Neben dem bestehenden Asylsystem sind komplementäre Zugangswege eine weitere Option, um Geflüchtete aufzunehmen. Programme der Arbeitsmigration ermöglichen es qualifizierten Personen, die in einem Nachbarland Schutz gesucht haben, auf sicheren und regulären Wegen in aufnahmebereite Drittstaaten weiterzureisen. Ein Zielland wie Deutschland kann auf diese Weise wichtige Arbeitskräfte gewinnen. Oft wird davon ausgegangen, dass solche Programme auch im Sinne der Erstaufnahmeländer sind. Anstatt dies vorauszusetzen, sollten die Interessen dieser Länder genauer betrachtet und stärker berücksichtigt werden. Dabei wäre sicherzustellen, dass keine Konkurrenz zwischen Geflüchteten und Staatsbürger:innen der Erstaufnahmeländer entsteht. Deshalb sollten Angebote für Weiterbildung und Ausreise möglichst immer an beide Gruppen gerichtet sein. Sinnvoll ist zudem, alle relevanten Akteure in den Erstaufnahmeländern von Anfang an in die Gestaltung der Programme einzubeziehen und diese in einen größeren Rahmen von Migrationskooperation einzubetten, um Synergieeffekte nutzen zu können.
Die aktuellen Debatten über Migrationspolitik drehen sich oft um das Ziel, Migration sicher, geordnet und regulär zu gestalten. Im Bereich Fluchtmigration zeigt sich allerdings das sogenannte Asylparadox: Menschen, die fliehen, müssen Grenzen in der Regel irregulär überqueren, um zum Beispiel nach Europa zu gelangen und dort ihr Recht auf Schutz einfordern zu können. Das ist für die Geflüchteten mit oft lebensgefährlichen Reisen und hohen Kosten verbunden und ruft in den Zielländern Kritik an ungeordneter oder unkontrollierter Zuwanderung hervor. Jenseits dieses territorialen Zugangs zu Schutz – der beinhaltet, dass eine Person im Land oder an seiner Grenze angelangt sein muss, um Asyl beantragen zu können – gibt es jedoch andere rechtliche Optionen, die eine reguläre Einreise ermöglichen. Zum einen sind dies Resettlement-Programme: Personen, die bereits in ein anderes Land wie etwa den Libanon geflüchtet sind und dort einen anerkannten Schutzstatus haben, können über diese Programme in einen Drittstaat wie beispielsweise Deutschland einreisen, um dort Schutz zu erhalten. Zum anderen existieren mehrere weitere Optionen, die unter dem Begriff komplementäre Zugangswege zusammengefasst werden. Regulär einreisen können Geflüchtete etwa durch Bundes- oder Landesaufnahmeprogramme, humanitäre Visa, Bildungsprogramme oder mit Arbeitsverträgen. Der letztgenannte Weg der Arbeitsmigration wird zurzeit von vielen Akteuren der Migrationspolitik und ‑forschung als vielversprechende Idee diskutiert und mit der Hoffnung verbunden, dass er für alle beteiligten Akteure ein Gewinn ist.
Arbeitsmigration für Geflüchtete – ein win-win-win?
