Anfang Mai soll in Ägypten ein Referendum über eine Verfassungsänderung abgehalten werden, die Präsident Abdel-Fatah al-Sisi nach dem Ende seiner laufenden Amtszeit ein Weiterregieren ermöglichen würde. Angesichts massiver Repression scheint die Zustimmung gewiss. Damit wäre die Machtkonsolidierung des Sisi-Regimes, das aus dem Militärputsch vom Juli 2013 hervorgegangen ist, weitgehend abgeschlossen. Doch wie wird sich dieses Regime in Zukunft entwickeln? Denkbare Szenarien sind eine erfolgreiche Entwicklungsdiktatur, jahrzehntelange politische und wirtschaftliche Stagnation wie unter Mubarak oder ein baldiges Scheitern. Während eine Entwicklungsdiktatur mangels Reformbereitschaft unrealistisch ist, sind die beiden anderen Szenarien für Deutschland und seine europäischen Partner mit großen Risiken verbunden. Sie sollten daher künftig die Vergabe neuer Budgethilfen an eine Verbesserung der Menschen- und Bürgerrechte knüpfen, auf humanitäre Krisenprävention im Sinne des »Do-No-Harm«-Ansatzes setzen und die Kontakte mit Vertretern der ägyptischen Opposition auch im Ausland ausbauen.
Der am 14. Februar erstmalig vom ägyptischen Parlament verabschiedete Entwurf für eine Verfassungsänderung sieht als wichtigste Neuerung vor, die Amtszeit des Präsidenten von vier auf sechs Jahre zu verlängern. Die Änderung soll rückwirkend gelten, wobei bereits geleistete Amtsjahre nicht zählen. Präsident Sisi könnte nach Ende seiner zweiten Amtszeit 2022 folglich erneut zweimal kandidieren. Er hätte somit die Möglichkeit, bis zu seinem 80. Lebensjahr 2034 Präsident zu bleiben. Zudem soll es fortan dem Militär obliegen, »Verfassung und Demokratie zu schützen«. Die schon heute allmächtigen Streitkräfte stünden damit auch formal über der Verfassung. Die Militarisierung des Staates wird so forciert. Neben einer Verkleinerung des Parlaments und der Einführung paritätischer Quoten für Abgeordnete zielen weitere Änderungen darauf ab, den Präsidenten gegenüber Legislative und Judikative zu stärken. So soll das 2014 abgeschaffte ägyptische Oberhaus wieder eingeführt werden, dessen Mitglieder in der Vergangenheit zu einem Drittel der Präsident ernannt hatte. Der Präsident soll künftig auch einem neu zu gründenden »Council of Judicial Bodies« vorstehen, das weitreichende Befugnisse bei der Besetzung von Spitzenämtern in der Justiz haben wird. Ferner soll die budgetäre Unabhängigkeit der Judikative aufgehoben werden.
Dass der im Parlament erarbeitete Entwurf in der finalen Lesung Ende März noch scheitern könnte, gilt als nahezu ausgeschlossen. Die wenigen Parlamentarier, die Kritik äußern, sind Schmutzkampagnen ausgesetzt; zahlreiche Mitglieder oppositioneller Kleinstparteien wurden verhaftet. Das für Mai anvisierte Referendum wird wie die Präsidentschaftswahl vor einem Jahr in einem Klima der Angst stattfinden. Angesichts von mindestens 60 000 politischen Gefangenen, der systematischen Anwendung von Folter und gleichgeschalteter Medien ist ein freier und fairer Urnengang unmöglich.
