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Wege der Arbeitsmigration für Geflüchtete

Die Interessen der Erstaufnahmeländer im Fokus

SWP-Aktuell 2025/A 04, 16.01.2025, 6 Pages

doi:10.18449/2025A04

Research Areas

Neben dem bestehenden Asylsystem sind komplementäre Zugangswege eine wei­tere Option, um Geflüchtete aufzunehmen. Programme der Arbeitsmigration ermöglichen es qualifizierten Personen, die in einem Nachbarland Schutz gesucht haben, auf siche­ren und regulären Wegen in aufnahmebereite Drittstaaten weiterzureisen. Ein Ziel­land wie Deutschland kann auf diese Weise wichtige Arbeitskräfte gewinnen. Oft wird davon ausgegangen, dass solche Programme auch im Sinne der Erstaufnahmeländer sind. Anstatt dies vorauszusetzen, sollten die Interessen dieser Länder genauer betrachtet und stärker berücksichtigt werden. Dabei wäre sicherzustellen, dass keine Konkurrenz zwischen Geflüchteten und Staatsbürger:innen der Erstaufnahmeländer entsteht. Deshalb sollten Angebote für Weiterbildung und Ausreise möglichst immer an beide Gruppen gerichtet sein. Sinnvoll ist zudem, alle relevanten Akteure in den Erstaufnahmeländern von Anfang an in die Gestaltung der Programme ein­zubeziehen und diese in einen größeren Rahmen von Migrationskooperation einzubetten, um Synergieeffekte nutzen zu können.

Die aktuellen Debatten über Migrations­politik drehen sich oft um das Ziel, Migra­tion sicher, geordnet und regulär zu gestal­ten. Im Bereich Fluchtmigration zeigt sich allerdings das sogenannte Asylparadox: Menschen, die fliehen, müssen Grenzen in der Regel irregulär überqueren, um zum Beispiel nach Europa zu gelangen und dort ihr Recht auf Schutz einfordern zu können. Das ist für die Ge­flüch­teten mit oft lebens­gefährlichen Reisen und hohen Kosten ver­bunden und ruft in den Ziel­ländern Kritik an ungeordneter oder unkontrollierter Zu­wanderung hervor. Jenseits die­ses territorialen Zugangs zu Schutz – der beinhaltet, dass eine Person im Land oder an seiner Grenze angelangt sein muss, um Asyl beantragen zu können – gibt es jedoch andere recht­liche Optionen, die eine regu­läre Einreise ermöglichen. Zum einen sind dies Resettle­ment-Pro­gramme: Personen, die bereits in ein ande­res Land wie etwa den Libanon geflüchtet sind und dort einen anerkannten Schutzstatus haben, können über diese Pro­gramme in einen Drittstaat wie beispielsweise Deutsch­land einreisen, um dort Schutz zu erhalten. Zum anderen existieren mehrere weitere Optionen, die unter dem Begriff komplementäre Zugangs­wege zu­sammengefasst werden. Regulär einreisen können Ge­flüch­tete etwa durch Bundes- oder Landesaufnahmeprogramme, huma­nitäre Visa, Bildungs­programme oder mit Arbeitsverträgen. Der letztgenannte Weg der Arbeitsmigration wird zurzeit von vielen Akteuren der Migra­tionspolitik und ‑forschung als vielversprechende Idee diskutiert und mit der Hoff­nung verbunden, dass er für alle beteiligten Akteure ein Gewinn ist.

Arbeitsmigration für Geflüchtete – ein win-win-win?

