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Der »Jahrhundert-Deal« zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts

Mit dem US-Ansatz droht der Zweistaatenregelung das endgültige Aus

SWP-Aktuell 2019/A 19, 10.04.2019, 4 Seiten

doi:10.18449/2019A19

Forschungsgebiete

Die US-Administration hat angekündigt, zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt nach den Parlamentswahlen in Israel ihren »Jahrhundert-Deal« zur Regelung des israelisch-palästinensischen Konflikts vorzulegen. Auch wenn die Details des Plans bislang ein wohlgehütetes Geheimnis sind: Aufgrund bisheriger Signale der Trump-Regierung ist davon auszugehen, dass die Initiative keine Konfliktregelung auf Basis von zwei souveränen Staaten vorsieht, internationales Recht nicht als Richtschnur nimmt und palästinensische Rechte israelischen Interessen unterordnet. Eine Zu­stimmung der palästinensischen Führung ist nicht zu erwarten. Die nächste israelische Regierung dürfte dies als grünes Licht dafür sehen, jene Elemente des Plans umzusetzen, die dazu dienen, dauerhaft die Kontrolle über strategische Gebiete der West Bank und über Ost-Jerusalem aufrechtzuerhalten. Dies birgt auch das Risiko, dass die ohnehin schon prekäre israelisch-palästinensische Kooperation beim Kon­fliktmanagement zusammenbricht. Deutschland und seine Partner in der EU sollten die Veröffentlichung des amerikanischen Plans zum Anlass nehmen, die Prinzipien einer Konfliktregelung auszubuchstabieren, von denen ihre Unterstützung abhängt. Ebenso sollten sie klarstellen, welche Folgen eine Annexion von Teilen der West Bank für die europäische Politik hat.

Schon im Präsidentschaftswahlkampf 2016 hatte Trump eine Initiative zur »ultimativen« Regelung des israelisch-palästinen­sischen Konflikts angekündigt. Seit Amts­antritt der Administration arbeitet ein Trio aus Trumps Schwiegersohn Jared Kushner, seinem langjährigem Vertrauten Jason Greenblatt, dem Anwalt des Trump’schen Firmenimperiums, sowie dem US-Botschaf­ter in Israel, David Friedman, an einem entsprechenden Plan. Das amerikanische Außenministerium ist dagegen nicht be­teiligt. Neben den sogenannten Endstatus-Fragen, die zwischen den Konfliktparteien zu klären sind (Jerusalem, Flüchtlinge, Sied­lungen, Status und Grenzen des palästinensischen Gemeinwesens sowie Sicherheitsvorkehrungen), legt das Team dem Verneh­men nach seinen Fokus vor allem auf wirt­schaftliche Kooperation und Entwicklung in den palästinensischen Gebieten. Damit wäre der US-Plan zu großen Teilen eine Neuauflage des von Premier Benjamin Ne­tanjahu bevorzugten Ansatzes eines »öko­nomischen Friedens«. Das heißt, massi­ve Investitionen in die Wirtschaft der paläs­tinensischen Gebiete sollen die Umsetzung des Rechts auf Selbstbestimmung im Rah­men eines eigenen Staates ersetzen. Eine besondere Rolle ist den arabischen Golf­staaten und den beiden Nachbarstaaten Ägypten und Jordanien zugedacht. Sie sollen dem Ansatz durch ihre Unterstützung politisches Gewicht verleihen bzw. ihn durch Geberleistungen unterfüttern.

Übergeordnetes Ziel ist es, eine Koalition zu zimmern, in der Israel eng mit den arabischen Regionalmächten und den USA gegen den Iran kooperiert. In den letzten Jahren haben sich Israel und die arabischen Golfstaaten einander bereits merklich ange­nähert. Nun geht es für Israel und die USA darum, den palästinensischen Stolperstein aus dem Weg zu räumen, der bislang eine vollständige Normalisierung dieser Bezie­hungen verhindert.

