemacht verzeichnen. Als Ziel deklariert Moskau daher die Rückkehr seiner Marine in die Reihe der führenden Seemächte. Dazu sollen die Arktis und der Atlantik operative Schwerpunkte bilden. Die Annexion der Krim und damit die Wie­dererlangung des Seehafens Sewastopol verbesserten auch die Fähigkeit zur Präsenz im Mittelmeer. Gemäß der neuen Marinedok­trin vom Juli 2017 sollen Seestreitkräfte ge­schaffen werden, die auch in entfernten Gebieten der Weltmeere operieren können. Sie sollen die Dominanz der US-Marine und anderer Seemächte verhindern und für die eigene Marine den zweiten Platz in der Welt (»nach Kampfeigenschaften«) sicherstellen. Quantitativ ist die russische Marine aber schon heute drittrangig. Während China über zwei Flugzeugträger verfügt und ein dritter im Bau ist, wurde der einzige russi­sche Träger »Admiral Kusnezow« als »maro­destes Kriegsschiff der Welt« tituliert und 2018 bei Reparaturarbeiten beschädigt. Lediglich ein Viertel der russischen Flotte von über 200 Schiffen ist hochseefähig, ihr Durchschnittsalter liegt bei über 25 Jahren. Solange Russland seine Werften nicht wie­der aufbaut, kann es in Asien weder mit China noch mit Japan konkurrieren. Nur im Bau und Betrieb von Unterseebooten bleibt Russland führend – und damit im­stande, die Nato im Atlantik und seinen Nebenmeeren unter Druck zu setzen.

Von der »umfassenden strategischen Partnerschaft der Koordination« zur Allianz?

Moskau und Peking fanden Anfang der 1990er Jahre unter ähnlich schwierigen Bedingungen zueinander. Die gewaltsame Niederschlagung des Volksaufstandes auf dem »Platz des Himmlischen Friedens« im Juni 1989 hatte Chinas Ansehen in der Welt massiv geschadet. EU und USA hatten ein Waffenembargo verhängt, das noch heute gilt. Russland litt unter den Folgen des Zu­sammenbruchs der Sowjetunion 1991. In dieser Schwächephase wollten beide den wachsenden Einfluss der USA durch part­nerschaftliche Beziehungen konterkarieren. Dieses Bemühen, ein Gleichgewicht der Kräfte (balancing) wiederherzustellen, ist eine zentrale Erklärung für die Entstehung von Bündnissen im Sinne der klassischen Allianztheorie.

Nach ersten gegenseitigen Staatsbesuchen 1992 und 1994 wurde im April 1996 eine »Partnerschaft strategischer Koordination« erklärt. Es folgten eine »Gemeinsame Erklä­rung über eine multipolare Welt und die Schaffung einer neuen internationalen Ordnung« 1997 und ein »Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zu­sam­menarbeit« 2001, in dem Beratungen für den Fall vereinbart wurden, dass eine der beiden Seiten ihre Sicherheitsinteressen bedroht sah. Letzte Grenzstreitigkeiten wur­den 2004 beigelegt. Im Januar 2017 wurde Russland im Weißbuch Chinas zur Politik der asiatisch-pazifischen Sicherheitszusam­menarbeit als »Priorität in der Diplomatie« bezeichnet. Der chinesische Botschafter in Russland, Li Hui, erklärte im Dezember 2017, die »umfassende strategische Partner­schaft der Koordination« zwischen China und Russland nehme eine besondere Stel­lung in der Diplomatie mit größeren Mäch­ten ein. Sie sei eine wichtige Manifestation der Praxis des »Xi-Jinping-Denkens über Sozialismus mit chinesischen Charakteristi­ka für eine Neue Ära«.

Entgegen der offiziellen Charakterisierung Chinas und Russlands als ebenbürtige Partner wird Chinas dominante Rolle in den wirtschaftlichen Beziehungen deutlich, die sich in den nächsten Jahrzehnten weiter zu Ungunsten Russlands entwickeln werden. Auch ist China von russischen Energielieferungen nicht so abhängig wie Russland von China als Abnehmer und Investor im Energiesektor. Allerdings gibt es (noch) eine entscheidende Ausnahme von der Regel chinesischer Dominanz, nämlich die Erfah­rung Russlands als Militärmacht. Russland hat in wichtigen Bereichen der Seekriegsführung weiter einen operativen und tech­nologischen Vorsprung, etwa bei U-Boot-Einsätzen, dem Einsatz von Langstreckenbombern auf See und Minenkriegsführung. Beschränkten sich Manöver früher oft auf Anti-Terror-Übungen, umfassen sie nun teil­streit­kraftübergreifende Luftverteidigung, Rake­ten- und Artillerieeinsätze sowie Anti-U-Boot-Kriegsführung und amphibische Operationen. Erstmals fand 2017 auch eine Übung statt, in der ein chinesisches Ret­tungs­boot an einem russischen U‑Boot an­dockte. Ebenso wichtig für die Festigung partnerschaftlicher Beziehungen ist die Kommunikation zwischen Kommando­stellen, abzulesen daran, dass die chine­sische luftgestützte Aufklärung Daten an russische Schiffe übermittelt. Nuklear­strategisch bleibt Russland den USA eben­bürtig und China überlegen. Peking dürfte sich auch hier von Moskau neben anderem Unterstützung beim Bau strategischer Un­terseeboote versprechen.