Arbeitsmigration für Geflüchtete bedeutet, dass Personen, die aus ihrem Heimatland in ein Nachbarland geflohen sind, von dort in einen Drittstaat aufgenommen wer­den. Dies ähnelt dem Prinzip des Resettlement, mit dem Unterschied, dass die Personen nicht mit einem Schutzstatus weiterreisen, sondern mit einem Arbeitsvertrag. Anders als Geflüchtete im Asylverfahren haben die einreisenden Personen dabei das Recht, un­mittelbar nach der Einreise eine Arbeit auf­zunehmen. In einer Zeit, da der Arbeitsmarkt in Deutschland immer mehr auf Zu­wanderung an­gewiesen ist, kann dies die Möglichkeiten der Arbeitsmigration erwei­tern und damit eine wei­tere Option dar­stellen, den Fachkräfte­bedarf in Mangel­berufen zu decken. In diesem Sinne ergibt sich ein doppelter Vorteil: Geflüchteten bleiben gefährliche und teure irreguläre Migrationswege er­spart, und das Aufnahme­land kann die Geflüchteten direkt nach ihrer Ankunft in den Arbeitsmarkt inte­­grie­ren, sodass sie nicht auf staat­liche Unterstützung angewie­sen sind. Sie kön­nen ihre Fähig­keiten nutzen und ihre Handlungsmacht bewahren, was ihnen selbst ebenso zugutekommt wie dem Aufnahmeland. Das gilt indes nur für Geflüchtete mit ent­sprechenden Quali­fikationen, also gerade nicht für die vul­ne­ra­belsten. Zudem ist bei befris­teten Aufent­haltstiteln zu klären, welchen (Schutz-)Status die Betreffenden haben, sollten sie ihren Arbeitsplatz verlieren.

Neben Arbeitgebern und Wirtschafts­­systemen in den Zielländern sowie den Geflüchteten selbst könnten auch die Erst­aufnahmeländer profitieren. Die meisten Fluchtbewegungen sind regional, 69 Pro­zent der Flüchtlinge weltweit wurden von einem Nachbarland aufgenommen. Viele jener Länder, welche die meisten Flücht­linge beherbergen, kämpfen jedoch selbst mit einer schwierigen wirtschaftlichen (und teils politischen) Lage. Beispiele hier­für sind Uganda, der Libanon oder Jorda­nien. Vor diesem Hintergrund lautet ein zentrales Ziel des Globalen Flüchtlingspakts, die Ver­antwortung bei Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen gerecht innerhalb der Staatengemeinschaft auf­zuteilen. Der Druck auf die Erstaufnahmeländer soll gemindert, der Zugang zu Dritt­staatenlösungen verbessert werden. So liegt es nahe, dass Erstaufnahmestaaten von Pro­grammen der Arbeitsmigration für Geflüch­tete profitieren können, da auf diesem Weg die Sozialsysteme im Land entlastet werden. Dass kom­ple­mentäre Zugangswege in diesem Sinne positiv für die Erstaufnahme­länder wirken können, be­tont auch der Hohe Flüchtlingskommissar der Ver­einten Natio­nen (UNHCR). Es könnte also ein drei­facher Gewinn ent­stehen.

Stand der Umsetzung

Bislang gibt es mehrere Pilotprogramme, die Flüchtlingen Wege der Arbeitsmigration in mehrere europäische Länder sowie nach Kanada und Australien eröffnen. Das kana­dische Programm soll als bisher einziges nach der Testphase nun verstetigt werden. In Europa wurden mit dem Programm Dis­placed Talent for Europe (DT4E) Geflüchtete aus Jordanien und dem Libanon nach Bel­gien, Großbritannien, Irland und Portu­gal vermittelt. Nachdem die erste Phase Ende 2024 aus­gelaufen ist, wird das Folge­projekt mit den Aufnahmeländern Belgien, Frank­reich und Slowakei durch- bzw. fort­geführt. Italien und Groß­britannien haben mittler­weile eigene Pro­gramme. Alle Pro­gramme unterscheiden sich darin, welche recht­lichen Optio­nen genutzt oder geschaf­fen werden, wel­chen Status die einreisenden Personen haben und welche Akteure invol­viert sind. So bekommen Arbeitskräfte zum Beispiel in Kanada und Australien sofort einen un­befristeten Aufenthalts­status, wäh­rend sie in Europa zu­nächst befristete Auf­enthalts­titel erhalten. In der Regel spielen Nichtregierungsorganisationen eine wich­tige Vermittlerrolle. Pro­minentester Akteur derzeit ist die Organisa­tion Talent Beyond Boundaries. Mit Hilfe einer Datenbank (des sogenannten Talent­katalogs) bringt sie Arbeitsangebote und Arbeitssuchende zu­sammen und unter­stützt Geflüchtete bei Bewerbungen und sonstigen organisatorischen Schritten. In Kanada gibt es zudem die Organisation Talent Lift, die nach dem glei­chen Prinzip eine Plattform zur Vermitt­lung betreibt. Etablierte Ak­teure wie der UNHCR oder die Internationale Organisa­tion für Migration (IOM) sind ebenfalls an der Umsetzung der Programme beteiligt. Die Programme bewe­gen sich stets im Spannungsfeld zwischen Flüchtlingsschutz und Arbeitsmigration und können stärker in die eine oder andere Richtung tendieren. Davon hängt auch ab, welche staatlichen Akteure (beispielsweise Ministe­rien) wie umfassend eingebunden sind.