Mit dem Verfassungsreferendum steht die Konsolidierung des Sisi-Regimes vor dem Abschluss. Begonnen hatte sie mit dem Militärputsch im Juli 2013, der dem damaligen Verteidigungsminister den Weg ins Präsidentenamt ebnete. Seitdem wurde Widerstand gegen Sisis Herrschaft mit brutalster Polizeigewalt unterdrückt. Polizeistaatliche Repression richtete sich dabei nicht nur gegen die Opposition – insbesondere gegen Anhänger der mittlerweile als Terrororganisation eingestuften Muslimbruderschaft. Auch in der Staatselite wurden potenzielle Konkurrenten des Präsidenten ausgeschaltet, etwa der ehemalige Chef des Auslandsgeheimdienstes (General Intelligence Service [GIS]) Khaled Fawzy und der Generalstabschef der Armee Mahmoud Hegazy. Zu steuern scheint diese Kampagne ein kleiner Machtzirkel um den Präsidenten. Ihm gehören neben Abbas Kamel – Sisis ehemaligem Büroleiter, der jetzt dem Auslandsgeheimdienst vorsteht – die Präsidentensöhne Hassan und Mahmoud an, die hohe Positionen im GIS bekleiden, sowie Sisis ältester Sohn Mustafa, der in der mächtigen Verwaltungskontrollbehörde tätig ist.
Mit dem Ende von Sisis Machtkonsolidierung stellt sich indes die Frage, wie sich sein Regime in den kommenden Jahren weiterentwickeln wird. Grundsätzlich vorstellbar sind drei Szenarien, mit unterschiedlicher Eintrittswahrscheinlichkeit.
Szenario 1 – »Erfolgreicher Entwicklungsdiktator«
Die angestrebte Amtszeitverlängerung begründen Sisis Unterstützer auch damit, dass der Präsident mehr Zeit benötigt, um seine Entwicklungsvisionen zu verwirklichen. Über Megaprojekte wie die Erweiterung des Suez-Kanals, den Bau einer neuen Hauptstadt und eines Atomkraftwerks will Sisi dem Land einen Entwicklungsschub geben. Die Freigabe des Wechselkurses, die Streichung von Subventionen und die Erschließung neu entdeckter Erdgasvorkommen sollen zudem die prekäre Finanzsituation verbessern und Ägypten unabhängig von internationalen Finanzhilfen machen. Am Ende, so legen es zuweilen auch Experten internationaler Finanzinstitutionen nahe, könnte sich das Land unter Sisis Führung zu einer prosperierenden Volkswirtschaft entwickeln.
Zwei Gründe sprechen jedoch gegen dieses Szenario: Zum einen zeugen die von Sisi in hochemotionalen Reden angekündigten Megaprojekte keineswegs von einem angemessenen Problembewusstsein. Mit diesen Projekten lassen sich die sozioökonomischen Kernprobleme des Landes nicht lösen; weder die marode Infrastruktur, das unzureichende Bildungssystem oder die überbordende Schattenwirtschaft. Die für den Ausbau des Suez-Kanals aufgewendeten Mittel (über 8 Milliarden US-Dollar) etwa hätte man entsprechend sinnvoller einsetzen können.
Zum anderen steht die Machtstellung des Militärs einer Entwicklung des Landes entgegen. Reformen machen immer dort halt, wo die Interessen der Streitkräfte tangiert werden. Diese haben während Sisis Präsidentschaft ihre Aktivitäten in der zivilen Wirtschaft deutlich ausgeweitet – und behindern damit die Entwicklung einer wettbewerbsorientierten Marktwirtschaft. Zudem steigen die Rüstungsausgaben sprunghaft an. Ägypten hat seine Waffenkäufe im Zeitraum von 2014 bis 2018 im Vergleich zum Zeitraum von 2009 und 2013 mehr als verdreifacht und ist damit weltweit drittgrößter Waffenimporteur.
Staatliche Erfolgsmeldungen wie der Anstieg des Wirtschaftswachstums (im 1. Quartal 2018/19 lag dies bei 5,3 Prozent) und eine sinkende Arbeitslosenquote sind mit Vorsicht zu betrachten. Sie basieren auf zweifelhaften öffentlichen Statistiken und sind keine Indikatoren für eine Trendwende. Das Geschäfts- und Investitionsklima bleibt schlecht (»Doing Business«-Index der Weltbank 2019, Platz 120 von 190). Ausländische Direktinvestitionen liegen nach wie vor deutlich unter dem Niveau der wirtschaftlichen Boom-Jahre zwischen 2006 und 2008. Vor allem aber steigt die Staatsverschuldung unaufhaltsam: Die Auslandsschulden sind von März 2013 bis Ende 2018 um 142 Prozent auf 93,1 Milliarden US-Dollar angewachsen. Mögliche staatliche Mehreinnahmen, etwa durch den Ausbau der Erdgasförderung, dürften allein schon vom hohen Schuldendienst (gegenwärtig über 40 Prozent der Staatsausgaben) aufgezehrt werden. Ägyptens angeblicher Wirtschaftsaufschwung ist damit teuer erkauft.