Elemente des Deals

Nach wie vor hat die US-Administration weder Ansatz noch Details ihres zwischen Israel und den Palästinensern zu verhandelnden »Jahrhundert-Deals« offenbart. Was dessen Inhalt angeht, lassen sich aber Schlussfolgerungen aus bisherigen Verlaut­barungen und Maßnahmen der Trump-Regierung ziehen. Das fängt damit an, dass Trump sich nicht eindeutig zu einer Zwei­staatenregelung bekannt und die israelische Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten nicht klar verurteilt hat. US-Botschafter Friedman macht aus seiner engen Verbundenheit mit Siedlerführern keinen Hehl. Auch ist die Administration dazu über­gegangen, die palästinensischen Gebiete (wie auch die Golanhöhen) nicht mehr als besetzt darzustellen – so etwa im Bericht des US-Außenministeriums zur Menschenrechtssituation 2018.

Zudem hat Trump begonnen, den internationalen Konsens in Bezug auf Endstatus-Themen zu hinterfragen, wie er etwa in UN-Sicherheitsratsresolution 2334 von Dezember 2016 zum Ausdruck kommt. Nach eigenen Worten hat der Präsident »Jerusalem vom Verhandlungstisch genom­men«. Zwar betonte er auch, die amerikanische Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt präjudiziere keine Grenz­ziehung zwischen Israel und den Palästinensern. Alle praktischen Schritte der Amerikaner deuten aber darauf hin, dass ein Verhandlungsergebnis vorweggenommen werden soll, bei dem die Palästinenser keine Souveränität über zentrale Viertel Ost-Jerusalems erhalten. Zu diesen Maßnah­men gehört die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem, die Schließung des (bislang für die Palästinenser zuständigen) Generalkonsulats in Ost-Jerusalem und die Einstel­lung finanzieller Unterstützung für paläs­tinensische Institutionen in der Stadt.

Auch hat Trump die israelische Souve­ränität über die 1967 besetzten syrischen Golanhöhen anerkannt. Dies bezieht sich zwar nicht auf die palästinensischen Ge­biete. Der Schritt signalisiert aber, dass der völkerrechtliche Grundsatz, wonach die Aneignung von Territorium durch Gewalt unzulässig ist, für die Trump-Administra­tion nicht prinzipiell als Richtschnur dientund er wird im rechten Lager Israels als grünes Licht für Annexionen in der West Bank interpretiert.

Darüber hinaus hat die US-Regierung 2018 ihre finanzielle Unterstützung für das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) eingestellt. Die USA waren bis dahin der bei weitem größte Beitragszahler; in den letzten Jahren deckten sie rund ein Drittel des Gesamtetats. Hintergrund ist, dass die Trump-Administration die Lesart der israelischen Regierung teilt, UNRWA perpetuiere das Flüchtlingsproblem. Die Organisation ermutige die Flüchtlinge, auf ihrem Status und dem Rückkehrrecht zu beharren, statt sich in den derzeitigen Auf­nahmestaaten zu integrieren. Laut Presse­berichten gab es auch amerikanische For­de­rungen an Jordanien, den palästinensischen Flüchtlingen dort den Flüchtlings­status ab­zuerkennen und sie einzubürgern.

Beschleunigung der Erosion

Seit Trumps Amtsübernahme haben sich Israelis und Palästinenser weiter von einer Zweistaatenregelung entfernt. Die Einstaatenrealität, in der Israel die übergeordnete Kontrolle über das gesamte Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan hat und der Paläs­tinensischen Autorität (PA) eine Rolle als Hilfssheriff zukommt, hat sich weiter ver­festigt. Seit April 2014 hat es keine Gesprä­che mehr über ein Friedensabkommen gegeben. Durch die Trump-Administration und Israels Annäherung an die arabischen Golfstaaten sah sich die rechts-religiöse Koalition unter Netanjahu ermutigt, die Siedlungstätigkeit in der West Bank und in Jerusalem auszuweiten, den Weg zur Anne­xion von Siedlungen frei zu machen, den jüdischen Bevölkerungsanteil in Jerusalem zu erhöhen und die jüdische Identität des Staates zu stärken. Dazu diente eine Fülle von Gesetzesvorlagen, die seit 2017 in die Knesset eingebracht, zum Teil allerdings auf Eis gelegt oder durch das Oberste Ge­richt wieder aufgehoben wurden. Im März 2017 genehmigte Israels Sicherheitskabinett zum ersten Mal seit 25 Jahren eine gänzlich neue Siedlung in der zen­tralen West Bank. Einen souveränen paläs­tinensischen Staat lehnen die Vertreterinnen und Vertreter der Regierungsparteien ab; sie treten immer offensiver dafür ein, die C-Gebiete der West Bank (rund 60 Pro­zent der Fläche) oder sogar die gesamte West Bank zu annektieren. Im Wahlkampf 2019 hat auch Netan­jahu die Ausweitung israe­li­scher Souveränität auf die West Bank als Ziel postuliert.