Eine pragmatische Zusammenarbeit ist für beide von Nutzen, eine vertraglich fixierte Allianz daher unnötig. Ein Bündnis mit militärischer Beistandsgarantie kann die Beziehungen zu anderen Ländern be­ein­trächtigen und eigenen Interessen schaden. Im Krisen- und Konfliktfall wäre die Band­breite politischer Reaktionsmöglichkeiten durch den Bündnispartner eingeschränkt, während das Auftreten einer chinesisch-russischen Militärallianz bedrohlich und militärisch sogar eskalierend wirken kann. Zudem handelt es sich um ungleiche Part­ner mit unterschiedlichen Zielen. Der natio­nale Traum vom Wiederaufstieg Chinas verbietet geradezu eine freiwillige Selbsteinbindung, wie sie eine Vertragsallianz erfordern würde. Russlands Großmachtrolle profitiert dagegen von der Partnerschaft, weil sie unterstreicht, dass Russland nicht nur eine Regionalmacht ist. Allein Peking ist imstande, den gemeinsamen Rivalen USA und damit die transatlantische Allianz einzuhegen. Dies ist für Moskau von Vor­teil, deshalb hat es »den Drachen gefüttert« und hilft ihm auf eigene Kosten beim Wach­sen. Insofern strebt der Kreml nolens volens weniger nach Ausgleich (balancing) als nach Anschluss an einen Staat mit höhe­rem Machtpotential (bandwagoning).

Zwischenbilanz

Mit seiner andauernden Flottenrüstung hat Peking längst Moskau überholt, sowohl im Anspruch auf eine führende Rolle als mari­time Großmacht als auch in dessen Umset­zung. Russ­land hat es seit dem Zusammenbruch der Sowjet­union versäumt, seine Hochseeflotte wie­derherzustellen. Statt­dessen navigiert die Marine meist im küsten­nahen Bereich atlantisch-pazifischer Rand­meere. China will dagegen seine Hochsee­flotte ausbauen. Zwei Flugzeugträger, weitere Lenkwaffenzerstörer vom Typ 055 und kleinere Kriegsschiffe sollen in den näch­sten Jahren fertiggestellt werden. US-Anga­ben zufolge könnte die Marine bis 2030 insgesamt 415 Kriegsschiffe besitzen. Russland verfügt über eine Kombination kleiner Kriegsschiffe wie Fregatten und Kor­vetten sowie über Unterseeboote, die mit Marschflugkörpern vom Typ Kalibr be­stückt sind. Diese eignen sich dazu, Land­ziele in bis zu 2200 Kilometern Entfernung zu be­drohen, wie es im Syrienkonflikt 2015 und 2016 praktiziert wurde. Moskau hat also weiter­hin respektable Fähigkeiten zur Wah­rung seiner nationalen Sicherheitsinteressen, auch wenn es künftig in maritimer Hinsicht keine globale Machtprojektion wie China betreiben kann.

Russland nutzt die gemeinsamen Übungen als alternatives Mittel der Machtprojektion, während China mit ihnen die eigene Marinestrategie vorantreibt und umsetzt. Dabei ist der chinesische Aufstieg zur See­macht als Teil einer außergewöhnlichen Transformation zu verstehen. In der moder­nen Geschichte ist er das einzige Bei­spiel dafür, wie eine Landmacht zu einer hybri­den Land- und Seemacht wird. Bislang hält China kon­sequent an dieser höchst aufwen­digen und riskanten Geostrategie fest.