Szenario 2 – »Mubarak 2.0«
Sollte es Präsident Sisi nicht gelingen, Ägypten die angekündigten Entwicklungserfolge zu bescheren, müsste das keineswegs das Ende seiner Präsidentschaft bedeuten. Auch sein Vorvorgänger im Präsidentenamt, Husni Mubarak (1981–2011), vermochte die sozioökonomische Lage in seinem Land nicht zu verbessern. Dennoch konnte er sich 30 Jahre an der Macht halten. Entscheidend hierfür waren vor allem die massive externe Unterstützung westlicher Staaten und ein erfolgreiches Elitenmanagement.
Auch Präsident Sisi kann auf weitreichende Unterstützung durch das Ausland zählen. Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Kuwait haben unmittelbar nach dem Militärputsch 2013 Finanz- und Rohstoffhilfen im Umfang von mehr als 12 Milliarden US-Dollar bereitgestellt. Die Europäer zeigten sich insbesondere angesichts der Zunahme irregulärer Migration 2015/16 äußerst bereitwillig, dem Regime zur Seite zu stehen. Sie unterstützten Ägyptens Bemühungen um einen 12 Milliarden-US-Dollar-Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) mit zusätzlichen Finanzhilfen, ohne eine Verbesserung der Menschenrechtslage oder der Regierungsführung einzufordern. Fraglich ist allerdings, ob Golfstaaten und Europäer den steigenden Finanzbedarf weiterhin decken können und wollen. Dieser wird auch nach Auslaufen der IWF-Hilfszahlungen zum Jahresende 2019 groß bleiben. Szenario 2 könnte für die Geber darum äußerst kostspielig werden. Deutschland beispielsweise war bereits Mitte 2018 mit 7,1 Milliarden US-Dollar größter Gläubiger hinter internationalen Organisationen (28,4 Mrd. US-Dollar) und den Golfmonarchien (23,1 Mrd. US-Dollar).
Präsident Sisis Elitenmanagement unterscheidet sich dabei deutlich von jenem Mubaraks. Bemühungen etwa, eine linientreue Regierungspartei als eigenständiges Herrschaftsfundament zu formieren, nach dem Vorbild der unter Mubarak herrschenden Nationaldemokratischen Partei (NDP), lässt er nicht erkennen. Vielmehr baut Sisi – bislang erfolgreich – auf seine engen Beziehungen zum Sicherheitsapparat und einen militärisch geprägten, äußerst autoritären Führungsstil. Angesichts um sich greifender Armut und mangelnder sozialer Gerechtigkeit dürfte er in diesem Szenario künftig noch deutlich mehr Gewalt anwenden, um die eigene Macht abzusichern.
Szenario 3 – »Sisi scheitert«
Ausbleibende Entwicklungserfolge und zunehmende Repression könnten sehr schnell das Ende des Regimes einleiten. Auf weitere Ausgabenkürzungen dürften insbesondere Angehörige der Mittelschicht, die schon in den vergangenen Jahren erheblich unter dem Sparkurs der Regierung gelitten haben, mit Massenprotesten reagieren. Vorstellbar als Auslöser ist aber auch eine akute Krise bei der Grundversorgung, etwa mit Wasser, oder aufgrund der maroden Verkehrsinfrastruktur. Erfolgreiche Proteste in anderen Ländern der Region, in Algerien oder Sudan, könnten Protestdynamiken noch verstärken. Mit exzessiver Polizeigewalt ließen sich einzelne Demonstrationen zwar erst einmal eindämmen – sie könnte aber auch eskalierend wirken.