In den letzten Jahren ist vor dem Hintergrund einer mangelnden Perspektive der Konfliktregelung auch die zwischen Israelis und Palästinensern vereinbarte Kooperation beim Konfliktmanagement weiter erodiert. Immer wieder sind Auseinandersetzungen über den Tempelberg/Haram al-Scharif eskaliert; nur durch jordanische Vermittlung konnten sie wieder eingehegt werden. Bei den Protesten am Grenzzaun des Gaza-Streifens, während des sogenannten »Great March of Return«, kamen seit Ende März 2018 über 180 Palästinenser durch den israelischen Einsatz von Schusswaffen zu Tode; Tausende wurden zum Teil schwer verletzt. Auf israelischer Seite führten Feuerdrachen und Brandbomben, die über den Grenzzaun geworfen wurden, zur Ver­wüstung von landwirtschaftlichen Flächen. In immer kürzeren Abständen kam es auch zu Beschuss zwischen Israel und radikalen Gruppierungen im Gaza-Streifen. Diese brachten das Küstengebiet wiederholt an den Rand einer erneuten kriegerischen Auseinandersetzung. Auch wenn Ägypten und die UN immer wieder Waffenruhen vermitteln konnten, die kurzfristig die Lage beruhigten und die Abriegelung des Küsten­streifens milderten: Ein langfristiger Waf­fenstillstand, Sicherheitsgarantien und ein Ende der Blockade ließen sich nicht er­zielen. Damit dauert auch die humanitäre Krise im Gaza-Streifen fort.

Die besagte Erosion würde sich noch verstärken, sollte die palästinensische Füh­rung die Beschlüsse des PLO-Zentralrats implementieren. Dieser hat in den letzten Jahren wiederholt entschieden, die Sicher­heitskooperation mit Israel auszusetzen. Mittlerweile steht die Fortexistenz der PA selbst durch den kombinierten amerikanischen und israelischen Druck in Frage. Die USA stellten 2018 die finanzielle Unter­stützung für die PA und die palästinensische Zivilgesellschaft ein und schlos­sen im Früh­herbst die PLO-Vertretung in Washington D.C. Zwar sollte die Unterstützung für die palästinensischen Sicherheitskräfte eigent­lich weiterlaufen. Doch im Januar 2019 sah sich die PA gezwungen, fortan auch diese abzulehnen, um nicht Gefahr zu laufen, unter dem amerikanischen Anti-Terrorism Clarification Act (ATCA) verklagt zu werden.

Im Februar fiel eine weitere wichtige Einnahme­quelle für die PA weg. Vor dem Hintergrund des Wahlkampfs be­schloss das israelische Kabinett, das so­genannte Stern-Gesetz anzu­wenden. Es sieht vor, ge­mäß dem Motto »No pay for slay« die ver­traglich ver­einbar­ten Transferleistungen Israels an die PA um jenen Be­trag zu redu­zieren, den diese im Vorjahr an in Israel inhaftierte Palästinenser (pauschal als »Ter­roristen« be­zeichnet) und an Familien von »Märtyrern« gezahlt habe. Als Reaktion lehnte die PA es ab, die gekürzten Transfers anzunehmen. Damit aber fehlen ihr nach UN-Angaben rund zwei Drittel der Einnah­men. Wird keine politische Lösung für das Problem gefunden, dürfte dies rasch zum finanziellen Kollaps der PA führen.