Arbeitsmigration für Geflüchtete bedeutet, dass Personen, die aus ihrem Heimatland in ein Nachbarland geflohen sind, von dort in einen Drittstaat aufgenommen werden. Dies ähnelt dem Prinzip des Resettlement, mit dem Unterschied, dass die Personen nicht mit einem Schutzstatus weiterreisen, sondern mit einem Arbeitsvertrag. Anders als Geflüchtete im Asylverfahren haben die einreisenden Personen dabei das Recht, unmittelbar nach der Einreise eine Arbeit aufzunehmen. In einer Zeit, da der Arbeitsmarkt in Deutschland immer mehr auf Zuwanderung angewiesen ist, kann dies die Möglichkeiten der Arbeitsmigration erweitern und damit eine weitere Option darstellen, den Fachkräftebedarf in Mangelberufen zu decken. In diesem Sinne ergibt sich ein doppelter Vorteil: Geflüchteten bleiben gefährliche und teure irreguläre Migrationswege erspart, und das Aufnahmeland kann die Geflüchteten direkt nach ihrer Ankunft in den Arbeitsmarkt integrieren, sodass sie nicht auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Sie können ihre Fähigkeiten nutzen und ihre Handlungsmacht bewahren, was ihnen selbst ebenso zugutekommt wie dem Aufnahmeland. Das gilt indes nur für Geflüchtete mit entsprechenden Qualifikationen, also gerade nicht für die vulnerabelsten. Zudem ist bei befristeten Aufenthaltstiteln zu klären, welchen (Schutz-)Status die Betreffenden haben, sollten sie ihren Arbeitsplatz verlieren.
Neben Arbeitgebern und Wirtschaftssystemen in den Zielländern sowie den Geflüchteten selbst könnten auch die Erstaufnahmeländer profitieren. Die meisten Fluchtbewegungen sind regional, 69 Prozent der Flüchtlinge weltweit wurden von einem Nachbarland aufgenommen. Viele jener Länder, welche die meisten Flüchtlinge beherbergen, kämpfen jedoch selbst mit einer schwierigen wirtschaftlichen (und teils politischen) Lage. Beispiele hierfür sind Uganda, der Libanon oder Jordanien. Vor diesem Hintergrund lautet ein zentrales Ziel des Globalen Flüchtlingspakts, die Verantwortung bei Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen gerecht innerhalb der Staatengemeinschaft aufzuteilen. Der Druck auf die Erstaufnahmeländer soll gemindert, der Zugang zu Drittstaatenlösungen verbessert werden. So liegt es nahe, dass Erstaufnahmestaaten von Programmen der Arbeitsmigration für Geflüchtete profitieren können, da auf diesem Weg die Sozialsysteme im Land entlastet werden. Dass komplementäre Zugangswege in diesem Sinne positiv für die Erstaufnahmeländer wirken können, betont auch der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR). Es könnte also ein dreifacher Gewinn entstehen.
Stand der Umsetzung
Bislang gibt es mehrere Pilotprogramme, die Flüchtlingen Wege der Arbeitsmigration in mehrere europäische Länder sowie nach Kanada und Australien eröffnen. Das kanadische Programm soll als bisher einziges nach der Testphase nun verstetigt werden. In Europa wurden mit dem Programm Displaced Talent for Europe (DT4E) Geflüchtete aus Jordanien und dem Libanon nach Belgien, Großbritannien, Irland und Portugal vermittelt. Nachdem die erste Phase Ende 2024 ausgelaufen ist, wird das Folgeprojekt mit den Aufnahmeländern Belgien, Frankreich und Slowakei durch- bzw. fortgeführt. Italien und Großbritannien haben mittlerweile eigene Programme. Alle Programme unterscheiden sich darin, welche rechtlichen Optionen genutzt oder geschaffen werden, welchen Status die einreisenden Personen haben und welche Akteure involviert sind. So bekommen Arbeitskräfte zum Beispiel in Kanada und Australien sofort einen unbefristeten Aufenthaltsstatus, während sie in Europa zunächst befristete Aufenthaltstitel erhalten. In der Regel spielen Nichtregierungsorganisationen eine wichtige Vermittlerrolle. Prominentester Akteur derzeit ist die Organisation Talent Beyond Boundaries. Mit Hilfe einer Datenbank (des sogenannten Talentkatalogs) bringt sie Arbeitsangebote und Arbeitssuchende zusammen und unterstützt Geflüchtete bei Bewerbungen und sonstigen organisatorischen Schritten. In Kanada gibt es zudem die Organisation Talent Lift, die nach dem gleichen Prinzip eine Plattform zur Vermittlung betreibt. Etablierte Akteure wie der UNHCR oder die Internationale Organisation für Migration (IOM) sind ebenfalls an der Umsetzung der Programme beteiligt. Die Programme bewegen sich stets im Spannungsfeld zwischen Flüchtlingsschutz und Arbeitsmigration und können stärker in die eine oder andere Richtung tendieren. Davon hängt auch ab, welche staatlichen Akteure (beispielsweise Ministerien) wie umfassend eingebunden sind.