Als Bedrohung des Sisi-Regimes denkbar ist auch Widerstand von Teilen der Elite und selbst des Sicherheitsapparats. Zwar sind sowohl das Militär als auch das Innenministerium und die Geheimdienste Profiteure der gegenwärtigen Politik des Präsidenten. Allerdings hat sich Sisi auch Feinde gemacht, indem er Spitzenbeamten Privilegien entzog – so müssen sie zukünftig Dienstreisen ins Ausland vom Präsidenten genehmigen lassen –, vor allem aber durch die permanente Personalrotation. Die Inhaftierung früherer staatlicher Funktionsträger mit politischen Ambitionen, darunter der ehemalige Generalstabschef Sami Anan und der ehemalige Chef des Rechnungshofes Hisham Genena, dürfte zusätzlich für Verbitterung in Teilen der Elite sorgen.
So abstrakt dieses Szenario aus heutiger Sicht auch anmuten mag – die Entwicklungen 2011 haben gezeigt, dass sich Protestdynamiken wie auch Elitenkonflikte kaum vorhersagen lassen.
Fazit
Während das Szenario einer Entwicklungsdikatur wenig plausibel erscheint, ist das Eintreten einer der beiden anderen Szenarien deutlich wahrscheinlicher. Beide sind mit hohen Risiken und Kosten für Deutschland und die EU verbunden. Zentrale Voraussetzung für das Szenario »Mubarak 2.0« wären permanente, beträchtliche Finanzhilfen, die vor allem zu Lasten der europäischen Staatshaushalte gehen würden, sowie die Akzeptanz einer sich weiter verschlechternden Menschenrechtslage. Sozioökonomischer Niedergang ließe sich auf diese Weise allenfalls verlangsamen. Der Migrationsdruck und die Radikalisierungstendenzen in der jungen ägyptischen Bevölkerung dürften dagegen zunehmen.
Das Szenario des Regimezusammenbruchs bietet zwar Gelegenheit für politische Reformen. Ihnen stehen aber die gegenwärtige Militarisierung des Regimes und die damit verbundene Ausschaltung jeglicher unabhängiger Zivilgesellschaft ebenso entgegen wie die dramatische Verschlechterung der Lebensbedingungen eines Großteils der Bevölkerung. Anders als 2011 könnte der Zusammenbruch daher deutlich eruptiver und weniger friedlich verlaufen. Mögliche Folge wäre der Kollaps staatlicher Strukturen im bevölkerungsreichsten Land der europäischen Nachbarschaft.
Vor diesem Hintergrund sollten Deutschland und die EU mehr als bislang darauf drängen, dass eine unabhängige Zivilgesellschaft gestärkt und geschützt wird und dass Maßnahmen zur nachhaltigen und inklusiven Wirtschaftsentwicklung in Ägypten ergriffen werden. Dazu gehört es nicht nur, die Sisi-Administration auf die Unvereinbarkeit der geplanten Verfassungsreform mit den für Entwicklungszusammenarbeit geltenden Prinzipien der »good governance« hinzuweisen. Ebenso wichtig ist deutliche Kritik an den andauernden Einschränkungen der Menschen- und Bürgerrechte, etwa im Forum des VN-Menschenrechtsrats. Vor allem sollten bei den absehbaren Neuverhandlungen über weitere Budgethilfen Bedingungen gestellt werden, die anders als bisher nicht allein auf Austerität abzielen, sondern auch auf eine Verbesserung der Menschenrechtslage, der Bürgerrechte und der Regierungsführung. Bei Projekthilfen sollte deutlich mehr auf die Umsetzung des »Do-No-Harm«-Ansatzes geachtet werden, um zu verhindern, dass die Hilfen für den weiteren Ausbau repressiver Herrschaftsstrukturen genutzt werden. Und schließlich sollte die Bundesregierung die Kontakte mit Vertretern der exilierten ägyptischen Opposition ausbauen, zu denen auch islamistische Akteure zählen. Auf diese Weise könnte sie im Falle eines Regimezusammenbruchs Prozesse der Mediation zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen unterstützen.
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doi: 10.18449/2019A17