Auch an anderer Stelle wurden moderierende Institutionen abgebaut. So entschied Netanjahu im Januar 2019, die internationale Beobachtermission in Hebron nicht zu verlängern. Diese hatte dort mit wenigen Unterbrechungen seit 1994 de­eskalierend zwischen den Palästinensern und den radi­kalen Siedlern in der Altstadt gewirkt. Da­mit dürfte sich die Transformation des Vier­tels durch Siedlungstätigkeit und Verdrängung der palästinensischen Be­völkerung sowie durch Betonung des jüdi­schen gegen­über dem islamischen kultu­rellen Erbe beschleunigen. Seit Abzug der Mission ist die Gewalt bereits merklich an­gestiegen.

Bewertung und Empfehlungen

Der amerikanische »Jahrhundert-Deal« dürfte wenig dazu beitragen, den israelisch-palästinensischen Konflikt zu lösen. Er birgt vielmehr das Risiko, die ohnehin angespannte Situation weiter zuzuspitzen und die Erosion des gemeinsamen Konflikt­managements weiter zu beschleunigen. Dass die palästinensische Führung dem US‑Ansatz zustimmen wird, ist selbst bei starkem Druck nicht zu erwarten. In Reak­tion auf Trumps Jerusalem-Entscheidung hat sie eine weitere Vermittlung durch Washington abgelehnt. Seither verweigert sie hochrangige Kontakte mit dem ameri­kanischen Nahost-Team. Ohnehin ist die palästinensische Führung gespalten. Präsi­dent Mahmud Abbas verfügt weder über die Legitimität, um über ernsthafte Kompromisse zu verhandeln, noch über die Auto­rität, um ein etwaiges Abkommen umzusetzen. Ein palästinensisches Nein zu Ver­handlungen auf Basis des amerikanischen Plans dürfte die israelische Politik als grü­nes Licht betrachten, um selektiv und uni­lateral jene Elemente der Initiative umzu­setzen, die es ihr erlauben, dauerhaft die Kontrolle über strategische Gebiete der West Bank und über Ost-Jerusalem auf­rechtzuerhalten. Sollte aus den Knessetwahlen eine rechtsnational-religiöse Koali­tion hervorgehen, steht zudem zu befürchten, dass diese sich ermutigt fühlt, zur De‑jure-Annexion der C-Gebiete der West Bank überzugehen. Damit aber würde das paläs­tinensische Territorium dauerhaft auf einzelne, voneinander isolierte Enklaven reduziert; eine Zweistaatenregelung wäre nicht mehr umsetzbar.

Deutschland und seine Partner in der EU sollten ausbuchstabieren, an welchen Prin­zipien jede Blaupause sich messen lassen muss, um zur dauerhaften Regelung des israelisch-palästinensischen Konflikts bei­tragen zu können: Erfüllung des Selbst­bestimmungsrechts beider Völker, Garantie individueller Menschenrechte für die ge­samte Bevölkerung zwischen Mittelmeer und Jordan sowie eine Umsetzung des Rück­kehrrechts, die sowohl das individuelle Wahlrecht palästinensischer Flüchtlinge als auch die Interessen von derzeitigen und künftigen Aufnahmestaaten berücksichtigt. Erfüllt die US-Vorlage diese Kriterien nicht, sollten die Europäer auch nicht einzelne Elemente des Plans unterstützen. Insbesondere lässt sich, so die Erfahrung der letzten 25 Jahre, wirtschaftliche Entwicklung in den palästinensischen Gebieten auch durch massive Investitionen nicht erreichen, wenn nicht gleichzeitig mit der Besat­zung zu­sam­menhängende Hürden (vor allem Mobili­tätseinschränkungen, Geneh­mi­gungs­verfahren und Ressourcenraubbau) abge­baut werden. Es gilt klar zu benen­nen, was eine Annexion von Teilen der West Bank an Verpflichtungen für Israel mit sich bringen würde und welche Konse­quenzen von europäischer Seite zu erwar­ten wären. Für die Finanzierung einer auf Dauer angelegten Besatzung oder einer Annexion sollten die Europäer nicht zur Verfügung stehen.

Dr. Muriel Asseburg ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2019

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ISSN 1611-6364