Die Pilotprogramme sind hilfreich, um verschiedene rechtliche Wege auszuloten sowie die Zusammenarbeit relevanter Ak­teure zu festigen. Doch die tatsäch­liche Mobili­tät von Flüchtlingen ist zurzeit eher gering. So hat das DT4E-Programm binnen drei Jahren 130 Personen in Arbeitsverhältnisse in Europa vermittelt. Zu über­legen wäre also, wie sich solche Programme ver­stetigen und ausweiten lassen. Dafür müssen nicht nur die rechtlichen Wege, sondern auch die Finanzierung geklärt werden. Ebenso bedeutsam wäre es, die Arbeitgeber einzubinden und von den per­sönlichen Netzwerken der Geflüchteten Gebrauch zu machen. Auch wenn Geflüch­tete Programme der Arbeitsmigra­tion nutzen können, stehen sie oft vor zusätz­lichen Hürden, etwa weil ihnen not­wendige Dokumente fehlen und sie nur schwer Zugang zu Institu­tionen und Res­sourcen im Aufenthaltsland finden.

Wenig beleuchtet wurde bisher die Zu­sammenarbeit mit den Erstaufnahmeländern. Grundsätzlich kön­nen sich Geflüch­te­te aus jedem Land der Welt in den Talent­katalog eintragen und gegebenenfalls auch ohne Kooperation mit dem Aufnahmeland aus­reisen. Dafür brauchen sie aber gültige Reisepapiere und mitunter eine Ausreisegenehmigung ihres Aufenthaltslandes. So­bald sie die notwendigen Dokumente haben, können sie sich indi­viduell (und mit Unter­stützung von Orga­nisationen wie Talent Beyond Boundaries) auf Arbeitsstellen be­werben und Einreisemöglichkeiten nutzen. Soll aber eine größere Zahl von Geflüchteten in einem konkreten Land an­gewor­ben werden, ist aus mehreren Grün­den eine Zusammenarbeit zwischen den betreffenden Staaten sinn­voll. So ließen sich Proble­me mit Reisedokumenten besser beseitigen, was die Umset­zung der Programme erleich­tern würde. Auch kann die Kooperation mit staatlichen Insti­tutionen der Erstaufnahmeländer beispiels­weise für Trainings- und Bildungsprogram­me vor Ort von Bedeutung sein. Neben diesen praktisch-rechtlichen Fragen dient es gene­rell einer guten Bezie­hung, Partnerländer zu beteiligen und Pro­gram­me nicht ohne Einwilligung der jewei­ligen Regierungen durch­zuführen. Dabei stellt sich die Frage, welche Interessen diese Partner­länder haben und inwiefern die Ko­opera­tion ihnen einen Mehrwert bietet.

Die Interessen der Erstaufnahmeländer

Zwar mag es plausibel erscheinen, dass Programme der Arbeitsmigration für Ge­flüchtete auch im Sinne der Erstaufnahmeländer sind. Gespräche mit Praktiker:innen deuten indes darauf hin, dass diese Länder keinesfalls immer an Koope­ration inter­essiert sind. Tatsächlich gibt es für sie außer den genannten Vorteilen auch Gründe, skeptisch auf solche Pro­gramme zu blicken. In erster Linie ist das die (wahrgenommene) Konkur­renz um Migrationsoptionen und Ressourcen.