Die Pilotprogramme sind hilfreich, um verschiedene rechtliche Wege auszuloten sowie die Zusammenarbeit relevanter Akteure zu festigen. Doch die tatsächliche Mobilität von Flüchtlingen ist zurzeit eher gering. So hat das DT4E-Programm binnen drei Jahren 130 Personen in Arbeitsverhältnisse in Europa vermittelt. Zu überlegen wäre also, wie sich solche Programme verstetigen und ausweiten lassen. Dafür müssen nicht nur die rechtlichen Wege, sondern auch die Finanzierung geklärt werden. Ebenso bedeutsam wäre es, die Arbeitgeber einzubinden und von den persönlichen Netzwerken der Geflüchteten Gebrauch zu machen. Auch wenn Geflüchtete Programme der Arbeitsmigration nutzen können, stehen sie oft vor zusätzlichen Hürden, etwa weil ihnen notwendige Dokumente fehlen und sie nur schwer Zugang zu Institutionen und Ressourcen im Aufenthaltsland finden.
Wenig beleuchtet wurde bisher die Zusammenarbeit mit den Erstaufnahmeländern. Grundsätzlich können sich Geflüchtete aus jedem Land der Welt in den Talentkatalog eintragen und gegebenenfalls auch ohne Kooperation mit dem Aufnahmeland ausreisen. Dafür brauchen sie aber gültige Reisepapiere und mitunter eine Ausreisegenehmigung ihres Aufenthaltslandes. Sobald sie die notwendigen Dokumente haben, können sie sich individuell (und mit Unterstützung von Organisationen wie Talent Beyond Boundaries) auf Arbeitsstellen bewerben und Einreisemöglichkeiten nutzen. Soll aber eine größere Zahl von Geflüchteten in einem konkreten Land angeworben werden, ist aus mehreren Gründen eine Zusammenarbeit zwischen den betreffenden Staaten sinnvoll. So ließen sich Probleme mit Reisedokumenten besser beseitigen, was die Umsetzung der Programme erleichtern würde. Auch kann die Kooperation mit staatlichen Institutionen der Erstaufnahmeländer beispielsweise für Trainings- und Bildungsprogramme vor Ort von Bedeutung sein. Neben diesen praktisch-rechtlichen Fragen dient es generell einer guten Beziehung, Partnerländer zu beteiligen und Programme nicht ohne Einwilligung der jeweiligen Regierungen durchzuführen. Dabei stellt sich die Frage, welche Interessen diese Partnerländer haben und inwiefern die Kooperation ihnen einen Mehrwert bietet.
Die Interessen der Erstaufnahmeländer
Zwar mag es plausibel erscheinen, dass Programme der Arbeitsmigration für Geflüchtete auch im Sinne der Erstaufnahmeländer sind. Gespräche mit Praktiker:innen deuten indes darauf hin, dass diese Länder keinesfalls immer an Kooperation interessiert sind. Tatsächlich gibt es für sie außer den genannten Vorteilen auch Gründe, skeptisch auf solche Programme zu blicken. In erster Linie ist das die (wahrgenommene) Konkurrenz um Migrationsoptionen und Ressourcen.