Militärische Übungen haben sich neben militärisch-technischer Kooperation und dem hochrangigen Militärdialog als wichti­ges Element etabliert, um die mili­tärische Zusammenarbeit zwischen China und Russ­land als Bestandteil der strategischen Part­nerschaft weiterzuentwickeln. Am ersten gemeinsamen Großmanöver »Frie­dens­mission« im August 2005 waren fast 10 000 chinesische und russische Soldaten aus Luft­waffe und Marine beteiligt. Mit Blick auf die schwe­lende Taiwan-Krise hatte schon dieses erste gemeinsame Manöver erhebliche poli­tische Brisanz. Im Laufe der Zeit wurden die Manöver vielfältiger und komplexer. Aller­dings bleibt ungewiss, ob manche Übungen zur Luftverteidigung und U-Boot-Bekämp­fung so sorgfältig orchestriert waren, um die Sicherheit von Besatzung und Schiffen zu gewährleisten oder um sich gegenüber der Partnermarine keine Blöße zu geben. Möglicherweise sollten auch nur Mängel verschleiert werden.

Außerdem bietet die russische Marine selbst in ihrem relativ schlechten Zustand ein wertvolles Vorbild für China. Der Mangel an Überwasserschiffen wird ausge­glichen, indem Marschflugkörper auf die Flotte einschließlich der Unterseeboote ver­teilt werden und die Kampfkraft dadurch deutlich erhöht wird. Die anhaltende Ver­breitung offensiver Raketenkapazitäten zwischen Schiffen und U-Booten bleibt viel­leicht die bedeutendste Entwicklung der russischen Marinefähigkeiten, auch im Sinne einer wirksamen Abhaltestrategie (A2/AD). Komplementär dazu ist die chine­sische Marine weltweit führend im mariti­men Einsatz ballistischer Raketen.

Politisch sensible Gebiete waren nicht nur kein Hindernis bei gemeinsamen Übungen, sondern verliehen ihnen sogar noch hohe politische Symbolkraft. Die Manöver 2014 fanden im Ostchinesischen Meer statt, als der sino-japanische Inselstreit zu eskalieren drohte. Während der Übungen im Schwarzen Meer 2015 waren Europa und die Schwarzmeerregion noch von der russischen Annexion der Krim er­schüttert. Die Manöver 2016 wurden im Südchinesischen Meer abgehalten, in dem gerade die Militarisierung der neu errichteten chinesischen Außenposten begann.

Sind Russland und China auf dem Weg zu einem Militärbündnis, oder nutzen sie einfach eine für beide Seiten vorteilhafte Partnerschaft? Die gemeinsamen Seemanöver wurden 2018 nicht fortgeführt, was als Indiz dafür gilt, dass die Beziehungen prag­matischer Natur sind. Tatsächlich sollte weder die Funktionalität militärischer Zu­sammenarbeit unterschätzt noch ihr Poten­tial überschätzt werden. Die Aufmerksamkeit sollte sich in Zukunft nicht nur auf China und Russland als einzelne Länder richten, son­dern auch auf die Auswirkungen ihrer sich weiterentwickelnden militä­rischen Bezie­hungen. Am Ende macht das jeweilige Eigen­interesse Moskau und Peking nicht zwangsläufig zu Verbündeten. Auch ohne Vertragsbeziehungen genießen sie Vor­teile, die sonst nur enge Verbündete haben, wie das Großmanöver Wostok 2018 illustrierte. Der Lernprozess auf beiden Seiten gehört ebenso dazu wie ein gewisses Maß an Interoperabilität, die auch in der Nato nur so gut ist, wie sie aufrechterhalten und geübt wird.

Ein großer Fortschritt für beide Streitkräfte ist die zunehmende operative Kom­patibilität chinesischer und russischer Einheiten mit gemeinsamen Einsatz- und Führungsverfahren. Das heißt nicht auto­matisch, dass die Streitkräfte das jeweils andere Land im Konfliktfall auch militärisch unterstützen werden. Jedoch werden Grundlagen dafür geschaffen, und in Zu­kunft ist mehr »koordinierte Partnerschaft« zu erwarten. Eine wachsende streitkräfteübergreifende Kooperation hat beträcht­liche Auswirkungen auf die USA und die Nato-Staaten. Dies gilt nicht nur für den indo-pazifischen Raum im Fernen Osten, sondern auch für den Atlantik bis in den hohen Norden und für die Arktis.

Während Russlands Marine sich vom Niedergang der letzten Jahrzehnte zu erho­len beginnt, bemüht sich Chinas Marine, in Flottenstärke und Fähigkeiten mit der US-Marine gleichzuziehen. Es liegt an Peking, die damit verbundenen Verunsicherungen und Erschütterungen der strategischen Sta­bilität zu vermeiden, indem es ähnlich den USA Transparenz in Marinestrategie und Flottenrüstung herstellt. Jenseits maritimer Rüstungskontrolle müssen nicht nur Brüssel und Washington, sondern auch Moskau und Peking an vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen interessiert sein, auch wenn deren Erfolgschancen als gering einzuschätzen sind.

Dr. Michael Paul ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2019

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ISSN 1611-6364