Ressourcenkonkurrenz

Länder wie Kenia oder der Libanon nehmen viele Flüchtlinge auf. Zugleich herrscht in deren Bevölkerungen große Nachfrage nach Ausreisemöglichkeiten. Ist die Arbeits­losig­keit im Land hoch und sind die Kontin­gente für Arbeitsmigration beschränkt, ge­raten die Regierungen unter Druck, zunächst für die eigenen Staatsbürger:innen Ausreise­wege zu er­schließen. Anders als beim klas­sischen Resettlement kann bei Arbeits­migration also ein Konkurrenzverhältnis entstehen. Be­grenzt sind aber nicht nur die Chancen zur Einreise in die Zielländer. Es kann sich auch ein Wettbewerb um andere Res­sourcen herausbilden: Gibt es beispielsweise lange Wartezeiten beim Zugang zu Sprach­kursen oder Weiterbildungsprogram­men oder auch bei der Bearbeitung von Anträgen in Botschaften, tendieren die Regie­rungen bisweilen eher dazu, diese Res­sourcen nicht mit einer weiteren Gruppe zu teilen. Manche Organi­sationen bieten Trainings aber auch online an. Die Digitali­sierung von Angeboten kann helfen, den Wettstreit um begrenzte Infra­struktur zu mindern und Maßnahmen un­abhängiger von der Zusammenarbeit mit dem Erst­aufnahmeland durchzuführen. Mehr Mög­lichkeiten von Online-Kursen, auch für den Spracherwerb, könnten also ein Weg sein, diese Angebote mit weniger Aufwand bereit­zustellen und zu erweitern. Allerdings haben Kurse vor Ort den Vorteil grö­ßerer Verbindlichkeit. Komplexere oder praktische Ausbildungen lassen sich zudem kaum in den digitalen Raum verlagern.

Situation des Arbeitsmarktes

Der Arbeitsmarkt ist ein wichtiger Faktor dafür, wie die Idee der Arbeitsmigration für Geflüchtete vor Ort aufgenommen wird. Besteht hohe (Jugend-)Arbeitslosigkeit wie etwa in Jorda­nien, ist der Druck zur Emi­gration hoch. In dem Fall kann die Ausreise von Geflüchteten den Arbeitsmarkt ent­lasten, aber nur dann, wenn diese über­haupt das Recht und die Möglichkeiten haben, im Land zu arbeiten. Schwerer wiegt die genannte Konkurrenz um die begrenzten Chancen zur Aus­reise, und zwar umso stärker, je mehr der Arbeitsmarkt unter Druck steht. Da vor allem hochqualifizierte Geflüchtete nach Europa vermittelt werden sollen, kann sich zugleich eine Konkurrenz um Fachkräfte ergeben: Werden solche Pers­o­nen abgeworben, die auf dem Arbeits­markt vor Ort ge­braucht werden, ist dies keine Ent­lastung, sondern ein Nachteil für die Auf­enthaltsländer. Ebenso sollte ver­mieden werden, dass Geflüchtete, die vor Ort aus- oder weitergebildet wurden und in den Arbeits­markt integriert sind, von dort wie­der abgeworben werden. Auch das gilt aber nur für einzelne Länder, denn in vielen Erstaufnahmestaaten können Ge­flüchtete ohnehin nicht oder nur sehr ein­geschränkt am Arbeitsmarkt teilnehmen.

Struktur der Flüchtlingsbevölkerung

Relevant sind auch Situa­tion und Struktur der Flüchtlingsbevölkerung im Erstaufnahmeland. In manchen Fällen leben Grup­pen dort seit langer Zeit, teilweise über Generationen hinweg. Dann ist die Wahr­scheinlichkeit hoch, dass diejenigen, die auswandern, Geld an ihre Angehörigen im Erstaufnahmeland überweisen oder selbst zurück­kehren, um Investitionen zu tätigen. So können sich Vorteile für die Aufnahmeländer ergeben. Das gilt indes hauptsächlich für größere Flüchtlingsbevölkerungen, die dauerhaft im Land leben, ohne dort voll­ständig integriert zu sein. Halten Ge­flüch­tete sich eher im Transit und individu­ell in Aufnahmeländern auf, dürfte das Thema Rücküberweisungen für diese Län­der weniger Bedeutung haben. Auch wenn diejenigen, die mit einem Arbeitsvertrag ausreisen, später ihre Fami­lien nachholen, was in der Regel vorgesehen ist, können die Rücküberweisungen ab diesem Zeitpunkt sinken.