Ressourcenkonkurrenz
Länder wie Kenia oder der Libanon nehmen viele Flüchtlinge auf. Zugleich herrscht in deren Bevölkerungen große Nachfrage nach Ausreisemöglichkeiten. Ist die Arbeitslosigkeit im Land hoch und sind die Kontingente für Arbeitsmigration beschränkt, geraten die Regierungen unter Druck, zunächst für die eigenen Staatsbürger:innen Ausreisewege zu erschließen. Anders als beim klassischen Resettlement kann bei Arbeitsmigration also ein Konkurrenzverhältnis entstehen. Begrenzt sind aber nicht nur die Chancen zur Einreise in die Zielländer. Es kann sich auch ein Wettbewerb um andere Ressourcen herausbilden: Gibt es beispielsweise lange Wartezeiten beim Zugang zu Sprachkursen oder Weiterbildungsprogrammen oder auch bei der Bearbeitung von Anträgen in Botschaften, tendieren die Regierungen bisweilen eher dazu, diese Ressourcen nicht mit einer weiteren Gruppe zu teilen. Manche Organisationen bieten Trainings aber auch online an. Die Digitalisierung von Angeboten kann helfen, den Wettstreit um begrenzte Infrastruktur zu mindern und Maßnahmen unabhängiger von der Zusammenarbeit mit dem Erstaufnahmeland durchzuführen. Mehr Möglichkeiten von Online-Kursen, auch für den Spracherwerb, könnten also ein Weg sein, diese Angebote mit weniger Aufwand bereitzustellen und zu erweitern. Allerdings haben Kurse vor Ort den Vorteil größerer Verbindlichkeit. Komplexere oder praktische Ausbildungen lassen sich zudem kaum in den digitalen Raum verlagern.
Situation des Arbeitsmarktes
Der Arbeitsmarkt ist ein wichtiger Faktor dafür, wie die Idee der Arbeitsmigration für Geflüchtete vor Ort aufgenommen wird. Besteht hohe (Jugend-)Arbeitslosigkeit wie etwa in Jordanien, ist der Druck zur Emigration hoch. In dem Fall kann die Ausreise von Geflüchteten den Arbeitsmarkt entlasten, aber nur dann, wenn diese überhaupt das Recht und die Möglichkeiten haben, im Land zu arbeiten. Schwerer wiegt die genannte Konkurrenz um die begrenzten Chancen zur Ausreise, und zwar umso stärker, je mehr der Arbeitsmarkt unter Druck steht. Da vor allem hochqualifizierte Geflüchtete nach Europa vermittelt werden sollen, kann sich zugleich eine Konkurrenz um Fachkräfte ergeben: Werden solche Personen abgeworben, die auf dem Arbeitsmarkt vor Ort gebraucht werden, ist dies keine Entlastung, sondern ein Nachteil für die Aufenthaltsländer. Ebenso sollte vermieden werden, dass Geflüchtete, die vor Ort aus- oder weitergebildet wurden und in den Arbeitsmarkt integriert sind, von dort wieder abgeworben werden. Auch das gilt aber nur für einzelne Länder, denn in vielen Erstaufnahmestaaten können Geflüchtete ohnehin nicht oder nur sehr eingeschränkt am Arbeitsmarkt teilnehmen.
Struktur der Flüchtlingsbevölkerung
Relevant sind auch Situation und Struktur der Flüchtlingsbevölkerung im Erstaufnahmeland. In manchen Fällen leben Gruppen dort seit langer Zeit, teilweise über Generationen hinweg. Dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass diejenigen, die auswandern, Geld an ihre Angehörigen im Erstaufnahmeland überweisen oder selbst zurückkehren, um Investitionen zu tätigen. So können sich Vorteile für die Aufnahmeländer ergeben. Das gilt indes hauptsächlich für größere Flüchtlingsbevölkerungen, die dauerhaft im Land leben, ohne dort vollständig integriert zu sein. Halten Geflüchtete sich eher im Transit und individuell in Aufnahmeländern auf, dürfte das Thema Rücküberweisungen für diese Länder weniger Bedeutung haben. Auch wenn diejenigen, die mit einem Arbeitsvertrag ausreisen, später ihre Familien nachholen, was in der Regel vorgesehen ist, können die Rücküberweisungen ab diesem Zeitpunkt sinken.