Neben der Aufenthaltsdauer und der lokalen Verankerung spielt das Qualifikationsniveau der Geflüchteten eine Rolle. Je mehr Qualifikationen sie haben, die auch vor Ort gefragt sind, desto geringer wird das Interesse des Erstaufnahmestaats sein, ihnen die Ausreise zu erleichtern.

Vermittlung der Idee

Schließlich kann auch die Frage der Ein­bettung und des Framings einen Unterschied machen: Je mehr die Programme sich an Resettlement-Kanälen orientieren und als weitere Form der Flüchtlingsaufnahme vermittelt und verstanden werden, desto eher werden sie vermutlich in den Erstaufnahmeländern auf Zustimmung stoßen. Denn dann steht wie beim Resettle­ment der Aspekt der Entlastung im Vorder­grund. Werden hingegen die Programme so vermittelt, als würde Arbeitsmigration auf eine neue Gruppe erweitert, wird dies im Erstaufnahmeland eher als Konkurrenz­situation wahrgenommen. Das kann im Kontrast zur Kommunikation in den Ziel­ländern stehen, wo die Erweiterung von Wegen der Arbeitsmigration sich gesell­schaftlich leichter vermitteln lässt als zusätzliche Kontingente der Flüchtlingsaufnahme.

Ein Baustein guter Migrationskooperation

Auf der Suche nach Maßnahmen für besse­ren Flüchtlingsschutz einerseits und gegen den Mangel an Arbeitskräften in westlichen Industriestaaten andererseits sind komplementäre Zugangswege ein vielversprechender Ansatz. Sie können zwar keinesfalls den zah­lenmäßig viel bedeutsameren territorialen Zugang zu Asyl ersetzen, bilden aber eine wichtige Ergänzung. Während die Vor­teile für die Zielländer und manche der Geflüchteten auf der Hand liegen, sollte nicht selbstverständlich davon aus­gegangen werden, dass auch die Erstaufnahmeländer von dieser Idee profitieren. Vielmehr müs­sen diese von Anfang an in die Aushandlung und Gestaltung der Pro­gramme ein­bezogen werden: zum einen, um die Pro­gramme möglichst sinnvoll und effizient zu konzipieren, zum anderen, um eine funk­tio­nierende Zusammenarbeit auf Augen­höhe mit den betreffenden Partnerländern zu gewährleisten. Bei den regulären Pro­grammen für Arbeitsmigration haben die Part­nerländer meist ein starkes Eigen­inter­esse. Was hingegen die Programme der Arbeitsmigration für Geflüchtete betrifft, ist es rat­sam, die Beden­ken der Partner­länder und die möglichen Nachteile für sie in Verhandlungen und Ausgestaltung ein­zubeziehen.

Relevante Akteure zusammenbringen

Wenn Akteure der deutschen Flucht- und Migrationspolitik Programme der Arbeitsmigration für Geflüchtete anstoßen, sollten sie darauf achten, alle relevanten Akteure in den Erstaufnahmeländern an einen Tisch zu bringen. Da Arbeitsmigration für Ge­flüchtete mehrere Politikbereiche berührt, können verschiedene staatliche Akteure unterschiedliche Per­spektiven und Ziele einbringen. So könnte etwa ein Bildungsministerium Interesse daran haben, dass neue Aus- und Weiterbildungsprogramme im Land auf­gebaut werden, und damit eine ergänzende Position zu der von Innen-, Sozial- oder Arbeitsministerien einnehmen. Zusätzlich sollten etablierte flucht- und migrations­politische Akteure wie UNHCR und IOM ebenso beteiligt sein wie die auf das Thema spezialisierten Nichtregierungsorganisationen. Bei einem Austausch aller relevanten Akteure kann sich bereits herauskristallisieren, welche Länder mehr an einer Kooperation interessiert sein könnten als andere. Dabei spielen die ge­nannten Fak­toren wie die Situation des Arbeitsmarktes oder die Zusammensetzung der Flüchtlings­bevölkerung im Land eine Rolle. Weitere Faktoren können sich im Austausch ergeben.