Neben der Aufenthaltsdauer und der lokalen Verankerung spielt das Qualifikationsniveau der Geflüchteten eine Rolle. Je mehr Qualifikationen sie haben, die auch vor Ort gefragt sind, desto geringer wird das Interesse des Erstaufnahmestaats sein, ihnen die Ausreise zu erleichtern.
Vermittlung der Idee
Schließlich kann auch die Frage der Einbettung und des Framings einen Unterschied machen: Je mehr die Programme sich an Resettlement-Kanälen orientieren und als weitere Form der Flüchtlingsaufnahme vermittelt und verstanden werden, desto eher werden sie vermutlich in den Erstaufnahmeländern auf Zustimmung stoßen. Denn dann steht wie beim Resettlement der Aspekt der Entlastung im Vordergrund. Werden hingegen die Programme so vermittelt, als würde Arbeitsmigration auf eine neue Gruppe erweitert, wird dies im Erstaufnahmeland eher als Konkurrenzsituation wahrgenommen. Das kann im Kontrast zur Kommunikation in den Zielländern stehen, wo die Erweiterung von Wegen der Arbeitsmigration sich gesellschaftlich leichter vermitteln lässt als zusätzliche Kontingente der Flüchtlingsaufnahme.
Ein Baustein guter Migrationskooperation
Auf der Suche nach Maßnahmen für besseren Flüchtlingsschutz einerseits und gegen den Mangel an Arbeitskräften in westlichen Industriestaaten andererseits sind komplementäre Zugangswege ein vielversprechender Ansatz. Sie können zwar keinesfalls den zahlenmäßig viel bedeutsameren territorialen Zugang zu Asyl ersetzen, bilden aber eine wichtige Ergänzung. Während die Vorteile für die Zielländer und manche der Geflüchteten auf der Hand liegen, sollte nicht selbstverständlich davon ausgegangen werden, dass auch die Erstaufnahmeländer von dieser Idee profitieren. Vielmehr müssen diese von Anfang an in die Aushandlung und Gestaltung der Programme einbezogen werden: zum einen, um die Programme möglichst sinnvoll und effizient zu konzipieren, zum anderen, um eine funktionierende Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit den betreffenden Partnerländern zu gewährleisten. Bei den regulären Programmen für Arbeitsmigration haben die Partnerländer meist ein starkes Eigeninteresse. Was hingegen die Programme der Arbeitsmigration für Geflüchtete betrifft, ist es ratsam, die Bedenken der Partnerländer und die möglichen Nachteile für sie in Verhandlungen und Ausgestaltung einzubeziehen.
Relevante Akteure zusammenbringen
Wenn Akteure der deutschen Flucht- und Migrationspolitik Programme der Arbeitsmigration für Geflüchtete anstoßen, sollten sie darauf achten, alle relevanten Akteure in den Erstaufnahmeländern an einen Tisch zu bringen. Da Arbeitsmigration für Geflüchtete mehrere Politikbereiche berührt, können verschiedene staatliche Akteure unterschiedliche Perspektiven und Ziele einbringen. So könnte etwa ein Bildungsministerium Interesse daran haben, dass neue Aus- und Weiterbildungsprogramme im Land aufgebaut werden, und damit eine ergänzende Position zu der von Innen-, Sozial- oder Arbeitsministerien einnehmen. Zusätzlich sollten etablierte flucht- und migrationspolitische Akteure wie UNHCR und IOM ebenso beteiligt sein wie die auf das Thema spezialisierten Nichtregierungsorganisationen. Bei einem Austausch aller relevanten Akteure kann sich bereits herauskristallisieren, welche Länder mehr an einer Kooperation interessiert sein könnten als andere. Dabei spielen die genannten Faktoren wie die Situation des Arbeitsmarktes oder die Zusammensetzung der Flüchtlingsbevölkerung im Land eine Rolle. Weitere Faktoren können sich im Austausch ergeben.
Konkurrenz vermeiden, Synergien schaffen
Mindestens ebenso wichtig wie die Antwort auf die Frage, welche Länder als Partner am ehesten geeignet sind, ist jedoch, wie sich die Programme so gestalten lassen, dass negative Effekte möglichst vermieden werden. Hier gibt es mehrere Ansätze: Es kommt vor allem darauf an, die Komplementarität nicht nur zum Resettlement, sondern auch zu anderen Wegen der Arbeitsmigration zu gewährleisten und sichtbar zu machen. Außerdem wäre es hilfreich, den Arbeitsmarkt nicht nur in den Zielländern, sondern auch in den Aufenthaltsländern zu analysieren und die Ergebnisse in die Ausgestaltung der Programme einfließen zu lassen. Ferner kann es sinnvoll sein, die Programme und die geschaffene Infrastruktur nicht exklusiv für Geflüchtete anzubieten, sondern auch für Staatsbürger:innen des Landes. Das gilt für Trainingsprogramme und Sprachkurse ebenso wie für Wege der Ausreise. Als Vorlage können bereits existierende Trainings- und Ausreiseprogramme fungieren: Im Rahmen von »skills mobility partnerships« könnten sowohl Geflüchtete als auch die lokale Bevölkerung in Mangelberufen ausgebildet werden. Handelt es sich um Berufsfelder, die auch vor Ort gefragt sind – etwa erneuerbare Energien –, sollten diese Programme zudem nicht nur auf Ausreise angelegt sein, sondern desgleichen auf die Bedarfe des lokalen Arbeitsmarktes. Auf diese Weise kann den Interessen der verschiedenen Akteure gleichermaßen Rechnung getragen werden.
Von vielen Testballons zu einem Gesamtkonzept
Schließlich sollten alle beteiligten Akteure darauf hinwirken, die Programme von einer Ansammlung von Pilotprojekten systematischer zu einem Gesamtkonzept zu formen. Ein Weg dahin wäre, die Programme in einen größeren Rahmen bi- oder multilateraler Migrationskooperation einzubetten. Dies könnte Teil künftiger Verhandlungen Deutschlands über Migrationsabkommen mit Ländern sein, die viele Flüchtlinge aufnehmen. Multilaterale Zusammenarbeit, wie sie zum Beispiel mit dem DT4E-Projekt bereits praktiziert wird, kann wiederum Synergien schaffen und so Ressourcen sparen, den Pool an Bewerber:innen erweitern und diesen durch Beteiligung mehrerer Zielländer mehr Optionen bieten. Überdies kann es Synergieeffekte hervorbringen, wenn sich etwa die geschaffene Infrastruktur oder die Kooperation der Akteure für verschiedene Migrationswege nutzen lässt. Zwar sind die bestehende deutsche Fachkräfteeinwanderungsgesetzgebung und die Zentren für Migration und Entwicklung nicht spezifisch auf Geflüchtete ausgerichtet. Sie stehen aber auch ihnen offen. Hier sollten ebenfalls Synergien erzeugt und genutzt werden.
Abzuwarten bleibt, ob die Idee der Arbeitsmigration für Geflüchtete den Schritt von einer Testphase mit mehreren kleinen Projekten zu einem dauerhaften und umfangreicheren Instrument der Migrationspolitik nehmen wird. Es ist unwahrscheinlich, dass sie binnen kurzem eine beträchtliche Anzahl Menschen nach Deutschland und in andere europäische Länder bringen wird. Doch die Kontingente könnten nach und nach vergrößert werden. Ein Gesamtkonzept, das auch die Interessen der Erstaufnahmeländer angemessen berücksichtigt, kann dabei eine konstruktive Rolle spielen.
Dr. Kristina Korte war bis Dezember 2024 Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen. Das SWP-Aktuell wurde verfasst im Rahmen des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geförderten Projekts »Strategische Flucht- und Migrationspolitik«.
Dieses Werk ist lizenziert unter CC BY 4.0
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ISSN (Print) 1611-6364
ISSN (Online) 2747-5018
DOI: 10.18449/2025A04