Konkurrenz vermeiden, Synergien schaffen

Mindestens ebenso wichtig wie die Antwort auf die Frage, welche Länder als Partner am ehesten geeignet sind, ist jedoch, wie sich die Programme so gestalten lassen, dass negative Effekte möglichst vermieden werden. Hier gibt es mehrere Ansätze: Es kommt vor allem darauf an, die Komple­mentarität nicht nur zum Resettlement, sondern auch zu anderen Wegen der Arbeitsmigration zu gewährleisten und sicht­bar zu machen. Außerdem wäre es hilf­reich, den Arbeitsmarkt nicht nur in den Ziel­ländern, sondern auch in den Auf­enthaltsländern zu analysieren und die Ergeb­nisse in die Ausgestaltung der Pro­gramme einfließen zu lassen. Ferner kann es sinnvoll sein, die Pro­gramme und die ge­schaffene Infrastruktur nicht exklusiv für Geflüchtete anzubieten, sondern auch für Staatsbürger:innen des Landes. Das gilt für Trainingsprogramme und Sprachkurse ebenso wie für Wege der Ausreise. Als Vor­lage können bereits existierende Trainings- und Ausreiseprogramme fungieren: Im Rahmen von »skills mobility partnerships« könnten so­wohl Geflüchtete als auch die lokale Bevöl­kerung in Mangelberufen aus­gebildet werden. Handelt es sich um Berufs­felder, die auch vor Ort gefragt sind – etwa erneuerbare Energien –, sollten diese Programme zudem nicht nur auf Ausreise angelegt sein, son­dern desgleichen auf die Bedarfe des loka­len Arbeitsmarktes. Auf diese Weise kann den Inter­essen der ver­schiedenen Akteure gleichermaßen Rech­nung getragen werden.

Von vielen Testballons zu einem Gesamtkonzept

Schließlich sollten alle beteiligten Akteure darauf hinwirken, die Programme von einer Ansammlung von Pilot­projekten systematischer zu einem Gesamt­konzept zu formen. Ein Weg dahin wäre, die Programme in einen größeren Rahmen bi- oder multilateraler Migra­tionskooperation einzubetten. Dies könnte Teil künftiger Ver­handlungen Deutschlands über Migrationsabkommen mit Ländern sein, die viele Flüchtlinge auf­nehmen. Multilaterale Zusam­menarbeit, wie sie zum Beispiel mit dem DT4E-Projekt bereits praktiziert wird, kann wiederum Synergien schaffen und so Ressourcen sparen, den Pool an Bewerber:in­nen erwei­tern und diesen durch Beteiligung meh­rerer Zielländer mehr Optionen bieten. Überdies kann es Syner­gieeffekte hervorbringen, wenn sich etwa die geschaf­fene Infra­struktur oder die Kooperation der Akteure für verschiedene Migra­tionswege nutzen lässt. Zwar sind die beste­hende deutsche Fach­kräfte­einwande­rungs­gesetzgebung und die Zen­tren für Migra­tion und Entwicklung nicht spe­zifisch auf Geflüchtete ausgerichtet. Sie stehen aber auch ihnen offen. Hier sollten eben­falls Synergien erzeugt und ge­nutzt werden.

Abzuwarten bleibt, ob die Idee der Arbeitsmigration für Geflüchtete den Schritt von einer Testphase mit mehreren kleinen Projekten zu einem dauerhaften und umfangreicheren Instru­ment der Migrationspolitik nehmen wird. Es ist un­wahrscheinlich, dass sie binnen kurzem eine beträchtliche Anzahl Men­schen nach Deutsch­land und in andere europäische Länder bringen wird. Doch die Kontin­gente könnten nach und nach vergrößert werden. Ein Gesamtkonzept, das auch die Interessen der Erstaufnahmeländer angemessen be­rück­sichtigt, kann dabei eine konstruktive Rolle spielen.

Dr. Kristina Korte war bis Dezember 2024 Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen. Das SWP-Aktuell wurde verfasst im Rahmen des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geförderten Projekts »Strategische Flucht- und Migrationspolitik«.

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